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Selten wohl hat eine physikalische Frage ein solches Interesse in der breiten Öffentlichkeit Deutschlands gefunden, wie die der Relativitätstheorie, namentlich seit Einstein mit Gedanken von unerhörter Kühnheit das Geheimnis der Schwerkraft zu enthüllen sucht. Man könnte eine reine Freude daran haben, daß einmal etwas anderes als der leidige wirtschaftlich-politische Streit die Gemüter bewegt, würde der Kampf nicht manchmal mit einer Leidenschaft und mit Mitteln geführt, die nur zu sehr an die Politik erinnern, statt daß man die schließliche Entscheidung der höchsten Instanz, der fortschreitenden Erfahrung, ruhig abwartet. Gesündigt wird da wohl extra muros et intra. Die vorliegende Schrift hält sich von solchen Verirrungen fern. Sie will einen unvoreingenommenen, für die Sache interessierten Leser in die Gedankenwelt der Relativitätstheorie einführen, ohne sich auf wissenschaftliche Fachbildung zu stützen. Bei aller Anlehnung an die Arbeiten der führenden Männer verfolgt sie das Ziel auf eigenartigen, aber wohlüberlegten und einwandfreien Wegen. Weil sie dabei noch durch lesbaren Stil und hin und wieder mit freundlichem Humor den Leser vor Ermüdung schützt, komme ich gern der Aufforderung des Verfassers nach, ihr ein Geleitwort mit auf den Weg zu geben.
»Sagen Sie mal, was ist das eigentlich mit der Relativitätstheorie?« bin ich schon von recht vielen philosophisch interessierten Laien gefragt worden, und wenn ich auch ihrem Wunsch, ihnen die Sache in fünf Minuten zu erläutern, nicht immer zu entsprechen vermochte, so hatten solche Gespräche doch manches Gute: Sie halfen mir selber, dem die Relativitätstheorie genau dieselben Schwierigkeiten machte wie allen andern Zeitgenossen, zu größerer Klarheit und bestärkten mich in der Überzeugung, daß es möglich sein müsse, die Kernpunkte auch ohne jedes mathematische Rüstzeug zu entwickeln. Daß man von diesem Standpunkt aus auf sehr vieles verzichten muß, versteht sich von selbst, ansonst ja die Mathematik ein überflüssiges Ding wäre. Aber den Lesern, an die ich in erster Linie denke, kommt es beispielsweise auf die Gestalt der Lorentz-Transformation nicht an, sondern lediglich auf die Grundgedanken, die Relativierung von Raum und Zeit sowie die Möglichkeit, die Theorie an Hand der Tatsachen nachzuprüfen. Von dem Verständnis dieser Dinge den mathematisch nicht vorgebildeten Leser auszuschließen, schien mir nicht notwendig zu sein. Und übrigens pflegen auch Leute, die mathematischen Entwicklungen folgen können, durchaus nicht immer böse zu sein, wenn sie von ihrer Kenntnis einmal keinen Gebrauch zu machen gezwungen sind.
Natürlich gibt es schon viele populäre Schriften über unsern Gegenstand. Aber auch »populär« ist ein relativer Begriff. Uhren, die in der x'-Achse des bewegten Systems K' aufgehängt sind und von dem in K ruhenden Beobachter abgelesen werden, machen dem Fachmann freilich keine Schwierigkeiten. Sie absorbieren aber die Aufmerksamkeit des an diese Dinge nicht gewohnten Lesers so stark, daß er nicht nebenbei noch andere und keineswegs einfache Dinge verdauen kann. – Selbstverständlich konnten aber die bisherigen Versuche, die Relativitätstheorie in populärer Form darzustellen, nicht ohne Einfluß auf meine Arbeit sein. Besonders wichtig für mich waren die zahlreichen philosophischen Aufsätze des Herrn Petzoldt sowie die Schriften der Herren Angersbach und Bloch (vergl. den Literaturnachweis am Schluß) und übrigens auch zahlreiche persönliche Unterhaltungen, die ich mit sämtlichen drei Autoren haben durfte. Aber wenn ich nicht glaubte, einem großen und wichtigen Leserkreis noch erreichbar zu sein, dem jene Schriften verschlossen sind, so wäre mein Büchlein nicht entstanden.
Herr Professor v. Laue hatte die große Freundlichkeit, in meine Arbeit vor ihrer Drucklegung Einsicht zu nehmen, einige zweifelhaften Punkte eingehend mit mir zu besprechen, mich beim Lesen der Korrektur zu unterstützen und durch vorstehendes Geleitwort einem größeren Publikum die Gewähr für unbedingte wissenschaftliche Zuverlässigkeit meiner Arbeit zu bieten. Es ist mir eine angenehme Pflicht, den von mir hochverehrten Mann auch an dieser Stelle meiner herzlichen Dankbarkeit zu versichern.
Berlin-Nikolassee, August 1920.
Paul Kirchberger.
Öffentliche Vorträge, die ich wiederholt über Relativitätstheorie hielt, gaben mir willkommene Gelegenheit, erneut über noch weitere mögliche Verdeutlichungen nachzudenken. Die Neuauflage bringt ein neues Bild zur scheinbaren Unvereinbarkeit des Fizeau-Versuchs mit dem Michelson-Versuch, ein zweites Beispiel zur Zeitrelativierung, Ausführungen über die gegenseitige Bedingtheit der Zeit und der Raumrelativierung, die Veränderlichkeit der Masse, den Newtonschen Wasserglasversuch und anderes mehr. – Die dritte Auflage bringt neben kleineren Änderungen das kosmologische Kapitel. – Von den mannigfachen Freunden, die sich das Büchlein erworben hat, möchte ich mit besonderer Dankbarkeit die Herren Professoren Schlick (Kiel) und Wieleitner (Augsburg) erwähnen, deren aufmerksame und sehr kritische Lektüre von erheblichem Nutzen war.
Berlin-Nikolassee, März und November 1921.
Paul Kirchberger.