Heinrich von Kleist
Die Hermannsschlacht
Heinrich von Kleist

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Zweiter Akt

Szene: Teutoburg. Das Innere eines großen und prächtigen Fürstenzelts, mit einem Thron.

Erster Auftritt

Hermann auf dem Thron. Ihm zur Seite Eginhardt. Ventidius, der Legat von Rom, steht vor ihm.

Hermann.
Ventidius! Deine Botschaft, in der Tat,
Erfreut zugleich mich und bestürzt mich.
– Augustus, sagst du, beut zum drittenmal,
Mir seine Hülfe gegen Marbod an.

Ventidius.
Ja, mein erlauchter Herr. Die drei Legionen,
Die, in Sicambrien, am Strom der Lippe stehn,
Betrachte sie wie dein! Quintilius Varus harrt,
Ihr großer Feldherr, deines Winkes nur,
In die Cheruskerplätze einzurücken.
Drei Tage, mehr bedarf es nicht, so steht er
Dem Marbod schon, am Bord der Weser, gegenüber,
Und zahlt, vorn an der Pfeile Spitzen,
Ihm das Metall, das er gewagt,
Dir als Tribut, der Trotzge, abzufodern.

Hermann.
Freund, dir ist selbst bekannt, wie manchem bittern Drangsal
Ein Land ist heillos preis gestellt,
Das einen Heereszug erdulden muß.
Da finden Raub und Mord und Brand sich,
Der höllentstiegene Geschwisterreigen, ein,
Und selbst das Beil oft hält sie nicht zurück.
Meinst du nicht, alles wohl erwogen,
Daß ich im Stande wär, allein
Cheruska vor dem Marbod zu beschützen?

Ventidius.
Nein, nein, mein Fürst! Den Wahn, ich bitte dich, entferne!
Gewiß, die Scharen, die du führst, sie bilden
Ein würdig kleines Heer, jedoch bedenke,
Mit welchem Feind du es zu tun!
Marbod, das Kind des Glücks, der Fürst der Sueven ists,
Der, von den Riesenbergen niederrollend,
Stets siegreich, wie ein Ball von Schnee, sich groß gewälzt.
Wo ist der Wall um solchem Sturz zu wehren?
Die Römer werden Mühe haben,
Die weltbesiegenden, wie mehr, o Herr, denn du,
Dein Reich vor der Verschüttung zu beschirmen.

Hermann.
Freilich! Freilich! Du hast zu sehr nur recht.
Das Schicksal, das im Reich der Sterne waltet,
Ihn hat es, in der Luft des Kriegs,
Zu einem Helden rüstig groß gezogen,
Dagegen mir, du weißt, das sanftre Ziel sich steckte:
Dem Weib, das mir vermählt, der Gatte,
Ein Vater meinen süßen Kindern,
Und meinem Volk ein guter Fürst zu sein.
Seit jener Mordschlacht, die den Ariovist vernichtet,
Hab ich im Felde mich nicht mehr gezeigt;
Die Weisung werd ich nimmermehr vergessen:
Es war, im Augenblick der gräßlichen Verwirrung,
Als ob ein Geist erstünde und mir sagte,
Daß mir das Schicksal hier nicht günstig wäre. –

Ventidius.
Gewiß! Die Weisheit, die du mir entfaltest,
Füllt mit Bewundrung mich. – Zudem muß ich dir sagen
Daß so, wie nun die Sachen dringend stehn,
O Herr, dir keine Wahl mehr bleibt,
Daß du dich zwischen Marbod und Augustus
Notwendig jetzt entscheiden mußt;
Daß dieses Sueven Macht, im Reich Germaniens,
Zu ungeheuer anwuchs; daß Augustus
Die Oberherrschaft keinem gönnen kann,
Der, auf ein Heer, wie Marbod, trotzend,
Sich selbst sie nur verdanken will; ja, wenn
Er je ein Oberhaupt der Deutschen anerkennt,
Ein Fürst es sein muß, das begreifst du,
Den er, durch einen Schritt, verhängnisvoll wie diesen,
Auf immer seinem Thron verbinden kann.

Hermann (nach einer kurzen Pause).
Wenn du die Aussicht mir eröffnen könntest,
Ventidius, daß mir
Die höchste Herrschgewalt in Deutschland zugedacht:
So würd Augustus, das versichr' ich dich,
Den wärmsten Freund würd er an mir erhalten.
Denn dieses Ziel, das darf ich dir gestehn,
Reizt meinen Ehrgeiz, und mit Neid
Seh ich den Marbod ihm entgegeneilen.

Ventidius.
Mein Fürst! Das ist kein Zweifel mehr.
Glaub nicht, was Meuterei hier ausgesprengt,
Ein Neffe werd Augusts, sobald es nur erobert,
In Deutschland, als Präfekt, sich niederlassen;
Und wenn gleich Scipio, Agricola, Licin,
Durch meinen großen Kaiser eingesetzt,
Nariska, Markoland und Nervien jetzt verwalten:
Ein Deutscher kann das Ganze nur beherrschen!
Der Grundsatz, das versichr' ich dich,
Steht, wie ein Felsen, bei Senat und Volk!
Wenn aber, das entscheide selbst,
Ein Deutscher solch ein Amt verwalten soll:
Wer kann es sein, o Herr, als der allein,
Durch dessen Hülfe uns ersprießlich,
Sich solch ein Herrschamt allererst errichtet?

Hermann (vom Thron herabsteigend).
Nun denn, Legat der römischen Cäsaren,
So werf ich, was auch säum ich länger,
Mit Thron und Reich, in deine Arme mich!
Cheruskas ganze Macht leg ich,
Als ein Vasall, zu Augusts Füßen nieder.
Laß Varus kommen, mit den Legionen;
Ich will fortan, auf Schutz und Trutz
Mich wider König Marbod ihm verbinden!

Ventidius.
Nun, bei den Uraniden! Dieser Tag,
Er ist der schönste meines Lebens!
Ich eile dem August, o Herr, dein Wort zu melden.
Man wird in Rom die Zirken öffnen,
Die Löwen kämpfen, die Athleten, lassen,
Und Freudenfeuer in die Nächte schicken!
– Wann darf Quintilius jetzt die Lippe überschreiten?

Hermann.
Wann es sein Vorteil will.

Ventidius.                                   Wohlan, so wirst
Du morgen schon in Teutoburg ihn sehn.
– Vergönne, daß ich die Minute nütze. (Ab.)

Zweiter Auftritt

Hermann und Eginhardt.

(Pause.)

Hermann.
Ging er?

Eginhardt.
              Mich dünkte, ja. Er bog sich links.

Hermann.
Mich dünkte, rechts.

Eginhardt.                         Still!

Hermann.                                   Rechts! Der Vorhang rauschte.
Er bog sich in Thusneldens Zimmer hin.

Dritter Auftritt

Thusnelda tritt, einen Vorhang öffnend, zur Seite auf.
Die Vorigen.

Hermann.
Thuschen!

Thusnelda.
                  Was gibts?

Hermann.                             Geschwind! Ventidius sucht dich.

Thusnelda.
Wo?

Hermann.
        Von dem äußern Gang.

Thusnelda.                                   So? Desto besser.
So bin ich durch den mittlern ihm entflohn.

Hermann.
Thuschen! Geschwind! Ich bitte dich!

Thusnelda.                                                   Was hast du?

Hermann.
Zurück, mein Herzchen! liebst du mich! Zurücke!
In deine Zimmer wieder! Rasch! Zurücke!

Thusnelda (lächelnd).
Ach, laß mich gehn.

Hermann.                       Was? Nicht? Du weigerst mir –?

Thusnelda.
Laß mich mit diesem Römer aus dem Spiele.

Hermann.
Dich aus dem Spiel? Wie! Was! Bist du bei Sinnen?
Warum? Weshalb?

Thusnelda.                     – Er tut mir leid, der Jüngling.

Hermann.
Dir leid? Gewiß, beim Styx, weil er das Untier gestern –?

Thusnelda.
Gewiß! Bei Braga! Bei der sanften Freya:
Er war so rüstig bei der Hand!
Er wähnte doch, mich durch den Schuß zu retten,
Und wir verhöhnen ihn!

Hermann.                               Ich glaub, beim Himmel,
Die römische Tarantel hat –?
Er wähnt ja auch, du Törin, du,
Daß wir den Wahn der Tat ihm danken!
Fort, Herzchen, fort!

Eginhardt.                         Da ist er selber schon!

Hermann.
Er riecht die Fährt ihr ab, ich wußt es wohl.
– Du sei mir klug, ich rat es dir!
Komm, Eginhardt, ich hab dir was zu sagen. (Ab.)

Vierter Auftritt

Thusnelda nimmt eine Laute und setzt sich nieder.
Ventidius und Scäpio treten auf.

Ventidius (noch unter dem Eingang).
Scäpio! Hast du gehört?

Scäpio.                                   Du sagst, der Bote –?

Ventidius (flüchtig).
Der Bote, der nach Rom geht, an Augustus,
Soll zwei Minuten warten; ein Geschäft
Für Livia liegt, die Kaiserin, mir noch ob.

Scäpio.
Genug! Es soll geschehn. (Ab.)

Ventidius.                                 Harr meiner draußen.

Fünfter Auftritt

Thusnelda und Ventidius.

Ventidius.
Vergib, erlauchte Frau, dem Freund des Hauses,
Wenn er den Fuß, unaufgerufen,
In deine göttergleiche Nähe setzt.
Von deiner Lippe hört ich gern,
Wie du die Nacht, nach jenem Schreck, der gestern
Dein junges Herz erschütterte, geschlummert?

Thusnelda.
Nicht eben gut, Ventidius. Mein Gemüt
War von der Jagd noch ganz des wilden Urs erfüllt.
Vom Bogen sandt ich tausendmal den Pfeil,
Und immerfort sah ich das Tier,
Mit eingestemmten Hörnern, auf mich stürzen.
Ein fürchterlicher Tod, Ventidius,
Solch einem Ungeheu'r erliegen!
Arminius sagte scherzend heut,
Ich hätte durch die ganze Nacht,
Ventidius! Ventidius! gerufen.

Ventidius (läßt sich leidenschaftlich vor ihr nieder, und ergreift ihre Hand).
Wie selig bin ich, Königin,
Dir ein Gefühl entlockt zu haben!
Was für ein Strahl der Wonne strömt,
Mir unerträglich, alle Glieder lähmend,
Durch den entzückten Busen hin,
Sagt mir dein süßer Mund, daß du, bei dem Gedanken
An mich, empfindest – wärs auch die unscheinbare
Empfindung nur des Danks, verehrte Frau,
Die jedem Glücklichen geworden wäre,
Der, als ein Retter, dir zur Seite stand!

Thusnelda.
Ventidius! Was willst du mir? Steh auf!

Ventidius.
Nicht ehr, Vergötterte, als bis du meiner Brust
Ein Zeichen, gleichviel welches, des
Gefühls, das ich in dir entflammt, verehrt!
Sei es das Mindeste, was Sinne greifen mögen,
Das Herz gestaltet es zum Größesten.
Laß es den Strauß hier sein, der deinen Busen ziert.
Hier diese Schleife, diese goldne Locke –
Ja, Kön'gin, eine Locke laß es sein!

Thusnelda.
Ich glaub, du schwärmst. Du weißt nicht, wo du bist.

Ventidius.
Gib eine Locke, Abgott meiner Seelen,
Von diesem Haupthaar mir, das von der Juno Scheiteln
In üppgem Wogen nicht zur Ferse wallt!
Sieh, dem Arminius gönn ich alles:
Das ganze duftende Gefäß von Seligkeiten,
Das ich in meinen Armen zitternd halte,
Sein ists; ich gönn es ihm: es möge sein verbleiben.
Die einzge Locke fleh ich nur für mich,
Die, in dem Hain, beim Schein des Monds,
An meine Lippe heiß gedrückt,
Mir deines Daseins Traum ergänzen soll!
Die kannst du mir, geliebtes Weib, nicht weigern,
Wenn du nicht grausam mich verhöhnen willst.

Thusnelda.
Ventidius, soll ich meine Frauen rufen?

Ventidius.
Und müßt ich so, in Anbetung gestreckt,
Zu deinen Füßen flehend liegen,
Bis das Giganten-Jahr des Platon abgerollt,
Bis die graubärt'ge Zeit ein Kind geworden,
Und der verliebten Schäfer Paare wieder
An Milch- und Honigströmen zärtlich wandeln:
Von diesem Platz entweichen werd ich nicht,
Bis jener Wunsch, den meine Seele
Gewagt hat dir zu nennen, mir erfüllt.

(Thusnelda steht auf und sieht ihn an. Ventidius läßt sie betreten los und erhebt sich. Thusnelda geht und klingelt.)

Sechster Auftritt

Gertrud und Bertha treten auf. Die Vorigen.

Thusnelda.
Gertrud; wo bleibst du? Ich rief nach meinen Kindern.

Gertrud.
Sie sind im Vorgemach.

(Sie wollen beide gehen.)

Thusnelda.                             Wart! Einen Augenblick!
Gertrud, du bleibst! – Du, Bertha, kannst sie holen.

(Bertha ab.)

Siebenter Auftritt

Thusnelda setzt sich wieder nieder, ergreift die Laute, und tut einige Griffe darauf, Ventidius läßt sich hinter ihr, auf einem Sessel, nieder. Gertrud..

(Pause.)

Thusnelda (spielt und singt).

Ein Knabe sah den Mondenschein
    In eines Teiches Becken;
Er faßte mit der Hand hinein,
    Den Schimmer einzustecken;
Da trübte sich des Wassers Rand,
Das glänzge Mondesbild verschwand,
    Und seine Hand war –

Ventidius (steht auf. Er hat, während dessen, unbemerkt eine Locke von Thusneldens Haar geschnitten, wendet sich ab, und drückt sie leidenschaftlich an seine Lippe).

Thusnelda (hält inne).
Was hast du?

Ventidius (entzückt).
                        – Was ich um das Gold der Afern,
Die Seide Persiens, die Perlen von Korinth,
Um alles, was die Römerwaffen
Je in dem Kreis der Welt erbeuteten, nicht lasse.

Thusnelda.
Ich glaub, du treibst die Dreistigkeit so weit,
Und nahmst mir – (Sie legt die Laute weg.)

Ventidius.                     Nichts, nichts, als diese Locke!
Doch selbst der Tod nicht trennt mich mehr von ihr.
(Er beugt ehrfurchtsvoll ein Knie vor ihr und geht ab.)

Thusnelda (steht auf).
Ventidius Carbo, du beleidigst mich! –
Gib sie mir her, sag ich! – Ventidius Carbo!


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