Heinrich von Kleist
Gedichte und Fabeln
Heinrich von Kleist

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Der Welt Lauf.

Eine Legende nach Hans Sachs.

Der Herr und Petrus oft, in ihrer Liebe beide,
Begegneten im Streite sich,
Wenn von der Menschen Heil die Rede war;
Und dieser nannte zwar die Gnade Gottes groß,
Doch wär' er Herr der Welt, meint er,
Würd' er sich ihrer mehr erbarmen.
Da trat zu einer Zeit, als längst in beider Herzen
Der Streit vergessen schien und just,
Um welcher Ursach weiß ich nicht,
Der Himmel oben auch voll Wolken hing,
Der Sanktus mißgestimmt den Heiland an und sprach:
»Herr, laß auf eine Handvoll Zeit
Mich aus dem Himmelreich auf Erden niederfahren,
Daß ich des Unmuts, der mich griff,
Vergeh und mich einmal, von Sorgen frei, ergötze,
Weil es jetzt grad' vor Fastnacht ist.«
Der Herr, des Streits noch sinnig eingedenk,
Spricht: »Gut; acht Tag' geb ich dir Zeit,
Der Feier, die mir dort beginnt, dich beizumischen;
Jedoch sobald das Fest vorbei,
Kommst du mir zu gesetzter Stunde wieder.«
Acht volle Tage doch, zwei Wochen schon und mehr,
Ein abgezählter Mond vergeht,
Bevor der Sankt zum Himmel wiederkehrt.
»Ei, Petre,« spricht der Herr, »wo weiltest du so lange?
Gefiel's auch nieden dir so wohl?«
Der Sanktus, mit noch schwerem Kopfe, spricht:
»Ach, Herr! Das war ein Jubel unten –!
Der Himmel selbst beseliget nicht besser.
Die Ernte, reich, du weißt, wie keine je gewesen,
Gab alles, was das Herz nur wünscht,
Getreide, weiß und süß, Most, sag' ich dir, wie Honig,
Fleisch fett, dem Speck gleich, von der Brust des Rindes;
Kurz, von der Erde jeglichem Erzeugnis
Zum Brechen alle Tafeln voll.
Da ließ ich's schier zu wohl mir sein
Und hätte bald des Himmels gar vergessen.«
Der Herr erwidert: »Gut! Doch, Petre, sag' mir an,
Bei soviel Segen, den ich ausgeschüttet,
Hat man auch dankbar mein gedacht?
Sahst du die Kirchen auch von Menschen voll?« –
Der Sankt, bestürzt hierauf, nachdem er sich besonnen:
»O Herr,« spricht er, »bei meiner Liebe,
Den ganzen Fastmond durch, wo ich mich hingewendet,
Nicht deinen Namen hört' ich nennen.
Ein einz'ger Mann saß murmelnd in der Kirche;
Der aber war ein Wucherer
Und hatte Korn im Herbst erstanden,
Für Maus' und Ratzen hungrig aufgeschüttet.« –
»Wohlan denn,« spricht der Herr und läßt die Rede fallen,
»Petre, so geh! und künft'ges Jahr
Kannst du die Fastnacht wiederum besuchen.«
Doch diesmal war das Fest kaum eingeläutet,
Da kömmt der Sanktus schleichend schon zurück.
Der Herr begegnet ihm am Himmelstor und ruft:
»Ei, Petre! Sieh! Warum so traurig?
Hat's dir auf Erden denn danieden nicht gefallen?« –
»Ach, Herr,« versetzt der Sankt, »seit ich sie nicht gesehn,
Hat sich die Erde ganz verändert.
Da ist's kurzweilig nicht mehr wie vordem,
Rings sieht das Auge nichts als Not und Jammer.
Die Ernte, ascheweiß versengt auf allen Feldern,
Gab für den Hunger nicht, um Brot zu backen,
Viel wen'ger Kuchen für die Luft und Stritzeln.
Und weil der Herbstwind früh der Berge Hang durchreist,
War auch an Wein und Most nicht zu gedenken.
Da dacht' ich: was auch sollst du hier?
Und kehrt' ins Himmelreich nur wieder heim.« –
»So!« spricht der Herr; »fürwahr, das tut mir leid!
Doch sag' mir an: gedacht' man mein?«
»Herr, ob man dein gedacht? – Die Wahrheit dir zu sagen,
Als ich durch eine Hauptstadt kam,
Fand ich zur Zeit der Mitternacht
Vom Altarkerzenglanz, durch die Portäle strahlend,
Dir alle Märkt' und Straßen hell;
Die Glöckner zogen, daß die Stränge rissen;
Hoch an den Säulen hingen Knaben
Und hielten ihre Mützen in der Hand.
Kein Mensch, versichr' ich dich, im Weichbild rings zu sehn
Als einer nur, der eine Schar
Lastträger keuchend von dem Hafen führte:
Der aber war ein Wucherer
Und häufte Korn auf lächelnd, fern erkauft,
Um von des Landes Hunger sich zu mästen.« –
»Nun denn, o Petre,« spricht der Herr,
»Erschaust du jetzo doch den Lauf der Welt!
Jetzt siehst du doch, was du jüngsthin nicht glauben wolltest,
Daß Güter nicht das Gut des Menschen sind;
Daß mir ihr Heil am Herzen liegt wie dir,
Und daß ich, wenn ich sie mit Not zuweilen plage,
Mich, meiner Liebe treu und meiner Sendung,
Nur ihrer höhren Not erbarme.«


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