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Es war ein Monat seit den Osterferien verflossen, als Stettson I, ein Tagesschüler, die Diphtheritis bekam. Der Direktor war sehr ärgerlich. Er setzte neue, sehr enggezogene Grenzen fest – die Ansteckung wurde einem entfernt liegenden Gutshause zugeschrieben – legte den Aufsehern dringend ans Herz, alle, die diese Grenze überschritten, zu prügeln, und versprach ihnen auch noch einige Extra-Aufmerksamkeiten von seiner eigenen Hand. Für Stettson I, der im Hause seiner Mutter Quarantäne halten mußte, war überhaupt keine Bezeichnung schlecht genug, denn er hatte den Durchschnitts-Gesundheitsstand der Schule heruntergebracht. So äußerte er sich in der Turnhalle nach dem Gebet. Dann schrieb er gegen zweihundert Briefe an ebenso viele ängstliche Eltern und Vormünder und ersuchte das Institut, den alten Kurs beizubehalten. Die Beunruhigung griff nicht um sich, aber eines Nachts fuhr ein Dogcart vor die Tür des Direktors vor, und am nächsten Morgen war er fort und hatte alle Geschäfte Mister King anvertraut, dem ältesten Hausmeister. Der Direktor war oft in der Stadt, und in der Schule war man des frommen Glaubens, er bestäche dort Beamte und suchte Einzelheiten über die Examina-Arbeiten zu erfahren. – Seine jetzige Abwesenheit dehnte sich aber ungewöhnlich lange aus.
»Schlauer alter Vogel!« sagte Latte zu seinen Verbündeten an einem regnerischen Nachmittag im Studierzimmer. »Er muß auf krummen Wegen gewandelt und eingesperrt worden sein – – unter falschem Namen.«
»Weshalb?« Käfer war sofort freudig bereit, das Pasquill munter auszuarbeiten.
»Vierzig Schilling, oder 'nen Monat brummen, weil er den Hausknecht bei Pavon vertakelt hat. Vater trinkt immer gern 'n bißchen, wenn er in der Stadt is'. Ich wünsch' aber, er wäre wieder zurück. Ich bin schon beinah' krank von Kings ›Geißeln und Plagen‹ und seinen Vorlesungen über den Geist in öffentlichen Schulen – pah! – und die hitzige Schuljugend!«
»Krasse materielle Lebensanschauung, äh, in den mittleren Klassen – wird nur auf die Zensur hingearbeitet. Kein richtiger Schüler in der ganzen Klasse.« Das zitierte M'Turk, während er mit dem Feuerhaken Löcher ins Kaminsims bohrte.
»Das ist g'rad keine besondere Beschäftigung für den Nachmittag, – stinkt auch dabei. Wir wollen 'rausgehn und rauchen. Hier hab' ich was Feines.« Latte wies eine lange Importe vor – Manilaformat. »Hab' sie in den Ferien meinem Vater geklemmt. Ich trau' mich nicht recht 'ran, – ist stärker als 'ne Pfeife. Wir wollen sie zusammen rauchen – wie beim Palmer. Von Hand zu Hand gehend – nicht wahr? Wir wollen uns hinter der alten Egge auf dem Weg nach der Affenfarm hinlagern.«
»Das ist über die Grenze. Die Grenzen sind jetzt verflucht scharf gezogen. Und dann – wir werden ja danach schön sterben müssen.«
Käfer beschnüffelte die Zigarre kritisch: »'s is' 'n richtiger Pomposo Stinkadore?«
»Du kannst's ja, – ich werd' schon nicht. Was meinst du, Turkey?«
»Oh, mir ist's schon recht.«
»Setz' dir die Mütze auf. Zwei gegen einen, Käfer! Los, kommt!«
Vor der Anschlagtafel im Korridor sahen sie eine Gruppe Jungen, der kleine Foxy, der Schulsergeant, mitten darunter.
»Wohl weitere Grenzen«, sagte Latte, »Hallo, Foxybus, um wen trauern Sie?« – Der Sergeant trug ein breites Kreppband um den Arm.
»Er war in meinem alten Regiment«, erklärte Foxy und wies durch ein Kopfneigen auf die Tafel, wo mitten unter den Aufruflisten ein Zeitungsausschnitt angesteckt war.
»Donner noch mal!« rief Latte aus, während er mit abgezogenem Hute las. »'s ist der alte Duncan – ›Mastschwein‹ Duncan – im Dienst gefallen. Sammelte seine Leute mit hervorragender Tapferkeit – das tat er selbstverständlich. Der Leichnam wurde gefunden. Das ist gut. Sie zerhacken sie nämlich manchmal, nicht wahr, Foxy?«
»Schrecklich«, sagte der Sergeant kurz.
»Armes altes Mastschwein! Ich war noch 'n Fuchs, als er abging. Wie viele sind das jetzt von uns, Foxy?«
»Mister Duncan, das ist der neunte. Als er hierherkam, war er nicht größer als jetzt der kleine Grey III. Und in meinem alten Regiment! Ja, Mister Corkran, jetzt sind's neun von uns.«
Die Jungen gingen in den Nebel hinaus, sie schlenderten langsam dahin.
»Möcht' doch wissen, wie das ist, wenn man so getroffen wird, und all das«, meinte Latte, als sie einen Hohlweg hinunterpaschten. »Wo ist's passiert, Käfer?«
»Oh, irgendwo in Indien, wir prügeln uns da immer 'rum. Aber du, Latte, was hat das nur für 'nen Zweck, unter 'ner Hecke zu sitzen und zu gerben? Es ist verflucht kalt. Es ist verflucht naß, und wir werden teufelsmäßig sicher abgefaßt werden.«
»Quatsch nicht! Kannst du sagen, daß euer Onkel Latte euch schon mal hat 'reinfallen lassen?« –
Wie viele andere Feldherren überging Latte gern frühere Niederlagen.
Sie zwängten sich durch eine tropfennasse Hecke, landeten inmitten feuchter Erdschollen und ließen sich auf einer rostbedeckten Egge nieder. Die Zigarre brannte mit Sprühen wie Salpeter. Sie rauchten behutsam daran, und jeder überreichte sie dem andern zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Doch ganz gut, daß wir nicht jeder eine haben, nicht wahr?« stieß Latte zwischen zusammengekniffenen Zähnen hervor und schüttelte sich. Zur Bestätigung seiner Worte gab er unmittelbar darauf alles von sich, was er in sich hatte, und die andern folgten seinem Beispiel.
»Ich hab's euch ja gesagt«, jammerte Käfer, kalten Schweiß auf der Stirne. »Oh, Latte, du bist ein Schafskopf!«
»Je gerbe, tu gerbes, il gerbe, nous gerbons!« M'Turk leistete seinen Tribut und lag dann verzweiflungsvoll auf dem kalten Eisen.
»Irgendwas ist mit dem verfluchten Ding nicht in Ordnung. Du, Käfer, hast du vielleicht Tinte drauf gegossen?«
Aber Käfer war nicht in der Lage zu antworten. Schwach und leer wälzten sie sich auf der Egge herum, daß der Rost ihre Mäntel rot karierte. Der verlassene Zigarrenstummel rauchte unter ihren kalten Nasen weiter. Da, auf einmal, ohne daß sie es gehört, stand der Direktor vor ihnen, der eigentlich in der Stadt hätte sein müssen, um Examinatoren zu bestechen – der Direktor, phantastisch angezogen, mit breitkrämpigem Jägerhut und Lodenrock.
»Ah!« sagte er und drehte seinen Schnurrbart. »Sehr gut. Ich hätte mir denken können, wer's war. Ihr werdet jetzt nach dem Institut zurückgehen, Mister King eine Empfehlung von mir bestellen und ihn bitten, euch eine spezielle Extratracht Prügel zu verabfolgen. Außerdem werdet ihr mir 500 Zeilen abschreiben. Ich werde morgen zurück sein. Fünfhundert Zeilen morgen um fünf Uhr. Und dies ist durchaus nicht die Zeit, über die Grenze zu laufen, spezielle Extratracht. Und dann habt ihr noch eine Woche Hausarrest. Bitte!«
Er verschwand hinter der Egge ebenso schnell, wie er gekommen war. In dem tiefen Hohlweg wurden Frauenstimmen hörbar.
»Oh, dieser verdammte Alte!« brach Turk los, als die Stimmen verhallt waren, »Latte, du mit deiner Dämlichkeit bist allein schuld.«
»Schlag ihn tot! Schlag ihn tot!« ächzte Käfer.
»Ich kann nicht – ich muß wieder gerben. 's ist mir ja ganz egal, aber King wird schon vor Vergnügen brüllen: Spezielle Extratracht, oh!«
Latte gab keine Antwort, nicht einmal eine friedliche, sie gingen nach dem Institut und erhielten das, wonach sie geschickt waren. King war höchst vergnügt hierüber, denn wegen ihres Alters waren die Jungen für gewöhnlich seiner Macht entzogen und besonderer Gerichtsbarkeit unterstellt. Zu seinem weiteren Glück war er auch nicht für sanfte Methode.
»Seltsam, wie doch der Wunsch die Erfüllung übereilt«, zitierte Käfer in Beziehung aus irgendeinem shakespeareschen Drama, das in diesem Semester gerade durchgenommen wurde, sie machten, daß sie in ihr Studierzimmer kamen, und setzten sich zu ihrer Strafarbeit nieder.
»Du hast ganz recht, Käfer«, begann Latte in sanften und versöhnenden Tönen. »Denk' doch, wenn uns der Direktor zu einem Aufseher geschickt hätte – das hätten wir nicht sobald vergessen dürfen.«
»Hör' mal,« erklärte M'Turk kalt und bitter, »wir wollen uns mit dir der Geschichte wegen nicht zanken, weil's das nicht wert ist, aber wir müssen dir doch sagen, daß du jetzt mal exkommuniziert bist, Latte. Du bist 'n ganzer Esel.«
»Wie konnt' ich wissen, daß der Direktor uns abfassen wird? Was macht er überhaupt in dem dollen Anzug?«
»Versuch' nicht, von was anderm zu reden«, brummte Käfer voll Ernst.
»Na, Stettson I hat allein schuld. Wenn er nicht auf einmal Diphtheritis gekriegt hätte, wär' das gar nicht passiert. Aber, meint ihr nicht auch, 's ist komisch, daß er uns auf dem Weg über'n Hals gekommen ist.«
»Halt's Maul, du bist tot!« erklärte Käfer. »Die Spur deiner verdammten Füße ist getilgt, und dein Wappenschild ist verkehrt aufgehängt, und – ich meine – du darfst jetzt einen Monat nichts von Fressalien abkriegen.«
»Oh, laß mich doch in Ruh'! Ich möchte –«
»In Ruh'? was – wir haben 'ne Woche lang Hausarrest.« M'Turk weinte beinahe, als er sich der Trostlosigkeit ihrer Lage bewußt wurde. »Prügel von King, fünfhundert Zeilen und Hausarrest. Denkst du etwa, wir werden dich küssen, Latte, du Biest?«
»Hör' mal 'ne Weile mit Schimpfen auf, ich möcht' gerne wissen, wo der Direktor gesteckt hat.«
»Na, du weißt's ja. Hast doch gesehen, daß er ganz wohl und munter war. Hast doch gesehen, daß er Stettson I seine Mutter poussierte. Das war sie, im Hohlweg – ich hab' sie gehört, vor der Mutter von 'nem Tagesschüler sind uns also Prügel zudiktiert worden. Uebrigens, 'ne magere olle Hexe«, sagte M'Turk. »Möchtest du noch irgendwas anderes 'rauskriegen?«
»Hab' keine Lust, ich schwör' – werd ihn eines Tages auch schon noch 'rankriegen«, grollte Latte.
»Sieht g'rade so aus«, meinte M'Turk. »Spezielle Extratracht, 'ne Woche Hausarrest und fünfhundert – – und jetzt fängst du an, darüber zu schimpfen. Hilf mir, ihn aufhängen, Käfer!« – Latte hatte ihnen seinen Virgil an die Köpfe geworfen.
Der Direktor kehrte am nächsten Morgen ohne weitere Erklärung zurück und fand die fünfhundert Zeilen auf ihn wartend. Mister Kings Vizekönigtum hatte die ganze Schule ein wenig abgespannt. King hatte rundherum und vor und über den Köpfen der Jungen gesprochen, in erhabenem, aber wechselndem Stil – von dem Geist in öffentlichen Schulen und den Traditionen aller Institute, denn er verstand, jede Gelegenheit wahrzunehmen. Außer einem heißen Haß, den er in zweihundertfünfzig Herzen gegen alle andern Institute erweckt, hatte er nur wenig erreicht – so wenig in der Tat, daß er, als es ihm zwei Tage nach der Rückkehr des Direktors passierte, Latte und Kompagnie, die zwar Hausarrest hatten, aber um Aushilfe nie verlegen waren, beim Murmelspiel im Korridor anzutreffen – daß er dann erklärte, er wäre nicht überrascht – nicht im geringsten überrascht. – Das hatte er überhaupt von Personen mit ihrer Moral erwartet.
»Aber Murmelspiel ist ja gar nicht verboten, Sir, 's ist 'n sehr interessantes Spiel«, erklärte Käfer, die Knie weiß von Kalk und Staub; darauf bekam er zweihundert Zeilen wegen Unverschämtheit und außerdem den Auftrag, sich beim nächsten Aufseher zur Strafe und Exekution zu melden.
Hinter geschlossenen Türen in Flints Arbeitszimmer – Flint hatte die Aufsicht über die Spiele – ereignete sich folgendes:
»Oh, hör' mal, Flint. King hat mich zu dir geschickt, weil ich Murmeln im Korridor gespielt und geschrien hab': ›Schusser‹ und ›Spannen‹«.
»Was denkt er denn, was ich damit zu tun hab'?« war die Entgegnung.
»Keine Ahnung. Na?« Käfer grinste boshaft, »Was soll ich ihm sagen? Er ist ziemlich wütend darüber.«
»Wenn es dem Direktor einfällt, auf der Tafel im Korridor Murmelspielen zu verbieten, dann kann ich was tun, aber auf die Anzeige eines Hausmeisters kann ich nicht einschreiten. Er weiß das ebensogut wie ich.«
Diesen Orakelspruch übermittelte Käfer ganz unversüßt King, der sich beeilte, Flint zu interviewen.
Flint war schon sieben und ein halbes Jahr im Institut. Zechs Monate hatte er allerdings auf einer Londoner Presse zugebracht, die er aber wieder voll Heimweh verließ, um sich bei dem Direktor den letzten Schliff für die Armee anzueignen. Es waren noch vier oder fünf ältere Schüler da, die genau dieselbe Erfahrung gemacht hatten, ganz abgesehen von den Jungen, die aus anderen Instituten wegen einer gewissen Art von Uebermenschentum herausgeworfen und vom Direktor jetzt ganz umgemodelt waren. Es war kein einziger Primaner da, den man ohne Handschuhe anfassen konnte – das hatte King schon gemerkt.
»Soll ich darunter verstehen, daß es Ihre Absicht ist, Klippschulspiele unter den Fenstern Ihres Studierzimmers zu gestatten, Flint? Wenn das der Fall ist, kann ich nur sagen – –« Er sagte viel, und Flint hörte höflich zu.
»Ja, Sir, wenn der Direktor das für nötig hält, deshalb die Aufseher zusammenzurufen, dann müssen wir uns mit der Sache befassen. Aber es ist immer im Institut so eingeführt gewesen, daß die Aufseher in einer Sache, die die ganze Schule betrifft, ohne direkten Befehl vom Direktor nichts tun können.«
Es folgten dann noch mehr Auseinandersetzungen, und auf beiden Seiten wurde man etwas ungemütlich.
Als sich nachdem die Aufseher zwanglos in seinem Studierzimmer versammelten, berichtete Flint von seinem Abenteuer.
»Er hat schon 'ne ganze Woche darauf hingearbeitet, und jetzt hat er's. Ihr wißt ebensogut wie ich, wenn er uns jetzt nicht immer seinen blauen Dunst vorgequatscht hätte, wär's diesem jungen Teufel von Käfer nicht im Traum eingefallen, mit Murmeln zu spielen.«
»Das wissen wir,« sagte Perowne, »aber darum handelt sich's nicht. Nach Flints Darstellung hat King auf die Aufseher in solchen Ausdrücken geschimpft, daß 'n erstklassiger Spektakel ganz gerechtfertigt ist. Auswurf von den Pressen, ungehobelte Lümmel vom Lande – nicht wahr? Nun, es ist nicht unmöglich, daß Aufseher –«
»Quatsch!« erklärte Flint. »King ist unser bester klassischer Pauker, den wir haben; und 's wär' nicht anständig, den Direktor mit 'nem Skandal zu behelligen. Er hat jetzt mit Extrastunden und Examenarbeiten genug zu tun. Außerdem, wie ich schon zu King gesagt hab', wir sind keine staatliche Schule, wir sind 'ne Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht, die vier Prozent bezahlt. Mein Vater hat auch Anteile.«
»Was hat das mit der Geschichte zu tun?« fragte Venner, ein rothaariger Jüngling von neunzehn Jahren.
»Na, sollen wir uns denn selbst Schaden tun? meine ich. Wir sind hier, um in die Armee einzutreten oder nicht – nicht wahr? King ist vom Aufsichtsrat angestellt, uns Unterricht zu geben. Alles andere ist Quatsch. Könnt ihr das nicht einsehen?«
Vielleicht war es, daß die Luft ihm ein wenig schwül erschien, daß der Direktor mit seiner Nachmittagszigarre in Flints Studierzimmer erschien. Aber er war so oft gegen Abend im Zimmer eines oder des andern Aufsehers, daß niemand etwas argwöhnte, als er höflich eintrat, nach dem Klopfen, das die Etikette verlangte.
»Eine Versammlung der Aufseher?« Er hob die Augenbrauen in dem klugen Gesicht.
»Das nicht gerade, Sir, wir besprechen bloß manches. Wollen Sie nicht den bequemen Stuhl nehmen?«
»Danke. Luxusverwöhnte Jünglinge, die ihr seid.« Er dehnte sich in Flints großem Faulenzer und dampfte eine Weile schweigend. »Na, da ihr alle hier seid, kann ich euch ja bekennen, daß ich der Bote mit der seidenen Schnur bin.«
Die jungen Gesichter wurden ernst. Das bedeutete, daß eine Anzahl von ihnen Extrastunden bekommen und von allen ferneren Spielen ausgeschlossen sein sollte. Für die ersten fünfzehn von ihnen bedeutet das für die Zukunft ja Erfolge in Sandhurst, für die Gegenwart aber Ruin.
»Ja, ich will mein Pfund Fleisch haben, ihr solltet eigentlich schon vor dem Exeter-Match fertig sein, aber es ist unsere verdammte Pflicht, Exeter zu schlagen.«
»Ist das nicht auch beim Match der alten Schüler der Fall?« meinte Perowne. Dieses Match war das Ereignis des Ostersemesters.
»Wollen hoffen, daß sie nicht trainiert sind. Zuerst mal an die Liste. Zuerst muß ich Flint haben. Euklid kommt heran. Sie müssen mit mir 'n paar Beweise vornehmen. Perowne – Mechanik-Extrastunde. Dawson bekommt Extrastunde bei Mister King und Venner deutsche bei mir. Nun, hab' ich den ersten fünfzehn großen Schaden getan?« Er lächelte leicht.
»Ruiniert, fürchte ich, Sir«, antwortete Flint. »Können sie uns nicht bis zum Ende des Semesters dispensieren?«
»Unmöglich, 's wird diesmal scharf zugehen bei den Aufnahmeprüfungen für Sandhurst.«
»Und alles, um von diesen gemeinen Afghanen in Stücke gehackt zu werden«, meinte Dawson. »Ich glaube, 's wird diesmal kein so großer Andrang sein, nicht wahr?«
»Oh, da fällt mir etwas ein. Crandall kommt mit den alten Schülern her – ich habe zwanzig eingeladen, aber wir werden nur eine kleine Mannschaft zusammenbekommen. Ich weiß auch nicht, ob er viel leisten können wird. 's hat ihn ziemlich mitgenommen, daß er den alten Duncan tot gefunden hat.«
»Crandall I – der von der Artillerie?« fragte Perowne.
»Nein, der jüngere – ›Patentfatzke‹ Crandall; er steht in einem Eingeborenen-Infanterieregiment. Er war wohl noch vor Ihrer Zeit da, Perowne?«
»In den Zeitungen stand nichts von ihm. Von ›Mastschwein‹ haben wir natürlich gelesen. Was hat denn Crandall getan, Sir?«
»Ich habe eine indische Zeitung mitgebracht, die mir seine Mutter geschickt hat. Es war ein ziemlich tüchtiges – ich glaube, ihr sagt – Stück Arbeit. Soll ich's vorlesen?«
Der Direktor verstand vorzulesen; als er mit der enggedruckten Viertelspalte fertig war, dankten ihm alle höflich.
»Das ist gut für das alte Institut!« meinte Perowne. »Ist aber schade, daß er nicht zurechtkam, ›Mastschwein‹ zu retten. Das ist der neunte von uns in den letzten Jahren, nicht wahr?«
»Ja . . . Und fünf Jahre vor diesem Semester hab' ich den alten Duncan noch der Extrastunden wegen von allen Spielen ausgeschlossen«, sagte der Direktor. »Uebrigens, wem wollen Sie die Leitung der Spiele übergeben, Flint?«
»Ich hab' noch nicht darüber nachgedacht. Wen würden Sie vorschlagen, Sir?«
»Danke dafür! Ich habe zufällig hinter meinem Rücken zu hören bekommen, daß Bates – ein schlauer Vogel ist, aber er hat gar keine Lust, die Verantwortung für einen neuen Spielleiter zu tragen. Machen Sie das untereinander ab. Gute Nacht!«
»Und dies ist der Mann, den wir mit einem Skandal ärgern wollten«, erklärte Flint, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
»Ich hab' dir bloß was vorgeredet«, entgegnete Perowne hastig. »Du fällst auch auf alles 'rein, Flint.«
»Na, das ist ja egal. Der Direktor hat die ersten fünfzehn total auseinandergeschlagen, und wir können jetzt die Stücke aufsammeln, oder die alten Schüler werden 'nen leichten Sieg haben. Wir wollen sämtliche zweiten fünfzehn heranholen und ordentlich trainieren. Es sind massenweise Talente da, die wir bis zum Match ordentlich instand bringen können.«
Der Fall wurde der Schule so dringend dargestellt, daß selbst Latte und M'Turk, die Fußball zu verabscheuen vorgaben, die Partie in allem Ernst mitmachten. Sie wurden auf der Stelle eingereiht, ehe ihr Eifer wieder erkalten konnte, und die Würde, die ihnen ihre Mützen verliehen, erforderte, daß sie einige Bemühungen zur Schau tragen mußten. Die Mannschaft für das Match wurde an wenigstens vier von den sieben Tagen trainiert, und die Schule sah Hoffnung dämmern.
In der letzten Woche des Semesters kamen nach und nach die alten Schüler an. Der Grad der Bewillkommnung entsprach der Schätzung ihres Wertes. Gentlemen-Kadetten aus Sandhurst und Woolwich, die erst vor einem Jahre abgegangen waren, aber ungeheuer eingebildet waren, wurden mit einem fröhlichen: »Hallo! Wie sieht's denn dort aus?« empfangen von denen, die jetzt ihre Studierzimmer inne hatten. Subalterne der Miliz wurden mehr beachtet, aber es verstand sich von selbst, daß sie nicht aus dem echten Metall waren. Die, welche sich nicht für die Armee geeignet und umgesattelt hatten und zum Handels- oder Bankfach übergegangen waren, wurden aus alter Freundschaft aufgenommen, aber weiter kein Aufhebens von ihnen gemacht. Wenn man aber die richtigen Leute, ausgebackene Offiziere oder Gentlemen – die an den Enden der Erde gewesen und wieder zurückgekommen waren und doch nicht zurückhaltend taten – wenn diese mit dem Direktor auf die Szene traten, dann wichen alle Schüler rechts und links vor ihnen in stummer Bewunderung zurück. Und wenn einer Flint oder gar dem jetzigen Spielleiter die Hand auf die Schulter legte und rief: »Gerechter Himmel! Was soll das heißen, daß du so wächst? Du warst ein verdammter kleiner Fuchs, als ich abging«, dann umgab Flint ein sichtbarer Glorienschein. Sie spazierten mit dem kleinen, rothaarigen Schulsergeanten im Korridor auf und ab und erzählten Neues von den alten Regimentern; sie liefen in die Klassenzimmer und sogen den wohlbekannten Geruch von Tinte und Kalkbewurf ein; sie entdeckten Neffen und Vettern in den unteren Klassen und beschenkten sie mit ungeheuren Reichtümern, oder sie drangen in die Turnhalle und ließen sich von Foxy die neuen Recks zeigen.
Am meisten aber unterhielten sie sich mit dem Direktor, der Beichtvater und Generalagent für sie alle war; denn was sie in ihrer unbedachten Jugend ausgeschrien hatten, davon erhielten sie jetzt in ihrem sorglosen Jünglingsalter den Beweis – zu wissen, daß Bates ein schlauer Vogel war. Junges Blut, das mit eines Speisewirtes Tochter zu Plymouth angebandelt hatte; Erfahrung, die zu einem kleinen Vermächtnis gekommen war, aber dem Advokaten mißtraute; Ehrgeiz, der vor einem Kreuzweg stand und fürchtete, den Weg zu wählen, der der weitere war; Verschwendung, die von Gläubigern verfolgt wurde; Arroganz, die sich in einen Streit im Regiment verwickelt hatte – und sie alle brachten ihren Kummer vor den Direktor, und Chiron wies ihnen in Worten, die für kleine Knaben ganz ungeeignet gewesen wären, einen ruhigen und sicheren Weg – heraus, herum oder darunter weg. So überschwemmten sie sein Haus, rauchten seine Zigarren und tranken auf seine Gesundheit, wie sie überall auf der weiten Erde getrunken hatten, wenn zwei oder drei aus der alten Schule zusammengekommen waren.
»Hören Sie mir keine Minute auf zu rauchen«, sagte der Direktor. »Je mehr Sie außer Training sind, desto besser ist's für uns. Ich hab die ersten fünfzehn mit Extrastunden auf den Hund gebracht.«
»Na, wir sind auch 'ne gemischte Gesellschaft. Haben Sie ihnen gesagt, daß wir einen Ersatzmann gebrauchen, selbst wenn Trandall spielen kann?« fragte ein Leutnant von den Pionieren.
»Er schrieb mir, er würde spielen, er kann also nicht schwer verwundet sein. Er kommt morgen früh an.«
»Crandall II war's, und er hat des armen Duncan Körper gerettet?« Der Direktor nickte. »Wo wollen Sie ihn denn unterbringen? Wir haben Sie schon von Haus und Dach vertrieben, Direktor Sahib«, sagte ein Schwadronkommandeur von den englischen Lanzenreitern, der auf Urlaub in der Heimat war.
»Ich fürchte, er wird nach oben in sein altes Schlafzimmer gehen müssen. Sie wissen, alte Schüler können dies Privilegium beanspruchen. Ja, ich glaube, der kleine Crandall II wird sich dort noch einmal zu Bett legen müssen.«
»Bates Sahib,« – ein Artillerist schlang seinen Arm um des Direktors Nacken – »Sie haben da noch einen Hintergedanken dabei. Geben Sie's nur zu. Ich kenne dies Zwinkern.«
»Kannst du's denn nicht merken, du Kuckuck?« unterbrach ihn ein Marineingenieur. »Crandall geht ins Schlafzimmer hinauf, als eine Art Anschauungsunterricht, zu moralischer Nutzanwendung und so weiter. Hab' ich nicht recht, Direktor Sahib?«
»Allerdings. Sie wissen zuviel, Purios. Sie bekamen 79 dafür Prügel von mir.«
»Ja, Sir, und es ist meine persönliche Meinung, daß Sie den Stock gekreidet hatten.«
»Nein. – Aber ich habe ein sicheres Auge. Vielleicht hat Sie das getäuscht.«
Das öffnete die Schleusen für neue Erinnerungen, und alle fingen an, Geschichten aus der Schule zu erzählen.
Als Crandall II, d. h. R. Crandall, Leutnant in einem indischen Linienregiment, von Exeter am Morgen des Spieltages ankam, wurde er die ganze Front des Institutes mit Hurrarufen begrüßt, denn die Aufseher hatten den Inhalt dessen, was ihnen der Direktor in Flints Studierzimmer vorgelesen, weiter verbreitet. Als Prouts Haus erfuhr, daß er als alter Schüler sein Recht auf ein Bett für eine Nacht in Anspruch nehmen würde, rannte Käfer in Kings nebenanliegendes Haus und vollführte in dem Arbeitssaal ein öffentliches Freudengebrüll, bis er sich unter einem Hagel von Tintenfässern zurückziehen mußte.
»Was kümmerst du dich überhaupt um die Bande?« meinte Latte, der als Ersatzmann für die alten Schüler spielte und in schwarzem Trikot, weißen Kniehosen und schwarzen Strümpfen glänzte. »Ich sprach mit ihm oben im Schlafzimmer, als er sich umzog. Zog ihm den Sweater herunter. Er ist auf dem Arm ganz zerhauen, schrecklich rot sind die. Er wird uns davon heut nacht erzählen. Ich bat ihn darum, als ich ihm die Schuhe zuband.«
»Na, das war frech«, meinte Käfer voll Neid.
»Es flog mir so 'raus, bevor ich dran dachte. Aber er war nicht ein bißchen ärgerlich. Er ist 'n ganz famoser Junge. Ich schwör', ich werd' heut' ganz teufelsmäßig spielen. Auf, Turkey!«
Die Technik jenes Match gehört einem vergangenen Zeitalter an. Eng und heftig drängten sich die Schüler aneinander und gerade und zweckmäßig wurde der Ball gestoßen, und um das Getümmel herum standen die Schüler und schrien: »Köpfe gebückt und gestoßen!« Gegen Ende des Spiels verlor man allgemein jeden Sinn für Dezenz, und Mütter von Tagschülern, die der Grenze zu nahe standen, konnten Worte hören, die nicht auf dem Programm standen. Es wurde zwar niemand richtig vom Felde fortgetragen, aber auf beiden Seiten fühlte man sich glücklicher, als Schluß gerufen wurde. Käfer half Latte und M'Turk in ihre Ueberröcke. Die beiden hatten sich in dem vielbeinigen Herzen der Dinge gegenüber gestanden, und jeder hatte, wie Latte sagte, dem andern zur Ehre gereicht. Als sie hölzern hinter den Mannschaften einherschwankten – Ersatzmänner sind den bärtigen Männern nicht gleichgestellt – kamen sie an einem Ponywagen vorbei, der in der Nähe der Mauer hielt, und eine heisere Stimme rief: »Famos gespielt, wirklich ganz famos!« Es war Stettson I, hohläugig und mit bleichen Wangen, der unter der Eskorte eines ungeduldigen Kutschers sich seinen Weg zum Spielplatz erkämpft hatte.
»Hallo! Stettson«, rief Latte verdutzt. »Kann man dir jetzt ohne Gefahr näher kommen?«
»Oh, ja, ich bin ganz gesund. Sie wollten mich erst gar nicht 'rauslassen, aber ich mußte zum Spiel kommen. Dein Mund sieht hübsch geschwollen aus.«
»Turkey trampelte mir drauf – aus Versehen mit Absicht. Na 's freut mich, daß es dir besser geht, denn wir haben mit dir noch 'n Hühnchen zu pflücken, du und deine Kehlkopfschleimhäute habt uns in 'ne schöne Geschichte gebracht, junger Mann.«
»Ich hab's gehört«, antwortete der Junge lachend. »Der Direktor hat mir's erzählt.«
»Er hat's erzählt, Deuwel noch mal! Mann!«
»Ach, kommt 'rauf ins Institut. Meine Beine werden mir steif, wenn wir hier stehen und schwatzen.«
»Sei ruhig, Turkey. Ich muß die Sache 'rauskriegen. Na.«
»Er war die ganze Zeit über, wo ich krank war, in unserm Hause.«
»Weshalb? Warum vernachlässigt er das Institut in dieser Weise? Wir dachten, er war in der Stadt!«
»Ich war nicht bei Besinnung, wißt ihr, und sie sagen, ich hab' unaufhörlich nach ihm gerufen.«
»Frechheit, du bist bloß 'n Tagschüler.«
»Er kam aber doch, er hat mir – 's Leben gerettet. Ich war in einer Nacht schon ganz zugestopft, pfiff schon auf dem letzten Loch, sagte der Doktor, und man senkte mir eine Röhre oder so was in die Gurgel, und der Direktor sog den Stoff heraus.«
»Ugh.«
»Er hätte selbst Diphtheritis kriegen können, sagte der Doktor. Deshalb blieb er bei uns im Hause, anstatt zurückzugehen. In zwanzig Minuten wär' ich weg gewesen, sagt der Doktor!«
Hier peitschte der Kutscher, der seine Befehle hatte, los und überfuhr die drei beinahe.
»Wahrhaftig!« erklärte Käfer. »Das ist ganz nett heroisch.«
»Ganz nett!« M'Turks Knie traf ihn in den Rücken und kanonierte ihn gegen Latte, der ihn zurückstieß. »Du müßtest aufgehängt werden!«
»Und der Direktor müßte das V. C. (Victoria Cross) kriegen«, meinte Latte. »Was, er hätte ja jetzt schon tot und begraben sein können! Aber er ist's nicht, aber er tat's nicht. Ho! Ho! Er klemmte sich durch die Hecken wie 'ne stramme alte Schwarzdrossel. Spezielle Extra-Tracht. – Fünfhundert Zeilen, eine Woche Hausarrest – fertig war die Laube.«
»Ich hab' so was Aehnliches in einem Buch gelesen«, erzählte Käfer. »Donner, was für'n Mensch, denkt doch bloß mal darüber nach.«
»Ich denke schon«, sagte M'Turk, und er ließ ein wildes, irisches Geheul los, daß die Mannschaften sich umdrehten.
»Halt' deinen fetten Mund«, sagte Latte, der vor Ungeduld tanzte. »Ueberlaßt es eurem Onkel Latte, und er wird sich den Direktor schon langen. Wenn du ein Wort sagst, Käfer, eh' ich dir's erlaube, schwör' ich, ich schlage dich tot. Habeo capitem crinibus minimis. Ich hab' ihn an den kurzen Haaren zu fassen gekriegt. Jetzt macht Gesichter, als ob nichts passiert ist.«
Jede Verheimlichung war aber unnötig. Die Schüler waren zu eifrig dabei, die abgehetzte Mannschaft mit Hurrarufen zu feiern. Sie drängten sich in die Waschzimmer, ohne der schmutzigen Stiefel zu achten, während die Mannschaften sich wuschen. Sie begrüßten Crandall II mit Hurrageschrei, wo sie ihn nur zu Gesicht bekamen, und sie schrien wilder als je Hurra nach dem Gebet, als die alten Schüler, im Abendanzug, und vor allem Volk ihre Schnurrbärte drehend, sich zu ihnen gesellten, anstatt sich zu den Lehrern zu stellen, sich der Mauer entlang, unmittelbar vor den Aufsehern, aufstellten, wo der Direktor sie anrief, noch zudem mit I, II, III, nach ihrem alten Namen.
»Ja, das ist alles recht schön,« sagte er nach dem Essen zu seinen Gästen, »aber man verliert die Jungen dabei ein bißchen aus dem Auge. Nachher gibt's dann Kummer und Trübsal, fürchte ich. Sie würden besser tun, früh heraufzugehen, Crandall II. Das ganze Schlafzimmer wird Ihretwegen aufgeblieben sein. Ich weiß nicht, zu welchen schwindelnden Höhen Sie Ihr Beruf noch emporführen wird, das kann ich Ihnen sagen, Sie werden nie wieder eine solche vollkommene Anbetung genießen, wie man Ihnen jetzt entgegenbringt.«
»Was schert mich Anbetung. Ich will meine Zigarre zu Ende rauchen, Sir!«
»Es ist alles lauteres Gold. Gehen Sie hin, wo Ihrer Ruhm wartet – Crandall II.«
Die Szene dieser Apotheose war ein Mansardenzimmer von zehn Betten, das mit drei andern ohne Zwischentüren in fortlaufender Verbindung stand. Das Gas flackerte über den unpolierten kiefernen Waschtischen. Unaufhörlich pfiff der Zugwind hindurch, und draußen vor den nackten Fenstern schlug die See gegen die Klippen.
»Dasselbe alte Bett – dieselbe alte Matratze, glaube ich«, sagte Crandall und gähnte. »Alles noch so wie früher. Oh, was bin ich lahm. Ich hatte keine Idee, daß ihr Jungen so spielen könntet.« Er strich sich über sein zerschlagenes Schienbein. »Ihr habt uns allen 'nen ordentlichen Denkzettel gegeben.«
Es dauerte ein paar Minuten, bis sie ihre Scheu überwunden hatten. Weshalb, konnten sie nicht sagen, – aber sie fühlten sich behaglicher, als Crandall sich umdrehte und sein Gebet sprach – eine Zeremonie, an die er mehrere Jahre nicht mehr gedacht hatte.
»Oh, das ist dumm, ich habe vergessen, das Gas auszudrehen.«
»Bitte, machen Sie sich keine Mühe,« sagte der Aufseher des Schlafzimmers, »das besorgt Worthington.«
Ein Zwölfjähriger, im Nachtgewand, der darauf gewartet hatte, sich zu zeigen, sprang von seinem Bett nach dem Gasarm und wieder zurück, über einen Waschtisch hinweg.
»Wie macht ihr's, wenn er schon eingeschlafen ist?« fragte Crandall lachend.
»Schieben ihm mal 'nen kalten Eisenhaken untern Hals.«
»Als ich noch Jüngster im Schlafzimmer war, war's 'n nasser Schwamm. – – – Hallo, was ist los?«
Das Dunkel war verhüllt mit Flüstern, dem Geräusch schleppender Decken, dem Tappen bloßer Füße auf dem bloßen Fußboden, Protesten, Lachen und Drohungen, wie: »Sei ruhig, du Esel! – Hock' dich doch auf den Fußboden hin! – Ich sag' dir, du wirst dich nicht auf mein Bett setzen! – Gib auf's Zahnputzglas acht!« usw.
»Latte, – Corkran sagte,« begann der Aufseher, und sein Ton drückte aus, wie tief er Lattes Frechheit empfand, »daß Sie uns vielleicht etwas von der Geschichte mit Duncans Leiche erzählen würden.«
»Ja, ja, ja«, wurde ringsum mutig geflüstert. »Erzählen Sie uns das!«
»Da ist nichts zu erzählen. Was, um Himmels willen tanzt ihr Jungen denn auf dem kalten Fußboden herum?«
»Kümmern Sie sich nicht um uns – erzählen Sie uns von Mastschwein.«
So drehte sich denn Crandall auf seinem Kopfkissen herum und sprach zur Generation, die er nicht sehen konnte.
»Na also, vor ungefähr drei Monaten kommandierte er einen Geldtransport – einen Wagen voll von Rupien für die Truppenlöhnung – fünftausend Rupien in Silber. Es ging nach einem Platz, der Fort Pearson heißt, in der Nähe von Kalabagh.«
»Ich bin dort geboren, das Fort wurde nach meinem Onkel genannt«, quiekte ein kleiner Fuchs.
»Halt's Maul – du mit deinem Onkel! Kümmern sie sich nicht um ihn, Crandall.«
»Nein, kümmern wir uns nicht um ihn. Die Afridis bekamen heraus, daß dieses Geld unterwegs war, und sie lauerten dem ganzen Zug auf, ein paar Meilen, bevor er das Fort erreicht hatte, und hauten auf die Eskorte ein. Duncan wurde verwundet, und die Mannschaften machten, daß sie fortkamen. Es waren im ganzen nicht mehr als 20 Sepons,Eingeborener Soldat in der indischen Armee. und dagegen ein ganzer Haufen Afridis. Als sich die Geschichte zutrug, war ich gerade dienstlich auf Fort Pearson. Ich hatte das Feuer gehört und wollte gerade sehen, was los war, als Duncans Leute ankamen. So gingen wir alle zusammen wieder zurück. Sie erzählten etwas von einem Offizier, aber ich konnte nicht hinter den Zusammenhang kommen, als ich einen Burschen unter den Rädern des Wagens sah, auf einen Arm gestützt und in der Hand einen Revolver. Ihr wißt, die Eskorte hatte den Wagen verlassen, und die Afridis, sie sind 'ne verdammt argwöhnische Gesellschaft, dachten – der Rückzug wäre 'ne Falle – 'ne Art von Kriegslist, versteht ihr – und der Rückzug wäre der Köder. Deshalb hatten sie den armen Duncan in Ruh' liegen lassen. Im Augenblick, wo sie gemerkt hatten, wie wenig wir waren, ging ein Rennen los auf den Fleck zu, wer den alten Duncan zuerst erreichen könnte. Wir rannten und sie rannten, und wir gewannen, und nach einem kleinen Herumprügeln zogen sie ab. Ich wußte gar nicht, daß es einer von uns war, bis ich gerade über ihm stand. Es gibt massenweise Duncans in der Armee, und der Name allein konnte mich natürlich nicht darauf bringen. Er war im ganzen nicht sehr verändert. Er hatte einen Schuß durch die Lunge bekommen, der arme alte Kerl, und war riesig durstig. Ich gab ihm zu trinken und setzte mich neben ihm nieder – und – 's war doch komisch! – er sagte: ›Hallo, Patentfatzke!‹ und ich sagte: ›Hallo, Mastschwein! Hoffe, du bist nicht verletzt‹ oder irgend so was Ähnliches. Aber er starb in ein oder zwei Minuten – und ich hielt die ganze Zeit seinen Kopf auf meinen Knien. – Hört mal. Ihr Jungen da draußen werdet euch zu Tode erkälten, geht lieber ins Bett.«
»Jawohl, in einer Minute. Aber Ihre Schmarren – Ihre Schmarren. Wie kam's, daß Sie verwundet wurden?«
»Das passierte, als wir den Körper zum Fort zurückbrachten. Sie kamen noch mal auf uns zu, und da gab's 'n bißchen Gedränge.«
»Haben Sie einen totgeschlagen?«
»Ja, soll mich nicht wundern. Gute Nacht.«
»Gute Nacht. Danke schön, Crandall. Danken Ihnen vielmals, Crandall. Gute Nacht!«
Die unsichtbare Menge zog sich zurück. Die Insassen des Schlafzimmers selbst huschten ins Bett und lagen eine Weile still.
»Hören Sie, Crandall –« Lattes Stimme klang ganz fremdartig ehrfürchtig.
»Nun, was?«
»Den Fall gesetzt, daß ein Mensch 'nen andern an Diphtheritis im Sterben fände – die Kehle ganz zugestopft – und ihm würd' 'ne Röhre in die Kehle gesteckt. Und der Mensch söge den ganzen Stoff heraus – was würden Sie da sagen?«
»Hm!« machte Crandall nachdenklich. »Ich hab' bloß einmal von solch einem Fall gehört, – und da war's ein Doktor. Er tat's für eine Frau.«
»Oh, dies war keine Frau, es war ein Junge.«
»Das macht die Sache dann noch besser. 's ist so ziemlich das Tapferste, was ein Mann tun kann. Warum aber – – –?«
»Oh, ich hörte nur, daß irgendwo ein Mensch das getan hat. Das ist die ganze Geschichte.«
»Dann ist er 'n braver Mann.«
»Würden Sie sich davor fürchten?«
»Na – doch. Jeder würd's tun. Stell' dir doch mal vor – so ruhig an Diphtheritis sterben!«
»Na! Ach! hören Sie mal zu!« Der Satz erstarb in einem Grunzen, denn Latte war aus dem Bett gesprungen und saß mit M'Turk auf Käfers Kopf, der sonst auf der Stelle die Mine hätte springen lassen.
Der folgende Tag, der letzte des Semesters, war ein paar ganz unwesentlichen Prüfungen gewidmet, begann mit Grimm und Krieg. Mister King hatte die Entdeckung gemacht, daß beinahe sein ganzes Haus – er wohnte, wie bekannt, in der langen Reihe der Gebäude Tür an Tür neben Prouts – die Türen der Schlafzimmer geöffnet hatte und hinübergegangen war, um einer Erzählung Crandalls zuzuhören. Er ging zum Direktor, Klage führend, gekränkt appellierend, denn er billigte es nie, daß sogenannten jungen Weltkindern gestattet wurde, die Moral der Jugend zu verderben. – Sehr schön, sagte der Direktor, er würde sich der Sache annehmen.
»Es tut mir ja furchtbar leid«, sagte der schuldige Crandall. »Ich glaube nicht, daß ich ihnen etwas erzählt habe, was sie nicht hören dürfen. Machen Sie ihnen meinetwegen nicht die Hölle heiß.«
»Tck!« antwortete der Direktor mit einem leisen Wink. »'s sind nicht die Jungen, die Unruhe stiften, es sind die Lehrer. Nichtsdestoweniger, Prout und King gestatteten Schlafzimmerversammlungen in diesem Maße nicht, und man muß die Hausmeister unterstützen. Außerdem, 's hat keinen Zweck, zwei Häuser allein zu bestrafen, so spät im Semester. Man muß gerecht sein und keinen ausschließen. Wollen mal zusehen. Sie haben eine Ferienarbeit über Ostern auf, die natürlich keiner von ihnen mit einem Auge ansehen wird. Wir werden der ganzen Schule, mit Ausnahme der Aufseher und der Jungen, die Studierzimmer haben, heute abend eine regelrechte Arbeitsstunde geben, und das Lehrerkollegium muß einen Lehrer stellen, der die Aufsicht zu führen hat. Man muß gegen alle gerecht sein.«
»Arbeitsstunde am letzten Abend des Semesters. Puh!« sagte Crandall, der an seine eigne wilde Jugend dachte. »Ich glaube, da wird's Streiche geben.«
Die Schüler, die sich inmitten gepackter Koffer vergnügten, im ganzen Korridor Lärm vollführten und in den Klassenzimmern Freudengebrüll ausstießen, empfingen die Nachricht mit Bestürzung und Wut. Keine Schule der Welt hatte am letzten Abend des Semesters Arbeitsstunde. Das war scheußlich, tryannisch und Gesetz, Religion und Moralgesetze umstoßend. Sie wollten in die Klassenzimmer gehen, und sie wollten ihre abgesetzte Ferienarbeit mitnehmen, aber – hier lächelten sie und überlegten, was für eine Art von Mann das Lehrerkollegium wohl gegen sie heraufsenden würde. Das Los fiel auf Mason, den Leichtgläubigen und Enthusiasten, der die Jugend liebte.
Kein anderer Lehrer hatte Lust, diese Arbeitsstunde abzuhalten, denn die Schule entbehrte den festigenden Einfluß von Traditionen, und Leute, die an den geordneten Gang in alten Instituten gewöhnt waren, fanden sie bisweilen aufsässig. Die vier langen Arbeitssäle, in denen alles unter dem Range von Studierzimmerinhabern arbeitete, empfingen Mason mit Beifallsdonnern. Ehe er sich zweimal räuspern konnte, beehrten sie ihn mit einer metrischen Aufzählung der Ehegesetze Großbritanniens, mit Beziehungen auf den Hohenpriester und den Führer des Volkes Israel.
Die unteren Klassen erinnerten sich daran, daß dies der letzte Tag wäre, und er deshalb alles als Spaß nehmen müßte. Als er gerade gegen sie losdonnern wollte, fingen die Unterquarta und die Obertertia in einem Zuge an, krank zu werden, mit viel Geräusch und Realistik. Mister Mason versuchte, von allen furchtlosen Dingen unter dem Himmel – mit ihnen zu verhandeln, und ein kühner Geist an einem Tisch hinter seinem Rücken ersuchte ihn, »fünfzig Zeilen abzuschreiben, weil er die 'and nicht in die 'öhe ge'alten 'abe, bevor er sprach!«Der Londoner Dialekt verschluckt gewöhnlich das h, spricht aber dafür die mit einem Vokal beginnenden Worte aspiriert aus. Als jemand, der sich auf sein dialektfreies Englisch sehr viel einbildete, traf Mason dies ins Herz, und während er den Dialektschüler zu entdecken suchte, drehten die Ober- und Untersekundaner drei Arbeitssäle weiter das Gas aus und warfen mit Tintenfässern. Es war eine angenehme, animierende Arbeitsstunde. Die Schüler in den Arbeitszimmern und die Aufseher hörten fernab das Echo davon, und im Eßzimmer lächelte man beim Dessert.
Latte wartete, die Uhr in der Hand, bis halb neun.
»Wenn es noch weiter so fort geht, wird der Direktor kommen«, sagte er. »wir wollen's jetzt zuerst in den Studierzimmern erzählen und dann in den Arbeitssälen. Nehmt euch zusammen.«
Er ließ Käfer keine Zeit, dramatisch zu werden, oder M'Turk zu trödeln, sie stürzten von Studierzimmer zu Studierzimmer, erzählten, was sie zu erzählen hatten, und liefen weiter, ohne sich auf nähere Erklärungen einzulassen, sobald sie sahen, daß man sie verstanden hatte. Der Lärm jener heillosen Arbeitsstunde aber wuchs und nahm zu. An der Tür von Flints Studierzimmer trafen sie auf Mason, der den Korridor hinunterflog.
»Er geht den Direktor holen. Schnell! Fix!«
Atemlos stürzten sie Seite an Seite in den Arbeitssaal »Nummer zwölf«.
»Der Direktor! Der Direktor! Der Direktor!« Der Ruf ließ den Tumult für eine Minute verstummen, und Latte sprang auf einen Tisch und schrie: »Er ging und sog den Diphtheriestoff aus Stettson I Kehle, als wir dachten, er war in der Stadt. Hört mit dem Spektakel auf, ihr Esel! Stettson I wäre gestorben, wenn der Direktor das nicht getan hätte. Der Direktor selbst hätte sterben können. Crandall sagt, es ist das Tapferste, was irgend 'n lebender Mann tun kann, und« – seine Stimme überschlug sich – »der Direktor weiß nicht, daß wir's wissen!«
M'Turk und Käfer sprangen von Tisch zu Tisch und verbreiteten die Neuigkeit unter den jüngeren Schülern. Es trat eine Pause ein, und dann kam der Direktor herein, Mason hinter ihm. Es war hergebracht und ordnungsgemäß, daß kein Junge in seiner Gegenwart sprach oder sich bewegte. Er erwartete scheues Schweigen. Er wurde mit Hurrarufen empfangen, stetigen, unaufhörlichen Hurrarufen. Da er ein kluger Mann war, ging er wieder fort, und die Schüler blieben schweigend und ein wenig erschreckt zurück.
»Es ist alles in Ordnung«, erklärte Latte. »Er kann nicht viel tun. Es ist nicht, wie wenn ihr die Tische aufeinandergestellt hattet, wie wir's mal getan haben, als der alte Carleton Arbeitsstunde abhielt. Nur Mut! Hört ihr, wie sie im Studierzimmer Hurra schreien?« Schreiend flog er raketenähnlich hinaus und traf auf Flint und die Aufseher, die beinahe die Decken vom Korridor abhoben.
Wenn der Direktor einer Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht, die vier Prozent zahlt, auf seinem geheiligten Wege zum Gebet mit Hurrarufen begrüßt wird, nicht nur von vier Arbeitssälen voller Jungen, die auf ihre Bestrafung warten, sondern auch von seinen getreuen Aufsehern, dann verlangt er entweder eine Aufklärung oder geht voll Würde seinen Weg weiter, indes der älteste Hausmeister wie ein gereizter Kater dreinschaut und einem bleichen und bebenden Mathematiklehrer auseinandersetzt, daß gewisse Methoden – nicht die seinen, Gott sei Dank – gewöhnlich gewisse Resultate zeitigen. Die alten Schüler waren zartfühlend dem Aufruf ferngeblieben. Zu den in der Turnhalle versammelten Schülern aber sprach der Direktor in eisigem Tone:
»Es kommt nicht oft vor, daß ich euch nicht verstehe; heute abend aber, muß ich gestehen, ist das der Fall. Nach eurem idiotischen Betragen in der Arbeitsstunde scheinen jetzt einige von euch mich für die geeignete Person zu halten, die mit Hurra begrüßt werden kann. Ich werde euch jetzt zeigen, daß ich das nicht bin.«
Krach – Krach – Krach – erklang ein dreifaches Hurra. Der Direktor blickte finster unter der Gasflamme drein.
»Das ist genug. Das wird euch nichts nützen. Die Kleinen (liebten diese Anrede nicht) werden in den Ferien mir jeder dreihundert Zeilen abschreiben, weiter will ich mich nicht um sie kümmern. Die oberen Klassen werden mir jeder tausend Zeilen in den Ferien abschreiben, die am Abend eurer Rückkunft aufgezeigt werden. Und ferner – – –«
»Donner, der gibt's ordentlich«, flüsterte Latte.
»Für euer Benehmen gegen Mister Mason sollen die oberen Klassen morgen Schläge von mir bekommen, wenn ich euch euer Reisegeld gebe. Darunter werden auch die drei aus einem Arbeitszimmer sein, die ich in der Klasse auf dem Tisch tanzend antraf, als ich heraufkam. Die Aufseher bleiben nach dem Aufruf hier.«
Die Schüler gingen schweigend auseinander, versammelten sich aber in Erwartung der kommenden Dinge vor der Tür der Turnhalle.
»Und jetzt, Flint,« sagte der Direktor, »haben Sie wohl die Güte, mir einige Aufklärung über euer Betragen zu geben.«
»Ja, Sir,« begann Flint verzweiflungsvoll, »wenn Sie einem Jungen, der an Diphtheritis im Sterben liegt, das Leben retten mit Gefahr Ihres eignen, und wenn das Institut das erfährt, na – was können sie dann anders erwarten, Sir?«
»Hm, sehe schon. Dann war der Lärm also keine Unverschämtheit. Bei Streichen kann ich ein Auge zudrücken, aber Frechheiten kann ich nicht vertragen. Das entschuldigt aber trotzdem die Unverschämtheiten gegen Mister Mason nicht. Ich will die Strafarbeit, denke ich, diesmal noch vergessen; aber bei den Prügeln bleibt es.«
Die Neuigkeit verbreitete sich, und die Schüler starrten den Direktor erstaunt und bewunderungsvoll an, als er nach seinem Hause ging. Das war ein Mann, den man bewundern mußte. Es kam selten vor, daß er schlug, aber dann geschah es mit höchster Technik. Die Exekution an etwa hundert Jungen mußte etwas Heroisches, Ungeheures werden.
»Alles in Ordnung, Direktor Sahib. Wir wissen schon Bescheid«, sagte Crandall, als der Direktor mit einem Seufzer in seinem Rauchzimmer die Robe ablegte. »Ich hab's jetzt eben von unserm Ersatzmann herausbekommen. Er hat mir vergangene Nacht meine Meinung über Ihre Tat abgelockt. Ich wußte noch nicht, daß Sie es waren, von dem er sprach. Schlauer junger Kerl. Sommersprossiger Junge mit scharfen Augen – Corkran, glaub' ich, heißt er.«
»Oh, danke, ich kenne ihn«, entgegnete der Direktor, und nachdenklich setzte er hinzu: »Ja, ich hätte sie mit eingeschlossen, selbst wenn ich sie nicht gesehen hätte.«
»Wenn die alten Zöglinge nicht schon ein wenig mitgenommen wären, würden wir Sie jetzt im Triumph den Korridor entlang tragen«, sagte der Ingenieur. »Oh, Bates, wie konnten Sie nur? Sie hätten sich anstecken können, und wo wären wir dann geblieben?«
»Ich hab's immer gewußt, daß Sie jeden Tag zwanzig von uns wert waren. Jetzt bin ich dessen ganz sicher«, erklärte der Schwadronskommandeur und sah sich um, ob ihm jemand widersprechen würde.
»Er darf aber doch eigentlich keine Schule mehr leiten. Versprechen Sie, daß Sie es nie wieder so machen werden, Bates Sahib. Wir können nicht ruhig von hier fortgehen, wenn Sie sich in solche Gefahren begeben«, sagte der Artillerist.
»Bates Sahib, Sie werden doch nicht die ganzen oberen Klassen schlagen, wie?« sagte Crandall.
»Ich kann Streiche durchgehen lassen, wie gesagt, aber Unverschämtheiten kann ich nicht ausstehen. Masons Schicksal ist schon schwer genug, selbst wenn er an mir einen Rückhalt hat. Außerdem haben die Leute vom Golfklub gehört, wie sie ›Aaron und Moses‹ sangen. Ich werde noch Klagen der Eltern von Tagesschülern darüber zu hören bekommen. Schicklichkeit muß gewahrt werden.«
»Wir werden Ihnen helfen«, sagten alle Gäste.
Einer nach dem andern erhielten die Schüler der oberen Klassen ihre Schläge, die Röcke über dem Arm, das Reisegeld vor ihnen auf dem Tisch. Unten auf dem Wege warteten indes schon die Wagen, die sie zur Station bringen sollten. Der Direktor fing mit Latte, M'Turk und Käfer an. Er teilte mit getreuer Gerechtigkeit aus.
»Und hier ist euer Reisegeld. Adieu, und vergnügte Ferien!«
»Adieu. Danke Sir!« – Ein Händedruck wurde gewechselt.
»Heute morgen übereilt der Wunsch die Erfüllung nicht sehr. Wir haben die Sahne gekriegt«, meinte Latte. »Jetzt warten wir, bis noch 'n paar Jungen herauskommen, und dann wollen wir erst ordentlich Hurra schreien.«
»Unsertwegen braucht ihr nicht zu warten«, sagte Crandall im Namen der alten Schüler. »Jetzt wollen wir anfangen.«
Solange die Hurrarufe nur im Korridor erschallten, war alles gut, als sie sich aber bis in die Turnhalle fortpflanzten, und als selbst die Jungen, die noch ihr Teil erwarteten, zu rufen begannen, da gab der Direktor es verzweifelnd auf, und die Uebriggebliebenen stürzten auf ihn zu, um ihm die Hände zu schütteln.
Dann schrien sie unaufhörlich und voller Hingebung ihr Hurra, bis die Wagen heimlich an den Gebäuden vorbeigerumpelt waren.
»Hab' ich nicht gesagt, ich würd' auch ihn schon eines Tages rankriegen?« sagte Latte oben auf dem Bock, als sie in die enge Northamstraße einschwenkten. »Jetzt alle los! Ich taktiere:
Es ist so Brauch in der Armee,
Und in der Flotte ist es Brauch,
Und in den öffentlichen Schulen auch,
Und niemand kann's bestreiten!«