Paul de Kock
Edmund und seine Cousine
Paul de Kock

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IV. Die Familie Bringuesingue

»Auf was wartet denn Herr Edmund noch, um seine Cousine zu heirathen?« dachte Pelagie einige Zeit nach diesen Ereignissen. »Erst wollte er Ruhm, dann begehrte er Reichthum; wird er sich jetzt mit der Liebe zu begnügen wissen?«

Constanze sprach kein Wort; aber offenbar beschäftigte sie der gleiche Gegenstand. Seitdem Edmund all' sein Gut und das seiner Cousine dazu verschleudert hatte, war er oft traurig, nachdenklich, oder sagte wohl auch zu Constanze: »Welches Loos kann ich Dir bieten? Ich habe Nichts, ich bin Nichts! ... Welche glückselige Zukunft kannst Du mit einem Manne erwarten, den der Unstern zu verfolgen scheint?«

Und Ginguet sagte zu sich: »Er will sie nicht heirathen, weil er Nichts mehr hat, hat sie aber auch nicht geheirathet, so lange er Etwas hatte; wann wird er sie somit heirathen? Ach! wenn man mich liebte, wie glücklich machte mich das Heirathen!«

Jeden Tag mahnte Edmund sich selbst: »Ich muß Etwas beginnen.« Aber er that nichts, als über Schicksal, Menschen und Geldgeschäfte lamentiren.

Herr Pause hatte Edmund eine Geigerstelle im Orchester seines Theaters vorgeschlagen; denn obwohl Constanzens Vetter auf keinem Instrument stark war, so spielte er die Violine doch gut genug, um seinen Platz in einem Boulevard-Theater auszufüllen.

Edmund hatte auf diesen Vorschlag erwidert: »Wozu soll mich Das führen?« – »Sechshundert Franken zu verdienen, mein Freund!« – »Ei! was Teufels soll ich denn mit sechshundert Franken anfangen?« – »Nun ... damit, und mit Sparsamkeit kann man immerhin Etwas machen.« – »Nein, Herr Pause, ich kann nicht Geigenspielen für sechshundert Franken, denn weit entfernt, daß mich das für die Musik begeisterte, würde es mich auf immer zu einem mittelmäßigen Musiker machen. Wenn man weiß, daß man so wenig verdient, spielt man darnach!« – »Sie irren sich, mein Theurer! Der Mann, der seine Kunst liebt, stellt alle diese Berechnungen gar nicht an; er sucht sich auszubilden und arbeitet oft mehr, wenn man ihn schlecht, als wenn man ihn sehr theuer bezahlt. Ich könnte zu Gunsten meiner Behauptung mehrere unserer Virtuosen, unserer großen Künstler anführen, welche als Orchestermitglieder oder an Theatern zweiten Ranges ihre Laufbahn begonnen haben.«

Edmund wies beharrlich die Geigerstelle von sich. Nicht lange darnach berichtete ihm der ehrliche Pause, welcher immer auf Beschäftigung für ihn ausging, er habe mit einem seiner Freunde, einem Buntpapierfabrikanten, gesprochen.

»Wollen Sie, daß ich Papier anstreiche?« fragte Edmund mit bitterem Lächeln.

»Nein, mein theurer Freund! sondern ich sagte meinem Freunde, daß Sie ziemlich hübsche Genrebilder malen; dann trug er mir auf, sechs solcher Bilder zu Vorderseiten von Kaminen bei Ihnen zu bestellen. Das Sujet überläßt er Ihrer Erfindung ... mögen es häusliche Gruppen oder Landschaften sein; er zahlt Ihnen fünfzehn Franken für das Stück.« – »Ofenschirme überklecksen?« sagte Edmund zornroth; »soll ich mein Talent so weit herabwürdigen! ... und vollends um fünfzehn Franken zu verdienen! ... Ha, Herr Pause, das kann Ihr Ernst nicht sein!« – »Aber, mein Theurer, sechsmal fünfzehn Franken thut neunzig ... und zudem, was ist denn Unrechtes daran, Kamin-Vorderseiten anzumalen? ... Ich kenne unter unsern Malern welche, die jetzt Mitglieder der französischen Akademie sind und weiland Coloristen waren! Glauben Sie, darum haben diese Männer jetzt weniger Schöpfergabe? Man weiß wohl, daß die Künstler essen müssen wie andere Menschenkinder, und daß sie, bevor sie für ihren Ruhm arbeiteten, für den Magen arbeiten mußten.« – »Sie mögen sagen, was Sie wollen, mein Herr, ich werde doch keine Kamim-Vorderseiten machen ... lieber Zahnstocher ...« – »Wohlan denn, mein lieber Freund, so machen Sie Zahnstocher; nur machen Sie Etwas!«

Solche Unterredungen erbauten Edmund nicht im Geringsten; und um ein wenig von Herrn Pause hinwegzukommen, ging Constanzens Vetter wieder zuweilen in jene glänzenden Gesellschaften, wo er zur Zeit seiner Börsen-Spekulationen sehr gesucht worden war, und wo man ihn noch gut aufnahm, weil er Niemand seinen Fall erzählt hatte, sich fortwährend mit Geschmack kleidete, sich gut zu halten und zu benehmen wußte, kurz, ein angenehmer Gesellschafter war, eine Eigenschaft, mit welcher man sich in Paris lange fortbringen kann.

In einer dieser Reunionen von Leuten, die reich aussehen und bisweilen, wie Edmund, keinen Heller haben, aber ihr Elend unter einem vollkommen modernen Anzug verhüllen, machte Constanzens Vetter Bekanntschaft mit der Familie Bringuesingue, bestehend aus Vater, Mutter und Tochter.

Der Vater war ein kleines Männlein, das seines niedern Wuchses wegen von der Conscription befreit worden war; mit seinem zwischen die Schultern eingedrückten Kopf, lebhaftem Auge und spitziger Nase sah Herr Bringuesingue wie ein Spottvogel aus, und befleißigte sich auch zuweilen schlechter Witze.

Nach der Gewohnheit kleiner Männer hatte er eine sehr große Frau geheirathet, welche mit zunehmenden Jahren bedeutend dick geworden war. Sie hätte ihren Ehemann bequem hinter sich verstecken können.

Ihre Tochter hatte vom Vater die Kleinheit, von der Mutter die Dickleibigkeit geerbt. Einen etwas kurzen Fuß verdankte sie sich selbst.

Zwischen Gemahl und Tochter ragte Madame Bringuesingue um mehr als einen Kopf hervor, wie Goliath über die Philister.

So viel über den physischen Theil; beschreiben wir jetzt das geistige Wesen dieser Leutchen.

Herr Bendicien-Raoul Bringuesingue war der Sohn eines Senffabrikanten, welcher viel Geld erworben hatte, indem er seinen Senf-Produkten allerlei aromatische Kräuter beimischte. Dank diesem würdigen Industriellen, hatte den guten Spießbürgern ihr tägliches Hausgericht, das Rindfleisch, weit weniger fad geschmeckt.

Herr Bringuesingue Sohn, weit entfernt, den Ruhm seines Vaters zu verkleinern, hatte glückliche Verbesserungen in der Art, Gurken einzumachen, erfunden: er war reißend schnell noch reicher geworden. Da er aber nur eine Tochter besaß und edler Ehrgeiz ihn spornte, so gab Herr Bringuesingue in seinem fünfzigsten Jahre Senf, Gurken und Alles, was nach Essig roch, auf, um sich in die schöne Welt zu werfen und sein Vermögen zu genießen.

Herr Bringuesingue hatte, nach Aufhebung seines Geschäfts, die Schwäche, daß er vergessen machen wollte, auf welche Weise er seinen Reichthum erworben. Er hatte eine schöne Zimmerreihe in der Chaussée d'Antin, einen männlichen Livrée-Bedienten; er gab Abendgesellschaften, Mittagessen, wobei niemals Senf aufgetragen wurde, so sehr fürchtete er etwaige Stichelreden; kurz, er bemühte sich, wie ein Gentleman auszusehen.

Madame Bringuesingue war eine vortreffliche Frau, die in ihrem ganzen Leben nur eine Leidenschaft gehabt hatte, die des Tanzens, welche ihr auch jetzt, in ihrem vierzigsten Jahre, noch anklebte. Uebrigens wartete diese rechtschaffene Hälfte stets die Ansicht ihres Mannes, den sie für ein höheres Wesen hielt, ab, bevor sie ein Wort redete, um stets im Einklang mit dessen Meinung zu bleiben.

Die ganze Liebe beider Gatten hatte sich natürlich auf ihre Tochter, ihr einziges Kind, concentrirt. Fräulein Clodora besaß ziemlich regelmäßige Züge, und ihre Eltern konnten nichts Schöneres finden als sie.

Sie hatten ihr Lehrer in der Musik, im Zeichnen, im Englischen, Italienischen, im Tanz, in der Geometrie, Geographie und Geschichte gehalten. Mit allem Dem war erzielt worden, daß Fräulein Clodora falsch sang, ein Auge so zeichnete, daß man es für ein Ohr halten konnte, »yes« sagte, wenn sie ihre englische und »si signor«, wenn sie ihre italienische Weisheit auskramen wollte, niemals im Takt tanzte, Basel nach England und Edinburgh nach der Schweiz versetzte, und Ludwig XV. die Maxime in den Mund legte, daß jeder seiner Bauern Sonntags sein Huhn im Topfe haben solle.

Die glückseligen Eltern, welche nicht im Stande waren, die Mißgriffe ihrer Tochter zu beurtheilen, wurden nicht müde, zu wiederholen, daß Clodora eine vortreffliche Erziehung genossen habe.

Indessen war Herr Bringuesingue doch oft sehr in Verlegenheit gewesen, wie er die Leute zu empfangen und die Gäste zu behandeln habe, ohne gegen die Gebräuche der feinen Gesellschaft anzustoßen, und weder seine Frau noch seine Tochter hatten ihm die rechte Weise anzugeben gewußt. Ein Umstand, den er schleunigst benützte, kam ihm wunderbar zu Statten.

Der männliche Bediente war mehrmals ganz benebelt im Keller gefunden worden. Herr Bringuesingue hatte sich entschlossen einen andern minder durstigen zu wählen, als er eines Tages den Tod eines reichen Edelmanns, der ein Hôtel in seiner Nachbarschaft hatte, erfuhr. Augenblicklich eilt der Ex-Senffabrikant in das Hôtel, fragt nach dem Kammerdiener des Verblichenen und läßt sich vor ihn führen: »Sie haben den Herrn Grafen bedient?« – »Ja, mein Herr.« – »Was hat er Ihnen jährlich bezahlt?« – »Sechshundert Franken nebst freier Kost, Wohnung, Kleidung und häufigen Geschenken.« – »Ich biete Ihnen tausend Franken und die sonstigen Vortheile; zudem werden Sie ein großes Ansehen in meinem Hause haben; nur rechne ich darauf, das Sie mir zuweilen gewisse ... Rathschläge ertheilen ... das heißt, mir Gebräuche, die ich vergessen habe, in's Gedächtniß zurückrufen; ... da ich lange in der Provinz wohnte, ist ein wenig Rost über meine Kenntniß der feinen Pariser Manieren gewachsen. Sie, der einem Grafen diente, welcher die eleganteste Gesellschaft von Paris empfing, müssen das Alles genau wissen ... Sie werden mich wieder auf's Laufende bringen.«

Comtois, so hieß der Kammerdiener, nahm mit Vergnügen Herrn Bringuesingue's Vorschlag an. Er begriff sogleich, welche Vortheile er bei seinem neuen Herrn genießen würde. Wirklich wurde Comtois dem Herrn Bringuesingue unentbehrlich, denn dieser fragte jedesmal, ehe er irgend Etwas that, zuvor seinen Kammerdiener. Wollte er sich einen Anzug machen lassen, so ließ der weiland Senffabrikant Comtois kommen und sagte zu ihm: »Wie ließ sich der Herr Graf die Kleider machen?« – »Nach der neuesten Mode, Herr!« – »Und die Farbe?« – »Nach seiner Laune.« – »Sehr gut.«

Und Herr Bringuesingue wandte sich sofort an seinen Schneider, indem er sagte: »Machen Sie mir einen Anzug nach der neuesten Mode, die Farbe nach der Laune des Herrn Grafen X

Sollte die Möblirung eines Saales oder eines Schlafzimmers verändert werden, so ließ man abermals Comtois kommen: »Welche Möbeln ließ der Herr Graf in seinen Saal stellen?« – »Die gewöhnlichen Herr: einen Divan, Ruhsopha, Sessel, ein Piano ...«

Sofort berief Herr Bringuesingue einen Tapezierer und befahl ihm, seinen Saal nach der Art des Herrn Grafen zu möbliren.

Aber hauptsächlich an den Empfangstagen, bei großen Diners, wurde Comtois ein unbezahlbarer Mann; er ordnete das Gastmahl, bezeichnete die Gänge, den Augenblick, wo man von der Tafel aufstehen sollte, die Art, den Kaffee zu nehmen; er sagte, wie der Salon beleuchtet, wo die Spieltische hingestellt werden mußten, wie man die Geladenen zu grüßen und zu empfangen hatte; kurz, er traf die ganze Anordnung, und wenn Jemand während der Zurüstungen gekommen wäre, so hätte er leicht den Bedienten für den Herrn des Hauses halten können.

Trotz dieser Aufschlüsse, die sich Bringuesingue von Comtois ertheilen ließ, fürchtete er dennoch, sich vor der Welt bisweilen noch Blößen zu geben, und war deßhalb über ein Zeichen mit seinem Diener übereingekommen. Wenn sein Herr Etwas beging, das sich in guter Gesellschaft nicht ziemte, oder gegen die Regeln der Etikette verstieß, so kratzte sich Comtois an der Nase, und Herr Bringuesingue, der fast immer nach seinem Diener hinsah, merkte daran, daß er auf einem falschen Pfade war, und suchte seinen Fehler zu verbessern.

So war die Familie Bringuesingue, welche eine Jahresrente von fünfundzwanzigtausend Franken genoß, in dem Augenblick beschaffen, wo Edmund Guerval ihre Bekanntschaft machte.

Der Zufall wollte, daß der junge Mann Fräulein Clodora auf dem Piano begleitete, daß er ihre Mutter zum Tanz aufforderte, um eine Quadrille zu Stande zu bringen, und daß er aus Versehen den Papa Bringuesingue aus der Tour holte. Von nun an wurde er von der ganzen Familie köstlich gefunden. Zudem besaß Constanzens Vetter einige oberflächliche Talente, mit deren Schein er in der großen Welt ausreichte; er spielte einige Stücke auf dem Klavier, nach denen man tanzen konnte, er sang, er kritzelte mit Leichtigkeit den Umriß jedes Gesichtes in der Gesellschaft hin. Kurz, er hatte Taktfestigkeit, Selbstvertrauen; er redete von Allem, selbst von Dem, was er nicht verstand; er schnitt auf, entschied mit großer Zuversicht oder wendete eine Frage in's Lächerliche. Man braucht nicht einmal so viel, um den Thoren und bisweilen sogar Männern von Geist zu imponiren.

Edmund wurde zu Herrn Bringuesingue eingeladen; er begab sich dahin, und als er wieder weggegangen war, sagte der Hausherr zu seinem Bedienten: »Wie findest Du diesen jungen Mann?« – »Vorzüglich, Herr! er hat gute Manieren ... ein sehr ausgezeichnetes Wesen! ...« – »Comtois findet ein ausgezeichnetes Wesen an ihm!« sagte Bringuesingue zu seiner Frau, indem er von Edmund sprach: »Ich will diesen jungen Mann zum Mittagessen einladen ... ich will, daß er uns recht oft besuche.« – »Man sollte ihm einen kleinen Ball geben; er tanzt sehr gut.« – »Er hat mich »von« Bringuesingue genannt ... vielleicht findet er meine Miene adelig.« – »Wahrscheinlich, lieber Freund.«

Fräulein Clodora sagte nichts dazu; ich kann nicht behaupten, daß sie mehr dabei dachte; indeß schien sie mit der Gunst Edmunds bei ihren Eltern sehr zufrieden.


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