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Hans Unstern

Hans Unstern machte seinem Namen alle Ehre. Was er schob, lief schief; was er hob, stand krumm; was er säte, ging nicht auf. Kurzum, er war ein Pechvogel, von welcher Seite man auch seine Federn betrachten mochte. In dem Augenblick, wo wir anfangen, uns mit seinem Geschick zu beschäftigen, war er ein Mühlenbesitzer. Aber, gerechter Himmel, wie sah die Mühle aus, die Hans aus einem Konkurs übernommen hatte! Die vier Eckpfosten des windschiefen Gebäudes waren morsch und kaum noch imstande, die Hypotheken zu tragen, die auf dem Bauwerk lasteten. Das Wasserrad schwankte wie betrunken um seine Achse, und wenn es den dünnen Wasserfaden, der aus dem Holzzulauf in seine Kammern schoß, nicht aufzufangen vermochte, so schlug es an die ewig feuchte Giebelseite des Hauses und lockerte die hölzernen Verzapfungen, die vorläufig noch die Riegelwände notdürftig genug zusammenhielten. Da das Anwesen in einem engen Tale lag und noch unterhalb eines Fahrweges, der nach dem Amtsstädtchen führte, so wußte alle Welt, daß es um Hans Unstern und seine Wirtschaft nicht gut bestellt war. Der Jude wußte es, der sein Vieh durchs Tälchen trieb, der Hausierer, der sich mit seiner Krätze auf dem Rücken nach den zerstreuten Bauernhöfen hinaufsuchte, und auch die heiratsfähigen Dirnen wußten es, die mit frommen Gebetbüchern in den Händen an der Mühle vorüber allsonntäglich ihren Weg nach der Kirche des benachbarten Pfarrdorfes nahmen.

Trotzdem es keinem von den Mädchen einfiel, dem Hans Unstern seine Not zu gönnen, so war er doch bei all den kleinen Schwerenöterinnen von der Liste der Heiratskandidaten abgesetzt, obwohl er als ein braver Mensch galt und offensichtlich ein schöner Bursche war. Wäre nicht der Volksglaube, nicht zu Hause der Vater und die Mutter gewesen, die sich anschlossen und immer wieder betonten, daß die Schulden hungeriger noch als ein Holzknecht mit aus der Schüssel äßen, wer weiß, ob sich nicht doch eine reiche Erbin gefunden hätte, die um des Burschen blauer Augen willen ihre Mitgift unter die schwankenden Mauern der Ruine gelegt und so das Ganze gestützt hätte.

Hans Unstern selber hatte kein Auge für die holde Weiblichkeit. Sein Denken und Fühlen erschöpfte sich darin, wie er dem Gerichtsvollzieher aus dem Wege gehen könne und den Mahnbriefen des Sparkassenverwalters. War des Morgens gegen zehn Uhr der Briefträger glücklich auf dem Fahrweg droben vorbeigeschritten, ohne nach Hansens Wohnung einzubiegen, so war es dem Burschen für vierundzwanzig Stunden leichter zumute, und er vergaß seine Pläne an ein Niederbrennen des afrikanischen Urwaldes oder an ein Walfischfangen und Speckbraten in den Fjorden von Spitzbergen und Nowaja Semlja.

In jener Periode sich immer erneuernder Verlegenheiten und ewig wechselnder Pläne, wie man den Zusammenbruch vermeiden könne, bemerkte Hans mit Verwunderung, daß nach den Eiern ausgerechnet seiner Hühner eine gesteigerte Nachfrage herrschte. War sein triefäugiger Eseltreiber mit den geduldigen Sackträgern auf den spitzen Rücken eben erst auf der Dorfstraße verschwunden, so pflegte sich im schlotternden Bau der klappernden Mühle des Huberbauers dralle Tochter einzufinden. Sie hatte zwischen den runden Busen und den rosigen Speckarmen ein Weidenkörbchen eingeklemmt und konnte sich nicht genug tun im Klagen über ihr boshaftes Federvieh, das genau mit dem Holunderblühen das Geschäft des Eierlegens eingestellt hätte.

Hans, um seinerseits auch etwas zu tun, bedauerte, daß es launenhafte Hühner gäbe, und stellte die eigenen als wahre Musterbilder von Fleiß und Gewissenhaftigkeit hin, womit er erreichte, daß er einerseits selber dem Mädchen sympathischer und andererseits das wenige Gute, was an der Mühle zu loben war, in ein gehöriges Licht gestellt wurde. Und seine kluge Berechnung täuschte ihn nicht. Die Tochter des reichen Huberbauern verdoppelte ihre Besuche unter den Dachpfannen ihres Nachbars, interessierte sich für Treibriemen, Champagnersteine und Malterkästen und, immer mehr ins kleine hinuntersteigend, zuletzt sogar für Hansens Bett- und Leibwäsche. Die Kragenweite von dessen Hemden schien sie lebhaft zu interessieren, und als sie messenshalber sich einmal auf die Zehen stellte und ihren Arm um des Müllers Nacken schlang, kam es zu einem ersten fast zufälligen Küssen.

Dieser Liebesbeweis, von dem jungen Manne mehr entgegengenommen als gesucht, gab Hansen viel zu denken. Ja, die Hubergertrud, wenn sie wirklich wollte, sie hätte in der Mühle alles zum Bessern wenden können. Mit ihrem Gelde konnte man die Löcher im Fachwerk der Riegelwände schließen, die Mahlgänge erneuern, das Wasserrad ausbessern und einen kleinen Stausee anlegen, daß man nicht mehr von jedem Gewitterregen abhängig war und des Nachts aufstehen mußte, um die Stellfalle zu ziehen, wenn sich nur ein Wetterleuchten durch die blinden Scheiben stahl. Aber war denn das nicht Wahnsinn, was ein Unglücklicher sich da zusammenphantasierte? Konnte man vernünftigerweise glauben, daß ein Mädchen mit gesunden Sinnen sein schönes Geld in den Schlund eines verkrachten Unternehmens hineinwerfen werde? Welche Bürgschaft für ihren Edelmut hatte er denn? Einen Kuß, die unüberlegte Berührung menschlicher Lippen in einem von der Sinnlichkeit beherrschten Augenblick. Das war kein Untergrund, auf den man ein Haus bauen konnte. Im übrigen, was sollte Hans Unstern sich mit Nachdenklichkeiten grübelnd den Kopf zerbrechen? Wenn es der Hubergertrud ernst war, den verschuldeten Müller mit samt seinem Anwesen aus der Tiefe zu heben, dann würden sich schon Mittel und Wege finden, sich deutlicher zu erklären; im andern Falle, in weitem Bogen die Mühle zu umgehen.

Gertrud war eine ganze Woche lang nicht auf dem Pflaster von ihres Vaters Hofreite zu sehen. Man munkelte im Dorfe, sie sei krank, andere sagten, weil im Gersprenztale drüben ein reicher Erbe wohnte, der in den Jahren war, daß er eine Frau brauchen konnte. Hans Unstern hörte die beiden Ansichten von Leuten vorgetragen, die ihr Korn nach seiner Mühle brachten, und obwohl er kein Menschenkenner war und in Liebessachen keine Erfahrung hatte, so beherrschte ihn doch das Gefühl, daß Gertrud sich aus dem Grunde nicht zeige, damit er ihr nachgehen und sie suchen sollte. Welch' ein Triumph für die weibliche Eitelkeit, wenn sie dann die Empörte spielen und einen heimschicken konnte, der den Unterschied außer acht ließ, der zwischen einer reichen Huberstochter existierte und einem Bachmüller, den der nächste Gewitterregen hinunterschwemmen konnte in den Strom hinein. Der Bachmüller hatte kein Geld, aber Stolz genug, um sich nicht als Spielball einer Weiberlaune gebrauchen zu lassen. Er wartete ab, wie sich des Großbauern Hühner zu der Herzensangelegenheit stellen würden. Sei es kurz gesagt, sie legten nicht ein einziges Ei, obwohl die Kirchweih in der Nähe war, und Gertrud mußte sich entschließen, nach der Mühle zu gehen, wenn die landesübliche Nudelsuppe am hohen Feiertage durch ihre Farbe verraten sollte, daß auf dem Huberhofs Schmalhans nicht Küchenmeister sei, und daß man an Eiern vor allem nicht zu sparen brauche. In der Mühle hatte man vor dem Feste alle Hände voll zu tun. Lies und Grete warteten auf das Mehl von ihrem Weizen, und jede Bäuerin behauptete, daß die beste Hefe und der heißeste Ofen ihrem Kuchen nichts helfen könne, wenn sie nicht den Vorlauf bekomme, den sie zum Backen unbedingt nötig habe. Trotz alledem und alledem fand Hans Unstern die Zeit, zuweilen nach dem Taubenschlag hinaufzusteigen und durch das Flugloch im Giebelfelde hinauszuspähen, ob Gertrud drüben auf dem Fahrweg sich nicht zeigen wolle mit dem Weidenkörbchen unterm Arme und den prallen Waden, die herausfordernd und selbstbewußt unter der Glocke des Faltenrockes alles niedertraten, was sich von Kraut und Gräsern ihr in den Weg stellte. Lange und oft hatte der Bursche vergeblich an jenem Samstag Ausschau gehalten; endlich, bei anschleichender Dämmerung, kam die Huberstochter doch noch. Das Unglück wollte es, daß im Mehlstaub der Mühle immer noch einige Weiber standen, die scharfe Augen hatten und unter Beihilfe der schwelenden Rübölfunsel, die unterm Durchzug pendelte, jede Liebesannäherung der jungen Leute erkannt und richtig eingeschätzt haben würden. Hans mußte also übel oder wohl seinen Besuch bis zur Hundshütte begleiten, die in der Ecke stand zwischen dem Backofen und der Mauer, die den Hof umzirkelte. Bevor sie noch so weit waren, daß Karo, von seiner Kette festgehalten, an den Knien seines Herrn emporspringen konnte, fühlte dieser an seinen Schenkeln den weichen Gegendruck von der Hüfte seiner Begleiterin. Diese Berührung, so intensiv sie auch war, konnte Zufall sein, vielleicht veranlaßt durch einen Stein, auf den der Fuß des Mädchens geraten war. Hans wagte nicht, auf diese Offensive zu reagieren. Als sich aber das Manöver wiederholte, faßte er nach Gertrudens Hand und fühlte alsbald seine fünf Finger von fünf anderen weich umschlossen und gedrückt. Seiner Sache sicher geworden, versuchte er eben den Arm um Gertrudens Taille zu legen, als das Knurren des Hundes ihm den Gedanken nahelegte, daß noch ein weiterer Mensch in der Nähe sein könne. Der Müller sah sich um und gewahrte, wie hinter ihnen drein eine Schustersfrau geschritten kam, die ein Paar Stiefel in der Küche abgegeben hatte.

»Seid Ihr bezahlt?« fragte Hans, indem er sich umwandte.

»Ja,« entgegnete die Angeredete, »und Ihr habt nun frische Sohlen unter den Füßen, mit denen Ihr zehn Nächte durchtanzen könnt, wenn Ihr so lange braucht, um Euch ins Bett Eurer Begleiterin hineinzutanzen. Über die Kirmeßzeit möge der Himmel Euch jungen Leuten helle Tage und dunkle Nächte schenken.«

»Eine alte Närrin,« flüsterte Gertrud, und sie fuhr fort: »Aber du kommst doch auf den Tanzboden?«

»Gern,« antwortete Hans, »und ich werde das Gerede der Leute nicht scheuen und mit dir den ersten Walzer tanzen, wenn du den Mut hast, mir ihn zuzusagen.«

»Ich – warum sollte ich nicht tun dürfen, was mir beliebt? Aber jetzt laß uns auseinander gehen, und auf Wiedersehen dann morgen!«

Zu einer Umarmung war es nicht gekommen. Noch standen zwischen den Maltersäcken zu viele Personen herum, die sich vielleicht für das interessieren konnten, was Hans und Gertrud miteinander anfangen, wenn sie sich selbst überlassen sind. Übrigens verlor das Pärchen an einem verunglückten Heute nicht viel, was nicht an einem glücklicheren Morgen eingebracht werden konnte. – – –

Die Nacht war vorüber. Phantastisch herausgeputzte Jungburschen waren auf bekränzten Leiterwagen ausgezogen, um die Musikanten ins Dorf zu holen. Über dem Giebel des Rathauses schwankte unter einem Fichtenbaum ein buntgeschmückter Kranz im Winde. Schüsse tönten nach der Mühle herüber, und die Orgel einer Reitschule erfüllte das Tal mit den Melodien uralter Gassenhauer. Aus den weitgeöffneten Wirtshausfenstern jubelte die Klarinette gleich einer Lerche über die Felder hin, die Trommel wirbelte und der Brummelbaß schnurrte seine grunzenden Töne in alle Bauernhöfe hinein. Hans Unstern hörte dies alles in seiner abgelegenen Klause, und es wurde ihm eine Mahnung, seines äußern Menschen zu gedenken. Er nahm einen Spiegel von der Wand, setzte sich in Hemdärmeln davor und fing an, sich zu rasieren. Als er damit fertig war, gefiel er sich selber, und mit einem Male begriff der sonst so bescheidene Hans recht wohl, daß er auch andern Leuten gefallen konnte. »Muß denn alles nur mühsam erworben werden,« sagte er zu sich selber, »kann nicht auch einmal ein Mensch in sein Glück hineinschlüpfen, wie ich jetzt in meine Sonntagshosen?« Und er zog die Unaussprechlichen an seinen Beinen hoch und sah an ihnen nieder, ob sie in schönen Falten auf seine Schuhe fielen. Nein, schon des Aufsehens wegen würde er nicht alle Touren mit Gertrud tanzen, fuhr er fort zu phantasieren. Die sollte etwas zu bewundern haben, wenn sie ihn im Strudel der Paare ruhig treiben sah. Nur toben und stampfen wie die Bauernburschen, das wollte er nicht. Hatte er doch eine Fortbildungsschule durchgemacht und war bei einem Oberlehrer in Pension gewesen.

Als er seinen Hut ausgebürstet und verwegen aufs Ohr gesetzt hatte, schritt er über das Wiesental hinüber und dem Fahrweg entgegen. Zwischen den Haselnußstauden hindurch, die auf der Böschung standen, gewahrte er ab und zu den hellen Schein eines bunten Sommerkleides. Bald auch sah er einen weißen Sommerhut mit flatterndem Bande, und als er erst den Fahrdamm erstiegen, stand Gertrud leibhaftig vor ihm und hatte sich, ehe er nur noch abwehren konnte, in seinen Arm gehängt. Eigentlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie dies gesuchte Zusammentreffen mit Blumensuchen oder Beerenpflücken ein wenig überschleiert hätte, allein, wenn die Sache doch nach dem Standesamte hintrieb, so hatte er auch nichts dagegen einzuwenden, wenn die Huberstochter den Stier der öffentlichen Meinung bei den Hörnern packte und ihm zurief: »Ja glotze nur, Untier, wer im Dorf die Reichste ist, wird tun und treiben können, was ihr beliebt.«

Lassen wir den Kirchweihtrubel mit seinem Kegelgerappel, seinem Reitschulgedudel und seinem Hurrageschrei, wir hören dann um so deutlicher, wie die Leute sagen: »O Jesu mein, die Hubergertrud! Wer hätte auch so was von dem Mädel gedacht. Sich einem an den Hals zu werfen, dem es durch die Dachpfannen regnet, dem der Krämer keinen Hering pumpt und der Schmied keinen Hufnagel. Außer dem Abendmahl, das ihm der Pfarrer reicht, bekommt er nichts mehr, wenn er nicht das Geld auf den Tisch legt. Bald sind die Ratten das größte Vieh, was er noch ernähren kann.«

Alle diese Redereien waren ebensowohl zu Hansens Ohren gedrungen wie zu denen der Huberstochter. Beide schlugen sie in den Wind. Der erstere war damit beschäftigt, seiner demnächstigen Hausfrau ein behagliches Heim zu schaffen. Meuchlings fast hatte sich bei ihm der Kredit eingestellt, und Schreiner, Maurer und Zimmerleute arbeiteten vertrauensselig in der Mühle, als ob sie der Palast vom Morgan wäre. Die künftige Müllerin aber hatte ein Konzil von Näherinnen um sich versammelt, die bis über die Ohren hinaus im Schirting und Zitzkattun steckten und Fingerhut und Schere wie zuckende Blitze herüber- und hinüberwarfen. Die alte verärgerte Huberbäuerin ließ sich im Hause nicht mehr sehen. Sie hatte den Schlüssel zum Geldschranke auf den Tisch geworfen, und Jude und Hausierer waren die Verwalter ihrer Butterkreuzer geworden.

So war denn unter mancherlei Mißhelligkeiten der Tag der Hochzeit allmählich herangerückt. Hans Unstern hatte sich ins Haus seiner Braut begeben und stand in seinem Hochzeitsanzug da herum wie der Rechen in der Staatsstube. Er schien das unnötigste Ding auf der Erde zu sein. Während alle Hände an Gertrudens Kleidung herumsteckten und nestelten, lag er wie ein alter Kalender unbeachtet in einem ledergepolsterten Sorgensessel und vertrieb sich die Zeit mit Fliegenfangen, bis er plötzlich von zwei Händen an den Schultern unsanft gefaßt und energisch geschüttelt wurde. Seine Braut war's, die sich schon als Gattin zu fühlen schien und ihm geräuschvoll genug ins Ohr schrie: »Mensch, unseliger, ei so sei doch nicht wie ein Stück Holz, das der Regen in den Hof gespült hat. Nimm dich deiner Sache ein wenig an. Laß einspannen. Du weißt doch, daß wir vor der Trauung noch zum Notar hin müssen, um den Ehevertrag in Ordnung zu bringen.«

»Du weißt doch!« Wie dieses Wort den armen Bräutigam in Verwirrung brachte. O, das verdammte Sprüchlein. Immer stellt es sich ein, wenn man gar nichts weiß. Was wußte Hans Unstern von einem Notar und einem Ehevertrag, und wozu sollte der letztere sein? Man heiratete doch, um sich einander ganz anzugehören mit Hab und Gut, mit Leib und Seele. Wozu noch einen Rechtsverdreher, der verklausulierte Vorbehalte protokollierte, damit sie späterhin einmal gegen den Dummen, der sie sich hatte aufhalsen lassen, geltend gemacht werden. Oder war diese Vorsicht geboten, weil man ja auch mit der Möglichkeit eines Sterbfalls zu rechnen hatte?

Der letztere Gedanke beruhigte den Bräutigam einigermaßen wieder, und er ging nach den Ställen seines Schwiegervaters, um die Pferde aufschirren zu lassen. Bald war das Fuhrwerk hergerichtet, und Schwiegermutter, Gevatter und Gevatterin, Onkel und Tante, sogar ein Winkeladvokat oder Ferkelstecher genannt aus dem Amtsstädtchen saßen darauf, so daß für Braut und Bräutigam kaum noch ein Plätzchen übrig blieb. Doch es kamen die beiden noch eben unter, wenn auch in einer etwas bedrängten Lage. Aber wer läßt sich ein Drücken nicht gerne gefallen, wenn man von Geschlecht verschieden, noch jung ist und in einen sonnenhellen Frühlingstag hineinfährt. Hans hätte stellenweise singen und laut aufjubeln mögen, wenn nicht die alten Leute auf dem Wagen gar so griesgrämige Gesichter gemacht und sich mit bedeutungsvollen Rippenstößen untereinander zu verständigen gesucht hätten. In dieser Beziehung zeichnete sich besonders der Winkeladvokat aus, der mit Augenrollen und Kopfschütteln lange Reden hielt, wie ein Staatsanwalt, der einen Raubmörder zu überführen hat. Unserm Freund war der Mensch, der nicht einmal ein Festgewand angelegt hatte, wie ein Kaffeeflecken auf einem Tafeltuch äußerst unsympathisch, und er hätte viel Geld darum gegeben, wenn er ihn sich hätte von seinem Hochzeitstage hinweg und in eine vorchristliche Vergangenheit hinein denken können.

Trotz aller frommen Wünsche übrigens war man mit ihm behaftet vor dem Hause des Notars angekommen, und die Völkerwanderung ergoß sich in eine braunangeräucherte Schreibstube hinein, wo vor einem wurmstichigen Pulte ein kahlköpfiger Notar stand und durch eine stark gebuckelte Hornbrille hindurch seitlich nach der Tür schielte, offenbar um zu erfahren, ob denn das Ende der Prozession noch nicht bald gekommen sei. Als die Tür hinter dem Ferkelstecher in die Klinke gefallen war und die Zugluft des Notars spärliche Lockenhaare nicht mehr in Bewegung erhielt, begann der letztere mit einer pappdeckelnen Amtsstimme gewohnheitsgemäß herunterzuleiern:

»In meiner, des großherzoglichen Notars Amtsstube erschienen heute die mir nach Namen und Aussehen bekannten Brautleute, und zwar der Mühlenbesitzer Hans Unstern von Hintervorderhausen nebst der ehlich ledigen Hofbesitzerstochter Gertrude Huber von ebendaher und erklären vor mir, als der gesetzlichen Urkundsperson, daß sie willens sind, in den Stand der Ehe einzutreten und zu diesem Behufe über ihre Vermögen die folgenden Bestimmungen treffen: Erstens der Bräutigam.«

Während der Notar sich mit dem Federhalter hinter dem Ohre kratzte, sagte der Ferkelstecher: »Würde es sich nicht empfehlen, der Braut den Vortritt zu lassen?«

»Auch recht,« bemerkte der Kahlkopf, und er suchte durch seine Brillengläser hindurch nach einem weiblichen Wesen, das nach einer Braut aussehen könne. Als er Gertrud gefunden hatte, stopfte er zuerst mit spitzen Fingern eine Prise in die Nase, um dann erklärend fortzufahren:

»Sie hätten also, mein Fräulein, anzugeben, was Sie voraussichtlich in die Ehegemeinschaft hereinzuwerfen gedenken, und wie Sie darüber verfügen wollen: a) für den Fall, daß Sie die Ehe wieder aufzulösen gedenken; b) daß Sie ohne Leibeserben von hinnen fahren und c) daß Ihnen Kinder aus der Ehegemeinschaft mit dem hier anwesenden Johannes Unstern beschert sein sollten.«

An dieser Stelle der Rede erhoben sich gleichzeitig ein Dutzend Menschen, und jeder suchte durch Worte und Handbewegungen dem Notar plausibel zu machen, wie er als ein kluges und verständiges Wesen in jedem der drei supponierten Fälle handeln würde. Es war ein gar großes Geschrei und Gerede.

Je größer das Lärmen und der Durcheinander wurden, um so mehr schien sich der Ferkelstecher zu freuen. Ihm waren solche Szenen nichts Neues. Er hoffte, daß sie die Geduld des Beamten erschöpfen würden, und dann war für ihn die Gelegenheit gekommen, die Rechtsfragen so zu leiten, wie sie im Interesse derer lagen, die seine Anwesenheit allhier bezahlten.

Der Notar hatte verschiedene Male schon vergeblich zur Ruhe und Besonnenheit gemahnt. Schließlich war er wild geworden und warf ein Bündel von Verordnungsblättern in das Gefach eines Büchergestelles hinein. Die Vettern und Basen verstummten erschreckt, als es einen Krach gab, wie von einem Flintenschuß herrührend, und getrauten sich kaum mehr zu atmen. Der Winkeladvokat aber erhob sich wie eine Sonnenblume über dem Endiviensalat. In einer wohlvorbereiteten Rede trug er vor, daß über das bewegliche und unbewegliche Einbringen der Braut deren Vater sich als Servitut das freie Verfügungsrecht vorbehalte: daß die Errungenschaften das ausschließliche Eigentum der Ehefrau werden sollten, ebenso wie die zur Zeit bestehenden und etwa noch zu erwartenden Passiven dem Manne, resp. dessen Gläubigern überlassen bleiben müßten. Dann schwatzte er noch von dem utile dominium und dem usum fructuum, berief sich auf einen Erlaß Karls des Großen und das Kodizill Pippins des Kleinen und konnte sich nicht erschöpfen mit Zitaten aus dem kanonischen und dem katzenellenbogenschen Landrecht.

Wenn Hans Unstern auch nicht alles zu schlucken vermochte, was da an juristischer Weisheit zum Ausschank kam, so begriff er doch, daß hier einer eingeseift werden sollte, dem kein Fetzen Haut mehr im Gesichte blieb, wenn es einmal ans Rasieren ging. Er warf einen entschlossenen Blick nach der Stelle hin, wo sein Hut an einem Nagel hing und erhob sich mit solcher Energie von seinem Sitze, daß sein Stuhl vor Schrecken nach hinten umfiel, während der Notar ein eisernes Lineal ergriff und sich nach vornen auslegte, als ob eine Säbelquart das mindeste wäre, was er von diesem Kraftkerl zu erwarten habe.

In diesem kritischen Augenblick begriff Gertrud mit weiblicher Schlauheit, daß zwei Schweine und ein Hochzeitskalb umsonst ihr Leben geopfert hätten, wenn sie jetzt nicht in die dramatisch bewegte Szene eingriff. Wie ein Pfeil von der Armbrust schießt, so flog sie jetzt von ihrem Rohrstuhle empor und ihrem Geliebten an die Brust. Weich legten sich ihre Arme um seinen Nacken und schmeichelnd ihre Wangen an seinen Hals, während wie von einem Honigtopfe hervor die Lippen die süßen Worte holten: »O du mein alles, laß doch diese Toren auf ihre Aktenbogen schreiben, was sie wollen. Wie jeder Tropfen meines Blutes nur dir gehört, so reifen meine Äcker nur für dich das Korn, und nur zu deinem Heile schütteln sich im Herbst meine Bäume.«

Das, was Gertrud hier sagte, war vermutlich einem Kolportageroman entnommen; gleichwohl machte es in diesem Moment einen gewaltigen Eindruck auf den jungen unerfahrenen Hans. So früh verwaist und in die Fremde gestoßen, hatte er nicht allzuviele gute Worte gehört, und von hinterlistigem Meineid wußte er nichts. Er wurde nicht irre an dem Herzen seiner Braut, und der Ferkelstecher hatte ein leichtes Spiel, als er dem Unerfahrenen mit Hilfe von allerlei Vorbehalten die starken Hände auf ein Aktenbündel nagelte, zumal da Hans Unstern fast aller seiner Sinne beraubt schien. Er sah die Schar seiner neuen Verwandten nicht mehr, hörte nicht die warnenden Einwürfe, die der wohlwollende Notar ihm zu bedenken gab. Er fühlte nur, daß ihm warme Schweißtropfen über die Stirne liefen, während man ihm eine Feder in die Hand drückte, mit der er seinen Namen unter ein Aktenstück setzte. Vierzig Minuten später schon erhob er sich von dem Betschemel des Pfarrers aus den Knien und war der Mann von des Huberbauers kalt rechnender Tochter.

In den ersten Wochen der jungen Ehe lief alles gut und trefflich, bis eines Abends der Maurer in die Mühle kam, seine Mütze auf die Ofenbank legte und sich in den Herrgottswinkel setzte. Er sprach nicht viel, zog ein Bleistift aus der Westentasche und schrieb Zahlen auf die blank gescheuerte Tischplatte. Gertrud ging nach dem Keller, um dem Gast ein Glas Apfelwein vorzusetzen. Er beachtete diesen Akt der Gastfreundschaft kaum, sondern rechnete ruhig weiter, indem er zuweilen einen Laut hören ließ, der wie das Knurren eines Hundes klang.

»Hast du schon zu Nacht gegessen?« fragte Hans nur, um überhaupt etwas zu sagen.

»Ich weiß viel, ob ich gegessen habe oder nicht,« war die Antwort. »Der Backsteinbrenner war bei mir und hat sein Geld gefordert. Kein Mensch will sich mehr gedulden, und unsereiner soll ewig den Ziehamriemen zwischen den Fingern haben und das Geld aus dem Beutel springen lassen. Niemand bedenkt, daß man einnehmen muß, um hergeben zu können,« und er rechnete mit verdrossenem Gesichte weiter auf der Tischplatte.

Hans Unstern verstand wohl, was der Maurer wollte, und er fragte auch so obenhin: »Du wirst Geld wollen: so sag doch nur kurz, wieviel die Rechnung macht.« Als er aber die Summe hörte, erbleichte er sichtlich und sah verlegen nach dem Gesichte seiner Frau hin. Diese aber stand wie die Wachspuppen im Schaufenster einer Modehandlung ungerührt da und putzte mit der Schürze an dem Schlosse eines Porzellanschrankes herum, ohne übrigens aufzuschließen und durch einen Griff in ihre Privatkasse ihren Mann aus der Verlegenheit zu reißen, auch dann noch nicht, als der Maurer rauh und aufgeregt mit den Füßen scharrte.

Als auch dieses Zeichen von des Mannes Ungeduld noch nicht verstanden war, wurde der Vierschrötige grob, schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Daß doch der Teufel alles Arbeiten holen möchte, wenn es einem nichts einbringt als sauren Schweiß und Schwielen an den Händen. Was nur die Leute dächten und wovon der Schornstein des Handwerksmanns rauchen sollte, wenn nicht einmal die zahlten, die mit einem gekrönten Wagen zum Standesamt führen und einen Stall voll Vieh am Hochzeitsabend aufgefressen hätten,« und er griff, als der Müller noch immer keine Anstalten zum zahlen machte, nach seiner Pelzkappe, warf hinter sich die Tür ins Schloß, daß das Häuschen wackelte, und war ohne Gruß verschwunden.

Hans und seine Gattin sahen stumm einander an. Aus seinen Augen redete eine sanfte Bitte, ob Gertrud nicht den Schlüssel im Schränkchen drehen und damit der Geldnot ein Ende machen wolle; aus den ihren ein mit kühler Verachtung gemischter Trotz gegen einen Minderwertigen, der nicht imstande war, sich selber und eine Frau über Wasser zu halten. Als die Augensprache nicht zu einer Verständigung führte, mußten Worte zu Hilfe genommen werden. Hans war es, dessen Zunge zuerst gelöst war. »Könntest du nicht,« so begann er in aller Bescheidenheit eines Bittstellers, »bis das Geschäft sich etwas gehoben haben wird ...«

»Mit deinem Mitgebrachten einspringen?« polterte Gertrud los, und sie fuhr fort: »Wäre noch schöner, einen Wicht zu unterstützen, der nur geheiratet hat, um sich von einem schwachen Weibe ernähren zu lassen! Wo bleibt dein Mannesstolz, wo die Scham, die dich hätte verhindern müssen, eine solche Bitte auch nur anzudeuten?«

»Und wo bleibt dein Versprechen in der Amtsstube des Notars, daß du jeden Blutstropfen mit mir teilen wolltest?« fragte Hans Unstern, nun seinerseits gleichfalls aus aller Fassung geraten.

»Ha, ha, ha,« lachte das Weib hell auf, »gut, daß du mich an die Stube erinnerst, du Tor, der du bist. Weißt du nicht, daß nirgends in der Welt mehr gelogen wird, als an solchem Orte? Als du in der Knallhütte schwach und rührselig wurdest, da fing ich an, dich für einen Waschlappen zu nehmen. Damit du übrigens siehst, daß ich mein Wort halte, so nimm dies mein Taschentuch entgegen. Vor einer Stunde hat mir die Nase geblutet. Alles, was da aus mir heraus kam, ist in dem Tuch enthalten. Fünfzig Prozent könnte ich nach dem Wortlaut meines Versprechens zurückverlangen. Aber ich will großmütig sein und dir alles überlassen, als Andenken an eine, die du aus einer Hubersbauerntochter zu einem Bettelweib gemacht hast.«

Damit ging sie aus dem Hause. –

Hans hatte das blutige Tüchlein vom Boden aufgerafft und zu sich gesteckt. »Wer weiß, wozu ich's einmal brauchen kann,« hatte er bei sich gedacht. Dann machte er sich sorgenvoll an sein Geschäft, in der stillen Erwartung, daß seine Frau wieder kommen werde. Sie kam nicht. Aber andere Leute kamen massenhaft. Das Gerücht hatte sich verbreitet: »Dem Müller ist seine Frau durchgebrannt,« und nun machte sich alles auf die Socken, was im Glauben an die reiche Mitgift der Huberstochter an dem alten Mühlengelorch herumgeschustert hatte, um seinen Arbeitslohn zu retten, der Sattler, der Schreiner, der Mühlarzt bis zu dem Teigaffen herunter, der den Hochzeitskuchen mit Haselnußkörnern verziert hatte. Hätte jeder von diesen Zaungästen nur für die Summe von fünf Mark in der Mühle verzehrt, der Strohwitwer wäre ein reicher Mann geworden. Aber das taten sie nicht, die Spänebrenner, sondern ein jeder von ihnen wollte nur holen. Der Tischler stülpte seinen gelieferten Nachtstuhl über den Kopf und trollte sich mit ihm das Tal hinunter. Der Sattler nahm einen Pferdekummet um den Hals, der Polsterer die Betteinlagen auf den Schubkarren. Hans hatte, wie der Menschensohn, schon beinahe nichts mehr, wohin er sein Haupt legen konnte. Er war in Verzweiflung und dachte allen Ernstes darüber nach, auf welche Weise er sich aus der Welt schaffen könne. Wie er nun die verschiedenen Arten des Selbstmordes in Erwägung zog, so hing einer jeden der lebensgefährliche Anfang abschreckend genug zum Halse heraus, und er konnte sich nach sorgenvollstem Nachdenken nur zu einem Ortswechsel, aber immer noch zwischen den beiden Polen unseres irdischen Planeten entschließen.

So sahen denn eines Tages die Wegweiser das Donautal hinunter einen Handwerksburschen an sich vorüberwalzen, der seine Habe in einem blauen Felleisen unter einem federgeschmückten Lederhütchen auf dem Buckel trug. Die hölzernen und steinernen Standesbeamten hatten natürlich auch noch anderes zu beobachten, als da sind: Flüchtige Bankdirektoren, geschlagene Österreicher, siegreiche Preußen und ausgewiesene Jesuiten, und sie hatten den Handwerksburschen mit den verstaubten Stiefeln rein und sauber vergessen.

*

Da flitzte längere Jahre später ein elegantes Auto an ihnen vorüber. Es fuhr so schnell, daß man weder seine Nummer erkennen mochte, noch auch das Gesicht seines einzigen Insassen. Nur so viel ließ sich kühn behaupten, daß dieser Fahrgast nicht mehr jung war. Ein grauer Vollbart schlug seine schäumenden Wellen um ein wettergebräuntes Gesicht, aus dem eine rote Nase und zwei vergnügte Augen selbstzufrieden über die Gegend schauten. Was hilft dir, Leser, wenn ich dir stundenlang den Mund und die Ohren des Reisenden beschreibe, wenn ich alle Haare seines Kopfes zähle, wenn ich ihn wiege und dir sage: So und so viel Kilo ist er schwer? Nein, du wirst ihn doch nicht erkennen. Zu sehr hatten die Jahre den Mann verändert. Wenn ich dir nun aber sage, daß er in der Brusttasche ein blutbeflecktes Taschentuch mit sich trug, würdest du dann eine Ahnung davon bekommen, daß du den Hans Unstern vor dir hast?

Aber, was sage ich da? So hieß er ja nicht mehr. Bald werden wir hören, warum.

Der reisende Mühlbursche von dazumal hatte es zu Batum am Schwarzen Meere gut getroffen. Er war in ein großes Geschäft gekommen. Lernbegierig und voller Eifer, wie er war, hatte er sich in das Vertrauen seines Herrn hineingearbeitet, und bald war er wie ein Glied der Familie geworden. Seinen Vornamen Johannes hatte man in Iwan übersetzt, und den Zunamen Unstern hatte er in einer Anwandlung von Vermessenheit, als es ihm gut ging, in Glückstern umgewandelt. Vielleicht auch, daß ihn bei dieser Änderung schon der Gedanke leitete, daß er unerkannt bleiben wollte, wenn er wieder einmal heimkäme, und heimkommen wollte er. Er war reich und alt. Beides hatte ihm die Fremde gegeben. Vom Vaterlande erhoffte er Ruhe und als Abschluß seines Lebens ein kühles Grab. Er gondelte also über das Schwarze Meer, kaufte an der Donaumündung ein Auto und steuerte dieses nun das Flußtal entlang der Heimat zu. Über den Schwarzwald hinweg ging's dem Rheine entgegen, und der Vogel war wieder dort, wo er geheckt worden war und fing an, sich sein Nest zu bereiten. Ein verlottertes Bauerngut wurde zu einer Musterwirtschaft umgekrempelt. Das Herrenhaus war sauber, ja sogar verlockend herausgeputzt, so zwar, daß es weder an angejahrten, noch an ganz jungen Evastöchtern fehlte, die gerne in solchen Räumen die Rolle einer Hausfrau gespielt hätten. Es mangelte nicht an allerlei mehr oder minder versteckten Anspielungen auf die Mühsalen des Alleinlebens, selbst nicht an Bemühungen von Agenten, die aus dem heiligen Sakrament der Ehe ein einträgliches Geschäft zu machen wissen. Allein, der interessante Mann aus der Fremde blieb kalt und unzugänglich. Er ließ sich nicht zu Mahlzeiten einladen und lud seinerseits niemanden ein. Er war durch eine frühere Erfahrung gewarnt. Sein Haus war seine Burg, zu deren Verteidigung er sich nach Hilfskräften umsah. So durchreiste er die ganze Vorderpfalz, bis er in der Gegend von Neustadt eine Haushälterin fand, die mehr Haare unter der Nase als auf dem Kopfe hatte und mit Worten und Kochlöffeln so kräftig um sich warf, daß nicht einmal die Schweinehändler sich in ihre Nähe getrauten. Dem Pfälzer Hausdrachen, Ursula genannt, gab Iwan Glückstern noch einen Cerberus zum Beistand. Dieser Ausbund von hundsgemeiner Häßlichkeit war bei einem Frankfurter Wasenmeister gekauft. Er schien die langgesuchte Darwinistische Zwischenstufe zwischen den Säugetieren und Amphibien darzustellen. Sein Kopf ähnelte dem eines Wildschweinferkels, sein Körper einem Seehund. Seine kurzen vier Beine glichen Handkäsen, und sein langer Schwanz einem Chevauxlegersäbel. Er kroch mehr, als er ging, und bissig, wie er war, machte er sich über alles her, was menschliche Waden hatte. So war er der Schrecken aller Bettler und Hausierer.

War Herrn Glücksterns Herz so verwildert, daß er sich nur in der Gesellschaft von Bestien wohlfühlte? Keineswegs: er war weich, im stillen wohltätig, liebte den Morgengesang der Vögel und die Blumen seines Gartens. Eine einzige schlechte Erfahrung mit den Menschen hatte ihn scheu gemacht. In der Abgeschlossenheit von ihnen suchte er sein Glück. Deshalb schlief er lang, weilte lesend bis zur neunten Stunde am Frühstückstische und begoß dann die Nelken auf seinem Fensterbrett. So der jeweilige Beginn seines Tagewerks, das mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerkes umlief.

Und doch auch hier bei aller Sorgfalt eine Ausnahme. In einer dieser weihevollen Morgenstunden geschah trotz des Cerberus etwas Außerordentliches, noch nie Dagewesenes. Irgend ein Verbrecher mußte vergessen haben, das Hoftor abzuschließen. Menschen waren in den Vorgarten gekommen, und zu den Blumenfenstern herauf drangen die verstimmten Melodien einer Drehorgel. Sofort bewaffnete sich Urschel mit einem Scheuerhaken, während der Hund unter unbändigem Gebell an der Stubentür kratzte. Keine Frage, wäre Herr Glückstern nicht dazwischen gesprungen, so müßte sich im Hofe unten innerhalb einer Minute eine blutige Balgerei entwickelt haben. Aber so sehr der Hausbesitzer auch von den Launen seines Hundes und seiner Wirtschafterin abhängig sein mochte, in diesem kritischen Augenblicke besaß er doch noch Autorität und Feldherrngeschicklichkeit genug, um den Zweibund in die Küche zu drängen. Als diese Heldentat vollbracht war, trat er ans Fenster und lud mit Rufen und Winken die fahrenden Musikanten ein, zu ihm herein ins Zimmer zu kommen.

Bald darauf hörte man von der Treppe her ein überlautes Poltern und Stolpern, fast so, als ob eine kleine Armee von Stelzfüßlern im Anzug wäre. Dann ein Tasten und Gripsen an der Türklinke, gegen welche Ungebühr von der Küche her das Ungeheuer von Hund mit besonders lautem Gebelle protestierte. Endlich aber schien der gesuchte Griff gefunden. Die Pforte tat sich auf, und in ihrem Rahmen erschienen außer einer Drehorgel zwei reduzierte Gestalten, eine männliche und eine weibliche.

Auf den ersten Blick hatte Iwan erkannt, daß der Orgelspieler ein Blinder und seine Begleiterin – – ach, ihm schlug das Herz bis zum Halse herauf – seine Begleiterin die ehemalige Huberstochter, seine voreinstmalige Gemahlin war. Um nun seinerseits nicht erkannt zu werden, legte er in seine Rede einen fremden Akzent und staffierte seine Einladung, am Frühstückstische Platz zu nehmen, reichlich mit eingelegten Worten aus der russischen Sprache aus. Sehr zustatten kam dem Hausherrn der Umstand, daß es auf der Tafel an Geschirr fehlte. Er gewann so Zeit, sich zu sammeln. Indem er nach der Küche ging und seinen Hausdrachen aufforderte, das Fehlende zu ergänzen, gewann er seine Fassung wieder. Urschel erschien neben dem beständig bellenden Cerberus im Zimmer, knurrte ihrerseits über hergelaufenes Lumpenpack, Zigeunergesindel und Matzenberger Tagdiebe, trug aber gleichwohl unter den drohenden Blicken ihres Gebieters alles herbei, was das Herz hungriger Spielleute erfreuen mag, Wurst und Schinken, Butter und Käse und, nicht zu vergessen, einige Flaschen eines braunroten Südweines. Als alles soweit hergerichtet war, durften der Hund und die edle Pfälzerin sich entfernen. Sie taten dies auch nach der Küche hin, nicht aber, ohne daß sie beide noch reichlich geschnauzt, gehustet und geknurrt hätten.

Als Herr Glückstern mit seinen Gästen allein war, nötigte er diese an den Tisch heran. Das Weib halfterte seinem Manne die Orgel von der Schulter, faßte ihn selbst beim Ärmel und drückte ihm die Stuhllehne in die Hand, damit er sich daran zurechttasten könne. »Blind sein, schweres Los,« dachte Iwan, während das resolute Weib nach dem Brot und Käse griff und ihrem Manne vorlegte. Als dies geschehen war, dachte sie auch an sich und aß mit kräftigem Appetit. Der Gastgeber Iwan sah ihr zu, ermunterte sie und fragte so nebenbei über das Woher und Wohin. »Von drüben,« sagte die Fahrende, »aber ich könnte auch sagen von droben, von drunten, denn wir Unsteten sind nirgends zu Hause und überall.«

»Sie müssen doch irgendwo geboren sein,« forschte der Hausherr weiter. »Aber ich will nicht in Sie dringen, wenn die Gegenwart Ihres Mannes Ihnen Schweigen auferlegt.«

»O, wegen dem können Sie nach allem fragen. Man kann eine Kanone neben ihm losschießen, ohne daß er es hört. Er ist so taub wie ein Grabstein. Eine Kesselexplosion hat ihn um Gesicht und Gehör gebracht, und mich um meine Habe. Seitdem irren wir in der Welt herum, aber ich hab's nicht besser verdient.«

»Vielleicht sind Sie strenger gegen sich, als recht ist. Barmherziger Gott, wer hat aus seinem Leben nicht mancherlei zu bereuen?«

»Verteidigen Sie mich vor dem ewigen Richter, vor dem Rächer da in meinem Herzen drinnen werden Sie es nicht können. Ich war ein eitles flatterhaftes Ding, von der Selbstsucht und vom Geiz zerfressen. Die Liebe war in mir nur der Vogelleim, auf den ich einstens einen bunten Zeisig lockte. Er gefiel mir wohl, aber als ich Opfer für ihn bringen sollte, war mein Gefühl versteinert, mein Ohr war taub für seine Klage. So stieß ich ihn erbarmungslos von mir weg. Der arme Kerl ließ seine Mühle im Stich, wanderte und ist im Leben draußen zugrunde gegangen durch meine Schuld.«

»Nicht diese vorschnelle Strenge gegen Euch selber. Nicht jeder geht gleich unter, der seine Scholle verläßt, selbst dann noch nicht, wenn er sich aufs Wasser wagt.«

»Doch, er, den ich meine, lebt nicht mehr, der Mann, der Johann Unstern hieß und so unglücklich war, daß er mich kennen lernte. Als ich zum zweiten Male heiraten wollte, haben wir ihn ausschreiben lassen. Doch von nirgends her kam über ihn eine Kunde. Auf allen europäischen Märkten bin ich mit der Orgel herumgezogen. Millionen von Menschen sind an meinen Augen vorübergewallt; wie ich auch nach ihm suchte, einen Hans Unstern fand ich nicht mehr unter den Lebenden.«

»Und trauern Sie wohl zuweilen um den Verschollenen?«

»Jetzt mehr, wie gleich nach unserer Trennung. Anfangs ärgerte mich der Umstand, daß er sich keine Mühe gab, mich zu sich zurückzuziehen, und aus Trotz beinah griff ich zu, als sich mir eine Gelegenheit bot, mich wieder zu verheiraten. Mein neuer Bräutigam war ein gebildeter Fabrikant. Da mein Vater derweilen gestorben war, so konnte ich frei über mein Erbteil verfügen. Ich steckte es in das Unternehmen, und alles ging gut, bis eine Explosion im Laboratorium alles ruinierte, die Gesundheit meines Mannes, unser Vermögen und meinen Lebensmut. Vor dem letzten verzweifelten Schritt hält mich nur der eine Gedanke zurück, daß ich weiterleben müsse, um meine Schuld zu büßen.«

Iwan Glückstern war nach diesen Worten aufgestanden und in ein Nebenzimmer gegangen. Als er wieder kam, hatte sich das Paar der Fahrenden vom Frühstückstische erhoben. Die Orgel hing dem Blinden wieder vor dem Leib, und die Frau hatte ihren Mann am Ärmel gefaßt. Urschel, die Haushälterin, war mit dem ewigknurrenden Cerberus in die Stube getreten und fegte mit einem Scheuerlappen an den Stühlen herum, auf denen die Fahrenden gesessen. Sie traute nicht. »Mit solchen Leuten reisen ohne Fahrschein noch andere Kreaturen, die niemand weder auf seinem Kopf, noch in seinen Kleidern beherbergen mag,« knurrte sie.

Während dieses Reibens und Wischens war Herr Glückstern mit einem Päckchen in der Hand ins Zimmer getreten. Er näherte sich und suchte die zierliche Gabe unbemerkt in den Ärmel der Fremden zu schieben. Aber sein Hausdrache hatte scharfe Augen, und mit giftiger Zunge stieß sie die Worte hervor:

»Noch schöner; hier zu Lande werden gar die Läuse bezahlt, die solch ein Lumpenpack einem zurückläßt.«

Er, an dessen Adresse die Schimpfrede gerichtet war, beachtete sie nicht. Er fuhr sich verstohlen mit dem Taschentuch über die Augen und trat ans Fenster. Traurig sah er den Wegemüden nach, die über dem Bache drüben sich abmühten, sich und ihr Instrument in eine Herberge hineinzuzwängen. –

Am nächsten Morgen wurde ihm beim Frühstück serviert, was die Schenkwirtin der Urschel zugetragen, eine merkwürdige Geschichte: Ohne Abendbrot waren die Spielleute plötzlich aufgebrochen, nachdem das Orgelmensch längere Zeit vor einem Haufen Papiergeld und einem blutigen Sacktuch gesessen und herzzerbrechend geweint habe.

 

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