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IV. Teil. Nero

»Welch ein Wahnwitz hat mich verblendet? Ohne Sklaven und Fackeln in die Suburra gehen zu wollen! O Cäsar! Kehren wir um, dies endet nicht gut!« Der Senator Mamilius war ächzend auf einen Meilenstein niedergesunken und wischte mit zitternden Polsterhänden den Schweiß von seinem kahlen Schädel. Die Jünglinge standen vor ihm und lachten wie beim Satyrspiel im Theater. Nur Otho war auf der Straße ein Stückchen vorausgegangen.

»Gedenkst du den ganzen Abend zu jammern?« fragte Serenus. »Ich habe es dir vorausgesagt, Paris, er wird uns das ganze Abenteuer verderben! Wozu mußten wir diesen Talgklumpen mitrollen? Das kommt alles nur von deiner übergroßen Güte, Cäsar!« Nero, im braunen Mantel, eine Filzkappe völlig übers rote Haar gezogen, stand lachend da, hielt die Linke Mamilius hin, die Rechte Serenus: »Heraus mit den fünfhundert Sesterzen jeder von euch! Ich werd's euch abgewöhnen, in der Suburra verbotene Namen zu nennen.«

»Es wird nicht gezahlt, wir sind noch nicht in der Suburra!« lachte Serenus, den Zeigefinger vor Nero hin und her bewegend.

»Und es sieht bei diesem Tempo auch nicht so aus, als ob wir je dorthin gelangen würden, Cäsar!« rief Otho.

»Was, du auch? Wirst du die fünfhundert Eierchen hergeben?« Nero faßte den Entgleitenden am Mantel, aber Otho war mit einem Lachen und einem Satz fort ins Dunkel verschwunden – man hörte auf der gestampften römischen Straße die Tritte der Laufenden, als Nero ihm nachsetzte.

»Flaccus! Flaccus!« schrie Mamilius voller Angst hinter ihnen her, und Paris, Pollio, Serenus, Senecio wollten sich ausschütten vor Lachen. – »Lacht nicht!« zischte der Dicke. »Er ist ja halbblind – wenn er fällt und sich erschlägt, wird man uns dafür verantwortlich machen!«

»Dann werden wir angeben, daß das Ganze ein Mordplan war, zu dem du uns angestiftet hast!« sagte die hämische Stimme des schönen Senecio. Der Alte erschrak furchtbar und wollte erwidern, aber Paris stieß ihn gutmütig warnend an. Nero kam heftig atmend, schlechter Laune und langsamen Schrittes zurück. Er hatte gemerkt, daß er nicht mehr mit Otho Schritt zu halten vermochte wie vor drei Jahren im Gymnasium. »Ich werde zu schwer«, dachte er. »Ich müßte mich wieder einmal Burrus und Anicetus in die Hand geben! Aber zu dumm auch von Otho! Mich mutterseelenallein auf der Landstraße zu lassen und wie ein Hase davonzuhoppeln. Er wird mir überhaupt immer unerfreulicher, der gute Otho!«

»Also gehen wir endlich!« mahnte der Kaiser kurz.

Otho kam geregelten Atems in großen Sprüngen heran, sah im Vollmondlicht den Kaiser sich abwenden, dachte: »Ich war ein Tor, zu denken, daß dieser Dickhals noch einen guten Lauf verträgt«, und rief: »Also Kinder, – einfach unmöglich, Flaccus einzuholen! Ich gestehe! – Ich bin zu schändlich schlechterer Zeit eingelangt als er!«

»Na, komm jetzt, komm. Was tut's!« Nero gab ihm vergnügt und versöhnt einen kleinen Klaps auf die Schulter.

»Wollt ihr wirklich so weiter, ohne Sklaven, ohne Waffen, ohne Fackelträger?« ächzte Mamilius.

Senecio blieb stehen.

»Ich schlage vor, wir lassen ihn hier zurück!«

»Nein, nein, ich bleibe hier nicht allein!« schrie der Dicke, und unter wildem Gelächter der anderen hängte Senecio sich in ihn ein, um ihn im flotten Trabe mitzuschleifen.

»O süßer Jupiter! Langsam! Langsam! Wenn meine Livilla sähe, wie ihr mit ihrem Kleinod umgeht!«

»Deine Livilla fragt viel danach, was mit dir geschieht! – Wir sechs Jungen wären ihr lieber als du Alter! – Weißt du, daß sie mir vorgestern beim Gladiatorenspiel süße Augen gemacht hat, deine Livilla! Am Ende läßt sie sich scheiden und heiratet mich!« höhnte Senecio.

»Das glaube ich nicht«, sagte Mamilius mittrabend, daß ihm die Zähne aufeinanderschlugen.

»Ah bewahre! Livilla? Die sieht doch keinen Mann als nur Mamilius allein!« warf Nero todernst ein und die fünf schwankten vor Lachen.

»Das will ich nicht sagen! Sie hat mich schon oft genug zum Hahnrei gemacht!« gestand Mamilius in schlauer Ruhe. Er dachte: »Laß sie lachen, die Tollköpfe. Wenn sie mich – nun ich einmal da bin – nur nicht allein zurücklassen.«

»O Götter! Ich kann nicht mehr lachen, es tut zu weh!« keuchte Serenus, seine Seiten haltend.

»Siehst du, Serenus, ein Kerl wie du hat höchstens Aussicht, ihr Liebhaber zu werden, nie ihr Gatte! Warum? – Weil du außer dem, was Cäsar dir aus Gnade gibt – ich bezeichne niemanden, ich führe nur an! keinen halben Terentius in der Tasche hast!« Serenus, der ihn führte, hätte den Alten in eine Lache am Wege patschen lassen, aber Otho riß ihn gutmütig zur Seite. – »Bei Livillion ist es nicht allein wichtig, pralle Schenkel zu haben, auch der Säckel muß prall sein, guter Freund! Was weißt du, was alle die großen und kleinen und mittleren Wünsche der Frauen kosten! – Um Senator zu werden, genügt eine Million Sesterzen! Um Livillas Gatte zu werden, kaum zweihundert Millionen.«

»Na, sagte ich euch nicht, daß ihr über ihn lachen werdet?« hörte man Paris fragen.

Und Nero wandte sich. »Jetzt weiß ich also, warum du wie ein Händler die Münzen häufst und deine Mieter Prozesse gegen dich führen müssen.«

»Wegen Livillion natürlich! Alles für ihre Kleidchen und Kettchen und Gärten und Fischchen im See und solcherlei Sächelchen mehr. – Dachtest du, für mich? Cä – Flaccus? – Ich kann mit fünftausend Sesterzen jährlich leben, wenn's sein muß –«

»Wie sie lachen«, dachte Otho. »Sie begreifen das nicht. Ich begreif es, – armer Alter. Ich könnte wahrhaftig von fünftausend Sesterzen im Jahr leben und alles, was ich habe, auf Poppäas Schultern häufen. – Kleine Poppäa – o süße Poppäa! Jetzt schläft sie und ich höre ihre Atemzüge nicht – vielleicht streckt sie im Schlaf die Hand aus, um mich an einer um ihren Finger gedrehten Locke festzuhalten, und die Hand findet mich nicht, weil ich zum Teilnehmer an Casars nächtlichen Vergnügungen befohlen bin – o Hades!«

»Jetzt versteckt sich auch noch der Mond!« jammerte Mamilius. »Wir werden ganz sicherlich fehlgehen!«

»Fehlgehen! Auf einer Heerstraße, so breit wie ein Dorfplatz! Und ich kann auch ohne Mondschein noch immer die Zahl auf den Wegsteinen entziffern!«

»Nero kann das natürlich nicht«, dachte Otho. »Trotzdem müßte ihm der Ortssinn sagen, daß dies rechts vor ihm Aktes Haus ist – er müßte die Marmorvasen am Tor erkennen. – Er sieht nicht einmal hin! Armes Mädchen, ihr Glück war kurz! – Das Haus liegt öde und dunkel wie ihr armes Herz. Man sagt mir, daß sie jeden frühen Abend, zur Stunde, da er einst zu kommen pflegte, mit Lichtern und bereiten Kränzen auf ihn wartet. Und er geht an ihrer Türe vorüber in die Suburra, um seine Späßchen zu treiben. Ich weiß nicht, seit ich erkannt habe, daß das Glück des Eros nicht in der Lust, nur in der Liebe liegen kann, wird er mir immer fremder, der gute Nero!«

»An Aktes Haus müssen wir wohl schon vorüber sein!« dachte Nero. – »Ich mag nicht fragen. Es sähe so töricht aus. – Nein, hier sind die Vasen am Tor – ich will sie nie wieder sehen. In der Beständigkeit liegt der Tod, nur der Wechsel bringt neues Leben. Heute nacht unter meiner Filzkappe, zu jedem Abenteuer bereit, angespannt und voller Neugier, fühl' ich mich leben!«

Otho wandte sich. »Wir müssen nach links! – Wir müssen über die Milvische Brücke.«

»War es nicht hier, wo Wegelagerer vor ein paar Tagen einen Gerbermeister auf seinem Mantel so lange in die Luft warfen, bis er ohnmächtig ward? Und dann zogen sie ihn aus und warfen ihn in den Kloakeneinstieg?«

Nero stieß Paris in die Seite und sagte halberstickt vor Lachen: »Das glaube ich nicht! So etwas geschieht in meinem Rom nicht!«

»Wenn ich dir sage, daß ihn erst die Ronde herausgezogen hat –«

»Pst!« flüsterte Senecio, »du siehst ja, Cäsar hört solche Dinge nicht gern!«

»Achtung!« meldete Pollio. »Ich sehe Gestalten auf der Brücke!«

»Wie viele? Sagt mir doch, wie viele es sind?« fragte Nero brennend vor Eifer.

»Nur zwei!« meldete Pollio.

»Und wir sind sechs! Wunderbar! – Kommt, Pollio und Serenus! – Mamilius, du bleibst hier stehen und rührst dich nicht eher – ich befehle es –, bis wir sie auf den Mänteln haben!«

Mamilius blieb zurück, verzweifelt wie ein Kind, das die Größeren beim Spiel nicht mittun lassen wollen. Eine Wolkenbank hatte sich vor den Mond gelegt und er nahm nichts aus als den schwarzglitzernden Strom, von dem es kalt herwehte, die schattenhaft ragenden Brückenpfeiler – und wie einen Rubin rotglühend, ein Lichtchen im Dunkel.

Merkur, dem Gott der Wege und Übergänge, war ein winziges Heiligtum errichtet, davor die rote Ampel brannte. In deren Schein nahm selbst Nero zwei Gestalten aus, von denen die eine Riesenmaß zu haben schien. – Der Kaiser blieb hinter Pollio, Senecio und Serenus zurück, deren Laufschritte und gellende Pfiffe auf der Brücke hallten, und stieß atemlos vor Vergnügen, das ihn fast erstickte, hervor: »Los! Los! Haut sie! Otho! Paris! Los!«

Im selben genußvollen Augenblick sah Nero, ohne es vorerst zu begreifen, daß Pollio, im Gruß sich straffend, zurückwich. – Dann erst erkannte er, daß der jähe spiegelnde Lichtschimmer vom nackten Schwerte des Riesen herkam, erkannte das Antlitz des Kleineren, der die Kapuze hatte fallen lassen.

»Piso!« riefen Nero und Otho zugleich. Otho voll aufrichtiger Freude – Nero, indem er den Mittelfinger unter dem Mantel rasch an seinen Talisman, sein Schlangenarmband, führte, um weiteres Mißgeschick zu bannen.

»Gegrüßt, meine Freunde!« sagte Piso mit der höflichen Heiterkeit, die seine Maske war. »Beinahe wär' es euch wirklich gelungen, mich zu erschrecken!«

Nero legte ihm den Arm um die Schulter und lachte. »Ja, als Pollio und Otho dich erkannten, da baten sie mich, sowas wie einen Barbarenüberfall mimen zu dürfen!«

»Beinahe wäre das übel ausgegangen!« sagte Piso leichthin. »Denn als man mir zu Ostia sagte, daß es neuerdings zu Rom Banden gäbe, die durch Überfall meine Reise stören könnten, nahm ich meinen Äthiopier Atlas mit. Der mag sechs Räuber wohl in Schach halten.«

Der Riese ließ langsam seinen Mantel sinken. Nun sah man, daß getürmter Wirrschopf und Straußfedernschmuck ihn in der Vermummung riesisch hatten erscheinen lassen, denn seine Gestalt besaß nicht ungewöhnliches Maß, nur ungewöhnliche Vollendung. Das Weiße seiner Augen, seiner Zähne und der riesigen Raubtierfänge auf seiner nackten Brust glitzerte.

»Verflucht! Das ist eine üble Geschichte!« dachte Nero. »Unmöglich, gegen ihn und diesen schwarzen Höllenhund aufzukommen. Sie haben Schwerter und wir haben keine. Wie kann ich es nur verhindern, daß er Thrasäa und Seneca erzählt, er habe Cäsar in der Filzkappe angetroffen?«

»Das ist ja Piso!« rief eine entzückte Stimme. »Piso an der Milvischen? Wie kommst du hierher, du Sittenstrenger? – Mir scheint – mir scheint –« Mamilius drohte ihm schäkernd mit dem dicken Zeigefinger.

»Das ist es!« dachte Nero. »Den Sittenstrengen mitschleifen, ihn betrunken machen und zum Mitschuldigen –«

Piso dachte: »Ich kann ihnen nicht sagen, daß ich Pallas meine Sänfte abtrat, weil an der seinen die Tragstange zerbrochen war und nach dem Prozeß ihm keine Seele Hilfe zu bringen wagte. Scheußlich, daß ich grinsen muß wie ein ertappter Suburrabesucher.«

Otho dachte: »Lob den Göttern. Ein anständiger Mensch, mit dem man wird reden können!«

Der schöne Senecio dachte: »Das fehlte noch, daß dieser Laffe mitginge und man nicht einmal in Ruhe wird saufen und huren können.«

»Mein lieber Mamilius, nach dem, was ich eben von Piso höre, hatte deine reifere Einsicht nicht unrecht, wenn du meintest, es sei jugendlicher Leichtsinn gewesen, unseren kleinen Nachtspaziergang ohne Sklaven zu wagen!«

»O Cä – Flaccus!« murmelte Mamilius geschmeichelt.

»Hier haben wir sechs Sklaven in einem, wie wir vernehmen, denn ich hoffe, Piso, du wirst deinen Freunden nicht Schutz und Begleitung versagen, um die wir bitten.«

»Ich bin allerdings ein wenig müde, muß ich gestehen – und mein Weib wird über die Verzögerung meiner Ankunft erschrecken.«

Nero hing schon an Pisos Arm. »Pah, müde! Ein Mann von deiner gerühmten Kraft und Ausdauer! Und Galla, die dich ein paar Monate entbehrt hat, wird die paar Stunden warten können. Um so schöner wird das Wiedersehen, wenn das Herzchen ein wenig um dich hat zittern müssen!« sagte Nero abschließend und leichthin. »Kommt, kommt, Freunde! Es wird spät!«

»Welch verfluchter Tyrann! Hatte Rom nicht an einem Caligula genug? Muß ich bei seinen dunklen Bübereien Mithelfer sein, ich, Calpurnius Piso? – Nein, nein, dies zu denken ist der rechte Weg nicht! Ich, Calpurnius Piso, bin vielleicht von den Göttern des Wegs geschickt, um diese seine Bübereien, so gut ich's vermag, zu verhüten – aber werde ich's vermögen? Werd' ich?«

Er fühlte Nero an seinem Arm stolpern und riß ihn auf. »Geh voran, Atlas, und melde die Hindernisse!« befahl er. Und der Äthiopier glitt vorüber mit der lautlosen Kraft und Grazie nächtlicher Raubtiere.

Jenseits der Brücke hatte die Umgebung ein völlig anderes Gesicht. Statt der breiten, von Parkmauern und zurückgezogenen Villen eingehegten Straße – eine enge Vorstadtgasse. Statt der makellosen, gestampften Straßendecke – ungepflasterter Boden voller Gruben und Risse. Engbrüstige Häuser, aus deren Fenstern tropfende Wäsche hing – Baugerüste, die den schmalen Gehsteig verstellten.

»Achtung, Herr!« murmelte des Äthiopiers gutturale, fremdklingende Stimme.

»Und das ist Rom, der Nabel der Welt!« sagte Nero, zornig seine angeschlagene Stirne reibend. »Ein Rom auf Abbruch, – eine einzige Miststätte! Hier herum müssen doch deine berühmten Häuser ohne Treppen stehen, Mamilius! Was?«

»Ein bißchen weiter stehen sie, die Häuserchen für Livillion!« meckerte der Alte. Aus den Fenstern fiel karges Licht. Er hatte Mantel und Oberkleid geschürzt und sie sahen seine nackten, kotbespritzten Wadensäulen durch den Schmutz traben.

»Wenn ich Darius oder Alexander wäre statt N–«

»500 Sesterzen!« lachte Senecio.

»– statt Flaccus, – dann ließe ich die ganze Stadt mit Spitzhacke und Schaufel abreißen –«

»Und was an die Stelle setzen?« fragte Piso.

»Was? Sieh dir einmal an, wie Nero das eingeäscherte Bononia aufgebaut hat! Was an die Stelle? Tempel! Teiche! Unendliche Gärten, mein goldenes Haus! Nicht wie die Häuser des Tiberius und Caligula mit griechischem Gestein prunkend und mit bezifferbaren Schätzen – sondern nur durch Raumverschwendung und Geschmack – durch erlesene Fernsicht. Weite, wie sie nur einer sich leisten kann: der Herr der Welt, dessen Stadt der Nabel der Welt ist –«

Nero seufzte.

Und Piso fragte: »Und wo sollten die Tausende wohnen, denen dieser Bauplan die Heimat nähme?«

»Heimat! Des Mamilius Häuserchen eine Heimat! Laß sie doch drüben, jenseits des Tibers hocken und nisten! Mamiliusse wird es immer geben, die sie in Miete nehmen!«

»Wenn man sicher wäre, daß dies dein Ernst ist, müßte man jetzt schon Grundstücke drüben zu billigen Preisen aufkaufen«, sagte Mamilius. Piso schwieg.

»Steinhaufen, Herr!« warnte Atlas. Der Äthiopier griff zu und half den Kletternden über die Ziegelsteine.

Auf einmal war die Straße wimmelnd belebt. Vor den Häusern saßen dickbrüstige Matronen, denen die eingeschlummerten Kleinen schier vom Schoße rutschten. Nacktfüßige Männer hielten nach der Bohnensuppe noch ihre Gespräche mit dem Nachbar auf der Hausbank gegenüber. Halbwüchsige tosten als Räuber und Ronde vorbei, um im Vorüberjagen vom Erzeuger mit einem Kopfstück bedacht zu werden. – Mädchen, den schön gerundeten Arm zum Amphorenrand gehoben, kamen mit straffer Vorsicht des Schrittes zu dritt und viert vom Brunnen, und die Burschen mit der Nelke im Mundwinkel wandten sich, wie an Drähten gezogen, ihnen nachzusehen.

»Ich möchte hören, was sie reden«, befahl Nero und bückte sich, als bände er seinen Schuh. – Piso schwieg.

»– das kann schon sein«, sagte der Sprößlingsvater auf der Hausbank. »Jugend hat keine Tugend, was willst du von seinen neunzehn Jahren? Die kleinen Leute versteht er dafür, das muß man ihm lassen. Das kommt, weil der Germanicusenkel in Armut aufgewachsen ist. Wenn man denkt, was für stolze Luder diese Freigelassenen sind! Das hast du jetzt beim Pallasprozeß gesehn! Man hält ihm vor, daß seine eigenen Sklaven ihn Verwünschungen gegen Nero haben ausstoßen hören. Sagt der Kerl: ›Das ist eine Lüge! Seit dreißig Jahren habe ich mich meinen Sklaven nie anders als durch Wink und Blick verständlich gemacht!‹ Der hochmütige Hund, der selber Sklave gewesen ist! – Ich bitte dich!«

»Unsereins behandelt die Sklaven wie eigene Kinder«, warf der Nachbar ein. »Ich sage immer zu Cänis –«

»Kommt!« befahl Nero und richtete sich hochroten Gesichtes auf. Nach ein paar Schritten sagte er strahlend zu Paris: »Merk dir das Haus. Man muß dem Mann ein Geschenk zukommen lassen. – Das muß ich Seneca berichten – nicht als Gespräch aus der Suburra, sondern vom Forum natürlich. – Wie hatte er mir vom Pallasprozeß abgeraten!«

»Und wie hat er triumphiert, als Pallas' Unschuld sich erwies!«

»Unschuld? Lächerlich! – Schlauheit im Vertuschen seiner Unterschleife!« sagte Paris.

»Was meint ihr, Piso und Otho?« fragte der Kaiser. Piso schwieg. »Ich meine«, antwortete Otho rasch, »daß, wenn dieser Weg über Stock und Stein noch lang dauert, ich anfangen werde, mich nach einem Wärmwein zu sehnen!«

»Ausgezeichnet! Vielleicht macht der Wein unseren Piso fröhlicher!« lachte Nero. »Wo ist denn da eine Taverne?«

»Da in der Seitengasse war doch eine!«

»Richtig! Hier baumelt schon der Bacchuskranz!«

»Wie's hier stinkt! Götter!«

»Was war das? Etwas ist ganz nahe bei mir gewesen! – Ich habe glühende Augen gesehen!« jammerte Mamilius. »Ja wirklich! Was kann das sein?«

Wie zur Antwort bellten Straßenhunde auf.

»Horch! Man kommt! Achtung!«

Eine Alte mit einem Laternchen, die eine Tracht Holz in einem Tuch auf dem gebeugten Rücken trug, ein halbwüchsiger Junge, der ein mit Marktkörben beladenes Eselchen antrieb, kamen das Gäßchen herab.

»Los! Drauf jetzt!« befahl Nero. In einem Nu sahen die Alte und ihr Enkel sich von Vermummten umringt. Der Junge schrie auf, aber sein Schrei ward erstickt. – Die umgekehrten Marktkörbe ließen die goldroten Früchte in den Schmutz kollern. Die Alte zeterte: »Räuber! Mörder!« Ein Schlag machte, daß sie die Laterne fallen ließ.

»Den Esel! Man muß den Esel fortjagen!« schrie atemlos vor Lachen Senecio.

»Den Esel! Schnell! Seid ihr toll? Haltet ihr doch den Mund zu! Sie hören es ja drüben!«

Der Esel stieß einen jämmerlichen Wehlaut aus und man hörte ihn in wilden Galoppsprüngen entfliehen.

»Grauer! Grauer!« jammerte und lockte der Bursch unter Tränen. Und man hörte Paris deklamieren:

»Still, Sklave – stör mit deiner eklen Stimme nicht das Kommen der verliebten Nacht –«

Und Neros Gelächter.

»Jetzt seht zu, daß ihr verduftet! Aber schnell! Und weh euch, wenn ihr es wagt, euch zu mucken! Wir folgen euch am Fuß mit gezückten Schwertern!« sagte Paris und rollte die »r«.

Piso hörte die armen nackten Füße an sich vorüberpatschen, hörte das unterdrückte Schluchzen. – Er streckte die Hand aus und flüsterte: »Hier! Mütterchen, nimm! Kauf dir einen anderen Grauen!«

Hastig schloß sich die zitternde Hand um den Geldbeutel. Das Schluchzen stockte. – Und dann trabten die nackten Füße weiter.

»Bleiben wir heute abend beisammen«, flüsterte Othos vor Verlegenheit fast unwirsche Stimme.

Und Piso sagte froh nach all dem Ekel: »Gern, wenn du willst!«

»– denn man meint es ja sonst nicht zu ertragen, daß man, statt bei Poppäa zu sein, hier mittun soll –«

»Otho! Piso! Wo steckt ihr! Wovon spracht ihr?«

»Ich sagte, daß nur die Freundschaft für dich es vermögen kann, einem das Fernsein von Poppäa zu ersetzen.«

»Du fabelst und fabelst von Poppäa«, sagte Senecios hämische Stimme im Dunkel. »Man wird nachgerade neugierig. Warum kommt sie nie zu deinen Festen?«

Othos Hände wurden kalt. Er sagte: »Sie lebt seit dem Tode ihres Großvaters, des Triumphators, sehr zurückgezogen. – Auch ist unsere Ehe noch sehr jung.«

Er wartete, ob Nero etwas sagen würde und atmete auf, Nero sagte nur: »Kommt, Piso, Otho, kommt, wo ist denn also die Taverne? Ich habe Durst!«

Atlas stieß schweigend die Türe auf. Lichtschein fiel heraus und Pollio trat als erster gebückt ins Haus.

 

Es war eine Vorstadttaverne mit angeräucherter niedriger Holzdecke, unsauberen Bänken und ungemalten Mischkrügen aus Ton. Der Wirt mit der weinfleckigen Schürze hob kaum den Kopf, als die geringgekleideten Gäste eintraten. Er puffte seinen Sklaven, der gehorsam fortfuhr, mit schläfriger Stimme Weinnamen und Zahlen von einer Lieferrolle abzulesen. Die grauzottelige Wirtin wusch klappernd mit ihrer drallen Tochter Schüsseln und Becher in einem Zuber. Die Tochter, als sie so viele Männer eintreten sah, richtete sich offenen Mundes lächelnd auf und stopfte ihr Kleidchen mit den Zeigefingern fester durch den Gürtel.

Piso sah, daß einer der drei Soldaten, die am Tische unter der hängenden Öllampe würfelten, dauernd im Verlieren war, weil seine Aufmerksamkeit ihr viel mehr als dem Spiele galt. Jetzt trocknete das Mädchen seine roten Hände eilig und mechanisch an einem zerrissenen Fetzen. Sie kreuzte den Raum, ohne den Blick von Pollio zu lassen, ihre Lippen standen halb offen, ihre Augen glitzerten.

Pollio hatte mit Umsicht den Tisch an der Türe gewählt; indem er Nero und Piso die Plätze an der hinteren Wand einräumte, die anderen sich seitlich anreihten, nahm Pollio selbst mit Otho die äußeren Plätze ein. – Piso gewahrte mit plötzlicher Rührung, daß – das Mädchen in wirklicher Verwirrung war, so herausfordernd sie sich gab. – Sie fragte Pollio: »Was wünscht der Herr, bitte?«

»Wein, den besten, den ihr habt, mein gutes Kind! Und sieh, daß er recht heiß ist, mein hübsches Püppchen!« antwortete Mamilius erwärmt und schäkernd ihr unters Kinn fassend.

In der dunkelsten Ecke war ein einsamer Zecher neben seinem Kruge gesessen. Er hatte die Arme auf den Tisch gelegt und das weinbeschwerte Haupt auf sie gesenkt. Jetzt, als er des Mamilius Stimme vernahm, ging ein plötzlicher Ruck durch seinen ganzen Körper, er drehte sich um und einen Augenblick lang sah man unter zerrauftem ergrautem Haar das rote, verquollene Säufergesicht mit den tiefliegenden, vor Argwohn und Haß funkelnden Augen. Aber in diesem Augenblick hieb der Soldat drüben auf den Tisch, daß die zinnernen Becheruntersätze klapperten. »Was ist das für eine Wirtschaft!« schrie er. »Bedient man Straßenläufer und läßt Stammkunden dursten?« Und anklagend zum Wirt rückgewandt: »Quintus, dreimal habe ich schon Prisca gerufen!«

»Sofort, sofort sollst du bedient sein!« brummte der Alte und schlurfte selbst zum Herde, den Wein zu holen. Der einsame Trinker machte eine wegwerfende Gebärde, sackte auf seine Bank und schien von neuem einzuschlafen.

»Den Mann kenne ich doch!« murmelte Nero. »Wo habe ich dies Gesicht nur schon gesehen?« und er runzelte in ärgerlichem Nachdenken die Stirne, unzufrieden, weil mit zunehmender Kurzsichtigkeit sein gerühmtes Physiognomiengedächtnis nachließ.

»Es sieht alles hier nicht sehr vertrauenerweckend aus«, sagte Otho.

»Mir gefällt's!« kicherte Mamilius. »Die Wirtstochter ist ganz die Art von Hürchen, wie ich sie mag.«

Das Mädchen kam. Stellte den Krug dicht neben Pollios nackten, sehnigen Arm, raunte: »Verzeih!« und schlug den anbetend verlangenden Blick zu ihm auf. Pollio, obwohl stramm im Dienst, fand Zeit zu einem sehr schnellen, zuckenden Lächeln.

»Komm, setz dich, Vögelchen!« lockte Mamilius, aber das Mädchen, dessen Brust sich atmend hob, sagte zu Pollio mit so versagendem Flüstern, als gestände sie ihre jähe Liebe ein. »Es ist echter Cäcuber, Herr!«

»Prisca!« winkte der Wirt, der den Soldaten bedient hatte, und das Mädchen, plötzlich mürrischen Gesichts, fragte: »Eh? Was soll's?« und schlenderte unwillig zum Soldaten, der auf sie einsprach.

Sie tranken alle, als hätten sie die Wüste durchquert. »Der Wein ist gut!« sagte Mamilius, staunend und laut. Der schöne Senecio, der das Schenkenamt übte, bekam zu tun. Piso fühlte, daß der Wein überraschend schwer war, und trank zurückhaltend, während er die anderen die Becher leeren sah.

»Du bist so schweigsam!« sagte Paris und trank Nero zu. Nero zog eine Grimasse.

»Ich weiß nicht, wo ich den Säufer da drüben schon gesehen habe, und es martert mich.«

»Am Forum! Im Zirkus?« half Paris.

Nero schüttelte den Kopf.

»Trink!« sagte Senecio, »vielleicht bessert das deine Laune! Beim Herkules, wenn es bei Cestius nicht lustiger wird, so hat uns der Abend mageren Spaß geboten!«

»Warum geht man eigentlich zu Cestius, wenn man nur zu winken braucht, um in seinem Palast, unter persischen Rosen, die schönste Erfüllung der Welt zu umarmen?« fragte Otho plötzlich.

»Die schönste Erfüllung der Welt ist Poppäa allein. Das haben wir oft genug gehört!« höhnte Senecio.

Paris stand auf und reckte das Kinn, die Rechte in edler Geste erhebend und alle, die die Kopie Senecas erkannten, lachten schallend. Auch Piso lächelte. »Du fragst wie der Schüler eines Philosophen, mein guter Otho, und wie ein Lehrer von Philosophen will ich antworten. Denn solltest du nicht wissen, daß jenem, dem die Götter gegeben haben, Kuchen zu essen, das schwarze Gerstenbrot den Gaumen kitzelt, und jenem, der auf Flaumkissen zu liegen pflegt, die Pritsche den Genuß des Eros zu erhöhen scheint. Vielleicht ist es für die, die des Befehlens müde sind –«, Paris brach ab und fuhr in der eigenen, höheren und nachlässigeren Stimme fort, »– ein Genuß, von Cestius mit ›besoffenes Schwein‹ angebrüllt zu werden –«

Sie lachten alle.

»Das tut er! Ja, das tut er!« kicherte Mamilius. »Und anderes noch mehr, er pflegt die Sächelchen beim Namen zu nennen! – O! Pollio! Ruf du doch die kleine Dämonin herüber! Der Wein ist aus und mich dürstet.«

»Prisca!« rief Pollio. Sie alle begannen mit den Becheruntersätzen zu klappern.

Aber der Soldat hielt das sich wehrende Mädchen bei der Hand fest, und es war der Wirt, der schlurfend herankam.

»Scher dich zum Hades!« fuhr Pollio ihn an. »Schick Prisca her!«

Und Mamilius, aufgestanden, mit fetten Armen winkend, rief: »Prisca! Komm! Prisca!«

In diesem Augenblick sagte Nero, zwinkernd auf das hergekehrte glühende Gesicht des einsamen Trinkers starrend, befreit: »Jetzt hab ich's!« Er schlug sich vor die Stirn. »Das ist ja der Fleischer aus deinem Prozeß, deinem Mieterprozeß, Mamilius, – der Kerl, der dich so anglotzt!« Und als er ausgeredet hatte und Mamilius, den Kugelkopf zwischen den fetten Schultern einziehend, wie eine erschreckte faltige Schildkröte hinüberschielte, geschah es.

»Hab ich dich endlich, Hund, vermaledeiter!« zischte der Trunkene und kam schwankend immer näher. »Glaubt ihr, ich kenne euch nicht? Hunde allesamt! Hurensöhne! Von unserem Geld baut ihr Häuser, und es kümmert euch viel, wenn schwangere Frauen die Treppe hinuntergehen wollen, und die Treppe bricht ein und Frau und Kind sind krepiert. Der Richter spricht euch ja frei. Und dem lausigen Bettler, der es gewagt hat, den großen Herrn zu klagen, dem sperrt man die Bude für die Gerichtskosten! Glaubst du, ich kenne dich nicht, du feiner Hausherr Mamilius mit dem Ring an deinen fetten Wuchererhänden –«

Pollio war aufgesprungen, aber der Fleischer fegte ihn zur Seite. Es kam wie Blitz und Einschlag: das Zuspringen, das Zerscherben des Mischkruges, den Mamilius umwarf, da er aufsprang, der Zustoß des Messers, Priscas hoher Schrei. In einer lautlosen Stille stand der Fleischer keuchend da und sah auf das Messer herab. Dann mit einem Schwanken der Stimme, das fast ein Schluchzen war, sagte er, als der Äthiopier und Pollio ihn faßten und ihm die Waffe entwanden: »Ruft nur die Ronde. Mit mir ist's ohnehin aus.«

Mamilius war auf die Bank zurückgesunken. Als begriffe er nicht, starrte er mit weit aufgerissenen Augen auf sein Kleid, das sich mit erschreckender Schnelle färbte. Plötzlich, da der rasende Schmerz einsetzte, schrie er auf, raffte das Gewand empor, es schamlos schürzend über der weißen Fettkugel des Bauches, der Kläglichkeit des Geschlechts, schien an der furchtbaren Wunde erst die Wahrheit zu ermessen und schrie in einem Paroxysmus der Angst: »Ärzte, Ärzte! Helft mir doch! Hilf mir, Piso, ich will nicht sterben!«

Plötzlich hörte man die hämische Stimme des Senecio: »Siehst du! Jetzt kann ich sogar deine Livillion heiraten! Da sie ja deine Miethäuser erbt –«

Die Augen schienen aus Mamilius' Kopf zu treten, er warf sich mit einem tief gurgelnden Atemzug gegen Senecio vor und brach zusammen.

Der Wirt, der Äthiopier, Piso, Pollio beugten sich über ihn. Pollio zuckte die Schulter und kehrte langsam den Daumen um. Prisca an der Brust des Soldaten schluchzte.

»Bestie!« sagte der Wirt und schüttelte zornig die Faust vor dem Fleischer, der, das Kinn zur Brust gesunken, vor sich hinbrütete. »Dich sollte man zweimal aufhängen. Einmal für das da und einmal dafür, daß es gerade mein Haus hat sein müssen.«

»O Moira!« sagte Nero, »– und Paris hatte uns versprochen, wir würden über ihn lachen!«

»Ronde!« sagte plötzlich der Äthiopier.

Sie lauschten alle hochgerissen und erstarrt. Das Lautgeben der Bluthunde, das Klirren der Erzschritte scholl im plötzlichen Schweigen immer näher.

»Pollio!« zischte Nero gereizt und vorwurfsvoll. »Sie werden uns bei dem Toten finden!«

»Verflucht und zugenagelt! Sie haben sich geteilt und sind auch schon im Hintergäßchen! Wir können uns auf den Profosenstrick gefaßt machen!« keuchte Priscas Soldat, der an der Türe hinter dem Schanktisch gehorcht hatte.

»Und mir nehmen sie die Lizenz! Wir können betteln gehn ohne Lizenz!« jammerte der Wirt, mit beiden Händen den Kopf haltend. Sein Weib saß im Winkel und weinte fassungslos in ihre Schürze. Der Mörder saß genau wie vorher an seinem Tische, das Gesicht in die Arme vergraben. Schlief er? Schluchzte er? Prisca legte schüchtern die Hand auf Pollios Arm und sagte, mit dem Kinn auf den Toten weisend: »Da ist doch eine Falltüre, könnten wir den nicht hinunterschaffen?«

»Natürlich! In den Keller! Kluges Mädchen!« Im Nu hatten Prisca, Pollio, der Soldat die Falltür am Ring aufgerissen. Pollio trat zum Fleischer, zog ihn an den Kleidfalten im Nacken auf und rüttelte ihn derb.

»Mit mir ist's aus, Florinna! Mit mir ist's aus!« lallte der.

»Du mußt da hinunter,« sprach Pollio ihm scharf ins Ohr. »Du mußt ihn auffangen. Marsch!«

Er stieß den Schwankenden, der keuchte und gurgelte, hastig zum Abstieg.

»Gut, gut!« sprach Nero gedämpft, »Strafe des Mörders, mit seinem Opfer im Dunkel allein zu sein! O Hybris!«

»O Hybris!« wiederholte Piso erschauernd.

Sie hatten Mamilius emporgezerrt. – Seine offenen Augen mit hochgezogenen Brauen schienen voll von lebendigem, staunendem Entsetzen, als man ihn schleifte und zog und hinabstieß.

Das hohe Jaulen eines Hundes vor der Tür ließ Nero zusammenzucken.

»Schnell, schnell!« befahl er.

Mamilius' Bauch stak grotesk im Viereckloch fest, bis Pollio der vorhängenden Hampelmannschulter einen Tritt versetzte. Das bleierne Gesicht mit seinem Ausdruck, als seien ihm alle Rätsel des Jenseits nun nur allzu klar, sackte ins Dunkel hinab. Die Falltür schnappte zu.

»Das Blut! Die Hunde werden das Blut wittern!« jammerte im Flüsterton der Wirt.

Eine klare Stimme meldete draußen wie ein Echo: »Styx wittert Blut, Primipilar!«

Nero zitterte, als der Hund wie toll an der Türe kratzte und schnob und winselte.

Ein Schwertknauf schlug an die Türe.

»Aufmachen im Namen des Kaisers Tiberius Claudius Nero!«

Der schöne Senecio stieß den totenfahlen Nero an.

»Aufmachen oder wir brechen die Türe ein!« Der Soldat ging, zog den Riegel zurück, stand stramm.

Der Hund, den ein junger Rondensoldat führte, bellte und zerrte wie toll. Die anderen Hunde in der Hintergasse antworteten. In dem ohrenbetäubenden Tosen stand der Rondenanführer, ein Langgedienter, die Brust voller Spangen und Medaillen, und sah, eine Augenbraue hochgezogen, scharf und rasch jeden einzelnen der erstarrt Stehenden an.

»Der Wirt?« fragte er.

»Ich, Herr!«

»Du heißt?«

»Quintus Priscus!« – stammelte der Alte.

»Vorüberkommende haben einen Wortwechsel und Schreie vernommen. Das Haus wird untersucht werden. Niemand darf es verlassen, bevor er Namen und Gewerbe genannt hat. – Den Hund hinaus! Man hört ja sein eigenes Wort nicht!« – Zu den Rondensoldaten mit Wachstafel und Griffel hinter ihm: »Hast du Quintus Priscus, Wirt?«

»Jawohl, Primipilar!«

»Du bist Soldat der Fünften. Du heißest?«

»Gajus Junius.«

»Das weitere wird sich finden.«

Und zu Pollio: »Wer bist du?«

Da streckte Pollio stumm seine Hand vor. Über das gefurchte Soldatengesicht des Alten lief ein Zucken. Er sah das Goldschild des Tribunen der Palastwache mit dem Adler Roms, den Beilbündeln und der Umschrift: »Tiberius Claudius Nero, Cäsar.« – Und er sah den großen feuchten Fleck auf dem gestampften Erdboden der Hütte und er wich so unwillig zurück wie vorhin sein Bluthund Styx, der das Verbrechen gewittert hatte. Da sah Nero ihn mit einem kleinen zitternden Lächeln an und zog langsam die Filzkappe vom roten Haar.

Es traf den Alten wie ein Pfeilschuß. Man sah seinen Adamsapfel über der Rüstung sich beim Schlucken heben und senken und er befeuchtete die Lippen, ehe er zu sprechen begann.

»O Götter! Wenn er doch den Mut hätte, uns zu verhaften!« wünschte Piso glühend und wünschte es doch auch wieder nicht. Der Primipilar räusperte sich.

»Abmarsch!« kommandierte er. Und dann wandte er sich auf dem Fuße um. – Als er gekommen war, hatte er sich bolzengerade gehalten, die Brust gewölbt unter den Kriegszeichen und goldenen Spangen der fünfundzwanzig fleckenlosen Dienstjahre. Jetzt stolperte er zur Türe wie ein alter Mann.

Polternd folgten ihm die Rondensoldaten. Die Hunde winselten draußen. Die Türe fiel zu.

»So. Wir können gehen!« sagte Pollio laut und warf ein Goldstück auf den Tisch, an dem der Mörder gesessen hatte. – »Für deine Rechnung, Wirt!«

Prisca stand neben ihm und raunte atemlos: »Herr – wirst du nie wiederkommen?«

Er tat einen raschen Zugriff nach ihrem jungen Leib, statt eines Ja, statt eines Nein.

»Prisca! Komm her!« schrie der Soldat.

Wie ein dunkler Schatten glitt der Äthiopier, den man vergessen hatte, vor und tat die Türe auf. Es roch nach Nacht und Erde und sie sahen staunend, daß es regnete.

»Hier geht der kürzeste Weg zur Brücke!« sagte Otho, als sie im feinen Regen standen.

»Zur Brücke?« Nero lachte auf. »Du bist toll! Du glaubst doch nicht, daß ich jetzt heimkehre? Warum? Ich denke nicht daran! Wir haben beschlossen, heut zu Cestius zu gehen, und wir gehen auch zu Cestius!«

»Bitte, wie du willst!« sagte Otho und man ergänzte das Achselzucken aus dem Tonfall seiner Stimme.

»Übrigens, Otho, entsinnst du dich dessen, daß ich diesen Kerl, den Fleischer, einmal gemimt habe?«

»Ich weiß, Flaccus!« sagte Pollio rasch und hell.

»Ja doch!« gab Senecio zögernd im Gehen zurück denn jetzt bogen sie wieder in die Hauptader ein plötzlich dämmerte es ihm, und er fragte: »War's nicht damals, als Britannicus – seinen letzten epileptischen Anfall erlitt?«

»Ganz richtig! Was Senecio für ein Gedächtnis hat!«

»Kein Wunder! Ich habe nämlich den ganzen Abend daran gedacht«, überbot Serenus. »So eine prägnante mimische Darstellung verliert man nicht aus der Erinnerung!«

»Mir ist übel!« dachte Piso. »Es ist zu viel. Mir ist wirklich körperlich übel. – Mich ekelt vor dem Leben. Ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Mit dreiundzwanzig hat mein Großvater drei Siege erfochten. Mit sechsundzwanzig hatte mein Urgroßonkel seinen Triumphzug. – Und ich? Ist das ein Leben, im Senat neben diesen ›ehrwürdigen Vätern‹ zu sitzen, die diesem Tier da Bildsäulen und Altäre errichten, vor ihm aufwarten und ihm die Füße lecken? Ist das ein Leben daheim bei Galla, ewig bedrückt von dem Schuldgefühl, ihre große, verzweifelte Liebe nicht erwidern zu können! – Ist das ein Leben, erhitzt und unerfüllt neben Octavia? – Und ich gehe hier, zur Gefolgschaft befohlen, im Dunkel hinter dem Manne her, der sie und mich elend macht, und habe nicht den Mut, das Schwert zu ziehen und ihn zu töten. – Wäre ich der noch, der vor vier Jahren mit Britannicus unter dem Baume lag – der hätt's vielleicht gekonnt. Aber mein weißes Kleid von damals hat viele Flecken bekommen. – Und er ist acht Jahre jünger als ich! Mein Sohn in der Wiege wird heranwachsen unter dem gleichen unwürdigen Joch und ein Sklave sein wie ich –«

Otho dachte: »Schade, daß man mit Piso nicht reden kann, wenn man endlich einmal mit ihm zusammen geht. Der einzige, dem man die verfluchten römischen Begrüßungsküsse geben könnte, ohne sich nachher den Mund mit zehn Tüchern abzuwischen. Der einzige, der es verstehen würde, wie eiskalt mir jedesmal wird, wenn Senecio auf Poppäas Erscheinen bei den Festen hetzt. – Es ist wahr, ich selber bin schuld. Ich sollte sie nicht preisen, nicht von ihrer Schönheit sprechen. Aber ich kann nichts dafür. Plötzlich fällt es mir ein, wie sie morgens, noch verschlafen, die Finger um die Goldschale mit dem Wein wölbt, um sie zu wärmen – oder wie sie die dünnen Brauen aufzieht, wenn man ihr ein Geschenk bringt, oder wie sie böse wird und faucht und mit den lächerlichen Fäusten schlägt – und ich glaube zu ersticken, wenn ich nicht wenigstens davon reden kann –«

Paris dachte: »Morgen muß der Kleine im Senat das Freigelassenenedikt durchdrücken und drei Tage darauf muß er mich als freigeboren anerkennen. Beim Orkus, er muß und er wird! – Wie schade, daß ich nicht durch den Ring des Gyges unsichtbar zugegen sein kann, wenn Dame Lepida erfährt, daß ich sie vor Gericht auf Rückgabe meiner Freikaufsumme von zehntausend Sesterzen klage, weil ich nämlich freier Bürger bin –«

Senecio dachte: »Vielleicht gar nicht so übel, die Sache mit Livillion. Nero schätzt Mamilius auf mehr als zwanzig Millionen. Mindestens ein Zehntel hat der ihm sicher im Testament vermacht, um den Rest sicherzustellen. Die Erbschaftssteuern sind auch haarsträubend. Aber die Schulden könnte man zahlen und das Landhaus am Bolsenersee wäre ganz nett. Es ist Zeit, daß ich endlich wieder zu Geld komme –«

Pollio dachte: »Komisch – wie der Primipilar mich an Vater erinnert hat, als Cäsar die Kappe vom Haar zog. Der Alte sah aus wie Vater, als er darauf kam, daß nicht der halbtot geschlagene Sklave, sondern mein Bruder Lucius den Siegelring vom Bettisch gestohlen hatte –«

Serenus dachte: »Otho hat ja recht! Welche Narretei, da endlos im Finstern herumzustolpern, statt Cestius sagen zu lassen: ›Bring mir morgen nacht so und so viel Huren durchs Seitenpförtchen und so und so viel asiatische Schönlockige –‹«

Nero dachte: »Warum entzieht sich Piso mir immer? Er ist der einzige, auf den ich nicht zu wirken vermag wie sonst auf alle, und es macht mich elend und unsicher, wenn ich nicht wirke! – Wirke ich auf ihn nicht, weil er der Beste von ihnen ist? Manchmal sieht er mich an, als verachte er mich – mich, Nero, den jugendlichen Gott von Rom!«

Nero drängte Otho ab und hängte sich wieder an Pisos Arm. Seine Stimme klang fast schüchtern, als er fragte: »Wen von allen Männern in Rom achtest du am meisten, Piso?«

»Thrasäa Pätus.«

»Oh! – Thrasäa. Also nicht Seneca. So!«

»Warum nicht Seneca?« dachte Nero. »Achtet er ihn wirklich nicht, oder lehnt er nur ab, was an mich gemahnt? – Warum mag mich Piso nicht? – Ist es wegen Octavia? – Aber Alexandra schwor mir, sie sei immer noch unberührt – was tun sie also? Sitzen sie beieinander und weinen über Britannicus?« Und mit ganz anderer Stimme, rasch, hart, lauernd, fragte Nero:

»Und wen hassest du am meisten?«

»Dich!« dachte Piso plötzlich. »Dich!« Er war so angefüllt von diesem Wort, daß er schwieg, um es nicht laut werden zu lassen, dann sagte er kühl und höflich: »Hassen? – Niemand. – Eher verachten!« Und lächelnd nach links deutend auf die Backstube, in deren herauswehender Hitze entblößte Bäckersklaven den Brotteig kneteten, und nach rechts, wo unter der Laterne hockend zwei fast nackte Mädchen wie aus dem gleichen Farbtopf grell geschminkt den Wanderern zuwinkten: »Ich wußte gar nicht, daß in der Suburra Tugend und Laster so nah beieinander hausen.«

»Wie im Menschenherzen«, lächelte Nero nachdenklich.

Piso dachte widerwillig: »Er hat geistige Anmut, wenn er will!«

Und als sie kaum an den beiden Türen vorüber waren, winkte Serenus aufgeregt grinsend: »Pst! – Sie kommen!«

Fackeln spiegelten sich im Kot der Straße. Zwei Sklaven, die einen Vornehmen heimgeleiteten, der schnell und rüstig des Weges kam.

»Das ist ja Montanus!« wisperte Otho. »Nein, Freunde! Das geht nicht!«

»Warum nicht?« zischte Senecio. »Hochmütiges Aas, ich gönn' ihm die Maulschellen!«

»Er ist Senator!« »Aber noch ohne Amt«, warf Paris ein.

»Ach was, Otho macht immer Schwierigkeiten!« rief Nero.

Diesmal hielt er sich nicht voll Vorsicht im Hintergrund und ließ die anderen den Überfall wagen. Er war zu erregt – er sprang vor, fiel grell pfeifend den Wanderer an, und obgleich Pollio und Otho sofort zusprangen, hatte das neue Unglück dieses üblen Abends sich schon erfüllt.

Montanus hatte den Mantel um den Arm wickelnd den Ansprung Neros abgewartet; jetzt hatte er ihn gefaßt, die Hiebe, mit zorniger Kraft eines reifen Mannes geführt, trafen Nacken, Schultern, Rücken, Antlitz, und Montanus sang fast im Takte: »Ich will dich lehren – römische Ritter überfallen! Ich will dich lehren, Patriziern die Börse stehlen –«

»Seid gelobt, ihr Götter! Er glaubt wirklich an den Strauchdieb!« dachte Otho.

Da schrie Nero rasend vor Schmerz auf: »Pollio!«

Montanus sank der Arm herab, als er Namen und Stimme vernahm – er bückte sich, starrte jetzt erst in dies von schnellen Anschwellungen und Blutunterlaufungen entstellte Gesicht. – Sein hübsches, vom Triumph des schnellen Sieges gerötetes Antlitz verzerrte sich und er brachte lallend hervor: »Gnade!«

Piso sprang vor und stieß ihn vor die Brust. »Was willst du denn? Du bist ja besoffen, Freundchen! Geh heim und leg dich aufs Ohr!« lachte er laut.

Aber Montanus begriff nicht.

Er kniete, umfaßte Neros kotige Knie mit vollen Armen, als umfasse er dies ganze vielverheißende, lockende, jäh bedrohte Leben. Er stammelte: »Gnade, Cäsar! Gnade!«

Und Neros Knie stieß ihn fort. Vielleicht nur weil Cäsar sich für ihn und für sich selbst schämte. Einen Augenblick kniete Montanus noch. Dann sprang er auf und warf den Kopf zurück. Er winkte den Sklaven und ging so schnellen Schrittes die Straße weiter, wie er gekommen war.

Piso dachte: »Zweiunddreißig Jahre, Vater von vier Söhnen und muß sich heute nacht die Adern öffnen, nur weil er einem wilden Tier des Nachts in der Suburra begegnete! Er hat mir meinen ersten Bogen geschenkt, und ich werde ihn nie wiedersehen. – Ich kann nicht weiter. Ich muß ihm folgen – ich muß ihm sagen, daß er nicht allein ist –«

Otho dachte: »Piso läuft ihm nach. Recht hat er. Braver Kerl! Er blutet wie ein Schwein, der jugendliche Gott. Wie ich ihm die Hiebe gönne!«

Senecio dachte: »Montanus hat große Landgüter, aber Serenus wird sie Nero schon ablisten.«

Serenus dachte: »Montanus ist so gut wie schon begraben. Er hat herrlichen Besitz in Campanien, aber was gilt's, daß die Hyäne Senecio sofort die Hand darauflegen wird?«

Paris dachte: »Nein, daß kein Spiegel da ist, um dem Kleinen zu zeigen, wie er aussieht. – Wie spät ist es? Die Bordelle haben schon fast alle zu!«

Nero dachte: »Hund! Feige Memme! Erst zuschlagen wie ein Eseltreiber und dann: ›Gnade, Cäsar!‹ Dummkopf! – Für was hält er mich? Meint er, daß ich jede Schmach einstecke? Pollio muß zu ihm und ihm bedeuten, daß ihm keine Wahl bleibt! – Und vor Piso! – Piso hat mir's wohl gegönnt!«

»Wo ist denn Piso?« fragte Cäsar scharf.

Otho sagte rasch: »Er flüsterte mir zu, er wolle mit Montanus reden.« – »Reden? Was?«

»Nun, ihn bewegen, das einzig Richtige zu tun.«

»Ich weiß durchaus nicht, was du damit meinst«, sagte Nero fremd, kalt und böse. »Da sind wir endlich! – Schwer erkauft!« atmete Paris auf. Er schlug den phallusförmigen Klöppel unter der Laterne an das mit Kreide bekritzelte, bemalte Tor.

»Ich dachte, wir kämen nie mehr an, wie in bösen Träumen!« lachte Serenus.

Die Tür ging auf. Cymbelschlag tönte von drinnen und Trommelkollern. – Eine fette, freche, schleppende Männerstimme sagte aus dem rötlichen Dunkel: »Wieder ein paar solche Schlappschwänze, die zu Papa Cestius kommen müssen, um einmal zu spüren, daß sie Mannsbilder sind! Na, kommt nur rasch, mir regnet's auf die Glatze!«

Nero trat ein. Nero ging in dem Empfangssaal des Caligula mit den Halbedelsteinmosaiken an Wandfeldern und Estrich auf und ab und kaute an seinen Nägeln. Manchmal blieb er vor dem alabasternen Torbogen zum Nebenraum stehen, dann sprang einer der beiden Nubierknaben, die in Hockstellung an der Wand kauerten, auf, um den tyrrhenischen gelben Purpur der Vorhänge vor ihm zurückzuziehen. Nero schritt hindurch und sah zerstreut auf das Lager aus vergoldeter Bronze und weißen Fellen und wandte sich, noch immer die Finger im Munde. Der Nubier sprang zu, die Vorhänge zu schließen. Nero kehrte zurück und sein schönes Gesicht nahm den unglücklichsten Ausdruck an, während er von neuem vor das Bildwerk trat, das ihn selber darstellte. Er hatte es bei Lysimachos bestellt, vier Wochen lang hatte er mit der Geduld einer Frau während der Sitzungen stillgehalten, der größte Maler der Zeit hatte die Statue bemalt, der größte Edelsteinschneider die Augen eingesetzt. Heute war sie hierher gebracht worden. Nero fand sie abscheulich. »Ich gebe zu, daß ich von der bildenden Kunst nichts verstehe«, dachte er. »Schließlich ist es ja auch genug, daß ich als Mime und Wagenlenker, als Kytharöde und Sänger, als Tragöde und Dichter meinen Mann stelle! Aber daß dies jugendbärtige, krampfhaft lächelnde Scheusal nichts von mir gibt und alles schuldig bleibt, kann auch ein Laie wie ich beurteilen. Unmöglich, dieses Fratzenbildnis in der Kurie aufzustellen. Wenn ich Tiridates wäre, ich würde die Künstler alle drei bei der nächsten Seefestspielschlacht mitrudern lassen, so wie zum Tode verurteilte Verbrecher.«

Von neuem kam er zum Türbogen, neben dem die elfenbeingebildete Gestalt einer Daphne an zarten Füßen und klagend gereckten Händchen sich schon zu Wurzel und Wipfel goldenen Lorbeers wandelte, und der Nubier zog den Türvorhang auf. Nero trat ein, drängte sich neben dem Lager durch, um vor dem Wandspiegel stehen zu können. So nahe sich besehend, daß sein Hauch die polierte Silberfläche trübte, fand er sich vollendet geschminkt, jung und schön. Und nochmals zur Statue zurückgewandt, fand er sich in ihr unangenehm, fremd und fast häßlich. Er sah sich plötzlich in einem der unzähligen Spiegel, wie er an den Nägeln biß, senkte die Hand schnell und dachte: »Ich muß es mir endlich abgewöhnen. Mutter hat recht, es ist abscheulich!« Dann fiel ihm aufs Herz: »O Götter – seit vier Tagen liegt Mutters Brief auf meinem Bettisch, und ich habe ihn immer noch nicht gelesen – ich hatte wahrhaftig keinen Augenblick Zeit – vielleicht wollte ich auch nicht dazu Zeit haben – ihr Dämonen, was mir heute abend für scheußliche Gedanken kommen! Und der scheußlichste Gedanke ist, daß ich hier auf dies wildfremde Weibsbild warten muß. Was hat mich nur zu diesem Aberwitz getrieben? Was fiel mir ein? Aber es ist allein Othos Schuld! Was hat er mir doch seit Wochen und Monaten im Ohr gelegen mit Poppäa und wieder Poppäa – daß ihm der Adel und die Schönheit und die Freude des Menschengeschlechtes zuteil geworden sei und die Sehnsucht aller. – Ich bin endlich neugierig geworden, wen kann das wundern, wenn meine Künstlerphantasie sich einmal entzündet hat? – Ich habe ja auch gestern bloß so im Scherz gefragt: ›Was würdest du sagen, wenn ich dir befehlen würde, mir Poppäa morgen mitternacht hierher zu bringen?‹ – Aber als ich es gesagt hatte – und sein immer lustiges Gesicht eines galoppierenden Kentauren plötzlich aschfahl geworden war, da freilich – ich will mich nicht besser machen, als ich bin – ist diese verfluchte, kleine, spitze, flackernde Wollust am Wehtun wieder dagewesen, und ich habe geschwiegen und gewartet, daß er einfach sagen soll: ›Vergißt du, daß wir Freunde sind und daß sie mein Weib ist?‹ oder sonst etwas dieser Art. Aber Otho, mein Mitschüler, für den ich den Hesiod abgeschrieben habe, Otho, mit dem ich heimlich zum ersten Pferderennen durchgebrannt bin – der hat gesagt: ›Cäsars Befehl ist Befehl der Götter.‹ – Und mich hat der Trotz gepackt, und ich hab's nicht zurückgenommen, obzwar mir der ganze Abend verdorben war. Und jetzt ist mir der zweite Abend verdorben, da ich hier stehe wie die Abgeschiedenen am Acheron und auf dieses völlig fremde Weibsstück warten soll! Den ganzen Tag habe ich ihn rufen lassen wollen und ihm sagen: ›Du Narr der Venus! Behalt sie und nimm meinen Segen!‹ Aber es war wie verhext. – Empfänge und Kurie und Gerichtssitzung und Siegesboten des Corbulo und die Menge am Forum – und das Dankopfer im Marstempel – nicht ein einziger freier Augenblick!

Aber – o Fortuna! Die Sanduhr ist ja schon umgekippt! – Mitternacht ist vorüber und Othos ›Adel der Menschheit‹ ist nicht da! – Pollio! – Wie lange soll Cäsar denn noch auf sie warten? Beim Orcus, Pollio! He! – Guter Pollio, lieber Pollio, goldener Pollio, schnell, schnell, wir lassen uns zu Paris tragen. Schau mich nicht so blöde an, wir überfallen ihn in seinem neuen Hause. Rasch, rasch! Halt! Der Weinaufseher soll dem Schenken aus dem tiberianischen Keller vier Krüge Koerwein mitgeben und Pollio –«

Der Tribun vom Dienste öffnete die Türe und meldete halblaut: »Poppäa Sabina.«

Nero fuhr mit einem vor Enttäuschung fast töricht blickenden Gesicht herum.

An dem ehrfürchtig zurücktretenden Tribun vorüber kam eine Frau langsam auf goldenen Schuhen über den Estrich mit den Blumensträußen aus Halbedelsteinmosaik geschritten. Sie war in einen schwarzen Schleier gehüllt, der breite Streifen von abwechselnd dichtem und durchsichtigem Gewebe zeigte. Der dichte Streif lief über das Obergesicht, aber der durchsichtige ließ blitzende, junge Zähne zwischen roten Lippen sehen.

Die Frau war groß. Sie ging nicht weich und den Bauch vor sich hertragend, sondern federnd in den Knien wie ein Jüngling im Gymnasium.

»Ich störe! Du willst ausgehen, Cäsar!« sagte sie anscheinend belustigt, mit einer spröden, spöttischen Stimme, die manchmal sehr reizvoll kippte.

Nero schwieg. Zum erstenmal seit acht Jahren war er unsicher und scheu wie ein Knabe. Und während er stand und sie anstarrte, kamen ihre beiden schmalen, langen Knabenhände aus dem Umhang hervor, hoben den Rand des Streifenschleiers über den Kopf zurück, daß er hinter ihrer enthüllten Gestalt zu Boden glitt.

Vor Nero stand eine Frau in Jünglingstracht, in einem griechischen, kurzen Chiton, der ihre Schenkel in ihrer ganzen schmalen Länge freiließ.

»Paris!« durchfuhr es Nero.

Er hatte an Akte schwere Brüste gekannt, Attribute der Weiblichkeit, Kennzeichen eines dem Mond auf fremdartige Weise verbundenen Geschlechtes. Dieser Körper war zart und muskulös zugleich und hob wie der eines Knaben die Chitonfalten nur durch die sich kaum abzeichnenden Brustspitzen.

Für einen Augenblick war Nero wieder Domitius und hörte Paris sagen: »Ich tanze heute bei Messalina. Na, Kleiner, gefall' ich dir?« Verwirrt und von Erinnerung übermannt, blickte Nero in Poppäas Gesicht. Kurzsichtig nahm er jetzt erst unter dem goldenen Haar die ein wenig schräg zulaufenden Brauen wahr, die glitzernd hellen Augen, die nüsternzarte Nase, den zu großen, spöttisch lachenden Mund. Paris' Mund. – Nero versuchte ein mühsames Lächeln. Plötzlich sah er, daß Pollios anbetend erstaunter Blick zu Poppäa flammte, und gab ihm wie einem Sklaven einen heftigen Wink, zu verschwinden.

»Ist es denn möglich, daß ich diese Frau wirklich begehre?« dachte er überwältigt. Mechanisch fuhr er mit den Fingernägeln, zum angestrengt lächelnden Mund, um die Hand gleich wieder zurückzureißen. In vielen Spiegeln sah er ungenau farbfleckig sich selbst, wie er dastand, nur der eine, nächste ihm gegenüber, zeigte ihm sein gieriges, verlegenes und scheues Gesicht: das Gesicht des Knaben im Ankleidespiegel der Lepida.

»Nein!« dachte er erschrocken. »Es ist nicht das allein, ich stehe ja da wie der Plebejer vor der Herrin alten Blutes. Kann es sein, daß der Enkel des Germanicus die Bohnensuppe der Kindheit noch nicht vergessen hat?« Und, als wolle er sich beweisen, daß er der Herrscher der Welt sei und alles ihm erlaubt, nahm er Poppäa in Besitz, ohne noch ein Wort mit ihr gesprochen zu haben.

Als er wieder zu sich kam, sah er sie wie ein gestürztes Götterbild auf den nordisch-weißen Fellen liegen, und Tränen quollen unter ihren dunklen Wimpern hervor. Nero erhob sich, trat zum Vorhang und klatschte. Der Nubier öffnete gesenkten Blicks. Nero gab einen Befehl und wartete. Ein Gegenstand ward ihm gereicht. Er kam zu Poppäa und sagte sehr weich: »Nur ein Diadem kann für diese Tränen entschädigen!« – Poppäa hatte sich aufgerichtet, ihre süße Stirn gerunzelt, sah sie ihn an, ohne die Schatulle aus Schildkrot zu berühren, und hörte eine Stimme in ihrem Innern vernehmlich sagen: »Ja, ja – aber nur das Diadem von Rom!«

Dann bat Nero sie fast scheu, die Abendmahlzeit mit ihm einzunehmen, und sah den ersten Glanz des Erstaunens in ihrem Gesicht, als der Speisesaal des Caligula sich auftat, dessen goldenen Springbrunnen Nero noch einen dritten hinzugefügt hatte. Als die Meerbrassen kamen, die für Cäsars Tafel allein gefischt wurden, hatte Nero durstig zum dritten Male seinen berühmten Lieblingsbecher mit der Darstellung der homerischen Helden geleert. Er hatte die Gewalt über sich wiedererrungen und jetzt sprach er gut und leicht.

Otho hatte Poppäa lachend erzählt, daß Cäsar eigens den besten Schminksklaven vom Theater des Marcellus gekauft habe und stets, wenn auch mit erlesenster Kunst, geschminkt gehe. Aber vorhin hatte sie selbst die Sommersprossen unter der Schminke gesehen. Sie hatte bemerkt, daß der Sängerhals unter dem Jugendbarte verfettet war, daß die runden Finger abgekaute Nägel hatten. Als sie auf Othos Geheiß in die Sänfte gestiegen war, hatte sie gemeint zu fühlen, wie etwas in ihrem Herzen zerbrach. Jetzt liebte sie Otho stürmischer als je. Sie saß aufrecht neben der Tafel, an der Nero lag und mit seinen vollendetsten Tafelsitten speiste. Sie dachte: »Ich bin wie Proserpina«, als sie von der langen Kette der kaiserlichen Gerichte bloß einen Granatapfel aß.

Die ganze Zeit stand ein Sklave mit der Schildkrotschatulle in schwarzen Händen hinter ihrem Stuhl.

»Wird Cäsars Gabe so verschmäht, daß du es ablehnst, sie auch nur anzusehen?« fragte Nero plötzlich mit stirnrunzelnder Würde.

Der Sklave trat vor und öffnete die Schildkrottruhe.

Poppäa hielt überwältigt den Atem an. Sie war vom tollen Leichtsinn eines Weltmannes verwöhnt worden, der sich für sie untilgbare Schuldenlast aufbürdete, aber zum erstenmal erlebte sie nun die Freigebigkeit eines Weltherrschers.

Dies war das Diadem der Partherkönigin, das Agrippina einst zurückgewiesen hatte, und es beschämte an Größe der Edelsteine und an Kunst der Goldschmiedearbeit alles, was Poppäa je gesehen hatte.

Ihre schmalen, bräunlichen Hände zogen sich nach der Bewegung impulsiven Zugriffs sogleich zurück, aber Nero lächelte genau so entzückt über sie wie sie über das Geschmeide und nickte bittend.

Eine ihrer Sklavinnen eilte aus der Vorhalle herbei und krönte sie mit dem Dreireif, eine andere hielt ihr den Spiegel vor, in dem sie, in ihre Schönheit tief versunken, sich betrachtete, ihr durch die Majestät des Königszeichens fast rührend ernst erscheinendes Gesicht hin- und herwendend, wobei die Quastenschnüre riesiger Perlen und Rubinkugeln an ihren schlanken Hals schlugen. Und Nero, der diesen Selbstgenuß begriff, der die Verführung begriff, die für die vollkommene Schönheit darin lag, sich im Goldschild der Macht zu spiegeln, war interessiert wie niemals noch von einer Frau, wie kaum je von einer Persönlichkeit überhaupt.

Als Poppäa die Krone in die Truhe zurücklegen ließ, waren beide überrascht, sich mitten in einem fesselnden Gespräch zu finden, zu dem Nero sie anregte, indem er, der sonst so gern von sich sprach, rasche, kluge, diskrete Fragen stellte, die Poppäa verlockten, ihm mehr und mehr von ihrem Leben zu erzählen, als ergäbe sich die seelische Vertrautheit der beiden nach der körperlichen.

Poppäa dachte: »Jetzt erst begreife ich, was Otho seine Anmut und geistige Feinheit nannte. Ich hätte es nie geglaubt.« Und es schien ihr vielleicht nicht völlig unverzeihlich, daß ihr erster Anblick solch jungen Mann so ganz um den Verstand gebracht habe.

Und Nero dachte: »Otho hat recht! Sie ist Adel und Freude des Menschengeschlechtes.« Er sah sie unverwandt an, die mit der dreifachen Sicherheit der großen Dame triumphatorischen Geschlechtes – der schönsten Frau von Rom – und der vergötterten Gattin erzählte.

Er erfuhr, daß sie bei ihrem Großvater Poppäus Sabinus aufgewachsen war, als Messalinas Feindschaft ihre Mutter verfolgte wie die seine. Der Triumphator hatte, enttäuscht, weder Sohn noch Enkel zu besitzen, Poppäa wie einen Knaben aufgezogen, sie schwimmen, reiten, fechten gelehrt. Jeden Morgen lief sie, an seinem Steigbügel hängend, das größte Rund des Stadions ab. Sie schoß wie die Königin der Amazonen, deren Tracht sie trug, deren männerfeindliches Leben zu führen sie träumte. Aber mit fünfzehn Jahren gab sie der Großvater auf dem Sterbebette seinem Freunde Crispinus zur Frau, der dreiundfünfzig Jahre zählte.

Sie gebar Crispinus einen Sohn, aber sie hörte nicht auf, seine Nähe zu fürchten, seinen Griesgram zu fürchten, seinen stolzen Tadel. Ihr Leben begann erst mit siebzehn Jahren, als ihre Sänfte auf dem Forum, neben dem goldenen Meilenstein des Augustus, mit Othos Sänfte zusammenstieß.

Nero sah ihren zu großen, frischen Mund zucken wie in Rührung, und er dachte, indem ihn zugleich das ungewohnte Gefühl der Eifersucht und das noch viel ungewohntere der Dankbarkeit dafür, daß jemand ihm der Eifersucht wert war, erfüllte:

»Sie liebt Otho! Beim Orcus! Sie liebt ihn wirklich.«

Er gab dem Haushofmeister einen Wink. Statt des farbig beleuchteten Wassers, wie bisher, zerstäubten die Brunnen nun cäsarische Verschwendung in die Luft, als man begann, sie mit Rosenessenz zu speisen. – Terpnus selber, der größte Sänger Roms, begann auf der Galerie zu singen, es klang, als käme die herrliche Stimme, der vollendete Kytharaton vom Götterhimmel selbst. – Aber als Poppäa lauschend schwieg, bat Nero: »Sprich weiter! Deine Rede klingt mir süßer als Musik ins Ohr. Erzähle mir mehr von deinen Tagen auf dem alten Landsitz zu Antium! Sonderbar, daß Otho mir niemals euren Besitz erwähnte.«

»Er ist längst nicht mehr unser, Cäsar!« sagte sie und senkte den Kopf, als täte ihr der Gedanke weh. »Crispinus vertauschte ihn gegen die sabinischen Besitzungen des Montanus, weil er das Klima für meinen Sohn für minder gesund erachtete als die hohe Lage in den Bergen.«

»Was?« lachte Nero auf. »Dem Montanus gehört dein Landsitz?«

»Er gehörte ihm. Du weißt es doch, daß Montanus vor drei Wochen aus dem Leben ging?«

»Ob ich das weiß. Ich bin sein Erbe, und so ist es mir möglich, dir das Reich deiner Kindheit wiederzugeben. Es ist dein, Poppäa, wenn du mir diese Freude gönnen willst!«

Poppäas Augenbrauen stiegen, sie schlug die aufreizend zarten Knabenhände zusammen, zum ersten Male hörte er sie lachen – ein volles, unbekümmertes, bezauberndes Lachen, das die blinkenden Zähne sehen ließ. »O Cäsar!« hauchte sie und sah ungläubig in seine Augen.

»Du hast mir sehr viel zu vergeben, Poppäa, und noch viel mehr zu geben«, raunte Nero, während Terpnus griechische Liebeslieder sang.

Im Schlafgemach des Caligula, auf dem Bette, das dieser einst mit Caesonia und seinen beiden Schwestern bestiegen hatte – lag Poppäa. Da Caligula Spiegel geliebt hatte, sah sie sich lustreich und schlank wie Leda widergespiegelt, Neros goldenes Lockenhaupt auf ihrer Knabenbrust.

Sie dachte unklar: »Wenn es nicht nur hieße, die schönste Frau von Rom – sondern die schönste Fürstin der Welt?« Und plötzlich fiel es ihr aufs Herz, daß es ja irgendwo drüben in diesem Palast eine Kaiserin von Rom gab – und sie haßte dieses häßliche, verschmähte Mädchen, das sie nie gesehen hatte. – Sie sah auf Neros Gesicht herab, wobei sich ihr rundes Kinn ein wenig auf ihrer Brust breitdrückte, und dachte: »Welch ein Vorteil für mich, daß Otho mir die ganze Zeit über alles von ihm erzählt hat. – Wenn er wüßte, was ich alles weiß. – Sonderbar, ich habe nie ein so wechselndes Gesicht gekannt wie dieses. Er hat ausgesehen wie ein zügelloser, häßlicher Dämon und jetzt gleicht er einem süßen Kinde.« – Sie wickelte mechanisch eine seiner Locken um ihren zarten Finger und sagte halblaut: »Deine Bildsäule drüben ist wohl von Lysimachos? Sie ist ausgezeichnet!«

Er schlug wachgeschreckt die Augen auf. »Findest du? Mir kommt sie geradezu abscheulich vor! Findest du sie denn am Ende ähnlich?«

»Doch!«

»Was?« machte er und richtete sich auf. Sie drückte ihn nieder. »Du hast hundert Gesichter und eines davon ist so!«

»So? Umsomehr werde ich mich hüten, dies hundertste in der Kurie öffentlich sehen zu lassen. – Ich weiß nicht, was ich damit anfange! – Ich kann es nicht ertragen!«

Poppäa dachte nach und lächelte. »Warum machst du es nicht der Kaiserin-Mutter zum Geschenk?«

Nero schlug sich den Schenkel, er begriff, was Poppäa meinte. Das liebe Volk murmelte darüber, daß Agrippina fast eindreiviertel Jahre in Tusculum lebte und er sie niemals besucht hatte. Viermal, fünfmal vielleicht war er schon zu diesem Besuch seufzend entschlossen gewesen, aber jedesmal hatten sich willkommene Hindernisse ergeben.

»Beim Herkules, das tue ich!« sagte er jetzt vergnügt. »Der Nero des Lysimachos soll sie als mein Stellvertreter besuchen. Und mit allem Pomp, mit ganz großem Geleite. – Wie wäre es«, zwinkerte er, »wenn ich Otho bäte, den Zug zu führen?«

In ihrem Herzen tat es einen kleinen Riß.

»Nein«, sagte sie rasch fortblickend und leichthin. »Der ist nicht der rechte Mann für so gefühlvolle Sendungen.« Sie suchte einen Augenblick, sah vor sich ein Antlitz, vor dessen ablehnendem Ernst ihre Schönheit nicht mehr schön, ihr Zauber machtlos zu sein schien, und fragte: »Warum schickst du nicht Piso?«

Nero küßte sie.

»Poppäa, ich bewundere dich!« sagte er.

»Auch meinen Geist?« fragte ihre reizvoll spröde Stimme.

 

Überall, wo der Zug vorüberkam auf dieser aufwärts sich windenden Straße, an den Weinbergen, war die Lese in vollem Gange.

Überall sah Piso die rohen Sandsteinstatuen des Bacchus und des Priapus unter ihren tiefgrünen, kupfernen Wettertempelchen mit Weinlaub bekränzt, und vor ihnen dargebracht strotzte das frische Opfer der erstgeschnittenen Reben.

Überall klangen Gesang und Frauenlachen, es blendete ihn vor farbigen Gewändern unter wildblauem Himmel. Überall richteten sich Gebückte von der Arbeit auf, um den großen Zug des Kaisers zu sehen, verharrten tiefgebräunte Mädchen mit der Korblast auf dem stolz getragenen Kopfe, überall liefen ihnen Kinder nach, nackt wie Eroten, in der Grübchenhand die halbzerquetschte Traube.

Eine halbe Kohorte der Marinesoldaten aus Ostia schritt mit ihrem Feldzeichen voraus, in voller Rüstung, den glückverheißenden Lorbeer an die Lanzen gebunden. Dann kamen die berittenen Hilfstruppen von Colonia Agrippinensis, die unter Corbulo sich mit Ruhm bedeckt hatten, mit ihren bekränzten Feldzeichen. – Dicht hinter ihnen ritt Piso auf seinem syrischen Schimmel – des Staubes wegen – wie er sagte, in Wahrheit aber, um dem uferlosen Geschwätz seines Vetters zu entgehen. »Seit vier Tagen habe ich nur Sätze vernommen, die mit ›Unser Cäsar sagt –‹ begannen oder mit ›Wir Augustianer wollen nämlich –‹«, dachte Piso, während er Herbstsonne und Landschaft genoß. »Welche Wohltat, einmal eine Weile Pollios hochschmetternde Kommandantenstimme nicht hören zu müssen.« Seine Augen lächelten zu Atlas hinab, als er den goldenen Helm abnahm und ihn dem leichtfüßig mittrabenden Äthiopier hinabreichte, der schon den goldenen Rundschild trug. »Atlas, wenn du müde bist, dann warte auf die Maultierkolonne!« Der Äthiopier schüttelte nur lächelnd sein haarumbuschtes Haupt. – Hinter Piso kamen die Ochsengespanne, die die Gemächlichkeit ihres Schrittes allen Zugteilnehmern aufzwangen. Vierundzwanzig weiße, breitstirnige umbrische Ochsen mit vergoldetem und bebändertem Gehörn zogen den Wagen, auf dem die verhüllte Bildsäule des Kaisers seiner Mutter zugeführt wurde. Zu Häupten jedes Tieres ging ein Treiber mit einem Strauß an der Peitsche und einem Strauß am Hut, wie bei einem Brautzug. Flötenspieler, Cymbelschläger und Sänger folgten. Dann kam Pollio mit der anderen Hälfte der germanischen Reiterei und der Marinesoldaten. Dann kam die Sänfte eines Freigelassenen des Lysimachos, dem die Aufstellung der Bildsäule anvertraut war. Den Beschluß machte die schier endlose Maultierkolonne mit den Zelten und Truhen und Körben und Weinkrügen, mit den Leibsklaven und Köchen und Hufschmieden und Wagnern und Sänftenträgern und Vorlesern und Schenken, ohne die eine Reise großer Herren undenkbar war. Und zuletzt rumpelten für den Fall jäher Herbstschauer die riesigen Wagen mit ihren Viergespannen.

Piso strich mit der Hand, die den Adelsreif trug, sein weiches dunkles Haar zurück, das der leichte Wind in Unordnung gebracht hatte, und sah über die lachende Landschaft.

Er dachte an die Kinder, die Galla ihm zum Abschiedskuß aufs Pferd gehoben hatte – den kleinen Lucius, ganz Gallas Kind, heiter, kräftig und dem Leben die dicken Fäustchen entgegenstreckend, und den älteren Gajus Britannicus, seinen Liebling, Octavias Kind, wie er es heimlich nannte, zart, großäugig, nachdenklich, ein Kind, das nie laut lachte, nie laut weinte und, so winzig es war, mit dem stummen Einverständnis eines kleinen Freundes sein erlesen geformtes Händchen in des Vaters Hand schob, wenn sie schweigend zusammen im Park spazieren gingen.

Piso atmete tief auf. So gerne hätte er, dem Augenblick und der köstlichen Verführung der üppigen Landschaft nachgebend, sich unbeschwert und glücklich gefühlt. Aber dieses Botenamt, vor langen Wochen ihm überraschend aufgehalst und jetzt endlich zur Wahrheit geworden, bedrückte ihn tief.

»Soll ich der Verbannten, Gekränkten, Verbitterten entgegentreten?« dachte er zum hundertstenmal. »Wie soll ich sie darüber trösten, daß statt Nero ich komme, den sie als Lehrer des Britannicus mit ihrem Haß verfolgt hat! – Sie wird jammern, anklagen, rasen. – Sie hat die Macht so sehr geliebt und lebt schmählich von allen verlassen und allein! – Was soll ich ihr sagen, um sie nicht fühlen zu lassen, daß ich ihre ganze Armut empfinde –?«

Seit der letzten Wegwendung sah er auf dem Gipfel des Hügels vor sich Tusculum liegen, das ein Vogel in kurzem, schwirrendem Anflug von Minuten hätte erreichen mögen; sein Roß aber hatte mit Schnauben und Kopfnicken und vorsichtigem Setzen seiner versilberten Hufe all den eigensinnigen Windungen des geröllbestreuten Weges zu folgen.

Piso sah über sich auf der mit Feldsteinen untermauerten Terrasse die Weinleserinnen lachen und winken, und eine warf eine riesige Traube herab, die Piso auffing, ehe sie auf dem Fels zerschmettern konnte. Er winkte dankend zurück, schmeckte die prallen, von nährender Erde bestäubten, noch sonnenwarmen Beeren und hörte den kunstlosen Gesang der Kelterer, die ihre Esel im Göpel trieben.

»In den warmen, wachsenden Nächten des Herbstes
nach Bacchus wollen der Venus wir opfern!
Eh der Winter des dunklen Todes hereinbricht,
küsse mich, Caja!«

Piso ritt rückgewandt und lauschte den latinisch vollen, süßen Stimmen, als ihn das heftige Bellen eines Hundes aufschreckte und er über sich seinen Namen rufen hörte.

Überrascht sah er eine fremde junge Frau mit einem nackten Kinde am Arm fast laufend auf einer Schlangenwindung der Straße herankommen, die just über dem Wegstück lag, das sein Roß eben erklomm. Sie trug das enggegürtete Gewand der Weinleserinnen aus einem Stück blauer, heimgewobener Wolle mit weitem Ausschnitt, so daß ihr Nacken sich zeigte, der so tiefbronzebraun schimmerte wie ihre Arme. Auch der grobgeflochtene, großkrempige Hut mit hoch und spitz zulaufendem Kopf, der ihr gebräuntes Gesicht beschattete, wirkte bäuerlich, und doch verblüfften Piso Haltung und Kraft der Gebärde. Sie rief etwas, was im wütenden Gebell des Hundes unterging, der Anstalt machte, sich auf Piso zu stürzen.

»Cinna! Cinna! Zurück!« befahl die Frau, und am metallisch tragenden Ton des Befehls, dem das Tier knurrend gehorchte, erkannte er erst, wer sie war.

»Augusta!« jauchzte er, beglückt von einer Alplast befreit, Agrippina so zu begegnen. Atlas fing die Zügel auf und Piso begann, im Sattel stehend, die Feldsteinmauer zu erklimmen. Wie ein Städtestürmer, die Finger und Sandalenränder in die Fugen gepreßt, zog er sich empor, mit dem ersten Atem wiederholend: »Sei gegrüßt, Augusta!«

Der Hund bellte von neuem. Das Kind war vor dem jäh auftauchenden fremden Mann erschrocken und schrie. Agrippina sprach ihm zu, während sie Piso voll sichtbarer Freude anlächelte. »Weine nicht, es ist schon gut, Agrippa! Schau dir lieber den Mann hier an, damit du einmal sagen kannst, ›ich habe einen richtigen Römer gesehen‹. Vielleicht gibt es keine mehr, bis du groß bist!« Piso strich sein Haar zurück, das der gleiche Wind zerwühlte, der ihr das einzige Gewand wie einer griechischen Statue an die Schenkel klatschte. Ihm war so wohl zu Mute wie seit langem nicht mehr, und er lächelte sein überraschend knabenhaftes Lächeln.

»Vergib, Augusta, aber als du riefst, erkannte ich dich nicht sogleich. Schilt nicht! Wir waren ausgezogen, Agrippina zu begegnen, und ich treffe ihre jüngere Schwester!«

Agrippinas schnelles Mundzucken allein sagte, daß sie ihn vernommen habe. Ohne ihn anzusehen, rief sie einem drallen jungen Weibe zu, das zögernd auf der Straße stehen blieb: »Komm nur, Tullia, und hol dir deinen Sohn. Er ist recht schwer.«

Sie drückte einen Kuß auf des Kindes Wange, ehe sie es der Mutter übergab.

»Dieses Kleinen Vater hat euch gestern beim Hain der Minerva angetroffen und er meinte, so wie eure Zugochsen gingen, würdet ihr nicht vor Sonnenuntergang eintreffen. Also lief ich noch zum See hinunter, den ich täglich durchschwimme, und am Rückweg jetzt –«, sie unterbrach sich und legte die Hand über die Augen.

»Wer ist der Tribun? Ich kann sein Gesicht unter dem Helm nicht ausnehmen«, fragte sie, während sie den ganzen prunkenden Zug mit dem Blick überflog.

»Pollio, Augusta!«

»Pollio!« wiederholte sie und fügte rasch hinzu: »Piso, du wirst einsehen, daß ich euch so nicht empfangen kann, aber nach der Tafel am Abend werde ich dich rufen lassen!«

»Wann immer du befiehlst, Augusta!«

Sie pfiff dem Hund, sie wandte sich mit dem unhastig-fördernden Schritt, den Piso kannte, war schon weit, erstieg Stufen, war schon hinterm Graugrün der Weinstöcke verschwunden, dort, wo die Winzerinnen sangen.

Das Tusculum des Germanicus lag breit, weiß und fürstlich in der hellen Sonne, völlig umrankt von den gelben, schwerkelchigen Rosen, die von dieser Stätte ihren Namen empfangen hatten. Im kaiserlichen Palast sowie im Palast der Antonia zu Rom hatte Piso niemals Tiere, niemals Blumen in Agrippinas Bereich gesehen. Hier schlugen Junos Pfaue, zitternd von der langen Anstrengung, die metallisch glänzende Pracht zu stemmen, ihr Rad. Im Teiche, dessen smaragdgrüne Fläche den Palast widerspiegelte, schwammen Schwäne und bunte Enten. Flamingos standen in Gruppen zusammen wie Sträuße korallenroter Blüten auf blaßrosa Stielen. Vor der Treppe säugte eine wolfsäugige Schäferhündin ihre Schar, und alle Räume, Gänge, Hallen, Treppen ertranken in Blumen.

Einen Augenblick hatte Piso gefürchtet, der ländlichen Kargheit, die Agrippinas Kleidung kennzeichnete, auch im Hause selbst zu begegnen. Aber Haus und Lebenshaltung zeigten sich fürstlich wie je. – Der Majordomus trug am fetten Leibe die kaiserlichen Farben, es wimmelte von reichgekleideten Sklaven und von Freigelassenen. Creperejus stand da, sein vornehmes Gesicht von Freude überglänzt, als er die Boten des Kaisers in den Gästeflügel und später in den Empfangssaal führte.

Piso sah, welch übergroße Hoffnungen Creperejus an die Botschaft des Kaisers knüpfte, und versuchte diese zu dämpfen, ohne Agrippinas Getreuen zu entmutigen.

Im weißmarmornen Empfangssaal des Germanicus, in dessen Fensterbögen die Rosen mit überwältigender Übermacht einbrachen, stand die verhüllte Bildsäule auf provisorischem Postament. Der Saal war erfüllt von Agrippinas Freigelassenen und den Männern und Frauen großen Adels, die ihr hierher gefolgt waren. Sie alle meinten eine bessere Zeit dämmern zu sehen, als Creperejus den Silberstab vor Piso und Pollio zu Boden stieß und meldete: »Julia Agrippina Augusta!«

Piso stand in voller Rüstung, straff zum Salut gereckt, und hatte das Gefühl, als sei er ein Knabe von siebzehn, und vor ihm stünde Octavia, stünde Britannicus, stünde Nero, die Hand über den Fleck im neuen Kleid gelegt. – Wie im Traum sah er die Flügeltüren sich öffnen und Agrippina, begleitet von den Herrinnen ihres Hofes, in den Saal treten.

Agrippina trug den cäsarischen Amethystpurpur über dem Unterkleid von goldsteifer Seide. Ihr fast blauschimmerndes Haar, im Nacken noch ein klein wenig feucht vom Bade, türmte sich in reichen Locken über dem Diadem, das gleich dem Schmuck in ihren Ohren, an ihrem Nacken, an ihren Armen, an ihren Schuhen zu dem Gemmenschatz des Dioskorides gehörte.

Agrippina ließ ihren großen, ruhigen Blick von einem der Tribunen zum anderen schweifen und sagte: »Ich grüße euch, Boten des Kaisers von Rom!«

»Wären ihr Nacken, ihre Arme nicht so braun, so müßte ich glauben, daß ich geträumt habe!« dachte Piso. Und dann: »Wie schön sie immer noch ist!«

Er trat vor und überreichte den Kaiserbrief mit dem Siegel.

Agrippina, die zwei Jahre lang keine anderen Männergesichter erblickt hatte als die ältlichen ihres Hofes und die bäuerlichen ihres Besitztums, sah fast mit Staunen das bläuliche Email der ehrfurchtsvoll aufgekehrten Jünglingsaugen, die Glätte der Stirn, des Halses. – »Man sollte mehr Jugend um sich haben!« dachte sie. »Jetzt wäre Britannicus siebzehn Jahre alt!«

»Claudius Tiberius Nero Cäsar entbietet seiner erlauchten Mutter seinen Gruß und bittet sie, sein Abbild von der Hand des Lysimachos als Zeichen der Liebe und des Gedenkens aufzunehmen!« sprach Piso. Pollio zog das Schwert und zerhieb die Schnüre. Die Purpurdecken fielen. – Piso sah deutlich ein Zucken durch Agrippinas Glieder gehen.

Nero stand im Raum. Da war sein goldrotes Haupthaar, der kurzsichtige, eindringliche Blick seiner Edelsteinaugen, die runde Hand in Rednergeste halb erhoben, unterm Kinn der gekräuselte Jugendbart, der indes dem Schermesser gefallen und in goldener Büchse dem capitolinischen Jupiter geweiht worden war, und um den tiefroten Mund das aufgeklebte Lächeln – und das Lächeln der Agrippina, frisch, weißzähnig und heiter in dem braunen Antlitz, losch flackernd aus. Ihre Augen wurden starr vor Erkenntnis, als sie in Neros nacktem Gesicht zu lesen schien. Zwei harte Schmerzensfalten zeigten sich um den Mund. Das war Agrippina, wie Piso sie zu finden gefürchtet hatte, und sein Herz ging über vor Mitleid.

»Kann ich ihr denn nicht helfen?« dachte er. »Kann ich nichts für sie tun?«

Agrippina nahm diesen neuen Nero in sich auf; sie sah die neue, mißtrauische Falte zwischen seinen Brauen, die sie jäh an ihren Bruder Caligula gemahnte, sie sah den grausamen und lüsternen Zug um die Lippenwinkel und dachte an ihren Gatten Domitius Ahenobarbus den Jüngeren. Piso gewahrte, wie die unschätzbare Gemmenkette auf ihrer schwer atmenden Brust sich hob und senkte.

Dann sprach Agrippina: »Die Großmut und Güte meines Kaisers bewegen mich tief, und ich danke euch, meine Tribunen, an seiner Statt.«

Creperejus stieß den Silberstab zu Boden und rief: »Julia Agrippina Augusta lädt zur Tafel.«

Die Kaiserin-Mutter hatte die Tafel früh abgebrochen, indem sie lächelnd erklärte, es sei ein Recht der Sklaven dieses Hauses – von ihrem Vater her –, das Fest des Priapus im Dorf zu feiern. »Meine Gäste lockt es wohl, diese latinischen Bacchanalien mitzuerleben. Ich selber will heute euch zugleich meinen Dank und mein Lebewohl sagen. Da ihr beide in aller Frühe aufzubrechen wünscht, wird euch Creperejus morgen mein Antwortschreiben an den Kaiser überreichen.«

Aber als Piso sich vor ihr neigte, traf ihn bedeutsam ihr sprechender Blick. Pollio stand stramm, bis Agrippina, gefolgt von den Hofdamen, den Saal verlassen hatte.

»Die Augusta hat wohl gescherzt?« fragte Pollio Creperejus. »Sie nimmt doch wohl nicht an, daß wir ins Dorf gehen, um uns unter die Bauern zu mischen?«

»Doch! Doch!« lächelte der Haushofmeister fein. »Der große Germanicus hat dieses Fest niemals versäumt, das im ganzen Lande berühmt ist. Der Wein ist süß, die Mädchen sind's nicht minder, wenn ich jünger wäre, ging ich wohl selbst!«

Sie waren zusammen die vier Stufen zur Terrasse hinabgestiegen, und vielstimmiger Gesang schlug ihnen ans Ohr. Überall unter diesem sternglitzernden Herbsthimmel hatte man Feuer angesteckt, die lohten, überall brannten Lichter, flackerten Fackeln. Der Geruch der tusculanischen Rosen schwamm gleichsam auf der Luft wie Öl auf Wasser. Unaufhörlich klangen Schritte, Rufe, Gespräch. Gelächter stiebte auf, und wenn einen Augenblick lang der Weg stille lag, so tobten Frösche und Zikaden.

Wieder klang eine mühelos hohe, schwellende Stimme in der Ferne auf:

»Eh der Winter des dunklen Todes hereinbricht,
küsse mich, Caja!«

»Kommst du?« fragte Pollio mit belegter Stimme. – »Vielleicht – ich bin müde.«

»Müde? Lächerlich! In solch einer Nacht. – Also ich gehe!«

Sie hörten ihn im Dunkel Stufen hinablaufen, auf Geröll ausgleiten, fluchen, weiterstürmen. Creperejus' feines altes Gesicht lächelte.

»Die Augusta rechnete im voraus damit«, sagte er. »Sie läßt dich bitten, ihren Boten zu erwarten. Darf ich dich in den Büchersaal geleiten, Tribun?«

»Ich danke dir! Störe dich nicht um meinetwillen. Wenn du erlaubst, so möchte ich hier draußen warten.«

»Ganz, wie du es wünschest. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Creperejus!«

Piso stand an die Brüstung gelehnt, die Nüstern voll vom Duft der Rosenranken neben ihm.

Über ihm glänzte die Milchstraße, und er dachte an den alten Mythos, den seine Mutter ihm, da er ein Kind war, erzählt hatte, die Sage von der Menschentochter Alkmene, die Herakles, den sie dem Zeus geboren hat, auf dem gewohnten Weg der Göttermutter aussetzt. Doch als die List gelingt und Juno das weinende Kind an ihre Brust legt, vermag Alkmene in ihrem Versteck ihr seliges Auflachen nicht zu unterdrücken. Und Juno schleudert rasend vor Zorn das Kind zur Erde. Aber in dem einen saugenden Zuge hat Herkules schon Unsterblichkeit an ihrer Brust getrunken, und die versprengten Milchtropfen stehen als Sternenbahn ewig am Horizont.

»Da stehe ich und sinne den alten Sagen nach, während die anderen lieben und singen und lachen –«, dachte Piso. »Immer stehe ich abseits im Dunkel und immer allein. Wie einsam erst muß Agrippina sein, an diesen vielen, vielen Abenden.«

Ein Hüsteln im Dunkeln weckte ihn.

»Ja? – Wer ist es?«

»Sklave der Kaiserin. Herr, sie bittet dich zu sich!« meldete ein zahnloser Mund.

»Ich komme schon, mein guter Alter.«

Piso trat blinzelnd ins Licht des Empfangsraumes, in dem Nero immer noch lächelte. Der Alte nahm eine Fackel aus dem Ring und führte durch die Halle mit den Wachsstatuen der Julier bis zu Gajus Cäsar hin, dem Vater des großen Cäsar, der Pisos Urahnin zum Weibe genommen hatte.

Der Alte schlug den Vorhang zurück und meldete: »Gajus Calpurnius Piso« – und ging. – Auf einen Wink Agrippinas verbeugte sich Aceronia und verließ mit beleidigter Würde den Saal.

Agrippina hatte den Festschmuck abgelegt und trug ein weißes, griechisches Hauskleid aus weicher Wolle mit purpurnem Saum. Sie lud ihn ohne Gruß zum Sitzen ein und fragte ohne Umschweife, was sie die ganze Zeit über gedacht hatte:

»Lysimachos ist ein Meister der Porträtkunst – so also ist er jetzt?«

»Was kann ich ihr nur sagen?« fühlte Piso. »Ich kann doch nicht sagen, daß das Bildwerk mißlungen und unähnlich ist, das Nero ihr mit so viel Aufhebens sendet –«

»Du schweigst. Das ist deutlich genug.« Sie sah zu ihm auf – alle Frische von heute vormittag schien weggewischt –, sie sah alt und müde aus, aber just diese Müdigkeit, die etwas von der Kelchschwere der tusculanischen Rosen hatte, rührte sein tiefstes Herz. Die frische, straffe, sonngebräunte Frau vom Morgen hatte seiner nicht bedurft, und es hatte ihn bloß froh gemacht, sie heiter zu sehen. Diese hier mit den Schatten unter leidend erregten Augen, mit den Schatten in den Höhlen der edlen Wangenpartien hatte ihn gerufen, hing an seinem Mund.

»Piso, jetzt erwarte ich von dir die Wahrheit über die ganze Begebenheit.«

Und als sein Blick verriet, daß er nicht begriff, erklärte sie mit einem Anflug ihrer alten Ungeduld scharf: »Über Suillius und Seneca natürlich!«

Piso schwieg überrascht still. »Woher weiß sie es?« dachte er verblüfft. »Der Prozeß ist keine acht Tage alt. Vier Tage liegt Tusculum von Rom entfernt. – Hält sie Späher am Hofe? Und wieviel weiß sie? Wieviel soll und kann ich ihr sagen?«

Agrippina hing beinahe angstvoll an seinem Gesicht. Sie hob gebieterisch die Hand. »Ehe du redest, höre mich an, Piso. – Ich habe dich rufen lassen, weil ich viel von dir halte. Ich habe manches über dich gehört, und was ich hörte, war so, daß ich mich aufrichtig darüber freuen konnte, als man mir meldete, du führtest den Zug. – Ein Mann, der Pallas nach dem Sturz seine Sänfte überläßt, der Montanus in der Todesstunde beisteht – ist ein Mann. – Warum siehst du mich so an?«

»Dein Wohlwollen überwältigt mich, Augusta, umsomehr, als ich in früheren Zeiten nicht den Eindruck hatte, mich seiner rühmen zu dürfen.«

Agrippina lächelte schnell und hob dabei erstaunt die Brauen. »Hattest du nicht? Piso, – ich weiß es nicht mehr. Die Agrippina, die zwei einsame Jahre unter einfachen und gütigen Menschen geformt haben, ist – wolle wir hoffen – eine so völlig andere als jene, die im Kaiserpalast ihr Wesen trieb, daß in der großen Flut manchmal die Erinnerungsbrücken mit fortgeschwemmt worden sind. Ich weiß ums Gestern nichts mehr und ich fürchte mich nicht mehr vor dem Morgen. Ich lebe nur dem Tag und danke den Göttern für jeden einzelnen.«

»Das allerdings spricht von erstaunlicher Veränderung«, dachte Piso, und ihm wurde warm ums Herz, während er Agrippinas klarem, eindringlichem Blick begegnete.

»Ich möchte, Piso, daß du mir dies glaubst. Ich möchte, daß du zu mir wie zu einem Freunde redest.«

Er sah, welche Überwindung es sie kostete, weiterzusprechen, aber ihre Stimme war völlig beherrscht, als sie fortfuhr:

»Du mußt mir helfen, meinen Sohn klar sehen zu können, so wie er in diesen zwei Jahren geworden ist. – Siehst du – ich lebe hier, und kaum je verirrt sich einer der vielen, die sich in meinem Empfangssaal drängten, nach Tusculum. – Ich nehme es niemandem übel, ich stelle es bloß fest. – Und kaum jemals bekomme ich einen belanglosen Brief von Nero, dessen Anrede dann meist länger ist als sein Inhalt! – Aber ich schreibe jede Woche einen langen Brief, vielleicht an ihn – vielleicht an jemand, den es gar nicht mehr gibt. Vielleicht auch – sehr wahrscheinlich sogar – liegt der Brief dann tagelang ungelesen auf seinem Bettisch, bis der Sklave ihn forträumt –«

»Wie klug sie ist!« dachte Piso.

»– aber durch die Tatsache allein, daß dieser Brief geschrieben worden ist, besteht noch ein Band zwischen ihm und der einzigen Richterin, deren Spruch er noch scheut, wenn auch nicht fürchtet! Und vielleicht – dies ist meine Gewinstmöglichkeit eins zu hundert – liest er einmal eine halbe Seite oder einen einzigen Satz. – Ich muß also, dies wirst du einsehen, ungeschminkt erfahren, wie er ist, um zu wissen, an welcher Saite ich zu rühren habe. Verstehst du nicht, Piso, wie wichtig dies ist, jetzt mehr denn je, seit Senecas Name vor der Öffentlichkeit durch Suillius beschmutzt worden ist?«

»Was für ein Gesicht!« dachte Piso, der sie ansah. »Geist, Energie, Seele sind die drei Dochte, die es wie eine Ampel von innen her leuchten lassen!«

»Warst du in der Dekurie, als der Prozeß verhandelt wurde?« fragte Agrippina. »Bedenke, dies ist eine Sache, die nicht uns allein angeht, sondern Rom!«

Es schien Piso seiner selbst und ihres Vertrauens unwürdig zu lügen. »Ja, Augusta!« nickte er. Agrippina rückte in ihrem Stuhle vor.

»Erzähle!«

Mit einer raschen, mechanischen Geste der Vorsicht wandte Piso den Kopf, sah Creperejus stumm im Torbogen Wache halten und begann. Agrippina sah die Dekurie wieder und unter der Statue der Justitia die Richter, deren Gesichter ihr so vertraut waren wie des Angeklagten Suillius dickes rotes Gesicht. – Es hatte eine Zeit gegeben, damals, als Claudius und Messalina noch lebten, als dies Gesicht, dessen brutale Frechheit gleichsam in den vielen großen Warzen an Stirn, Wange und Nacken auszubrechen schien, für Unzählige Verderben und Tod bedeutete. Jetzt malte Piso ihr diesen Suillius selbst von Verderben und Tod bedroht. Aber seine Frechheit und Brutalität waren ihm verblieben, er schien entschlossen, da er sich selbst verloren sah, im Sturz die alten Feinde mitzureißen. Er, der große Angeber, Verfolger und Erpresser, stellte den Richtern, deren einer Cäsar selber war, die Frage ins Gesicht: wenn sie seine lächerlich geringen Vergehen ihm so ankreideten, was solle dann den Lehrern vornehmer junger Leute geschehen, die deren unmündige Großmut für sich ausnützten?

»Du entsinnst dich nicht seiner genauen Worte?« fragte Agrippina.

»Laß mich nachdenken – doch! – Er schrie: ›Während ich als Quästor in Germanien kämpfte, hat Seneca sich zu Rom als Ehebrecher hervorgetan. Ich frage meine Richter, die es ja wissen müssen, durch was für eine unvergleichliche Weisheit und durch was für besondere philosophische Lehren hat Seneca binnen vier Jahren die Kleinigkeit von dreihundert Millionen Sesterzen verdient?‹«

»Suillius soll doch ganz offen auf Julia, die Tochter des Drusus, und auf mich angespielt haben? Wie war das? Nannte er Namen?« fragte Agrippina.

Piso begegnete ihrem offenen Blick. Sie sah das Mal auf seiner Stirne schwellen, aber er antwortete so sachlich wie sie.

»Er fragte nur: ›Was ist ein größeres Verbrechen: wenn Prozeßführende mir aus eigenem Antrieb eine Belohnung angeboten haben, oder wenn andere, die sich als Tugendmuster preisen lassen, das Schlafgemach fürstlicher Frauen entehrten?‹«

»Und was antwortete da mein Sohn?«

»Nichts, Augusta.«

»Es ist klar, daß ich jetzt meinen letzten Schutz verloren habe«, sagte Agrippina langsam. »Aber, Piso es ist am Ende gar nicht so schrecklich, sich in der Hand des Todes zu wissen, wenn man nur recht bedenkt, daß wir alle es ja von der Stunde der Geburt an sind. – Aber – was geschieht mit Rom?«

»Ja –«, sagte Piso, »das ist der Gedanke, der mich Tag und Nacht martert: was geschieht mit dem großen heiligen Rom? Und es quält mich noch viel mehr, daß es mich martert und ich doch nur zähneknirschend herumgehen kann und meine Lippen beißen wie ein Sklave. Sieh, Augusta, du hast mich vorhin gelobt, weil ich mich gegen Pallas und Montanus nicht ganz und gar wie der letzte Feigling betragen habe! Aber was würden unsere Ahnen, deine und meine, davon gehalten haben!? – Habe ich Montanus gerettet? Ich bin bei ihm in einer Ecke gesessen und habe genickt, während er fluchte und jammerte! – Dem Kinde hast du gesagt, es sehe einen echten Römer. Armes Kind! Armes Rom, wenn die echten Römer nur mehr so aussehen wie Gajus Calpurnius Piso! – Nein, Augusta, die Wahrheit ist, ich kann ›römisch‹ und ›Römer‹, Worte, die für mich den ganzen Glanz und Stolz meines Lebens bedeuteten, nicht mehr hören, nicht mehr lesen. – Es ist bitter, für das einstehen und leiden zu müssen, was man nicht achten kann. Ich kann der Kurie nicht mehr vorangehen ohne Gefühle der ohnmächtigen Wut. – Hast du gehört, wie dieser speichelleckerische, sohlenküssende, wedelnde Senat sich überpurzelte, als Corbulos unerhörte Siegesberichte kamen? – Was Corbulo! – Wer spricht von Corbulo, dem Feldherrn? Wer spricht von der Zehnten, der Dritten, der Sechsten? – Verlotterte Barbaren und Latiner, aus denen er Helden gemacht hat! – Nero soll vom Heer als Imperator begrüßt werden! Auf Senatsbeschluß und auf Senatskosten finden Dankfeste statt! – Einer steht auf und beantragt die Errichtung von Standbildern! Einer schreit: Siegesbögen für Nero müssen errichtet werden! Einer springt auf und wünscht die Übertragung des Konsulats an Nero für eine Reihe von Jahren und die Erklärung erstens des Tages, an dem der Sieg errungen wurde, als Festtag, zweitens des Tages, an dem er verkündet und drittens des Tages, an dem im Senat darüber berichtet wurde! – Und jetzt denkst du vielleicht, wenn ich dir sage, daß einer aufstand und die Ehre von Rom rettete, ich sei es gewesen? Nein, Augusta, weit gefehlt –«

»Du hattest als Tribun gar nicht das Rederecht und Stimmrecht!«

»Nicht das Mannesrecht, gegen solchen Unfug aufzutreten? Aber beruhige dich, ich schwieg, und der Mann, der sprach, war Gajus Cassius!«

»Piso! Cassius ist siebenundfünfzig und du sechsundzwanzig!«

»Gleichgültig – es war endlich Menschensprache nach all dem Hundegewinsel. Er sagte: ›Wollte man den Göttern für so großen Segen danken, so wären alle Tage des Jahres nicht hinreichend für unsere Dankfeste. Es ist deshalb nötig, auch der Arbeit ihre Tage zu lassen, an denen man trotzdem die Götter von Herzen segnen mag!‹«

Sie ließ seine leidenschaftliche Stimme, die nahe an Tränen war, verklingen.

Dann sprach sie vor sich hin: »Und als der Senat ihm bald nach dem Regierungsantritt irgendeine Ehrung antrug, da wies er sie ab und sagte: ›Bis ich sie verdient haben werde!‹«

»Man ändert seine Ansichten, Augusta!«

»Es scheint so. Und jetzt nimmt er Otho noch Poppäa fort. – Schönheit ist ein Beruf wie ein anderer. Poppäa ist viel zu schön, um noch fürs Gutsein Zeit übrig zu haben. Liebt sie ihn wenigstens? – Nein? – Ich dachte es mir! Was also will sie bei ihm? Die erklärte Geliebte sein, nach Akte?«

»Nein, Augusta! – Die Kaiserin von Rom.«

Agrippina warf den Kopf zurück und stieß ein Lachen durch die Nase.

»Sollte sie vergessen haben, daß diese Stelle zufälligerweise bereits besetzt ist?« fragte sie hart und hochmütig.

»Man könnte es beinahe vergessen!« seufzte Piso.

Agrippina sah ihn rasch und scharf an. Pisos schöne Augen hielten dem Blick stand. »Arme Octavia!« murmelte Agrippina und fügte bei: »und arme Agrippina, die jetzt eine neue Feindin hat!«

»Warum, Augusta?« staunte Piso.

»Du kennst die Frauen nicht, wenn du fragst. – Weil die schöne Poppäa wissen muß, daß, solange ich lebe, ich es nicht dulden werde, daß Octavia ein Unrecht geschieht. – Aber sage mir: ich hielt Otho wohl für einen Leichtsinnigen, für einen tollen Verschwender, für einen Besessenen in Belangen des Eros, aber ich hielt ihn für einen Mann! Und er sieht ruhig zu, wie man ihm seine vergötterte Poppäa fortnimmt?«

»Nicht ruhig. Und deshalb eben soll er nach Lusitanien.«

»Was? Nach Lusitanien? Was soll er just dort, am Ende der Welt?«

»Als Poppäa noch des Crispinus Weib war, hat Otho Cäsar einmal angelegen, den lästigen Ehemann als Legaten nach Lusitanien zu verschicken. Jetzt, da er der lästige Ehemann geworden ist, trifft das Los ihn selbst. Cäsar hat ein erstaunliches Gedächtnis.«

»Und eine erstaunliche Art von Humor«, sagte Agrippina, die vorgeneigt dasaß, den Ellbogen auf dem Knie, das Kinn in der Hand.

Piso atmete tief durch: »Welch ein Jammer, Augusta, daß du, so wie du jetzt bist, nicht in Rom leben kannst.«

Und traurig antwortete sie: »Du meinst, es sei ein Jammer, daß ich vorher, als ich anders war, in Rom lebte? Ja, das bedaure ich selbst manchmal. Aber da Reue nichts fruchtet, sage ich, es wird wohl alles gut gewesen sein, wie es kam.«

Piso senkte den Kopf. »Augusta, du siehst immer wieder, daß du dein Lob an mich verschwendet hast. Nun habe ich dir meine ganze Last aufgeladen und hätte doch so gewünscht, die deine dir abzunehmen –«

»Wie jung er ist«, dachte sie, »und wie schön dies sternäugige Gesicht!«

Und sie fragte sehr froh: »Deine Last mir aufgeladen, sagtest du – das würde ja heißen, daß dir leichter ums Herz sein müßte?«

»Ja!« gestand er, »mir ist so wohl wie lange nicht mehr, seit ich mit dir sprach – ach, vergib mir, Augusta, ich bin unverzeihlich selbstsüchtig gewesen.«

(»Sein Mund ist zärtlich wie der einer Frau, aber die Falten darunter sind enttäuscht und bitter.«)

Sie fragte: »Du hast keinen Freund?«

Er schüttelte den Kopf. Dann lächelte er: »Doch! – Einen! Meinen Sohn Gajus Calpurnius Britannicus!«

»Dein Sohn! Ja, wie alt kann er denn sein?«

»Zwei Jahre, Augusta. Wie das Kind, das du heute morgen auf dem Arme trugst.«

»Ja, Aber es ist dein Sohn. Und du kannst noch alles für ihn und von ihm erhoffen –«

Erschüttert von dem schmerzlichen und ergebenen Lächeln um diesen hochmütigen Mund, lag er plötzlich vor ihr auf den Knien. »Augusta, ich bitte dich, ich beschwöre dich – was kann ich für dich tun?«

»Mein Piso!« sagte sie gerührt und strich ihm wie einem Kinde übers dunkle Haar.

Sie zog die Hand zurück, als habe sie sich verbrannt, und erhob sich. »Es ist spät«, murmelte sie, ohne ihn anzusehen, »und ihr müßt morgen beizeiten fort.«

Plötzlich wußte Piso, wie er diesem hoffnungslosen Leben ein wenig Wärme und Glanz zu schenken vermöchte. »Ich habe dich immer bewundert, aber heute habe ich dich lieben gelernt!« Und staunend erkannte er, daß er wahr gesprochen hatte.

 

Agrippina dachte: »Seine Galla ist zwanzig Jahre alt und Octavia ist achtzehn«, und sie zog die Decke über ihren mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit gepflegten Körper bis zum Kinn.

Pisos Hände zogen die Decke wieder fort, und er lächelte.

»Warum lachst du, Piso?«

»Weil eine so kluge Frau so töricht sein kann.«

»Ich werde am sechsten November sechsunddreißig!« gestand Agrippina.

»Ich liebe Agrippina und nicht Agrippinas Körper.«

Sie sah ihn nachdenklich an: »Du siehst nicht aus wie ein Römer – was dir ja lieb sein muß –, sondern wie ein Ägypter, mit deinen Schultern, die doppelt so breit scheinen wie deine schmalen Hüften!«

Piso lag geschlossenen Auges da. Er dachte: »Janus ist doppelgesichtig, aber tausend Gesichter hat Eros. Ich Narr, der ich meinte, aus Mitleid zu lieben, und dem jetzt ist, als sei er nie vorher in eines Weibes Armen gelegen! Welch ein Abgrund zwischen Gallas unzärtlicher Leidenschaft und der leidenschaftlichen Zärtlichkeit der Augusta –«

»Weißt du! Ich hätte einen Sohn gebären sollen wie dich, mein Liebster.«

»Vielleicht gebierst du ihn noch!?« murmelte er halb im Schlaf und tat die Augen auf, als er den Schrecken stoßartig durch ihren Körper gehen fühlte.

»Das wäre der Tod für dich, nicht nur für mich, möge Venus uns schützen!« murmelte sie.

Aber er schmiegte sich in ihren Arm und schlief schon. Die ungewöhnlich langen und bogigen Wimpern verstärkten die Schatten unter den Augen.

Agrippina lag reglos und hielt den Arm so, daß er als Kissen für sein Haupt diente. Sie dachte daran, wie sie so gelegen hatte, den neugeborenen Sohn im Arm. Sie dachte daran, was sie vom ersten Schrei an für das Kind erhofft hatte. – Aber ihr Herz schmerzte nicht mehr.

Sie lag, ihre Wange an seiner Stirn und sah zur Decke auf. »Ich weiß nicht, welcher von euch, ihr Strahlenden, es ist, der jetzt lächelnd auf mich herabblickt«, dachte sie. »Ich weiß nicht, ob er meine Armut aus Vorsatz der Gnade beschenkt hat oder aus Übermut, wie ich damals, als ich Passienus geheiratet hatte, der Taubenverkäuferin vor dem Tempel meine Perlenkette zuwarf. – Aber ich danke euch, ich danke euch, ihr Götter, für diesen Tag, für dieses Glück, das kam, als ich gerade gelernt zu haben meinte, nichts mehr zu erwarten.«

Zwei einsame Jahre lang hatte Agrippina nicht geweint. Jetzt weinte sie. Die Tränen schlugen mit einem kleinen dumpfen Laut auf dem Seidenkissen auf.

Als eine Träne auf den Schlafenden fiel, zuckte seine Wange.

 

– Was für selbstquälerische Bräuche unsere lieben Ahnen doch ausgedacht haben! Den ganzen Weg bis zum Forum der Julia zu Fuß emporzuklettern! Und was für selbstquälerische Dummköpfe sind doch wir, die wir in den gleichen schweren Togen und Stiefeln es ihnen nachmachen, nur weil die Alten es uns vorgemacht haben! – Welche Kraft die Herbstsonne immer noch hat! – Und morgen ist Mutters Geburtstag. Merkwürdig, dies ist der einzige Jahrestag, den ich nie vergesse. Ich habe mich nur nicht überwinden können, ihr zu schreiben. Und am Ende habe ich ihr ja erst die Bildsäule geschickt. – Ob Poppäa recht hat und Mutter den tugendhaften Piso –? Lächerlich! So klug sie ist, aber das vermag eine Frau, die so liebt wie Poppäa mich, sich nicht auszudenken, daß Mutter nur um der Macht willen einen Geliebten nimmt. – Wie sie schreien, wie sie winken! – Hoffentlich sehe ich nicht zu erhitzt aus? Ich wollte, man könnte einen kleinen Spiegel im Togabausch mitführen, es wäre so wichtig. – Wie sie brüllen! Pollio und die Augustianer haben wirklich alle Mühe, sie abzuhalten. – Ich wollte, ich könnte demnächst im Zirkus ihnen Seife zuwerfen lassen statt der Loskügelchen für die Geschenke. – Manchmal gibt es auch ganz hübsche Untertanen, denen Cäsar recht gerne gnädig wäre. – Ich muß am Ende doch kein so ganz schlechter Kaiser sein, wenn sie so jubeln.

– Ach, jetzt vortreten zu dürfen und die Kanacea in Kindsnöten mimen! Oder den Orestes sprechen! Ich wäre heute bei Stimme. Was, wenn ich es ernstlich täte?

– Nie darf man, wie man will, weil man auf all die alten Popanze zu achten hat, die Pätusse und Cassiusse, möchten sie doch alle zum Orcus fahren!!! – Das Volk – ich wette – würde mir zujubeln. – Aber Mutter! – Poppäa hat recht, es wäre an der Zeit, ihrer Rute zu entwachsen!

– Ich muß jetzt lächeln und winken! Und wenn ich leutselig den Arm hebe, dann verrutscht mir das Faltenende – nein, es ist glimpflich abgelaufen. Ich schwitze und mir klebt die Zunge am Gaumen. Ich werde mir zum Abmagern doch Poppäas Arzt kommen lassen, wie sie drängt und fordert – ich habe neuempfohlene Ärzte zwar nicht gern, aber die süße Poppäa hat ja tausend Gründe, mich sehr lebendig zu wünschen, und nicht einen einzigen, mich umbringen zu lassen! – Wie sie mir für die neuen Bäder im Kaiserpalast gedankt hat! – Die alten mit dem ganz weißen Marmor waren ja wirklich zu ihrem honigfarbenen Leib unmöglich, und sie hat endlich eingesehen, daß ich mehr Kunstverständnis habe als ihr Otho. Wenn er nur erst in seinem Lusitanien wäre, der –

»Ich grüße dich mit gleicher Herzlichkeit, mein Cassius!«

– Oh! Er sollte seinen Barbiersklaven stäupen lassen, er hat mir die ganze Wange beim Kuß zerkratzt, der große Republikaner, dem es nicht paßte, als der Senat mich ehren wollte. – Falscher Hund! Ich kann ihn nicht leiden.

»Ich hoffe dich bei bester Gesundheit, mein Cassius? Schone dich! Rom kann solche Männer wie dich nicht entbehren!«

– Ich wollte, ich vermöchte Rom zu zeigen, wie leicht es ihn entbehren kann. – Nehmen diese Stufen noch kein Ende? – Stufen muß man so langsam schreiten wie die griechischen Priester und die griechischen Chöre. – Poppäa könnte eine Griechin sein, viel eher als Akte, auf die sie so eifersüchtig ist.

– Wenn es wahr ist, daß Freundschaft das Verwandte, das Gleichgesinnte braucht und Eros das Fremde und Rätselhafte, dann ist zugleich erklärt, warum ich niemandes Freund bin und von Poppäa so hingerissen. – Niemand kann näher – und sternferner zugleich sein als sie.

– Ihr Götter, wenn ich nur diese Stimmen da drinnen durcheinanderreden höre, möchte ich die sehr würdigen Väter drinnen warten lassen und davonlaufen.

– Sie ist wie die große Aspasia, von der man sagte, sie gehe jeden Abend als Buhldirne zu Bett und stehe als Jungfrau wieder auf.

– Huh, eisig diese Halle! – Meine Stimme! – Ich hätte ein Halstuch nehmen sollen! – Das dunstet Alter und modert Ehrwürdigkeit! Wenn ich nur nicht wirklich heiser werde! Das ist die ganze Kurie nicht wert! – Jetzt darf ich nicht mehr lächeln – ich vergaß. Jetzt ist hehrer Ernst am Platze, eine gedankenschwangere Miene wie die Pisos. Sonderbar ergeht es mir mit diesem Piso. – Liebe ich ihn? – Hasse ich ihn? – Vielleicht hasse ich ihn und halte ihn für einen Feind, aber ich buhle um ihn seit jenem Abend in der Suburra wie um keinen anderen Menschen –

»Ich grüße dich, Vitellius!«

– Dickes altes Schwein!

»Oh! Ich grüße dich, Lucius Piso! Wie geht es deinem Sohn? Es gibt nicht viele Väter, die mit ihren Söhnen so zufrieden sein dürfen!«

– Der Alte hat ein ganz anderes Gesicht – eine ganz andere Stirne – sicherlich ist er der Mutter ähnlich. – Wenn dieser Piso mich vergöttern wollte wie Pollio – zehn Pollios gäbe ich darum und meine ganze neue Augustinergarde! – Aber seit er bei Mutter war, ist er noch kühler, wer weiß, wie sie gegen mich gehetzt hat! – Ach, der Gedanke an sie ist ein ewiger Dorn im Fleisch!

»Ich danke dir, mein Pätus, wie steht es mit deiner Gesundheit, mein großes Vorbild?«

– Hihi! Wie er sich ärgert, wie sein dürrer Adamsapfel schluckt und ruckt. – Endlich! Puh! Endlich sich setzen dürfen! – Unbequem setzen, aber doch! Dank den Göttern! Was gäbe ich jetzt für meinen homerischen Becher voll schneegekühlten Weins!

– Piso! Ist das Piso drüben? – Natürlich! Wie er mich ansieht, manchmal meine ich den blanken Haß aus seinen Augen sprühen zu sehen, und – ich weiß nicht, wie es kommt – das reizt mich! Er tut, als sähe er mich nicht –, nun also – jetzt kommt er!

»Mein Piso, wie geht es dir, schon erholt von den Strapazen deiner Reise?«

– Du Hund, wenn ich denke, daß du mit meiner Mutter und meiner Frau geschlafen hast, könnt' ich dich locusten – aber nein, neulich schwor Octavias Arzt wieder auf ihre Jungfernschaft.

»Piso, meine erhabene Mutter schrieb mir, sie habe ihren Aufenthalt in Tusculum abgebrochen, um sich auf dem Seeweg nach Antium zu begeben. Sie schien doch so zufrieden in Tusculum, wie du sagtest! Und nun diese plötzliche Veränderung nach einem Aufenthalt von zwei Jahren! Ich dachte, du würdest der Mann sein, sie mir zu erklären?!«

– Täusche ich mich? Es zuckte über sein Gesicht, wie staunendes Begreifen, fast wie ein gerührtes Lächeln! Geht sie nach Antium, um ihn zu treffen? Aber er hat keine Landgüter am Meer. – Natürlich sagt er, es sei ihm ein Rätsel wie mir. – Ach – die Sitzung ist eröffnet – ich scheiße auf die Sitzung! Meine Augen sind zu schlecht, ich sehe nur seine Stirn. Er senkt immer den Kopf wie ein Widder. – Der Kerl muß doch irgendwie zu kaufen sein – alle sind sie zu kaufen, auch Seneca war zu kaufen –! Wenn man ihm die Quästur gäbe? – Diese Gesandtschaft von Puteoli wird wohl nie aufhören zu schwatzen – Gewalttat der Beamten – Habsucht der Machthaber – und das muß ich mir ernst wie ein Heuesel anhören, statt bei Poppäa zu liegen. – Ich bin schon wie Otho! Ja, jetzt verstehe ich ihn, und weil ich ihn verstehe, muß er fort. Wie sie gestern wahrhaft erschüttert in Tränen ausbrach, als ich sang! – und doch und doch immer wieder kann sie mir dieses unglückselige erste Mal vorwerfen und mich damit martern und mir vorhalten, daß nur Otho ein Liebeskünstler ist und ich im Sklavenbett der Akte die rüden Sitten gelernt habe.

– Vielleicht ist Otho ein Liebeskünstler, aber ich habe den kleinen Vorteil, Kaiser zu sein; und er muß weg, weg, weg!

– Drei Tage gebe ich ihm, dann muß er nach Lusitanien zu den Trauben und Maultieren. – Was – Cassius? Wunderbar!!! Sieh an, der wackere Cassius soll nach Puteoli, um Ordnung zu schaffen? Schnell, ich stimme! Vielleicht erschlagen sie ihn dort bei einem Aufstand, und ich bin ihn los! Dank, Fortuna!

– Immer noch siegt Corbulo? – Artapata, eine Stadt aus weißem Marmor und rotem Gold, machen römische Legionen der gestampften Erde gleich. – Ich möchte Rom der Erde gleich machen und in Gold und Marmor für Poppäa aufbauen. Vielleicht würde sie mir dann verzeihen, daß ich Nägel beiße und wie alle Domitier Anlage habe stark zu werden! – Wie unwiderstehlich komisch war Paris doch, wenn er die gute Tante Lepida mit ihren dicken Brüsten mimte. – Wie sie mich haßt, seit sie Paris die Freikaufsumme hat zurückzahlen müssen. – Es ist zum Einschlafen heute! Ob der Stadt Syrakus erlaubt werden soll, die festgelegte Zahl der Gladiatoren zu überschreiten? – Welche Verachtung hat Mutter für die Mimen. – Gibt es eine schlechtere Rolle, als stundenlang hier in der Kurie zu hocken?! – Aber ja! Laßt sie überschreiten, damit wir zu Tische gehen können. – Was? – Pätus! Natürlich. Pätus widerspricht, wo Cäsar befürworten wollte. Du elender Schurke, ja ja – daß die Senatoren auch den unerheblichsten Dingen ihr Augenmerk schenken! – Und kaum spricht Pätus, da folgen alle dem Leithammel nach – Dreckfresser! Natürlich! Syrakus ist überstimmt. – Bande! – Hätten sie das bei Caligula gewagt? Gekuscht hätten sie! Ich bin zu gut für dieses Pack! Den Brand über euch! Die Pest über euch! Einmal werde ich ja doch diesen ganzen Senat –

– Oh! Oh! Oh! Wer ist der Mann? Wer ist das? Beim Orcus, das sind Augen, – ich dachte, sie schauten mir bis ins Innerste. – Diesen Mann hab' ich ja einmal schon gesehen. – Wo hab ich ihn nur schon – es war doch bei einer wichtigen – einmal in der Nacht – oh! Der Mord an Claudius! Die Jupiterstatue! – Wie er aufregend lächelt!

– Bei allen Göttern, heut gehst du mir nicht durch!

»Mein Sporus, kannst du mir unauffällig sagen, wer dieser Mann ist – warte – sieh dich nicht um – eins, zwei – der vierte zwischen der Büste des Augustus und der des Scipio!«

– Du tauber Trottel. Na, endlich hat er ihn.

– Sophonius Tigellinus, Sophonius Tigellinus, Unterfeldherr des Corbulo in Parthien, deshalb!!! – Deshalb habe ich ihn, seit ich Kaiser bin, nicht zu sehen bekommen.

– Nun, jetzt werde ich ihn zu sehen bekommen!

Otho ließ Poppäa nicht aus der Umarmung. Er wollte nicht fassen, daß es die letzte Nacht – die letzte überhaupt sein sollte, daß sein Körper doch einmal gesättigt sein könnte, sein unendliches Begehren nach ihr gestillt.

»Wie werde ich leben ohne Poppäa?« dachte er immer wieder. Hundertmal, tausendmal hatte er es schon gedacht, und immer wieder durchzuckte das gleiche Entsetzen sein Herz. Er sah in ihr gelöstes Gesicht, er suchte ihre Lippen und dachte: »Schon liebt sie mich nicht mehr!« Eine Angst, der Todesangst verwandt, trieb kalten Schweiß auf seine Stirne, auf diese niedrige, lustige Stirne, deren erhöhte Winkel wie Hörnchen wirkten. »Was soll ich tun, ihr Götter?« dachte er. »Ich liebe sie zu sehr – soll ich sie töten, statt sie ihm zu lassen? – Aber wie kann man solche Schönheit töten!«

»Poppäa!« stammelte er, und da sie nur stöhnte, riß er sie auf und rüttelte sie, bis ihre Lider sich auftaten. Er sah das Weiße der Augen, nicht ihre Sterne.

»Poppäa! Du wirst mich vergessen! Wirst du mich vergessen? Du bist ja eine Hure wie alle anderen! Was fragst du danach, wer dich liebt?! – Danach fragst du!«

Seine von Leibesübungen vergröberte braune Hand wand die Kette von Smaragdkugeln, die sie um den Hals trug, wie ein Henkerseil zusammen. Sie fuhr mit ihren beiden Händen zur Kehle, riß die Augen auf und starrte ihn an.

»Er wird mich noch morden!« dachte sie und schnellte sich zugleich ans äußerste Ende des Bettes.

»Sie glaubt wirklich, daß ich ihr etwas antun könnte!« dachte er und ließ sich völlig erschüttert aufs Gesicht fallen.

Ihre tiefgrauen Augen füllten sich mit Tränen, als sie seine Gladiatorenschultern im Schluchzen zucken sah. Sie neigte sich über ihn und, beide weinend, küßten sie sich rasend, verzweifelt. Poppäas bezaubernde Knabenhände streichelten sein dichtes Haar, sie beschwor erstickt: »Ich liebe nur dich!«

»Und ich dich!« Und zum hundertstenmal knirschte er: »Wenn ihn doch die schwarze Pest träfe, den Hund, das Untier!« Plötzlich dachte er mitten im Kuß: »Vielleicht wäre es ihr im tiefsten Herzen gar nicht mehr so recht, wenn Nero stürbe? Vielleicht gehört sie schon gar nicht mehr so ganz zu mir, und ich sollte vor ihr vorsichtiger sein!« Und dann: »Vor meiner Poppäa? Vor meiner Frau?« Und ein so schneidender Schmerz ging durch sein Herz, daß er zu sterben meinte.

»Wie er sich quält!« dachte Poppäa. »Und ich liebe ihn doch wirklich! Aber was soll ich tun, was kann ich tun? Es ist nicht meine Schuld? Die Götter wissen, wie ich mich damals gewehrt habe, zu Nero zu gehen! – Was kann ich dafür, daß beide mich so rasend lieben? – Wie elend er aussieht! Er ist gar nicht mehr mein lachender Pan aus dem Busch!«

»Poppäa, hör mich an! Wirf alles hin! – Komm mit mir nach Lusitanien!« flehte Otho.

Es war, als werde Poppäa in seinen Armen starr und kühl.

»Kommst du?« bat er.

»Es geht nicht, er würde dich töten lassen!«

»Es gibt nichts, was ich fürchte, als dich zu verlieren!« Und Otho dachte an die zwei Legionen und die sechs Kohorten schwerer Reiterei, die in Lusitanien unter des Legaten Befehl standen.

»Er ist ein Mann wie nicht viele«, dachte Poppäa, die die Huldigungen dieser Nacht gerührt und dankbar gemacht hatten. »Kann sein, daß ich es bereuen werde, Nero gewählt zu haben. Aber gäbe es irgendeine Frau, die an meiner Stelle mit Otho ginge, um sich unter Mauleseln und Trauben am Ende der Welt zu begraben? – Vielleicht eine, die aussieht wie Octavia –«

Otho träumte – »Der ruminalische Baum, der achthundertfünfzig Jahre grünte, stirbt heuer ab! Und ein Weib hat eine Schlange geboren! Und ein Blitz hat Neros Bildsäule zerschmelzen lassen! – Das sind üble Zeichen für Cäsar. – Vielleicht kehre ich aus Lusitanien zurück und kann dir nicht nur mein Herz, sondern das Weltreich zu Füßen legen – Poppäa! Aber bis dahin, bis dahin! Wie soll ich ohne dich bis dahin leben? – Ob wohl Crispinus, als ich sie ihm nahm, gelitten hat wie ich jetzt?

– Zum erstenmal fällt mir das ein! – Unsinn! Er war ja ein Greis! Mit siebenundfünfzig kann man nicht mehr lieben! Wie soll man da leiden können?! Aber ich bin vierundzwanzig und soll ohne Poppäa leben –«

Sie war eingeschlafen. Otho weckte sie mit rücksichtslosen Küssen. »Schlaf morgen, wenn du bei ihm liegst!« keuchte er, und da sie gehorsam die schweren Lider aufschlug, haßte er sich um seiner Selbstsucht willen.

»Meine Gazelle, vergib mir, meine Schönheit! Mein Glück! Ich habe dich doch nur mehr diese drei kurzen Stunden noch –«

Sie legte ihre Hände um sein Gesicht, und seine Wange auf ihre Hand stützend, sagte er: »Weißt du, meine Freude, woran ich heute habe denken müssen? An deinen Arzt.«

Poppäa richtete sich auf. »An Simeon? Warum?«

»Weißt du, anfangs habe ich ihn ja ausgelacht, mit seinen schrägen Schultern und seinem Bart und seinen immer traurigen Augen. Aber seit er dich vom Campagnafieber geheilt hat, liebe ich ihn und habe, wenn du noch schliefst, oft mit ihm geredet. Und einmal hat er mir gesagt, auch die geringste Tat sei nicht ohne Folgen. Er hat gesagt: ›Wenn man nur einen Stein ins Wasser wirft, so ist es schon unmöglich zu berechnen, wie viele Lebewesen dadurch verletzt oder getötet werden.‹ Und ein anderes Mal hat er gesagt: ›Es gibt weder Orcus noch Elysium, es gibt nur das gute und böse Gewissen des Menschen!‹ Vielleicht bin ich darum im Orcus, weil mein Gewissen mich dafür büßen läßt, daß ich dich Crispinus genommen habe –«

Poppäa hörte ihn nicht. Sie dachte: »Zu sonderbar, daß er plötzlich davon anfängt. – Hat Simeon ihm auch etwas gesagt?« – Sie schlug ihre hellen, tiefschwarz bewimperten Augen auf und nieder und dann sagte sie: »Ich will dir etwas erzählen, aber du darfst nicht wieder anfangen, mich zu bedrängen, denn – mein Herz –«, die herbe Stimme schwankte vor Liebe und Süße, »ich kann nicht mehr zurück.«

Er sah, daß sie sich vor etwas ängstigte, und nickte stumm und hastig, um sie sprechen zu machen.

»Simeon hat mir heute einen Trank gebracht – eine scheußliche Brühe, weißt du, und er hat gesagt –«, sie sprach sehr leise, »ich muß jetzt beginnen, ein Gegengift zu nehmen. Agrippina nähme es seit Jahren.« Sie sah ihn an. »Weißt du, dann kann einem die Locusta nicht mehr schaden!« Othos Herz setzte vollkommen aus, um dann wie ein Hausschild unterm Klöppel zu dröhnen.

Er riß sie an sich, alle Muskeln gestrafft, als gälte es, sie gegen die ganze Welt zu verteidigen. »Götter!« keuchte er, »Götter!« und von neuem weinend, flüsterte er unter Küssen: »Glaub nicht, daß ich nur kleinlich an mich denke! – Mein Glück, meine Lust, mein Herz, mein Alles! Was läge an mir, wenn ich nur das Gefühl hätte, daß du glücklich werden würdest. Aber glaube mir, ich kenne ihn seit seinem elften Lebensjahr – er ist so von sich selbst besessen, daß es ihm unmöglich ist, dauernd einen Menschen zu lieben. – Und dann, Poppäa – es stehen vier Augen zwischen dir und ihm –«

»Hättest du viel dagegen, wenn sie sich schließen würden?« fragte Poppäa lächelnd, und wieder hatte er das eisig kältende Gefühl, als wandle sie sich zauberisch in seinen Armen und sei eine ganz andere, indem er sie noch festzuhalten strebte.

»Agrippina hat meine Mutter immer gehaßt, und Octavia ist nicht Fleisch, nicht Fisch – er hat mir gesagt, daß er sie nie umarmt hat!«

»Ich selbst habe doch ihren Jungfernschrei gehört!« rief Otho empört. »Das sieht ihm ähnlich, es zu leugnen! – Poppäa, Poppäa, und diesem Mann soll ich dich anvertrauen.«

»Ich habe keine Angst vor ihm«, flüsterte sie. »Überhaupt habe ich keine Angst davor, zu sterben! Aber davor, alt zu werden – Runzeln zu haben – nicht mehr geliebt zu sein.«

»Ich werde dich immer lieben«, schwor Otho. »Auch wenn du alt bist und nicht mehr schlank wie ein zwiegeschlechtlicher Eros und nicht mehr launisch wie der Vorfrühling. – Ich werde dir die Decke um die Füße legen und den Schirm über dich halten als dein treuester Sklave –« Otho brach ab, denn er sah, daß Poppäa schlief, die Wange auf dem Arm, Schultern und zarte Knie angezogen. Er zog sorgsam mit seinen großen Händen die Decke über sie, stand vorsichtig wie ein Dieb auf und ging zum Fenster. Er lugte eine Weile durch den Vorhangspalt zu dem Himmel, an dem gnadenlos die Sonne aufging. Dann öffnete er den Türriegel. Nackt wie er war, weckte er sanft den Sklaven neben der Türe und legte den Finger auf den Mund. Er ließ sich baden und befahl, daß man ihm die Rüstung anlege.

»Laß alle männlichen Sklaven sich in der Halle versammeln und rufe den Haushofmeister.«

Und als der Alte kam, sagte sein Herr kurz und knapp: »Du wirst die Riegel vors große Haupttor legen lassen. Du wirst selbst alle Pforten verschließen und die Schlüssel vor mich bringen. Du wirst zusehen, daß jeder Sklave vom ältesten bis zum jüngsten aus meiner Waffenkammer gewappnet wird nach seinem Vermögen. In zwei Stunden werden des Kaisers Centurionen kommen, um die Herrin fortzuführen. Ich werde sie mit Waffengewalt verteidigen. Laß Wein und Fleisch verteilen an die, die fechten sollen. Die Herrin darf nicht gestört werden. – Das ist alles.«

Der Alte verneigte sich stumm.

Otho hörte drunten das erzene Palasttor zuschlagen. »Helena!« dachte er. »Mag die Burg des Priamos in Flammen stehen! – Helena!«

 

Nero lag quer über dem Ruhelager, auf dem der Arzt Simeon ihn untersucht hatte. Er ließ seine nackten Füße die Marmorwand hinaufspazieren, dehnte die Arme und sagte: »Gewiß, gewiß, Simeon, es ist deine Pflicht, Cäsar zu warnen, aber weißt du – es ist Cäsars Recht, deinen Warnungen zum Trotz zu leben, wie er Lust hat, nicht wahr?« Er lachte schallend. Nero war immer am heitersten, wenn er nackt war.

Simeon beugte sich vor, seine beiden entblößten Arme tief im Waschbecken, in das silberne Delphine das warme Wasser der Röhrenheizung spien.

»Ärzte und Propheten sind es gewöhnt, verlacht zu werden, solange die guten Jahre währen!« sagte er lächelnd.

Nero setzte sich auf. »Was frag' ich schlechten Jahren nach, die später kommen!« – Er sang es und sein Bariton übertönte süß und groß und voll das Rauschen des Wassers, füllte den warmfeuchten Ruheraum.

Simeon scheuerte mit Bürstchen seine kurzen Nägel, wandte über die abfallende Schulter sein geduldiges, weises und häßliches Gesicht und stellte fest: »Eine gute Resonanz hat die Stimme!«

Als habe er die Feder einer Spielfigur berührt, setzte Nero in raschem Schwung die Füße auf den Wollteppich – kam zu ihm, legte den Arm um ihn und fragte gierig: »Nicht wahr? – Hörst du das auch? Ja, jetzt endlich habe ich sie, die Resonanz! – Man sagt, ihr Juden versteht etwas von Musik. Hast du je Terpnus gehört? Ja? Terpnus ist mein Lehrer. – Das heißt, jetzt übe ich nach meiner eigenen Methode! Und seither erst habe ich die Höhenlage freibekommen.«

Nackt wie er war, begann Nero die Klage der Niobe zu singen, der Mutter, deren Kinder Pfeil um Pfeil des zürnenden Apollo und der beleidigten Artemis hingerafft hatten.

Simeon lauschte geduldig, den bärtigen Kopf schief haltend, während er seine von stetem Waschen rötlichen Hände an einem Tuche trocknete, das eine abschreckend häßliche, halbnackte Negersklavin für ihn bereithielt.

»Was sind sie doch für seltsame Menschen, diese Heiden!« dachte er. »Da steht dieser nackte Jüngling vor mir, der Kaiser von Rom, und trillert vor Schmerz über den Tod von elf Kindern, die sein welker Leib geboren haben soll. – Aber die Stimme ist schön, sie ist viel schöner, als ich gedacht hatte. – Jedem anderen würde ich's auch einfach sagen. Sagt man's einem Kaiser?«

»Die Stimme ist ein Geschenk Gottes«, äußerte er zurückhaltend, als der Kaiser endete.

»Ist sie stark genug? Meinst du, daß sie das Theater des Marcellus füllen kann?«

»Ich kenne das Theater des Marcellus nicht, Herr. Aber Stimmbänder und Lunge bieten keinen Einwand.«

Nero lachte vor Vergnügen über das schlechte Latein und warf sich auf das Ruhelager zurück. Simeon sah nur, daß der Junge heiter war, und sein roter Mund im assyrisch-schwarzen Barte lachte mit.

»Poppäa hat mir immer schon von dir geschwärmt!« sagte Nero bezaubernd liebenswürdig. »Sie meinte, ich würde bald so entzückt von dir sein wie sie selbst.«

»Oder auch nicht, Herr, oder auch nicht! Denn jetzt müssen wir mit der Massage beginnen. Von hier herüber, Mahua! und hier ordentlich – und hier«, wandte er sich an die alte Negerin.

»Du hast angenehme Hände, Jude!« sagte der Kaiser. – »Au!«

Die Alte begann, rhythmisch hin und her gewiegt, daß ihre flachen Brüste wackelten, den Leib des Kaisers zu kneten. Ihre schwarzen Hände mit rosiggrauen Nägeln und Innenflächen, die von gelbem Salbfett troffen, gruben sich tief in das weiße Fleisch.

»Den verfrühten Schmer wollte ich schon herunterbringen«, dachte Simeon, »wenn er jeden Tag Mahua kommen ließe und nicht zwölf Gänge zur Nacht äße. Sie sagen, er habe als Kind von Speck und Bohnen gelebt, darum liebt er wohl jetzt Gerichte, gepfeffert mit Gewürzen des ganzen Orients. Das verschlackt ihm den Körper und überheizt die Sinne.«

Nero stöhnte. Simeon winkte Mahua, innezuhalten.

»Ich höre, Herr.«

»Du läßt mich bitter für meine Laster zahlen!«

»Das läßt uns Gott, nicht die Menschen.«

»Hast du Laster, Jude?« fragte Nero mit aufgerunzelter Stirn lächelnd.

»Will er Spott treiben mit dem Beschnittenen?« dachte Simeon überrascht, die Finger der Rechten im Bart. »Oder will er mich die ärztliche Warnung büßen lassen? Ziemt es mir, mich der Tugend zu rühmen? Aber andererseits, wie sollte ich Einverständnis zwinkern?«

»Nun?« fragte der Kaiser.

»Herr, ich bin alt. – Ich bin fünfundfünfzig und ich arbeite hart. Auch habe ich ein Weib vor Gott genommen und habe sechs Söhne von ihr und drei Töchter. Es ist Gnade Gottes, nicht Verdienst, wenn deinem Diener erspart bleibt, zu erröten.«

Nero sagte, schroff akzentuierend, jedes Wort mit dem Atem hervorstoßend, während Mahua ihn knetete: »Und Poppäa? Fassen dich nie, nie Gelüste, wenn du sie wie ein Liebhaber siehst?«

»Was will er?« dachte Simeon zögernd. »Irgendwo will er hinaus. Will er den Eifersüchtigen spielen? Ich mag seine Augen jetzt nicht.«

»Unser Gott straft, die da sündigen, Herr, bis in ihre Gedanken.«

»Dann freue ich mich, nicht an ihn zu glauben«, lächelte Nero böse, flackernd, angestrengt. Plötzlich kam es. »Jude, kann ich ein Kind haben?«

Simeon lächelte entzückt, erleichtert. »Ohne Frage, Herr! Die Herrin Poppäa hat Crispinus einen Sohn geboren, und nichts läßt vermuten, daß dir Zeugungskraft versagt wäre –« (Was starrt er mich so an?)

Nero setzte sich auf und stieß Mahua zurück. »Du verstehst mich nicht«, sagte Nero kalt und klar, »ich frage nicht, ob ich ein Kind zeugen kann, sondern gebären.«

»Caligula war sein Onkel! Er ist wahnsinnig!« dachte Simeon.

»Jetzt denkst du, daß ich verrückt bin wie Oheim Caligula«, sagte Nero. »Ich bin nicht verrückt. Wenn die Natur mir gegeben hat, wie Mann und Weib zugleich zu empfinden, warum sollte sie mir nur das Kriterium des Mannes geben, das der Frau aber verweigern?«

»Aber Herr, es war niemals da –«, stammelte Simeon.

»Es war auch niemals da, daß einer Kaiser von Rom war und zugleich der beste Redner, der beste Dichter, der beste Sänger, der beste Wagenlenker, der beste Mime seiner Zeit, hast du nicht gehört, daß alle Welt mich so nennt?«

»Ich habe es gehört.«

»Oder nimmst du an, daß sie alle, alle nur lügen und kriechen?«

»Warum sollte ich es annehmen, Herr?«

»Nun siehst du! Warum also, wenn du zugibst, daß ich so viel vereine, was die geizige Natur sonst nur vereinzelt spendet, wenn ich, wie du sagst, zu Brüsten neige und doch die Zeugung besitze, warum sollte es nicht gehen, daß ich, Nero, den Erben Roms gebären könnte?«

»Großer Gott!« dachte Simeon, »ein Kind von Tigellinus und Nero der Erbe Roms! Jachwe sei gepriesen, daß es unmöglich ist!«

»Es muß doch einen Trank oder eine Operation oder einen Zauber geben, um es möglich zu machen. – Ich habe rasende Angst vor dem Messer, aber ich würde wie ein Opfertier stillhalten; ich träume seit Jahren davon, ein Kind zu gebären.«

»Herr, nur die Schnecken vereinen beiderlei Geschlecht und vermögen sich doppelt zu begatten!«

»Heu! Das wußte ich nicht, siehst du!«

»Ja, aber es nützt nichts, zu wollen, was nicht zu wollen ist, weil Jachwe es versagt hat.«

»Wer? Wer?«

»Ich wollte sagen: Gott!«

»Du weißt nicht, Jude, was ich dir dafür gäbe! Ich würde dich zum römischen Bürger und zum Patrizier machen –«

»Du vermagst es nicht, Herr, ohne den Umweg über die Herrin Poppäa – oder ein anderes Weib, das deinen Augen genehm ist –«

Nero stand vor Simeon und keuchte. »Du lügst. Der Arzt und Sterndeuter der Chaldäer hat mir gesagt, daß es möglich ist. Er hat mir geschworen, daß das Kind im dritten Monat ein Frosch ist, im vierten ein Lurch, im fünften eine Kröte –«

»Ein Chaldäer?« schrie Simeon zornig. »Dann geh und laß dich schwängern von den Unsauberen, den Untermenschen mit ihren Molchen und Kröten –!«

Im nächsten Augenblick schämte er sich, einen armen Wahnsinnigen hart angefaßt zu haben, und vielleicht hätte er diesem verzerrt zuckenden Gesicht Verheißungen gegeben – aber das Erstaunliche geschah. Dies Gesicht glättete sich im Augenblick zu Neros angestrengt liebenswürdigem Lächeln.

»Kennst du meine Mutter?« fragte er, in Simeons Augen forschend.

»Ich? Nein, Herr! Ich habe die Kaiserin nie gesehen.«

»Das ist gut – das ist sehr gut. Du schweigst über – über den Scherz von vorhin. – Und jetzt, Jude, dünn oder dick – meine Zeit ist um, ich muß in den Senat.«

 

Tigellinus saß in dem breiten Lehnsessel neben Poppäas Ruhebett, in den ihre Geste ihn gewiesen hatte, und beide schwiegen Augenblicke lang. Sie musterten einander und dachten viel – jeder für sich –, denn es war zum erstenmal, daß sie einander nahe sahen und allein.

Poppäa dachte: »Er trägt bereits die Uniform des Prätorianerobersten und den Ring des ersten Adels, er hat nur dem niederen angehört. Er sieht aus wie ein Tiger. Das riesige gelbliche Gesicht, die schamlose Grausamkeit, die Unbändigkeit, die Kraft – und doch ist etwas von dämonischer Bezauberung um ihn.«

Tigellinus dachte: »Sie ist sehr schön, aber ich liebe weiches, weißes Fleisch. Sie begehrt mich nicht, obzwar ich ihre Phantasie kitzle. Um so besser für den treuen Diener, um so besser.«

Er lächelte. – Sein sehr großer Mund, dessen Oberlippe schön und erosbogig gezeichnet war, wurde durch die allzu üppige Unterlippe verdorben, und die in Grübchen vertieften Mundwinkel zogen sich herab, beschwert von Spott.

»Da also sitzen wir und messen einander wie Fechter! – Hättest du mich nicht rufen lassen, so hätte ich diese erste Abwesenheit des Kaisers benützt, um dich zu sprechen.«

Poppäa sah unverwandt in dieses tropenverbrannte, lastergezeichnete, ledergelbe Gesicht, und ihre belegte Stimme fragte: »Und warum?«

»Weil ich genau wie du das Gefühl hatte, die Geliebte des Kaisers von Rom und sein – Günstlinge müßten einander in die Hände arbeiten.«

Den Arm auf die Lehne gestützt, das amberfarben umwellte Haupt in die Hand, wandte Poppäa keinen Blick von diesem Mund, der sonderbar die Worte formte. Man wußte nicht, ob es Geziertheit war oder ein leiser Sprachfehler, daß die erosbogige Oberlippe in der sich senkenden Mitte ihrer Zeichnung an der üppigen Unterlippe zu haften schien.

»Ein schamloser Mund!« dachte sie.

»Poppäa Sabina, es ist nicht leicht für einen Mann und eine Frau, die so stark und vor allem im Eros leben, von Politik zu reden, aber sparen wir Zeit und seien wir offen gegeneinander, soweit Menschen das können. Willst du?«

»Er hat Hände wie ein Mörder!« dachte Poppäa. »Und er lispelt und er ist häßlich – er ist so häßlich, daß er beinahe schön ist.«

Tigellinus wartete keine Antwort ab. »Zu den Geschäften also: du willst Kaiserin von Rom werden?«

Poppäa zuckte auf, atemlos, großäugig staunend starrte sie in das ledergelbe Gesicht.

»Sage ich nicht immer, daß man bei euch die Dinge nicht beim rechten Namen nennen darf?«

»Woher weißt du –?«

»Aber, Poppäa, meinst du wirklich, ich sei ein Gimpel wie er, der meint, du habest Otho um seinetwillen nach Lusitanien gehen lassen? Otho, der deine Lust war? – Ja, aber da ich dir die Maske abriß, will ich dir auch Tigellinus nackt zeigen. Ich will nämlich Präfekt der Prätorianer werden.«

»Burrus ist Präfekt.«

»Ich könnte antworten: Octavia ist Kaiserin! Ich tue es nicht. Ich antworte: Agrippina ist am Leben.« Sie sahen einander an.

»Oh, ihr Götter!« dachte Poppäa in taumelnd sich überstürzenden Gedanken. »Er würde es tun – er ist gekommen, mir zu sagen, daß er es tun wird. – Oh, ihr Götter! – Was schert mich Burrus?! – Endlich ein Mann! Endlich einer, vor dem man sich nicht schämen muß. – Kann man sich ihm in die Hände geben? Oh, ihr Götter – Götter – Götter –«

»Sie ist an Gegengifte gewöhnt«, hörte Poppäa sich plötzlich mit völlig heiserer Stimme sagen.

»Nein!« sprach halblaut der lispelnde Mund. »Das wäre auch Stümperei, wenn der dritte an der Familientafel stürbe. Aber sei unbesorgt, wir werden schon etwas finden.«

»Er tut es nie!« keuchte Poppäa und fühlte mit Staunen, daß ein Haß, ein Zorn, eine Gier sie schüttelten, deren sie sich eine Stunde zuvor nicht für fähig gehalten hätte.

»Er tut es! Er wünscht nichts anderes. Gerade jetzt ist er recht kitzlich in puncto Agrippina. – Und er wird es noch mehr sein, wenn er erfährt, was ich weiß. Nämlich: daß ein Mann bei ihr in Ostia war, als sie dort eine Nacht verbrachte.«

»Was?«

»Die Späher sind zwar Dummköpfe, der eine nannte den Mann übergroß, der andere unter Mittelmaß. Aber als ich selbst kam, hat endlich der Pförtner ausgesagt.« Tigellinus machte die Gebärde des Geldzählens.

»Es sind zwei Männer über die Mauer gestiegen, er hat die Spuren gesehen. – Denkst du, was ich denke?«

Poppäa schüttelte den Kopf.

»Hast du nie gehört, daß Piso einen äthiopischen Sklaven von ungewöhnlicher Größe besitzt?«

»Warum sagst du ihm das nicht?«

»Scheint dir Piso so wichtig, gilt es nicht vorher noch Lästigere zu beseitigen?«

»Du hast ja ein reiches Festprogramm.«

»So reich wie das des Festes, das ich zum nächsten Monat gebe. Weißt du, daß ich rings um den See für die Schiffsgefechte lauter Lupanare habe bauen lassen? Weißt du, daß die Frauen und Söhne der römischen Ritter sich geradezu herandrängen? Er wird eine Suburra kennenlernen, aber nicht die des Cestius, sondern die des Tigellinus. – Wenn man ein Kaiser ist, darf man keine Stümper zu Festordnern machen.«

Poppäa sann. Sie hob den Kopf und sah ihn an.

»Und Octavia?« hauchte sie.

»Das sind Kleinigkeiten. Zuerst die Mutter.«

»Dann aber gleich, Tigellinus. Gerade jetzt ist er toll vor Angst, weil sie in Rom war und drei Nächte später Sulla die Augustianerabteilung in der Suburra hat überfallen lassen.«

»Wir haben die gleiche Nachrichtenquelle«, stellte Tigellinus spöttisch fest. »Aber, im Vertrauen gesagt: es war nicht Sulla –«

»Was – war nicht Sulla –?«

»– der die Augustianer überfiel, weil er Nero und mich in ihrem Schutz vermutete –«

Poppäas Mund öffnete sich rund.

»Aber du hast doch den Anschlag entdeckt!«

»Nun – irgendwie mußte ich doch Cäsars neues Vertrauen in mich rechtfertigen –«

»Ja, aber – Sulla hat doch sterben müssen!«

Tigellinus hatte sich erhoben. Untersetzt, wuchtig stand er da.

»Müssen wir nicht alle sterben?« lächelte er.

 

Agrippina saß auf der Brüstung der Säulenterrasse und sah auf den Weg hinab, auf die blauen Schlagschatten der Pinien und Feigenbäume, die die Straße säumten, und auf ein im Mondlicht glitzerndes Dahinter, das Meer. Die Maste schlafender Schiffe ragten wie Schattenstriche gen Himmel. Das Meer selbst schien zu schlafen, ihr war, als hörte sie seinen großen Atem gleichmäßig gehen – wie damals Pisos jungen, blasenden Schläferatem –, wenn die Wellen unter der Terrasse an den Felsen spülten. Agrippina hatte umsonst zu ruhen versucht, hatte Alexandra lange, lange ihre Füße reiben lassen. Jetzt hockte die Alte am Fußende des Bettes zusammengesunken, die Stirne auf dessen Kante gestützt, und schlief.

»Ich muß klar denken –«, zwang sich Agrippina und drückte die Fingerspitzen beider Hände an die Schläfen. »Wenn du die Pläne eines Gegners durchschauen willst, dann hilft es dir nicht. – Oh, ihr Götter, denke ich an einen Gegner, wenn ich an meinen Sohn denke? Immer wieder schmerzt mein Herz, als müsse es aufhören zu schlagen. Aber es schlägt und schlägt ihm viel zu lange, viel zu lange. – Es hilft nichts – ich muß hindurch, ich muß. – Wie sagte sie, die große Livia? ›Wenn du die Pläne eines Gegners durchschauen willst, dann hilft es dir nicht, deinen Scharfsinn aufzuwenden. Schlüpfe in seine Haut und denke mit dem Gefühl, was du tun, wünschen, hassen, lieben würdest an seiner Stelle.‹ – Wenn ich Nero wäre – wäre, wie ich Nero eben bin – Untertan dem Eros, den Zeus in der Dione zeugte, und nicht jenem, der die Venus Uranos zur Mutter hat. – Ach, ach, Agrippina hat er zur Mutter, und sie erntet, was sie gesät hat. – Wenn ich also Nero wäre, so wäre das für mich ein ungeheures Aufatmen, ein ungeheures Kettensprengen, Tigellinus zum Diener zu haben. Pollio war nur der Jagdhund, der faßte und apportierte auf Befehl. Aber Tigellinus ist der, der dem Befehl in seiner Bereitschaft zuvorkommt, der ihn erst möglich macht dadurch, daß man weiß, was immer man befiehlt, seine Bereitschaft hat es schon erraten. – Ich, Nero, liebe Poppäa. Poppäa liebt mich nicht. – Ich, Nero, habe ihr den Gatten genommen, ich beleidige ihr Bett (man sagt, daß sie ihn täglich schilt und ihm droht, nach Lusitanien zu gehen, was sie nie tun wird). – Womit kann ich, Nero, Poppäa versöhnen? Klar! Klar! Mit dem Diadem von Rom. – Zwei Jahre hat er mich nicht besucht – nein, nein, zwei Jahre lang habe ich, Nero, meine Mutter nicht besucht – welch ein Unterschied im Denken, Livia hat recht, aller Schmerz meines Herzens fällt dabei weg und jetzt auf einmal lade ich sie in einem Schmeichelbrief, einem Liebesbrief, nach Bajä – lasse Poppäa in Rom – Tigellinus in Rom – aber auch Seneca und Burrus, gehe mit Anicetus nach Bajä – klar, klar – er will mich morden! – Oh! Oh! – Ist das möglich – großer Jupiter – ja, er will mich morden in Bajä! – Nein, unmöglich, ich bin wahnsinnig – ich weiß, daß er mich liebt – ich weiß es – kann ein Kind, das seine Mutter liebt, sie mit einem Schmeichelbrief nach Bajä laden, um sie zu morden? Kann er mit zweiundzwanzig Jahren die Erinnyen an seine Fersen heften? – Er, der vor nichts so zurückschreckt wie davor, im Spiegel des Volkes sein Antlitz minder strahlend zu sehen. – Kann er vor Volk und Senat einen entmenschten Muttermord auf sich nehmen? Nie! Nie! Das entmenschte Hirn ist meines, das solch einen Gedanken auch nur gebären kann! – Denn es genügte ja nicht allein, mich aus dieser Welt zu schaffen, aus dieser geliebten Welt der Pinien, der Vollmondnacht, des schlafenden Meeres – aus dieser Welt, in der es Pisos sternäugig ernstes Gesicht gibt und die überraschende Entrücktheit seiner Umarmungen nein, er müßte ja auch Octavia würgen, die Einundzwanzigjährige, deren Hochzeitstag auch ihr Witwentag zugleich war, und welches Volk der Welt gehorchte ihm dann noch? – Das Volk von Rom. – Caligula hat in offenem Wahnsinn getobt, hat zwei seiner Schwestern in sein Bett gezerrt. – Tiberius war aussätzig, und kein hübscher Knabe im Bannkreis von Meilen entging den Netzen seiner Treiber – und das Volk bespie ihre Büsten erst, nachdem der neue Cäsar ihm Sicherheit war für den Tod des alten. – Und ich selbst? Lag Claudius nicht schwarzblau und vom Tode krampfig verdreht – o nicht dies – nicht daran denken – und es hob sich keine Hand, nach mir zu weisen, es öffnete sich kein Mund, ›Mord‹ über mich zu schreien. – Wer soll mich schützen? Wen darf ich anklagen? Ich muß ihn eben tun sehen, was die Mutter ihn lehrte. – Ich gehe nicht – ich schreibe ihm, daß Krankheit mich festhält! Ich will nicht sterben –!«

Und da Agrippina die Säule neben sich in einem drohenden Anfall von Schwindel umschlang, der sie hinabzuschmettern drohte, sah sie plötzlich, scharf im Mondlicht gezeichnet, einen fremden Schatten vor sich auf den weiß und rot gewürfelten Terrassenboden fallen, den Schatten eines Mannes. – »Der Mörder!« dachte sie und fuhr mit einem gurgelnden Atemzug hoch.

Im nächsten Augenblick kam süß und brausend das Gefühl der Rettung über sie, des Geborgenseins, des Glücks.

»Atlas!« hauchte sie und warf irre Blicke um sich in dem Gedanken, wo der sei, müsse auch ein anderer sein.

Der Äthiopier zog die Kapuze seines zerfetzten Mantels vom Haupte. Er neigte seine Stirne dreimal, daß sie zwischen seinen Handflächen den weiß-rot gewürfelten Estrich berührte.

»Wo ist er? Wo ist dein Herr?«

»Zu Rom, Meleka! – Ich bringe Botschaft.«

»Gib!«

»Es ist kein Brief.« Der Äthiopier griff mit beiden Händen in sein Haar, aus dessen Wust er ein Ding hervorholte, um es auf seiner flachen Hand ihr darzureichen. Agrippina erkannte ihren goldenen Ring.

»Das gab mir mein Melek als Zeichen seiner Rede und er hieß mich eilen, Tag und Nacht, um dem berittenen Boten auf den Fersen zu bleiben, und er lehrte mich vier Worte: ›Geh – nicht – nach – Bajä!‹«

›Was?‹ keuchte Agrippina und rüttelte des Sklaven Schulter.

»Geh – nicht – nach – Bajä!« wiederholte Atlas.

Agrippina zog ihre Hand zurück und unterdrückte einen Schrei – die Hand war naß von Blut.

»Es ist nicht wichtig, Meleka! Sie beargwöhnten mich, aber ich hatte mir hellen, dicken Honig in die Augen gestrichen und spielte die Schildkrötenlaute und winselte um Almosen, da warf einer von ihnen einen Stein nach mir. – Es ist nicht wichtig, Meleka.« Und er wiederholte in seiner dicken fremden Zunge: »Wichtig ist: Geh – nicht – nach – Bajä!«

Seine rötlichen, angestrengt spähenden Augen unter buschigen wilden Brauen forschten, ob sie begriffen habe. – Dann, als sei seine Botschaft erfüllt, neigte er in schöner Ehrerbietung, mit ganzem Körper zusammensinkend, die Stirne zwischen den Händen. Im nächsten Augenblick schon war er entschwunden – fort – ein blauer Schatten, aufgelöst im blauen Schatten der Nacht.

»Atlas! – Ich habe ihm kein Wort für Piso mitgegeben – er wagt sein Leben für mich, und ich danke ihm nicht einmal – er wagt sein Leben für mich – er liebt mich – Piso liebt mich. – Ach nein, er bemitleidet eine einsame alte Frau und sagt ihr: ›Geh nicht nach Bajä!‹ Also ist Bajä der Mord und er weiß es. – Langsam, langsam! Bajä ist der Mord. Bajä ist, was ich zu vermeiden trachtete, was mich bewogen hat, zwei Jahre lang wie eine Scheintote zu leben. Ohne Rom, ohne Macht, ohne Ehre, ohne Gespräch, ohne Freunde, ohne Zirkus – ärger, ärger als auf der Insel, denn damals wußte ich, ich würde wiederkehren, damals begehrte ich das Diadem, damals besaß ich Seneca. Jetzt besitze ich nichts mehr als vier Worte: Geh nicht nach Bajä!

Warum? Wegen des bißchen Sterbens, dem ich jetzt oder später nicht entrinnen kann? – Sokrates, als die Freunde ihn beschworen zu fliehen, floh nicht.

Meine einzige Macht über Nero ist, daß er sich vor mir schämt. Wenn ich jetzt feige mich verkrieche, kann er mich dann noch achten? Wenn ich jetzt mich klein zeige – können die Sternaugen Pisos noch zu mir aufsehen? – Hingegen vielleicht, wenn ich Nero gegenübertrete, heiter und frei und über allen Dingen stehend, selbst über dieser erbärmlichen Angst, daß er mich morden könnte, vielleicht, daß ich sein wandelbares Herz wieder in Händen halte wie einst! Ich soll nicht nach Bajä gehen? Ich habe viele Fehler, Piso – aber Kleinlichkeit und Schäbigkeit sind nicht darunter. Soll die Tochter des Germanicus winselnd auf dem Bauche kriechen wie eine Hündin, die Schläge erwartet?!«

Agrippina tat drei, vier Schritte zum Bette hin und schüttelte Alexandra aus dem Schlafe.

»Wach auf, Alexandra! Wecke den Majordom! – Wir gehen nach Bajä!«

 

Am gleichen Morgen noch hatte Nero einen Wutanfall erlitten. Man hatte ihm gemeldet, daß die kleinen Handwerker, die Quacksalber und Barbiere, die zum Fünftagefest herbeiströmten, überall auf dem Wege von Antium bis Bajä die Bildsäulen der Agrippina und der Octavia bekränzt hätten. – Mehr als das: zu Bajä selbst sei die neugeweihte Venusstatue, der Poppäa ihre Schönheit geliehen hatte, über Nacht mit Kot besudelt und durch einen Steinwurf ihrer Nase beraubt worden. All die Zeit hatte Nero, seinen eigenen Zorn mächtig steigernd, zu Anicetus wiederholt: »Siehst du, darum hat sie mein Kriegsschiff verschmäht und die Landreise vorgezogen!«

Aber da man ihm das Herannahen der Sänfte ansagte, die er selbst, die Hand über kurzsichtig geblendeten Augen wölbend, noch nicht ausnahm, erkannte er das fast vergessene knabenhafte Angstgefühl in seiner Magengegend wieder, den Atemmangel von einst, und sagte sich: »Es ist gut, daß dies alles bald ein Ende hat!«

Agrippina sah Nero auf diesem märzhellen und frühlingsseligen Gestade auf sich zukommen. Er hatte die zwölf Lictoren, die Wachen, die Sänfte, er hatte gleichsam seinen ganzen kaiserlichen Prunk hinter sich gelassen. Er lief die letzte, allerdings kurz bemessene Strecke, die Ellbogen angeschlossen, in guter Haltung und gutem Tempo. Seit acht Tagen wartete er zu Bajä und hatte alles, was er vermochte, getan, um bei diesem ersten Zusammentreffen in gnadenloser Sonne vor ihren Augen zu bestehen. Acht Tage lang hatte er sich nur von seinen griechischen Sportlehrern, seinem Arzt, seinen Masseuren geleiten und leiten lassen, hatte sich bei der Tafel gehalten und, was noch viel schwerer war, im Bette. Seine goldenen zweiundzwanzig Jahre hatten die kurze Erholung, den ungestörten Schlaf gedankt. Er schien vor Frische und Freude geradezu zu strahlen, als er seiner Mutter wie ein Liebhaber entgegenlief. Er war mit großer Wirklichkeitstreue bräunlich geschminkt zum flammenden Haar, das deckte die in dieser Märzsonne sternenzahllos sprießenden Sommerflecken. Er winkte und rief, ohne noch zu sehen, von weitem mit klingender Stimme: »Mutter! Mutter!«

Agrippina hielt selbst den Sänftenvorhang zurück. Sie beugte gierig den Kopf hinaus, trank das Bild ein und fühlte tosendes Herzklopfen einer überwältigenden Wiedersehensfreude.

Jetzt war er heran, ließ den Sklaven keine Zeit, die Stufen herabzuschlagen, drängte Arme, Haupt, Brust ans Fenster, sagte leise noch einmal »O Mutter!« und dachte, während er wie eine Frau das Antlitz beim Kusse zu ihr aufkehrte: »Sie küßt mich – wenn sie mich einmal als Kind so geküßt hätte! – Freut sie sich wirklich? Freue ich mich wirklich? – Es ist alles vorbedacht und angelegt, es ist eine große Rolle, die ich spiele, und doch zittere ich dabei am ganzen Leibe. – Liebe ich sie wirklich oder bin ich der größte Mime aller Zeiten? – Ihr Götter, sie ist grau geworden – sie ist eine alte Frau. – Oder hat sie diese Haartracht, dies Matronengewand angelegt, um mich zu erobern? – Wollte sie für mich rührend und harmlos und abgetan wirken, wie ich für sie strahlend und als ›jugendlicher Gott‹ –?«

Agrippina dachte: »Mein Kind – mein Fleisch, mein Blut! Als ich ihn gebar, wie stolz war ich, wie voll von Glück. – Jetzt schlägt mein Herz wie damals. Ich habe den Nero der tusculanischen Bildsäule erwartet – ich war auf Laster und Verheerungen in diesem Gesicht gefaßt, nicht auf solchen steten Blick, solche Frische. Das Braun ist syrische Kunst, ich denk' es weg – aber, o Merkur, Gott der guten Begegnung, er zittert ja – das ist nicht gespielt. Kann es sein, daß er sich freut wie ich?«

»Du siehst gut aus«, sagte sie und strich ihm übers Haar.

»Ich gefalle ihr. Ich habe gesiegt!« dachte er und errötete unter der Schminke vor Triumph. Er gab ihren Sklaven einen Wink, die Sänfte wieder aufzunehmen und ging nebenher, mit der linken runden Hand ans Fenster angeklammert wie ein Liebhaber. Er schwatzte zu ihr auf, vergnügt, wie er es schon lange nicht mehr gewesen. »Aber du, Mutter, du bist schöner als je. Was hast du gemacht? Alle deine Falten sind fort, ich schwör's bei Venus.« Agrippina lächelte.

»Kluge Frauen hören Schmeicheleien ebenso gerne wie die törichten, nur mit minderem Glauben.«

»Nein, im Ernst, du bist jünger als je! Was hast du für einen Schönheitspfleger?«

»Den Schlaf, mein Junge, der nicht mehr durch Gedanken an Politik gestört ist –«

»Klug – klug wie eine Füchsin!« dachte Nero. »Seien wir's auch und tun wir, als ob wir ihr glaubten. – Ist sie wirklich gewandelt, oder bekomme ich die Prankenschläge noch später zu spüren? Welche Möglichkeit wünsche ich mir von beiden? Die Wandlung gäbe mir bessere Stichworte für meine Rolle, die Prankenschläge machten mir den Entschluß leichter – Unsinn! Entschluß? Drunten in der Bucht liegt ja schon das Schiff – nicht daran denken – mein Gesicht ist zu ausdrucksvoll, sie bemerkt's –«

Er faßte ihre Hand, schmiegte, sich reckend, seine Wange an sie und murmelte »Mutter!«

Agrippina dachte: »Der Mord an Montanus – das Fest des Tigellinus – der Mord an Sulla – Pisos Warnung – sollten das alles bloße Lügen sein? – Wenn er so blickt wie vorher, möchte man's glauben – aber jetzt – diese Augen, Unheimliches liegt ihnen auf dem Grund!« Sie fragte: »Wie lange bist du in Bajä?«

»Acht Tage warte ich schon auf dich, Mutter! Du hast lange gezögert, und mein schönes Kriegsschiff, den schnellsten Dreiruderer, hast du verschmäht. Warum, Mutter?«

(Da ist er wieder, dieser Blick – Vorsicht!) »Ich dachte, die Sänfte geziemt mir besser.«

Er lachte. »Der geliebten Mutter des Kaisers von Rom?« (Das ›geliebte‹ war nicht gut. Ich muß Wein haben, schweren Falerner, und ihr leichten Cäcuber mischen lassen, sonst spiele ich schlecht –)

(Kann es sein, daß er in den acht Tagen hier ohne Poppäa und Tigellinus sich zum Guten gewandelt hätte? Oh, ihr Götter, man glaubt so gerne, was man glauben möchte. Ist es denn unmöglich, daß ein Kind nach drei Jahren ehrliche Sehnsucht nach seiner Mutter gefühlt hat, ehrliche Freude fühlt, sie zu sehen? –)

»Dies ist Bajä«, sagte Nero, auf den paradiesischen Hain von Mimosen und Kirschblüten und Zypressen weisend, hinter dem das marmorne Haus schimmerte. – »Es ist dein, Mutter! Und ich bin nur dein Gast.«

Als Agrippina aus der Sänfte stieg, sah sie, wie die Verkörperung der Vergangenheit, ihr eigenes Bild vor sich – eine ragende Bildsäule aus claudischer Zeit, die sie im Diadem der Augusta zeigte. Der Sockel der Statue war mit Rosengirlanden umkränzt.

»Es ist nicht die einzige Statue, die Liebe heute bekränzt hat«, sagte Nero, mit einer Handbewegung auf sie deutend.

»Hat es ihn gekränkt?« fühlte sie, sah ihm voll in die Augen und sagte: »Ja, aber diese ward es auf deinen Wunsch, mein Herz!«

 

Nero ging auf und ab, während Agrippina badete, und redete die ganze Zeit im Geiste mit ihr und formte ihre Gegenreden. All die Zeit hatte er Herzklopfen, biß Nägel und riß, sich ertappend, immer wieder die Hand, die rötlich überflaumt war, vom Munde. – Er bemerkte mit Erstaunen, daß niemand, weder Poppäa noch Tigellinus, ihn in solche Anstrengung aller Kräfte versetzt hatte. »Liebe ich sie? Oder hasse ich sie? – Die Menschen scheiden die Gefühle so scharf, und doch verschwimmen ihre Grenzen. – Gibt es einen Menschen auf Erden, der das geliebteste Wesen nicht schon einmal gehaßt hätte und dem verhaßten gegenüber nicht in irgendeinem flüchtigen Moment Neigung empfunden – Sympathie, Anziehung, wie ihr es nennen wollt? – Ein ausgezeichneter Gedanke. Ich muß ihn Seneca und Lucanus sagen – oder habe ich ihn vielleicht von einem der beiden gehört? – Tut nichts, ich werde ihn entwickeln, und sie werden zwinkern und kopfnicken – und sagen, er sei wunderbar. – Aber das ist meine Rolle von morgen – ach – wenn alles gut und schon vorbei ist! Jetzt aber steht die viel schwerere von heute vor mir –«

Nero hob die Hand, dem Mischsklaven zu winken, daß er ihm einen Becher brächte, ließ sie aber schuldbewußt ertappt herabsinken, denn Agrippina kam durch den Rosengarten des Atriums. – Jetzt trug sie ein Gewand aus leuchtend blauer asiatischer Seide, dessen Kanten geknüpfte Seidenfransen beschwerten, die, als ginge sie durch seichtes, nächtliches Wasser, vor ihren Füßen bald zurückwichen, bald sie verhüllten.

Agrippina hatte die Zeit verwandt, Überraschung und Erregtheit aus ihrem Sinn zu bannen. Ihr Gesicht war mild und beherrscht und ihre Stimme sicher, als sie, auf den Polster einer Marmorbank im Schatten des Sonnendaches sich niederlassend, zu ihm sagte: »Nun erzähle viel! Erzähle von dir!«

Und Nero verfiel der Verführung. Bald kauerte, bald kniete er, bald legte er den Kopf auf ihre Knie. – Er sprach und sprach, und Agrippina lauschte diesem Hagelregen des ich, ich, ich, ich.

»Nero hat Vertraute der Lust gehabt, aber niemals Vertraute der Seele«, dachte sie, »Wenn es mir gelingt, ihm Zutrauen zu mir einzuflößen, vielleicht, vielleicht –«

Er erzählte, als seien alle inneren Dämme geborsten. – Szenen aus dem Senat zuerst, aus dem Gerichtssaal, aus dem Zirkus, vom Forum – Nero, der Gott, Nero, der Richter, Nero Augustus, Nero, der Liebling von Rom. – Dann aber, von Agrippinas groß verweilendem Blick, von der unbewegten klugen Ruhe ihres aufgetanen Hörens verlockt, begann er irdischere Bilder vor sie zu bannen. – Sulla um zweifelhafter Anklage willen aus dem Wege geschafft. – Montanus um zweifelhafter Begegnung willen zum Selbstmord getrieben. – Suillius um seiner Güter willen verbannt. – Lepida von Paris um seine Freikaufsumme geprellt. – Es ging ihm beim immer schrankenloser werdenden Reden wie beim Wein. Auch wenn er sich fest vorgenommen hatte, diesen den letzten Becher sein zu lassen, ließ er ihm doch noch einen bestimmt letzten folgen, einen allerletzten und dann nur diesen einen noch. – »Ich sollte ihr nicht so viel sagen, ich sollte nicht«, dachte er und zuckte unsichtbar die Schulter dabei, »aber was tut es, im Hafen liegt ja das Schiff!« Er dachte nicht: »Morgen ist sie tot!« Das konnte er nicht, er dachte an das Schiff und an den geheimen Hebel, von dem Anicetus gesprochen hatte. Den Hebel, den die Faust des ersten Steuermanns nur zurückzudrücken brauchte – er sah den Hebel, sah die braune, riesige Faust. Aber an das, was Faust und Hebel bewirkten, sträubte er sich zu denken.

All die Zeit hatte er Poppäas Namen nicht genannt. Plötzlich nannte er ihn, in Agrippinas Antlitz starrend, in dem kein Zug sich bewegte, und erzählte davon, wie er Otho nach Lusitanien verschickt hatte, wohin der den Crispinus hatte schicken wollen –.

»Sie sagen, Otho sei ein ausgezeichneter Statthalter geworden. Meinst du übrigens nicht, daß für ihn drei Legionen und neun Kohorten ein bißchen viel sind? Für einen, der den Kaiser haßt?«

»Gades ist weit von Rom!«

»Nicht so weit, daß drei Legionen und neun Kohorten es nicht in Gewaltmärschen erreichen könnten, sogar, wenn er wie du die Schiffe vergäße.«

»Weißt du etwas, Mutter? Warum redest du nicht?«

»Ich weiß nichts, Nero, ich warne bloß.«

»Bei deinem Leben, Mutter?«

»Bei deinem und meinem Leben«, lächelte die Stimme. – »Sage mir, liebst du Poppäa?« Er zögerte.

»So sehr du eine Frau lieben kannst?«

»So sehr, ja!«

»Sie will Kaiserin von Rom werden?« fragte Agrippina.

Er schwieg, von wirren Gedanken bestürmt.

»Sie kann nicht daran denken«, sagte Agrippina fest.

»Warum, Mutter!? Warum durfte Cäsar viermal heiraten und Claudius sich dreimal scheiden lassen?«

Agrippina sagte sehr sanft: »Weil sie die Frauen eben geheiratet haben, Nero!«

Nero schwieg böse. – Er sagte: »Man könnte bei Octavia Ehebruch anführen. Poppäa meint zum Beispiel, mit dem Flötenbläser Eucerus!«

»Meint Poppäa? Ich fürchte, das Volk wird es nicht meinen.«

»Man sagt, daß Piso ihr Geliebter ist.«

Er fühlte ein Zucken durch sie gehen. »Was ist das?« dachte er. »Was, was? Piso! Liebt sie Piso? Wenn er sich von Galla scheiden läßt und sie heiratet, so sind ihre Söhne ja viel erbberechtigter als ich. – Ich Narr! Ich Tor! Sie geht ja aufs Schiff, und ich werde endlich Frieden haben vor ihrem ewigen drohenden Frauentum. Sie soll nur gehen, sie soll nur auf das Schiff gehen! Ich kann auf einer Erde mit ihr nicht leben!«

Er sagte lauernd: »Du verbietest mir also mit einem Wort, Poppäa zu heiraten?«

Die sehr ruhige Stimme antwortete: »Ich habe es aufgegeben, dir etwas zu verbieten oder etwas zu fordern, Nero. Du mußt auf eigene Verantwortung und nach eigenem Willen leben.«

»Bisher hat sie nicht durch ein Wimpernzucken sich ins Unrecht gesetzt«, dachte er. »Ich weiß nicht, ob ich entzückt bin oder enttäuscht. Zumindest reizt es mich rasend, mehr zu erzählen, so lange zu erzählen, bis sie aufzuckt und die Maske abwirft. – Bei Poppäas Namen hat sie nicht gezuckt, vielleicht könnte man doch mit ihr leben? Ich bin Cäsar, liegt es nicht an mir, Anicetus mit seinem Schiff zum Hades zu schicken?«

»Mutter, es ist so schön mit dir!« flüsterte er. »Mutter, ich liebe dich!«

»Wirklich?« hörte er ihre vor Glück schwankende Stimme, und während er den Kopf in ihrem Schoß barg, die kühle Seide an heißer Wange, die sanfte Hand in seinem Haar fühlte, dachte er: »Hab' ich das gesagt, weil die Stunde es eingab, oder ist es mein Herz, das gesprochen hat? Sollte das Wunder geschehen sein, daß Claudius Nero auf einmal nicht nur Sinne hat, sondern ein Herz?«

Plötzlich erzählte er ihr, wie er knapp vor seiner Abfahrt hierher die Alten, die berufenen Väter im Senat, halb toll vor Angst und Verlegenheit gemacht hatte, weil er die Akte der Regelung von Abgaben bei Getreideausfuhr aus überseeischen Provinzen plötzlich mit Cajus Sextus unterzeichnet hatte – »haha, verstehst du, statt mit meinem eigenen Namen. Sie dachten alle, ich sei im Augenblick toll geworden wie Oheim Caligula. Das ist immer das erste, was die Leute bei mir denken, wenn ich nicht wie ein Esel im Göpel kreistrabe –«

»Und was war es, was du dachtest?« fragte Agrippina.

»Ich weiß nicht, was ich dachte, Mutter! Ich schrieb. – Vielleicht war ich in diesem Augenblick Cajus Sextus, und es war ein Vertrag über eine eben verkaufte Sau, unter den ich, mühsam kritzelnd, meinen Namen setzte. – Vielleicht dachte ich, wie glücklich ich sein würde, wenn ich Cajus Sextus wäre –«

»Bist du nicht glücklich?« fragte Agrippinas Stimme.

Agrippina sah sein Gesicht nicht.

»Verrate ich ihr auch das noch?« dachte er. »Ich sage es, es ist das Allerletzte, was ich verrate!«

»Kann ein Mensch glücklich sein, dessen Los es wäre, Befehlen zu gehorchen, und auf dessen Befehle die ganze Welt im Staube kriechend wartet? Soll es mich nicht anekeln, wie sie vor mir kriechen, Mutter? Wer bin ich, daß sie vor mir kriechen? Soll es mich nicht verführen, sie dafür büßen zu lassen, daß sie mir dienen?« Angespannt wartete er, aber ihre Hand ward nicht von seinem Haupt genommen, gleichmäßig wiederholte sie die rhythmisch glättende Liebkosung. Dann fragte die Stimme der Mutter:

»Ist das Tigellinus' Macht?«

»Ja, das ist Tigellinus' Macht über mich, daß er sagt: ›Laß dich nicht bitten. Na also, wirst du kommen?‹« und Nero ahmte täuschend Tigellinus' lispelnd kalten Tonfall nach.

»Ja«, sagte Agrippina sinnend.

»Mutter, Mutter, erkennst du mich jetzt? Das habe ich niemandem je gesagt.« Und sie küßten einander.

»Nein, das kann er niemandem gesagt haben!« dachte Agrippina.

Und während er küßte, dachte Nero: »Herodot schreibt irgendwo von einer asiatischen Fürstin, die die Liebhaber ihrer Nacht am Morgen töten ließ. – Man kann nur Leuten vertrauen, die am Morgen aufs Schiff gehen –«

»Ach, Mutter, wie wohl hat das getan, endlich einmal reden zu dürfen – in tiefer Nacht.«

»Ja, es ist Nacht, Nero, und ich will fort. Höre, ich will dich nur vorher –«

»Nein, Mutter, geh nicht fort. Bleibe da. Bleibe bei mir, schlafe hier im Hause, geh nicht aufs Schiff!«

»Sonderbar – dieser Ton«, dachte Agrippina eisüberrieselt. »Warum drängt er so? Warum soll ich die Nacht in diesem Hause schlafen, wo ich –«

»Nein, Nero. Man soll seine Entschlüsse nicht so plötzlich umstoßen. Es war bestimmt, daß ich zu Schiff heimfahre. So soll es sein!«

»Mutter, ich bitte dich, willst du nicht hier übernachten?«

»Nein!« sagte Agrippina. »Ich habe dich gesehen und es ist alles gesagt. – Nur eines noch: die Heere in Germanien sind so lange unbeschäftigt, daß sich dort das Gerücht verbreiten konnte, du habest dem Legaten das Recht zur Kriegsführung entzogen.«

»Herkules! Welchem Legaten? Wie du alles weißt, Mutter!«

»Es ist meine Schuld, daß die Legion vom Rhein nach Parthien kam, so muß ich sie wohl gutmachen helfen. Die Friesen unter Veritus und Malorix sind eingefallen und haben das Land besetzt.«

»Und mein Statthalter Aritus?«

»Hat bisher nicht mehr getan, als mit deiner Rache gedroht. – Willst du dir die Namen notieren?«

»Unnötig, Mutter, wir Mimen leben von unserem Gedächtnis. – Woher weißt du das alles? Ich dachte, du kümmerst dich nicht um Politik?« fragte Nero rasch, scharf.

»Mein Nachbar zu Tusculum, der General Vespasian, hat es mir erzählt.«

»Der alte Bauer Vespasian!« lachte Nero.

»Ein kluger alter Bauer und hat einen noch klügeren Sohn«, sagte Agrippina und stand auf. »Ich gehe, Nero. Ich danke dir für den schönen Tag. – Meinen schönsten, Nero!«

»Wenn sie dableibt, soll sie leben!« dachte Nero. Er rutschte ihr auf den Knien nach. »Bleib bei mir. Bleib bei mir, Mutter. Ich habe keinen Menschen sonst, Mutter!«

Sie war von der Anspannung dieser Stunden, von all dem, was sie gehört, was sie bestürmt hatte, so zum Umsinken erschöpft, daß sie nur die eine Sehnsucht hatte, von ihm fort zu sein, um zu überlegen, zu sichten, zu bedenken. Sie hatte das Gefühl, nicht ein halbes Wort mehr, nicht eine Geste, nicht einen veränderten Ausdruck seines Gesichtes mehr in sich aufnehmen zu können.

»Lebe wohl!« sagte sie und küßte ihn hastig. – Sich wie zur Flucht wendend, rief sie: »Aceronia, wir gehen!«

Nero erhob sich taumelnd, geblendet vom herbeigebrachten Licht.

»Die Götter haben entschieden!« dachte er.

»Lebe wohl!« sagte Agrippina, noch einmal sich wendend.

Er stieß einen Laut aus, halb Schluchzen, halb Schrei. Er stürzte ihr nach, riß sie an sich, küßte ihren Mund, ihre Augen, ihr Haar, ihre Hände, geschüttelt von Schluchzen, unfähig, von ihr zu lassen, bis Agrippina sich ihm sanft und glücklich lächelnd entzog.

»Auf Wiedersehen!« sagte sie und ging, und war schon mit ihrem unbeeilten, federnden Schritt verschwunden, hinter sich Creperejus und Aceronia und ihre Sklaven und seine Sklaven und seine Wachen.

Er hielt eine Säule umschlungen, ihm war sterbensübel. »Die Götter haben entschieden«, stammelte er ein übers andere Mal und dann: »Sie weiß zu viel, es ist besser so.«

Sein Gesicht war überströmt von Tränen. Aber im Schatten der Säule meinte er reglos einen anderen Nero stehen zu sehen, einen neuen Nero, der mit kalter Neugier zusah, wie natürlich er weinte.

 

»Welch eine Nacht!« sagte Creperejus und bog sich vor, um unter dem von Säulchen getragenen Verdeck der offenen Kabine zum Sternhimmel aufzusehen. »Es ist, als hätten die Götter alle ihre Festlichter entzündet, um diesen Tag der großen Versöhnung zu feiern.«

»Es ist warm wie im Juni!« sagte Aceronia. Sie hatte sich auf das Fußende des Ruhebettes gesetzt, auf dem Agrippina geschlossenen Auges lag. Den Rücken an die hohe Bretterwand gelehnt, saß sie glücklich strahlend da und streichelte Agrippinas reglose Hand.

»Der Kaiser war auch schon ganz braungebrannt«, schwatzte sie. »Wie schön er ist, ganz seiner Mutter Sohn! Hast du gesehen, Augusta, wie schwer es dem Kaiser fiel, seine Mutter gehen zu lassen? Bei Juno, ich habe geweint!« Und sie weinte wieder.

»Wenn sie nur schwiege!« dachte Agrippina. »Mein Kopf schmerzt so rasend und ich kann keinen Gedanken zu Ende denken.«

»Du wirst an Aceronia denken, Augusta! Alles wird jetzt anders werden. Es werden goldene Zeiten kommen, für dich, für Rom, für –«

»Das war ja die Schiffsglocke!« dachte Agrippina. – »Das war Alarm! Kann das Schiff in solch einer Sternennacht kentern?«

Im Augenblick, da sie sich aufrichten wollte, kam ein ungeheures Krachen. Das Dach der Kabine stürzte mit einem Donnern ein, das keineswegs der Leichtigkeit solcher Sonnendecke entsprach. Mit der polternden Schwere eines Erdrutsches kam es herab, und vor ihren Augen sah Agrippina den alten Creperejus zerquetscht werden wie eine Kröte. – Aceronia begann zu schreien, und Agrippina richtete sich mit einem Ruck auf den Knien auf. »Es ziemt der Tochter des Germanicus nicht, im Liegen zu sterben!« dachte sie, und: »Es muß ein Felsblock herabgerutscht sein. Das Schiff ist dem Ufer näher, als ich glaubte.«

»Schweige doch!« herrschte sie Aceronia an. »Siehst du nicht, daß die hohen Lehnen des Bettes uns geschützt haben?«

Sie saß wie ein Götterbild im engen Schrein in dem zwischen den bronzenen Seitenwänden und der eingestürzten Decke entstandenen Raum. Plötzlich bückte sie sich. – Vor dem Ruhebett lag, was den armen Creperejus hatte sterben lassen, ein grauer Brocken, den sie heben wollte und viel, viel zu schwer fand. – Ihr Herz begann rasend zu schlagen. »Das war kein Felssturz, nein, wir sind auf dem Meer. – Blei! – Wie kommt solch eine ganze Last von Blei auf das Sonnendach einer Kajüte? O Nero, Nero! Und du hast mich geküßt!«

»Nicht rufen, Aceronia! Hörst du sie nicht draußen hin und her rennen? Sie arbeiten schon an unserer Rettung. Weine nicht, siehst du nicht, daß nichts geschehen ist?«

»Wenn die Närrin nur schwiege«, dachte sie, »es gilt still zu liegen wie die Schlange unterm Stein. – Am besten, sie denken, ich sei tot und abgetan, dann kann ich uns retten. – Das also war Pisos Warnung. Ich hätte nicht gehen sollen. Aber nun bin ich gegangen und es gilt hindurchzukommen. – Sie rennen hin und her. – Es ist klar, jene, die nichts wissen, hindern die, die eingeweiht sind. – Wenn ich vorkrieche, kann ich vielleicht sehen, was am Werke ist.«

»Still, Aceronia! Ich versuche jetzt, ihnen Zeichen zu geben. Oh – Creperejus, dein Blut – armer Freund – statt meiner gestorben. – Ja, jetzt sehe ich, obgleich sie die Lichter gelöscht haben – Anicetus. Wie aufgeregt Anicetus brüllt. Die Ruderer sollen das Schiff kentern lassen und verstehen nicht, was er will, arbeiten, es zu retten. – Die nagelneue Trireme. – Man muß gestehen, Nero scheut keine Kosten, die Mutter aus der Welt zu schaffen. Ich bin kalt, ich bin leer und totenkalt, ich habe keinen Schmerz, keinen Zorn, nur Neugier, wie das Spiel weitergehen soll. – Der Boden schwankt, jetzt hat er's erreicht, jetzt sinkt das Schiff. Creperejus, du hast mich schwimmen gelehrt –«

In einem Höllenlärm von Pfeifen, Metallgongs, von Befehlen, Schreien, Bohlenkrachen, vom Heulen der Rudersklaven, die drunten die Bänke, an die sie gekettet, waren, zerbrachen, um sich retten zu können, während die Geißeln der Aufseher auf ihr Fleisch klatschten, neigte sich langsam das Todesschiff.

Agrippina zerrte Oberkleid, Schmuckkranz und Sandalen ab und wand sich unter den Trümmern des Einsturzes hervor, Aceronia nach sich zerrend. Sie sah, daß sie richtig berechnet hatte, als sie annahm, die ganze Mannschaft werde zum Heck des Schiffes drängen.

»Jetzt spring und schwimm weitab vom Schiff!« befahl sie der Wimmernden. – Niemand sah die Frauen, als Agrippina die Gefährtin fast mit Gewalt ins Wasser stieß und selbst nachsprang. Agrippina schwamm, das Pandämonium schreiender, fechtender, sterbender Menschen hinter sich lassend, in dem dunklen riesigen Wasser mit gleichmäßigen, ruhigen Stößen sicherer Kraft. »Ich bin besser geschwommen als Caligula, als Drusilla, als Domitius, als sie alle!« dachte sie und ein wilder Triumph erfüllte sie, eine rasende bacchische Freude zu leben, noch jung, noch stark genug zu sein, um sich allein aus eigener Kraft zu retten. – »Beinahe muß ich Nero danken«, dachte sie in bitterer Heiterkeit, das gelöste Haar, das schwer von Wasser strömte, schüttelnd, während sie gierig Atem holte, den sie kalt in den Nüstern fühlte.

Da hörte sie hinter sich die markerschütternden Schreie Aceronias: »Hilfe! Hilfe! Ich ertrinke!« – und wie ein Soldat beim Tubensignal kehrte sie um, tat ein paar Tempi in der Richtung, aus der die Stimme kam.

»Hilfe! Ich bin es, Agrippina! Helft der Kaiserin!« hörte Agrippina die Hofdame schreien.

»Was, bist du noch nicht hin, Bestie! Wenn schon um deinetwillen so viele sterben?!« schrie ein Matrose vom Rettungsboot, und Agrippina sah, wie man mit Stangen und Rudern die törichte Aceronia erschlug, die sich ihren Namen angemaßt hatte.

Das treibende Holz einer Ruderbank stieß mit Wucht an ihre Schulter. Agrippina fühlte es nicht. – Ihr warmes Blut mischte sich dem eisigen Wasser. Sie achtete es nicht. Sie schwamm und schwamm mit gleichmäßigen Stößen – ihr Körper arbeitete, ihr Hirn lag lahm.

Sie dachte: »Komödie. Alles nur Komödie. Die Küsse, die Tränen, die Beichte, die Bitte, bei ihm zu bleiben. Jeder Ruderknecht kennt sein Herz besser, als ich es kenne. Der weiß, daß es gilt, ungestraft mit dem Bootshaken dreinzuschlagen, wenn eine ruft: ›Rettet mich, ich bin Agrippina!‹«

 

Zu Agrippinas Füßen stand ein Rollenhalter aus korinthischem Erz, in den sie die hastig und ungeduldig aufgerollten Schriften wieder zurücksteckte.

»Ich kann nicht lesen«, sagte sie zu Alexandra, die auf dem Estrich kauerte.

»Du solltest zu Bett gehen, Herrin, es ist spät«, murmelte die Amme.

»Ich kann nicht schlafen, obwohl ich zum Umsinken müde bin. Alexandra, ich sage dir, dies ist nicht gut, nicht gut, kann nicht gut sein.«

Seit vierundzwanzig Stunden zermarterte die Amme ihren törichten Kopf, um neue Trostgründe für Agrippina zu finden, nun begann sie wieder mit den alten.

»Herrin, der Brief war doch so gütig, so klug. Das Herrchen kann nicht anders, als sich darüber freuen. Ich bin sicher, daß Agermus nur darum noch nicht mit der Antwort zurück ist, weil –«, die Amme stockte, »weil das Herrchen mit ihm kommt. Ja, ja, du wirst es sehen! – Wie Agermus ihm die Botschaft brachte, du seiest durch Fischerbarken gerettet, hat das Herrchen seinen schnellsten Syrier satteln lassen – und wird bald hier sein!«

»Närrin, die ich bin! Einen Augenblick habe ich jetzt fast daran geglaubt, daß dies möglich wäre«, dachte Agrippina, »aber es ist nicht möglich. Es gibt kein Wiedersehen nach dem Abend von Bajä. Was sollten wir einander sagen? Soll er mir sagen: ›Sei mir nicht böse, Mutter, daß ich dich wie eine räudige Katze habe ersäufen wollen!‹? – Soll ich ihm sagen: ›Ich bin dir nicht böse, aber ich kann dein Gesicht nicht mehr sehen!‹? – Denn ich kann es nicht mehr sehen, dies Gesicht. Nie wieder, nie, nie, nie! – Hasse ich ihn? – Nein, das ist es nicht, ich verstehe ihn viel zu gut. – Ich habe ein Gefühl der Übersättigung, und ich sage mir sogar, seit ich nach der Schreckensnacht die Gedanken habe sammeln können – und es war eine Schreckensnacht, trief naß im Boot und auf den Dämmen die ungeheure Menge mit Lichtern und Fackeln, mit Segenswünschen und Gelübden für meine Rettung, und ich einzig im Gedanken, daß diese rührende Liebe ihn noch mehr ereifern würde – ja, seit damals sage ich mir, daß niemals Schuld und Unschuld auf zwei Partner verteilt sind und daß, wenn ein Sohn die Mutter haßt, ihr Maß an Schuld ein wohl gerütteltes sein muß. – Wenn ich aber dies klar und kalt erkenne – mir ist kalt, Alexandra, laß mir warme Tücher bringen! – ja, wenn ich dies klar und kalt erkenne, dann kann die Folgerung nur sein, daß ich den Tod willkommen heißen muß. – Eine Mutter, die nur den Wunsch hatte, ihre Lebensidee durch ihren Sohn erfüllt zu sehen, und die ihn statt dessen zum Muttermörder macht, ist schon schuldig gesprochen, so daß ihr nur der Tod als Sühne übrig bleibt. Es ist auch sonderbar, ich habe um mein Leben gekämpft, ich habe alle Kraft darangesetzt, mich schwimmend zu retten, und jetzt freut mich dies neueroberte Leben nicht mehr. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich kampflos mit dem Schiffe gesunken wäre. Aber dies wäre nicht Agrippina gewesen. – Nein, ich denke nicht daran. Will er mich aus dieser Welt haben, dann muß er sich schon selbst bemühen. Ich denke nicht daran, seinen Henkern die Arbeit zu ersparen. – Nero, ich habe ihn unendlich geliebt auf meine Art, die sicherlich falsch war. Jetzt liebe ich ihn nicht mehr. Steht es dafür zu leben, ohne einen Menschen lieber zu haben als sich selbst? Steht es dafür, mit Listen solch armseliges Leben zu retten? Warum starrt mich Alexandra so an? Habe ich laut gesprochen?«

»Wo bleiben die warmen Tücher? Mich friert!«

»Herrin, ich habe Syrus danach geschickt, er ist nicht wiedergekommen!«

»Nicht wiedergekommen? Auch er wie Agermus? Nun, ihn zumindest hält wohl Nero nicht zurück. Ich höre ja draußen Stimmen. Schwatzen sie draußen, während ich warte? Gib das Zeichen, Alexandra!«

Mit Hast erhob sich Alexandra und schlug mit dem an der Kette hängenden Klöppel auf die Bronzeplatte. Der tiefe Ton hallte versummend in völliger Stille. Agrippina lauschte vorgebeugt: kein Hasten von sich überstürzenden Sklaven, kein vielstimmiges »Hier bin ich!«

Alexandra starrte schreckensbleich in Agrippinas erblassendes Gesicht. Plötzlich flackerten zischend die Lichter auf. Wie von jähem Luftstoß blähte sich der Seidenvorhang der Tür.

»Was sind das für Schritte?« hauchte Agrippina und warf die Decken ab.

Alexandra horchte, vier Finger der Linken im offenen Munde, den Kopf in den Nacken geduckt, bebend. »Ich – will, ich will nach den Tüchern sehen!« stammelte sie und lief, lief – nicht nach der Tür, hinter der gedämpftes Geräusch herklang – nein, zu jener, die in den Dienergang führte.

»Verlässest auch du mich?« rief Agrippina ihr nach, beide Hände am Halse, wie erstickt. »Angst! Angst! Auch Alexandra hat mich verlassen, zu der ich gut war wie zu niemand sonst. Ich will nicht sterben! Ich will nicht schon sterben. Ich bin siebenunddreißig Jahre alt. Piso! – Ich will nicht dieses süße Leben hergeben – Oh, nur nicht den Tod! Lieber zurück nach Tusculum, lieber zurück in die Verbannung der Insel.«

Der Türvorhang klirrte an seinen Ringen zurück. »Das ist der Mord!« dachte Agrippina. »Anicetus! – Der Triarch Herculejus hinter ihm, oh, der haßt mich, ich sprach gegen seine Beförderung! – Der Centurio Obarites! – ich habe seinen Vater in die Verbannung geschickt – steht denn mein ganzes Leben auf, mich anzuklagen? – Diese Gesichter! In allen dreien steht heute: ›Mord!‹, wie in den Gesichtern der Boten von damals ›Freispruch!‹ stand. – Nun, wenn Nero klein genug ist, mir seine Henker zu schicken, so will ich groß genug sein, ihnen zu begegnen –«

»Wenn du kommst, Anicetus, um zu sehen, wie es mir geht, so melde deinem Kaiser, daß ich mich erholt habe. Kommst du aber als Mörder, so glaube ich nicht daran, daß mein Sohn den Befehl gegeben hat!«

Herculejus trug den Triarchenstab, den sie ihm einst mißgönnt hatte. Jetzt hob er ihn mit verzerrtem Gesicht und schlug zu. Der Schlag war vielleicht nicht mit großer Kraft geführt, aber er traf Agrippinas wunde Schulter, und ein Blutstrom färbte hervorschießend ihr Gewand. Sie schwankte vor Schmerz, aber sie tat keinen Laut. – »Das ist das Ende!« dachte sie, »und es ist gut, daß das Ende kommt.«

Sie sah den Centurio das Schwert heben. Sie griff zu und riß mit einem Ruck ihr Kleid entzwei.

»Stoß in den Leib, der Nero geboren hat«, sagte sie.

Und der Centurio Obarites stieß zu.

 

Siebenmal auf dem Wege von der Säulenhalle des Tiberianischen Palastes bis zum Einlaß in den Audienzsaal hatte Piso den Centurionen der aufgestellten Wache Rede stehen müssen. Siebenmal hatte er das Täfelchen seiner Einberufung vorzuweisen gehabt, das er am Ende gar nicht mehr wieder im Gewandbausch versorgt hatte. An der Türe zum Audienzsaal empfing ihn jetzt Pollio in der Rüstung eines Obersten der Leibwache, den purpurnen Adler, das Zeichen der Augustianer, auf der linken Schulter eingestickt. Er führte das kaiserliche Siegel der stumm vorgehaltenen Wachstafel an den Mund.

»Na, Bürschchen«, dachte er, die Brust vorwölbend, »wer ist gescheiter gewesen? Du, der nie an Nero geglaubt hat, oder ich, der ich zu ihm gehalten habe? Was wirst du sagen, mein Lieber, wenn du mich erst als Präfekten sehen solltest?«

»Solch ein Tier auch noch küssen müssen!« dachte Piso. »Welch ein Unfug, daß halb Rom die Wange feucht hat von den Küssen der anderen Hälfte –«

»Sei gegrüßt in Neapel!« sagte Pollio. »Wir erwarten dich hier seit gestern mittag.«

»Es hatte mir nicht den Anschein«, antwortete Piso kühl. »Ich wurde siebenmal verhört wie ein unbefugter Eindringling.«

Pollio lachte ein sattes Lachen. »Das darfst du meinen braven Jungen nicht krumm nehmen. Meine Augustianer wollen keine Gefahr laufen, einen Verschwörer durch ihre Finger wischen zu lassen wie die Prätorianer zu Bajä! Sie zittern noch immer um Augustus, auch wenn, Dank der Minerva, die Hexe sich endlich zum Hades begeben hat. – Du starrst mich so an, ja weißt du es denn noch gar nicht? Agermus hat in Agrippinas Auftrag Augustus zu ermorden getrachtet. Aber Nero hat nicht umsonst seine Leibesübungen mit uns gehalten – er hat es mir selbst gezeigt, wie er dem Meuchelmörder mit einem Griff das Schwert aus der Hand gewunden hat. Na, ich habe den Kerl dann völlig abgetan. Und daß Agrippina nichts als der Selbstmord übrig blieb, ist doch klar.«

»Ist er wirklich so töricht, oder will er bloß mich töricht machen?« dachte Piso. »Ganz Italien spricht von nichts anderem«, sagte er trocken.

»Nun? Und die Stimmung im Senat, im Volk?« fragte Pollio schnell, gierig vorgebeugt, und da Piso schwieg, lachte er verlegen: »Nicht daß wir den geringsten Zweifel an deren Treue hätten –«

»So«, dachte Piso. »Also ihr zweifelt alle bedeutend, ob Senat und Volk es schlucken. Keine Angst, die Sklaven schlucken, aber ich denke nicht daran, dir das zu sagen.«

»Bockig wie ein Maultier«, dachte Pollio. »Schon als Kind beim Murmelspiel war er so, der liebe Vetter, kein Wort aus ihm herauszubringen.« Pollio legte den Arm um des Kleineren Schulter und führte ihn fort von den Wachen. »Wir haben Zeit, der Empfang dürfte sich nämlich ein klein bißchen verzögern. Augustus pflegt jetzt gewöhnlich gegen Morgen den besten Schlaf zu finden. Um die Wahrheit zu sagen, Augustus hat seit Bajä elende Nächte. Auch körperliche Ermüdungen und Zerstreuungen können da nichts helfen. Es scheint, als trauere Augustus noch in seiner übergroßen Milde wahrhaftig dieser mütterlichen Harpyie nach! – Im Vertrauen gesagt, ich bin selbst völlig erschöpft – der aufreibende Dienst bei Tage, und nachts wechseln ich und noch drei ›Alte‹ uns vor dem Cubiculum ab, denn er schreit, er schreit, er rezitiert, er beschwört das Volk von Rom, er spricht zum Senat. – Gestern hat er geschrien, er würde von schwarzen Ameisen bei lebendigem Leibe aufgefressen. – Ich kann dir sagen, ich würde meinen Mann in jeder Schlacht stellen, aber das war schauerlich. – Warum nickst du?«

»Die Eumeniden!« hatte Piso gedacht. Er sagte: »Nichts. Ich kann mir denken, wie dies für dich, der du ihn liebst, bewegend sein muß!«

»Bewegend! Du sagst es. Er hat sogar die Chaldäer kommen lassen, um die Manen der Selbstmörderin zu beschwören!«

»Armer blutender Schatten der Agrippina!« dachte Piso.

»Gestern hat er – ich erzähle dir das alles nur im Vertrauen unserer Vetterschaft – ich kann mich doch auf dich verlassen, nicht wahr? – (Ein Maultier, kein Wort aus ihm herauszukitzeln.) Gestern hat er, als Paris ankam und sagte, die Römer würden aus seiner Hand fressen, ihn angeschrien, er sei von Verrätern umringt, an seiner Leiche würde sich keiner seiner Diener umbringen, wie Mnester an seiner Mutter Scheiterhaufen, und er wisse sehr wohl, daß er bereits abgesetzt sei. – Er beschwor einen nach dem andern, ihm doch zu gestehen, daß der Senat beschlossen habe, ihn zu töten! Dann sprach er wieder davon, wenn er den Thron verliert, als Mime nach Griechenland zu gehen: die Kunst verdiene überall ihr Brot! – Ich erzähle dir das alles, damit du erkennst, wie wichtig es ist, beruhigend auf ihn einzuwirken, wenn er dich befragt. Ich bitte dich, überlege dir vorher genau, was du zu sagen hast. Du mußt doch erkennen, daß dir nichts jetzt so wichtig sein kann, als die Gunst des Augustus zu erwerben. Also ich gehe jetzt, leb wohl! – Ich weiß nicht – hast du mich verstanden?«

»Besser als du denkst!« dachte Piso und er sprach es aus.

Pollio drückte hastig Pisos Hand, und auf sein Zeichen öffneten die Augustianer die Türflügel. Piso warf das herabgleitende Togaende mit gewohntem Griff über den linken Arm zurück und sah im Eintreten Burrus reglos und aufrecht inmitten des Saales stehen. Das mürrische, bekümmerte Soldatengesicht erhellte sich, als Burrus Piso erkannte. Er breitete die Arme, zwei knallende Küsse trafen Pisos Wangen.

»Welch günstiger Wind weht dich nach Neapel, mein Sohn? – Das ist eine ungeheure Freude in einer Zeit, die der Freuden nicht allzu viele bringt.«

»Wir begegnen uns hier wie Gespenster einer besseren Epoche!«

Vor der Statue des Sokrates war ein Mann in durchlöchertem Philosophenmantel gestanden, der wandte sich um. Piso erkannte mit Schrecken unterm völlig ergrauten Haar Senecas hohlwangiges, müdes, krankes Gesicht. »Sonderbar!« sagte Seneca, als spräche er nach Art der Einsamen laut mit sich selbst. »In der Nacht nach jenem Tage, an dem ich die Erziehung Neros übernommen hatte, träumte ich, es käme Sokrates zu mir und fragte: ›Warum erziehst du den Cajus Cäsar Caligula?‹«

»Seneca!« murmelte Piso, sehr bewegt seine Wangen küssend. Die matten, kranken Augen gewannen Leben, und etwas von dem alten Glauben, der alten Freundlichkeit kam in den Blick.

Seneca faßte, das Haupt zurückwerfend, Pisos Hand. »Du zumindest, unter all den Jünglingen, trauerst um sie, nicht wahr? – O Piso! Und wenn die Undankbaren, die Feigen, die Vergeßlichen ihre Bildsäulen auch in ganz Italien zertrümmern – das Bild in unseren Herzen soll mit uns erst untergehen –«

»Er ist krank und alt – und trotzdem, er ist der Jüngling von uns beiden«, dachte Piso. Er legte alle Wärme in sein Lächeln und sagte fast zärtlich vor Rührung: »Das Bündnis gilt, Seneca.«

»Augustus Nero Claudius Cäsar!« meldete Oberst Pollio.

Der eintrat, trug griechisches Gewand statt der Toga und Sandalen statt der Senatorenstiefel. Um den Hals hatte Nero ein gelbes besticktes Tuch gewunden, dessen Ende er im Hereinkommen hüstelnd vor den Mund hielt. »Er sieht trotz der Schminke schlecht aus, flackrig, verlebt und wie um ganze Jahre innerer Pein gealtert«, dachte Piso. »Das also sind jetzt Cäsars Freunde: Tigellinus, Paris (immer noch!), Anicetus, Herculejus, Obarites – mich dünkt, ich sehe die drei bespritzt mit Agrippinas Blut. – O Agrippina, es kommt der Tag, an dem ich versuchen werde, dieses teuere Blut zu rächen! Ich habe es vor den Wachsbildern der Calpurnier geschworen! – Werden die Augustianer nach ihrer Tapferkeit gewählt oder nach der Schönheit ihrer Haarlocken? Wenn man sie ansieht, möchte man denken, es seien dreißig Knaben des Cestius in Rüstungen gesteckt worden. – Oh! jetzt beginnt er uns zu küssen –«

»Freunde!« sagte Nero, wie überwältigt von innerem Aufruhr. »Was alles ist geschehen, seit wir uns nicht gesehen haben.« Er umarmte jeden und küßte hastig im Symbol die Luft rechts und links von ihren Wangen. Dann trat er einen Schritt zurück; mit kurzsichtigen Augen in diesen drei Gesichtern forschend, fragte er plötzlich mit der nicht mehr zu unterdrückenden Angst der letzten Nächte: »Burrus! Gestehe mir, was sagt Rom?«

»Ich wollte, ich könnte dir jetzt sagen, daß es meutert!« dachte Burrus grimmig, und mit soldatischer Haltung meldete er: »Die Standbilder der Minerva sind bekränzt. Man hält Dankopfer in allen Tempeln, zum Dank für deine Rettung.«

»Was? Wirklich? Du sagst es, Burrus!« Mit offenem Mund zog Nero zurückgeworfenen Hauptes den Atem ein, dann lachte er schallend ein stoßweises, erlöstes Lachen. Mit nassen Augen umarmte er Burrus noch einmal so stürmisch, daß der rote Präfektenmantel von dessen Schultern fiel und wie vergossenes Blut vor ihm lag.

»Welch übles Omen! Ich bin nicht lange mehr Präfekt!« dachte Burrus, soldatisch reglos und stramm verharrend.

»Daran erkenne ich meine getreuen Römer!« schluchzte Nero.

»Er kann weinen, wann immer er will, wie ein Weib«, dachte Piso. »Er soll noch einmal wirklich weinen um dich, Agrippina, um dich, Britannicus, um dich, Octavia!«

»Ich bin gerettet!« dachte Nero. »Paris hat recht, sie fressen mir aus der Hand. Ja – das Volk! – Aber der Senat –?«

»Und der Senat?« fragte Nero.

»Die berufenen Väter haben beschlossen, den Geburtstag der Verstorbenen unter die Unglückstage zu rechnen. Ein goldenes Bildwerk der Minerva Behüterin wird neben deinem silbernen in der Kurie aufgestellt werden!«

»Kein Fürst vor mir hat gewußt, was man den Menschen alles zumuten kann!« dachte Nero. »Sie fressen es? Sie sollen mehr noch fressen.«

»O Freunde!« sagte er zurücktretend (Götter, jetzt klingt meine Stimme, wie schade, daß Terpnus nicht da ist und Poppäa!), »ihr wißt nicht, wie sehr ich dieser Trostesstütze bedarf, wie sehr ich nach den Neigungsbeweisen von Volk und Senat dürste, ich, dessen heiligste Empfindungen so schwer enttäuscht wurden!«

»Welch widerliche Komödie!« dachte Piso. »O ihr Götter!«

»Eine Mutter zu lieben wie ich! Zu vertrauen, wie man nur einmal im Leben vertraut – und den Boten ihrer Rettung umarmend, das Schwert des Meuchelmörders in der Hand des Agermus zu sehen –«

»Jetzt muß ich die Hände vors Gesicht schlagen!« dachte Nero. Er tat es. In der Stille des Saales hörte man seine nervöse Spannung in einem wilden Schluchzen sich Luft machen.

»O Freunde! Fragt mich nicht, woher ich die Kraft nahm, Agermus die Waffe zu entringen – woher meine Stimme die Kraft fand, meinen getreuen Pollio herbeizurufen –«

»Augustus! Deine Stimme hatte den Erzklang von Tubarufen!« rief Pollio.

Neros Lippen zuckten, den Kopf zurückwerfend, mit geblähten Nüstern brach er aus: »Jetzt endlich werden Hunderttausende von Römern diese Stimme in der Arena hören dürfen!«

In nächstem Augenblick erriet er mehr, als er kurzsichtig ihn erfaßte, den Ausdruck in Pisos gesenktem Gesicht, und er sagte mit seinem neuen tückisch flackernden Lächeln: »Nun, mein Piso, wir wissen, wie du der Verewigten zugetan gewesen bist. Wir haben dich aus Rom zu uns beschieden, um einen ganz gewißlich nicht allzusehr zu unseren Gunsten beeinflußten Bericht von dir zu vernehmen. – Sprich!«

Auf Pisos Stirn standen die Adern. Er trat vor und sprach mit einer Stimme, die der unterdrückte Haß, der Schmerz, die Verachtung tonlos machten: »Der Senat beabsichtigt, dir im Festschmuck bis zum zwanzigsten Meilenstein entgegenzugehen wie dem Germanicus, als er vom Siege heimkehrte. – An der Einzugstraße werden Tribünen erbaut wie bei einem Triumph.«

»Na also!« ließ sich in der Stille Tigellinus' Lispeln vernehmen. »Wer hat recht behalten? Hab ich's dir nicht immer gesagt, daß ein Machthaber nur seine Faust zu zeigen braucht, um Senat und Volk gehorchen zu sehen wie eine Hammelherde?«

Pollio zog das Schwert und brachte den Ruf aus, und die Augustianer fielen in taktfestem Sprechchor ein: »Augustus! Augustus! Augustus!«

Neros Mundwinkel zuckten. Er winkte nachlässig ab.

»Und du, mein Lehrer? Du allein schweigst, da ich in der Stimme meiner Freunde Rom zu hören wünsche?«

Seneca trat vor und hob mit Rednergebärde die Rechte aus den Falten des Philosophenmantels.

»Ich habe nichts den vorangegangenen Berichten beizufügen, nur für eine Bitte suche ich Gehör!«

»Weißt du nicht, daß mein Ohr und Herz dir seit immer gehören«, sagte Nero in nicht allzu geduldigem Ton. (»Jetzt erst sehe ich, daß der Rubin an Senecas Hand fehlt. Jetzt erst gewahre ich den ausgefransten Saum an seinem Mantel. Soll das stille Empörung gegen mich sein?«)

»Cäsar, es sind jetzt elf Jahre, seit ich deiner hoffnungsvollen Jugend zur Seite gestellt bin, und das fünfte, seit du Kaiser bist. Im Laufe dieser Zeit hast du der Ehren und des Reichtums so viel auf mich gehäuft, daß zu meinem Glücke nichts weiter fehlt als Maß und Ziel. – Dein Urgroßvater Augustus gestattete dem Agrippa, sich nach Mytilene zurückzuziehen, dem Mäcenas, in Rom selbst so ungestört zu leben wie in der Fremde. Beide hatten zwar ansehnliche, aber doch nur der Größe ihrer Verdienste entsprechende Belohnungen empfangen. Du aber hast mir unendlichen Einfluß und unermeßlichen Reichtum verliehen, so daß ich mich recht oft selber frage: du, ein Ritter aus der Provinz, wirst den Großen des Staates beigezählt? Wo bleibt da jene Bescheidenheit, die sich mit wenigem begnügt? – Nur eines weiß ich zu meiner Rechtfertigung anzuführen, nämlich, daß ich deine Geschenke nicht zurückweisen durfte. Aber für uns beide ist nun das Maß voll, für dich in dem, was ein Fürst seinem Freunde geben kann, und für mich in dem, was ein Freund von seinem Fürsten annehmen darf. – Von mir tun will ich, was mich durch seinen Glanz blendet, und die Zeit, die der Gärten und Landhäuser Besorgung erfordert, will ich wieder auf geistige Beschäftigung verwenden. Du stehst ja in voller Manneskraft, und dein kaiserliches Regiment hat sich so viele Jahre hindurch bewährt. So können wir, deine schon betagten Freunde, mit Fug und Recht Ruhe verlangen. – Auch das wird zu deinem Ruhme beitragen, daß du Männer so hoch gestellt hast, die sich auch mit wenigem begnügt hätten!«

»Unmöglich!« dachte Nero. »Wenn das Volk ihn in seinem alten Mantel von mir gehen sieht, glaubt keiner mehr das Märchen von Mutters Selbstmord – jetzt gilt es.«

Nero hob die Rechte und trat einen Schritt dem Lehrer entgegen: »Daß ich deine wohlvorbereitete Rede aus dem Stegreif erwidern kann, ist das erste, was ich als Geschenk von dir besitze. Mein Urgroßvater hat in der Tat dem Agrippa und dem Mäcenas die wohlverdiente Ruhe gewährt, aber er nahm keinem von beiden die Belohnungen, die er ihm hatte zuteil werden lassen. Deine Verdienste um mich werden dauern, solange ich lebe; was du dagegen von mir hast, Gärten, Kapital, Landhäuser, ist dem Zufall unterworfen. Und mag das auch bedeutend erscheinen: sehr viele, die sich keineswegs an Verdiensten mit dir messen können, haben mehr erhalten.« – Sein Blick streifte Paris, der in der Tänzerpose gespielter Aufmerksamkeit dastand, und begegnete zwinkerndem Einverständnis in Tigellinus' höhnischen Augen. – »Ich schäme mich, Freigelassene zu nennen, die reicher sind als du. – Du bist es, der mich zurückruft, wenn ich in jugendlicher Unsicherheit irgendwo vom Wege abkomme, und der meine durch deinen Rückhalt gestützte Kraft nur desto energischer lenkt. Nicht deine Mäßigkeit wird in aller Munde sein, wenn du dein Vermögen zurückgibst, nicht dein Ruhebedürfnis, wenn du den Fürsten verläßt, sondern daß er habsüchtig gewesen sei und daß du seine Grausamkeit gefürchtet habest. Und würde man auch deine Genügsamkeit aufs höchste preisen, so wäre es doch wohl für einen Weisen nicht ehrenvoll, daraus Ruhm für sich zu ernten, womit er dem Freunde üble Nachrede bereitet.«

Bei diesen Worten breitete Nero die Arme aus und fiel Seneca um den Hals. Er küßte die gehöhlten, kranken Wangen, und Senecas zögernder Dank ward übertönt von dem geschulten Beifall des Chors, von dem taktfesten Ruf der Augustianer: »Augustus! Augustus! Augustus!«

»Ich habe euch zu danken, meine Freunde!« sagte Nero. »Nehmt mit diesem Hause einstweilen vorlieb, bis wir zusammen nach Rom zurückkehren, um das Volk, den Senat nicht zu lange warten zu lassen!«

Sie gingen schweigend und langsam an den sieben salutierenden Wachtposten vorbei, und Seneca stützte sich schwer auf Pisos Arm, als sie die vielen steilen Stufen hinabstiegen.

»Wäre es möglich, daß er mit uns ginge, wenn Pätus und ich losschlagen?« dachte Piso. »Sie sind alle Zauderer. – Hätte es Sinn, ihn einzuweihen, diesen müden, kranken Mann?«

Seneca blieb auf der Stufe stehen. »Thrasäa Pätus ist aus dem Senat gegangen, bevor über die Beschlüsse abgestimmt wurde, und Mnester ist Agrippina nachgefolgt. – Man darf nicht ganz an der Menschheit verzweifeln«, sagte er, als sei er im Begriffe gewesen, dies zu tun.

»Ja, aber solcher Taten geschehen nicht viele. Und was für ein ungeheures Mitleid muß man mit den Menschen haben, um sich nicht in die Verachtung zu retten.«

Seneca, der zwei, drei Stufen herabgestiegen war, blieb von neuem stehen. »Wie merkwürdig, daß du diese Worte sagst, Piso! Ich dachte diese ganze lange Nacht an Narcissus. – Er weissagte mir einst, ich würde, in meinen Mantel gehüllt, wie ein Sterbender erkennen, daß ich mein ganzes Hab und Gut auf das unrichtige Pferd verwettet hätte. Und er sagte – ich höre ihn noch –: ›Ich weiß nicht, was stärker ist, meine Verachtung oder mein Mitleid für die Menschen!‹«

»Tribünen und Bildsäulen! Und Speichelleckerei ohne Ende! Nein! Ich bemitleide die Menschen nicht!« sagte Burrus. – »Sie verdienen nichts anderes als die Götter, die sie anbeten.«


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