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Einige Wochen später kehrte Dick an einem nebeligen Sonntage durch den Park nach seinem Atelier zurück. »Das sind offenbar die Schläge, die Torp meinte,« sagte er. »Sie treffen mich härter, als ich erwartete, aber die Königin kann nichts Unrechtes thun, auch hat sie wirklich einen Begriff vom Zeichnen.« Er kam gerade von einem sonntäglichen Besuche bei Maisie – stets unter den grünen Augen des rothaarigen, empfindsamen Mädchens, welches er auf den ersten Blick hassen gelernt – und wurde von einem starken Gefühl der Scham geprickelt. Sonntag auf Sonntag war er, in seinen besten Kleidern, nach dem häßlichen Hause nördlich vom Park hinüber gewandert, anfänglich, um Maisies Bilder anzusehen, und dann dieselben zu kritisiren und seinen Rat darüber zu erteilen, da er gefunden, daß sie Erzeugnisse waren, denen guter Rat nicht schaden könne. Sonntag auf Sonntag war er, während seine Liebe bei jedem Besuche wuchs, genötigt gewesen, sein Herz zum Schweigen zu zwingen, wenn dasselbe ihn antrieb, Maisie zu küssen. Sonntag auf Sonntag hatte der Kopf über das Herz gesiegt und ihn gewarnt, daß Maisie noch nicht erreichbar sei, und daß es besser wäre, so zusammenhängend als möglich über die Mysterien der Zunft zu sprechen, die alles für sie waren. Daher war es sein Los, jede Woche in dem über dem schmutzigen Garten erbauten Atelier Folterqualen zu erdulden und Maisie zu beobachten, wie sie mit den Theetassen hin und her ging. Thee war ihm in hohem Grade zuwider, aber seitdem er es ihm möglich machte, etwas länger in ihrer Gegenwart zu verweilen, trank er ihn mit großer Andacht, während das rothaarige Mädchen in einer Ecke saß und ihn beobachtete, ohne ein Wort zu sprechen. Das Mädchen beobachtete ihn stets. Nur ein einzigesmal, als es das Atelier verlassen hatte, zeigte Maisie ihm ein Album, das einige armselige Ausschnitte aus Provinzialzeitungen enthielt, möglichst kurz gehaltene, eilige Notizen über einige von ihren Bildern, die sie nach auswärtigen Ausstellungen geschickt hatte. Dick bückte sich und küßte den mit Farbe beschmierten Daumen auf dem offenen Blatte. »O, meine Liebe, meine Liebe,« murmelte er, »sind diese Dinge wohl Ihrer würdig? Werfen Sie dieselben in den Papierkorb!«
»Nicht bevor ich etwas Besseres erhalte,« sagte Maisie, das Album schließend.
Darauf machte Dick, angetrieben durch Mangel an Respekt vor seinem Publikum und die tiefste Rücksicht für das Mädchen, den Vorschlag, er wollte ein Bild malen und Maisie sollte dasselbe unterzeichnen.
»Das ist kindisch,« entgegnete Maisie; »ich dachte das wirklich nicht von Ihnen. Es muß meine Arbeit sein, meine, meine!«
»Dann gehen Sie hin und zeichnen Sie Medaillons zur Ausschmückung von Häusern reicher Brauer. Dazu sind Sie durchaus befähigt.« Dick war elend und wild zu Mute.
»Bessere Sachen als Medaillons, Dick,« lautete die Antwort in einem Tone, der ihn an das furchtlose Sprechen des grauäugigen kleinen Wesens Mrs. Jennet gegenüber erinnerte. Dick hätte sich bis aufs äußerste gedemütigt, wenn nicht gerade das andere Mädchen hereingekommen wäre.
Am nächsten Sonntage legte er zu Maisies Füßen kleine Geschenke von Pinseln nieder, die fast von selbst malen konnten, sowie von Farben, an deren Dauerhaftigkeit er glaubte, und war übertrieben aufmerksam bei der Arbeit, die sie unter den Händen hatte. Dasselbe erforderte, unter anderen Dingen, eine Darlegung seiner innersten Ueberzeugung. Torpenhows Haar würde sich aufgerichtet haben, hätte er die Flut von Worten gehört, mit denen Dick sein eignes Evangelium über die Kunst predigte.
Dick wäre einen Monat früher ebenso erstaunt gewesen; aber es war Maisies Wille und Belieben, so daß er seine Worte zusammensuchte, um ihrem Begriffsvermögen alles das klar zu machen, was ihm selbst einst von den Geheimnissen der Arbeit verborgen gewesen. Es liegt nicht die mindeste Schwierigkeit in der Ausführung einer Sache, wenn man nur weiß, wie es gemacht wird; das schwierigste ist, einem seine Methode auseinanderzusetzen.
»Ich könnte das da ganz richtig machen, wenn ich einen Pinsel in der Hand hätte,« sagte Dick verzweiflungsvoll mit Rücksicht auf die Zeichnung eines Kinns, das, wie Maisie klagte, nicht gelingen wollte; »sieht aus wie Fleisch«, – es war dasselbe Kinn, das sie mit dem Palettemesser ausgekratzt hatte, – »aber ich hielte es fast für unmöglich, Sie zu unterweisen. In Ihrer Art zu malen, liegt ein seltsamer häßlicher, holländischer Strich, der mir aber gefällt; indes kommt es mir so vor, als ob Sie schwach im Zeichnen wären. Sie machen Verkürzungen, als ob Sie niemals ein Modell benützt hätten und haben Kamis weichliche Manier angenommen, das Fleisch im Schatten zu behandeln. Dann wieder malen Sie zu hart, ohne es selbst zu wissen. Ich glaube, Sie verwenden ihre Zeit zu viel auf Entwürfe. Oel ist die Hauptsache, oft reißen drei Quadratzoll von dem aufgetragenen, schimmernden Zeug in der Ecke eines Bildes ein schlechtes Ding heraus – ich weiß es. Es ist unmoralisch. Zeichnen Sie eine kurze Zeit lang nur Konturen, dann kann ich Ihnen mehr über Ihre Fähigkeiten sagen, wie der alte Kami zu sagen pflegte.«
Maisie protestirte; sie machte sich nichts daraus, nur Konturen zu zeichnen.
»Ich weiß,« sagte Dick, »Sie möchten gern Ihre Studienköpfe mit einem Bündel Blumen am Halse malen, um die schlechte Modellirung zu verbergen.« Das rothaarige Mädchen lachte ein wenig. »Sie möchten gern Landschaften mit Vieh malen, das knietief im Grase steht, um die schlechte Zeichnung zu vertuschen. Sie möchten überhaupt ein gut Teil mehr malen als Sie können. Sie haben Verständnis von Farbe, aber es fehlt Ihnen die Form. Farbenkenntnis ist eine Gabe, – legen Sie das beiseite und denken Sie nicht mehr daran – was jedoch die Form anbelangt, so können Sie darin herangebildet werden. Nun, alle Ihre Studienköpfe, – und einige davon sind recht gut – werden Sie genau auf dem Standpunkte zurückhalten, auf dem Sie sich jetzt befinden. Beim Zeichnen von Konturen müssen Sie entweder vor- oder rückwärts gehen, auch werden Sie alle Ihre Schwächen dabei zeigen.«
»Aber andere Leute –,« begann Maisie.
»Sie müssen nicht darauf sehen, was andere Leute thun. Wenn deren Seelen Ihre Seele wären, so würde es etwas anderes sein. Sie stehen und fallen durch Ihre eigne Arbeit, denken Sie daran, und es heißt wirklich Zeit verschwenden, bei diesem Kampfe an irgend etwas anderes zu denken.«
Dick machte eine Pause, während die so lange entschlossen unterdrückte Sehnsucht wieder in seine Augen zurückkehrte. Er sah Maisie an, und in seinem Blick lag die Frage so deutlich, als wenn er sie in Worten ausgedrückt hätte: wäre es nicht Zeit, diese öde Wildnis von Leinwand und Ratschlägen zu verlassen und sich die Hände mit Liebe fürs Leben zu reichen?
Maisie stimmte dem neuen Schulprogramm so anbetungswert zu, daß Dick sich nur mit Mühe zurückhalten konnte, sie zu nehmen und nach dem nächsten Standesamte zu tragen. Unbedingter Gehorsam gegen das ausgesprochene Wort und reine Gleichgiltigkeit für das unausgesprochene Verlangen verhöhnten und bekämpften seine Seele. Er besaß in jenem Hause Ansehen, – ein in der That auf einen halben Nachmittag von sieben Tagen beschränktes Ansehen, aber doch ein wirkliches, so lange es währte. Maisie hatte gelernt, sich in vielen Dingen an ihn zu wenden, von der geeignetsten Verpackung von Bildern bis zu dem Zustande eines rauchenden Kamins. Das rothaarige Mädchen fragte ihn niemals um Rat; andererseits nahm es sein Erscheinen ohne Widerspruch an und beobachtete ihn stets. Er entdeckte, daß die Mahlzeiten des Haushaltes unregelmäßig und mangelhaft seien; dieselben bestanden hauptsächlich in Thee, Pickles und Zwieback, wie er von Anfang an vermutet hatte. Die Mädchen ließen glauben, daß sie wöchentlich einkauften, aber sie lebten, mit Hilfe einer Arbeitsfrau, so unregelmäßig wie junge Raben. Maisie verwendete den größten Teil ihres Einkommens auf Modelle, während das andere Mädchen für Gerätschaften schwärmte, die so verfeinert waren wie seine eigne Arbeit rauh war. Mit der seiner Zeit von den Docks her teuer erkauften Erfahrung, warnte Dick Maisie, und sagte ihr, daß die Folge dieses halben Verhungerns darin bestehen würde, ihre Fähigkeit zur Arbeit zu lähmen, was bedeutend schlimmer als der Tod wäre. Maisie beherzigte diese Warnung und achtete nun mehr auf das, was sie aß und trank. Wenn seine Unruhe ihn überkam, was gewöhnlich während der langen Dämmerstunden im Winter der Fall war, so traf die Erinnerung an diesen kleinen Ort häuslicher Autorität, sowie an seine Arbeit mit einer Herdbürste in dem rauchenden Kamine des Wohnzimmers, Dick wie ein Peitschenhieb. Er sah ein, daß der Gedanke hieran der Gipfel seiner Leiden sei, bis das rothaarige Mädchen ihm eines Sonntags ankündigte, es wolle eine Studie von Dicks Kopf anfertigen, er möchte daher so gut sein, still zu sitzen und – gerade wie ein Hintergedanke – Maisie anblicken. Er saß auch, weil er es füglich nicht abschlagen konnte, und dachte eine halbe Stunde lang an alle die Leute, die er früher für seine künstlerischen Zwecke benutzt hatte; am deutlichsten erinnerte er sich Binals, – jenes Binals, der einst ein Künstler gewesen und immer von seiner Entartung sprach.
Es war weiter nichts als die rohe Skizze eines Kopfes, aber sie stellte die stumme Erwartung, die Sehnsucht und vor allem die hoffnungslose Knechtschaft des Mannes mit einem Anfluge von bitterem Spotte dar.
»Ich will die Skizze kaufen,« sagte Dick plötzlich, »zu jedem Preise, den Sie verlangen.«
»Mein Preis ist zu hoch, aber ich denke, Sie werden ebenso dankbar sein, wenn –« Die noch feuchte Skizze flatterte aus der Hand des Mädchens und fiel in die Asche des Ofens im Atelier; als sie dieselbe wieder aufhob, war sie hoffnungslos beschmutzt.
»O, sie ist ganz verdorben!« rief Maisie aus. »Ich habe sie nicht einmal gesehen. War sie ähnlich?«
»Ich danke Ihnen,« sagte Dick leise zu dem rothaarigen Mädchen und entfernte sich rasch.
»Wie dieser Mann mich haßt!« bemerkte das Mädchen. »Und wie er Sie liebt, Maisie!«
»Was für ein Unsinn! Ich weiß, Dick ist sehr vernarrt in mich, aber er hat seine Arbeit und ich habe die meinige.«
»Ja, er ist vernarrt in Sie, und ich denke, er weiß, es ist etwas an der Empfänglichkeit für Eindrücke, trotz alledem. Maisie, können Sie nicht sehen?«
»Sehen? Was sehen?«
»Nichts; nur weiß ich, daß, wenn ich einen Mann dahin bringen könnte, mich so anzusehen, wie dieser Mann Sie ansieht, ich würde – ich weiß nicht, was ich thun würde. Aber er haßt mich. O, wie er mich haßt!«
Sie hatte hierin doch nicht ganz recht. Dicks Haß wurde auf einige Augenblicke durch Dankbarkeit gemildert, und dann vergaß er das Mädchen vollständig. Nur das Gefühl der Scham blieb zurück und nahm zu, als er im Nebel durch den Park ging. »An einem dieser Tage wird eine Explosion stattfinden,« sagte er ingrimmig. »Aber es ist nicht Maisies Schuld; sie hat recht, ganz recht, soweit sie es versteht; ich kann sie nicht tadeln. Diese Sache dauert nun seit beinah drei Monaten. Drei Monate! – und mich hat es zehn Jahre des Herumziehens draußen gekostet, um die Kenntnis, den rohesten Begriff von meiner Arbeit zu erlangen. Das ist richtig, aber dann mußte ich mich nicht jeden Sonntag mit Stiften, Zeichenstiften und Palettmessern verwunden. O, mein kleiner Liebling, wenn ich Dich jemals bändige, wird jemand sehr schlechte Zeiten davon haben. Nein, sie wird nicht. Ich werde ein ebenso großer Thor ihretwegen sein, wie ich es jetzt bin. Ich werde an meinem Hochzeitstage das rothaarige Mädchen vergiften; – es ist schädlich, gefährlich – und nun will ich die gegenwärtigen schlechten Zeiten an Torp auslassen.«
Torpenhow hatte sich in letzter Zeit mehr als einmal bewogen gefühlt, Dick eine Vorlesung über die Sünde der Leichtfertigkeit zu halten, die Dick angehört, ohne ein Wort zu erwidern. In den Wochen zwischen den ersten Sonntagen seines Lehramtes, hatte er sich weislich an seine Arbeit gefügt, entschlossen, daß Maisie wenigstens die volle Ausdehnung seiner Fähigkeiten kennen lernen sollte. Dann hatte er Maisie gelehrt, daß sie nicht die mindeste Aufmerksamkeit anderen Arbeiten als den ihrigen schenken müsse, und Maisie hatte ihm nur allzu gut gehorcht. Sie befolgte seine Ratschläge, interessirte sich jedoch nicht für seine Bilder.
»Ihre Sachen riechen nach Tabak und Blut,« sagte sie einmal. »Können Sie denn nichts anderes malen als Soldaten?«
»Ich könnte einen Kopf von Dir malen, über den Du Dich verwundern würdest,« dachte Dick – das war, bevor das rothaarige Mädchen ihn unter die Guillotine gebracht hatte, – aber er erwiderte nur »es thut mir leid,« und quälte an jenem Abende Torpenhows Seele mit Blasphemien gegen die Kunst. Später, ganz unmerklich und gegen seinen Willen, hörte er auf, sich für seine eignen Arbeiten zu interessiren. Um Maisies willen und um der Selbstachtung zu schmeicheln, die er an jedem Sonntage verlor, wie es ihm schien, wollte er nicht wissentlich schlechtes Zeug hervorbringen, aber seitdem Maisie sich nicht einmal um seine besten Sachen bekümmerte, wäre es wirklich besser, nichts zu thun und die Zeit zwischen den Sonntagen mit Warten hinzubringen. Torpenhow war empört, als die Wochen so nutzlos verstrichen und griff ihn eines Sonntagabends an, als Dick sich aufs äußerste erschöpft fühlte nach einer dreistündigen Selbstbeherrschung in Maisies Gegenwart. Es war ein sehr erregtes Gespräch, worauf Torpenhow sich zurückzog, um sich mit Nilghai zu beraten, der hereingekommen war, um über kontinentale Politik zu sprechen.
»Vollständig müßig ist er? Sorglos und in seiner Gemütsstimmung beunruhigt?« fragte Nilghai.
»Es ist nicht der Mühe wert, sich darüber zu ängstigen. Dick spielt wahrscheinlich den Narren bei irgend einer Frau.«
»Ist denn das nicht schlimm genug?«
»Nein, Sie mag ihn wohl aus seiner Thätigkeit reißen und seine Arbeit eine Zeit lang aushalten; sie kann auch eines Tages hieherkommen und ihm eine Scene auf dem Treppenflur machen; man weiß ja das niemals, aber so lange Dick nicht aus eigenem Antriebe davon spricht, thäten Sie besser, die Sache gar nicht zu berühren. Er ist kein leicht zu behandelnder Mensch.«
»Nein, ich wollte, er wäre es. Er ist ein so aggressiver, selbstbewußter Bursche!«
»Er wird das mit der Zeit schon ablegen. Er muß lernen, daß man nicht mit einer Büchse voll Farbenblasen und einem schmierigen Pinsel die Welt auf und nieder stürmen kann. Sind Sie vernarrt in ihn?«
»Ich würde jede Strafe auf mich nehmen, die ihm bevorsteht, wenn ich es könnte; aber das schlimmste dabei ist, daß kein Mensch seinen Bruder davor bewahren kann.«
»Nein, und noch schlimmer ist es, daß es in einem solchen Kriege nicht zum Abfeuern, zur Entdeckung kommt. Dick muß seine Lektion lernen, so gut wie jeder von uns. Um von Krieg zu sprechen, im Frühjahre werden Unruhen im Balkan stattfinden.«
»Diese Unruhen sollen schon lange kommen. Ich bin neugierig, ob wir Dick mit hinausbringen können, wenn sie eintreten?«
Bald darauf trat Dick ins Zimmer; die Frage wurde ihm vorgelegt. »Nicht gut genug für mich,« erwiderte er kurz. »Ich befinde mich zu behaglich, wo ich bin.«
»Sie werden doch all das Zeug in den Blättern nicht für Ernst nehmen?« sagte Nilghai. »In weniger als sechs Monaten sind Sie nicht mehr in der Mode, – das Publikum wird dann Ihre Manieren kennen und zu etwas Neuem übergehen; wo werden Sie dann sein?«
»Hier, in England.«
»Wenn Sie anständige Arbeit bei uns ausführen könnten? Unsinn! Ich werde dorthin gehen; Keneu, Torp, Cassavatti, eine ganze Menge von uns werden dort sein, und wir so viel zu thun haben, wie wir nur leisten können, mit unbegrenzter Gelegenheit zum Fechten und Dinge zu sehen, die den Ruf von drei Weretschagins begründen könnten.«
»Hm,« machte Dick, die Lippen aufwerfend.
»Sie ziehen vor, hier zu bleiben und sich einzubilden, daß die ganze Welt Ihre Bilder angafft? Denken Sie doch daran, wie voll von Havarien, bezüglich seiner Bestrebungen und Vergnügungen, das Leben eines Mannes ist. Wenn zwanzigtausend von ihnen die Zeit finden, zwischen ihren Mahlzeiten sich umzublicken und irgend etwas zu murmeln über eine Sache, so sind dieselben nicht im mindesten dabei interessirt; das reine Resultat heißt: Ruhm, Ansehen, Anerkennung, dem Geschmacke der Maßgebenden entsprechend.«
»Ich weiß das ebenso gut wie Sie. Geben Sie mir Kredit auf ein wenig Verstand?«
»Ich will gehangen werden, wenn ich es thue!«
»Dann lassen Sie sich hängen; wahrscheinlich werden Sie es auch – als ein Spion, von wütenden Türken. O! Ich bin müde, todmüde, alle Kraft hat mich verlassen!« Dick ließ sich in einen Stuhl fallen und war nach einer Minute fest eingeschlafen.
»Das ist ein böses Zeichen,« sagte Nilghai leise. Torpenhow nahm ihm die Pfeife aus der Rocktasche, welche dort zu brennen angefangen, und legte ihm ein Kissen unter den Kopf.
»Wir können es nicht ändern,« sagte er. »Es ist eine gute, häßliche Art von Kopf; ich bin vernarrt in ihn. Da ist die Narbe von dem Schmiß, den er erhielt, als er in jenem Carré über den Kopf gehauen wurde.«
»Es sollte mich gar nicht wundern, wenn das ihn nicht etwas verrückt gemacht hätte.«
»Ich doch. Er ist ein sehr eifriger Verrückter.« Darauf fing Dick schrecklich zu schnarchen an.
»O, keine Zuneigung kann gegen dergleichen standhalten. Wachen Sie auf, Dick, und schlafen Sie anderswo, wenn Sie dabei einen solchen Lärm machen wollen.«
»Wenn ein Kater die ganze Nacht auf den Dächern sich herumgetrieben hat,« murmelte Nilghai in seinen Bart, »so schläft er gewöhnlich den Tag über. Das ist aus der Naturgeschichte.«
Dick stolperte, sich die Augen reibend und gähnend, hinaus. Während der Nacht fiel ihm eine so einfache wie glänzende Idee ein, daß er sich wunderte, weshalb er dieselbe nicht schon früher gehabt. Er wollte Maisie an einem Wochentage besuchen, einen Ausflug vorschlagen und sie auf der Eisenbahn nach Fort Keeling mitnehmen; nach demselben Platze, auf dem sie vor zehn Jahren umhergeschweift waren.
»Nach einer allgemeinen Regel,« sagte er sich am folgenden Morgen, »ist es nicht gut, eine alte Fährte zweimal zu kreuzen; die Dinge erinnern einen an die Vergangenheit, ein kalter Wind erhebt sich und man fühlt sich traurig; aber dieses ist eine Ausnahme von jeder Regel, die jemals bestand. Ich will sogleich zu Maisie gehen.«
Glücklicherweise war das rothaarige Mädchen ausgegangen, um Einkäufe zu machen, als er dort eintraf, während Maisie, in einer mit Farbe bespritzten Bluse, im Kriege mit ihrer Leinwand lag. Sie war nicht sonderlich erfreut, ihn zu sehen, denn Besuche an Wochentagen waren gegen die Verabredung; er bedurfte daher seines ganzen Mutes, um seine Absicht zu erklären.
»Ich weiß, Sie arbeiten viel zu angestrengt,« schloß er mit einer Miene von Autorität. »Wenn Sie so weiter machen, werden Sie zusammenbrechen. Sie thäten wirklich viel besser daran, mitzukommen.«
»Wohin?« fragte Maisie ermüdet. Sie hatte zu lange vor ihrer Staffelei gestanden und war in der That erschöpft.
»Wohin es Ihnen beliebt. Wir wollen morgen früh irgend einen Zug nehmen und sehen, wo er anhält. Irgendwo werden wir frühstücken und abends bringe ich Sie wieder zurück.«
»Wenn es morgen gutes Licht zum Arbeiten ist, verliere ich einen Tag.« Maisie balancirte unentschlossen die schwere Palette aus weißem Nußbaum.
Dick unterdrückte einen Fluch, der ihm auf die Lippen kam. Er hatte noch nicht gelernt, mit dem Mädchen Geduld zu haben, für welches die Arbeit alles in allem war.
»Sie werden noch sehr viel mehr verlieren, meine Teure, wenn Sie jede Stunde Licht zum Arbeiten benützen. Sich überarbeiten ist nur mörderischer Müßiggang. Seien Sie nicht unverständig. Ich werde Sie morgen gleich nach dem Frühstück abholen.«
»Aber Sie werden doch sicherlich auch –«
»Nein, sicherlich nicht. Ich will Sie haben und niemand anders. Außerdem haßt sie mich gerade so sehr, wie ich sie hasse. Es würde ihr gar nichts daran liegen, mitzukommen. Also, auf morgen, und beten Sie, daß wir Sonnenschein haben.« Dick ging entzückt von dannen und arbeitete infolge dessen nicht einen Strich. Er kämpfte mit dem heftigen Verlangen, einen Extrazug zu bestellen, begnügte sich indes damit, einen großen grauen Känguruhmantel zu kaufen, der mit glänzend schwarzem Marder gefüttert war, und ging dann nach Hause, um nachzudenken.
»Ich gehe morgen den ganzen Tag mit Dick aus,« sagte Maisie zu dem rothaarigen Mädchen, als dasselbe später, müde von seinen Einkäufen in Edgware Road, zurückkehrte.
»Er verdient es. Ich will, während Ihrer Abwesenheit, den Fußboden im Atelier gründlich scheuern lassen; er ist sehr schmutzig.«
Maisie hatte sich seit Monaten an keinem Feiertage erfreut und blickte der kleinen Erholung fröhlich entgegen, wenn auch nicht ganz ohne Besorgnis.
»Es gibt keinen angenehmeren Menschen als Dick, wenn er vernünftig spricht,« dachte sie, »aber ich bin überzeugt, er wird albern sein und mich quälen, während ich ihm doch nichts von dem sagen kann, was er gern hört. Wenn er vernünftig wäre, würde ich ihn viel lieber haben.«
Als Dick am nächsten Morgen erschien und Maisie in ihrem grauen Ulster und schwarzsammetnen Hütchen im Hausflur stehen sah, strahlten seine Augen vor Freude. Marmorpaläste, aber nicht schmutzige Imitationen aus geädertem Holze, waren sicherlich passender als Hintergrund für eine solche Gottheit. Das rothaarige Mädchen zog sie einen Augenblick ins Atelier und küßte sie eilig. Maisies Augenbrauen erhoben sich bis zum Rande der Stirn, sie waren gar nicht an dergleichen Zärtlichkeiten für einander gewöhnt. »Denken Sie an meinen Hut,« sagte sie davoneilend und die Stufen hinunterlaufend zu Dick, der bei dem Kabriolet stand und auf sie wartete.
»Sind Sie auch warm genug? Möchten Sie nicht gern noch etwas frühstücken? Legen Sie diesen Mantel über Ihre Kniee.«
»Ich fühle mich ganz behaglich, danke. Wohin gehen wir, Dick? O, hören Sie doch auf, so zu singen; die Leute werden uns für verrückt halten.«
»Lassen Sie dieselben denken, was sie wollen, wenn es ihnen nur keinen Schaden thut. Sie wissen nicht, wer wir sind. Auf mein Wort, Maisie, Sie sehen reizend aus.«
Maisie blickte gerade aus vor sich hin und erwiderte nichts. Der Wind eines scharfen, klaren Wintermorgens hatte Farbe in ihre Wangen gebracht. Ueber ihnen wurden die crêmefarbigen Rauchwolken fortgetrieben, um einem hellblauen Himmel Platz zu machen, während einige unvorsichtige Spatzen sich von einem Wassertümpel erhoben und das Kommen des Frühlings mit viel Geschrei verkündigten.
»Es wird reizendes Wetter auf dem Lande sein,« bemerkte Dick.
»Aber wohin gehen wir denn?«
»Abwarten und dann sehen.«
Sie hielten bei der Viktoria-Station, wo Dick Billets nahm. Einen Augenblick dachte Maisie, die behaglich vor dem Kaminfeuer im Wartesaale saß, daß es doch viel angenehmer wäre, einen Mann nach dem Billetschalter zu schicken als sich selbst mit dem Ellenbogen durch die Menge Bahn zu machen. Dick führte sie in einen Pullmanwaggon – nur, weil es dort warm war, während sie diese Verschwendung mit ernstlich entrüsteten Augen betrachtete, als der Zug sich in Bewegung setzte.
»Ich möchte wissen, wohin wir gehen,« wiederholte sie zum zwanzigstenmale. Der Name einer ihr wohl erinnerlichen Station ertönte gegen das Ende der Fahrt, und Maisie war nun aufgeklärt. »O, Dick, Sie Abscheulicher!«
»Nun, ich glaubte, Sie würden diesen Platz gern einmal wiedersehen. Sie sind ja seit langer Zeit nicht hier gewesen, nicht wahr?«
»Nein. Es verlangte mich niemals darnach, Mrs. Jennet wieder zu sehen; und sie war das einzige, was ich hier gekannt.«
»Nicht ganz. Sehen Sie eine Minute aus dem Fenster. Dort steht die Windmühle über den Kartoffelfeldern, man hat da noch keine Villen gebaut; entsinnen Sie sich, wie ich Sie in der Mühle eingesperrt hatte?«
»Ja. Wie Mrs. Jennet Sie dafür geprügelt hat! Ich sagte ihr nie, daß Sie es gewesen wären.«
»Sie vermutete es. Ich klemmte einen Stock unter die Thür und sagte Ihnen, ich wollte Amomma lebendig in den Kartoffeln begraben, was Sie auch glaubten. In jenen Tagen waren Sie vertrauender Natur.«
Sie lachten und lehnten sich hinaus, um sich umzuschauen, alte Landmarken mit manchen Erinnerungen identifizirend. Dick richtete sein Auge auf die Rundung von Maisies Wange, die sich sehr nahe der seinigen befand, und beobachtete, wie das Blut unter der reinen Haut pulsirte. Er gratulirte sich selbst zu seiner List und sah voraus, daß der Abend ihm eine große Belohnung bringen würde.
Als der Zug hielt, gingen sie fort, um eine alte Stadt mit neuen Augen zu betrachten. Zuerst besahen sie, aber von einer gewissen Entfernung, das Haus von Mrs. Jennet.
»Nehmen Sie an, sie käme jetzt heraus; was würden Sie thun?« fragte Dick mit verstelltem Schrecken.
»Ich würde ihr ein Gesicht schneiden.«
»Laß sehen,« sagte Dick, in die Sprache ihrer Kindheit verfallend. Maisie schnitt ein Gesicht nach der kleinen Villa hin, worüber Dick laut lachte.
»Das ist schändlich,« sagte Maisie, die Stimme von Mrs. Jennet nachahmend. »Maisie, Du gehst sofort hinein und lernst das Altargebet, das Evangelium und die Epistel für die nächsten drei Sonntage. Nach allem, was ich Dich gelehrt habe, auch noch drei Dankgebete jeden Sonntag nach dem Essen! Dick verleitet Dich immer zu Unfug. Wenn Du kein Gentleman bist, Dick, so könntest Du doch wenigstens –«
Der Ausspruch endete plötzlich. Maisie erinnerte sich, wann er zum letztenmale angewendet wurde.
»– versuchen, Dich wie ein solcher zu benehmen,« fiel Dick rasch ein. »Ganz recht. Jetzt wollen wir einen kleinen Lunch zu uns nehmen, und dann nach Fort Keeling gehen – wenn Sie nicht lieber dahin fahren wollen?«
»Wir müssen zu Fuß gehen, schon aus Respekt für den Ort. Wie wenig hat alles sich hier geändert!«
Sie wanderten durch unveränderte Straßen nach der See zu, unter dem Einflusse aller dieser alten Gegenstände. Sie gingen bei dem Laden eines Konfektionsgeschäftes vorbei, das in jenen Tagen, als ihr vereinigtes Taschengeld wöchentlich einen Schilling betrug, hoch in ihrer Achtung stand.
»Dick, haben Sie einige Pfennige?« fragte Maisie, halb zu sich selbst.
»Nur drei, und wenn Sie glauben, Sie bekommen zwei davon, um sich Pfefferminzkuchen zu kaufen, so irren Sie sich. Sie sagt, Pfefferminzkuchen schicken sich nicht für Damen.«
Sie lachten wieder und Maisies Wangen färbten sich, während in Dicks Herzen das Blut kochte. Nach einem reichlichen Lunch gingen sie nach dem Strande und Fort Keeling hinunter über eine weite, vom Winde gepeitschte Landstrecke, die kein Baumeister für wert gehalten hatte zur Bebauung. Die Winterbrise kam von der See her und summte in ihren Ohren.
»Maisie,« sagte Dick. »Ihre Nase bekommt an der Spitze einen Anstrich von Preußisch-blau. Ich will mit Ihnen um die Wette laufen, soweit Sie wollen und um was es Ihnen beliebt.«
Sie blickte sich vorsichtig um und fing dann lachend an zu laufen, so rasch als der Ulster es gestattete, bis sie außer Atem war.
»Wir liefen gewöhnlich meilenweit,« keuchte sie. »Es ist dumm, daß wir jetzt nicht laufen können.«
»Das Alter, Teuerste. Das kommt davon, wenn man fett und weichlich in der Stadt wird. Wenn ich Sie an den Haaren reißen wollte, liefen Sie gewöhnlich drei Meilen weit, dabei so laut kreischend, wie Sie konnten. Ich möchte wohl wissen, ob Sie so kreischten, um Mrs. Jennet mit einem Rohrstocke herbeizurufen, damit sie –«
»Dick, ich habe Ihnen nie in meinem Leben absichtlich Prügel zugezogen.«
»Nein, natürlich thaten Sie das nicht. Lieber Himmel! Blicken Sie auf die See.«
»Weshalb, sie ist noch ebenso wie sonst!« sagte Maisie. –
Torpenhow hatte von Mr. Beeton herausgebracht, daß Dick, sauber angekleidet und rasirt, das Haus um halb acht Uhr morgens, mit einer Reisedecke über dem Arm, verlassen hatte. Nilghai rollte gegen Mittag ins Zimmer, um Schach zu spielen und sich über Politik zu unterhalten.
»Es ist schlimmer, als ich mir vorgestellt,« sagte Torpenhow.
»O, der ewige Dick, wie ich voraussetze! Sie kakeln über ihn, wie eine Henne mit einem einzigen Küken. Lassen Sie ihn doch dumme Streiche machen, wenn er meint, daß es ihn amüsiren wird. Sie können wohl einen jungen Hund durchpeitschen, aber nicht einen jungen Mann.«
»Es ist nicht eine Frau; es ist ein Mädchen.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Er stand auf und ging um acht Uhr morgens aus – stand mitten in der Nacht auf, beim Himmel! etwas, das er niemals thut, ausgenommen, wenn er im Dienst ist. Und auch dann mußten wir ihn aus seinen Decken herausklopfen, ehe das Gefecht bei El-Maghrib anfing, wie Sie sich erinnern werden. Es ist ekelhaft.«
»Es sieht eigentümlich aus; aber vielleicht hat er sich entschlossen, endlich ein Pferd zu kaufen. Er kann ja auch deshalb so früh fortgegangen sein, nicht wahr?«
»So einen feurigen Satan kaufen! Er würde es uns gesagt haben, wenn ein Pferd im Spiele wäre. Es ist ein Mädchen.«
»Seien Sie dessen nicht so gewiß. Vielleicht ist es nur eine verheiratete Frau.«
»Dick hat etwas Sinn für Humor, wenn Sie auch keinen haben. Wer steht denn in der Dämmerung auf, um eines andern Mannes Weib zu besuchen? Es ist ein Mädchen.«
»Dann lassen Sie es doch ein Mädchen sein. Sie kann ihn lehren, daß es auch noch etwas anderes auf der Welt gibt außer ihm selbst.«
»Sie wird seine Hand verderben, seine Zeit verschwenden, ihn heiraten und für immer seine Arbeit ruiniren. Er wird ein respektabler, verheirateter Mann sein, bevor wir es verhindern können, und nie wieder am langen Tau gehen.«
»Alles ganz gut möglich, aber die Erde wird sich nicht anders drehen, wenn es geschieht ... ha! ha! Ich gäbe etwas darum, Dick zu sehen, mit den Jungens auf die Freite gehend. Quälen Sie sich deswegen nicht. Diese Dinge stehen bei Allah, wir können dieselben nur beobachten. Holen Sie die Schachfiguren.« –
Das rothaarige Mädchen lag in seinem Zimmer und starrte auf die Decke desselben; seine Hände öffneten und schlossen sich von Zeit zu Zeit fast krampfhaft.
Die Taglöhnerin, die den Fußboden des Ateliers scheuern sollte, klopfte an ihre Thür: »Bitte um Verzeihung, Miß,« sagte sie, »zum Reinigen des Fußbodens gebraucht man zwei, wohl auch drei Sorten von Seife, eine gelbe, eine mit bunten Flecken und eine desinfizirende. Nun, gerade bevor ich meinen Eimer in den Flur stellte, dachte ich, es wäre vielleicht gut, wenn ich heraufkäme, um Sie zu fragen, welche Sorte von Seife Sie wünschten, um die Tische und Bretter abzuscheuern. Die gelbe Seife, Miß –«
In dieser Frage lag durchaus nichts, was den Wutausbruch hätte verursachen können, der das rothaarige Mädchen mitten ins Zimmer trieb und dasselbe veranlaßte, fast zu schreien: »Glauben Sie etwa, daß ich mich darum kümmere, was Sie gebrauchen? Eine Sorte wird es wohl thun! – irgend eine Sorte!«
Die Frau eilte davon, während das rothaarige Mädchen einen Augenblick auf sein eignes Bild im Spiegel sah und dann sein Gesicht mit beiden Händen bedeckte. Es war, als ob es ein verschämtes Geheimnis laut hinaus geschrieen hätte.