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Waldgebirge wie im ersten Akt. Morgen.
Simon. Miriam.
Simon (nach rückwärts schauend).
Nicht eine Spur von ihr! Vergeblich Suchen!
Der Kampf dringt schon herauf bis an den Berg;
Jeroboam soll flüchtig sein, der König
Wird siegen, aber Sulamith ist tot. –
Miriam.
Du meine arme, schwerbetörte Schwester,
Hätt'st du ihn nie gesehn, kein solches Leid
Wär' über dich und dieses Land gekommen! –
Doch, was der Herr tut, das ist wohlgetan.
Wenn sie nur lebt! Wenn sie nur aus den Trümmern
Hervorkommt! – Alles andre ist uns gleich.
Simon.
Schau' an den roten Nebel! Das sind Flammen.
Jerusalem, so dünkt mich, steht in Brand.
Komm', flüchten wir dein Kindlein in die Grotte
Und retten wir uns selbst. Komm', folg' mir nach.
Sulamith
(verstört aus der Tiefe kommend).
Sie sind entsetzt? Warum sie denn nicht lachten!
Ins Feuer schaut sich's wunderschön hinein. –
Die Flammen prasseln, und die glüh'nden Balken,
Wie goldne Pfeiler, stürzen lustig ein. –
Ich hab' gelacht. Denn nichts, was ist, soll dauern,
Einstürzen soll's, verderben und vergehn!
Was heut besteht, soll morgen schon zerfallen! –
Nur eins ist für die Ewigkeit gemacht:
Die Scham. –
Was ist ein Mensch? So hab' ich einst die Frage
An ihn gestellt, der wert der Frage schien. –
Nichts! – Es ist Torheit! – Darf ein Weib auch denken?
Ihm war ich nur ein Weib und sonst nichts mehr! –
Ja, Scham, was sind die glutverzehrten Balken,
Die glüh'nden Steine von Jerusalem
Vor deiner Glut? – Du brennst auf meinen Wangen
Mich schmachvoll – Oh, es hilft ja nur der Tod! – –
Der Tod kam nicht. Durch brennende Ruinen
Mit offnem Haar und flatterndem Gewand
Schritt ich hindurch; – den Falter sengt die Flamme, –
Mir war sie nur die Fackel meiner Schmach.
Die Wände stürzten und die Balken krachten,
Es war, als wär's der letzte Tag der Welt, –
Ich schritt durch alles, hörte nur die Stimme
Im Ohr: »Ich kenne keine Sulamith,« –
Ein Becher klirrte, und es war mein Leben
Verschüttet wie der Wein, von dem er trank. –
(Versinkt in Gedanken.)
Der Tod nur hilft. Du mußt dich endlich fassen.
Zu deiner Schwester kannst du nie zurück,
Zu Simon auch nicht. Wenn sie dich verachten, –
Und wenn sie's ahnen, müssen sie's wohl tun, –
Geschieht dir nur dein Recht. Du hast den Vater
Betrogen, als er sterbend vor dir lag,
Du hast die ganze Welt um ihn vergessen, –
Und jetzt vergißt dich er, – geh in den Tod!
Jeroboam aus der Tiefe herauf. Sulamith.
Jeroboam.
Mein Fuß erlahmt. Kann ich sie denn nicht finden?
Bei Gott, sie selbst! Doch welch ein rührend Bild!
Mein Haß versinkt, und wie auf Morgenwolken
Steigt Jugendliebe schön aus tiefster Brust. –
Ich kenne dich, ich fleh' um keine Antwort,
Ich weiß, du bist für mich ein Bild von Stein.
Wir beide sind vernichtet und betrogen,
Du in der Treue, aber ich in dir.
Es gibt noch eine Brücke, die den Abgrund,
Der zwischen uns heraufgähnt, rasch verdeckt.
Er triumphiert, er folgt mir auf den Fersen,
Ich bin der blut'ge, totgehetzte Hirsch,
Der noch ein Kraut sucht, das ihn vorm Verschmachten
Errettet und erquickt, – gib mir die Hand!
(Sie läßt ihm die Hand eine Weile.)
Ich sage nicht: »Beginn mit mir das Leben!«
Für uns gibt's keinen Anfang mehr, jedoch
Ein zweites Leben gibt's noch, ein Vergessen,
Ein Dulden, ein Verzeihn, das gibt es doch. –
(Waffenlärm.)
Sulamith.
Jeroboam (finster).
Sie sind mir nah –
Sulamith (rasch).
Du mußt dich retten!
Ich will dich nicht verderben, nein, o nein!
Weh, wenn er's wär'! Ich kann ihn nicht erblicken.
Du weißt den Weg. Ergreifen wir die Flucht!
Jeroboam.
O Dank, daß du so sprichst! Komm, wie die Gemsen
Am Abgrund hin, erklettern wir den Berg;
Wir wollen nur in Höhlen übernachten,
Mein Schwert ist Schutz genug im fremden Land.
Sulamith.
So geh voran.
(Während Jeroboam links die Felsen hinansteigt.)
Am Abgrund wie die Gemsen? –
Jeroboam, dies Wort gab Gott dir ein! –
Du glaubst vielleicht, mein Fuß sei ausgeglitten,
Und rettest dich allein ins fremde Land. –
Für mich lebt nichts mehr!
(Steht still.)
Jeroboam (sich wendend).
Nun, warum das Zaudern?
Du schwindelst?
Sulamith
(die an den Rand getreten ist).
Nein, der Abgrund ist so schön! –
Man denkt dabei an viel. Man schaut die Nebel
Der Kindheit wieder, – wilde Rosen blühn, –
Verzeihst du mir, Jeroboam?
Jeroboam.
Nun, Mädchen,
Was wirfst du denn solch einen dunkeln Blick
Hinab, als hätt'st du all mein Glück begraben?
Sulamith.
Nicht deins, nur meins und mit dem Glück mich selbst.
(Mit ausgebreiteten Armen.)
Ich lieb' ihn doch, und er hat mich betrogen. –
Leb' wohl, du schöne Sonne dieser Welt!
Bedeckt mich, Berge, öffnet euch ihr Tiefen
Des Libanon und schmettert mich hinab!
(Stürzt sich hinab.)
Jeroboam (zur Stelle springend).
Halt ein! Zu spät! – Nun ist es Pflicht zu sterben. –
Doch wie?
Salomo. Memnon. Trabanten. Jeroboam.
Memnon (rufend).
Dort steht er selbst, seht ihr? Am Baum!
Jeroboam (sein Schwert schwingend).
Ha, kommt ihr schon? Jetzt messen wir die Waffen!
Blut gegen Blut! Es ist ein schöner Tag!
Salomo.
Verschont ihn! Er soll leben!
Jeroboam.
Deine Großmut
Kommt längst bei mir zu spät, ich such' den Tod!
Salomo.
Ich schone dich, ich schenke dir dein Leben!
(Zu seinen Begleitern.)
Hat niemand noch die Spur von Sulamith?
Jeroboam.
Die du beschimpft, verraten und verleugnet?
Ich weiß die Spur. Beschau' dir jenen Dorn,
Dort hängen noch die Fetzen von den Kleidern
Des armen Kinds, sie selbst liegt tief im Grund.
Doch wozu schwatz' ich? Macht einmal ein Ende!
Kommt an! Ich räche Sulamith und mich!
(Er stürzt sich in die Lanzen der Trabanten und stirbt. Fernes Jammergeschrei.)
Salomo (steht wie betäubt).
Unmöglich!
Memnon.
Herr! Ich hör' Geheul von Weibern.
Salomo
(indem er sich vor die Stirn schlägt).
Hinabgestürzt! O Memnon, und durch mich!
Memnon (zurückblickend).
Sie kommen schon; sie bringen eine Leiche.
Simon, Miriam; hinter ihnen wird Sulamiths Leiche auf Baumzweigen gebracht. Die Vorigen.
Simon.
Ruft weh, ruft weh, ruft dreimal weh! Die Erde
Hat keine solche Blume mehr, wie sie!
Salomo (indem er darantritt).
Schweigt alle still! Nur einer darf hier trauern,
Nur einem ist mit ihr ja alles tot.
(Kniet zur Leiche.)
Ganz tot? O Mund, laß dich noch einmal küssen!
Ihr stummen Lippen und ihr lieben Augen,
Ihr lebt nicht mehr? Und Sulamith ist tot?
(Mit aufgehobnem Blick.)
Ich war nicht rein vor dir in meinem Wandel, –
Doch so hätt'st du nicht strafen sollen, Herr!
Für einen Rausch? Ein flüchtiges Vergessen?
Den Abfall einer Stunde ewig tot?
Ich hatte alle Herrlichkeit der Erde,
Die goldne Krone, Schwert und Königsstuhl,
Besitz und Reichtum, Herrscherglück und Freude,
Und selbst mein Urteil pries der Mund der Welt.
Ich stand so hoch, daß ich beinah die Sterne
(Posaunen)
Als Krone trug, jetzt kommt mein tiefster Fall. –
Was blast ihr Sieg? O Eitelkeit der Erde!
Nehmt alles hin, denn Sulamith ist tot! –
(Er sinkt über die Leiche.)