Paul de Kock
Edmund und seine Cousine
Paul de Kock

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III. Die Spiele des Glücks

Vier Monate waren verflossen. Edmund sprach von nichts mehr als von Staatspapieren, von Steigen und Fallen, von fünf Prozent und festem Cours zu so und so viel; denn sein Mittel, Reichthum zu erwerben, war ganz einfach das Börsenspiel gewesen. Er hatte sein Vermögen in Staatspapiere gesteckt und schmeichelte sich, in kurzer Zeit sein Kapital vervierfachen zu können.

Der gute Herr Pause hatte die Stirne gerunzelt, als er erfuhr, auf welche Weise Constanzens Vetter sich zu bereichern hoffte; diese, immer die Güte und Sanftmuth selbst, erlaubte sich keinen Tadel gegen ihren Vetter; zudem machte Edmund einen glücklichen Anfang; er gewann, wie das bei Spielern anfangs zuweilen geschieht, und war in lieblichster Laune, wenn er seine Cousine besuchte.

Freilich waren seine Besuche kurz, und er sprach dabei nur von Verkaufen auf Zeit und consolidirten Dreiprozentigen, was die jungen Mädchen sehr wenig erbaute; aber er war nach dem neuesten Geschmack gekleidet und hatte ein Cabriolet monatweise gemiethet, bis er sich einen Wagen gekauft haben würde.

Herr Ginguet ging immer zu Fuß und blieb stets bei seinem nußfarbenen Rock und schwarzen Gilet, was ihm oftmals den Spott der boshaften Pelagie zuzog. Eines Abends jedoch stellte er sich mit strahlender Miene und weißer Weste ein.

»Es ist Herrn Ginguet irgend etwas Außerordentliches begegnet,« sagte Pelagie sogleich, »er hat eine Veränderung mit seiner Uniform vorgenommen und wenn ich nicht irre, heute Abend sogar seine Stiefel wichsen lassen!« – »Mein Fräulein, ich dachte, ich hätte mich niemals schlecht gekleidet oder beschmutzt vor Ihnen gezeigt; schon darum nicht, weil ich meine Stiefel auf allen Strohböden abreibe.« – »Sie glänzen deßhalb aber doch nicht, was hilft es überhaupt viel, wenn man sich an Stroh reibt! Kurz, Herr Ginguet, antworten Sie ... nicht wahr, Sie haben etwas Neues? ... Sie sind nicht in Ihrem gewöhnlichen Zustande ... ich glaube sogar, Sie schielen heute Abend.« – »Mein Fräulein, ich weiß nicht, ob mich die Freude schielen macht; gewiß aber bin ich sehr vergnügt; seit dem Ersten dieses Monats bin ich nicht mehr Supernumerarius: ich beziehe einen Gehalt!« – »Einen Gehalt! ... o, das ist großartig! Und wie hoch belauft sich Ihr Gehalt?« – »Ich habe achthundert Franken, mein Fräulein.« – »Achthundert Franken! ... des Monats?« – »Ach! warum nicht gar! ... des Jahrs; ich sollte doch meinen, für den Anfang wäre das recht ordentlich.« – »Allerdings,« sagte Herr Pause, der noch nicht in sein Theater gegangen war; »damit kann ein junger Mann zwar nicht in die Oper oder zu Béfour gehen, aber in Paris läßt es sich auf verschiedene Weise leben ... um zweiundzwanzig Sous speist man vorzüglich zu Mittag.«

»O, Onkel! glauben Sie nicht auch, man könnte mit achthundert Franken Einkommen eine Haushaltung führen?« – »Mein liebes Kind, ich kannte einen Angestellten, der zwölfhundert Franken Gehalt und eine Frau mit vier Kindern hatte: das Alles lebte, und machte keinen Heller Schulden, und that um so besser daran, da ihnen Niemand etwas geborgt hätte.«

Der arme Ginguet brachte keinen Laut mehr hervor. Er hatte geglaubt, daß Pelagie, wenn sie ihn besoldet wüßte, erträglicher mit ihm umgehen würde, und sah sich abermals in seiner Hoffnung getäuscht. Herr Pause dagegen drückte ihm beim Weggehen freundlich die Hand und sagte zu ihm: »Ich mache Ihnen mein Compliment, lieber Freund, mein aufrichtiges Compliment ... denn in meinen Augen sind sichere achthundert Franken mehr werth, als Millionen, nach denen man erst laufen muß ... auf Wiedersehen. Ich gehe jetzt, bei einem Melodrama mitzuwirken, in welchem sehr hübsche Ideen vorkommen.«

Da die beiden Mädchen gewöhnt waren, Edmund Guerval nur von fünfzig-, sechzigtausend Franken sprechen zu hören, so konnten die achthundert Franken des Herrn Ginguet keine große Verwunderung bei ihnen erregen. Was sind auch achthundert Franken des Jahrs neben Einem, welcher mit einem einzigen Börsencoup fünfzigmal so viel gewinnen kann?

Uebrigens machte Constanze, welche die Seufzer, die der arme Commis wegen Pelagien ausstieß, mit anhörte, dieser manchmal Vorwürfe über die Art, wie sie Herrn Ginguet behandelte; Pelagie aber gab zur Antwort: »Ich muß ihm sagen können, was ich will! Muß es ihm, wenn er mich wahrhaft liebt, nicht als hohe Gunst erscheinen, daß ich alle Abende seinen Besuch annehme? ... den Besuch eines solchen Langweilers, der bisweilen hereinkommt, hinsitzt und zwei Stunden lang den Mund nicht öffnet!« – »Weil Du ihm immer gleich über den Mund fährst. Mit einem Wort, dieser junge Mann wünscht sehnlichst, Dich zu heirathen; wenn Du ihn nicht liebst, so wäre es besser gethan, Du sagtest es ihm, als daß Du ihn umsonst hoffen lässest.« – »Ich sagte ihm nicht, daß er hoffen solle; wir wollen erst sehen! ... Du wirst mich doch nicht an einen Kassenschreiber mit achthundert Franken Gage verkuppeln wollen, daß er mich des Sonntags in einer Garküche mit zweiundzwanzig Sous regalire! ... Schönen Dank! Ich finde nicht, wie mein Onkel, daß das schon etwas Rechtes ist. Ich wünschte, daß Herr Ginguet den Verstand hätte, wie Herr Edmund, sich ein Vermögen zu machen ... aber er ist zu schwerfällig, zu indolent dazu. Ach! Du, Du wirst glücklich werden ... ein Hotel, Diamanten, einen Wagen besitzen ... Nicht wahr, Du wirst mich doch auch in Deinem Wagen fahren lassen?« – »Ach! ich habe ihn ja selbst noch nicht!« – »O! wie wollen wir uns dann ergötzen! Alle Morgen fahren wir in's Boulogner Wäldchen, nach St. Cloud, nach Meudon spazieren; wenn man einen Wagen hat, kann man wählen, wohin man gehen will ... Ah! wir werden reisen ... Du wirst mich an's Meer führen.« – »Wie närrisch Du bist, theure Pelagie!« – »O! ich habe so große Begierde, das Meer zu sehen! ... aber mit einem Manne von achthundert Franken könnte ich höchstens die Wasserkünste im Versailler Park zu Gesicht bekommen, und auch dahin müßte ich in einem Omnibus fahren ... Das wäre ein schönes Vergnügen! ...« – »Ergötzt man sich denn nicht immer an der Seite der Person, die man liebt?« – »Darum braucht man aber nicht vier Stunden lang Chausseestaub zu schlucken ... Ah! Constanze, auch Logen im Theater muß man miethen ... in mehreren Theatern.« – »In der italienischen Oper, nicht wahr?« – »Ja, in der Oper ... und bei Franconi ... ich liebe die Pferde sehr. Sodann wirst Du viele Leute empfangen, oft Mittagessen, Abendunterhaltungen, Bälle geben ... Du wirst ein schönes Orchester mit Klapphörnern haben, denn Du weißt, daß mein Onkel uns sagte, man mache jetzt sehr schöne Sachen auf diesem Instrument.« – »Aber, theure Pelagie, weißt Du wohl, daß man zur Ausführung Deiner Projekte sehr große Reichthümer besitzen müßte?« – »Ich denke, mit dreißigtausend Franken Rente kann man ungefähr allen seinen Phantasien Genüge leisten.« – »Und Du glaubst, daß mir Edmund dreißigtausend Franken Rente werde anbieten können?« – »Gewiß, wo nicht mehr! Dein Vetter scheint sich sehr schnell zu bereichern. Als er das letzte Mal kam, schien er so zufrieden, so vergnügt mit seinen Spekulationen; er rieb sich die Hände, und sprach in seiner Freude sogar lateinisch, ich meine, er sagte so was wie: adasis fortuna und Fortuna bedeutet ja Reichthum.« – »Aber auch Zufall, so viel ich weiß, übrigens habe ich nicht vergessen, daß mein Vetter nur ganz kurz bei uns blieb, daß er mir kaum antwortete und daß ich ihn viel liebenswürdiger gegen mich fand, ehe er noch steinreich werden wollte!«

Am folgenden Abend kam Edmund nicht in Herrn Pause's Haus, und auch am nächstfolgenden kam Ginguet wieder allein mit einer seltsamen Miene; er war traurig, schien verlegen und saß wortlos bei den beiden Freundinnen.

»Sie haben diesen Abend wieder Etwas,« sagte Pelagie zu ihm, »und obgleich Sie keine weiße Weste tragen, so ist doch Ihr Aussehen ein ganz anderes; hat man Ihren Gehalt schon wieder eingezogen?« – »O nein, mein Fräulein! es handelt sich nicht um mich ...« – »Nicht um Sie ... dann wird die Sache interessanter. Nun, mein Herr, erklären Sie sich! ...« – »Es ist ... daß ich ... auf meinem Wege hieher ... Herrn Edmund Guerval begegnet bin ...« – »Meinem Vetter?« – »Ja, Fräulein, Ihrem Vetter ... und er hatte eine so verworrene Miene ... er war blaß, niedergeschlagen ...« – »Mein Gott! sollte er krank sein?« – »Nein, Fräulein, er ist nicht krank; aber gewiß ist ihm Etwas zugestoßen ... erst nahm er meine Hand und drückte sie, daß ich hätte schreien mögen ...« – »Weiter, Herr Ginguet! zur Sache!« rief Pelagie ... »Sie schwatzen da von Ihrer Hand und sehen doch, daß Constanze wie auf Nadeln sitzt!« – »Endlich sagte Herr Edmund zu mir: ›Sie gehen diesen Abend zu Herrn Pause?‹ Auf meine bejahende Antwort zog er einen Brief aus der Tasche und händigte ihn mir mit dem Beisatze ein: ›Uebergeben Sie das meiner Cousine ... vergessen Sie es ja nicht! ... Ich habe ihr versprochen, einen Auftrag zu erfüllen;‹ dann verschwand er wie ein Blitz.« – »Und dieser Brief, Herr Ginguet?« – »Ist in meiner Tasche, mein Fräulein ...« – »Nun, schnell heraus damit!« rief Pelagie, »Sie hätten das zuerst thun sollen.«

Herr Ginguet bot Constanzen den Brief, diese nimmt ihn mit zitternder Hand und liest: »Meine Theure Cousine, ich wollte das Glück versuchen und meine ersten Unternehmungen waren glücklich ... kühn gemacht durch solchen Anfang, war ich vielleicht zu schnell ... doch die Würfel lagen ganz zu meinen Gunsten und ich glaubte, Sie bald in eine Ihrer würdigen Lage versetzen zu können: das Schicksal hat meine Hoffnung betrogen; ... ein verderbliches Sinken, das ich nicht voraussehen konnte ... doch wozu viele Worte? ... ich bin ruinirt ... Verlöre ich nur das Meinige, so könnte ich mich noch trösten; aber ich bin beinahe das Doppelte von dem, was ich besitze, schuldig; ich muß daher meinen Verpflichtungen untreu werden ... die Ehre verlieren! Das bringt mich in Verzweiflung! ... Das tödtet mich ... ja, es tödtet mich, denn wenn man die Ehre verliert, darf man nicht mehr leben. Adieu, theure Cousine, beklagen Sie mich und fluchen Sie mir nicht. Leben Sie wohl für immer.

Edmund Guerval.«

Der Brief fällt Constanzen aus der Hand; sie scheint durch den unerwarteten Schlag vernichtet.

»Ruinirt!« murmelt Ginguet.

»Ruinirt!« wiederholt Pelagie.

Aber Constanze erholt sich wieder und ruft alsbald aus: »O, mein Gott! er will also sterben, da er mir auf immer Lebewohl sagt ... sterben um ein wenig Geld, das ihm fehlt! ... aber gehört denn nicht ihm, was mein ist? ... Könnte Edmund an meinem Herzen zweifeln? ... O! man muß ihn retten, an der Ausführung seines entsetzlichen Entschlusses verhindern ... Pelagie! schnell ... es gilt die Rettung Edmunds!«

Und Constanze faßte den Arm des jungen Beamten, den sie hastig die Treppe hinabriß. Ginguet mußte vier Stufen zugleich nehmen, um der Jungfrau zu folgen, wobei er sich nicht enthalten konnte, zu sagen: »Wie er geliebt wird, dieser Herr Edmund! ... wie er geliebt wird! ... Ach! um so von Fräulein Pelagie geliebt zu werden, wäre ich fähig, mir alle Tage einen Tod anzuthun.«

Auf der Straße angelangt, sprach Constanze zu Ginguet, indem sie seinen Arm nahm: »Führen Sie mich, mein Herr, und eilen wir, denn es wäre gräßlich, zu spät zu kommen! ...« – »Ja, mein Fräulein ... ja ... ich werde Sie fuhren; aber wohin befehlen Sie?« – »Zu Edmund ... Sie wissen wo er wohnt?« – »Ja, mein Fräulein.« – »Wenn wir ihn doch nur zu Hause finden!« – »Ach das ist zweifelhaft.« – »Dennoch ... wir werden dort vielleicht erfahren, wo er ist ... ich muß, muß ihn sehen!«

Ginguet dachte: »Wenn der Vetter nicht zu Hause ist, so kann ich mir nicht denken, wo wir ihn aufsuchen sollen!« Aber er verschwieg diese Betrachtung Constanzen, deren Kummer und Unruhe bei jedem Schritt zu wachsen schienen.

Man kommt an Edmunds Wohnung an; Constanze läßt ihren Führer los und läuft, sich bei dem Thürsteher zu befragen, denn bei großen Schmerzen vergißt man die Schicklichkeitsrücksichten, und die Jungfrau dachte nicht daran, was man darüber urtheilen könnte, daß sie zu einem jungen Mann gehe.

Edmund war nicht zu Hause; er war schon sehr lange ausgegangen und hatte über das Wohin nichts hinterlassen.

Eine Centnerlast fällt auf Constanzens Brust; trostlos kehrt sie zu ihrem Begleiter zurück, indem sie stammelt: »Er ist nicht zu Hause ... und man weiß nicht, wohin er gegangen ist!« – »Ich dachte es mir; als ich ihm begegnete, sah er nicht aus, als wolle er sich zu Bette legen.« – »Einerlei! ... wir müssen ihn finden; kommen Sie, Herr Ginguet ... vorwärts!« – »So lange Sie wollen, mein Fräulein, aber wohin?« – »Auf die Börse.« – »Mein Fräulein, man geht Abends nicht auf die Börse, denn sie ist geschlossen.« – »In die Kaffeehäuser, in die Theater ... dahin ... dorthin! ...« – »Herr Edmund schien mir gar nicht an das Theater zu denken.« – »Und doch, Herr Ginguet, muß mein Vetter irgendwo sein, und wir müssen ihn finden.«

Und die Jungfrau zog ihren Begleiter fort. Sie liefen ohne Ziel. Wenn ein junger Mann von Edmunds Größe und Gang ihnen begegnete, so rief Constanze: »Er ist's!« und Herr Ginguet mußte dem Vorübergehenden nacheilen, aber er kam immer mit der Nachricht zurück: »Er ist es nicht, und in der Nähe hat er nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm.«

Ebenso mußte Herr Ginguet in jedes Kaffeehaus, an dem sie vorüberkamen, hineingehen, um sich zu versichern, ob der Gesuchte nicht darinnen sei.

So durcheilte Constanze Paris mit dem jungen Kassenschreiber drei Stunden lang. Jeden Augenblick fühlte sie ihre Hoffnung mehr und mehr schwinden; sie weinte nicht, aber ihr Athem war beklommen, ihre Stirne glühend und ihr Blick starr und düster.

Herr Ginguet war in fünfzig Kaffeehauser eingetreten, er war mehr als zwanzig Vorübergehenden nachgerannt, deren einige ihn nicht sehr gut empfangen hatten; endlich fühlte er sich todmüde, wagte es aber nicht zu sagen, denn die Jungfrau beklagte sich nicht, und ein Mann wagt nicht, weniger Muth zu zeigen als ein Weib, selbst wenn er Lust dazu hätte.

Es hatte zwölf Uhr geschlagen. Herr Ginguet erlaubte sich die Bemerkung: »Es ist sehr spät; ich fürchte, Herr Pause und Fräulein Pelagie möchten Ihretwegen unruhig sein.« – »Sehr spät, sagen Sie?« – »Bald Mitternacht.« – »Dann muß er heimgekehrt sein.« – »Herr Pause? O! der ist jetzt gewiß zu Hause.« – »Mein Vetter, Herr ... meinen Vetter suchen wir. Kommen Sie, kehren wir in seine Wohnung zurück!«

Ginguet wagte nicht, es abzuschlagen, obwohl er diesen Gang für ziemlich unnütz hielt; aber während des Gehens dachte er unaufhörlich: »Das ist ein Mann, der geliebt wird, ein glücklicher Mann! Und er will sich umbringen! ... und klagt über das Schicksal! ...«

Man ist vor Edmunds Hause. Constanze bleibt zitternd stehen; in diesem Augenblick ist sie auf dem Punkt, ihre Kräfte zu verlieren; denn sie fühlt wohl, daß wenn Edmund nicht heimkehrt, jede Hoffnung aufgegeben werden muß. Dennoch entschließt sie sich: sie klopft, sie tritt hinein ...

»Herr Edmund Guerval ist vor einer Viertelstunde nach Hause gekommen,« sagt der Thürsteher.

»Er ist zu Hause!« ruft Constanze mit einem Freudenschrei aus, und alsbald stürzt die Jungfrau die Stiege hinauf, ohne zu sehen, ob ihr Begleiter nachkommt.

Es war hohe Zeit! denn nachdem Edmund ohne Ziel und Zweck den ganzen Abend in Paris umhergeirrt war, seine grausame Lage überdenkend, hatte er sich überzeugt, daß ihm kein Ausweg übrig bleibe als der Tod. Freilich ist das ein weit kürzeres Mittel, als der Versuch, durch Arbeit, Geduld und Ausdauer das Verlorene wieder zu gewinnen; aber heutzutage sind Geduld, Ausdauer und Arbeitsliebe weit seltener als ein Pistolenlauf; und man behauptet, wir leben in dem Jahrhundert der Aufklärung, des Fortschritts! ... ich will zugeben, in der Art und Weise, ein Mahl zu arrangiren, aber im richtigen Denken nimmermehr.

Edmund war also mit dem festen Entschluß heimgekehrt, seinem Leben ein Ende zu machen. Er hatte seine Pistole geladen, sie dann auf einen Tisch neben sich gelegt, und sich hernach einigem Bedauern über seine kurze Laufbahn hingegeben. Ohne Zweifel nahm seine schöne Cousine einen großen Platz in seinen Erinnerungen ein; wenigstens hatte das arme Kind es wohl verdient.

Doch in dem Moment, in dem Edmund die verderbliche Waffe ergriff, stürzte Constanze in sein Zimmer, fiel ihm in den Arm und warf sich dann zu seinen Füßen mit dem Ausruf: »Lieber Vetter, willst Du mich denn auch tödten?«

Edmund hält inne. Er sieht seine Cousine mit den schönen, flehenden Augen an, und die Rührung folgt der Verzweiflung. Er sinkt in einen Sessel, indem er murmelt: »Wie kannst Du denn wollen, daß ich entehrt lebe? ... und ich bin es, wenn ich meine Verpflichtungen nicht erfülle!« – »Aber, lieber Vetter, hast Du denn vergessen, daß Alles was mein, auch Dein ist? ... Verfüge über mein Vermögen ... ich will es ... ich fordere es im Namen unserer beiden Mütter, die uns so sehr liebten und so gerne Dich als meinen Beschützer, als den mir vom Himmel bestimmten Gatten betrachteten.« – »Constanze, wie kommst Du darauf? Ich soll über Dein Vermögen verfügen? ... Wenn Du wüßtest ... Nach Bezahlung meiner Schuld ... dieser verfluchten vermaledeiten Differenz, wird Dir fast Nichts mehr übrig bleiben.« – »Was liegt mir daran? ... Ich werde dann glücklich sein ... Meinst Du denn, ich könnte es sein, wenn ich Deinen Tod beweinen müßte? ... Du nimmst es an, Edmund, es muß sein ... ich will es ... Schnell Papier und Tinte herbei, daß ich Dir einen Brief an meinen Bankier gebe! ... Ach! ich zittere vor Freude, daß ich kaum schreiben kann!«

Damit hatte sich die Jungfrau an ein Pult gesetzt und schrieb mit solchem Vergnügen, daß ihr daneben stehender Vetter nur schweigen und sie bewundern konnte. Etwas entfernt, in einer Ecke des Zimmers, weinte Herr Ginguet wie ein Kind, indem er vor sich hin sagte: »Welcher Zug? ... welche Hingebung? ... welche Anhänglichkeit? ... Der Mann wird geliebt! Ach, Fräulein Pelagie, wie glücklich wäre ich, wenn ich Ihnen nur den neunzehnten Theil von solcher Liebe einflößte!«

Constanze hat ausgeschrieben, Ginguet ausgeweint.

Edmund hat eingewilligt, die Hülfe seiner Cousine anzunehmen. Man ist glücklich, der Jammer vergessen; schon baut man Luftschlösser für die Zukunft, und Constanze scheint die Aussicht auf das glänzende Loos, das der Vetter ihr bereiten wollte, ohne Bedauern zu verlieren.

Herr Ginguet bemerkt, daß es sehr spät sei; man verabschiedet sich auf Wiedersehen für morgen. Dann wird Constanze in die Wohnung des Herrn Pause von ihrem treuen Begleiter zurückgeführt, der kurz und bündig erzählt, was Edmunds Cousine gethan hat, während Letztere mit niedergeschlagenen Augen und verwirrter Miene alles Das anhört wie eine Verbrecherin, die ihre Strafe erwartet.

Pelagie umarmt ihre Freundin mit dem Ausruf: »Ha! wenn Dich Dein Vetter nicht anbetet, wenn er Dich nicht zur glücklichsten Frau macht, so muß er der undankbarste Mensch auf der Welt sein!« – »An alles das habe ich nicht gedacht,« sagte Constanze.

Was den rechtschaffenen Herrn Pause betrifft, so hat er gerührt die Erzählung von der schönen That der Jungfrau angehört, dann ihre Hand ergriffen, zärtlich gedrückt und dazu gemurmelt: »In Dem, was Sie da gethan haben, sind viele schöne Ideen! Aber es wäre ebenso gut gewesen, Ihr Vetter hätte nie daran gedacht, Millionär werden zu wollen. Nun, das wird gewiß eine gute Lektion für ihn sein, und ich darf wohl annehmen, er werde sich jetzt für einen andern Beruf entscheiden.«

Edmund zahlte, Dank dem Vermögen seiner Cousine, was er schuldig war, aber dann blieben Constanzen auch nur noch achthundert Franken Renten übrig, just so viel, als der Gehalt des Herrn Ginguet.

Die Jungfrau indeß schenkte ihrem Vermögenswechsel keinen einzigen Seufzer. Nur Das that ihr wehe, daß sie die Pension, welche sie Herrn Pause bezahlte, vermindern mußte.

Darum wurde sie jedoch im Hause des rechtschaffenen Musikers nicht schlechter behandelt. Man kann ein armer Künstler sein und doch ein vortreffliches Herz haben. Das ist ein reichlicher Ersatz.


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