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Durch schöne Gänge von Linden- und Kastanienbäumen führte uns der Weg in die Stadt Grasburg ein.
Totenstille herrschte, die nur von dem Gesumse der Bienen um die Blüten der Bäume unterbrochen wurde. Lange, weite Straßen eröffneten sich, sie wurden durch niedliche, gelbgefärbte Häuser gebildet.
Am Ende einer so langen Straße schwebte eine weiße Figur vorüber. »Das ist,« sprach der Mühlknecht, »der Perückenmacher der Stadt.«
An den Häusern sproßte hohes Gras auf, Schmetterlinge, Goldvögel und Maienkäfer durchflogen die sonnenhellen Straßen, und setzten sich bald auf die Dächer der Häuser, bald auf dies Stadtgras, welches wunderlich anzusehen war.
»Wenn wir uns nur eine Stunde Zeit nehmen wollten,« sprach der Mühlknecht, »so könnten wir vielleicht einen der Inwohner dieser Stadt zu Gesichte bekommen. Seht! dort weit an dem letzten Hause bewegt sich schon etwas!«
Ich setzte die Brille auf, der Inwohner kam näher. Ich ersah in ihm eine ungemein dicke Maschine, deren mühsames Atemholen rings die Stadtgräser legte, und die fernsten Goldvögel aus ihren Blumenstengeln aufjagte.
»Das ist der Bronnenmacher dieser Stadt,« sprach der Mühlknecht.
Der Bronnenmacher hielt, frischen Atem zu schöpfen, inne, zog ein Papier aus dem Sacke, worein eine gebratene Gans gewickelt war, biß zur Erholung die zwei Schlegel von ihr ab, und bewegte sich weiter.
»Dieser Inwohner,« sprach der Mühlknecht, »der in der Tat ein Mensch ist, pflegt gewöhnlich in seinem Speishause für sieben Freunde ein Mittagessen zu bestellen, kommt aber jedesmal ohne die Freunde, und speist acht Portionen allein auf.«
»Seht!« sprach der Mühlknecht, »da kömmt wieder einer!« Da kam ein dürrer, langer, aber ganz steifer Mann mit einer Frisur wie von Porzellan, und einer gar eleganten Kleidung die Straße geradaus geschossen.
Ich betrachtete ihn näher. Derselbe Mann hatte den Kopf so aufrecht stehen, daß das Kinn ob den Augen stand; den rechten Arm hatte er auf die Lenden gestützt, und eine Peitsche in derselben Hand; mit dem linken, mehr gebogenen Arme aber, machte er eine Bewegung, wie wenn er an etwas zöge, auch hatte er Stiefel und Sporen an, und sprach während des Gehens immer vor sich hin: »Blaufuchs! fort! fort!« indem er die Peitsche nach hinten bewegte.
»Dieser Mann ist,« sprach der Mühlknecht, »ein gar großer Pferdeliebhaber, da er aber durch diese Liebschaft um sein Vermögen kam, und kein Pferd mehr zu halten im Stande ist, so reutet er dennoch, wie er sonst zu tun pflegte, alle Tage ganz im Ernst ohne Pferd durch die Stadt.«
Wir stunden noch eine halbe Stunde; es kam kein Mensch, außer daß hie und da am Ende einer so langen Straße ein kleines Figürchen halb im Horizont verloren vorüberschwebte.
Endlich sprang aus dem Hause, bei dem wir stunden, ein Mann heraus; der kam auf mich zugelaufen, wünschte mir tausend Glück zu meiner Ankunft, und ich erkannte in ihm den Chemikus. »Sie müssen mit mir zu Nacht speisen,« sprach er, »ich habe meinen Gegner, den berühmten Chemikus Staudenmeyer, zu Tische gebeten, um ihn gänzlich zu überzeugen, daß die gesauerstoffte Haselnußstaudenfaser ein Surrogat für das Hasenfleisch ist. Sehen Sie mein Haus! Ganz so wie es da vor uns steht, ist es aus lauter Surrogaten erbaut. Kein wahrer Stein, kein wahrer Kalk, kein wahres Holz kam dazu, ja nicht einen Nagel von wahrem Eisen können Sie darinnen finden.« – Ich trat aus der Dachung des Hauses, aus Furcht, von seinem Fall getroffen zu werden.
»Sehen Sie die Fenstervorhänge da,« fuhr der Chemikus fort, »das ist keine Seide, wie Sie glauben, die sind aus gebleichten Wespennestern fabriziert. Meine Fensterscheiben, wie meine Gläser, Spiegel und Bouteillen sind nicht von böhmischem Glas, sie sind ein durch gewisse chemische Prozesse noch härter gemachtes hartes Bronnenwasser aus Ludwigsburg. Sie sollen sich wundern!«
Ich dankte ihm tausendmal für seine höfliche Einladung. »Sie sollen die delikateste Reissuppe aus Ameiseneiern bei mir kosten,« sprach er, »den herrlichsten Champagner aus luftsaurer Eselsmilch.«
Noch einmal sagte ich ihm Dank, und aber Dank, und entzog mich seinen Blicken. –
Ich holte den weiter gegangenen Mühlknecht ein. Wir gingen durch helle, niedlich gebaute Straßen, die meistens nur durch Kinder belebt waren. Besonders fiel mir in der Hinsicht der große leere Marktplatz auf.
Derselbe bildete ein großes Viereck, und die Häuser, so ihn umgaben, hatten alle Bogengänge. Unter diesen wimmelte es von spielenden Kindern, Schwalben und Hühnern, deren lautes Geschrei weit umher erschallte.
Die zwei evangelischen Kirchen aber aus der neuen Zeit, so zu Seiten des Marktplatzes stunden, kamen mir nicht anders vor, als wie zwei große elegante Tabakspfeifen von Meerschaum, an denen die Türme die Röhre bildeten.
So klar und freundlich diese Stadt auch war, und so weit ihre Straßen, und neu ihre Häuser, so wurde es mir doch, je länger ich mich in ihr verweilte, je banger und beklommener, besonders als jetzt die Sonne zu sinken anfing.
Laßt uns auf eine Herberge zugehen, sprach ich zum Mühlknecht. Hier ist der goldene Esel, sprach er, laßt uns in den eingehen, es ist die Herberge, auf der ich beim Herwege einige Wochen verweilte.
Obgleich mehrere Menschen sich in der Wirtsstube befanden, so herrschte doch eine ziemliche Stille. An einem Tische saßen sechs Männer; die sprachen alle sehr lebhaft untereinander, doch kein Wort laut. Nur aus hie und da vernehmlich gesprochenen Worten erriet ich, daß von Geistern, dem Teufel und einem Schatze, den sie diese Nacht erheben wollten, die Rede war. – Auf den Bänken herum lag hie und da ein Handwerksbursche auf seinem Bündel eingeschlafen, und schnarchte laut durch das stille Zimmer.
Die Schatzgräber hatten ihre Angelegenheiten verhandelt, und schlichen sich leis von dannen. Da sprach der Mühlknecht, während wir ein gutes Abendbrot verzehrten, also:
»Es ist merkwürdig, daß in dieser Stadt, die nun kaum hundert Jahre steht, und also ganz unserem Zeitalter angehört, der Glaube an Erhebung von Schätzen, an Erscheinungen des Teufels und abgeschiedener Seelen so fest an den Inwohnern haftet, und daß in ihr so viele Sagen gehen, die man sonst nur in Städten aus einem fernen Zeitalter sucht.
Ich spreche freilich nicht von dem gebildeten Publiko, von denen, die den schmeckenden Wurm lesen, nach welchen nie der bestimmte Charakter einer Stadt zu ermessen ist, maßen die Leute in den allerverschiedensten Städten mit gleichem Motto und Stempel, mit gleichem Umschlag und Titel, wie ihr Alltagsblatt, zu finden sind.«
Ich erstaunte nicht wenig, daß der Mühlknecht sprach, wie ich spreche, auch mein Gesicht fast gänzlich angenommen hatte.
Schon wollte ich ihn aufmerksam darauf machen, als er selbst sagte: »ich weiß nicht – ich komme mir vor, wie ihr mir vorkommt.«
Wir besahen einander wechselsweise mit und ohne Spiegel, und ich empfand eine große Freude über diese Erscheinung: denn der Mühlknecht schrieb sie der innigen Freundschaft zu, die er zu mir gefaßt.
Ich verwunderte mich übrigens nicht mehr so sehr, als mir die Geschichte einfiel, wo einer, der Jahre lang gar oft voll Sehnsucht das blaue Auge seiner Geliebten ansah, nach und nach statt grauer Augen auch schöne himmelblaue erhielt.
Auch fiel mir die Beobachtung ein, daß Eheleute, die lange mit einander leben, endlich einander auch ganz im Gesichte ähnlich werden, item alte treue Bediente ihren Herrn.
Warum könnte, dacht' ich, durch nur zufällig auf einmal eintreffende Erfordernisse, die sonst nur nach Jahr' und Tagen sich fanden, und die oft nur sich halb berührten, so was nicht plötzlich und komplett entstehen? Auch dacht' ich, die Sehnsucht, die Liebe, der Wille des Menschen ist ja allgewaltig, und hat, nicht bei allen, doch bei wenigen Menschen gänzliche Gewalt über alles Leibliche.
Derselbe Wille, Sehnsucht, Liebe, hat den Körper gestaltet, und gab den verschiedenen Teilen die Richtung, wie der Magnet dem Eisenstaube.
Dieselbe Sehnsucht, Liebe, wirkt auf das Kind im Leibe der Mutter, und gibt ihm, da seine Sehnsucht noch zu schwach ist, einer mächtigern zu widerstehen, das Gesicht der Mutter, des Vaters, oder eines Bildes, das die Mutter sehnsüchtig anschaut. –
Der Mühlknecht aber sprach weiter: »Eine von den Sagen, deren man sich viele in dieser Stadt erzählt, ist folgende:«
Es waren einmal zwei Leute allhier in dieser Stadt, die fanden großes Wohlgefallen an einander, und verbanden sich somit ehelich.
Gleich nach der Brautnacht aber hat sich begeben, daß der Mann die ihm einst so lieblich geschienene Frau nicht mehr entfernt leiden konnte, auch immer behauptete, sie habe das abscheulichste Affengesicht.
Darüber wurde das Weib gar traurig, wandte auch alle Mittel an, sich dem Manne angenehm zu machen, aber alles blieb vergebens.
Nun hat die Hausmagd eines Tags den Strohsack, welcher im Bette der Leute lag, frisch aufgefüllt, da hat sie im Stroh eine Puppe gefunden, die war gar ungestalt und scheußlich anzusehen, die hat sie mit viel Verwunderung den Leuten gebracht. Da hat der Herr gesprochen: so und nicht anders kam mir zeither mein Weib vor, nun aber seh' ich sie wieder liebenswürdig und schön, wie ich sie vormals sah.
Und von der Zeit an hat der Mann das Weib wieder ohne Maß geliebt. Die Puppe aber wurde ins Feuer geworfen, und woher sie gekommen, konnte man nie in Erfahrung bringen. –
»Derlei Geschichten nun,« sprach der Mühlknecht weiter, »erzählt man sich in Menge in dieser Stadt; auch ist sie voll Pietisten, Separatisten, Schatzgräbern, Goldmachern und Geisterbeschwörern, die in verschlossenen Zimmern in Bäckerhäusern, bei Goldschmieden und in einsamen Herbergen ihr Wesen treiben.« –
Es war mir die Stadt gar wohl bekannt, da ich in ihr geboren, und meine Jugend in ihr verlebt; ich hatte aber, was der Mühlknecht jetzt in Worten aussprach, in ihr sonst nur geahnet, wenn ich in stiller Mitternacht auf den weiten Marktplatz herniedersah, oder nächtlich durch die verlassenen Straßen ging, und mir dann unwillkürlich gewisse Ortsbenennungen einfielen, als: »hinter dem alten Schlosse, in dem Hexengäßchen, hinter der Gruft, im Rittersaale.«
Der Mühlknecht war auf seinem Bündel eingeschlafen, ich aber begehrte Licht und ließ mir eine Schlafstätte anweisen.
Man führte mich unter das Dach in eine kleine Kammer, darin war nichts zu sehen, als eine große Bettstelle mit hohem gemalten Himmel, ein alter Lehnstuhl und ein Spinnrocken.
Der Mond warf über die Dächer her hellen Schein in die Kammer, die ein kleines Fenster hatte.
Ich setzte meine Lampe zurecht, legte mich auf mein Lager, und las die Historie so ich bei jener Liederbude erkaufte, und die also lautete:
Das Nachspiel der fünften Schattenreihe, oder schöne neue Historie von einem Maler, genannt Andreas, und einer Kaufmannstochter genannt Anna
Es war einmal in der Stadt Brenau ein junger Maler, genannt Andreas, der war, wie die meisten Künstler, ein armer Teufel, doch erhielt er sich so gut er konnte, damit, daß er in den reichen Kaufmannshäusern der Stadt die Kinder im Zeichnen und Malen unterrichtete.
Nun hat sich begeben, daß ihn eines reichen Kaufmanns Tochter, genannt Anna, sehr lieb gewann, und er auch ihre Liebe gar gerne erwiderte: denn sie war überaus schön und wohlerzogen.
Sei es nun, daß die Eltern der Anna den Gegenstand der Liebe ihrer Tochter errieten, oder sonst dem Jünglinge nicht gut waren, es wurde ihm eines Tags angekündigt: daß die Anna seines Unterrichts nicht mehr bedürfe.
Darob empfand Andreas, wie auch die Anna, gar großen Schmerz.
Dadurch aber wurde das Band nur fester geknüpft; sie veranstalteten geheime Zusammenkünfte auf denen Bergen und in den Wäldern, so dem Landgute des Kaufmanns nahe; auch kamen sie nächtlich oft auf einem alten Schiffe, das verlassen und unbrauchbar am Ufer stund, und dem Kaufmann angehörte, zusammen.
Ohnweit dem Landgute des Kaufmanns aber, bei einer Waldkapelle, legte Andreas öfters ein Brieflein nieder, wenn er einige Tage hindurch nicht die Gelegenheit gefunden hatte, seine liebe Anna zu sprechen.
Andreas an die Anna
1.
Liebes Mädchen! sahst du nicht wie gestern
Ich auf hohem Berge lang gelegen,
Blickend auf das weiße Kreuz im Tale,
Das die Flügel deines Fensters bilden?
Glaubt' ich schon, du kämst durch's Tal gewandelt,
Sprang ich auf, da war's ein weißes Blümlein
Das sich täuschend mir vors Auge stellte.
Lange harrt' ich, aber endlich breiten
Auseinander sich des Fensters Flügel,
Und an seinem weißen Kreuze steh'st du,
Berg und Tal ein stiller Friedensengel.
Vöglein ziehen nah' an dir vorüber,
Täublein sitzen auf dem nahen Dache,
Kommt der Mond, und kommen alle Sterne,
Blicken all' dir keck ins blaue Auge.
Steh' ich einsam, einsam in der Ferne,
Habe keine Flügel hinzufliegen,
Habe keine Strahlen hinzusenden,
Steh' ich einsam, einsam in der Ferne!
Gehst du, sprech' ich mit verhaltnen Tränen:
Ruhet süß, ihr lieben, lieben Augen!
Ruhet süß, ihr weißen, weißen Lilgen!
Ruhet süß, ihr lieben, lieben Hände!
Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel,
Sprachen's nach die Blumen in dem Tale.
Weh! o weh! du hast es nicht vernommen!
2.
Sage mir, mein liebes Mädchen!
Was bedeutet dieser Traum?
Steht vorm Fenster meiner Zelle
Halbverblüht ein Rosmarin.
Träumte mir: es sei aus ihm heut
Schnell ein Rosenstock gesprossen,
Voll der düftereichsten Rosen,
Hätt' sich auch ein Lorbeer grünend
Um den Rosenstock gewunden.
»Rosmarin ist Wehmut, Trennung,
Rosen deuten Lieb' und Freude,
Lorbeer deutet Ruhm und Sieg.«
Darum fülle, blaues Auge!
Dich fortan nicht mehr mit Tränen,
Laß allein mein dunkles Auge
Still umwölkt in Tränen steh'n.
Darum blicke, blaues Auge!
Nimmer trübe an den Himmel,
Sieh! sonst blickt er wieder trüb.
Und wohin kann ich noch schauen,
Als gen Himmel, wenn ich nimmer
In dein Auge schauen kann?
3.
Blick' aus deinem Fenster, Liebe!
Schaue über die blauen Berge:
Denn dort will ich an den Himmel
Dir ein licht' Gemälde malen.
Steigen aus der Näh' und Ferne
Hohe Berge an den Himmel,
Stürzen helle, kühle Quellen
In ein blumigt, grünes Tal.
Stützt der Wanderer im Tale
Auf den Stab sich, einzuatmen
Jugend, Freiheit, Liebe, Kraft.
Steht gelehnt an einen Felsen,
Unter Laub und Rebenblüte
Dort ein kleines Haus verborgen,
Steh' ich vor dem kleinen Haus.
Kommt vom Bache, Kräuter tragend,
Dort ein liebes, junges Wesen,
Bist du es – die Meine längst.
Ist kein Lauscher mehr zur fürchten,
Drück' ich dich, du süßes Wesen!
An ein treues Herz voll Liebe,
Offen vor des Himmels Aug'.
Aber weh! o wehe Mädchen!
Siehst du dort nicht jenen Raben?
Ächzend fliegt er durch den Himmel,
Und verlöscht mit schwarzem Fittig
Mein Gemälde, weh! o weh!
Dieser geheime Umgang der Liebenden aber konnte den Eltern der Anna nicht lange verborgen bleiben. Der Vater brachte es durch Ränke bald dahin, daß Andreas genötigt war, sein Glück in einem fremden Lande zu versuchen, auch tat er einen Schwur, nie diese Liebe zu billigen.
Der Tag der Trennung war gekommen, es umarmten sich die Liebenden zum letztenmale mit vielen Tränen, und gab da jedes dem andern ein schwarzes Band, das es als Wahrzeichen seiner Liebe auf dem Herzen tragen solle. –
Andreas schiffte mit bangem Mute dahin. Die Berge und Täler seiner Liebe verschwanden bald seinen Blicken, und keine Düfte heimatlicher Blumen wehten ihm mehr zu; da fiel er weinend auf dem Verdecke nieder, und schlief ermattet ein. Des andern Tages aber gab er einem vertrauten Schiffer, der in seine Heimat zurückkehrte, folgende Zeilen an seine Anna mit:
Bin ich wie ein Kind, das seine Mutter
Erst verloren, weinend in der Nacht steht;
Sieh! so bin ich seit ich fern gezogen.
Stund im Traum ich heut' auf unsrem Berge,
Blick' ich in das tiefe Tal hernieder,
Such' dein Haus ich, aber find' es nimmer.
Seh' ich eine einsame Kapelle,
Auf der Stelle, wo's gestanden, stehen,
Tret' ich in die heilige Kapelle.
Hallet lange jeder meiner Tritte
Im verlassenen Gewölbe wieder;
Blicken ernst und fragend mich die heil'gen
Bilder an von den geweihten Wänden.
Tret' ich vor den Hochaltar, zu beten,
Knieest du in einem weißen Kleide
Bleich auf schwarzem Teppich vorm Altare,
Lilien und Tulpen um dich her.
Steht der Rosenstock zu deinen Füßen,
Blütenreich vom Lorbeer schön umwunden, –
Kehr' ich nie aus der Kapelle wieder.
Die Anna war nicht minder in Trauern versunken; wie leer stunden ihr jetzt die Berge voll Blumen und Kräutern, wo ihr geliebter Andreas nicht mehr von ihnen auf sie niedersah.
Oft ging sie in den Garten, und sah da die Blumen an, und spielte mit ihnen; doch bald traten ihr dann die Tränen in die Augen, und rings verschwanden ihr die Blumen.
Das schwarze Band hatte sie fest auf dem Herzen liegen, und drückte es ihr fast das Herze ab.
Oft setzte sie sich in die Blumen nieder, und sang:
Schwarzes Band, o du mein Leben!
Ruh' auf meinem Herzen warm;
Liebe hat dich mir gegeben,
Ohne dich, wie wär' ich arm!
Fragt man mich, warum ich trage
Dieses schwarze schlechte Band,
Kann ich's nicht vor Weinen sagen:
Denn es kommt von Liebeshand.
So ich sollte ruhig schlafen
In dem Bettlein, kann's nicht sein;
Habe stets mit dir zu schaffen,
Schwarzes Band! du liebe Pein!
So ich sollte zu mir nehmen
Etwas Speise oder Trank,
Kann ich nicht vor lauter Grämen
Sagen Dank: denn ich bin krank.
Krank sein, es nicht dürfen klagen,
Ist wohl eine schwere Pein;
Lieben, es nicht dürfen sagen,
Muß ein hartes Lieben sein!
Andreas war nun im fremden Lande angekommen. Ach! wie zog es ihn nach den Bergen seiner Heimat zurück! Fremd ging er unter den fremden Menschen umher. Kalt blieb er allen, und kalt blieben ihm alle: denn er dachte ja nur an seine liebe Anna. Kein Gewühl war so groß, nichts ihm so neu, daß er dadurch nur einen Augenblick die Töne und Bilder aus seiner Heimat hätte vergessen können.
Fest trug er das schwarze Band auf sein Herz gedrückt, es machte ihm so bange, und doch trennte er sich nie von ihm.
Die Anna hatte indes jene Zeilen durch den Schiffer erhalten, und sich des Traumes hoch erfreut: denn der Tod war ihr einziger Wunsch, und sie beklagte nur, nicht an der Seite ihres Andreas begraben zu werden. Der Herbst war jetzt gekommen, die Blumen erstarben auf Berg und im Tal. Sie hatte ihr Band noch fester auf das Herz gedrückt, und stund bleich und abgehärmt im Garten unter den welkenden Blumen da.
Aber als nun voll alle Blumen verschwunden, ihre einzigen Gespielinnen, die Zeugen ihrer Liebe – da brach ihr Herz. In der Waldkapelle verschied sie vor dem Hochaltare im Gebet.
Zu derselben Zeit ging Andreas am Ufer hin und blickte ins Land seiner Heimat hinüber. Grenzenlose Sehnsucht faßte ihn. Es war ganz in ihm das Gefühl aufgegangen, daß er heute noch Botschaft von seiner Anna erhalten werde.
Es bewegte sich am Horizont etwas, das er für ein Schiff hielt, es kam näher, da war es ein Rabe, der flog in das Land hinein. Er weilte bis zur Nacht, dann ging er nach Hause. Er trat in sein Zimmer ein, er setzte sich weinend nieder da berührte ihn eine kalte Hand. –
Sein Herz brach; er fühlte, daß die Stunde seines Todes gekommen, und beklagte nur, nicht an der Seite seiner Anna begraben zu werden.
Er ging ruhig im Zimmer hin und her, machte alles wie zu einer Abreise bereit, bestellte einen Mann, der seine schwarze Truche des andern Morgens zu Schiffe führen sollte, und gab vor, er werde diese Nacht abreisen. Als dies alles bestellt, machte er an den Vater der Anna eine Aufschrift auf die Truche, bekleidete sich mit Sterbekleidern, und legte sich in die schwarze Truche nieder, worauf der Deckel über ihm zusammenschlug, und er noch in dieser Nacht seinen Geist aufgab.
Des andern Morgens kam der bestellte Mann, versiegelte die Truche, und führte sie zu Schiffe.
Der Wind wehte günstig, das Schiff segelte schnell mit seiner Leiche der Heimat zu.
Die schwarze Truche kam an, der Kaufmann hoffte in ihr längst erwartete Güter; schnell riß er sie auf – Meine Lampe erlosch.