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Am Meeresgestade hin wandelte der Dichter.
Halb hinter ihm von der Höhe des Meeres stürmte der Wind und spie ihm – pfta, pfta – den Schaum der brechenden Wellenberge nach. –
Den weißen Sand hinauf zischten und sprudelten die Wellen, sich brechend und überschlagend, umeinanderkugelnd, den ganzen Strand hin, mit weißem Gekräusel, das immer wieder, immer wieder die Böschung des Ufers hinaufstieß, vergleichbar einer ungeheuren Spinne, die mit Millionen und aber Millionen zitternden Füßchen immer wieder und immer wieder nach der Habe des Menschen, nach der gebärenden Mutter Erde greift.
Hinauf, die Düne hinan prasselte der übermütige Sturm in die niedrigen Kiefern und zauste oben das gelbgrüne Gras und wirbelte es durcheinander, wie unten die Wellen.
Vorn, weit vorn, stand ein steinernes Vorgebirge aus mächtigen Quadern geschichtet.
Dahin trieb es den Dichter.
Übermächtig tobten und brüllten die Wogen dagegen an, gelbgärenden Schaum schlagend spritzten sie wütig empor.
Was ist dort drüben – hinter der Felswand? –
Da drängte es ihn hindurch zwischen Wogenkampf und Felskante – hinüber, nicht oben über die weiche, sandige Düne, in der der Felsblock stak, unten durch den Kampf des Wassers mit dem Stein, wo die Wellen wie metallische Flut hart gegen hart schlugen.
Da ein Stein zum Treten, da eine Klippe zum Fassen, ein Wellenschlag wie eine pressende Riesenflosse, die über ihn wegstrich – ein Sturz und Sprung – er war hinüber.
Vor ihm lag eine Bucht, ganz still, mit leicht sich ebbenden Wellen.
In den flachen Wellen schwammen in seliger Wonne volle, weichglitzernde Nymphen und stahlglänzende Tritonen, spielend, frohlockend in kindischer Lust.
Da war auf einmal Sonnenschein, blendend und lichtweiß, und am Ufer hin lagen die Nymphen mit ihrem vollen, warmen Fleisch, die Tritonen mit den Fischfüßen und den lüstern grinsenden Gesichtern und sonnten sich im warmen Sande.
An der Felsecke küßten sich zwei.
Ein riesiger, lachender Triton trug sein zappelndes Weib hinaus ein ganzes Stück und mit einem jubelnden Aufschrei warf er sie klatschend in die leise auf und nieder ziehenden Wellen. Sie schlug das Wasser mit den Händen und zerrte ihn lachend an den Fischfüßen, bis er stürzte und fallend das Wasser küßte mit seinem breiten, derben Gesichte.
Einer sah den Dichter, staunte ihn dumm an und zeigte auf ihn. Alle wandten sich nach ihm, aber bald hatten sie ihn vergessen und spielten und planschten und jauchzten.
Mühsam kroch er weiter an den Felsen bis zur Böschung der Düne.
Sich gegenüber an der Felswand sah er eine tiefe Höhle.
Da schollen plötzlich grelle Rufe neben ihm und gellende Töne aus Holzpfeifen, und vor ihm prasselte herüber aus dem Kiefernwalde eine Schaar täppischer, lüsterner Faune und stürzten nach den ruhenden Nymphen am Strande. Aber noch schneller waren die ins Wasser und saßen kichernd hinter dem ersten Wellenkamm und auf den nassen, braungrünen Steinen und kicherten und zischten und spotteten über die täppischen Faune.
Die standen verwundert und guckten dumm in das Wasser und schrien und heulten auf ihren hölzernen Flöten.
Und der älteste von ihnen, schon weißhaarig auf dem runden, knochigen Schädel, trat heraus mit dem allerverliebtesten Gesicht und wedelte drollig mit dem kleinen Stutzschwänzchen an dem breiten Steiß und schlug mit den Bocksfüßen einen zierlichen Triller und hopste und sprang und warf die Schultern, taktlos, und am Halse schlenkerten ihm die niedlichen Bockstroddeln, immer herüber, hinüber, und schlugen ihm gegen die Brust und die Backe. Und er hopste und sprang und tanzte mit schlenkernden Armen seinen Bockstanz, bis er schwitzte und nicht mehr konnte.
Die Nymphen lachten und die Tritonen waren ärgerlich und spien aus ihren langen Muschelhörnern Schaumstrahlen herüber zu den dummen täppischen Faunen.
Aus dem Walde klangen da lange, dröhnende Trompetenstöße. Einen Augenblick standen die Faune erschrocken wie festgebannt, dann drängten sie purzelnd und strampelnd die Düne hinauf und in ängstlich zusammengedrängten Haufen krochen sie oben seitwärts in den Wald.
Oben zwischen den Kiefern schritten schwer und breit, aber mit dem weichen Schritt starkknochiger Rosse drei Kentauren aus dem Walde, riesengroß, die männlichen, kraftgefüllten Oberkörper gegenseitig mit den Armen umfaßt, die strotzenden Pferdeleiber dicht aneinandergedrängt – so stiegen sie langsam und gemessen die Dünenböschung herab, jubelnde Hymnen auf ihren langen, strahlenden Trompeten blasend.
Aus der Höhle nahte sich eine Flamme und eine Fackel ward sichtbar.
Eine weiße Frauengestalt in langem weißen, faltenreichen Gewande trug die Leuchte. Feierlich folgte ihr eine zweite, die Fackel hoch über dem Haupte.
Ein Zug von ernsten, greisen Priesterinnen entwand sich der Höhle.
Sie wendeten sich der Höhe zu.
Der Dichter sah, wie sie ihm winkten.
Langsam und schüchtern trat er heran.
Sie faßten ihn bei der Hand und führten ihn mit sich.
Durch die Kiefern führte der Pfad, durch Gras und Kraut und Moos.
Langsam und in stummer Würde, gemessenen Schrittes ging der Zug.
Tief hinein in den Wald, in lebendiges Grün.
Zu beiden Seiten des Weges hoben sich Höhen empor, immer enger und enger wurde das Tal.
Endlich schlossen sich die Felsen bis zu einem schmalen Pfad.
Vor ihm her gingen die Fackelträgerinnen und an seinen Seiten, dicht an den uralten feuchten Felsen, die greisen Priesterinnen in den langen weißen, faltenreichen Gewändern.
Über ihm glänzte ein schmaler Streifen blauen Himmels zwischen den Felskanten und um ihn her ward es dunkel.
Er hörte die Tropfen fallenden Wassers und hinter sich einen leisen, vielstimmigen Gesang. Die Priesterinnen sangen ihrer Gottheit. Ernst und feierlich rankten sich die Akkorde zwischen den Felsen hin und die Kluft schien ganz voll lebender Töne zu sein, die einen Ausweg suchten, wo sie hinausquellen könnten.
Fast war er versucht, sich seinen stummen Begleiterinnen zu entwinden und zurück zu stürzen, dem Eingang zu.
Da wichen plötzlich die Felsen und sie traten hinaus in weit sich wölbenden, dunklen Buchenwald.
Vielhundertjährige Bäume hoben die glatten, grauen Stämme empor und beschatteten alles mit zauberhaftem, blaugrünem Dämmer.
Zwischen den Buchen lag ein tiefdunkler See mit kleinen zaghaften Wellen. Der Abgrund seiner Gewässer schien unermeßlich. Weiße große Blumen schwammen an seinen Ufern. Er lag ganz still.
Kein Laut regte sich in der Weite, kein Vogel zwitscherte in den Buchen, nur von weit, fern her vernahm er das dumpfe Branden und Rauschen des Meeres.
Feierliche Wehmut kam über ihn.
An dem Ufer des Sees stand ein glattgehauener Stein von weißem Marmor. Eine blaue, züngelnde Flamme brannte darauf.
Dorthin wandte sich der Zug.
Die Alten knieten an seiner Seite nieder, um ihn kniete die Schar der Priesterinnen.
Er stand mitten vor dem Altar.
Da warf ihn der stumme Ernst der Feier zu Boden. Seine Arme umschlossen den Fuß des Steines, und er betete – betete an das Licht, die Flamme auf dem Herde des Waldes. Das Rauschen des Meeres mischte sich in die Gedanken seines Gebetes, er fühlte, daß er uralt sei, daß er das Menschengeschlecht sei, das vor dem Licht auf den Knien lag.
Er raffte sich kniend an dem Altar empor und starrte in die Flamme in sinnentrücktem Hinaufverlangen. Sein Geist war nicht bei ihm, er war nur sein Herz.
Neben ihm erhoben sich die beiden Alten, schnitten ihm von der Stirne eine Locke aus dem Haupthaar und legten sie, Gebete leise sprechend, in die Flamme. Dort verloderte sie mit einem goldgelben Aufglänzen.
*
Neben ihm standen die beiden fackeltragenden Dienerinnen, sie nahmen ihn bei der Hand und führten ihn hinaus durch den öden, leeren, blaugrünen Hain.
Da sah er, wie draußen vor den Buchen der Tag stand und glänzte und strahlte und blendete.
Er trat hinaus auf das Feld und war allein.
Vor ihm auf dem Felde trieb ein pflügender Bauer seine Pferde und aus einer weitentfernten Baumgruppe leuchtete ein rotes Dach.