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Kriegsbuch
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Der Korporal

Es war in der letzten Hälfte des August 1914, als man den Korporal Georges Bobin vom III. französischen Linienregiment gefangen einbrachte.

Er sah wie aus dem Ei gepellt aus: schmuck, reinlich, rasiert, mit erdbeerroten Hosen und einem blauen Frack von tadellosem Schnitt.

Er stellte sich dem Husarenoffizier, der ihn verhörte, verbindlich lächelnd vor: als Monsieur Georges Bobin vom III. französischen Linienregiment, gebürtig da und da her ... natürlich aus dem Süden ..., im Privatberuf Sprachlehrer. Er kenne die Deutschen. Oh là là. Er werde die Deutschen nicht kennen. Drei Jahre hintereinander war er vor Ausbruch des Krieges in Deutschland. Eine lange Zeit. Drei Jahre. Wenn man drei Jahre das Mittelländische Meer nicht sieht. Und Marseille, dieses romantische Drecknest, nicht riechen darf. Denn: es gibt Städte, die man sieht. Florenz zum Beispiel. Und Städte, die man hört. Berlin zum Beispiel. Und Städte, die man riecht. Marseille gehört zu den letzteren. Und da der Geruchs- mit dem Geschmackssinn Hand in Hand gehe, wenn das kühne Bild erlaubt sei, so esse man in Marseille so gut und billig wie nirgends in der Welt. Für ein paar Sous, für ein Nichts Austern und Fische in verwegener Zubereitung, gedünstet, gebraten, gebacken und gesoßt, wie sie sich der phantasievollste Gaumen des ausschweifendsten Feinschmeckers nicht vorzustellen vermag. In Deutschland, wo er an dem Realprogymnasium einer kleinen brandenburgischen Stadt zuletzt tätig gewesen sei, habe er immer Kohlrouladen und Königsberger Klops essen müssen. Nun: wie dem auch sei. Er habe sich daran gewöhnt. Er finde besonders das erstgenannte Gericht, abends zum Souper noch einmal aufgewärmt, recht appetitlich und schmackhaft. Auch der Landschaft, in der die kleine Stadt lag, könne er eine gewisse Anmut nicht absprechen. Ein wenig nüchtern. Ein wenig preußisch. Aber freundlich belebt von den Dampfern und Kähnen der schiffbaren Oder und sanft gemildert von den zärtlichsten Sonnenuntergängen. Und Weinberge stiegen am östlichen Ufer empor: mit rotem und gelbem Wein bepflanzt. Und wenn man den roten ein wenig mit Italiener verschnitte, so bekäme man den schönsten Bordeaux. Nun: er übertreibe. Gewiß. Aber ein guter Crossener ist besser als ein schlechter Bordeaux. Pardon: man wolle das alles wohl von ihm nicht wissen.

Ja, was er für Gefechte mitgemacht habe? Eigentlich gar keine. Dies, in dem er gefangen genommen worden sei, sei sein erstes Gefecht. Er habe fünfzig Patronen verschossen, habe dann vorgehen müssen, seine Kompagnie sei in flankierendes Feuer geraten. Voilá.

Übrigens: er habe zu viel gesagt. Oder vielmehr zu wenig. Er habe doch noch ein zweites Gefecht mitgemacht. Ein sehr merkwürdiges Gefecht. Vielleicht das merkwürdigste des ganzen Krieges.

Das Regiment war auf dem Marsch. Man näherte sich der feindlichen Zone. Ein Dorf lag plötzlich vor ihnen. Ein unansehnliches und höchst gleichgültiges Dorf, wie ein längliches Brot in den Backofen einer engen Talmulde geschoben.

War das Dorf vom Feind besetzt?

Zwei Züge mit Patrouillen an den Spitzen wurden ausgeschickt, das Dorf zu sondieren. Der eine Zug unter dem Befehl des Korporals Georges Bobin kam von der linken, der andere von der rechten Höhe. Das Dorf sollte wie von einer Kneifzange gefaßt werden.

Schleichend und äugend kam Korporal Bobin mit seiner Spitze bis dicht an das erste Haus. Er war vielleicht noch zwanzig Schritte entfernt, als plötzlich Schüsse ertönten.

Pfff ... flog ihm auch schon eine Kugel an der Nase vorbei.

Sehr ungeinütlicher Zustand das. Aber weiter. In Deckung vor.

Woher kamen die Schüsse? Er befragte seine Leute. Sie sagten übereinstimmend: aus dem Hause da vorne.

Also mußte das Haus vom Feinde besetzt sein.

Er kroch fünf Schritte näher.

Pfff ... neue Schüsse ... ein leiser Schrei ... einer seiner Leute war am Schenkel verwundet ... das Blut rann ihm in die Hose ... Er schickte ihn zurück zum Regiment. Die übrigen wurden unruhig und knallten unaufhörlich in das Haus hinein.

Kein Fenster im Hause war mehr ganz. Wieder ein Verwundeter ... Noch einer ... Der erste Tote ... Was sollte er machen?

Es war unmöglich, das Haus, das stark besetzt schien, frontal zu stürmen.

Er gab den Befehl zum vorsichtigen Rückzug.

Kriechend und knallend zogen sie sich zurück.

Als sie den Ausgang des Dorfes erreichten, sahen sie von der anderen Seite die zweite Kolonne sich ebenfalls knallend und kriechend zurückschrauben.

Und nun wußte er – und während er erbleichte, brach er in ein krank- und krampfhaftes Gelächter aus.

Die beiden Züge hatten sich gegenseitig beschossen!

Zwischen den Häusern und durch die Häuser hindurch.

Das Geknalle hatte aber nicht nur das Regiment, sondern die ganze Division, bei der sich auch Artillerie befand, nervös gemacht.

Den ganzen Nachmittag und Abend böllerte es noch die Täler und Dörfer entlang.

Die Artilleristen, welche eifersüchtig darauf waren, daß die Infanterie »ihr Gefecht hatte«, zogen die Revolver und begannen ebenfalls zu knallen.

Und da es keine Feinde zu erschießen gab, so schossen sie auf alles Lebende, was ihnen in den Dorfstraßen in den Weg kam.

Alle Hühner, alle Enten, Kühe, Schweine, Katzen, Hunde, Kaninchen, Tauben fielen ihrer Kampfwut zum Opfer.

Die Gräben lagen voll zerfetzter und wimmernder Tiere. Pferde brüllten wie Tiger. Eine tote Katze hing wie der Kasperle im Kasperltheater nach der Vorstellung über der Rampe eines Zaunes. Eine Muttersau verblutete mitten auf der Gasse und drei lebende Ferkel sogen quietschend an ihren toten Brüsten.


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