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Ähnliche Gedanken hegte in demselben Augenblicke Femia von Sembitzka, welche in ihrem Zimmer saß und nicht im entferntesten an das Schlafen zu denken schien. Ja, es war eine Torheit von ihr gewesen, ihre Stieftochter nach Schloß Katzenberg kommen zu lassen, das sah sie jetzt deutlich ein, aber sie hatte den flehentlichen Bitten ihres kranken Gatten nicht mehr widerstehen können. Er sehnte sich nach der Tochter, und mit dem zähen Eigensinn eines Kranken bestand er darauf, daß sie nach Hause komme, damit er jemand in der Einsamkeit seiner Krankheit um sich habe. Vergebens hatte Femia geschmollt und ihm Vorwürfe gemacht, daß er ihrer Gesellschaft überdrüssig sei und sich nach andrer sehne; der sonst so nachgiebige und schwache Kranke war in diesem Punkte unbeugsam und kam immer wieder auf dieselbe Angelegenheit zurück, bis selbst der Arzt erklärte, im Interesse des Kranken müsse dessen sehnlichstem Wunsche endlich Rechnung getragen werden.
Femia empfand Widerwillen gegen ihre Stieftochter, bevor sie dieselbe noch gesehen hatte, vielleicht mischte sich auch etwas Furcht in diese Abneigung, sie glaubte an dem jungen Mädchen eine Aufpasserin zu bekommen, welche vielleicht aus reiner Neugierde veranlaßt werden konnte, sich um das heimliche Treiben der Stiefmutter zu kümmern. Allerdings verlor sich diese Besorgnis Femias, als diese das harmlose, unschuldige Kind kennen lernte, das sie durch strenge Behandlung einzuschüchtern und unter strenger Botmäßigkeit zu halten beschloß: dann aber wurde durch die Verkettung der Umstände Femia wieder mißtrauisch, und jetzt begann sie zu ahnen, daß Martha auf dem Wege sei, Mitwisserin des Geheimnisses zu werden, das sich auf Schloß Katzenberg verbarg. Ein fürchterlicher Zug von Härte und Grausamkeit erschien plötzlich in dem Gesichte Femias! Ihre Hände ballten sich unwillkürlich, als wollten sie etwas zerdrücken oder zermalmen. In diesem Augenblicke verschwand die Schönheit des leidenschaftlichen Weibes vollständig, jetzt glich sie einem zornwütigen Ungeheuer, das mit kalter Grausamkeit das vernichtet, was sich ihr in den Weg stellt.
*
Femias Gesicht veränderte sich plötzlich zur Freundlichkeit. Die Wirtschafterin war eingetreten und teilte ihr mit, daß der Obergrenzkontrolleur draußen sei und die Frau des Hauses zu sprechen wünsche.
Ernst und doch verbindlich sah Femia aus, als sie Kontala die Hand reichte, die dieser dankbar küßte.
»Wie sollen wir Ihnen danken,« sagte er aufrichtig gerührt, »für die Freundlichkeit, mit der Sie sich meines verwundeten Kameraden angenommen haben, zumal ich erfahre, daß leider auch Ihr Herr Gemahl durch die Aufregungen der Nacht sehr krank geworden ist. Leider, glaube ich, wird Günther noch lange nicht transportfähig sein und hier zur Last fallen.«
»Nicht im mindesten,« entgegnete Femia; »nicht im mindesten! Ich will nur hoffen, daß seine Verwundung keine schlimme sei und daß er bald genese. Um meinen Gatten steht es, fürchte ich, schlecht.«
»Das gnädige Fräulein aber befindet sich hoffentlich wohl,« sagte Kontala ganz unvermittelt, und er mußte mehrmals ansetzen, bevor er die Worte hervorbrachte. Er wurde auch glühend rot, und wie um sich darüber zu entschuldigen, daß er sich nach Martha erkundigte, fuhr er fort: »Ich hatte ihr Grüße und auch eine Einladung von meiner Schwester zu überbringen, die sich leider wohl jetzt nicht realisieren läßt.«
»Martha ist am Krankenbett ihres Vaters,« sagte Femia, »ich werde sie einen Augenblick ablösen. Die Grüße Ihrer Fräulein Schwester werden ihr gewiß ein Trost sein.«
Femia verließ das Zimmer und Kontala blieb allein. Im nächsten Augenblicke sollte Martha vor ihm stehen. Er fühlte, wie sein Herz plötzlich so rasch zu schlagen anfing, daß es ihm fast den Atem raubte.
In dieser Sekunde wußte er, wie innig er das junge Mädchen liebte, das ihm seine Liebe gestanden hatte, ohne es zu wollen. In dieser Sekunde vergaß er alles, was ihn umgab, dachte er nicht mehr an den Kampf, den er gegen geheimnisvolle Mächte führte, dachte er nicht an die Gefahren und an die Pflicht; ein seliges, träumerisches Empfinden kam über ihn, wie er es seit langen, langen Jahren nicht mehr empfunden. Mit aller Gewalt waren Gefühle in seinem Herzen lebendig geworden, die er dort längst begraben glaubte.
Dann ein zögerndes Tasten an der Tür; dieselbe öffnete sich, und in ihrem Rahmen erschien Martha. Ihre Knie zitterten, ihre Hände hingen schlaff herunter, das zu Boden gesenkte Gesicht war glühend rot, und nur ihre heftig arbeitende Brust bewies, daß noch Leben und Empfindung in ihr sei. Sie ging fassungslos einige Schritte vorwärts und blieb dann stehen.
Als die Stiefmutter an das Krankenbett des Vaters trat und ihr mitteilte, daß Kontala sie zu sprechen wünsche, hatte diese Nachricht sie wie ein Blitzstrahl getroffen, trotzdem sie gerade an den Geliebten dachte; und doch durfte sie keinen Augenblick zögern, sie mußte sich erheben und hinausgehen, in einem Zustande halber Bewußtlosigkeit die Türklinke suchen und das Zimmer betreten. Jetzt stand sie vor dem Manne, den sie liebte und den sie nicht anzusehen wagte. Sie glaubte, die Scham vor dem Manne, vor dem sie stand und dem sie ihre Liebe gestanden hatte, müsse sie töten.
Ein Wort schlug an ihr Ohr – ihr Name, und der Mann, der ihr gegenüberstand, hatte ihn gesprochen, mit solcher Innigkeit des Tones, mit solcher zitternden Erregung in der Stimme, daß Martha aufsah. Einen Augenblick war es ihr, als müsse sie umsinken, dann lag sie an Kontalas Halse und fühlte seine Küsse auf ihren Lippen brennen. Sie fühlte das Schlagen seines Herzens, und wenn auch nur für einen Augenblick, umfing sie vollständige Bewußtlosigkeit. Ein nicht zu beschreibendes Gefühl der Ruhe und des Friedens aber, das Bewußtsein, einen Ort gefunden zu haben, an dem sie Trost und Schutz fand, machte sich bei ihr geltend, als diese Bewußtlosigkeit schwand.
Dann raffte sie sich mit einem Ruck empor; sie löste die Arme vom Halse des Geliebten und stand vor ihm zitternd und bebend wie eine Verbrecherin. Sie belog ihn und betrog ihn. Sie wußte das Geheimnis, für das er Leben und Gesundheit, zusammen mit seinen Mitbeamten, einsetzte, und sie verschwieg es ihm. Es war, als hätte eine unsichtbare, rauhe Hand plötzlich das Band zerrissen, das sie zwischen sich und dem Geliebten geschürzt sah. Sie war eine Lügnerin, eine Verräterin, ein elendes, erbärmliches Geschöpf.
Kontala sah nichts als ihre Verwirrung, und in dieser erschien ihm Martha so lieblich, so begehrenswert und schön, daß er sie aufs neue an sich zog und, sie innig küssend, fragte:
»Liebst du mich wirklich? – Ist es wahr, daß mir noch ein solches Glück hier erblühen sollte, wo ich nichts erwartete, als meinen Tod?«
Ihr leises Weinen, das Zucken ihrer Glieder war ihm Antwort genug. Er küßte ihr die Tränen fort und sagte, plötzlich in einen andern Ton übergehend:
»Meine Schwester läßt sich Ihnen empfehlen und Sie zu uns einladen.«
Er hatte den leisen Schritt Femias gehört und fuhr jetzt zu der weinenden Martha fort:
»Sie müssen sich über die Krankheit Ihres Herrn Vaters trösten. Hoffentlich wird der Nervenanfall vorübergehen, und wir sind dann in der glücklichen Lage, zwei Genesungen zu feiern, die Ihres lieben Herrn Vaters, der mir und meinen Leuten stets ein so guter Freund war, und die meines Kollegen Günther. – Wenn ich von unsern Freunden spreche,« sagte Kontala mit einer liebenswürdigen Verbeugung gegen Femia, die während der letzten Worte in das Zimmer getreten war, »so vergesse ich natürlich am allerwenigsten Ihrer, gnädige Frau. Ich werde nicht verfehlen, in meinem nächsten Bericht an die Regierung darauf hinzuweisen, welche Unterstützung und Freundschaft wir hier bei Ihnen genossen haben.«
Martha sah das ironische Zucken um die Lippen ihrer Stiefmutter, und plötzlich stieß sie einen zornigen Schrei aus. Überrascht sahen sowohl Kontala als Femia sie an. Selbst Martha war über den Schrei erschrocken, der ihrem Munde entflohen war; aber sie fühlte sich auf das tiefste verletzt von dem höhnischen Lächeln, mit welchem ihre Stiefmutter dem nichtsahnenden Geliebten begegnete, und durch das sie sich verletzt fühlte wie durch einen Schlag.
Der Schreck preßte Martha Tränen aus, und das Schluchzen, das man jetzt von ihr hörte, konnte wohl eine Entschuldigung für den Schrei sein, der nicht so laut gewesen war, um ihn nicht für ein Aufschluchzen zu halten. Nur auf einen Augenblick nahm Martha das Tuch von ihrem Gesicht, als Kontala ihr die Hand zum Abschied reichte. Nur einen einzigen Blick wechselte sie mit ihm, einen Blick des geheimen Liebesverständnisses, der sie ebenso beseligte wie der leichte Druck seiner Hand; und doch erschrak sie im nächsten Augenblick, als sie fühlte, daß sie diesen Druck seiner Hand erwiderte. In ihr kämpfte noch die Scham des jungfräulichen Weibes mit der Leidenschaftlichkeit der Liebe, die dem Geliebten entgegendrängt und ihm offen die ganze Tiefe der Liebe zu zeigen strebt.
Fast wie eine Erleichterung empfand es Martha, als Kontala das Zimmer verließ, begleitet von Femia bis zur Tür. Dann kehrte diese zurück und sagte kurz und barsch:
»Geh auf dein Zimmer! Du bist zu aufgeregt, um jetzt an das Bett deines Vaters zu treten. Ruhe dich aus, ich werde dich nach einiger Zeit zur Ablösung holen, weil ich dann einen Augenblick schlafen will.«
*
Da saß Martha wieder auf dem altmodischen Ledersofa in ihrem Zimmer im äußersten Flügel des Schlosses und weinte Tränen des Glücks und der Verzweiflung: Tränen des Glücks, wenn sie an die wenigen Sekunden dachte, in denen sie an Kontalas Brust die Seligkeit ihrer Liebe genossen hatte; Tränen der Verzweiflung, wenn sie daran dachte, wie verwickelt die Situation war, in der sie sich befand, wie schrecklich sich die Verhältnisse gestaltet hatten, die sie umgaben. Auf der einen Seite gezwungen, dem Geliebten alles zu erklären, ihn zu warnen und darauf aufmerksam zu machen, daß die Frau, die er für seine Freundin hielt, das Haupt seiner schlimmsten Feinde sei, auf der andern Seite gezwungen, an die Ehre ihres Namens und ihres Vaters zu denken, dessen Frau nun einmal die unglückselige Verbrecherin war, für welche Martha ihre Stiefmutter halten mußte. Gab es denn gar keinen Ausweg aus diesem Labyrinth von Verhältnissen? – Konnte man nicht durch angestrengtes Nachdenken irgendeinen Weg finden, mit dem man das Schlimmste vermied und doch auf der andern Seite seine Pflicht erfüllte?
Martha dachte daran, Kontala durch einen Brief ohne Unterschrift zu warnen vor dem Besuch auf Schloß Katzenberg; aber diese heimliche Warnung, auf die er gewiß nichts gab, schien ihr feig und ihrer selbst und des Mannes, den sie liebte, so unwürdig, daß sie den Gedanken bald fallen ließ. Vom Sofa herab sank sie auf die Knie und betete einen Augenblick um Hilfe in ihrer Not, um einen Helfer, um einen Berater. Warum mußte es die eigentümliche Verkettung des Schicksals wollen, daß Marthas Vater jetzt bewußtlos war und selbst mit dem Tode rang? Wäre er nicht krank gewesen, Martha hätte es gewagt, sich ihm anzuvertrauen; Martha fühlte, sie wäre vielleicht verpflichtet gewesen, ihm von dem Treiben seiner Gattin etwas mitzuteilen; aber jetzt, jetzt, wohin sollte sie sich wenden?
Es gab einen, der ihr der liebste Beschützer und Helfer gewesen wäre, das war der Geliebte, und gerade ihm durfte sie nichts sagen, trotzdem sie ihm alles sagen mußte. Sie erhob sich plötzlich von den Knien und ging in dem Zimmer auf und ab. Eine Art Verzweiflung überkam sie, die plötzlich ihre Tränen versiegen machte, ein Gefühl des Zornes wurde in ihr lebendig, des Zornes gegen sich selbst und ihre Feigheit, gegen das Schicksal, das sie in eine solche verzweifelte Lage gebracht hatte. Einen Augenblick stand sie am Fenster und blickte hinaus, tränenlosen Auges, als erwarte sie, daß irgend jemand erscheinen würde, der ihr den Ausweg zeigte, aus ihren Zweifeln, aus dem Zwiespalt, in dem sie sich befand.
Sie wandte sich hastig um, als sie die Tür geöffnet sah, in welcher ihre Stiefmutter erschien.
»Nun,« sagte diese, wie es schien, etwas erregt, »hast du dich ausgeweint? – Weißt du auch, daß du dich wie eine Närrin beträgst in einem Augenblick, in dem wir gezwungen sind, beide den Kopf oben zu behalten, in dem wir andre und heiligere Pflichten haben als die, zu weinen und uns möglichst töricht zu gebärden? – Lächerlich ist dein Betragen, um so mehr, als du die Schuld an dem Unglück trägst, über das du klagst. Du allein trägst die Schuld!«
Überrascht sah Martha auf. Die grauen Augen Femias waren kalt auf sie gerichtet, um den Mund aber zeigte sich wieder der Zug von Grausamkeit und Freude an der Qual andrer, als sie fortfuhr:
»Wer ist schuld an der plötzlichen Erkrankung deines Vaters als du? Wer trägt anders die Schuld, wenn er stirbt, als du? – Hast du nicht jenes nichtswürdige Geschöpf, das ich zu deinem persönlichen Dienst bestimmt hatte, nachts in den Park geschickt, und hat dieses nicht das furchtbare Geschrei verursacht, durch das dein Vater wahrscheinlich seinen Tod haben wird?«
Martha war empört über die Herzlosigkeit und die berechnete Grausamkeit, die in den Worten Femias lag. Ihr, der Tochter, wollte sie das Herz schwer machen, ihr wollte sie die Schuld an der schweren Erkrankung, vielleicht an dem Tode ihres Vaters zuschieben. Allerdings, Martha fühlte sich ja rein von jeder Schuld; sie hatte ja Ulka nicht nach dem Park geschickt, sondern, nur um das Kind vor Strafe zu retten, gesagt, sie habe sie nach dem Park geschickt, aber die Rücksichtslosigkeit, mit der ihr die Frau da drüben entgegentrat, die sich ihre Mutter nannte, empörte Martha auf das tiefste. Sie fühlte, wie sich eine Blutwelle zuerst aus ihrem Herzen zurückzog und dann mit verdoppelter Kraft wiederkehrte, und wie auf einmal alle Furcht, alle Verzagtheit von ihr gewichen schienen, wie eine eigentümliche Kraft und Energie bei ihr einkehrte. Sie fühlte, wie sie ein mutiges, starkes Weib geworden sei, sie, die noch vor einer Viertelstunde ein verzagtes, weinendes Kind gewesen.
Femia mißverstand die Bewegung Marthas, die sich deutlich in deren Gesicht spiegelte. Sie schien sich des Erfolges zu freuen, den ihre Worte anscheinend bei Martha hervorgerufen hatten, und sie beschloß, diesen Erfolg auszunützen und die ihr widerwärtige Stieftochter noch tiefer zu verletzen und zu beunruhigen. War dieses widerliche, erbärmliche Geschöpf da vor ihr erst in seinem Gewissen beschwert, hielt es sich erst halb und halb für die Mörderin ihres Vaters, dann war sie keine gefährliche Gegnerin mehr, deren Spähen und Spionieren man hätte fürchten müssen.
»Du wirst es dir selbst zuzuschreiben haben,« sagte sie herzlos, »wenn dein Vater durch deine Narretei sein Leben verliert, und niemand wird dich entschuldigen können, ich am allerwenigsten. Du hast Unglück in dieses Haus gebracht, seitdem du hierhergekommen bist. Vom ersten Tage an lastet etwas wie ein Fluch auf uns, ja, auf der ganzen Gegend; seitdem du hier bist, scheinen Gesetz und Recht verkehrt.«
»Und das wagst du mir zu sagen!« schrie Martha; und im nächsten Augenblick stand sie so drohend vor Femia, daß diese erschreckt einen Schritt zurückfuhr. »Das wagst du mir zu sagen, du, die Verbrecherin, die Führerin einer Verbrecherbande, die Mord und Totschlag nicht scheut; du, die geheime Leiterin eines verbrecherischen Unternehmens, durch das du die Ehre meines Vaters und die unsers Namens für immer vernichtet hast! Du wagst es mir zu sagen, du – Pique-Aß!«
Eine lautlose Stille trat nach den letzten, hastig hervorgestoßenen Worten ein. In höchster Erregung standen sich die beiden Frauen gegenüber, Martha mit gerötetem Gesicht, mit leuchtenden Augen und wogender Brust, und Femia leichenblaß, mit geballten Händen, mit stieren Augen und einen Augenblick den Atem anhaltend, als wagte sie nicht, die Luft einzuatmen, die soeben die Entdeckung des furchtbaren Geheimnisses vernommen.
Martha fühlte, wie eine Last von ihrer Seele sank, und doch schauderte sie über ihren eignen Mut, doch kam es ihr vor, als wäre sie zu weit gegangen, als hätte sie gerade den Fehler begangen, den sie am meisten hätte vermeiden müssen. Aber in ihrem Innern tobte etwas, das sie zwang, den Angriff, in den sich ihre Verteidigung gegen ihre Stiefmutter verwandelt hatte, fortzusetzen.
»Ja,« sagte sie, wenn auch jetzt etwas ruhiger, »ich weiß, was du tust, und fordere dich auf, um der Ehre meines Vaters willen von dem Unternehmen zu lassen, von dem Verbrechen, das du seit geraumer Zeit treibst; ich fordere es von dir!«
»Du bist eine Närrin!« unterbrach Femia plötzlich ruhig und, wie es schien, leidenschaftslos die Sprecherin. »Du bist eine Närrin und Phantastin. Ich vermute, man hat dich im Kloster Romane lesen lassen, die dir den Kopf verdreht haben. Vielleicht bist du auch selbst schon traut am Nervenfieber und solltest dich schonen. Vergiß aber nicht, welches Unglück du über dich und über uns alle bringen kannst, wenn du solche närrische Reden vor andern Leuten führst. Ich meinesteils will dir deine Erregung verzeihen. Lege dich zur Ruhe und nimm etwas ein, was deine furchtbare Erregung mildert. Wir sprechen ein andermal über deine Torheit, wenn wir nicht so wichtige Dinge zu tun haben, wie jetzt. Wenn der Arzt kommt, werde ich ihn zu dir schicken, damit er dir einmal den Puls fühlt und dir eventuell etwas verordnet.«
Femia wendete sich um und verließ das Zimmer, als wäre sie die Siegerin gewesen, als hätte nicht ein Schlag sie getroffen, der sie einen Augenblick lang wanken gemacht und fast zu Boden geworfen hatte. Mit der ganzen Energie aber, die sie besaß, hatte sie sich gefaßt und ihre äußere Selbstbeherrschung wiedergefunden, trotzdem sie innerlich noch zitterte und bebte, als sie das Zimmer verließ.
*
Mitternacht! – In ihrem Zimmer ging mit lautlosen Schritten Femia auf und ab. Ruhelos wanderte sie hin und her, und nicht einmal erhob sie den Blick vom Boden, zu dem sie ihn beständig gesenkt hielt. Ihre Brust arbeitete ruhig; ihre Hände ballten sich zwar hin und wieder, aber sie öffneten sich bald wieder, und die ganze Erscheinung des Weibes hätte auf einen Zuschauer den Eindruck gemacht, als denke sie über harmlose Sachen nach, nicht über solche, die sie beunruhigten und veranlaßten, immer wieder im Zimmer auf und ab zu laufen.
Und doch waren die Gedanken, die Femia hegte, fürchterliche und selbst für sie schreckhafte. Sie dachte an den Tod ihrer Stieftochter, der bei ihr unabänderlich beschlossen war. Martha war die Mitwisserin des Geheimnisses geworden, sie mußte sterben, weil sonst das Geheimnis, der ganze Bund und Femia selbst gefährdet waren. Was galt gegenüber der Gefahr das Leben dieses Geschöpfes, das sich in das Geheimnis der Stiefmutter hineingedrängt hatte und es wagte, mit diesem Geheimnisse vor ihr zu prahlen und zu prunken.
Martha mußte sterben. In der ersten halben Stunde, nachdem Femia gedemütigt und moralisch geschlagen Marthas Zimmer verlassen hatte, stand dies bei ihr fest. Schon die Satzungen des Bundes, den Femia leitete, verlangten es, daß jeder Verräter mit dem Tode zu bestrafen sei. Und Martha war eine Verräterin. Sie hatte das Geheimnis, wer Pique-Aß sei, ausgesprochen, und in der eigentümlichen Beweisführung, die sich Femia, das verbrecherische Weib, zurechtlegte, glaubte sie in diesem Verrat einen Verrat der ganzen Sache zu sehen, der sie diente.
Das Herz dieses Weibes, das unter solch eigentümlichen Verhältnissen aufgewachsen war, ohne mütterliche Erziehung, ohne die Leitung einer Frauenhand, schien die Gefühle des Mitleids und der Rücksicht nicht zu kennen. Für sie gab es nur einen Lebenszweck, und das war der, dem Vaterlande zu dienen, und für dieses Vaterland war sie bereit, jedes Opfer zu bringen. Nach den Begriffen, die sie sich von Moral und Pflicht gemacht hatte, mußte jedes Mittel gerecht und erlaubt sein, durch welches die Erhaltung des Bundes und seiner Dienste für das Vaterland ermöglicht wurde.
Martha mußte sterben, und zwar möglichst rasch. Hier galt kein Zögern. Konnte nicht Martha Veranlassung nehmen, zu irgendeinem Fremden von dem Geheimnis zu sprechen, vielleicht gar zu Kontala oder zu dessen Schwester? Gewiß, man würde das Mädchen verlacht haben, wenn sie irgend jemand etwas erzählte. Selbst Femia hätte die Stirn gehabt, sie auszulachen, da nach ihrer Ansicht Martha nichts hatte als die vage Vermutung, keinen positiven Beweis.
Femia trat plötzlich an den Schrank in ihrem Zimmer, schob die Sachen zurück, welche die Hinterwand des Schrankes verdeckten, und prüfte hier sorgfältig, ob man etwas entdecken könnte. Sie selbst schob dann eine der Leisten, die die Rückwand des Schrankes festhielten, zurück, und mit der Leiste zusammen bewegte sich die Hälfte der Hinterwand zur Seite und ließ noch ein Fach erkennen, in dem ein Männeranzug, eine polnische, mit Pelz besetzte Konfederatka und einige seidene Gesichtsmasken hingen. Auf dem Boden dieses Faches aber standen einige Flaschen und auch eine Kassette, welche Femia herausnahm und auf den Tisch stellte.
Dann ging sie rasch nach der Tür und versicherte sich, daß dieselbe verschlossen sei; ebenso prüfte sie die Fensterläden und vergewisserte sich, daß sie auch durch dieselben nicht beobachtet werden könne. Dann öffnete sie die Kassette, die aus einem einfachen Eisenkasten mit Schloß bestand, und entnahm ihr verschiedene Schriftstücke und endlich auch ein Paket mit einem weißen Pulver, das sie auf dem Tisch zurechtlegte. Die Papiertasche, in der sich das Pulver befand, zeigte einige Zahlen in der Aufschrift. Femia prüfte diese Zahlen und murmelte dann etwas vor sich hin.
Plötzlich legte sie das Pulver auf den Tisch und schritt wieder in ihrer geräuschlosen und unruhigen Weise auf und ab. Sie überlegte ruhig und kühl, welche Gefahr ihr drohte, wenn sie die Stieftochter durch Gift aus der Welt befördere.
Was geschah, wenn man Martha von Sembitzka plötzlich tot in ihrem Zimmer fand? Der Arzt würde jedenfalls einen Schlaganfall konstatieren, denn Spuren einer äußeren Verletzung wären nicht zu sehen gewesen. Gewiß gab es ein großes Lamento, aber bei den damaligen Verhältnissen erfolgte jedenfalls die Beerdigung Marthas, ohne daß sich jemand Skrupel über ihren plötzlichen Tod machte. Der Arzt war vollständig in der Hand Femias. Er war einer von den Ärzten aus der alten Schule, die nach einem gewissen Schlendrian darauf loskurierten und die die Praxis weniger durch ihre ärztlichen Leistungen als durch ihr persönliches Auftreten sich zu erhalten und möglichst lukrativ zu gestalten verstanden. Wie wir wissen, war der Arzt mehr ein Freund des Hauses in der Familie Sembitzki als der ärztliche Berater, und wie hier, spielte er seine Rolle in allen den adligen Familien der weiten Umgegend, wo man ihn mehr als tüchtigen Whist- und Bostonspieler, als lustigen Erzähler, denn als Arzt schätzte. Man befolgte seine Ratschläge und hatte allen Respekt vor ihm, obgleich man einsah, daß er ziemlich nonchalant bei schweren Krankheiten war und alle Arbeiten und alle Umstände gern umging, wenn dies irgend möglich war.
Aber selbst wenn der Arzt Verdacht geschöpft hätte und aus irgendeiner Veranlassung eine Untersuchung angeordnet worden wäre? Femia blieb plötzlich stehen und stierte einen Augenblick ins Leere.
Sie dachte an ihren kranken Gatten. Der Arzt war am Abend noch dagewesen und hatte erklärt, das Nervenfieber werde zurückgehen. Wenn Sembitzki dann zum Bewußtsein kam, dann fragte er gewiß nach seiner Tochter. Aber die war in der Zwischenzeit begraben, und die Nachricht von ihrem plötzlichen Tode brach auch ihm sicher das Herz. Wenn nun aber der alte Mann im Gegenteil durch die Todesnachricht in Aufregung geriet, Fragen stellte und womöglich eine Untersuchung herbeiführte?
Femia schritt wieder auf und ab ... Es galt, sorgfältig zu überlegen und zu erwägen. Wenn der verzweifelte Mann Alarm schlug, dann gab es doch vielleicht Aufsehen, ja vielleicht sogar eine Untersuchung. Allerdings unter gewöhnlichen Umständen konnte eine solche Untersuchung der Schloßherrin wenig anhaben. Am allerwenigsten konnte durch eine solche Untersuchung der Verdacht auf sie selbst gelenkt werden. Die Untersuchung führte der Patrimonialrichter, das heißt ein Richter, der von einer Anzahl von Gutsbesitzern dafür bezahlt wurde, um auf ihren Gütern die Gerichtsbarkeit nach damaligem Recht auszuüben. Dieser Patrimonialrichter stand in einer eigentümlich schiefen Stellung, halb als Richter und Unparteiischer zwischen den verschiedenen Gutsbesitzern und auch wiederum zwischen Gutsbesitzern und Bauern und Arbeitern, und auf der andern Seite war er nichts als ein bezahlter Diener dieser Gutsherren, deren Vorteil er unter allen Umständen wahren sollte und denen er verpflichtet blieb, weil sie ihn sich als Patrimonialrichter hielten. Femia kannte den alten, jovialen Herrn, welcher sich auch lieber mit Ungarwein als mit den Akten beschäftigte, der sich geschickt durch alle die Schwierigkeiten hindurchzuwinden wußte, die seine eigentümliche schiefe Stellung ihm so oft im Leben bereitete, der wahrscheinlich selbst vor Schreck gestorben wäre, wenn er den Verdacht auf die Schloßherrin hätte gelenkt gesehen.
Wer sollte aber den Verdacht auf Femia lenken? Es kam nur darauf an, in geschickter Weise Martha das Gift beizubringen, dann den Rest des da auf dem Tische liegenden Pulvers zu verbrennen, damit in keinem Falle etwas davon vorgefunden werden konnte, was verdächtig war. Dann handelte es sich wohl um etwas Komödie bei dem plötzlichen Tode der Stieftochter; aber war nicht anzunehmen, daß diese, wohl infolge der furchtbaren Aufregungen der letzten Tage, insbesondere durch die Krankheit des Vaters, leicht von einem Schlaganfall getroffen werden konnte?
Femia nahm plötzlich das Pulver, warf es in die Kassette, schloß deren Deckel zu und stellte die Kassette wieder an ihren früheren Platz.
»Ich bin eine Närrin,« sagte sie dann halblaut; »so geht es nicht. Dieses nichtswürdige Geschöpf ist klüger, als ich dachte, mißtrauischer, als ich vermutete. Sie weiß und ahnt, daß sie mich auf das schwerste gereizt hat. Vielleicht wirkt das Gift nicht so schnell, als ich mir denke, ich habe seine Wirkung noch nicht erprobt, sie kann vielleicht noch mit irgend jemand reden und dann mich beschuldigen. Sie kann vielleicht erst recht, weil sie sich vergiftet glaubt, mein ganzes Geheimnis verraten. Nein, es geht nicht. Wie soll ich es ihr auch beibringen? Durch einen Trunk, im Essen? Unberufene Zeugen können dazu kommen – es muß etwas andres ersonnen werden!«
Wieder schritt Femia auf und ab, fürchterliche, blutige Gedanken hin und her wälzend, ihr Gehirn zermarternd nach einem Auswege. Das Vogelgezwitscher, das durch die Fensterladen hereindrang, mahnte sie daran, daß draußen schon der frühe Sommermorgen hereingebrochen sei.
Sie öffnete die Fenster, die zum Park hinausführten, nachdem sie das Licht verlöscht hatte, und ihre trockenen, brennenden Lippen sogen gierig die frische Morgenluft ein. Von den Ställen im Wirtschaftshofe herüber drang das Wiehern eines Pferdes. In Femias Augen erschien ein blitzartiges Aufleuchten; ihr Gesicht verzerrte sich, und rasch trat sie vom Fenster zurück, als solle niemand wissen, wie ihr Gesicht in diesem Augenblicke aussah, als fürchte sie sich, ihre Gesichtszüge könnten den Gedanken verraten, den sie soeben gefaßt.
Femia schloß das Fenster wieder und setzte sich endlich auf einen Stuhl nieder, dem Gefühl der Ermüdung gehorchend, das sie jetzt mit aller Gewalt befiel, jetzt in dem Augenblicke, in dem ihr klar geworden war, wie einfach sie Martha aus dem Wege schaffen konnte, wie sicher heut abend Martha nicht mehr unter den Lebenden weilen werde.
Als die Sonne eine Stunde später rot emporstieg und durch das Fenster in das Zimmer Femias lugte, konnte sie die Frau ruhig eingeschlafen sehen, und nur das aschfarbene Gesicht, auf dem die Spuren von Leidenschaft, von Nachtwachen sich zeigten, verriet etwas von den furchtbaren Gedanken, die hinter der hohen Stirn gearbeitet hatten, bis über ihnen Femia eingeschlafen war.
*
Dieselbe Sonne, die Femias bleiches Gesicht beleuchtete, sandte ihre Strahlen auch nach dem Zimmer Marthas, wo das junge Mädchen soeben mit seiner Morgentoilette beschäftigt war.
Die fürchterlichen Aufregungen der letzten Tage hatten Martha auch körperlich erschöpft, und völlig apathisch, bis zum Umsinken ermüdet, hatte sie sich abends gegen elf Uhr von der alten Wirtschafterin am Krankenbette des Vaters ablösen lassen, um dann ihr Zimmer aufzusuchen und sich zur Ruhe zu begeben. Trotz der fürchterlichen Müdigkeit, die sie fast im Gehen schlafen ließ, vergaß sie nicht, die Tür von innen zu verschließen und die Fensterladen noch einmal nachzusehen.
Sie fühlte sich sogar unangenehm berührt, als sie Ulka nicht fand, die sie heute bestimmt erwartet hatte, hatte sie doch fast vierundzwanzig Stunden das Kind nicht gesehen. Kaum hatte aber Martha ihr Licht verlöscht, als sie auch einschlief und erst erwachte, als die Sonne schon durch die Ritzen der Fensterladen fiel.
Sie kleidete sich rasch an, und gleichzeitig suchte sie einige Ordnung in ihre Gedanken und Empfindungen zu bringen, die jetzt, nach dem Erwachen aus einem langen und traumlosen Schlaf, mit aller Gewalt auf sie einstürmten.
Die Nachtruhe und die Erquickung durch den langen Schlaf machten Martha, wie jeden andern Menschen, sicherer und mutiger, und Martha legte sich in Gedanken den Plan zurecht, ihrer Stiefmutter einmal ins Gewissen zu reden, um sie von dem fürchterlichen Geheimnis und den Taten, die zu seiner Verbergung notwendig waren, loszulösen. Es tat ihr leid, daß die Aufregung, in der sie sich befunden, ihr das Geheimnis, wer Pique-Aß sei, entrissen habe. Sie sagte sich, daß ihre Stiefmutter auf das schwerste verletzt und bedroht sein müsse, daß sie ihre natürliche Feindin sei von dem Augenblicke an, in dem sie erfahren, daß Martha um das furchtbare Geheimnis wisse. Und doch kam es Martha vor, als würde es nicht allzu schwer sein, mit der Stiefmutter über die ganze Angelegenheit zu reden und so Klarheit in die Situation zu bringen.
Martha fühlte, wie ihr Mut wuchs. Sie nahm sich vor, ihrer Stiefmutter eventuell damit zu drohen, daß sie Kontala alles verraten wolle. Ja, sie fühlte eine Art übermenschlichen Mutes in sich, wenn sie an den Geliebten dachte, und nichts schien ihr in der Welt zu schwer, das sie im Gedanken an ihn sich nicht auf sich zu nehmen getraute. Die schwersten Entschlüsse schienen Martha leicht realisierbar. Aber gewiß waren die Gedanken, die sie da hegte, höchst töricht und unlogisch. War sie ja trotz des Ernstes ihrer Lage nicht imstande, ihre Gedanken auf diese ernste Lage allein zu richten. Unausgesetzt kamen ihr dazwischen Gedanken von Wonne und Glück, Gedanken an den Geliebten und daran, daß er sie wieder liebe. Bald arbeiteten die Hände Marthas eifrig in ihrem Haar, während sie dasselbe zurechtsteckte; dann lagen ihre Hände wieder müßig im Schoß, und nur die Röte in dem zarten Gesicht bewies, zusammen mit der wogenden Brust, daß eifrig Gedanke auf Gedanke das Herz des jungen Mädchens bewegte, gewiß nicht Gedanken schrecklicher Art, Gedanken voll unschuldiger Liebe, voll unschuldigen Glücks, Gedanken, vollständig entgegengesetzt denen, welche die ganze Nacht hindurch in dem andern Flügel des Schlosses Femia von Sembitzka gehegt hatte.
Diese Gedanken Marthas waren mehr die des Träumens als des Wachseins. Wie im Traume kleidete sie sich an und ging hinüber nach dem Krankenbett des Vaters, wo ihr die alte Wirtschafterin mitteilte, daß die Nacht besser als je verlaufen sei. Der Kranke habe sehr ruhig geschlafen, sei sogar gegen Morgen erwacht und habe zum erstenmal seit langer Zeit gesprochen und Wasser gefordert; er habe auch nach der Tochter gefragt, und Martha fühlte sich so glücklich über diese Nachrichten, daß ihr Tränen in die Augen traten. Voll Rührung betrachtete sie das eingefallene Gesicht des Vaters, welcher ruhig und leise atmend schlief. Dann ging sie hinaus und in das Zimmer, wo der verwundete Günther lag. Zwei Offizianten, welche nach den Befehlen des Arztes die Krankenwärterdienste bei ihm verrichteten, lösten sich Tag und Nacht in der Pflege des Verwundeten ab, und auch hier erfuhr Martha, daß es anscheinend besser gehe, obgleich noch immer der Kranke in Bewußtlosigkeit lag; das Wundfieber aber schien gebrochen, und war dieses erst vorüber, meinte der alte Steueroffiziant, so werde sich wohl alles andre auch geben, zumal der Verwundete ein kräftiger junger Mann war.
Auch hier also lauteten die Nachrichten befriedigend, und Martha wollte soeben nach ihrem Zimmer zurückgehen, als ihr einfiel, sie müsse sich doch einmal nach ihrer kleinen Dienerin, nach Ulka, erkundigen. Sie fragte einige der polnischen Dienstmädchen nach dem Verbleib der Kleinen, aber niemand wußte ihr Auskunft zu geben; fast alle behaupteten, innerhalb der letzten drei Tage Ulka nicht mehr gesehen zu haben.
Eine plötzliche Unruhe ergriff Martha, deren Inneres sich eben noch durch die guten Berichte über die beiden Kranken so freudig berührt gefühlt hatte. Sie wußte nicht, weshalb, aber sie empfand plötzlich große Besorgnisse um das Fortbleiben Ulkas. Es war ja möglich, die Kleine, welche sehr selbständig auftrat und etwas Katzenartiges an sich hatte, machte auf eigne Faust irgend wohin einen Ausflug, vielleicht zu Leuten im Dorfe oder in einem Nachbarorte; aber jedenfalls hätte sie dann doch Martha ein Wort gesagt.
Als Martha, immer noch mit den Gedanken an Ulka beschäftigt, wieder in ihr Zimmer trat, sank sie plötzlich wie vernichtet in einen Stuhl. Der Gedanke an die Stiefmutter war ihr gekommen und damit die Gedankenverbindung, Ulka könne durch die Stiefmutter beiseitegeschafft worden sein.
Dieser Gedanke, durch nichts begründet, kam so plötzlich über Martha, daß er sie vom Scheitel bis zur Sohle erzittern ließ. Sie fühlte allen Mut, den sie noch vor einer halben Stunde gehabt hatte, schwinden, sie fühlte nichts mehr als Angst und Schrecken vor der fürchterlichen Person ihrer Stiefmutter und gleichzeitig ein Erlahmen der Kräfte, das ihr nicht einmal gestatten würde, die schreckliche Frau nach dem Verbleib des unglücklichen Kindes zu fragen.
Der furchtbare Druck, der auf dem Kopf Marthas während der letzten Tage, in denen sie Mitwisserin des schrecklichen Geheimnisses war, gelegen, war wieder erschienen; alle Schrecknisse, die sie durchlebt, schienen ihr wieder zu nahen, und wieder waren die Tränen das einzige Hilfsmittel, das sie fand, um ihre gequälte Seele zu erleichtern ...
Eine Stunde schwerer Seelenqual mochte Martha verbracht haben, als die alte Wirtschafterin kam und ihr mitteilte, daß der Arzt da sei, und daß ihr Vater sie gerufen habe. Martha trocknete ihre Tränen, befeuchtete ihre geröteten Augen mit etwas kaltem Wasser, suchte sich nach Möglichkeit zu fassen und begab sich nach dem Krankenzimmer ihres Vaters.
Der Kranke schien zum Bewußtsein gekommen zu sein. Ein Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen, als Martha im Zimmer erschien, und dem Impulse ihres Herzens folgend, eilte diese an das Bett ihres Vaters und kniete an demselben nieder. Der Kranke reichte ihr die Hand, und sein Lächeln wurde immer glückseliger.
Martha bedeckte die Hand des Vaters mit Küssen, bis der Arzt ihre Schulter berührte und sagte:
»Mein gnädiges Fräulein, nicht zu viel Aufregung! Danken wir Gott und der vortrefflichen Natur unsers alten Freundes von Sembitzki, daß er sich so rasch von dem schweren nervösen Anfall wieder erholt hat. Aber Ruhe ist jetzt die Hauptsache, mein gnädiges Fräulein, Ruhe tut dringend nötig, Ruhe, Ruhe nicht nur für den Kranken, sondern auch für Sie, mein Fräulein, und auch für Ihre gnädige Frau Mama. Ich finde, auch Ihre Frau Mama sieht sehr angegriffen aus, und Sie bedürfen beide dringend der Schonung und Erholung.«
Erst jetzt warf Martha einen Blick auf das Gesicht ihrer Stiefmutter, und sie erschrak fast über die wächserne Blässe desselben. Ein eigentümliches Weiß lag auf diesem Gesicht; nicht das Weiß der Krankheit, sondern des Schreckens, ein fürchterliches, wachsartiges Weiß, aus dem heraus die dunkeln Augen um so auffallender leuchteten.
»In der Tat,« sagte Frau von Sembitzka, »ich fühle mich etwas angegriffen; aber, mein Gott, die Ereignisse der letzten Tage waren wohl dazu angetan, uns den Kopf zu verwirren; und auch Martha ist sehr angegriffen.«
»Das sehe ich,« sagte der Arzt, »das sehe ich. Aber nun wollen wir den Kranken verlassen und ein Tränklein verschreiben, um dann nach unserm andern Patienten zu sehen, und wenn die Damen mir dann die große Ehre antun und mir eine Tasse Tee anbieten wollen, so werde ich wegen der frühen Morgenstunde diese Einladung nicht abschlagen.«
Er lächelte und verbeugte sich galant vor Frau von Sembitzka und deren Tochter.
»Ordne den Frühstückstisch,« sagte Femia ruhig zu Martha, und ging mit dem Arzt hinaus, um nach Günther zu sehen.
Martha wendete sich noch einmal zurück und trat an das Bett des Vaters. Wieder schien aus dem Gesicht des Kranken das glückselige Lächeln. Martha beugte sich herab und drückte einen innigen Kuß auf die Lippen des Kranken, aus dessen Augen Tränen quollen, wie es schien, Tränen der Freude und des Glücks.
Die alte Wirtschafterin, welche auch im Zimmer gewesen war, sagte jetzt leise:
»Gnädiges Fräulein, regen Sie den Herrn nicht auf. Ich werde ihm neue Umschläge machen. Es ist wohl besser, Sie entfernen sich.«
Martha ging hinaus, um im Auftrage ihrer Stiefmutter den Frühstückstisch zu ordnen. Viel Arbeit hatte sie damit nicht, denn mit der ganzen Routine, welche die oft geübte Gastfreiheit des Hauses ihnen verliehen hatte, trugen mehrere polnische Mädchen ein ebenso umfangreiches als gutes Frühstück auf. Die Teemaschine, der russische Samowar, wurde, mit glühenden Holzkohlen gefüllt, hereingebracht, und das Wasser zischte und sang in ihm, besonders als eine der Mägde mit einem Blasebalg die Holzkohlen zu voller Glut anfachte. Da standen die Gläser, aus denen der Tee getrunken wurde, die Fläschchen mit Rum und feinen Likören, da stand kaltes Geflügel, ein ganzer Schinken, kurz, alle die ländlichen Genüsse, bei denen selbst marinierte Fische aller Art ebensowenig fehlten wie pikante Obstkonserven; auch ein paar Flaschen Ungarwein standen parat, und Martha ließ drei Kuverts auflegen und war kaum mit der Arbeit zu Ende, als Femia mit dem Arzt zurückkehrte.
Der alte Herr schien heute in sehr guter Laune zu sein. Er rieb sich die Hände, als er den Frühstückstisch erblickte, und sagte lachend:
»Ich glaube, ich werde diesem Frühstück alle Ehre antun; und ich darf es wohl auch, denn heute bin ich in der glücklichen Lage, meine beiden schweren Patienten auf dem Wege der Besserung zu sehen, und wenn auch die kräftige Natur und der Wille des Himmels die Hauptsache dabei getan haben, so ist doch ein solcher alter Pflasterkasten wie ich dennoch so eitel, auch sich einen Anteil an der Genesung zuzuschreiben; und Sie werden es dem alten Pflasterkasten schon verzeihen müssen, wenn er es sich auch einmal wohl sein läßt, bevor er weiter hinausfährt, um hoffentlich ebenso günstige Resultate bei seinen andern Patienten zu finden wie hier.«
Martha bereitete den Tee in einem besonderen Kännchen auf dem Schlot des Samowars, indem sie dort den Teeextrakt mit kaltem Wasser ansetzte. Dann füllte sie mit dem heißen Getränk die bereitstehenden Wassergläser, aus denen sich der aromatische Duft des Karawanentees durch das Zimmer verbreitete.
Martha trank nur wenig und zwang sich, eine Kleinigkeit zu genießen. Femia trank etwas Tee und dann hastig ein Glas Wein. Der alte Arzt aß für drei und trank für vier Personen. Dabei war er nicht einen Augenblick still. Er verstand die große Kunst, beständig zu reden und viel zu reden, und doch gleichzeitig dabei viel zu essen und viel zu trinken. Er erzählte mit viel Witz allerlei Anekdötchen von den Nachbarn, von Bekannten aus der Stadt, es gelang ihm aber nicht, Femia von Sembitzka aus ihrer steinernen Ruhe zu bringen. Hin und wieder flog allerdings ein erzwungenes Lächeln über ihr Gesicht, das dieses aber nur um so schrecklicher erscheinen ließ.
Martha schwieg, und ihre Gedanken weilten bei einem andern Gast ihres Vaterhauses, den sie jetzt herbeiwünschte, und der ihr jedenfalls lieber gewesen wäre als der geschwätzige Arzt. Sie empfand eine Art Sehnsucht nach dem Geliebten, Sehnsucht nur nach seiner Gegenwart und Nähe, weil sie glaubte, das Gefühl der eigentümlichen Beängstigung, das seit Stunden auf ihr lastete, würde sich legen.
Ein furchtbarer Schreck hatte sich Marthas bemächtigt, seitdem sich bei ihr der Gedanke festgesetzt, Ulka sei durch die eigne Stiefmutter beiseitegebracht worden. Ihr erregtes Gehirn spiegelte ihr nicht nur die Möglichkeit vor, daß Ulka irgendwo eingesperrt sei, sondern daß vielleicht das Kind sogar nicht mehr lebte. Sie wußte nicht, weshalb, aber dieser furchtbare Gedanke an Ulka kam ihr immer wieder, und wenn sie dann einen Blick auf die Stiefmutter warf und deren entsetzliche Ruhe in dem wachsbleichen Gesicht sah, überlief sie neuer Schauder.
»Und nun, meine Damen,« sagte der Arzt, indem er seine Serviette zusammenfaltete, »lassen Sie mich Ihnen meinen Dank für das vortreffliche Frühstück sagen und gleichzeitig für die angenehme Unterhaltung. Und ferner, bitte, denken Sie zuvörderst an sich selbst und tun Sie etwas für sich, denn Sie scheinen mir beide sehr angegriffen, außerordentlich angegriffen.«
»Ich dachte,« sagte Femia von Sembitzka, »ein wenig Bewegung oder Aufenthalt in frischer Luft würde uns gut tun.«
»Vortrefflich bemerkt, meine Gnädige!« sagte der Arzt. »Gewiß, machen Sie einen Spaziergang durch den Park.«
»Ich dachte daran,« erklärte Femia, »etwas auszufahren.«
»Ein vortrefflicher Gedanke,« sagte der Arzt, »ein vortrefflicher Gedanke! Es ist ein schöner Sommervormittag, nicht allzu heiß, und besonders wenn Sie den Weg durch die Wälder nehmen, haben Sie hinreichenden Schatten, und jedenfalls wird Ihnen die Fahrt außerordentlich wohl tun. Doch ich sehe, mein Wagen hält schon eine Zeitlang vor dem Portal, Sie entschuldigen mich, ich komme morgen wieder nachsehen, obgleich es wahrscheinlich gar nicht notwendig ist; aber es soll mich freuen, wieder neue Fortschritte bei meinen Patienten konstatieren zu können.«
Er küßte den Damen die Hände und eilte hinaus, um seinen Wagen zu besteigen, der bald darauf den Hof verließ.
Femia verließ einen Augenblick das Zimmer, kehrte dann zurück und sagte:
»Der Vater schläft; wir können also ruhig auf einen Augenblick fortfahren und unterdes die frische Luft genießen. Mach dich zurecht.«
Sie sagte diese Worte ruhig und ohne irgendeine Veränderung in der Stimme, so ruhig, wie sie in der ersten Zeit zu Martha stets gesprochen hatte. Sie schien die Szene mit Martha vollständig vergessen zu haben, denn nicht die geringste Gereiztheit zeigte sich bei ihr.
Martha wäre vielleicht nicht so rasch auf den Vorschlag des Ausfahrens eingegangen, hätte sie nicht daran gedacht, unterwegs Otto von Kontala auf einem seiner Dienstwege zu treffen. Sie hätte aber auch keinen vernünftigen Grund finden können, das Mitfahren abzuschlagen. Sie fühlte selbst, daß ihr die Luft etwas wohltun würde, und sie sehnte sich nach freier Luft, weil sie hoffte, daß der schreckliche Alp, der auf ihr lastete, dort vielleicht etwas von ihr weichen würde. Martha begab sich auf ihr Zimmer, um einen Hut aufzusetzen und nach damaliger Mode ein Tuch um die Schultern zu schlagen.
Als sie nach einiger Zeit nach dem Speisezimmer zurückkehrte, fand sie ihre Stiefmutter bereits fertig zum Abfahren, und Wojtek kam soeben mit dem Wagen auf den Hof. Es war eine leichte Britschka, ein sogenannter »Sandschneider«, ein Wagen aus Korbgeflecht mit Federn, auf dem zwei ledergepolsterte Bänke hintereinander standen.
Wojtek war abgestiegen und wartete, die Zügel der Pferde haltend, vor der Tür.
»Steig auf,« sagte Femia zu Martha, und diese bestieg rasch den Wagen und nahm auf der ersten Bank Platz.
»Ich fahre selbst,« sagte Femia, »du kannst hierbleiben, Wojtek. Löse einmal die Wirtschafterin am Krankenbett des Herrn ab, sie wird auch des Schlafs bedürftig sein. In spätestens einer Stunde sind wir wieder zurück.«
Wojtek, der es gewöhnt war, daß die Schloßfrau zumeist selbst fuhr, reichte ihr die Zügel und die Peitsche, und im nächsten Augenblicke zogen die feurigen jungen Pferde an, und mit fast beängstigender Geschwindigkeit jagte der Wagen aus dem Hoftor. Wojtek sah ihm noch einen Augenblick nach und sagte:
»Keine andre Frau dürfte es wohl wagen, die Pferde zu lenken; aber unsre Frau versteht das Fahren besser wie irgendein Kavalier, und selbst solche Pferde wie diese weiß sie meisterhaft zu lenken.«
In der Tat, wie wir wissen, war Femia von Sembitzka außerordentlich geschickt im Lenken der Pferde, und sie konnte es deshalb wohl wagen, die an sich unruhigen Tiere, welche anscheinend lange nicht aus dem Stall gekommen waren, durch wiederholte Peitschenschläge zu immer rascherer Gangart anzutreiben.
Sie fuhr von dem Schloßberg herab rasch durch das Dorf, umfuhr dasselbe in großem Bogen, dann nach der entgegengesetzten Richtung, schlug die Chaussee ein, die nach Lublinitz führt, bog aber von derselben plötzlich wieder ab und lenkte dem Dorfe zu.
Martha hatte wortlos neben der Stiefmutter gesessen, und fühlte sich nicht veranlaßt, irgendein Gespräch anzuknüpfen, zumal Femia selbst sehr schweigsam war, die Situation aber eine Unterhaltung auch nicht begünstigte. Die Pferde gingen meist so unruhig, legten sich oft mit solcher Gewalt ins Geschirr, daß der Wagen auf den Straßen, mit Ausnahme der Chaussee, beständig hin und her flog. Martha mußte sich an dem Seitenbügel des Ledersitzes festhalten, um nicht vom Wagen geschleudert zu werden, und Femia verwendete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Pferde, die sie immer wieder durch Peitschenschläge und durch Reißen an den Zügeln unruhig machte, wenn die Tiere einmal von selbst in eine ruhigere Gangart fielen.
Man war bis dicht an das Dorf herangekommen, Femia aber bog nicht in den Weg ein, der zum Schlosse führte, sondern links ab nach dem Walde. Martha fragte nicht, weshalb, Femia hätte auch eine Antwort für sie parat gehabt. Der Weg führte über Hügel, bald bergauf, bald bergab, der Weg war aber befahren, wie die frischen Wagenspuren bewiesen, wenn man auch augenblicklich niemand begegnet war.
Einen Augenblick hielt Femia die unruhigen Pferde an und sah prüfend nach dem Wege, dann bog sie plötzlich rechts ab auf einen alten Weg, der in letzter Zeit wenig befahren zu sein schien. Sie hielt auf diesem Wege einen Augenblick an, sah nach vorwärts und rückwärts, sie horchte und lauschte, ob sie nicht das Rollen von Wagen oder Menschenstimmen hörte, dann fuhr sie langsam weiter, einen Hügel hinauf.
Jenseits dieses Hügels lag der große, verlassene Steinbruch, welcher vor vielen Jahren einmal von den Sembitzkis betrieben worden war. Dieser Steinbruch stieß mit der einen Seite an den Hügelabhang und war auf dieser wohl hundert und mehr Fuß tief. Eine schmale, nur aus Latten gebildete Balustrade umgab auf dieser Seite den gefährlichen Abgrund, in dessen Nähe indes niemand etwas zu suchen hatte; er lag abseits von der gewöhnlichen Straße.
Femia von Sembitzka wußte, daß die Straße, auf der sie sich jetzt befanden, direkt bis an den Abgrund führte, direkt in diesen hinein, wenn nicht die Barriere, die am Hügelabhang stehen sollte, das Hinabstürzen in den Steinbruch verhinderte.
Sie hielt nochmals die Zügel an und lauschte angestrengt; ihr Gesicht hatte eine aschgraue Farbe angenommen; man hörte nichts als das Rauschen des Waldes im Winde.
Martha blickte erstaunt auf ihre Stiefmutter und fragte:
»Geht es hier nach dem Schlosse?«
Der Klang dieser verhaßten Stimme schien Femias Energie aufs neue zu beleben; sie trieb die Pferde an, bis sie die Höhe des Hügels erreicht hatten.
Hundert Schritte weiter, etwas schräg bergab, führte der Weg in den Steinbruch hinein. Femia von Sembitzka sah, daß die Barriere, welche den Abgrund umgab, fast gänzlich verfallen und zerbrochen war. Wenn in diesem Augenblicke die Pferde durchgingen, so stürzten sie mit dem Wagen und Insassen direkt in den Steinbruch hinein; rettungslos zerschellten Wagen, Insassen und Pferde.
Femia von Sembitzka hielt plötzlich die unruhigen Pferde an und stieg vom Wagen. Martha wollte ihr folgen, sie herrschte sie indessen an:
»Bleib oben, ich will nur einmal das Geschirr nachsehen, ich glaube, es ist etwas in Unordnung.«
Jetzt stand Femia von Sembitzka auf dem Boden. Im nächsten Augenblicke warf sie den Pferden die Zügel auf den Rücken, einen furchtbaren Hieb führte sie mit der Peitsche auf den Rücken der Tiere und gleichzeitig stieß sie einen gellenden Schrei so plötzlich aus, daß die Pferde die Köpfe in die Höhe warfen und im nächsten Augenblick wie rasend durchgingen.
Von dem Peitschenhieb gereizt, durch den Schrei erschreckt, sich zügellos fühlend, jagten sie unaufhaltsam dem Steinbruch zu, während Martha erschreckt und zitternd sich am Sitz festhielt, nicht ahnend, daß sie mit den Pferden in den Tod ging.
Der Plan, den Femia in früher Morgenstunde so plötzlich zur Vernichtung ihrer verhaßten Stieftochter ersonnen, war soeben zur Ausführung gekommen.
Wer wollte ihr Schuld an dem Unglück geben, an dem die ganze Schuld auf die durchgehenden Pferde geschoben werden konnte, welche durch einen Zufall scheu geworden waren?
Einen fürchterlichen Schreckensschrei Marthas hörte Femia von Sembitzka noch, dann lachte sie laut auf, laut und gellend, wie eine Wahnsinnige, und sank in das Moos des Waldes nieder, überwältigt von den fürchterlichen Gefühlen, die auf sie losstürmten, von den entsetzlichen Gedanken, die sie in den letzten Stunden beschäftigt hatten.
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