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Am anderen Vormittag stand Mariechen Gottlieb im Fleischerladen ihrer Eltern und bediente die einkaufenden Köchinnen und Hausfrauen. Sie hatte eine schöne weiße Schürze umgebunden und sah sehr sauber aus, wenn sie mit dem großen Fleischlöffel gehacktes Rindfleisch und Schweinefleisch von dem großen rothen Fleischkuchen losmachte und auf die Waage legte und mit den Gewichten hantirte. Nur ihre Finger waren ein bischen roth und fettig; aber im übrigen war sie zum Anbeißen hübsch; das meinten sogar die Köchinnen. Sie wog auch gut und machte ihre Zulagen nie zu groß; man konnte immer mit ihr zufrieden sein. Große Fleischstücke, bei denen Knochen zu zerschlagen waren, gab der Herr Fleischermeister selbst heraus; aber die kleineren Braten, die Schweinsrippchen, die Kochstücke und vor Allem alle Wurst und kalte Küche schnitt Mariechen auf und das machte sie so zierlich und 26 appetitlich, daß man schon vom bloßen Zusehen den größten Wohlgeschmack empfand.
Gegen Mittag, als nicht mehr so viel Käufer im Laden waren und es weniger zu thun gab, erschien Herr Bäckermeister Mehrig junior. Er war ganz festlich angezogen, feierlich sogar, als habe er große Dinge vor. Er hatte erst mit Mariechens Mutter gesprochen, nachdem er an der Wohnung geklingelt im Hinterhause und hatte ihr anvertraut, daß er nun so weit sei und um Marie anhalten wolle. Dem Herrn Fleischermeister und seiner Frau war das ganz recht; sie zweifelten nicht, daß auch die Tochter Ja sagen werde und darum solle er nur frischen Muth fassen und gleich zu Mariechen in den Laden gehen und mit ihr selber die Sache ins Reine bringen.
Die Ladenthüre klingelte, während sie aufging, und Mehrig junior trat in den Fleischerladen. Mariechen hatte gerade einem kleinen Jungen ein viertel Pfund Schmerfett zu geben und wog es ab; darum schien sie den jungen, dicken Bäcker nicht zu bemerken. Mehrig stellte sich etwas verlegen vor den Ladentisch und wußte nicht, unter welcher Einleitung er seine Werbung anbringen sollte. Erst als der Knabe mit dem Schmerfett den Laden verlassen hatte und Niemand sonst zugegen war, sagte er etwas zaghaft:
27 »Guten Tag, Fräulein Marie!«
Sie blickte ihn nicht einmal an, sondern hackte ein Schöpsrippchen vom Rippenstücke ab und fragte: »Was ist gefällig?«
Mehrig junior fielen auf einmal die Hosen von gestern Abend ein. Es war ihm so unbehaglich zu Muthe, als hätte er sie noch an und wäre damit über die offene Straße gegangen und die Leute hätten mit Fingern auf ihn gewiesen. In seiner Verlegenheit brachte er nichts weiter heraus, als daß er sagte:
»Ich möchte ein halbes viertel Pfund Knoblauchwurst, wenn ich bitten darf, Fräulein.«
Marie langte eine angeschnittene Wurst von der Wand herab und schnitt mit einem großen Messer ein Stück ab, das sie rasch auf die Waage warf. Sie tippte sogar mit dem Finger an die Waagschale, um das zu leichte Gewicht etwas zu beschweren, suchte ein Stückchen Papier und wollte rasch die Wurst einwickeln.
Der junge Freier hatte sich indessen gefaßt, und um einen passenden Anknüpfungspunkt für Weiteres zu gewinnen, sagte er:
»Ich möchte auch gern noch ein halbes Viertel Zungenwurst und ein halbes Viertel Trüffel- und Sardellenwurst, wenn ich bitten darf. Und aufgeschnitten, Fräulein Marie, aufgeschnitten mit Erlaubniß!«
28 Auch noch aufschneiden! dachte Marie und warf wüthend die angeschnittene Knoblauchwurst unter den Ladentisch zum Abfall. Sie machte ein bitterböses Gesicht, und während sie sich abkehrte, um die 29 Zungenwurst und die Sardellenwurst herabzunehmen, hätte sie beinahe vor Wuth und Abscheu geweint. Sie faßte sich aber und that ganz kalt, wickelte die Knoblauchwurst wieder aus und zerschnitt sie in ganz feine Scheibchen, schnitt möglich langsam und bequem, um ja nichts merken zu lassen, das halbe Viertel Zungenwurst und Sardellenwurst auf, wobei sie recht geflissentlich vermied, daß viel Zunge mit abfiel und es so richtete, daß mehr die Blutwurst davon auf die Waage kam. Sie gedachte Herrn Mehrig dadurch ihre grenzenloseste Gleichgültigkeit zu bezeugen. Ganz wild aber wurde sie innerlich darüber, daß er ihr fortwährend auf die Finger sah und sie heimlich mit seinen Blicken zu verschlingen schien. Sie warf daher etwas unwillig die aufgeschnittene Wurst auf die Waage und sagte etwas spitz: »Macht fünfundsiebenzig Pfennige zusammen.«
Mehrig faßte sich ein Herz und wollte nun geradenwegs ins Feuer gehen. Er begann: »Nun sagen Sie einmal, Fräulein Marie, haben Sie denn gar keine Ahnung, warum ich heute eigentlich so viel Wurst bei Ihnen kaufe?«
Marie meinte kalt: »Wahrscheinlich essen Sie heute Mittag Linsen und Wurst. Was weiß ich!«
Jetzt wurde Mehrig zutraulich und sagte: »Na, 30 da müssen Sie mir auch gleich noch ein viertel Pfund kalten Braten dazu geben, Fräulein Mariechen, wenn Sie's gar nicht errathen. Gemischten, wenn ich bitten darf! Ein bischen Kalbsbraten, ein bischen Schweinebraten und ein paar Häppchen Roastbeef, ich bitte recht schön!«
»Ich bitte mir aus, mich nicht Mariechen zu nennen. Ich bin nicht Ihr Mariechen!« sagte das Mädchen mit unnahbarer Kälte, während sie die Braten aus dem Schaufenster nahm. Sie stampfte dabei sogar ganz leise mit dem Fuße, denn sie glaubte, er wolle sie doch nur zum Besten haben, indem er sie mit seinen Einkäufen behelligte.
»Herrgott,« meinte Mehrig, »so viel Fleischernes aller Art habe ich wohl noch gar nicht bei Ihnen gekauft, Fräulein. Schneiden Sie nur recht sorgfältig. Und nun rathen Sie einmal!«
»Ach, ich hätte viel zu rathen!«
»Mit Ihrer Mutter hab ich auch schon gesprochen und, sehen Sie, Mariechen, die hat mich gleich an Sie selbst gewiesen. Nein, Fräuleinchen, heute muß ich auf alle Fälle was Uebriges thun! Jetzt muß ich auch noch um ein Viertel rohes Rindfleisch für Beefsteaks à la tartare bitten und dann noch um ein paar Frankfurter Brühwürstchen und noch ein viertel Pfund vom besten 31 Schinken, halb roh, halb gekocht und zuletzt auch ein viertel Pfund italienischen Salat, den machen Sie ja doch so fein wie Keine! Na, na, Fräulein, Sie werden auch denken, daß ich einen gesegneten Appetit habe, wenn ich das Alles selber essen sollte!«
»Mein Gott,« sagte Marie darauf ganz gelassen, »ein Mann von Ihrer Dickheit muß wohl mehr als Andere zu sich nehmen, um leben zu können. Der selige Baron Werdau soll ja auch gewöhnlich eine ganze Gans für sich allein gegessen haben und Sie schlagen auch schon in die Art!«
Sie hatte das so eisigkalt und frostig gesagt, daß der große, dicke, junge Mann verstohlen auf sich herabschielte und sich einen Augenblick seines Körperumfangs heimlich schämte. Er kam ganz aus der Fassung und wußte nicht, wie nun weiter im Text. Marie aber rechnete in aller Eile den Preis der aufgeschnittenen Fleischwaaren von Neuem zusammen und nannte die Summe unter Aufgebot aller Herzlosigkeit, die ihr nur irgend zur Verfügung stand. Sie packte das Fleisch in Papier und legte es dem Manne hin.
Mehrig indessen begann, nachdem er sich gefaßt hatte, nochmals und sagte. »Ei, Jemine, Jemine! Das viele Fleisch! Was habe ich das nur so zusammengekauft! Ja, ja, Fräuleinchen, wenn man aber Abends 32 seine Verlobung feiern möchte, da ist es nun einmal so, da braucht man eben etwas mehr kalten Aufschnitt als gewöhnlich. Sehen Sie, ich mache schon Einkäufe auf mein Verlobungsfest hin und dabei rathen Sie nicht einmal, wer meine Zukünftige ist! Na, rathen Sie mal!«
Marie wischte ihr Fleischmesser an einem reinlichen Tuche ab und zuckte nur mit den Achseln. Der junge Freier indessen wurde plötzlich kühn, da er bereits so viel verrathen hatte, und sagte rasch:
»Aber Mariechen, Mariechen, stellen Sie sich doch nicht so! Sie sind's ja natürlich! Mit wem könnte ich mich denn jemals sonst verloben als mit Ihnen? Gerade darum habe ich ja bei Ihnen so viele Wurst gekauft; ich dachte, sie solls nicht einmal merken, daß sie's für ihre eigne Verlobung aufschneidet! Ach, Mariechen, nun zieren Sie sich aber nicht mehr; einig sind wir ja doch schon lange im Stillen und nun sagen Sie ›Ja‹! So was kommt ja auch nicht alle Tage vor!«
Und damit reichte er ihr treuherzig und gut, wie er war, seine Hand über den Ladentisch hinüber, damit sie einschlüge und »Ja« sage. Aber mit einer hoheitsvollen Gebärde verbarg das Mädchen beide Hände unter ihrer weißen Schürze, trat einen Schritt zurück und rief entrüstet aus:
33 »Entfernen Sie sich! Wie können Sie wagen, mir hier im offenen Laden derartige unpassende Anträge zu machen!«
Der junge Freier ließ langsam die vorgestreckte Hand sinken, bis sie auf dem Ladentisch ausruhte und fragt mit dem Tone des höchsten Erstaunens:
»Aber sagen Sie, Fräulein Mariechen, wie kommen Sie mir denn eigentlich vor?! Ich dachte, das wäre eine abgemachte Sache!«
»Wie ich Ihnen vorkomme! Auch das noch! Also Sie beleidigen mich auch noch! Aber wie Sie mir vorkommen, darnach scheinen Sie nicht zu fragen. Sie kommen mir abscheulich vor, aufgedunsen, fettleberig, dick und plump! Sie wagen mich mit Ihren Anträgen zu behelligen, nachdem Sie nicht einmal die Todten in ihrem Grabe ruhen lassen können und einen Mann, wie den guten Baron Werdau, auch übers Grab hinaus noch verspotten! Ach, hätten Sie niemals diese schrecklichen Hosen angezogen, daß einen vor Ihnen gleich der Ekel fassen mußte. Nein, ich nehme keinen dicken Mann, ich nehme keinen, ich will keinen und sollte ich darüber sterben. Niemals nehme ich so Einen!«
Sie stampfte mit dem Fuße, zerknitterte mit den Händen ihre Schürze und lehnte sich endlich an den Fleischerblock, indem sie ihr Gesicht hinter der Schürze 34 verbarg. Sie bemerkte nicht, daß soeben eine etwas ältere Person mit einer weißen Spitzenhaube, den Korb am nackten Arm hängend, eingetreten war. Diese Person hatte eine lange spitze Nase, und es war, als ob diese Nase noch viel spitzer würde, als sie den Namen des Baron Werdau in diesem aufregenden, für eine Köchin geradezu spannenden Zusammenhang hörte. Auch Mehrig hatte ihr Eintreten nicht bemerkt und stotterte daher nur ganz betroffen und unglücklich: »Ja, Fräulein, wenn ich Ihnen freilich zuwider bin; dann, dann will ich nur gehen –!« Auf einmal aber wurde er auch zornig, warf sein Fleischpaket vor sich auf den Tisch, daß es klatschte: »Der Teufel soll diesen Baron Werdau sammt seinen Hosen holen! Der Teufel soll ihn holen. Was kann ich denn für seine Fettsucht und daß er nicht einmal seine 35 Schneiderrechnungen bezahlen konnte, so viel Stoff brauchte er für seine Lumperie, die er am Leibe trug! Daß gerade mir so etwas passiren muß, das ist zu schauderhaft! Ich habe Ihnen doch früher gefallen, Mariechen, und nun haben Sie auf einmal einen Ekel an mir gekriegt und es war doch gar nicht so gemeint! Es war ja fast Alles untergestopft, ich bin ja gar nicht so stark, wie das aussah, sie hatten ja einen Korb hineingestopft! Was soll aus mir werden!«
Er packte sein Fleichpaket von Neuem an und rief halb zornig, halb unglücklich: »Und nun muß ich hier auch noch die viele Wurst zusammenkaufen, ich Narr; wer soll denn das Zeug Alles essen! Ich stehe da und bestelle einen Haufen kalten Aufschnitt, Zungenwurst, Sardellenwurst, was weiß ich und am Ende ist's lauter weggeschmissenes Geld! Ich mag das Zeug nicht; ich kann's nicht einmal Alles einstecken, es macht mir höchstens meinen Ueberrock fettig. Wenn ich das vorhin geahnt hätte!«
Marie antwortete ihm gar nicht; sie hatte, als sie aufblickte, die Köchin der Frau Baronin von Werdau erkannt; sie ging an die andere Seite des Ladentisches und fragte: »Was gefällig?!«
Mehrig blickte sich verdutzt um; als er die fremde Person mit der spitzen Nase sah, wurde es ihm heiß 36 und kalt; er packte verdrossen und schweigsam seinen kalten Aufschnitt ein, rückte nur ein wenig an seinem Hute und sagte auf einmal sehr protzig: »Habe die Ehre mich zu empfehlen!«
»Empfehle mich!« sprach Mariechen ganz spitz ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Die Köchin machte ein Gesicht wie die Gänse bei einem Gewitter; sie platzte fast vor Neugier, sagte aber nichts, denn sie wußte, sie würde bei Zeiten schon Alles erfahren, und sie hatte auch gerade schon genug gehört, womit sie die Frau Baronin zu ärgern hoffen konnte. Sie sagte nur:
»Hätten Sie nicht vielleicht eine recht saftige, gute Rindslende? Machen Sie's recht hübsch, Fräulein Mariechen; nicht zu viel Zulage, wenn ich bitten darf.«
Marie wollte eben ein Stück Lende aussuchen, als die Köchin, welche durchs Ladenfenster dem jungen Mehrig nachschaute, plötzlich die Hände zusammenschlug, nachdem sie ihren Korb vor sich auf den Boden gestellt hatte, und mit Entsetzen ausrief:
»Ach, der Frevel! der Frevel! hat man so etwas erlebt! Sehen Sie nur, Fräulein Mariechen!«
Marie blickte durchs Ladenfenster hinaus. Dort stand auf der Straße gerade, daß man es durchs Fenster sehen konnte, ein Hundekarren. Vor dem 37 Karren lag ein großer Köter auf der Erde und klappte leise mit seinem Schwanze vor Vergnügen den Erdboden, denn vor ihm stand der große, dicke, junge Bäckermeister. Er hielt ein aufgefaltetes Papier in der Hand, aus dem er ganz gemächlich den Karrenhund fütterte. Er hob aus dem Papier die schönsten rothen Schinkenscheiben und Bratenstücke heraus, hielt sie langhängend dem Hunde vor die Nase, und dieser schnappte mit Gier darnach und kaute, als wär's ein Göttermahl. Ein paar Vorübergehende waren stehen geblieben, um diese neueste Art öffentlicher Mildthätigkeit gebührend zu würdigen; Mehrig schien sie nicht zu bemerken, sondern holte ein zweites Päckchen mit den Frankfurter Brühwürstchen heraus und fütterte auch mit diesen den Hund. Das Thier fraß mit fabelhafter Schnelligkeit und so großem Appetit, daß dieser auch Herrn Mehrig anzustecken schien, denn als er nun das letzte Paket öffnete, worin 38 die Zungenwurst und Sardellenwurst lag, schob Herr Mehrig, als wäre er in Gedanken, auch unter dem Füttern einige Wurstscheiben in seinen eigenen Mund, und da er die Sardellenwurst besonders gern aß, so geschah es, daß er nun zum Schlusse abwechselnd sich selbst und den fremden Hund fütterte.
»Das liebe Gut! das liebe Gut!« jammerte die Köchin. »Ist es nicht eine wahre Sünde?!«
Mariechen hatte erst sprachlos zum Fenster hinausgesehen, und sie wollte sich abwenden. Sie deutete sich den Anblick so aus, daß Mehrig ihr recht geflissentlich seine Verachtung vor allen Leuten beweisen wollte durch diese Hundefütterung, weil sie ihn mit einem so großen Korbe entlassen hatte. Als sie nun aber zuletzt sah, wie Mehrigs Hand mit Wurstscheiben nach seinem eigenen Munde fuhr, welche er ganz in Gedanken zu verzehren schien, da wurde das Maß voll. Das war empörend. Marie war außer sich. Es bedurfte nur des geringsten Anstoßes, um die Schale ihres Zorns und ihrer Erbitterung überfließen zu machen. Und dieser Anstoß kam.
Herr Mehrig hatte nämlich ganz gelassen seine Hundefütterung beendet, knüllte das Papier zusammen, worein Marie ihm die Wurst gewickelt hatte, und warf das Papier dem Hunde an die Nase, der darnach schnappte 39 und dann, als das Papier im Rinnstein lag, es mit der Nase beschnupperte. Hierauf kehrte Herr Mehrig sich um, und als er Marie im Ladenfenster stehen sah, grüßte er auch noch mit Anstand und ging fort. Die Leute draußen aber versammelten sich näher um den Hund und betrachteten eine Weile das wunderbare Thier, das auf offener Straße mit einer solchen Menge des besten kalten Aufschnitts gefüttert worden war.
»Ja, sagen Sie mir um Gotteswillen, Fräulein Mariechen, was war denn das für eine Geschichte! Sollte das eine Verhöhnung sein? Ja, was war denn das? Hier hört man ja ganz sonderbare Dinge!«
Die Köchin hatte die Arme an die Hüften gestemmt, richtete ihre Nase schräg in die Luft und machte so große Augen, daß man keinen Augenblick mehr in Zweifel sein konnte, was nun kommen mußte. War es ein Wunder, daß Mariechen, die sich auch noch durch den anzüglichen Gruß verhöhnt glaubte, der Köchin ihr Herz ausschüttete? Sie that es, und sie ahnte nicht, welches Unheil sie dadurch über sich, über Herrn Schwenke, ja über den ganzen Klub sammt Herrn Mehrig junior heraufbeschwören sollte.
»Ach,« sagte sie, »Sie ahnen gar nicht, wie mich dieser Mensch verhöhnt! Gestern – stellen Sie sich das vor – gestern tanzt er in den Hosen Ihres seligen 40 Barons vor mir herum, und die waren so weit, daß Einen auch gleich der Ekel fassen mußte. Und heute, heute füttert er die Karrenhunde mit meinem kalten Aufschnitt auf offener Straße! Es ist zu schrecklich!«
»In den Hosen unsres Seligen?« fragte die Köchin, und ihre Nase wurde so spitz wie eine Lichtscheere, die Lichter schneuzt. »Wie ging denn das zu?«
Und nun beschrieb Marie unter Ausdrücken ihres Entsetzens und Abscheus das ganze Stiftungsfest und die Geschichte von den Hosen des Barons und wie höhnisch insbesondere Herr Schwenke und Herr Mehrig von dem Todten gesprochen hätten. Es wäre die wahre Leichenschändung gewesen, und sie habe seit der Zeit einen Abscheu gegen den jungen Bäcker gefaßt und könne ihn niemals heirathen, obwohl sie schon halb verlobt gewesen seien, und sie habe ihm deshalb auch eben einen Korb gegeben.
»Er muß aber doch furchtbar komisch ausgesehen haben in den Hosen unseres Seligen! Gott hab ihn selig. Er war ein so dicker Mann, daß er nicht einmal seine Füße sehen konnte, wenn er stand. Was ist denn das für eine Geschichte mit den Schneiderrechnungen, von denen Herr Mehrig sprach, als ich hereinkam! Daran ist ja doch kein Wort wahr. Wir haben unsre Schneiderrechnungen immer pünktlich gezahlt.«
41 »Ach Gott, das ist ja auch nur so ein Hohn von Herrn Schwenke!« sagte die ahnungslose Marie. »Das ist ja auch einer von seinen Witzen, mit denen sie sich über den Baron lustig gemacht haben.«
Die Köchin hörte mit gespitzten Ohren zu. Das wollte sie Alles der Baronin wiedererzählen. Sie hatte schon längst die Baronin ärgern wollen, denn diese hatte ihr auf nächsten Monatswechsel gekündigt und ihr dabei auch gesagt, daß sie unzufrieden mit ihr sei, weil sie soviel klatsche und sich heimlich aus dem Hause stehle, um mit allerhand Leuten sich gemein zu machen. Das wollte sie ihr schon eintränken. Die Geschichte von den Hosen ihres seligen Mannes, die würde sie schon ärgern. Sie merkte sich daher jedes Wort, das Mariechen sprach und lockte, in dem sie sich ganz harmlos stellte, Alles aus ihr heraus, was geschehen war.
Als Marie ihr Herz ausgeschüttet hatte, fiel ihr ein, daß sie vielleicht zu viel gesagt hätte und meinte: »Gott, sagen Sie's nur Niemand weiter, Köchin; wer weiß, was daraus für Klatsch entstehen kann; ich will gar nichts gesagt haben.« Und in ihrer plötzlichen Herzensangst wog Mariechen die Lende besonders reichlich ab und steckte der Köchin als Zugabe auch noch ein viertel Pfund gute Leberwurst für sich selber zu.
»I behüte! behüte! Ich werde doch nicht!« 42 betheuerte die Köchin. »Wie's Grab, Fräulein! Nein, was man Alles in dieser Welt auch erfährt!«
Damit packte sie ihre Lende in den Korb und schob die Wurst in ihre Tasche. Das that sie ganz heimlich und ohne sich zu bedanken, als habe sie die Wurst gestohlen. Darauf machte sie einen Knix und ging mit schwänzelnden Röcken aus dem Laden fort, mit einem Gesicht, als trage sie eine Schüssel voll Milch oder Wasser, die sie um Gotteswillen nicht überlaufen lassen dürfe. –
Als die Köchin fort war, traten Herr Fleischermeister Gottlieb und seine Frau in den Laden. Sie hofften, ein vereintes Paar zu finden, waren aber enttäuscht, Herrn Mehrig junior nicht mehr zu sehen.
»Na, wo ist er denn, Mariechen?« fragte der Meister gemüthlich.
»Ich mag ihn nicht! Ich mag ihn nicht!« rief Mariechen außer sich. »Und wenn ich sterben muß! Ich mag ihn nicht!«
Und dabei faßte sie die Wurststücke und Fleischstücke welche ihr unter die Hand kamen, und warf sie auf dem Hackblock durcheinander, daß sie übereinander weg rollten; sie packte ein Schlachtmesser und hieb auf den Fleisch- und Wursthaufen hinein, daß es klatschte und knallte und schallte und rief immer von Neuem, während 43 ihr die Thränen aus den Augen kamen und sie die Lippen zusammenbiß: »Ich mag ihn nicht! Ich mag ihn nicht! Ich will keinen dicken Mann mit fremden Hosen!«
Darauf band sie ihre Schürze weg, wischte ihre Finger daran ab, warf die Schürze zur Seite und ging aus dem Laden fort! Die Eltern sahen bald sich selbst, bald die Schürze, bald den Hackblock an und fragten sich, was denn da auf einmal in dies stille und sonst so ruhige Mädchen gefahren sei. »Und da soll unser Einer sich in den Weibern auskennen!« meinte Herr Gottlieb kopfschüttelnd.