Sören Kierkegaard
Drei Beichtreden
Sören Kierkegaard

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II.

»Niemand kann zwei Herren dienen, entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern verachten.«

Draußen bei der Lilie und dem Vogel, in diesem feierlichen Schweigen vor Gott, da ist offenbar, daß es ein Entweder – Oder giebt: entweder Gott – oder .... ja das Uebrige ist eigentlich gleichgiltig; was auch ein Mensch wählen mag, wenn er Gott nicht wählt, so hat er die Verlorenheit gewählt. Also: entweder Gott. Du siehst, es fällt aller Nachdruck auf Gott; daß er in der Wahl ist, macht die Wahl so entscheidend und macht sie zu einem wirklichen Entweder – Oder. Könnte ein Mensch leichtsinnig oder schwermütig meinen, es sei doch noch zwischen drei Dingen zu wählen, der ist verloren, oder der hat Gott verloren.

Also: Entweder – Oder; entweder Gott, und zwar wie das Evangelium es erklärt, entweder Gott lieben oder ihn hassen. Ja wenn es um Dich lärmt, oder wenn Du in Zerstreuungen bist, da scheint ein allzu großer Abstand zwischen Lieben und Hassen zu sein, als daß man sie so nahe zusammenbringen dürfte in einen einzigen Atemzug, in einen einzigen Gedanken. Aber im luftleeren Räume fällt ja ein Körper mit unendlicher Hast, so macht auch die Stille draußen bei Lilie und Vogel, diese feierliche Stille vor Gott, daß diese beiden Gegensätze im Nu an einander stoßen: entweder lieben oder hassen. Da ist kein Drittes. – Entweder Gott; und wie es das Evangelium erklärt, entweder ihm anhangen oder ihn verachten. Im Handel und Wandel, im Verkehr mit den Menschen da scheint gar nicht solche Wahl zu sein, ob ich Einem anhangen oder ihn verachten will. »Ich brauche mit dem Menschen nicht umzugehen« sagt man »aber daraus folgt ja nicht, daß ich ihn verachte, auf keine Weise.« Und so ist es auch im Verkehr mit den Vielen, mit denen man gesellschaftlich umgeht ohne wesentliche Innerlichkeit mit mehr oder weniger Gleichgiltigkeit. Aber je kleiner die Anzahl wird und je innerlicher das Verhältniß wird, um so mehr kommt das Entweder – Oder hervor. Nimm bloß zwei Liebende; bei ihnen gilt schon: entweder einander anhangen oder einander verachten. Und nun in der Stille vor Gott bei der Lilie und dem Vogel, wo also gar Niemand da ist, wo für dich gar kein anderer Umgang ist als der mit Gott, ja da gilt es, entweder ihm anhangen oder ihn verachten. Die beiden Liebenden sind einander so nahe, daß der Eine sich nicht zu einem Dritten halten kann, ohne den Andern zu verachten. Aber Gott ist Dir noch näher, unendlich näher als die beiden Liebenden einander sind, er, Dein Schöpfer und Erhalter, er, in dem wir leben und weben und sind, er, von dessen Gnade wir Alles haben. Und er selbst bringt uns in diese Wahl und sagt: entweder mich ... entweder hältst Du Dich zu mir und unbedingt in Allem oder Du verachtest mich. Und anders kann ja auch Gott nicht von sich selbst reden. Er kann doch nicht reden, als wäre er nicht der Einzige und unbedingt Alles, sondern nur Etwas, das auch mit in Betrachtung zu kommen wünschte! Dann wäre er ja nicht Gott.

In der Stille bei Lilie und Vogel ist dies Entweder – Oder, entweder Gott lieben oder – ihn hassen, entweder ihm anhangen oder – ihn verachten.

Was fordert er mit diesem Entweder – Oder, er der Schöpfer von dem Geschöpf? Er fordert Gehorsam, unbedingten Gehorsam. Bist Du nicht in Allem unbedingt gehorsam, so liebst Du ihn nicht, und liebst Du ihn nicht, so – hassest Du ihn; bist Du nicht in Allem unbedingt gehorsam, so hängst Du ihm nicht an, und dann – verachtest Du ihn.

Diesen unbedingten Gehorsam kannst Du von den Lehrmeistern lernen, zu welchen deshalb das Evangelium hinweist, von der Lilie und dem Vogel. Durch Gehorchen lernt man Herrschen, heißt es, aber noch gewisser ist es, daß man kann Gehorsam lehren, wenn man selbst gehorsam ist. So ist es bei der Lilie und dem Vogel. Sie haben keine Macht um die Schüler zu zwingen, sie haben nur den eigenen Gehorsam um zu bewegen. Lilie und Vogel sind »die gehorsamen Lehrmeister.« Sonst fordert man vom Schüler, daß er gehorsam sei, aber hier ist es der Lehrmeister selbst, der gehorsam ist! Und worin unterweist er? in Gehorsam. Und wodurch unterweist er? durch Gehorsam. Könntest Du so gehorsam werden, wie die Lilie und der Vogel, da könntest Du auch wie sie Gehorsam lehren. Aber da wol weder Du noch ich so gehorsam sind, so laß uns von der Lilie und dem Vogel lernen:

Gehorsam.

Draußen bei der Lilie und dem Vogel ist Stille, sagten wir. Aber diese Stille und das Stillesein, das wir dort lernen wollten ist die erste Bedingung um in Wahrheit gehorchen zu können. Wenn Alles um Dich her stille ist und auch in Dir Stille ist, da vernimmst Du mit unendlichem Nachdruck: Du sollst den Herrn Deinen Gott lieben, und ihm allein dienen! Und Du vernimmst, daß dies Gebot Dich angeht, daß Du Gott so lieben sollst, daß Du gemeint bist; denn Du bist ja allein in dem feierlichen Schweigen, so kann auch kein Zweifel aufkommen. Wäre niemals solche Stille um Dich und in Dir, so lerntest Du auch niemals Gehorsam. Aber hast Du gelernt stille sein, so lernst Du schon auch noch Gehorsam.

Achte da auf die Natur um Dich. In der Natur ist Alles Gehorsam, unbedingter Gehorsam. Hier geschieht Gottes Wille wie im Himmel also auch auf Erden; oder man kann die heiligen Worte auch anders wenden, hier passen sie gleichwol, hier geschieht Gottes Wille auf Erden wie er im Himmel geschieht. In der Menschenwelt geschieht ja auch Nichts, nicht das Mindeste ohne seinen Willen, weil Gott der Allmächtige ist, aber in der Natur ist alles unbedingter Gehorsam. Und dies ist doch ein unendlicher Unterschied. Eines ist es ja, daß nicht der feigste noch der trotzigste menschliche Ungehorsam, nicht eines Einzelnen noch des ganzen Geschlechtes das Mindeste gegen seinen Willen vermag – und ein Anderes ist es, daß sein Wille geschieht, weil alles ihm unbedingt gehorcht, weil gar kein anderer Wille da ist im Himmel und auf Erden als der seine; und so ist es in der Natur. In der Natur gilt, was die Schrift sagt: »es fällt nicht ein Sperling auf die Erde ohne seinen Willen«; und nicht bloß weil er der Allmächtige ist, sondern weil Alles unbedingt Gehorsam ist. Nicht den geringsten Einspruch, nicht ein Wort hört man da; der Sperling fällt unbedingt gehorsam zur Erde, wenn es sein Wille ist. Das Sausen des Windes, das Rieseln des Baches, das Rauschen der Blätter, das Flüstern des Grases, jeder Laut, den Du hörst, ist unbedingter Gehorsam. Darum kannst Du Gott darin hören; denn in der Natur ist alles unbedingter Gehorsam.

Laß uns denn näher und menschlich die Lilie und den Vogel betrachten um Gehorsam zu lernen. Die Lilie und der Vogel sind unbedingt Gott gehorsam. Darin sind sie Meister. Dagegen verstehen sie sich nicht auf Halbheit – worauf sich die meisten Menschen am besten verstehen. Daß ein kleiner Ungehorsam nicht doch unbedingt Ungehorsam ist, das kann die Lilie und der Vogel nicht verstehen und will es auch nicht. Daß der kleinste Ungehorsam in Wahrheit einen andern Namen haben sollte, als Verachtung Gottes, das verstehen Lilie und Vogel nicht und wollen es auch nicht verstehen. Daß es etwas Andres oder jemand Andres geben sollte, dem man zugleich neben Gott dienen könnte, das kann und will die Lilie und der Vogel nicht verstehen. Denn die Lilie und der Vogel sind Gott unbedingt gehorsam, sie sind im Gehorsam so einfältig oder so erhöht, daß sie glauben, Alles was geschieht, ist unbedingt Gottes Wille, und glauben, daß sie gar nichts Anderes in der Welt zu thun haben, als entweder unbedingt Gottes Willen zu thun oder unbedingt gehorsam sich in Gottes Willen zu finden.

Ob die Stelle, welche der Lilie angewiesen ist, so unglücklich wie möglich ist, ob sich auch voraussehen läßt, daß sie ihr ganzes Leben hindurch unbeachtet bleibt, von Niemand gesehen wird, der sich über sie freute, ja wenn ihre Stelle gradezu gemieden ist: die gehorsame Lilie findet sich gehorsam in ihr Los und entfaltet alle ihre Lieblichkeit. Ein Mensch würde sagen: »das ist schwer und ist nicht auszuhalten, wenn man eine Lilie ist und so lieblich wie eine Lilie, da an solcher Stelle zu stehen; das ist nicht auszuhalten und ist ja ein Widerspruch vom Schöpfer.« So würde wol ein Mensch denken und reden, wenn er an der Stelle der Lilie wäre, und darauf vor Gram hinwelken. Aber die Lilie denkt anders, sie denkt so: »ich habe nicht selbst meine Stelle und mein Schicksal bestimmen können, dies ist also nicht im entferntesten meine Sache; daß ich hier stehe ist Gottes Wille.« So denkt die Lilie, und daß es ist wie sie denkt, daß es wirklich Gottes Wille ist, kann man ihr ansehen, denn sie ist lieblich – auch Salomo in all seiner Herrlichkeit war nicht so gekleidet. O, wenn unter den Lilien ein Unterschied an Lieblichkeit wäre, so müßte dieser Lilie der Preis zuerkannt werden. Für eine Lilie ist es eigentlich keine Kunst lieblich zu sein, aber in solcher Umgebung unverändert zu bleiben, sich selbst gleich zu bleiben, der Macht der ganzen Umgebung zu spotten, nein, nicht zu spotten, das thut die Lilie nicht, aber ganz unbekümmert zu sein in all ihrer Lieblichkeit! Denn die Lilie bleibt sich gleich, trotz der Umgebung, weil sie Gott unbedingt gehorsam ist; darum ist sie so unbekümmert, denn das kann nur sein, wer unbedingt gehorsam ist. Aber weil sie so unbekümmert sich gleich bleibt, darum ist sie so lieblich. Nur durch unbedingten Gehorsam kann man ganz genau die »Stelle« finden, wo man stehen soll; und wenn man sie so genau trifft, so versteht man, wie völlig gleichgiltig es ist, ob die Stelle auch ein Kehrichthaufen wäre.

Wenn es sich für die Lilie so unglücklich trifft, daß sie in demselben Augenblick, wo sie aufspringt, auch schon gebrochen werden soll, und ihr Aufblühen zugleich ihr Untergang wird: die gehorsame Lilie findet sich darein, sie weiß daß es so Gottes Wille ist und springt auf reich und schön, und geht unbedingt gehorsam dem Untergang entgegen. Wir Menschen würden an Stelle der Lilie wol verzweifeln und deshalb auch nicht werden, was wir sein könnten, ob auch nur für einen Augenblick. Anders mit der Lilie; sie wird alles was sie werden kann und soll, unbeirrt durch die Gewißheit des Unterganges. Und wahrlich, mit dem Untergang vor Augen Mut und Glauben zu haben um in aller Lieblichkeit sich zu entfalten, das vermag nur unbedingter Gehorsam. Ein Mensch würde sagen »wozu?« oder »wofür?« oder »was kann das helfen?« – so würde er nicht, was er sein sollte, und so verschuldet er, daß er verkrüppelt und unschön unterging. Nur unbedingter Gehorsam kann den Augenblick benutzen, unbeirrt durch den nächsten Augenblick.

Wenn für den Vogel der Augenblick da ist, die Wanderung anzutreten, ob er auch meint, er habe es hier ja gut: er läßt das Gewisse fahren und greift nach dem Ungewissen, er tritt augenblicklich die Reise an. – Wenn den Vogel die Härte des Lebens trifft, wenn ihm Widerwärtigkeit und Unglück begegnet, wenn ihm immer wieder sein Nest zerstört wird – der gehorsame Vogel beginnt jeden Tag von neuem seine Arbeit mit derselben Lust und Sorgfalt wie das erste Mal; einfältig mit Hülfe des unbedingten Gehorsams versteht er, daß dies seine Arbeit ist, daß er das Seine zu tun hat. – Wenn der Vogel die Bosheit der Welt erfahren muß, wenn dem kleinen Singvogel, der zu Gottes Ehre singt, ein unartiger Junge nachäfft, um wo möglich die Feierlichkeit zu stören oder wenn der einsame Vogel einen Ort gefunden hat, den er liebt, einen Zweig, auf dem er am liebsten sitzt, der ihm vielleicht durch teure Erinnerungen so lieb und wert ist – und wenn da ein Mensch seine Freude darin findet, durch Steinwürfe oder auf andere Weise ihn fortzujagen: der gehorsame Vogel findet sich unbedingt in Alles; so unermüdlich der Mensch im Bösen ist, so unermüdlich kehrt der Vogel zurück zu seiner lieben Stelle. Einfältig, durch Hilfe seines unbedingten Gehorsams versteht er, daß Alles was ihm so widerfährt, ihn eigentlich nichts angeht, oder richtiger, daß ihn dabei eigentlich nur eins angeht, nämlich daß er unbedingt gehorsam gegen Gott sich darein findet.

So die Lilie und der Vogel, von denen wir lernen sollen. Daher sollst Du nicht sagen: »Lilie und Vogel haben leicht gehorsam sein, sie können ja nicht anders; auf die Weise ein Muster des Gehorsams werden heißt ja aus der Notwendigkeit eine Tugend machen.« So sollst Du nicht sagen, Du sollst überhaupt nichts sagen, sondern schweigen und gehorchen, damit es Dir auch glücke aus der Notwendigkeit eine Tugend zu machen. Auch Du bist ja der Notwendigkeit unterworfen; Gottes Wille geschieht ja doch gleichwol, so siehe zu, daß Du aus der Notwendigkeit eine Tugend machst, indem Du Dich unbedingt gehorsam in Gottes Willen findest, so unbedingt gehorsam, daß Du mit Wahrheit dabei sagen kannst: ich kann nicht anders.

Danach solltest Du streben und Du solltest bedenken: ob es auch für den Menschen schwerer ist, unbedingt gehorsam zu sein, so ist doch auch eine Gefahr dabei, die es ihm erleichtert: die Gefahr Gottes Langmut zu verscherzen. Denn hast Du jemals recht ernstlich Dein eigen Leben und die Menschenwelt betrachtet, wie es da so ganz anders ist als in der Natur, wo Alles unbedingt gehorcht, hast Du das betrachtet ohne mit Schauern zu vernehmen, mit welcher Wahrheit sich doch Gott den Gott der Langmut nennt. Er ist der Gott, der sagt, entweder mich lieben oder – mich hassen, entweder mir anhangen, oder mich verachten, und doch hat er Langmut um es mit Dir und mir und mit uns Allen auszuhalten! Wenn Gott ein Mensch wäre, was dann? Seit wie langer langer Zeit wäre er dann meiner müde und überdrüssig geworden. Mit wie viel Recht hätte er gesagt: »Das Kind ist häßlich und kränklich und dumm und ungelehrig, und wenn noch wenigstens etwas gut an ihm wäre, aber es steckt ja so viel Böses in ihm, das kann kein Mensch aushalten.« Ja, das kann kein Mensch aushalten, das kann nur der Gott der Langmut.

Und denke nun an die zahllose Anzahl der Menschen, welche leben. Wir reden davon daß Geduld dazu gehört kleine Kinder zu lehren, und nun Gott, welcher diese zahllose Anzahl lehren muß – welche Geduld! Und was noch unendlich mehr Geduld nötig macht, ist daß dort, wo Gott der Lehrer ist, alle Kinder mehr oder weniger sich einbilden, sie wären große erwachsene Menschen. »Das fehlte blos noch« würde ein menschlicher Schulmeister sagen »daß die Kinder sich einbilden sie wären erwachsene Menschen; dann müßte man die Geduld verlieren und verzweifeln, denn das könnte kein Mensch aushalten.« Nein, kein Mensch könnte es aushalten, das kann nur der langmütige Gott, deshalb nennt er sich den Gott der Langmut. Und er weiß wohl, was er sagt. Er weiß es von Ewigkeit her und er weiß es aus tausendjäriger und täglicher Erfahrung: so lange die Zeitlichkeit bestehen soll und das Menschengeschlecht in ihr, so lange muß er der Gott der Langmut sein, denn sonst wäre der menschliche Ungehorsam nicht auszuhalten. Für Lilie und Vogel ist Gott der väterliche Schöpfer und Erhalter; nur für die Menschen ist er der langmütige Gott. Wohl wahr, es ist ein Trost, ein höchst nötiger und unbeschreiblicher Trost, weshalb auch die Schrift sagt, daß Gott der Gott der Langmut und des Trostes ist, aber es ist zugleich eine schreckend ernsthafte Sache, daß der Ungehorsam der Menschen Schuld daran ist, daß Gott der Gott der Langmut ist und eine schreckend ernsthafte Sache, daß die Menschen seine Langmut mißbrauchen können. Der Mensch entdeckte eine Eigenschaft bei Gott, welche Lilie und Vogel nicht kennen, oder Gott war liebreich genug den Menschen zu offenbaren, daß er diese Eigenschaft hat, daß er langmütig ist. So entspricht dem Ungehorsam der Menschen die Langmut Gottes. Das ist der Trost, aber unter schwerer Verantwortung. Der Mensch darf wissen, daß selbst wenn alle Menschen ihn aufgäben, ja wenn er beinahe sich selbst aufgiebt, doch Gott der Gott der Langmut ist. Das ist unschätzbarer Reichtum. O, aber brauch ihn recht, denke daran daß es ein Notgroschen ist; um Gottes willen brauch ihn recht, sonst stürzt er Dich in noch größeres Elend, er verwandelt sich in das Gegenteil, ist nicht mehr Trost, sondern er wird die furchtbarste Anklage gegen Dich. Vielleicht scheint Dir die Rede zu hart, daß es heißt Gott verachten, wenn man sich nicht unbedingt und in Allem zu ihm hält; aber daß es Verachtung Gottes ist, wenn man seine Langmut eitel nimmt, das ist doch keine zu harte Rede.

Achte deshalb wol darauf nach Anleitung des Evangelium von der Lilie und dem Vogel Gehorsam zu lernen. Laß Dich nicht abschrecken, verzweifle nicht, wenn Du Dein Leben mit diesen Lehrmeistern vergleichst. Da ist kein Grund zum verzweifeln, denn Du sollst ja von ihnen lernen; und das Evangelium tröstet Dich zuerst, indem es sagt, daß Gott langmütig ist, aber dann fügt es hinzu: Du sollst von der Lilie und dem Vogel lernen, Du sollst lernen unbedingt gehorsam sein wie die Lilie und der Vogel, nicht zwei Herren dienen, denn Niemand kann zwei Herren dienen, er muß entweder .... oder.

Aber wenn Du kannst unbedingt gehorsam werden, wie die Lilie und der Vogel, dann bist Du geworden, wovon sie nur ein Bild sind. Dann hast Du gelernt, nur einem Herren zu dienen, ihn allein zu lieben und Dich unbedingt in allem zu ihm zu halten. Dann wird auch durch Dich die Bitte erfüllt: »Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden«; denn durch unbedingten Gehorsam ist ja Dein Wille Eins mit Gottes Wille, so daß durch Dich auf Erden Gottes Wille geschieht, wie es im Himmel ist. Dann wird auch Deine Bitte erhört, wenn Du betest: »führe uns nicht in Versuchung«; denn bist Du Gott unbedingt gehorsam, so ist nichts Zweideutiges in Dir und ist in Dir nichts Zweideutiges, so bist Du ganz Einfalt vor Gott. Aber es giebt Etwas, das können alle Schlingen der Versuchung und alle List des Teufels nicht fangen, und das ist die Einfalt. Nach dem Zweideutigen späht Satan scharfsichtig als nach seiner Beute – aber bei der Lilie und dem Vogel ist es nie zu finden; auf das Zweideutige lauert die Versuchung als auf ihre sichre Beute, aber bei Vogel und Lilie findet es sich nicht. Wo das Zweideutige ist, da ist die Versuchung und sie ist nur allzu leicht das Stärkere. Aber wo das Zweideutige, die Halbheit ist, da ist im Grunde auch Ungehorsam. Vogel und Lilie sind unbedingt gehorsam, darum ist bei ihnen keine Halbheit, nichts Zweideutiges, und darum können sie nicht in Versuchung geführt werden. Satan ist ohnmächtig, wo keine Halbheit ist, ohnmächtig wie der Vogelfänger mit seiner Schlinge, wenn kein Vogel da ist; aber nur der geringste Schimmer von Zweideutigem, so ist Satan stark, und scharfsichtig ist er, er der Böse, dessen Schlinge Versuchung heißt und dessen Beute des Menschen Seele ist. Aber der Mensch, der durch unbedingten Gehorsam sich in Gott verbirgt, er ist unbedingt sicher; er kann von seiner sicheren Stelle aus den Teufel sehen, aber Satan kann ihn nicht sehen. Denn eben so scharfsichtig Satan ist gegenüber der Zweideutigkeit, ebenso blind ist er auch für die Einfalt, er wird blind oder geschlagen mit Blindheit. Doch nicht ohne Grauen betrachtet ihn der unbedingt Gehorsame; dieser Blick der aussieht, als könnte er Erde und Meer und die geheimsten Falten des Herzens durchdringen, und das kann er auch – aber mit diesem Blick ist er doch blind! Und dann ist ja für den Gehorsamen keine Versuchung, denn »Gott versucht Niemand«. So ist seine Bitte erhört: »führe uns nicht in Versuchung«, das heißt, laß mich niemals durch Ungehorsam meine Geborgenheit verlassen, und wenn ich doch Ungehorsam verschulde, so jage mich nicht gleich aus meiner Geborgenheit, daß ich nicht in Versuchung gerate. Und bleibt er durch unbedingten Gehorsam in seiner Geborgenheit, so ist er auch »erlöst vom Bösen«.

Niemand kann zwei Herren dienen, er muß entweder den Einen lieben und den Anderen hassen, oder dem Einen anhangen, und den Andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon, nicht Gott und der Welt, nicht dem Guten und dem Bösen. Es giebt also zwei Mächte: Gott und die Welt, das Gute und das Böse; und der Grund, weshalb der Mensch nur Einem Herren dienen kann, ist wol der, daß diese beiden Mächte, wenn auch die eine unendlich stärker ist, doch mit einander im Streit um Leben und Tod stehen. Um die Lilie und den Vogel streiten nicht Gott und Welt, auch nicht das Gute und das Böse, aber der Mensch ist zwischen diese beiden ungeheuren Mächte gestellt, und ihm ist die Wahl überlassen. Und darum muß er entweder lieben oder hassen, nicht lieben ist schon hassen; denn so feindlich sind diese beiden Mächte, daß das mindeste Beugen nach der einen Seite, das Gegenteil für die andere Seite ist. Wenn der Mensch diese ungeheure Gefahr vergißt, so klingt ihm das Wort des Evangeliums wie Übertreibung. Ach der Mensch hat keine Vorstellung von der Liebe, mit welcher ihn Gott liebt, und daß Gott aus Liebe unbedingten Gehorsam fordert; er hat keine Vorstellung von der Macht und List des Bösen noch auch von seiner eigenen Schwachheit. Darum kann er nicht begreifen, daß die Gefahr so groß ist, und daß Gott aus Liebe unbedingten Gehorsam fordert.

Was tut da das Evangelium? Es will ihm das nicht beweisen, denn es weiß, das Verstehen kommt erst nach dem Gehorchen, nicht vorher. Darum braucht das Evangelium seine Vollmacht und sagt: Du sollst! Aber zugleich ist es so milde, daß es müßte den Härtesten rühren können; es nimmt Dich gleichsam bei der Hand wie ein liebreicher Vater sein Kind, und sagt: »komm, wir wollen zu der Lilie und dem Vogel gehen.« Draußen spricht es: »betrachte die Lilie und den Vogel, versenke Dich darein, bewegt Dich ihr Anblick nicht?« Wenn dann Dich die feierliche Stille draußen bei Lilie und Vogel tief bewegt, da erklärt das Evangelium weiter und sagt: »aber warum ist denn dies Schweigen so feierlich? weil es den unbedingten Gehorsam ausdrückt, womit Alles Einem Herren dient, nur zu Einem sich dienend neigt, in vollkommener Einigkeit verbunden, in einem großen Gottesdienste – so laß Dich denn ergreifen von diesem großen Gedanken und lerne von der Lilie und dem Vogel.« Aber vergiß nicht, Du sollst lernen von Lilie und Vogel. Bedenk, es war des Menschen Sünde, daß er nicht Einem Herrn dienen wollte, sondern einem andern oder zwei, ja mehreren Herren dienen wollte, und durch diese Sünde zerstörte er die Schönheit der ganzen Welt, wo vordem Alles so sehr gut war. Seine Sünde brachte den Zwiespalt in eine Welt von Einigkeit; und bedenke, daß jede Sünde Ungehorsam ist, und jeder Ungehorsam Sünde.


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