Sören Kierkegaard
Drei Beichtreden
Sören Kierkegaard

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II.

Herr Jesus Christus, laß Du Deinen heiligen Geist uns recht erleuchten und überführen von unsrer Sünde, daß wir gedemütigt mit gesenktem Blick erkennen, wie weit, weit entfernt wir stehen, und seufzen: Gott sei mir Sünder gnädig; aber dann laß Du uns auch durch Deine Gnade widerfahren, was Du von dem Zöllner sagst, der hinauf ging zum Tempel anzubeten: er ging gerechtfertigt in sein Haus.

Luc. 18, 13. Und der Zöllner stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott sei mir Sünder gnädig.

Andächtiger Zuhörer, die vorgelesenen Worte sind, wie Du weißt, aus dem Evangelium von dem Pharisäer und dem Zöllner. Der Pharisäer ist der Heuchler, der sich selbst betrügt und Gott betrügen will; der Zöllner ist der Aufrichtige, welchen Gott rechtfertigt. Aber es giebt ja auch eine andre Art Heuchelei; Heuchler, die dem Pharisäer gleichen, während sie den Zöllner zum Vorbild wählen, Heuchler die nach dem Wort der Schrift über die Pharisäer: »sich selbst vermessen, daß sie fromm seien und die Andern verachten«, während sie sich doch das Aussehen des Zöllners geben, scheinheilig weit entfernt stehen, nicht wie der Pharisäer, der stolz dastand; die scheinheilig das Auge zur Erde senken, nicht wie der Pharisäer, der stolz den Blick zum Himmel erhob; die scheinheilig seufzen »Gott sei mir Sünder gnädig«, nicht wie der Pharisäer, der stolz Gott dankte, daß er gerecht sei; es giebt Heuchler, die scheinheilig sagen: ich danke Dir Gott, daß ich nicht bin wie dieser Pharisäer, gleichwie der Pharisäer Gott spottend sagte in seinem Gebet »ich danke Dir Gott, daß ich nicht bin wie dieser Zöllner.« Ach ja, gewiß ist es so; das Christentum kam in die Welt und lehrte Demut, aber nicht Alle lernten Demut vom Christentum; die Heuchelei lernte die Maske verändern und blieb dieselbe oder wurde vielmehr noch schlimmer. Das Christentum kam in die Welt und lehrte, daß Du nicht stolz und eitel den obersten Platz bei einem Gastmahl suchen, sondern Dich unten hin setzen sollst – und bald saß Stolz und Eitelkeit zu unterst am Tisch; dieselbe Eitelkeit, o nein eine noch schlimmere. So könnte man meinen, es sei nötig dieses und fast alle Evangelien um zu kehren, weil Heuchelei und Stolz und Eitelkeit und weltlicher Sinn die Sache umkehrt. Doch was sollte das wol helfen? Nur krankhafter Scharfsinn und eitle Klugheit können meinen so klug zu sein um den Mißbrauch zu verhindern. Nein, es giebt nur Eins, das alle Hinterlist überwindet und von Anfang an unendlich überwunden hat, das ist die Einfalt des Evangeliums; die sich einfältig gleichsam betrügen läßt und doch bleibt, was sie ist, die Einfalt. Und auch dies ist das Erbauliche bei der Einfalt des Evangeliums, daß das Böse nicht die Macht darüber bekommen kann, sie klug zu machen, oder dahin zu bringen, daß sie klug sein möchte. Wahrlich das Böse hat bereits einen und einen sehr bedenklichen Sieg gewonnen, wenn es die Einfalt dahin bringt, daß sie klug sein will – um sich zu sichern. Denn gesichert, ewig gesichert ist die Einfalt nur, wenn sie einfältig sich betrügen läßt, wie klar sie auch den Betrug durchschaut.

So laß uns denn in dem vorgeschriebenen kurzen Augenblick einfältig den Zöllner betrachten. Er ist durch alle Zeiten als das Vorbild eines aufrichtigen und gottesfürchtigen Kirchgängers dargestellt worden. Und doch scheint mir, daß er noch mehr zu den Abendmahlsgästen gehört, er der sagte »Gott sei mir Sünder gnädig«. Ist es nicht, als ginge er jetzt zum Altar; er von dem gesagt wird »er ging gerechtfertigt hinab in sein Haus« – ist es nicht, als ging er jetzt heim vom Altar.

Der Zöllner stand von ferne. Was will das sagen? Es will sagen: allein für sich stehen, allein mit sich selbst vor Gott – dann bist Du weit entfernt, weit entfernt von Menschen, und weit entfernt von Gott, mit dem Du doch allein bist. Denn wenn Du mit einem Menschen allein bist, bist Du ihm am nächsten, wenn noch Andere da sind, bist Du ihm ferner, aber Gott scheinst Du näher zu sein, wenn noch mehrere da sind, und erst wenn Du buchstäblich allein mit ihm bist, entdeckst Du, wie ferne Du stehst. O, wenn Du auch nicht ein solcher Sünder bist wie der Zöllner, den auch die menschliche Gerechtigkeit schuldig spricht: wenn Du mit Dir selbst allein vor Gott bist, so stehst Du doch weit entfernt. Sobald Jemand zwischen Dir und Gott ist, wirst Du leicht getäuscht, als wärst Du nicht so weit entfernt; ja auch wenn die Andern in Deinen Gedanken besser und vollkommener sind als Du, Du stehst doch nicht so von ferne, wie wenn Du allein vor Gott bist. Sobald Einer zwischen Dich und Gott tritt, gleichviel ob Du ihn für vollkommener oder für unvollkommener achtest, bekommst Du einen betrügerischen Maßstab, den Maßstab menschlicher Vergleichung. Es ist, als könnte dann doch ausgemessen werden, wie weit Du entfernt bist, und dann bist Du nicht weit entfernt.

Aber der Pharisäer, der ja für sich dastand, stand er nicht auch von ferne? Ja, wenn er in Wahrheit für sich allein gestanden hätte, dann hätte er auch von ferne gestanden. Aber er stand nicht in Wahrheit für sich; das Evangelium sagt, er stand und dankte Gott, daß er nicht wäre wie andere Menschen. Und wenn man die andern Menschen mit sich hat, so steht man ja nicht für sich allein. Grade darin lag der Stolz des Pharisäers, daß er die andern Menschen brauchte um seinen Abstand von ihnen zu messen, daß er den Gedanken an sie vor Gott nicht wollte fahren lassen, um dann stolz für sich zu stehen – im Gegensatz zu den andern Menschen. Aber das ist ja nicht für sich allein stehen und am wenigsten allein vor Gott stehen.

Der Zöllner stand von ferne. Sich seiner Schuld und seiner Vergehen bewußt, war er wol weniger versucht, an andre Menschen zu denken, da er sie ja für besser achten mußte als sich selbst. Doch das wollen wir nicht entscheiden; aber gewiß ist, er hatte all die Andern vergessen. Er war allein, allein mit dem Bewußtsein seiner Schuld und seiner Vergehen, er hatte ganz vergessen, daß es ja auch noch viele andre Zöllner gab; er war als wäre er der einzige Zöllner. Er stand nicht mit seiner Schuld vor einem gerechten Menschen, er war allein vor Gott – o, das heißt von ferne stehen. Denn was ist weiter entfernt von Schuld und Sünde als Gottes Heiligkeit – und dann als Sünder mit dem heiligen Gott allein sein, heißt das nicht unendlich fern stehen!

Und er wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel, er schlug also das Auge nieder. Ja was Wunder wol! O, schon äußerlich ist ja in dem Unendlichen Etwas, das den Menschen überwältigt; sein Auge hat Nichts, was es festhalten könnte, es verursacht Schwindel – da muß man das Auge schließen: und wer allein mit seiner Schuld und Sünde ist und weiß, daß er Gottes Heiligkeit und nichts Anderes sieht, wenn er das Auge aufschlägt, er lernt wol das Auge niederschlagen; oder er sieht vielleicht auf und sieht Gottes Heiligkeit – und dann schlägt er das Auge nieder. Er sieht nieder und sieht sein Elend, und die Vorstellung von Gottes Heiligkeit drückt sein Auge nieder, schwerer als der Schlaf auf die Augenlider des Erschöpften drückt, schwerer als der Schlaf des Todes das Auge nieder drückt; wie der Erschöpfte, ja wie der Sterbende so vermag er das Auge nicht zu erheben.

Er wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel; aber er, der mit niedergeschlagenen Blick in sich gekehrt, nur sein Elend einsah – er sah auch nicht zur Seite, wie der Pharisäer, der »diesen Zöllner« sah; denn wir lesen ja, er dankte Gott, daß er nicht war wie dieser Zöllner. Dieser Zöllner sah nicht den Pharisäer; da der Pharisäer heimkam, wußte er, daß dieser Zöllner in der Kirche gewesen war, aber der Zöllner wußte nicht davon, daß der Pharisäer dagewesen war. Stolz fand der Pharisäer eine Befriedigung darin, daß er den Zöllner sah; demütig sah der Zöllner niemand, auch nicht diesen Pharisäer; mit niedergeschlagenem, in sich gekehrtem Blick war er in Wahrheit vor Gott.

Und schlug an seine Brust und sprach: Gott sei mir Sünder gnädig. O, meine Zuhörer, wenn ein Mensch in der Einsamkeit der Wüste von einem reißenden Tier überfallen wird, so kommt der Schrei von selbst, und wenn einer auf abgelegenem Wege unter Räuber fällt, so erfindet der Schreck selbst den Schrei. So auch bei dem unendlich Schrecklicheren. Wenn Du allein bist, allein auf der Stelle, die einsamer ist als die Wüste – denn selbst in der einsamsten Wüste könnte doch ein anderer Mensch kommen; allein auf der Stelle, die einsamer ist als der abgelegenste Weg, wo doch ein Anderer kommen könnte; wenn Du allein als Einzelner vor Gottes Heiligkeit bist: so kommt der Schrei von selbst. Dort allein vor Gottes Heiligkeit lernst Du, daß es Dir nichts hilft, Andere zu Hilfe zu rufen, weil dort, wo Du der Einzelne bist, buchstäblich kein Anderer ist als Du, weil es das unmöglichste von Allem ist, daß dorthin ein Anderer als Du kommt, denn mit Gottes Heiligkeit hast Du es allein zu thun – aber dann, wie die Not das Gebet erfunden hat, so erfindet dann der Schreck diesen Schrei »Gott sei mir Sünder gnädig«. Und der Schrei, der Seufzer ist so aufrichtig in Dir – ja, wie sollte er auch nicht! Wird wol der Angstschrei heucheln, wenn sich in der Seenot der Abgrund öffnet; ob er auch weiß, daß der Sturm seiner schwachen Stimme spottet, daß die Möve ihn gleichgiltig hört, er schreit doch auf; ist da nicht Wahrheit in dem Schrei? So auch bei dem, was in ganz anderem Sinne unendlich fürchterlicher ist, bei der Vorstellung von Gottes Heiligkeit, wenn man als Sünder allein vor ihr ist. Was sollte da für Heuchelei sein in dem Ruf: Gott sei mir Sünder gnädig! Wenn bloß die Gefahr und der Schreck wirklich ist, so ist der Schrei immer aufrichtig, doch dabei, Gott sei gelobt, auch nicht vergebens.

Der Pharisäer dagegen war nicht in Gefahr; er stand stolz und sicher und selbstzufrieden, von ihm hört man keinen Schrei. Was will das sagen? das will zugleich etwas ganz Anderes sagen: er war auch nicht vor Gott.

Und nun der Schluß: der Zöllner ging hinab gerechtfertigt in sein Haus.

Er ging gerechtfertigt hinab in sein Haus. Denn auch von diesem Zöllner gilt ja doch, was die Schrift von allen Zöllnern und Sündern sagt, daß sie sich nahe zu Christus hielten: grade dadurch daß er von ferne stand, hielt er sich nahe zu ihm, während der Pharisäer in vermessener Zudringlichkeit weit, weit entfernt stand. So kehrt sich das Gleichniß um. Es beginnt damit, daß der Pharisäer nahe stand, der Zöllner von ferne; es endet damit, daß der Pharisäer weit entfernt steht und der Zöllner nahe. – Er ging gerechtfertigt hinab in sein Haus. Denn er schlug die Augen nieder, aber der niedergeschlagene Blick sieht Gott, und der niedergeschlagene Blick ist die Erhebung des Herzens. Kein Blick ist so scharfsichtig wie der des Glaubens, und doch ist der Glaube, menschlich gesprochen, blind; denn menschlich gesprochen ist die Vernunft, oder der Verstand das Sehende, aber der Glaube ist gegen den Verstand. So ist der niedergeschlagene Blick sehend, und was der niedergeschlagene Blick bedeutet, die Demütigung, die ist grade Erhebung. Das Gleichniß kehrt sich wieder um, da die Beiden vom Tempel heimgehen. Der erhoben wurde, ist der Zöllner, damit endet es; aber der Pharisäer, der damit begann stolz sein Auge zum Himmel zu erheben, ihm widersteht Gott, und Gottes Widerstand drückt vernichtend nieder. In alten Zeiten war es nicht wie jetzt, wo die Sternkundigen einen Bau in die Höhe führen, von welchem sie die Sterne beobachten, in alter Zeit grub man in die Erde hinein, und beobachtete die Sterne von unten: Gott gegenüber ist keine Veränderung geschehen und geschieht keine – zur Gott wird man nur erhoben, wenn man niedersteigt; so wenig wie das Wasser seine Natur verändert und die Berge hinaufläuft, so wenig kann es einem Menschen glücken sich zu Gott zu erheben – durch Stolz. – Er ging gerechtfertigt heim in sein Haus. Denn die Selbstanklage ist die Möglichkeit der Rechtfertigung. Und der Zöllner klagte sich selbst an. Keiner war da, der ihn anklagte; nicht die bürgerliche Gerechtigkeit griff ihn an der Brust und sagte »Du bist ein Verbrecher«, nicht die Menschen, die er vielleicht betrogen hatte, schlugen ihn an seine Brust und sagten: »Du bist ein Betrüger« – sondern er schlug an seine Brust und sagte: Gott sei mir Sünder gnädig; er klagt sich selbst an, daß er ein Sünder vor Gott ist. Das Gleichniß kehrt sich wieder um. Der Pharisäer, der weit entfernt sich anzuklagen, stolz sich rühmte – da er weggeht, ist er vor Gott angeklagt; er weiß nicht davon, aber indem er fortgeht, klagte er sich selbst vor Gott an. Der Zöllner beginnt damit sich selbst anzuklagen. Der Pharisäer ging heim mit der neuen, der im strengsten Sinn himmelschreienden Sünde, mit einer Sünde mehr zu all den früheren, die er behalten hat: der Zöllner ging gerechtfertigt in sein Haus. Wer sich vor Gott rechtfertigen will, der macht sich grade schuldig; aber wer vor Gott an seine Brust schlägt und spricht »Gott sei mir Sünder gnädig«, der wird grade gerechtfertigt, oder dies ist doch die Bedingung dafür, daß Gott ihn gerechtfertigt erklärt.

So mit dem Zöllner. Aber nun Du, mein Zuhörer! Die Aehnlichkeit liegt so nahe. Von der Beichte her nahst Du dem Altare. Aber beichten ist ja grade von ferne stehen; je aufrichtiger Du beichtest, um so weiter stehst Du – und um so wahrer ist, daß Du bei dem Altare kniest, da das Knieen wie ein Sinnbild für das von ferne stehen ist, für das weit entfernt sein von dem, der im Himmel ist, von dem also der Abstand am größten wird, wenn Du knieend zur Erde sinkst – und doch bist Du bei dem Altare Gott am nächsten. – Beichten ist ja grade das Auge niederschlagen, nicht den Blick zum Himmel erheben wollen, nicht auf Andere sehen wollen; je aufrichtiger Du beichtest, um so mehr wirst Du das Auge niederschlagen, desto weniger wirst Du auf einen Andern sehen – und desto wahrer ist, daß Du bei dem Altare kniest, da das Niederknieen ein noch stärkerer Ausdruck ist, als das Niederschlagen der Augen, denn wer nur die Augen niederschlägt, steht doch selbst noch etwas erhoben – und doch ist grade bei dem Altar Dein Herz erhoben zu Gott. – Beichten ist grade an seine Brust schlagen, und ohne sich von den Gedanken an die einzelnen Sünden zerstreuen zu lassen. Alles am kürzesten und wahrsten in dem Einen zu sammeln: Gott sei mir Sünder gnädig; je innerlicher Du beichtest, desto mehr wird all Dein Beichten in diesem stummen Zeichen enden, daß Du an Deine Brust schlägst und in dem Seufzer: Gott sei mir Sünder gnädig, und um so wahrer ist, daß Du bei dem Altar kniest, denn ein Knieender drückt aus, daß er sich selbst verurteilt und um Gnade bittet – und doch ist bei dem Altare die Rechtfertigung.

Er ging gerechtfertigt in sein Haus. Und Du mein Zuhörer, wenn Du von dem Altare heim in Dein Haus gehst, da grüßt man Dich in frommer Teilnahme mit dem Wunsch: »zu Heil und Segen« in der Zuversicht, daß Du bei dem Altare Deine Rechtfertigung fandest, daß der Besuch Dir zu Heil und Segen wurde. O, der natürliche Mensch findet am meisten Befriedigung darin aufrecht zu stehen; wer in Wahrheit Gott kennen lernte und dabei sich selbst kennen lernte, der findet nur darin Seligkeit, auf seine Kniee zu fallen, anbetend wenn er an Gott denkt, reuig wenn er an sich denkt. Biete ihm, was Du willst, er begehrt nur Eins gleich jenem Weibe, die – nicht das das beste Teil, denn hier kann von keiner Vergleichung die Rede sein – nein, die nach dem Worte der Schrift das gute Teil erwählte, da sie sich zu den Füßen des Erlösers niedersetzte; so begehrt Er nur Eins: zu knieen an Seinem Altare.


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