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II. Teil. Der Jüngling

Die Läufer bogen mit rhythmischem Aufklang ihrer eisenbeschlagenen Schuhe um die Ecke. Sie überrannten beinahe die gelbe Hündin, die querüber liegend ihre wimmelnden Jungen säugte, die spielenden Kinder mit den Läusen im Filzhaar und den Fliegen im Augenwinkel. »Platz! Platz für Narcissus, den Schatzkanzler des Kaisers!«

Während der Vorläufer ans Tor des Pförtnerhäuschens pochte – vergebens, denn der Alte war längst in Panik davongerannt, um drinnen den Gast zu melden –, kamen die sechs nubischen Sänftenträger um die Ecke. Die Sänfte war mit Silber und Perlmutter eingelegt. Der Anführer der Begleitwache ließ den Stufentritt herab.

Narcissus streckte das mächtige Haupt vor, sah die Kinder, die Matronen mit von Teig bekrusteten Armen, die Gaffer in Filzkappen, den ganzen von Augenblick zu Augenblick sich vergrößernden Trupp und sagte, während er auf zu kurzen Beinen zu Boden stieg, dem Gewaffneten: »Streu los! Aber langsam, damit sie sich nicht wieder die Köpfe einrennen!«

Seneca, der aus dem Hause stürzte, hörte den Jubel, sah den Münzenfall.

»Narcissus! Wie schön, daß du kommst! Mögen die Götter deinen Eintritt segnen!« – Senecas Antlitz strahlte.

Sie tauschten den doppelten Wangenkuß, und in der guten hellen Sonne hier draußen ward Seneca gewahr, wie gelb und verfallen der Kanzler aussah. Die hellen Augen jedoch schienen alles zu sehen – den zersprungenen Wandbewurf, die verblaßten Fresken, aber auch die neuen Teppiche, die neuen bebilderten Vorhänge, die drei Griechensklaven im Nebengelaß, die des Hausherrn »Büchlein vom Zorne« für die Schriftenhändler am Forum kopierten, im Arbeitszimmer mit den abgebrauchten Möbeln den schönen neuen Rollenbehälter aus korinthischem Erz.

Narcissus blieb beim Fenster stehen, in das Rosen und Wein hereinwuchsen, und sah über den Tiber hin.

»Ein liebes altes Haus«, sagte er, »wie oft bin ich hier schon bei deinem Vater gewesen.«

»Ja. Aber viel zu eng und zu entlegen für uns«, antwortete Seneca schnell. »Im Herbst ziehen wir um. Ich habe das Haus des Sulpitius gekauft, neben dem Cerestempel. Hier muß ich meine Schriften im Keller verwahren, und die Mäuse knabbern sie an.«

Narcissus sah mit schief gehaltenem Kopf zu ihm auf. Seneca hatte seinen stadtbekannten durchlöcherten Philosophenmantel angelegt. Das Hauskleid, das in den Winkel geworfen worden war, räumte jetzt eine huschende Sklavin fort. Narcissus studierte dies Gesicht, die ausgearbeitete Stirne, die edle Nase, die versonnen und heiter blickenden Augen, den fleischig-wohllebigen Mund, das schwache Kinn.

»Dich hat's«, dachte der Alte. »Agrippina kennt alle Arten von Fallen.«

Ein alter Sklave kam, in tausend Runzeln strahlend, mit den Bechern hereingeschlurft. Narcissus, mit seinem untrüglichen Gedächtnis, wußte sofort: des Sklaven Name sei Primos. Aber er war zu müde, zu durstig und zu unglücklich, um den Greis erfreuen zu wollen. Er sagte halblaut: »Laß uns allein bleiben.«

Der Schenke verzog sich mit der beleidigten Würde des Haustyrannen. Seneca deutete die Opferung an. Narcissus beugte sich vertraulich vor und fragte leise, mit dem Daumen nach der Türe weisend: »Horcht er?«

»Nein!« sagte Seneca betroffen.

» Ich habe als Sklave nämlich immer gehorcht!« sagte Narcissus. Das Lachen begann in seinen brauenüberwucherten Augen, schien den ganzen zähen Körper heimlich zu erschüttern und brach endlich in erstaunlicher Gewalt bellender Baßtöne los.

»Was für ein altes Kind!« dachte Seneca und liebte ihn plötzlich. Narcissus trank, rollte den Wein auf der Zunge und sagte: »Cäcuber. Nicht sehr gut gelagert!«

»Cäsar hat ihn mir in seiner Güte gesandt«, sagte Seneca.

»Cäsar in seiner Güte trinkt sehr viel, versteht aber einen Dreck von Weinen«, sagte Narcissus. Er stellte den Becher hin, beugte sich vor und sagte, was er die ganze Zeit gedacht hatte: »Also jetzt habt ihr es erreicht!«

Das zufriedene Glück in Senecas Augen erlosch. »Was, Narcissus?«

»Was? Daß ihr mich ausgestochen habt bei Claudius, nach achtunddreißig Jahren der Freundschaft.«

»Narcissus!« rief Seneca.

»Schau, Seneca –«, sagte der Alte. »Ich frage mich schon seit Claudius' Hochzeit mit Agrippina, ob du wirklich so ein Narr bist, nichts zu sehen, oder ob du so schlau bist, nichts sehen zu wollen?« Der Alte hatte in Senecas Gesicht gestarrt, nicht in die Augen, sondern auf den Mund. Als dächte er laut, wie Einsame oft, sagte er nun: »Vielleicht bist du einer von denen, die so glücklich sind, glauben zu können, was sie gerne glauben wollen!«

Seneca dachte: »Er ist mein Gast. Und ein alter Mann.« Er antwortete mit ruhiger Stimme: »Ich weiß nicht, warum du mich bald schlau schiltst und bald töricht. Ich habe niemals versucht, dich bei Cäsar auszustechen, wie du anspieltest. Der klügste Mann von Rom müßte wissen, daß ich nur einer Herrin zu dienen bestrebt bin, und das ist die Weisheit.«

Narcissus holte Atem. »Ich bin nicht klug. Wäre ich es, so hätte ich Claudius besser geschützt und Britannicus vor allem! Aber es war schon zu spät.«

»Spielst du auf die Adoption des Domitius durch Cäsar an?« – »Auf die spiele ich an. Ja!«

»Und findest du es entwürdigend für Cäsar, den Enkel des Germanicus als seinen Sohn anzusehen?«

»Keineswegs, wenn dieser Cäsar nicht selbst einen echten Leibeserben gezeugt hätte.«

»Tiberius hat zu seinem leiblichen Sohn auch noch den Germanicus adoptiert!«

»Du hast die Senatsrede des Pallas gut memoriert! Oder bist du vielleicht deren Autor? Wozu, beim Hades, braucht Claudius diese verfluchte Adoption, die Agrippina so sehr gebraucht hat? Von Attius Clausus, dem sabinischen Ahnherrn an, hat das Haus der Claudier in gerader Linie bis zu Claudius Cäsar fortbestanden – besteht weiter in Britannicus. Dank den Göttern! Aber nein, die Grasmücke mußte dem Kuckuck Platz in ihrem Neste machen!«

Seneca hob den lauschend gesenkten Kopf: »Ich bin jetzt fünf Jahre der Lehrer des Domitius Nero. Ich liebe ihn. Ich habe niemals ein selbstloseres, des Liebens würdigeres, gütigeres Kind gesehen. Und niemals schönere Gaben. Ich habe mein ganzes Herz, alles, was ich bin – es mag wenig sein oder viel –, meine ganze Hoffnung daran gesetzt, aus ihm einen Mann, einen Römer, einen Menschen zu machen.«

Narcissus senkte die zerknitterten Lider. Er sah alt und müde aus. Dann sagte der Baß: »Du hast auf den falschen Wagenlenker gesetzt.«

»Was?« staunte Seneca.

»Domitius ist nicht, was du in ihm siehst. Das alles ist Britannicus. Wenn du dich auch heute meinen Worten verschließest, einmal wirst du es sehen müssen und vergeblich versuchen, dein Gesicht mit dem löchrigen Philosophenmantel zu verhüllen.«

Seneca verbarg ein Lächeln und dachte: »Der arme Alte.«

Narcissus sagte vor sich hin: »Siehst du, Seneca, du hast keine Menschenkenntnis. Wie solltest du sie auch erworben haben? Du hast immer dein enges, beschauliches Leben geführt.«

»Eng?«, dachte Seneca. »Ich? Der in die Verbannung ging? Und ich kenne die Menschen nicht, ich, dessen ›Trostbrief an Marcia‹ ganz Rom lobt?«

»– deshalb bist du, was man ›anständig‹ nennt, und erwartest Anständigkeit von den anderen Menschen. Ich habe gehungert, gehurt, gemordet, Gemeinheiten begangen und die Hurereien, Morde und Gemeinheiten unter drei Cäsaren mitangesehen, um von dem, was ich war, zu werden, was ich bin. Ich nehme es keinem Menschen übel, wenn er mich verkauft, verrät, Gift für mich mischt. Ich verachte die Menschen so sehr, daß ich sie fast bemitleiden könnte. Wenn man aber zu einem von euch anständigen Menschen anständig ist, so sagt ihr achselzuckend: ›Nun, so gehört sich's eben.‹ Ich aber bin so überrascht, daß ich es nie mehr vergesse. Claudius war anständig zu mir, vor achtunddreißig Jahren.«

Er legte seine Greisenhand abwehrend auf seinen Becher und stand auf, zu Senecas Höhe emporblickend.

»Du liebst ja Agrippina bis in ihren rotschädligen Sohn!« sagte er. »Wie malt sich ihr Bild wohl in solch einem Philosophengehirn, das Bild dieser Agrippina, die ihren eigenen Onkel heiratet, obwohl der brave Senat solche Eheschließung erst durch ein neues Gesetz ermöglichen muß! Die gleich darauf zum Lohn für seine Freiwerberdienste mit Pallas zu Bett geht, die die Verlobung der Octavia mit Silanus löst, Octavia mit ihrem Domitius verlobt und endlich diesen ihren Domitius zu Cäsars Erben macht. Alles binnen fünf Jahren?!«

Seneca rang nach Worten. Sein Gesicht zuckte.

»Und jetzt werde ich dir noch zum Schluß etwas erzählen. Altweiberklatsch, magst du sagen. – Als Domitius zu Antium geboren ward, da ging Agrippina zu den Chaldäern. – Ja. Sieh mich nur an. – Und die Chaldäer sagten, sie sähen ein Diadem auf des Kindes Haupt, aber, wenn es Cäsar würde, dann werde es seine Mutter töten. Da soll Agrippina gesagt haben (und ich glaube es, daß sie es gesagt hat): ›Es mag geschehen, wenn er nur Kaiser wird.‹ Seneca, siehst du jetzt noch immer nichts?«

Narcissus klatschte. Der Gewaffnete tat die Türe auf.

Der Alte machte eine kleine, kurz abschneidende Gebärde, als Seneca zu folgen sich anschickte. Die Tür fiel zu.

Rasseln. Erztritt. Laufen. Rufe. Eine junge Stimme: »Platz da! Platz für Narcissus, den Schatzkanzler des Kaisers.«

Seneca stand da, die Hände vors Gesicht geschlagen. Er entsann sich seines Traumes aus der ersten Nacht, nachdem er die Erziehung des Domitius übernommen hatte. Er war vor Grauen geschüttelt aufgewacht, denn man hatte ihm vorgeworfen: sein Zögling sei Caligula.

 

Auf all den hundert Masten des Gymnasiums waren die kaiserlichen Hausflaggen aufgezogen und klatschten im Morgenwind. Das Gymnasium hallte von Warnrufen und Lehrrufen, von Rossegewieher, von Zuschauergeschwätz, von Gelächter.

Das ganze riesige Rund schien in drei Farbflecke aufgeteilt zu sein, in smaragdenen Rasen, blonde Sandstrecke und glimmernd weiße Kiesbahn. Überall blendete es von Farben in der frühen Sonne. Überall übten sich die Ballschläger, die Springer, die Ringer, die Diskus- und Speerwerfer, Wagenlenker, Reiter, Läufer in ihrer Kunst. Nackte, sehr junge Körper der Prinzen und Prinzengefährten, der Söhne landeigenen Adels, der Söhne reicher Freigelassener leuchteten ölglänzend und schweißbedeckt in allen Farbtönen von dem des Zitrusholzes bis zu schwärzlicher Bronze.

Über die Bahn der Bogenschützen setzte Piso in schlanken Sprüngen und rief im Lauf: »Nicht so starr den Bogen! – Nicht so wild anreißen! – Langsam abziehen! Jetzt! – Gut, sehr gut, Britannicus!«

Britannicus stand, den schweren Antilopenbogen in der Hand, in der Stellung des Pfeilsenders Eros da. Er schob die Unterlippe vor, runzelte die Stirn und sagte, mit der Faust die Luft schlagend: »Fünf Treffer bloß aufs Dutzend! Was will das heißen, Piso!«

»Mit dem schweren Nubierbogen? Frage dich, ob du das vor einem halben Jahr vermocht hättest!«

»Ach – man müßte soviel können wie du, in allem, allem!« seufzte Britannicus. Er schnippte, und einer seiner Sklaven trat vor, ihm mit dem Schweißtuch Gesicht, Nacken und Hände zu trocknen.

»Dafür bin ich aber auch zweiundzwanzig Jahre alt«, tröstete Piso, nur mit den Augen lächelnd, wie er es pflegte.

»Zweiundzwanzig Jahre!« lachte Britannicus und zeigte Grübchen und Zähne. »Ob ich je so alt werde?«

»Die Götter mögen es geben!« sprachen Piso und die Sklaven im lauten Chor.

»Mich dürstet!« Britannicus deutete nach dem Korbe, den einer der Sklaven trug und in dem der Wein unter Daunendecken warmgehalten wurde. Der Sklave riß die Decke fort und hob den Golddeckel vom Kelche. Aber ehe Britannicus ihn ergriff, streckte Piso seine Hand aus. »Verzeih! – Wo bleibt Hylas!? – Soll ich den Vorkoster des Prinzen spielen?«

Hylas, der schon Messalinas Vorkoster gewesen war, hastete heran, und Britannicus wartete geduldig, bis sein welker, zahnloser Mund den ersten Schluck getan hatte.

»Möge es dich stärken, mein Vögelchen! Möge es dir langes Leben geben!« flüsterte der Alte zärtlich, während Britannicus in gierigen Schlucken trank. Der Sklave wandte sich strahlend an Piso: »Er trinkt ganz wie die Kaiserin, seine Mutter, Herr. Geschlossenen Augs, mit allen Sinnen.«

»Danke, mein guter Alter«, sagte Britannicus atemholend. Ihm war Güte gegen Sklaven so selbstverständlich wie seinem Vater Claudius, und die Sklaven, die jenen darum verspotteten, beteten ihn an.

»Ich bin müde«, sagte Britannicus und hängte sich an Pisos Arm. »Laß uns zum Baume gehen.«

Der einzig aufgesparte Baum im weiten Rund war eine uralte Platane, deren mächtige Äste grau und gelb gefleckt wie Pythonleiber sich durcheinander wanden.

»Du glaubst doch nicht im Ernste, daß sie mir hier vor aller Augen etwas zu tun wagen würden?« fragte Britannicus kichernd.

Piso sah sich um. Die Sklaven, die ihnen folgten, hielten Abstand. Er antwortete ernst: »Nicht, solange ich es verhindern kann.«

Britannicus schwatzte im Gehen. »Manchmal, wenn ich so einen Burschen auf der Straße sehe, der seinen Esel treibt und ohne Vorkoster seine Melone frißt – weißt du, solch einen Burschen, der ganz bestimmt damit rechnen kann, zwanzig und dreißig und siebzig Jahre alt zu werden – dann frage ich mich, ob ich nicht mit ihm tauschen möchte.« Er nahm den Blick aus der Ferne zurück, um Piso anzusehen, und lächelte sein liebreizendes, von Messalina ererbtes Grübchenlächeln. »Aber ich glaube – ich bin trotz allem doch lieber der Claudius Britannicus.«

Er warf sich laut gähnend ins Gras und dehnte, wie ein junger Hund mit allen Vieren in der Luft strampelnd, die Glieder. Er war braun und gesund wie eine Nuß. Er glänzte vom Öl, mit dem er eingerieben worden war. Nur, weil er einen Fall getan hatte, haftete auf Rücken und noch mädchenrunder Schulter der blonde Wüstensand der Läuferbahn, der in Schiffsladungen für das Gymnasium der Prinzen verfrachtet worden war.

Piso lag mit geschlossenen Augen und offenen Armen da, wie gekreuzigt.

»Piso?«

»Hm?«

Schweigen.

»Nun?«

»Du, Piso. – Ich bin ein Mann.«

Piso warf sich herum.

»Was meinst du damit?«

Britannicus grinste.

» Was! Du bist bei ihr gelegen? Nein!«

Britannicus zog das rote Stirnband ab und schüttelte nickend die dicken Locken in die Augen.

»Wann denn? Um der großen Venus willen!«

»Heute nacht. Ihr schlieft alle wie die Säcke.«

»Höre einmal, Britannicus. Du bist dreizehn Jahre alt!«

»Dreizehneinhalb. Und fast so groß wie die Domitia mit sechzehn! – Erinnerst du dich übrigens noch, wie Burrus uns im Herbst erzählt hat, bei den Parthern müsse ein Fürstensohn mit dreizehn seinen Mann gezeugt haben und seinen Mann erschlagen?«

»Bei uns herrschen mildere Sitten. Und meinst du nicht, daß so früher Eros Schaden bringen mag?«

Britannicus lachte sein Schelmenlachen: »Gerade heute hast du meine Pfeilschüsse belobt! – O Piso, ich bin ein Mann, mögen sie mich auch hundertmal dem Volk von Rom im Knabenkleid zeigen, wie ich hinter der Domitia in ihrer großen Toga einherzappeln muß!«

Piso war aufs Gras zurückgeglitten. Jetzt sprach er mit Überwindung: »Was wird Octavia sagen, wenn sie hört, daß du mit ihrer Sklavin gelegen bist?«

»Sonderbar!« lachte der Knabe und strich mit seinen langen, schmalen Fingern über die beiden blauschwellenden Adern auf Pisos sehr hoher Stirn. »Wenn du von ihr sprichst – gleich wird dein Apiszeichen sichtbar! – Octavia? Die wehrt mir nichts, die versteht, daß ich immer in dem Gefühl lebe, nicht so viel Zeit zu haben wie andere. Und ich bin kein Waschlappen wie die Domitia. Ich möchte alles sehen, alles lernen, alles genießen –«

»Britannicus, ich muß dich jetzt wirklich bitten, dich daran zu erinnern, daß Cäsar dir verboten hat, deinen Bruder Claudius Tiberius Nero anders als mit diesem seinem neuen Adoptivnamen zu nennen!«

»Ach was! Das mein Bruder? Die Domitia mit der Bleiplatte auf den Brüstchen für ihr geliebtes Organ? Mit dem Schlangenarmband und dem Schlangenblick und mit dem senecaischen Sprüchlein über ›das Gute‹ auf der Zunge?« Britannicus schauderte mit dem ganzen Grausen des gesunden jungen Tieres vor der Spielart seiner Rasse.

»Britannicus! – Wenn Nero dir nicht gefällt, dann verspotte ihn nicht, sondern versuche, der bessere Mann zu werden. Du weißt, daß Cäsar deine Unterordnung unter den Älteren wünscht, und du hast zu willfahren.«

Britannicus' Gesicht verzerrte sich, so nahe waren ihm die Tränen.

»Ich weiß nur, daß Vater mich gestern zärtlich umarmt und mir gesagt hat: ›Werde nur älter, dann werde ich dir alles erklären, was ich tun mußte!‹ Und als ich gehen sollte, rief er mir noch die Worte Achills an Telephus nach: ›Der dich verwundet hat, wird dich auch heilen!‹ – Ich kenne meinen Vater, ich weiß, wie gut er ist – er ist hilflos, wenn Pallas und Agrippina und die Domitia gegen ihn losziehen.« Britannicus schnupfte ärgerlich auf, um seine Tränen zu verbergen. »Was mit mir geschieht, ist ja ganz gleich, aber es ist empörend, daß sie auch meine Schwester opfern wollen! Silanus war zweimal so alt wie Octavia, aber er war ein Triumphator und ein Mann! Doch wenn ich denke, daß dieser Halbaffe Domitius zu ihr ins Hochzeitsbett kriechen soll – O Piso! Hab ich dir weh getan?«

Piso lächelte mit geschlossenen Lippen.

»Hast du sie so lieb?« flüsterte Britannicus, in das edle, schmale Gesicht seines Freundes sehend, dessen ernste Regelmäßigkeit von der blaugeäderten Stirne überhöht wurde.

Der Lehrer schwieg so lange, daß der Knabe beschämt und verletzt sich aufrichtete. Da raunte Piso endlich: »Sehr.«

Der Knabe sagte, als spräche er zu sich selbst: »Ich liebe Charis nicht, und Charis ist schön. Octavia – mir ist sie der nächste Mensch auf der ganzen Welt! – aber ich sehe wohl, daß sie häßlich ist, und du liebst sie!«

Pisos Augenbrauen hoben sich über geschlossenen Augen, als spotte er über des Knaben Rede.

»Ach, Piso! Hättest du sie doch heiraten können, keinen lieberen –!« Britannicus brach ab und rüttelte mit festen Fäusten Pisos Arm: »Gib acht, die Domitia kommt!«

Piso tat die Augen auf und erhob sich ohne Hast. Er sah von der Rennbahn her, die den äußersten Kreis des Stadionrundes bildete, einen Trupp auf die Platane zukommen, der anscheinend nach den Bäderhallen strebte. Er erkannte Seneca, dessen tragende Rednerstimme etwas zu erklären schien. Dies war Pallas, von der hochmütigen Eleganz eines Vollblutkameles, neben ihm Burrus, ein Mann wie ein Eichenklotz, ein Soldat, dem der Partherkrieg den linken Arm geraubt hatte, und trotzdem der beste Waffenmeister, den ein Prinz finden mochte. Da war Nero selbst, sein rotes Haar wie ein Flaggtuch leuchtend – jetzt kam Terpnus, sein Gesangs- und Redemeister, Anicetus, der ihn im Schwimmen unterrichtete, Ammon, der beste Wagenlenker von Rom, ein Ägypter – gleich zwei Ärzte! – eine Schar von Freigelassenen. – Des Britannicus Gefolge nahm sich dagegen aus wie das eines armen Klienten. Nero, Prokonsul des Kaisers und »Fürst der Jugend« mit sechzehn Jahren, ging zwischen den beiden Lehrern, die seinen Geist und seinen Körper zu bilden von Agrippina auserwählt waren, Seneca und Burrus.

Er trug den weißen, schenkelkurzen Leibrock spätgriechischer Wagenlenker, der mit einem Goldriemen gegürtet und nur auf der linken Schulter von einer Fibel gehalten war. Seine mädchenweiße empfindliche Haut war vom Sonnenbrande hochrot aufgezogen, schälte sich und zeigte zahllose Sommersprossen. Schulter, Arme und Rücken waren vollendet durchgebildet, nur der Hals ein wenig dick. Dieser Zögling des Burrus ging in bewußt vorzüglicher Haltung, aber sein Körper hielt keinen Vergleich der Schönheit mit jenem seines Gefährten Otho aus, der so erzene Brust- und Magenmuskeln hatte, daß es schien, als müsse jeder Stoß und Hieb von ihm tönend abprallen wie von einem Kriegerschild. So jung Nero war, hatte er doch schon eine Mode geschaffen. Alle seine Gespielen trugen ihr Haar in die Stirne gekämmt, wie der Friseur des Prinzen das seine frisierte, indem er aus der Not eine Tugend schuf. Denn dies drahtig dicke, unbändige Haar ließ sich nie und nimmer zurückkämmen. Ein silberner Kranz von Ölzweigen umwand Neros Schläfen. Seine Züge waren vollkommen regelmäßig und von größter Schönheit bis auf die tiefliegenden Augen, die kurzsichtig waren und die er beständig ein wenig zusammenkniff, wozu er die Stirn zu runzeln pflegte. Vielleicht gab dies dem Antlitz den Ausdruck des Verhaltenen, des spähenden Auf-der-Hut-Seins. Auffällig war der Mund. Tiefrot, von einer stets feuchten, beunruhigenden Fülle, vollendet schön gezeichnet auch er und doch gleichsam unziemlich in solch jungem Gesicht. Neros linken Arm schmückte ein schwergoldenes Armband, durch dessen Fensterchen man die eingebettete Haut einer Giftviper wahrnahm. Auch die Geißel, die er hielt, war golden, und jetzt senkte er sie in den schönen Gesten des römischen Fechtergrußes. Den Blick mehr auf Seneca als auf die Gegrüßten heftend, sprach er, ihnen großmütig zuvorkommend: »Die Götter seien mit euch, Gajus Calpurnius Piso und Gajus Claudius Britannicus!«

Britannicus hatte von Anfang an nichts anderes gedacht, als Nero, so wie der Vater, so wie die Sitte es heischte, zu grüßen. Aber jetzt; sah er den ganzen Aufwand des Bevorzugten, sah den Olympionikenkranz, sah das Armband, das prahlerisch die herakleische Legende Agrippinas von der in Neros Wiege gefundenen Viper bestätigen sollte. Gallbitternis drohte ihn zu ersticken. Er kreuzte beide Hände sklavisch über seiner nackten Brust, neigte sich bis zur Erde und sagte in allen hörbarem Hohne: »Ich grüße dich in Demut – Domitia!«

Über Neros Gesicht schlug tiefe Röte. Wie etwas Angeheftetes fiel das großmütige Lächeln ab. Die feuchtroten Lippen klafften, man sah die verbissenen, sehr spitzen Zähne. Anicetus trat vor ihn, als wolle er zuschlagen, und Piso riß Britannicus zurück. Seneca sprach zuerst: »Nun, nun – mein junger Freund. Ich denke, auf freundlichen Gruß hätte freundlichere Antwort gebührt. Komm jetzt, Nero.«

Als hätte Seneca auf einen Hebel gedrückt, erschien Neros Lächeln wieder. Der ganze Trupp setzte sich in Bewegung. Die Gefolgschaft von Scheltenden, Tuschelnden und Grinsenden trat in die Badehallen ein.

Dann sagte Piso – und das sonderbare Zeichen der beiden zusammenlaufenden blauen Adern stand auf seiner Stirn: »Britannicus, Britannicus! Wenn das nur nicht neue Wetter über dich heraufbeschwört!«

Britannicus stand abgewandt, sein ganzer Körper bebte. »Dieser Schuft!« weinte er trotzig. »Dieser Dieb! Meinen Vater hat er mir gestohlen. Octavia nimmt er mir, soll er mir denn auch Rom nehmen dürfen?«

 

Claudius und Narcissus saßen spät abends in des Kaisers Geheimzimmer beisammen. Es war heiß, und sie hatten sich beide die lästigen Togen abnehmen lassen und die schweren Senatorenstiefel. Sie saßen im Unterkleide da wie zwei brave kleine Bürger am Feierabend, hatten sich Schemel unter die nackten Füße schieben lassen und arbeiteten geruhsam an des Kaisers geliebtem, altem Tisch. – Eine Goldschale mit Früchten stand zwischen den aufgerollten Plänen der Bergabtragung am Fucinersee, und sie verstreuten Traubenstiele, Dattelkerne, Mandelschalen über Tisch und Estrich in diesem Gemach, in dem kein Hausfrauenblick drohte. Der einzige Sklave, der zugegen sein durfte, des Kaisers alter, verschnittener Halotus, übte das Schenkamt.

»Achthunderttausend mehr als der Kostenvoranschlag! Ich habe noch nie einen Baumeister gesehen, der seinen Voranschlag unterboten hätte! – Stiehlt Celer?« fragte der Kaiser Claudius mißvergnügt. Sie sprachen griechisch, das Claudius mit Feinheit und Leichtigkeit beherrschte.

»Nicht mehr als üblich!« brummte Narcissus über seinem Becher.

»Deine Beine sind wieder tüchtig geschwollen!« sagte Claudius mit einem besorgten Blick in seinen guten braunen Augen. »Nimmst du deine Arznei nicht, du alter Esel!?«

»Philippus macht eine ganze Hausapotheke aus meinem Bauch. Weißt du, wenn ich einmal Selbstmord begehen will, hab' ich's leichter als die anderen. Ich brauch' bloß drei Tage lang alle die Säftchen nicht einzunehmen.« Und einer seiner erstaunlichen Heiterkeitsausbrüche schüttelte den Kanzler.

»Das ist meine ständige Angst«, sagte Claudius und stieß ein wenig mit der Zunge an wie immer, wenn er erregt war. – Als er dies ihm bekannte Lispeln hörte, brach Narcissus sein Lachen ab.

»Was?« fragte er.

Des Kaisers langes Gesicht zuckte. »Daß du eines Tages mich allein lässest – ›freundlos und ärger allein als unter Tieren der Wüste!‹« zitierte er gedämpft.

Narcissus schüttelte ungerührt den mächtigen Schädel. »Solang du noch lebst – nicht«, sagte er trocken.

»Ich habe gedacht – ob du vielleicht mein Landhaus in Pompeji haben wolltest? – Nein? – Schau, ich möchte dir so gerne eine Freude machen.«

»Man bestiehlt nicht umsonst drei Kaiser. Ich habe mehr Geld als du«, sagte Narcissus.

»Wünsch dir etwas, Alter, ich bitte dich.«

Narcissus zog lauernd die Brauen zusammen.

»Also gut – ich wünsche mir etwas, Cäsar.«

Claudius zuckte mit den Lidern, ihm schwante Böses. »Aber etwas Vernünftiges!« bat er und fiel aus seinem vollendeten Griechisch in alltägliches Latein.

Narcissus schob seinen Kopf vor, und auf einmal sah man, was für ein gnadenloser, zäher Fechter dieser kranke, alte Mann gewesen sein mußte.

»Mache das Testament«, forderte er.

Claudius lächelte halb verlegen, halb traurig und schwieg.

»Mache das Testament, das Britannicus zu deinem Erben erklärt und dem Senate anempfiehlt – eine größere Freude kannst du mir nicht machen«, wiederholte der Alte, mit dem Zeigefinger auf den Tisch klopfend.

»Quäle mich nicht«, bat der Kaiser leise.

»Du wirst ganz andere Qualen zu erdulden haben, wenn du mir nicht –« Narcissus brach ab. Sie lauschten starr. Sie sahen einander an.

»Hast du denn niemals Ruhe?« knurrte Narcissus gereizt.

» Jetzt? – Unmöglich!« sagte Cäsar ungläubig. Aber der Ruf, den sie zu hören vermeint hatten, wiederholte sich näher und deutlicher, und Claudius sprang vom Stuhle auf.

»Julia Agrippina Augusta zu Kaiser Tiberius Claudius!« Und noch näher das Waffengeklirr der Schwerter, die aus der Scheide fuhren, und der Ruf: »Julia Agrippina Augusta –«

Der hilflos verwirrte Halotus wußte nicht, welchem von den beiden er zuerst die hohen Schuhe schnüren sollte. Narcissus klatschte, und Sklaven stürzten herein, Fackelträger, Ankleider, Sklaven, die sich mühten, die Unordnung der geheiligten Zurückgezogenheit Cäsars zu mildern.

» Ich gehe!« kündigte der Alte an, sowie man ihm die Toga umgeworfen hatte.

»Julia Agrippina Augusta!«

Da klappten schon die Türflügel auf, und Claudius machte, da es zum Sprechen zu spät war, eine ungewohnt befehlende Handbewegung, die Narcissus bleiben hieß.

Eindringende Fackelträger bildeten Spalier, man sah durch die offenen Türen die Prätorianer den Gruß der Ehre leisten, und mit raschem, wehendem, starkem Schritt kam Agrippina heran, in Weiß, wie sie es liebte, einen durchsichtigen Schleier ums Haupt geschlagen. Claudius sah das Wetterleuchten ihrer großen Augen, und sein Blinzeln verstärkte sich.

Er kam mit seinem unschönen, plattfüßig schlurfenden Gang, den jeder Straßenjunge in Rom höhnisch nachahmte, auf sie zu – an dem linken, nicht ganz zu Ende geschnürten Schuh schleppten die schwarzen Riemen nach –, und während die Türen sich schlossen, die Fackelträger ihre Leuchten in die Wandringe steckten, sagte er mit der ganzen altmodischen Galanterie des augusteischen Hofes: »Welch eine erfreuliche Überraschung zu guter Stunde, meine Tochter! Du erhebst unsere Zahl zu der der Grazien, deren Gaben du zu vereinen scheinst!« und er hielt lächelnd ein paar Schritte von ihr inne.

»Wie der Tierbändiger, wenn er den Prankenschlag der Tigerin fürchtet!« dachte Narcissus.

Agrippina hob den stolzen Kopf. Sie maß Claudius von oben bis unten.

»Ich hoffte dich allein zu finden«, sagte sie.

»Ich habe keine Geheimnisse vor Narcissus«, antwortete Claudius, und zwei rote Flecken erschienen auf seinen Wangen.

»Aber ich habe sie«, sagte Agrippina kalt.

»Mein Cäsar, vergönne es mir, mich zurückzuziehen«, sagte Narcissus.

Claudius nickte. Agrippinas Fuß pochte auf den Boden, als wolle sie die Sekunden bis zum Zufallen der Türe zählen.

»Auf morgen, mein guter Narcissus, auf morgen!« rief der Kaiser laut dem Kanzler nach.

»Ich stehe dir zu Diensten, meine Tochter«, sagte Claudius.

»Immer die alte Anrede. Will er sich oder mich die Tatsache der Ehe, die sie ›blutschänderisch‹ nennen, vergessen machen?« dachte Agrippina böse. Sie ging stumm auf und ab. Ihr Schleier war von Diademreif und hochgetürmten Locken geglitten. Sie war gekommen, um zuzuschlagen, und doch warnte sie etwas. Claudius saß da, und wie immer, wenn sein häßlicher Gang nicht störte, haftete diesem letzten Enkel der Livia etwas von der Größe und Würde des erhabenen Geschlechts an. Sie hatte gedacht, ihn zu so später Stunde betrunken oder übermüdet oder liebessehnsüchtig zu finden, aber sie las nichts von alledem in seinem hageren Gelehrtengesicht, nur Höflichkeit und leisen Überdruß. Sie kam auf ihn zu und merkte, daß er sich hinter dem wackeligen alten Tisch gleichsam verschanzte, an dem er noch als der von Germanicus verschattete Prinz seine Studien betrieben hatte.

Sie beugte sich vor, sah die verhaßten Pläne des verhaßten Narcissus zum Bergdurchstich am Fucinersee, und es brannte ihr auf der Zunge, Böses darüber zu äußern. Aber Agrippina war zu klug, sich nach Frauenart in Unwichtiges zu verlieren, wo es Wichtigstes galt. »Narcissus später«, sagte sie sich.

Sie holte Atem und begann mit heißer Ruhe: »Ich führe Klage gegen deinen Sohn Britannicus!«

Claudius hob schweigend die Brauen, als wollte er sagen: »Schon wieder?« Er schwieg, und Agrippina sah sich genötigt fortzufahren. Sie stützte sich auf den Tisch und ihre Stimme wurde scharf: »Ich kann es nicht dulden, daß Messalinas Sohn Nero öffentlich herabsetzt!« Claudius' Gesicht war von seiner Hand verdeckt, die er als Schirm vor die Augen hielt. »Wann wäre das geschehen?« fragte er müde.

Agrippina riß ungestüm die lange rötliche Hand von seinem schlaffen und traurigen Gesicht.

»Spottest du meiner, Claudius? Es mag ja sein, daß meine Rede in Cäsars Ohr keine Geltung hat, weil mir Narcissus dies Ohr schon so lange verschließt. Aber ich denke, wer so gerne am Forum über die Streitigkeiten der Marktweiber zu Gericht sitzt, sollte die Aussage einer Klägerin nicht ganz so leicht nehmen, die die Schwester und Gattin von Cäsaren ist!«

Claudius holte tief Atem und sagte: »Agrippina – wollen wir nicht diesmal versuchen, unsere Ruhe zu bewahren?«

Agrippina dachte: »Ich würde nichts so sehr wünschen, als daß du die deine endlich verlörest! Denn dann kommst du und bettelst!« Und laut erwiderte sie: »Es ist sehr schwer für eine Mutter, ruhig zu erdulden, daß ihr völlig schutzloses Kind« – täuschte sie sich oder flog ein winziges Lächeln um Claudius' Lippen? – »öffentlich erniedrigt und beschimpft wird. Burrus hat mir eben in hellster Empörung berichtet, daß, als Nero und Britannicus einander im Gymnasium begegneten, mein Nero als der Ältere und der Fürst der Jugend Britannicus zuerst gegrüßt hat, und weißt du, wie der Sohn der Messalina diese Freundlichkeit belohnte? Er nannte ihn vor allen ›Domitia‹!«

Sie begann auf und ab zu gehen, ihr Gewand aus steifer Seide raschelte mit dem Geräusch von Nattern im Herbstlaub hinter ihr her.

»Wenn es nicht so tragisch wäre, möchte ich so laut lachen wie Narcissus!« dachte Claudius hinter seiner vorgehaltenen Hand. »Mein kleiner Britannicus! Mein tapferer kleiner Kerl! – Der zaudert nicht wie sein Vater! Gelähmten Willens, lahmer Zunge! Und wie er trifft, bei allen Göttern! – Wenn sie nur aufhörte, hin und her zu gehen, wenn sie sich doch nur setzte wie andere Menschen!«

Agrippina sah die vorgeneigte Gestalt, das kahle Haupt, die schmalen, abfallenden Schultern. »Er schweigt. Stützig wie ein Maultier schweigt er«, dachte sie. »Er sitzt da und verbirgt sein Gesicht, das wie ein Fastentag lang ist!«

»Claudius!« sagte sie in einer Sanftmut, die den Atem anhielt, und strich über sein schütteres Haar, »willst du mir nicht helfen?«

»Laß mich doch nachdenken, bitte.«

Sie preßte die geschminkten Lippen zusammen und nahm ihren Raschelgang wieder auf. Im Augenblick, da sie meinte, ihr Zorn müsse nun und nun überkochen, richtete sich Claudius auf, und wieder lag diese erstaunliche Würde über ihm.

»Ich kann die Streitigkeiten von einem dreizehn- und einem sechzehnjährigen Jungen nicht in so finsterem Lichte sehen wie Burrus«, sagte er. »Wenn du es wünschest, soll Britannicus seinen Bruder um Entschuldigung bitten, das wird er herzensgern tun.«

»Und ich kann deiner bequemen Auffassung nicht beipflichten«, sprach Agrippina eisig. »Ich kenne meine Feinde, die hinter Messalinas Sohn stehen.«

»Was also soll ich mit Britannicus tun, ihn köpfen?«

»Nein – aber ihm bessere Erzieher geben als Messalinas Kreaturen. Ihn von Narcissus fernhalten, der ihn öffentlich umarmt und anfleht, schneller zu wachsen, weil Roms Glück und Größe bei ihm lägen!«

Claudius sprach nachdenklich die Namen aus: »Titus Flavius, Crispinus, Geta, Piso! Ich kann an des Britannicus Lehrern kein Fehl finden!«

»Freilich!« höhnte Agrippina. »Dir war's ja auch recht, als man Nero einem Friseur und einem Tänzer überantwortete, während du zuließest, daß deine eigene Nichte in Verbannung schmachtete!«

Claudius saß da und schwieg.

»Er ist ganz verändert – seit kurzem ist es, als entglitte er mir ganz –«, dachte Agrippina, und jetzt begann sie zu weinen.

»O Claudius!« murmelte sie unter Tränen. »Habe ich dich in diesen Jahren übel beraten? Ist nicht alles, was ich tat und plante, dein Vorteil und der Vorteil Roms gewesen?«

Sie war um den Tisch herumgeglitten, jetzt sank sie neben seinem Stuhl ins Knie und nahm seine Hand in ihre festen warmen Hände. Die griechische Gaze ihres Oberkleides war durchsichtig wie Milchglas. Ihre mädchenhaft jungen, runden Brüste atmeten nah.

Claudius schwieg. Staunend fühlte Agrippina, daß sie keine Macht mehr über den tausendmal verlachten Toren hatte. Er stand auf und ließ sie knien. Mit Daumen und Zeigefinger seine überanstrengten, schmerzenden Augen reibend, sagte er leise lispelnd: »Es ist mein Schicksal, die Laster meiner Frauen erst zu ertragen und dann zu bestrafen. Gute Nacht.« Er ging aus dem Zimmer.

Agrippina richtete sich verstört von den Knien auf. Eine eiskalte Welle der Furcht rann über ihren Rücken. Das Hochzeitslied verhallte. Man hörte draußen nur noch die Doppelflöte und den rhythmisch skandierten Jubelruf: »Hymen! O Hymenäus! O Hymen, o Hymenäus!«

Octavia ließ die Umarmungen und Küsse über sich ergehen, dankte ihrer Schwiegermutter nochmals für das Diadem ihres Brautgeschenkes und ließ sich von der neuen Tante Lepida mit seidenzarter Hand unters Kinn fassen.

»Fürchte dich nicht, Kleines, es geschieht dir nichts!« raunte Lepida während der Umarmung und sie schloß dabei die Augen ganz wie eine Katze beim Schnurren.

Dann gingen die Herrinnen und die Hofdamen, die Freigelassenen und die Sklavinnen und hinterließen Spuren ihrer Tritte in der dicken Schicht der Weizenkörner, die segenbringend ausgestreut worden waren.

»Hymen, o Hymenäus!« riefen draußen die Freunde, das Gefolge, die Offiziere, die die Ehrenwache bezogen hatten.

Octavia war allein und atmete auf. Aber im nächsten Augenblick ward es ihr bewußt, daß sie ja hier auf ihren Eheherrn wartete.

Sie näherte sich dem riesigen Spiegel, dessen Rahmenlast eine Schar von entzückenden Eroten zu stemmen schien, und sah sich mit mißtrauisch besorgten schwarzen Augen an. Sie fand sich häßlicher denn je. Der Kopf schmerzte unter der Last von Diadem und Schleier. Sie hatte Hunger, sie hatte Durst, nachdem sie an der Tafel allen Leckerbissen der von ihrem Vater beherrschten Erde gegenüber die ätherische Jungfrau und während der vierzehnstündigen Hochzeitsriten die bräutlich Verschämte hatte darstellen müssen. Manchmal hatte es sie – die Vertraute des Britannicus, die von so vielen Sklavinnen und Freigelassenen Umgebene – Mühe gekostet, die blanke Miene eines unberührbaren Nichtverstehens bei all den Anspielungen, Scherzsprüchen, Verheißungen beizubehalten, die so dicht wie der Streuregen der Weizenkörner auf sie niederprasselten.

Sie gähnte vor dem Spiegel und dachte: »Das einzig Hübsche an mir ist mein Mund! – Ob es wohl wahr ist, was Britannicus schwört, daß Piso in mich verliebt ist? In mich?! – Keiner würde mich mehr verlachen als Britannicus, wenn ich es mir einfallen ließe, dies wirklich zu glauben!«

Sie wandte sich, um das riesige Bett zu besehen, an dessen Decken seit ihrer Verlobung mit Silanus gestickt worden war. »Welche Wollust wäre das, sich in diese Kissen zu werfen und zu schlafen – oh, zu schlafen! Arme Kaiserin Livia, wenn sie immer nur diese kratzende Wolle und diese schweren Schuhe getragen hat! – Das ist ja Flamingoflaum, mit dem die Kissen gefüllt sind, er schimmert durch die Seide wie Korallen! – Wenn ich mich jetzt niederlegen dürfte, ich schliefe sofort ein! – Aber ich muß ja züchtig weitab vom Bette stehen bleiben, züchtig und verschleiert –«

»Hymen o, Hymenäus o!«

»Zu töricht – aber ich habe Herzklopfen! – Sicherlich komme ich mir so wie ein Opferlamm vor, weil meine süße Mutter tot ist und an diesem Tage nicht bei mir sein kann. Und mit Britannicus habe ich kein Wort reden können! Die toben ja draußen wie die Zikaden bei Sonnenuntergang! Wie die Flöten dudeln und locken! Dabei ist mir die ganze Zeit, als gelte es gar nicht mir, als gehe dies alles mich gar nichts an! – Eine Männerstimme! Das ist Otho. – Ich verstehe ihn nicht, eine Zote wohl, denn jetzt lachen sie ja toll! – Nur Piso soll nie bei Zoten lachen. – Jetzt wieder Weizenregen, der an die Türe prasselt! Jemand singt, Nero selbst! Oh! Das sollte er nicht, welcher Bräutigam singt den eigenen Hymenäus mit? Natürlich klatschen sie alle Beifall. – Es ist gut, daß er jetzt jemanden haben wird, der aufrichtig zu ihm ist. – Ach, ich habe doch Angst. – Abscheuliche Lepida. – Ich habe ganz dumme, dumme Angst –«

Die Türe öffnete sich unwillig, holprig, von Haufen goldiger Getreidekörner gehemmt. Octavia schlug die Augen nieder. Die Tür klappte zu. – Da war Nero.

Draußen erstarb das Lied, erstarb das Gelächter, nichts war in großer Stille hörbar als das Hin- und Widerklirren der Brautwache. Octavia hob mit Entschluß den Kopf und sah Nero ernst und ruhig an.

Er stand noch immer an der Türe, in seiner vielfaltigen Toga, einen Kranz weißer Rosen im roten Haar.

»Das also ist mein Gatte«, dachte Octavia. »Er hat nicht Pisos Adel, nicht Britannicus' lebensprühende Anmut, aber er hat sich zu bewegen gelernt, und ein Gesicht kann nicht regelmäßiger schön sein als das seine. In unserm Kinde werden Claudier und Julier verschmelzen!«

Octavia, fünfzehnjährige Südländerin, von Kindheit an für diese Nacht erzogen, wartete unter Diadem und rotem Schleier. – Neros Blick nahm das Gemach in sich auf, das nichts zu enthalten schien als das breite Bett und die Silberplatte, in der es sich spiegelte. Ein Bett, würdig der eheschänderischen Umarmung der Messalina mit ihrem Silius.

Und hier stand seine Gattin, verloren in den strengen Schleierfalten, Fuß an Fuß und Knie an Knie. »Sie sieht mich so besorgt aus ihren schwarzen Affenaugen an. Was denkt dieses kleine, fremdgeschlechtliche Tier? Was erwartet es? Das? – Zittert sie vor der Übermacht des Vergewaltigers Mann? – Welch eine Rolle, ihr Götter! Und welch eine Fehlbesetzung! Ich habe nur eine Sehnsucht, diese Toga, die in richtigem Faltenwurf zu tragen ein keinen Augenblick außer acht zu lassendes Problem ist – zusammengeknüllt in den Winkel zu werfen und nach dieser vierzehnstündigen Tortur nackt und allein zu gähnen, mich zu kratzen, zu schlafen, statt mich der noch größeren Tortur zu unterziehen. Ich habe richtiges Herzklopfen!«

»So!« sagte Nero plötzlich laut und brutal, eben weil er Herzklopfen hatte. »Soweit hätten sie einen ja geschleift, aber weiter soll mich keine Quadriga schleifen!« Er nahm den Kranz ab und schleuderte ihn in die Ecke. »Oder lockt es dich sehr, diese Tragikomödie zu Ende zu spielen? Eh?«

Sobald sie seine heftige und höhnische Stimme vernahm, senkte Octavia den Kopf. Ihr Gesicht, dessen Beherrschung sie fünf bittere Jahre neben einer Stiefmutter gelehrt hatten, war undurchdringlich.

Nero begann auf und ab zu gehen. Der kunstvoll über die Schulter geworfene Faltenteil der Toga glitt herab. Er zerrte daran, seit fünf Jahren war er nicht mehr gewohnt, sich ohne Sklavenhilfe zu entkleiden.

»Was wird nach Menschen gefragt? Sie sind nichts, und Rom – Rom, Rom ist alles!« deklamierte er. Er tat drei, vier Schritte auf sie zu, und es machte ihn zornig, daß ihre Wimpern niederzuckten.

»Deine Mutter hat meine Mutter gehaßt! Dein Bruder und ich, wir hassen einander! Es ist Politik allein, die uns in dieses Zimmer gesperrt hat. Kann es möglich sein, daß du dich danach sehnst, von mir auf dieses Bett geworfen zu werden?«

Er kniff die hellen, kurzsichtigen Augen zusammen, um in ihrem Gesicht zu lesen, aber dies Gesicht zeigte dieselbe vornehme Miene unberührbaren Nichtverstehens wie vorhin bei den Witzen der Männer. Nero hatte jähzornige Lust, ihr den Schleier abzureißen, sie zu rütteln, aber er wagte es nicht – es hätte zu sehr dem Auftakt zu ehelichen Freuden geglichen. Er stopfte das baumelnde Toga-Ende in den Gurt des Unterkleides und begann aufs neue auf und ab zu gehen wie Agrippina.

»Erinnerst du dich noch daran, wie wir uns vor fünfeinhalb Jahren zum erstenmal gesehen haben?« fragte er.

»Jetzt werde ich sprechen!« dachte Octavia. »Es ist ja zu töricht, so taubstumm dazustehen – ich werde ihm sagen –«

Aber er ließ ihr keine Zeit.

»Es war der Tag, an dem ich meine Mutter wiedersah, der Tag, an dem sie mir Paris nahmen –« Octavias kluge schwarze Augen sahen forschend auf bei diesem bitteren Klang in der Jünglingsstimme. »Damals habe ich dich in den Arm gekniffen und darauf gewartet, daß du schreien würdest, aber du hast nicht geschrien. Seither haben wir uns durch diese fünf Jahre alle Tage an der kaiserlichen Jugendtafel gesehen und keine fünf Worte gewechselt. Und jetzt sind wir auch noch verheiratet, ohne befragt worden zu sein, denn wir sind Nebensache – wichtig ist nur das große, ewige Rom

Bei dem Hohn dieser Worte zuckte Octavia zusammen. Sie öffnete die Lippen zum Einwurf, aber jetzt stürzte Nero sich kopfüber in den Strudel dieser großen Soloszene, die er zu schätzen begann. Irgendwie mußte diese Nacht im Gefängnis mit klirrender Wache vor der Schwelle herumgebracht werden, und ebensogut mochte diese schattenhaft auf dem Bettrande hockende Gestalt erfahren, woran sie mit ihm war.

»Haha! Bist du auch so wie Seneca und der alte Säufer, der Narcissus, bei denen man das Weiße in den Augen zu sehen kriegt, wenn sie nur vom ›ewigen Rom‹ hören. Sie sterben vor Angst, alle diese grauen Narren, nur weil in diesem Jahr die Käuzchen mehr als sonst auf dem Capitol schreien und weil ein Kalb mit zwei Köpfen geboren worden ist und was sonst noch die alten Weiber sich als Unglückszeichen auslegen! – Ich für meinen Teil, ich kann es nicht ertragen, wenn ein Bettler auf dem Forum ein krummes Gesicht zieht, und schenke ihm etwas, um zu sehen, wie er mich anlacht. Aber Rom? Rom könnte vor meinen Augen in den Abgrund versinken, und ich würde keine Träne weinen!« Nero warf den Kopf zurück, streckte die Linke vor, hob die Rechte in Rednergeste.

»Mimt er vor mir das Standbild des jugendlichen Augustus?« dachte Octavia. »Er muß trunken sein, denn unmöglich kann er wirklich das alles meinen, was er da sagt. – Es ist schlecht für unser Kind, wenn er trunken ist, sie sagen, daß Caligula nach Weingenuß gezeugt ward.«

»Rom!« fuhr Nero fort, als halte er eine Anklagerede in der Kurie. »Der Nabel der Welt, sagen sie, und was ist es, dieses ihr Rom?«

»Wenn er nur nicht so schreien würde!« dachte Octavia. »Wenn Britannicus erfährt, daß er in der Brautnacht Reden gehalten hat, ist es vor seinem Hohne nicht mehr auszuhalten, und am Ende ist die Domitia jetzt doch mein Mann.«

»Ein Winkelwerk enger Straßen, deren jedes gallische Nest sich schämen müßte! Vorgestern, als meine Mutter aufs Capitol fuhr, blieb ihr Wagen dreimal in Dreck und Enge stecken! Und das soll die Hauptstadt der Welt bedeuten?«

»Da ist ihr ganz recht geschehen!« dachte Octavia und meinte Agrippina. »Warum läßt sie sich nicht im Tragstuhl hinaufbringen wie die anderen Kaiserinnen vor ihr? Aber nein, Agrippina muß den Wagen benutzen, nur weil eben vor ihr einzig die Priester bei den heiligen Umzügen ihn benutzt haben!«

Nero war plötzlich seiner großen Rede satt. Es schien ihm etwas Neues eingefallen zu sein und er lächelte. – Nicht das gewohnte angeheftete, angefrorene Lächeln, das Octavia so gut kannte, sondern ein anderes, glückseliges, das ihn schöner machte, als sie ihn je gesehen hatte.

»Sonderbar!« sagte er nachdenklich, »– daß ich dich zum erstenmal sah, als ich Paris verlor, und daß diese läppische Heirat dem Tage vorangeht, an dem ich ihn wiedersehen werde.« Er sah das Erstaunen in ihren Augen aufglimmen und nickte. – »Ja. Mit dieser Posse habe ich es von Mutter erkauft.« Nero schüttelte die Locken zurück, riß die Toga ab und schleuderte sie zu einem schweren Klumpen zusammengeballt in die Ecke. Er holte tief Atem.

»Nur noch diese Nacht und der eine Tag sind zu überstehen!« Er faßte sich kopfschüttelnd vor die Stirne und lachte auf. »Es ist nicht auszudenken! Wenn nur nichts Übles dazwischenkommt!«

Er spuckte dreimal aus und rührte an Agrippinas Goldreif, der die Schlangenhaut umfaßte. Octavia hörte mit großen Augen den neuen Klang seiner plötzlich ganz ungezierten Stimme. »Du hast doch sicher davon gehört, daß ich, ehe Mutter zurückkam, von einem Friseur und einem Tänzer erzogen worden bin. Das war der ganze Hofstaat, den dein lieber Vater für mich übrig hatte. – Aber weißt du, das waren meine glücklichsten Jahre. – Paris brachte mir Pasteten mit, die er für mich in den Häusern, wo er tanzte, gestohlen hatte. – Er ist der einzige Mensch, der je einen Kosenamen für mich gehabt hat, der einzige Mensch, den ich nach fast fünfeinhalb Jahren der Trennung noch liebe. – Du starrst mich an, und ich höre dich geradezu denken: ›Seneca?‹ und ›Agrippina?‹ – Ja, Mutter – Mutter liebe ich vielleicht, oder ich könnte sie lieben, wenn sie weniger die Tochter des Germanicus wäre und mehr meine Mutter. – Sie hat nie ein gutes Wort für mich, weil sie sieht, daß ich ›weich‹ bin, und mich zu ›verwöhnen‹ fürchtet. Und manchmal schlägt sie mich noch, obgleich sie mich zum Fürsten der Jugend gemacht und mir das Großjährigkeitszeichen der Toga verliehen hat.«

Octavia fühlte ihre Augen naß werden, sie hielt den Atem an, um ihn nicht zu stören, nicht aufzuschrecken.

»Und Seneca? – Seneca sieht in mir den Erlöser der Welt, seinen jugendlichen Gott. – Er sagt mir wunderbare Sprüche über das Gute auf. Was aber, wenn die bekämpfte Lust nach dem Bösen bleibt und wächst und wächst bis in alle leeren Himmel?«

Nero saß neben ihr, sie sah sein Profil, seinen tiefroten, feuchten, unziemlichen Mund, die langen Wimpern seiner Augen, deren Kurzsichtigkeit, da der Blick gesenkt war, nicht störte; die schöne gerade Nase, das weiche Kinn.

»Alle tun, als hätte ich den gereiften Geist eines Sechsunddreißigjährigen und den unreifen Körper eines Sechsjährigen. Alle, alle stellen Forderungen an mich – wollen mich anders machen, als ich bin. Ich soll Hunderttausende beglücken lernen. Aber ob ich selbst glücklich bin, fragt niemand.«

»Das also ist Nero?« dachte Octavia und ihr Herz pochte rasend. Sie sah, daß er am ganzen Leibe zitterte. »So also ist Nero – o Götter!« und sie fürchtete, vor Mitleid laut zu weinen.

Plötzlich sah er sie mit verengten Augen an. »Warum machst du solch ein Gesicht?« fragte er mißtrauisch. »Du verstehst das alles nicht? Du verachtest mich genauso wie dein Bruder, nicht wahr? Verachtest mich, weil ich Reden halte, während jeder andere mit dir schon Romulus und Remus gezeugt hätte. – Was, Tochter der Messalina?« Sie hatte endlich, endlich reden wollen, aber jetzt schloß sie von neuem die zarten blassen Lippen.

»Ich denke nicht daran zu tun, was du und Mutter und Claudius und euer ganzes Rom von mir erwarten! Ich bin nicht, was ihr in mir seht! Ich bin kein Ehrgeiziger, kein Erbschleicher, kein Römer, kein jugendlicher Gott. Paris allein hat schon damals in mir gesehen, was ich bin: ein Künstler!«

Octavias linke Hand fuhr mit einer Kindergeste des Erschreckens zum Munde, ihre dunklen Augen strahlten ihn in erstauntem Unglauben an. Seine bösen Augen schielten fast, er hatte Lust, sie zu kneifen wie damals.

»Meinst auch du, es sei nicht schicklich für einen Prinzen, ein Künstler sein zu wollen? – Man möchte euch alle nehmen und rütteln wie die Nußbäume, vielleicht daß dann die Vorurteile von euch herunterprasselten wie wurmstichige Nüsse –«

Sie schrie auf, als er zupackte. Die Fibel, die das Oberkleid zusammenhielt, öffnete sich und enthüllte den Oberkörper einer Psyche.

Auf den Schrei ertönte draußen ein »O Hymen!« und wildes Gelächter. Das silberne Fleisch vor sich, Othos Lachen draußen machten Nero rasend.

»Vielleicht glaubst du, ich sei nicht Manns genug?« keuchte er kaum verständlich. Im selben Augenblick wich er rücklings vor ihr zurück, geduckt, die Fäuste ballend. »Am letzten Abend mich noch verlocken lassen?« murmelte er. Er begann von neuem auf und ab zu gehen, die runde Rechte am Mund, biß er hörbar an den Nägeln.

Octavia, nur Augen unter ihrem großen Schleier, lag da und regte sich nicht. Er kam heran, das fleckig gerötete Gesicht verzerrt vor Haß. »Das würde dir gefallen, was? Wenn ich dir das Siegel nähme? Damit du mir morgen Hörner aufsetzen könntest, genau wie deine Mutter dem Claudius? – Schon damals, vor fünfeinhalb Jahren, hat Drumio gesagt, du würdest auch eine Hure werden wie Messalina!«

Nero wandte sich, stieß an das Tischchen, auf dem der Becher und der versiegelte Weinkrug standen. Er nahm den bereitgelegten Öffner. » Dir wird das nicht geschehen!« sagte er grinsend, entkorkte den Krug, goß ein, trank.

Er schien plötzlich so müde, daß er kaum ums Bett herum zu stolpern vermochte. Er warf sich querüber in die Kissen und schlief mit eingesunkenen Augen und weit offenem Munde wie ein Toter.

Lautlos und allmählich ließ sich Octavia vom Bett auf die Stufe herabgleiten. Den Ellenbogen aufs Knie gestützt, die Hand mit der Geste ihres Vaters als Schirm vor die Augen haltend, verwachte sie ihre Hochzeitsnacht.

 

Hinter allen Sälen, allen Gemächern des kaiserlichen Palastes liefen – durch verborgene Türen erreichbar schmale, schlecht erleuchtete Sklavengänge hin. – Sie dienten der rascheren Verbindung mit den Kleiderkammern, den Küchen, den Vorgemächern, den Heizkammern, von denen aus die Warmwasserheizung der Räume geregelt ward. Vom grauen Morgen bis zum nächsten grauen Morgen gab's hier ein ewiges Hasten, ein Sich-Begegnen, ein Aufeinanderrennen, ein »Ho- Hollah!« – ein »Aufgepaßt, Esel! Hast keine Augen?« – Man rollte schwere Kleiderpressen auf Rädern, man trug keuchend volle Mischkrüge herbei und pfeifend leere zurück, man balancierte Versandkörbe, denen hinreißender Rosenduft entquoll, der einen Augenblick den saueren Dunst von Speisen, Schweiß und ausgesonderten Flüssigkeiten in noch dunkleren Ecken vergessen machte.

Das Klirren seiner unzähligen Büchschen und Gläschen und Väschen kündigte den Friseur an, der, sein Tablett mit beiden Armen auf dem Kopfe festhaltend, statt eines Warnrufes seinen ägyptischen Namen sang: »Nu-fer-ré, Nu-fer-ré!«

Ein griechischer Schreiber, die Arme voll Schriftrollen, drängte sich an die Wand, bestrebt, ihm auszuweichen, aber das Tablett fegte eine Rolle zu Boden.

»Verzeih!« sagte der Friseur mit fremd klingendem Dialekt und lächelte, »ich bin ungeschickt gewesen!«

»Keineswegs!« wehrte der junge, muntere Schreiber höflich ab und begann die Schrift von neuem festzurollen.

»Aber es ist kein Wunder, wenn meine Hände zittern«, schwatzte Nuferré. »Meine Finger sind voller Blasen, du siehst es gar nicht in dieser Finsternis – vor Übermüdung habe ich mich entsetzlich verbrannt. Viermal habe ich ihn heute umfrisieren müssen!«

Der Schreiber lachte: »Wen denn? Nero?«

»Du hast gut lachen! – Von dir verlangt er nicht, daß du ihm eine Philosophenstirn rasieren sollst, und nach dir wirft er nicht mit Salbtiegeln.«

»Na, der junge Ehemann will eben seiner Frau gefallen!« lachte der Grieche gutmütig.

»Mhm! Mhm!« Der Ägypter zog seine geraden Schultern hoch. – »Sie sagen – komm doch dort in die Ecke, die Rüpel stoßen einem ja ihre Körbe in den Bauch! –, sie sagen, daß die Octavia heute morgen ganz verweint gewesen ist! Sie sagen, einer der Herren von der Ehrenwache habe ihr Gewand, als sie herauskam, wie ihr Sklave geküßt. Sie sagen, daß Nero heute gar nicht wieder zu Octavia geht, sondern jemanden bei sich erwartet –«

»Sie sagen dir viel zu vieles, mein Guter!« schnitt der Grieche ab. »Ich werde erwartet!«

» Du nicht!« kicherte der Ägypter. »Deinetwegen steht man nicht vor dem Spiegel und bleckt seine Zähne und redet mit sich selbst und rennt auf und ab wie ein Narr. – Wer ist es denn übrigens, der dich schickt?«

»Mein Herr, Seneca!«

»Seneca! Ist das wahr, was sie sagen, daß Seneca dem Nero alle seine Reden schreiben muß?«

»Das mußt du Nero fragen, ich weiß es nicht. – Welches ist die Türe zum Vorraum?«

»Die dritte – geh nur durch die dritte«, riet der Friseur boshaft und dachte: »Vielleicht fliegt dem Kerl auch etwas an den Kopf, wenn er geradewegs zu Nero eintritt!«

Der Schreiber drehte den Türknauf und blieb stehen, geblendet von so viel Helle.

In Neros Ankleidezimmer brannten alle Wandlichter und Ampeln. Kleider lagen in bunten Haufen auf dem Boden, auf Stühlen, auf den Preßrahmen, denen sie entnommen worden waren. Drei Ankleider, eine Schmucksklavin, eine Kranzbinderin, der Kleiderbewahrer, der Faltenwerfer standen reglos wie Figuren eines Reliefs an die Wand gedrückt.

Vor dem riesigen Bronzespiegel, den ein Sklave mit fiebrig gerötetem Gesicht zu verstellen hatte, stand Nero. Er starrte ingrimmig und verzweifelt sein Spiegelbild an, in weißer, enggefältelter griechischer Tracht, das zu drei Reihen von Locken gedrehte Haar, das Goldband und Kranz aus der Stirne zwangen. Man sah ihm an, daß er am liebsten von neuem die ganze Aufmachung gewechselt haben würde. Da sah er im Spiegel den jungen Schreiber. »Ist hier eine Markthalle, daß Fremde unangemeldet eintreten?« herrschte er ihn an.

»Ägypter, warte, dir geht es schlecht, wenn ich dich finde!« dachte der Schreiber. Laut sagte er: »Vergib, Proconsul! Mein Herr Lucius Annäus Seneca sendet dir die Gesuche der Stadt Bononia um Wiederaufbau nach ihrer Einäscherung vom Brande!«

»Wäre doch auch Rom eingeäschert wie Bononia, und ihr ließet mich in Frieden!« – »Jetzt hat meine Stimme prächtig geklungen«, dachte er und fuhr besserer Laune fort: »Kann ich denn nicht einen Abend ungestört für mich haben?« Er faßte den betretenen Schreiber ins Auge und sagte: »Du bist ein Grieche! Ich bitte dich, sieh dir an, was sie da aus mir gemacht haben! Ist das ein richtiges griechisches Hymation?«

Der Schreiber fing die beschwörenden Gesten der Sklaven drüben an der Wand auf und sagte: »Es kleidet dich wunderbar, mein Prinz.«

»Findest du?« fragte Nero, ungläubig in den Spiegel sehend. Plötzlich bezaubernd liebenswürdig lächelnd, sagte er: »Mein guter Atreus, du hast in diesen Tagen viel Arbeit um meinetwillen gehabt, man wird dir fünfhundert Sesterzen auszahlen!« – »Ich habe genauso ein gutes Namensgedächtnis wie Narcissus«, dachte Nero jählings berauscht und glücklich. – »Ich habe den Kerl keine dreimal bei Seneca gesehen. – Natürlich wird Seneca davon erfahren.«

»Herr!« meldete der Ansager, der jung und hübsch war wie alle Sklaven Neros. »Ein Freigelassener der Herrin Lepida!«

Nero schluckte und sagte mit schwerer Zunge: »Es ist gut.« Er senkte das Kinn zur Brust, rasch und hörbar atmend. Er hatte es sich geschworen, daß er bis hundert zählen würde, um lange genug auf sich warten zu lassen, aber er verwirrte sich, fing von neuem an, gab es ungeduldig auf. Er sah nochmals in den Spiegel, aber es ward ihm nur bewußt, wie blaß er war, und er segnete seinen Einfall mit den Lampen von heute nachmittag.

Der Sklave riß die Türe vor ihm auf, und wie berechnet, stand er, Nero, im Dunkel – der andere im vollen Licht.

»Herr!« sagte eine devote Stimme, Paris' Stimme. »Welch ein Glück, dich wiedersehen zu dürfen! Welche Gnade, daß du dich meiner noch zu erinnern geruhst –«

Nero war zu kurzsichtig, und es galt, die Augen nicht einzukneifen. Er kam langsam auf seinen purpurnen Schuhen näher, bis er nahe genug war, das Gesicht wiederzufinden, seine Veränderungen verwirrt festzustellen und was sich gleichgeblieben war – und er hörte, schwindlig vor Herzklopfen, seine eigene belegte Stimme sagen: »Ich freue mich, dich nach so langer Zeit wiederzusehen, Paris!« so belanglos liebenswürdig, wie er es einstudiert hatte.

»Die Herrin Lepida gab mir auf, dir ihre Grüße zu bestellen!«

»Ich kann mir ausmalen, was für ein Gesicht sie dabei gemacht hat«, dachte Nero und erkannte die weißliche Narbe an Paris' Kinn wieder, die von einem Sturz aus der Flugmaschinerie herrührte. Sonderbar, daß er just diese Narbe hatte vergessen können!

»Ich hoffe meine Tante bei gutem Ergehen?«

Die Sklaven schoben die Türen zum Speisesaal zurück, diese Türen, hinter denen vor fünfeinhalb Jahren ein verzweifeltes Kind Paris gesucht hatte.

»Herr!« murmelte der Mime geschmeichelt. Er hatte angenommen, sein Essen sich vorher durch Tanz bei einem Gastmahl verdienen zu müssen, und sah, daß an der fürstlichen Tafel nur zwei Lager bereitstanden.

Während sie die Kränze empfingen, bemerkte Nero: »Ich bin gewohnt, um diese Zeit einen kleinen Imbiß zu mir zu nehmen. Bei Tage arbeite ich sehr viel.« – »Das war gut, das war ganz natürlich«, dachte Nero.

Die Sklaven trugen gespickte Wachteln aus Apulien auf.

»Er ißt bloß und bemerkt gar nicht, daß ich noch weiß, daß Wachteln seine Lieblingsspeise sind.«

»Entsinnst du dich noch unserer Bohnensuppen?«

Paris lächelte, er hatte lange schon nicht mehr so fette Wachteln gegessen und so alten Wein getrunken, er hätte gerne dabei seine Ruhe gehabt, aber man mußte doch auch reden.

»Die Herrin Lepida erzählte mir, daß du geheiratet hast, mögen die Götter dein Haus segnen. – Wie sonderbar ist es, seinen kleinen Schüler als Mann wiederzusehen!«

Neros dichte braunrote Wimpern waren niedergeschlagen. »Auch du bist männlicher geworden muskulöser! – Wie geht es mit deinem Tanz, Paris?«

Paris lachte sein altes Lachen von einst. »Es geht, Herr, es geht! Man ist mit dem Paris nicht unzufrieden gewesen in diesen fünf Jahren!«

»Fünfeinhalb! – Erzähle mir, was du gespielt hast und wo und mit wem! Ich habe ja so wenig von dir zu hören bekommen! Was ist eigentlich damals mit dir geschehen?«

»Wann, Herr?«

»Als – wir uns trennten!«

»O damals! Da ging ich direkt zur Herrin Lepida und kaufte mich frei mit zehn von den zwanzigtausend, die mir Narcissus gegeben hatte –«

»Narcissus!«

»Ja, wußtest du das nicht?«

»Natürlich wußte ich es. Nun und dann?«

»Dann ging ich mit einer Truppe nach der Provinz, deren Leiter mich zu schätzen wußte, wie ich sagen darf!«

»Silus?!«

»Ja, du weißt den Namen noch, Herr!«

»Ich habe ein gutes Gedächtnis. – Also nicht nach Griechenland?«

»O ja – auch nach Griechenland –«

»Das klingt nicht sehr glücklich«, dachte Nero und erschrocken: »Ich kneife schon wieder die Augen zusammen!«

»Und zu Troja, Herr –«

»Sage mir doch nicht immer, Herr! Herr!«

»Wie denn sonst?«

Nero schluckte und schwieg.

»Also, Domi – o verzeih! Nero! – Zu Troja sagte man mir, daß du im Senat aus dem Stegreif eine Rede gesprochen hättest, auf die hin der Stadt für fünf Jahre die Steuern erlassen worden sind!«

»Ich spreche immer Senatsreden aus dem Stegreif«, sagte Nero erhaben. – »Weißt du übrigens, mein Paris, daß ich noch den Hermes nicht verlernt habe?«

Paris hatte dem Götterfraß alle Ehre angetan und genoß jetzt den Wein.

»Aber, Nero, für den bist du doch viel zu groß, zu schwer! Ich habe jetzt bei Silus einen Zehnjährigen herausgestellt, einen kleinen Epheser, den solltest du sehen! Wirklich, Fürst der Jugend, ich dachte schon daran, ob du deinem alten Lehrer zuliebe dem Jungen nicht einen Platz unter den kaiserlichen Tänzern verschaffen könntest.«

Nero kniff die Augen ein: »Wie heißt er?«

»Sporus.«

Nero trank und sagte wie Claudius, wenn er zu Gericht saß: »Wir wollen sehen, was für Fakten für ihn sprechen.« Er hatte die ganze Zeit schon mit diesem brennenden Wunsche gerungen. Jetzt sprang er auf und warf sich überraschend in die alte Geste des Hermesknaben, den beflügelten Fuß im Abstoß weggestreckt. Der Schenke ließ beinahe seinen Krug fallen.

Paris erhob sich, weil der Wirt sich erhoben hatte, und sagte, den hübschen, törichten Kopf zurückgelehnt: »Nicht übel. Gar nicht übel!«

Nero kam zu seinem Lager zurück, rasch atmend, Antlitz und starken Hals gerötet, die Augen voll trunkenen Triumphs, ein verlegenes Lächeln durch die Nase blasend. »Habe ich nicht zu viel verlernt? Ich habe jede Nacht geübt, wenn ich noch so müde war. Dann war es, als seist du gar nicht fort.«

Es gab Paris einen Ruck.

Er sah durch diesen Raum mit den Lichtern und Rosen und Sklaven. – Er gelobte Fortuna ein großes Opfer. Silus war zu Ende der griechischen Reise höchst unliebenswürdig geworden. – Und Dame Lepida –

Er hob den Becher und trank Nero zu. »Auch mir ist, als wäre ich gar nicht fort gewesen, mein Kleiner!« sagte Paris.

 

Agrippina ging auf und ab in dem riesigen Gartensaal ihres Palastflügels. Manchmal hielt sie vor einer der drei Terrassentüren still und sah in den Oktoberregen hinaus, ehe sie, sich abkehrend, die Schleppe ihres Gewandes mit dem Fuße zurückwarf und wieder auf Pallas zukam.

Pallas hatte sich von seinem Stuhle erhoben. Er stand im Profil zu ihr, mit hochgerecktem Kopf, eine Bildsäule düsterer Vornehmheit, und wartete.

Jetzt blieb Agrippina vor ihm stehen, die indische Silbergaze ihres Kleides glitzerte, ihre Augen glitzerten. Sie maß den Mann, dessen starrer Blick unter den gewölbten Lidern ihr auswich, sie sah sein wohlgenährtes Gesicht voll größenwahnsinnigen Hochmutes und dachte: »Nie im Leben vergeb' ich es – nicht ihm, nicht mir –, daß er in meinem Bette hat liegen dürfen!« Sie dachte: »Du Hund! – Du Feigling!« – und da hatte sie schon laut »Du Feigling!« gesagt. All ihre Nerven zuckten, als die Winkel seines schmalen Mundes sich herabbogen.

Pallas dachte – und es machte sie rasend, daß er es dachte –: »Dein Schelten ändert nichts daran, daß nach Gebühr der erste Mann des Reiches mit der ersten Frau des Reiches geschlafen hat!«

Er sah – die schweren Lider gesenkt – auf seine quallenblasse, quallenweiche Hand herab, an der die berühmte Venusgemme des Dioskorides strahlte – des großen Augustus' Siegelring. Und er sagte störrisch wie ein Kamel, dem er so glich: »Narcissus wird niemals wagen, gegen uns beide vorzugehen!«

In aufkochendem Zorn dachte Agrippina: »Du kostest mich große Opfer, da wie dort, mein Nero, da wie dort!«

Sie wandte sich von neuem und ging, um sich zu fassen, von dem Höfling weg zur mittleren Terrassentür und starrte blind hinaus in diesen nassen Park, in dem die ganze Natur den Tod des großen Pan zu beweinen schien. Ihre gewölbten, äußerst schmalen, vergoldeten Nägel trommelten auf dem Ton einer schwarzroten griechischen Vase, in der die vielflammige Glut von Nelken brannte. Sie dachte: »Kann ich nichts finden, was diesen hochmütigen Dümmling aus der Ruhe peitscht?« Sie stieß die Schleppe so hart mit dem Fuß zurück, als wäre es ihr Günstling selber. Sie hob den schmalen Kopf, sah zur Vorsaaltüre hinüber, vor der durch die Länge des ganzen Raumes von ihr getrennt – Akte reglos stand, eine unvollkommen gebildete griechische Statue zwischen vollkommenen. Sie wehte mit ihrem wilden, schnellen Schritt ganz nahe zu Pallas heran und fragte, mit dem Entschluß ihre angstvolle Schmach preisgebend: »Weißt du, daß er jetzt Hetären und Tänzerinnen zu sich ruft, genau wie damals nach Messalinas Tod, als er als Witwer lebte?«

Wenn Pallas je gelächelt haben würde, hätte er es nun getan. »Ich wußte nicht, daß Agrippina eifert! Alte Herren lieben kleine Mädchen, und er ist vierundsechzig Jahre alt, die Götter mögen ihm hundert –« Hätte ihn der Blitz aus Agrippinas Augen nicht versengt, er würde wahrhaftig den gewohnten Segen zu Ende gesprochen haben.

»Ich habe keine Hilfe als diesen Narren«, dachte Agrippina. »Und indessen planen die beiden Alten Neros Mord!« – Sie erwog verzweifelt, ob sie Pallas verraten solle, daß der Kaiser seit Octavias Hochzeit, volle acht Wochen schon, ihr Bett meide. Aber sie dachte: »Nein! Es geht den Sklaven meines Bruders Caligula nichts an, was in des Kaisers Claudius Ehebett vorgeht!« Die Angst, die ungeheure Angst, packte sie von neuem.

»Höre du!« sagte sie beiläufig. »Ich wollte dich übrigens fragen, was du davon hältst. – Er sagte mir, es sei sein Schicksal, die Laster seiner Frauen erst zu erdulden und dann zu bestrafen. Meinst du nicht, daß dies auf uns beide gemünzt sein soll?« Und sie dachte: »Endlich, endlich hat es getroffen!«, als die Röte seiner wohlgenährten Wangen sich verstärkte.

»Ich habe auch heute, wie jetzt alle Abende, seit Narcissus verreist ist, mit ihm allein gearbeitet, und er trank mir zu und war wie eh und je«, überlegte Pallas laut.

Agrippina antwortete schnell: »Das ist so seine Art. Oh, er wird dich und mich und Nero von Narcissus morden lassen, und am nächsten Tage wird er, wie nach Messalinas Hinrichtung, zerstreut fragen, warum wir denn nicht zum Speisen gekommen seien.«

Pallas wandte ihr langsam sein volles Gesicht zu und fragte: »Hast du denn überhaupt einen Plan?«

Ihr Herz begann rasend zu schlagen.

»Du brauchst sie nur hereinzurufen, ich habe nach ihr geschickt«, sagte sie.

»Nach wem?«

»Welch ein Rätsel der Sphinx! Kannst du's nicht lösen, großer Ödipus?«

»Locusta?«

»Dein großer Geist durchdringt alles Dunkel!«

»Du kannst nicht mit der ärgsten Giftmischerin von Rom Tränkchen brauen! Mit einer Vettel, die zehnmal im Gefängnis lag! Die Kaiserin des Weltreiches kann das nicht!«

»Kann nicht? Die Tochter der Julier, die Schwester des Caligula kann nicht zuvorkommen, wenn man sie töten will und alles, was ihr teuer ist?« – (»Der Narr, er glaubt jetzt, daß ich von ihm spreche!«).

»Gib acht, Agrippina, dein Sohn hat ein weiches Herz, er würde dir den Mord nie verzeihen!«

»Pah! Wenn meine Mutter dies für mich getan hätte, ich hätte ihre Füße geküßt!«

Jetzt starrten sie einander an.

»Es gibt ein großes Hindernis dabei«, murmelte Agrippina, und Pallas, der eben gedacht hatte: »Wenn die Prätorianer mich in der Verwirrung ausrufen, kann ich, der Freund der Kaiserin, Kaiser werden –«, fragte mechanisch: »Welches?«

»Seinen Vorkoster!«

Pallas wandte steifnackig den Kopf und dachte nach. »Halotus? Das wäre nicht so schlimm!«

»Doch!« nickte sie ungeduldig. »Er dient ihm an die fünfundvierzig Jahre!«

»Trotzdem«, sagte Pallas und schob seinen Ring an der unendlich gepflegten Hand zurecht. »Er hat sich in mein Gut am Bolsenersee verliebt. Er träumt davon, dort mit seinen Katzen sein Leben zu beschließen. Er hat mir durch meinen Schreiber viermal Angebote machen lassen.«

»Nun und?«

»Ist Pallas ein Gutsmakler?«

Agrippina lächelte plötzlich ihr rasches, bezauberndes Lächeln. »Aber der Kaiserin verkauft Pallas sein Landgut und sie wird es dem Verschnittenen Halotus schenken!«

»Diesen Umweg zu machen ist unnötig. Halotus soll das Gut von mir selber haben.«

Agrippina dachte: »Fallen lassen! Welche Wollust wäre es, dich fallen zu lassen, daß dein steifer Nacken bräche.« Sie fragte: »Hast du gehört, wann Narcissus von Sinuessa wiederkehrt?«

»Die Bäder sollen Wunder an ihm gewirkt haben, sagt Claudius. Claudius strahlt.«

»Ja, ich weiß!«

»Er erwartet Narcissus für Anfang der nächsten Woche.«

»Dann ist Nero nur mehr bis Anfang der nächsten Woche sicher«, dachte Agrippina. Ihr wurde kalt. Sie stieß die Schleppe zurück.

»Akte!«

Akte kam heran und neigte ihr blasses, stilles Gesicht.

»Führe die Frau herein, die bei dir wartet«, befahl Agrippina.

 

Im Vorsaal zu des Kaisers Claudius Gemächern stand eine überlebensgroße Statue des Zeus – ein Weihegeschenk aus Dodona. Weihrauch verbrannte davor in dick sich ballendem Qualme, und wie durch einen Schleier sah der Gott herab, durch die Kunst des Bildners, des Bemalers, des Schöpfers erzen-emaillener Augensterne zu eindringlichster Hoheit verlebendigt.

Inmitten des Saales hielt der Präfekt der Prätorianer, Burrus, dem Ansturm der Besucher stand, die unablässig herandrängten, um die Nachrichten vom Krankenbette des Kaisers zu erfahren. Und diese flüsternden Besucher alle – die Senatoren, die Angehörigen des ersten und zweiten Adels, die Priester, die Generäle, die Offiziere der Leibwache, die Höflinge, das Heer der Freigelassenen – wiesen einander mit Gesten der Rührung auf den betend versunkenen Jüngling, der seit Stunden unbeweglich vor diesem Zeus auf den Knien lag, um die Genesung des Kaisers zu erflehen.

Der Eingang zu den Gemächern war bewacht. Die Prätorianer ließen niemanden hinein, niemanden heraus als den totenblassen Arzt Xenophon, der allstündlich mit undeutlicher Stimme tröstliche Besserungsversicherungen von dem Täfelchen in seiner Hand ablas, um eilig, als flüchte er, durch das Spalier der Wartenden nach der Türe zurückzuhasten.

»Lauf nicht davon, du!« sagte plötzlich in all dem gedämpften Raunen des Feldherrn Corbulo laute Soldatenstimme. »Sage uns doch lieber endlich, was ihm fehlt, unserem Kaiser? Gestern abend habe ich ihn gesprochen, und er war so gesund wie du und ich! Und zwei Stunden darauf erzählte man plötzlich, daß er beim Mahl zusammengefallen ist wie vom Blitz getroffen! Du bist doch der Arzt, so erzähl mir doch, was das war, du mußt es ja wissen!«

Der Grieche, dessen Arm der Riese umklammerte, machte: »Pst!« und deutete auf den betenden Nero hin. Dann sagte er mit seiner zuversichtlichen Krankenbettstimme: »Ein Schlaganfall – ein ganz leichtes Schlaganfällchen, Herr! Nach dem Aderlaß geht es besser. Cäsar schläft –« Und wie ein Jagdhund, vor dem die Katze durch ein Zaunloch entschlüpft, sah Corbulo knurrend dem Arzt nach, hinter dem die Prätorianer wieder die Lanzen kreuzten.

Nero, auf den Knien vor Zeus, dachte: »Corbulo ist nicht dumm! – Corbulo muß ich mir merken. Welches Wagnis von Mutter, diese ganze Komödie zu spielen, Gelöbnisse für Claudius' Genesung veröffentlichen zu lassen, Nachrichten auszugeben, während er zwischen Decken und Wärmeziegeln schon eiskalt liegt und blauschwarz gedunsen – ach pfui!! Ich darf gar nicht an dieses Gesicht denken!«

Nero fühlte, wie er so dalag, eine Hand auf seiner Schulter und dachte: »Das ist Seneca! – Ein Betender hat seine ganze Versunkenheit in den Augen!« Nero kam langsam sich wendend zur Besinnung, erkannte Seneca, erschrak sichtlich und fragte: »Was ist mit Vater?«

Senecas Gesicht zuckte vor Rührung. »Xenophon hat mir versichert, Cäsar werde ganz genesen!«

Nero lächelte ihn an. Dann sagte er mit seinem geübten, weithin vernehmbaren Flüstern: »Seneca – wie muß es dem armen Britannicus drinnen zu Mute sein!«

»Mein Junge!« sagte Seneca. »Komm! Es ist Wachablösung, du mußt jetzt endlich ein wenig der Ruhe pflegen!«

Nero dachte: »Mutter hat gesagt, nicht eher, als bis sie mich rufen ließe –«, und er sagte laut: »Laß mich, ich bin noch am ruhigsten hier!«

Und anscheinend ohne die Ehrenbezeigung der aufziehenden Gallier zu gewahren, sank Nero ins Gebet zurück, den Arm in schöner Geste auf den Sockel gestützt, die Stirn, in die das rote Haar hing, gegen den Arm.

Er dachte: »Die schönsten Kerle von allen sind die Gallier! Was die nur immer für Beine haben! Kann das denn wirklich sein, daß Seneca an Mutters große Komödie glaubt? Dann ist er der einzige Mann von Kopf in Rom, der's tut. Wie gut, daß Akte daran dachte, mir diese Felle unterbreiten zu lassen. Der Marmorestrich ist verdammt kalt, wenn man so lang knien muß. Welch ein Wahnsinn von Mutter, seinen Tod so lange zu verhehlen, bloß weil die Chaldäer gesagt haben, daß keine Stunde für mich günstig wäre vor der morgigen Mittagsstunde, oder eigentlich der heutigen, denn die Frühe dämmert ja schon durchs Fenster. Was aber, wenn Narcissus früher von Sinuessa zurückkommt, von Claudius' ›Krankheit‹ erfährt und zu ihm hinstürzt? Mutters kleiner Kopf ist härter als der Basalt der Ägypter! Ja, sie ist eine wunderbare Frau, eine ganz große Frau, aber eine Schauspielerin ist sie nicht, das wissen die Götter. Oder nur für kleine Gelegenheiten weiblicher Gefallsucht. Aber als gestern Halotus ihm das Pilzgericht brachte, da sah sie mit einem Blick hin, ich wußte es sofort, als hätte es mir einer gesagt: ›Achtung, Locusta!‹ – Und dann, als Claudius sich aufrichtete – gurgelnd, geifernd –, o gräßlich! gräßlich! der Sprache beraubt, aber nicht tot, nicht tot –, ihr Blick auf Xenophon, bis der mit der Pfauenfeder Claudius in den Schlund fuhr. – Ich wette, es war noch mehr von Locustas Gift auf der Pfauenfeder – wie bleich sie da war und wie ich sie liebte, weil sie es für mich tat – für mich! – Was, wenn sie mir im Lager morgen plötzlich ›Britannicus!‹ entgegenschreien? Was, wenn sie mich nicht wollen? Ich weiß nicht, ob ich im Innersten traurig wäre. Mutter wäre traurig! Und dann – Britannicus gönn' ich's nicht, nein! Warum hat Mutter nicht gleich auch Britannicus gelocustet? Aber das wäre wohl zu auffällig gewesen. Wenn ich aber Cäsar werde, müssen Halotus und Xenophon weg! Und Pallas, meine schöne Mutter, auch dein Pallas muß weg! – Man soll mir nicht nachsagen, daß ich mich von Sklaven leiten lasse, weil ich mit Drumio und Paris aufwuchs. Aber das Volk, das kleine, arme Volk wird mich lieben, denn ich bin der erste Cäsar, der weiß, was die Drumios und die aufwaschenden Negerinnen sich wünschen, was sie von Cäsar denken. Wenn Seneca wüßte, daß ich das jetzt gedacht habe, würde er strahlen über meine ›Güte‹. – Wie bin ich denn eigentlich: gut oder böse? Bin ich edel, warmherzig, großmütig und glücklich, wie Seneca mich sieht? Oder töricht vor Besessenheit und nutzbar, wie Paris glaubt, der nicht weiß, daß keine Wirklichkeit an die Träume der Nächte vor fünf Jahren heranreicht. – Oder ein fügsames, farbloses Kind, wie Mutter es hofft? – Oder bin ich der schillernde Eros ›voller Talente‹ meiner Tante Lepida? – Vielleicht bin ich das alles und noch all das mehr, was sie von mir nicht wissen. Oder vielleicht bin ich gar nicht, wie der Schauspieler nur durchs Publikum wird, vor dem er auftritt, und durch seine Rolle. Vielleicht bin ich der größte Schauspieler der Zeit. Morgen werde ich Cäsar spielen, und die Prätorianer werden klatschen, ganz Rom wird Beifall klatschen, ich weiß es! Und zum ersten Mal weiß ich, warum es Mutter so nach Macht, Macht, Macht verlangt. – Ach, der Esel Xenophon, jetzt muß ich auffahren und begierig lauschen, ob's dem toten Claudius besser geht.

Lacht mich der Mann neben Burrus aus? Wer ist das? Was für ein Gesicht, ihr Götter! Und was für ein Lächeln. – Ich habe Herzklopfen! – Wer ist das nur, ich kenne ihn nicht! Er ist braun wie die Numidier, sicher kommt er aus den Provinzen – was muß der schon alles erlebt haben! – Jetzt sieht er nicht mehr her! Weiß er, daß ich hier mime? – Ich werde mir die Toga übers Haupt ziehen, dann kann ich hinspähen. Wenn ich Cäsar bin, brauche ich nur die Brauen zu heben, und jeder muß kommen und gehen, leben und sterben, wie Cäsar es will. – Macht ist wirklich ein wunderbares Mittel, Lästige loszuwerden. Wenn Mutter eine Schustersfrau wäre, hätte sie ihren Schuster Claudius ein Leben lang mit sich schleppen müssen, oder, wäre sie zu Locusta gegangen, so hätte man sie gehenkt. – Oh, ich bin steif und kalt wie der blaugedunsene Tote drinnen. Ich muß jetzt schlafen gehen, sonst bin ich morgen mittag häßlich und spiele schlecht. – Oh, der Mann ist weg. – Wohin ist er verschwunden? Und ich kann nicht nach ihm fragen, ich kann doch nicht zugeben, daß ich in meiner Versunkenheit ihn gesehen habe –«

 

Am dreizehnten Oktober um die Mittagsstunde, die die Chaldäer als glückbringend gepriesen hatten, öffnete sich plötzlich das lange geschlossene Haupttor des kaiserlichen Palastes. Die wenigen Wartenden, die Soldaten der äußeren Wache, hoben den Blick.

Droben erschien ein Knabe in der Toga. Wunderbar schönen Gesichtes und in vollendeter Haltung schritt er, immer nur eine der vielen, vielen steilen Stufen nehmend, sehr langsam die Treppe herab. Jene Kohorte der sechsten Legion, alle diese Soldaten, die die Palastwache hielten, sahen gebannt dem Jüngling entgegen, viele erkannten ihn gar nicht, denn er schien ihnen unirdisch schön wie ein jugendlicher Gott. Aber sie erkannten Burrus wohl, den neuen Prätorianerpräfekten, der stand neben dem Knaben, und sie sahen den linken verkrüppelten Arm sich gegen sie erheben, der sie an den gemeinsamen Sieg über die Parther erinnerte.

»Soldaten, Kameraden! Cäsar Claudius ist tot! Dies ist euer neuer Cäsar, Nero!«

In diesem Augenblick lächelte der jugendliche Gott da droben. Sie stritten später darüber, aber es gab viele, die beschwören wollten, sie hätten ihn wie Schutz und Hilfe heischend die Hände ausstrecken sehen. – Die Mehrzahl begann wie bei Stadtsturm in Reihen die Stufen zu erklettern. »Nero! Es lebe der Kaiser Nero!« riefen sie seinem jungen Lächeln entgegen, jedem unter ihnen schien, als sähen die großen Augen nur ihn an.

Eine ganze Zahl der Langgedienten, der Alten, aber blieb unten stehen. Sie starrten einander an, sie murmelten: »Und wo bleibt der Eigene? Der Britannicus?« Ein paar begannen zu murren. Ein paarmal wurde der Name laut.

Die zwei ersten Begeisterten jedoch waren schon droben angelangt, und jetzt beschlossen sie, Nero auf die Schultern zu heben. Der eine Soldat sah nah in des Knaben Gesicht, sah, daß der neue Kaiser merkwürdige rote Punkte in den Augenwinkeln hatte, ganz rote Nüstern und tiefblaue Lider. – Nahbesehen war das gar nicht so schön – und er sagte des Nachts in der Schenke, es sei eigentlich gewesen, als spräche man ein Weibsstück in der Suburra an und besähe sie sich dann erst bei Laternenschein. Aber wenn man schon einen Mann mit Vivatgeschrei halb auf die Schulter gehoben habe, könne man ihn nicht gut wieder zu Boden setzen und gehen. – Der andere Prätorianer, begeistert und betrunken wie er war, zog daraufhin das Kurzschwert und schlug den Freund vieler Jahre tot.

Auf der Treppe aber trat jetzt Burrus vor. Er sah hinunter, als wolle er sich jeden merken, der »Britannicus!« geschrien hatte. – Den Alten ward es unbehaglich. Am Ende, was ging einen schließlich der Bankert der Hündin, der Messalina, an? – Man hatte keine Lust, seine Medaillen und die Aussicht auf ein Gütchen als Veteran in Colonia Agrippinensis am Rhein zu verlieren! Mochten die Herren das unter sich ausfressen!

»Soldaten!« bellte Burrus. »Der Cäsar Nero dankt euch und bedenkt jeden von euch mit einem Gnadengeschenk von fünfzehntausend Sesterzen!«

Ein einziger Schrei stieg auf: »Ins Lager! Ins Lager! Es lebe Kaiser Nero!«

Und auf den gepanzerten Schultern schwebte hoch und lächelnd der jugendliche Gott!


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