Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In den Tagen, mein Liebling, als alles neu und hübsch war, lebte der Leopard auf einem Platz, der hieß das Hohe Feld. Erinnere Dich, es war nicht das Niedrige Feld und nicht das Buschfeld und nicht das Sauere Feld, aber ausschließlich das nackte, heiße, steinige Feld, wo Sand und sandfarbige Felsen und ausschließlich Büschel von sandig gelblichem Gras waren. Die Giraffe und das Zebra und das Elen und das Kudu (gestreifte Antilope) und das Hartebeest lebten da auch; und sie waren ausschließlich sandig-gelblich-bräunlich über und über; aber der Leopard war der ausschließlich sandigste, gelbste, bräunlichste von allen – eine graugelbliche Art von Tier, das aussah wie eine Katze; und er paßte auf ein Haar zu der gelblichen, graulichen, bräunlichen Farbe von dem Hohen Feld. Das war sehr schlimm für die Giraffe und das Zebra und die anderen; denn er legte sich nieder auf einen ausschließlich gelblichen, graulichen, bräunlichen Stein oder einen Haufen Gras, und wenn die Giraffe oder das Zebra oder das Elen oder das Kudu oder der Buschbock oder der Buntbock vorbeikamen, überfiel er sie und jagte sie hinaus aus ihrem springerigen Leben. Das tat er wirklich! Da war auch ein Neger mit Bogen und Pfeilen (ein ausschließlich graulicher, bräunlicher, gelblicher Mann – das war er damals), und er lebte mit dem Leopard auf dem Hohen Feld. Und die beiden jagten zusammen – der Neger mit seinen Bogen und Pfeilen, der Leopard ausschließlich mit seinen Zähnen und Tatzen –, bis die Giraffe und das Elen und das Kudu und das Quagga nicht mehr wußten, wohin sie springen sollten. Sie wußten's wirklich nicht, mein Liebling!
Nach einer langen Zeit – die Dinger lebten wer weiß wie lang in jenen Tagen – lernten sie, allem, was aussah wie ein Leopard oder wie ein Neger, aus dem Wege zu gehen; und nach einem Weilchen – die Giraffe tat es zuerst, denn sie hatte die längsten Beine – liefen sie weg von dem Hohen Feld. Sie trippelten Tage und Tage und Tage, bis sie an einen großen Wald kamen, der war ausschließlich voll von Bäumen und Büschen und streifigen, fleckigen, schlüpfrigen, hüpfrigen Schatten, und da verbargen sie sich. Und nach einer anderen langen Zeit wurde von dem Stehen halb im Dunkel und halb aus dem Dunkel und von den schlüpfenden, hüpfenden Schatten der Bäume, die auf sie fielen, die Giraffe ganz fleckig, und das Zebra wurde streifig, und das Elen und das Kudu wurden dunkler, mit kleinen, welligen, grauen Linien auf ihren Rücken, wie Rinde auf einem Baumstumpf; und Du konntest sie riechen und Du konntest sie hören, aber Du konntest sie nur sehr selten sehen, und auch nur dann, wenn Du ganz genau wußtest, wohin Du sehen mußtest. Sie hatten eine wunderschöne Zeit in den ausschließlich fleckigen, klecksigen Schatten des Waldes, während der Leopard und der Neger umherrannten auf dem ausschließlich graulichen, gelblichen, bräunlichen Hohen Feld und sich wunderten, wo ihre Mittagsmahlzeiten und ihr Frühstück und ihr Tee geblieben waren. Zuletzt wurden sie so hungrig, daß sie Ratten und Käfer und Felsenkaninchen fraßen; und da kriegten sie furchtbare Leibschmerzen alle beide; und dann begegnete ihnen der Pavian, der hundsköpfige, bellende Pavian, der das allerweiseste Tier in ganz Südafrika ist.
Sagte Leopard zum Pavian (und es war ein sehr heißer Tag):
»Baviaan, wo ist all unser Wildpret hingekommen?«
Und Pavian blinzelte. Er wußte es.
Sagte der Neger zum Pavian: »Kannst du mir den gegenwärtigen Aufenthalt der einheimischen Fauna angeben?« (Das bedeutete ganz dasselbe, aber der Neger brauchte immer lange Worte. Er war eine erwachsene Person.)
Und Pavian blinzelte. Er wußte es.
Dann sagte Pavian: »Das Wildpret ist auf einem anderen Fleck; und mein Rat, Leopard, ist: Gehe in andere Flecke, sobald du kannst.«
Und der Neger sagte: »Das ist alles sehr fein, aber ich wünsche zu wissen, ob die einheimische Fauna 'migriert ist?«
Da sagte Pavian: »Die einheimische Fauna ist zu der einheimischen Flora gegangen, denn es war hohe Zeit für eine Luftveränderung; und mein Rat, Neger, ist: daß du eine Veränderung vornimmst, sobald du kannst.«
Das wunderte den Leoparden und den Neger, und sie machten sich auf, um nach der einheimischen Flora zu suchen. Und nach wer weiß wie vielen Tagen sahen sie einen großen, hohen Wald, ganz voll von Baumstämmen und ganz ausschließlich fleckigen, kleckigen, gleitenden, schreitenden, schlüpfrigen, hüpfrigen Schatten. (Sage das ganz schnell und laut, dann wirst Du sehen, wie sehr schattig der Wald gewesen sein muß.)
»Was ist dies«, sagte der Leopard. »Das ist so ausschließlich dunkel und doch so voll von kleinen bißchen Licht?«
»Ich weiß es nicht«, sagte der Neger, »aber es könnte die einheimische Flora sein. Ich kann Giraffe riechen, und ich kann Giraffe hören, aber ich kann Giraffe nicht sehen.«
»Das ist sonderbar«, sagte der Leopard, »vermutlich kommt es daher, daß wir gerade aus dem Sonnenschein kommen. Ich kann Zebra riechen, und ich kann Zebra hören, aber ich kann Zebra nicht sehen.
»Wart ein bißchen«, sagte der Neger. »Es ist lange her, daß wir sie gejagt haben. Vielleicht haben wir vergessen, wie sie aussehen.«
»Firlefanz«, sagte der Leopard. »Ich erinnere mich ihrer ganz genau, besonders ihrer Markknochen. Giraffe ist ungefähr 17 Fuß hoch und ist ausschließlich bräunlich-gold-gelb – vom Kopf bis auf die Füße; und Zebra ist ungefähr viereinhalb Fuß hoch und ist ausschließlich graulich-rehfarbig vom Kopf bis auf die Füße.«
»Hm!« machte der Neger und glupte in die schlüpfrigen, hüpfrigen Schatten des einheimischen Florawaldes. »Dann sollten sie in diesem dunklen Ort sich zeigen wie reife Bananen in einer Räucherkammer.«
»Um Himmels willen«, sagte der Leopard, »laß uns warten, bis es dunkel ist. Dies Jagen bei Tageslicht ist ein Skandal.«
So warteten sie denn, bis es dunkel war, und da hörte der Leopard etwas schnüffeln und schnauben. Und das Sternenlicht fiel ganz streifig durch die Zweige. Und da sprang er auf das Geschnüffel zu, und es roch wie Zebra, und es fühlte sich an wie Zebra, und wie er es niederwarf, trat es wie Zebra, aber er konnte es nicht sehen. Da sagte er: »Sei ruhig, du Person ohne Figur! Ich will auf deinem Kopf sitzen, bis es Morgen ist, denn da ist etwas um dich herum, was ich nicht verstehe.«
Dann hörte er ein Grunzen und einen Krach und ein Getrampel, und der Neger rief: »Ich habe ein Ding erwischt, das ich nicht sehen kann. Es riecht wie Giraffe, und es tritt wie Giraffe, aber es hat keine Figur.«
»Trau ihm nicht«, sagte der Leopard. »Setz dich auf seinen Kopf, bis es Morgen wird – so wie ich. Sie haben keine Figur, alle nicht.«
So setzten sie sich fest nieder bis zum hellen Morgen, und dann sagte der Leopard: »Was hast du auf deinem Speisetisch, Bruder?«
Der Neger kratzte sich den Kopf und sagte: »Es sollte ausschließlich bräunlich-gelblich-rehfarbig sein vom Kopf bis auf die Füße, und es sollte Giraffe sein, aber es hat über und über kastanienbraune Flecke. Was hast du auf deinem Speisetisch, Bruder?«
Und der Leopard kratzte sich den Kopf und sagte: »Es sollte ausschließlich zart-graulich-rehfarbig sein, und es sollte Zebra sein; aber es hat über und über schwarze und rote Streifen. Was in der Welt hast du mit dir angefangen, Zebra? Weißt du nicht, daß ich dich auf dem Hohen Feld zehn Meilen weit sehen konnte? Du hast ja keine Figur.«
»Ja«, sagte das Zebra, »aber hier ist nicht das Hohe Feld. Siehst du das nicht?«
»Jetzt sehe ich es«, sagte der Leopard. »Aber gestern konnte ich es nicht sehen. Wie wird es gemacht?«
»Laßt uns aufstehen«, sagte das Zebra. »Wir wollen es euch zeigen.«
Da ließen sie das Zebra und die Giraffe aufstehen; und das Zebra ging hin nach einem kleinen Dornbusch, durch den das Sonnenlicht ganz streifig fiel, und die Giraffe ging hin nach einigen hohen Bäumen, durch die die Schatten ganz fleckig fielen.
»Nun paßt auf«, sagten das Zebra und die Giraffe. »So wird es gemacht: Eins, zwei, drei! Und wo ist euer Frühstück?«
Leopard stierte und Neger stierte, aber alles, was sie sahen, waren streifige Schatten und fleckige Schatten im Wald, aber von Zebra und Giraffe war nichts zu sehen. Sie waren just weggegangen und hatten sich im schattigen Wald verborgen.
»Hi! Hi!« sagte der Neger. »Das ist ein Kniff, den man lernen muß. Nimm's dir zu Herzen, Leopard! Du siehst in diesem dunklen Ort aus wie eine Stange Seife auf einer Tonne voll Kohlen.«
»Ho! Ho!« sagte der Leopard, »würdest du sehr erstaunt sein, wenn ich dir sagte, du siehst in diesem dunklen Ort aus wie ein Senfpflaster auf einem Sack voll Kohlen?«
»Ganz schön«, sagte der Neger, »vom Schimpfen kriegt man kein Mittagessen. Das Lange und das Kurze von der Geschichte ist, wir passen nicht zu unserem Hintergrund. Ich will Pavians Rat folgen; er sagte mir, ich sollte mich verändern, und da ich nur meine Haut verändern kann, so will ich das tun.«
»Wie denn?« frug der Leopard furchtbar aufgeregt.
»Ich will sie sehr wirkungsvoll schwärzlich-bräunlich färben, mit ein bißchen Purpurrot dazwischen und ein bißchen Schieferblau. Dann werde ich mich auch in Höhlen und hinter Bäumen verbergen können.«
Und gleich änderte er seine Haut, und der Leopard wurde noch furchtbarer aufgeregt, denn er hatte noch nie einen Mann seine Haut ändern sehen.
»Aber was soll ich nun anfangen?« frug er, als der Neger seinen letzten kleinen Finger neu schwarz gemacht hatte.
»Du tust auch, was Pavian sagte. Er sagte dir, du solltest in Flecke gehen.«
»Das tat ich«, sagte der Leopard. »Ich ging auf andere Flecke, so schnell ich konnte. Nun bin ich mit dir auf diesem Fleck, aber ich hab schön was davon.«
»Oh«, sagte der Neger, »Pavian meinte nicht Flecke in Südafrika. Er meinte Flecke auf deiner Haut.«
»Was soll das nützen?« frug der Leopard.
»Denk an Giraffe«, sagte der Neger, »oder wenn du Streifen vorziehst, denk an Zebra. Die befinden sich sehr wohl mit ihren Flecken und Streifen.«
»Umm!« machte der Leopard, »ich möchte nicht wie Zebra aussehen, nicht um alles in der Welt.«
»Auch gut«, sagte der Neger, »entschließ dich! Ich jage nicht gern ohne dich, aber ich muß es tun, wenn du darauf bestehst, auszusehen wie eine Sonnenblume an einem geteerten Zaun.«
»Na, dann will ich Flecke nehmen«, sagte der Leopard, »aber mach sie nicht so ordinär groß. Ich möchte nicht wie Giraffe aussehen, nicht um alles in der Welt.«
»Ich will sie mit meinen Fingerspitzen machen«, sagte der Neger. »Es ist noch genug Schwarz auf meiner Haut. Stell dich hierher!«
Da hielt der Neger seine fünf Finger dicht zusammen (es war noch genug Schwarz übrig auf seiner neuen Haut) und drückte sie immer und immer wieder auf den Leopard; und wohin er eben die fünf Fingerspitzen drückte, da blieben fünf kleine schwarze Punkte, ganz dicht beieinander. Du kannst sie immer sehen, welchen Leopard Du auch ansiehst, Liebling. Zuweilen glitten die Finger aus, und die Flecke wurden ein bißchen verwischt; aber wenn Du den Leopard ganz genau ansiehst, wirst Du immer fünf Flecke sehen von – fünf fetten, schwarzen Fingerspitzen.
»Jetzt bist du eine Schönheit«, sagte der Neger. »Jetzt kannst du auf der bloßen Erde liegen und siehst aus wie ein Stück Puddingstein. Du kannst auf einem blätterreichen Zweig liegen und siehst aus wie Sonnenschein, der durch die Zweige sieht, und du kannst mitten in einem Wege liegen und siehst aus wie gar nichts Besonderes. Bedenke das – und Purr!«
»Aber wenn ich das alles kann«, sagte der Leopard, »warum hast du denn dich nicht auch fleckig gemacht?«
»Oh, einfach Schwarz paßt besser für einen Neger«, sagte der Neger. »Nun komm mit, wir wollen sehen, ob wir jetzt in Ordnung kommen mit Monsieur Eins-Zwei-Drei-wo-ist-Euer-Frühstück!«
So gingen sie weiter und lebten glücklich immerfort, mein Liebling. Und das ist alles.
Und hier und da wirst Du mal große Leute sagen hören: »Kann denn der Neger seine Haut ändern oder der Leopard seine Flecke?« Ich meine, die großen Leute würden wohl nicht so dumm fragen, wenn der Leopard und der Neger es nicht einmal getan hätten – was meinst Du? Aber nun werden sie es nicht noch einmal tun, mein Liebling. Sie sind zufrieden, wie sie jetzt sind.