Adam Karrillon
Im Lande unserer Urenkel
Adam Karrillon

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Drittes Kapitel

Den Strom hinauf, nordwärts bis zur Mukonjefarm

Die »Eleonore« dampfte los und umkreiste in flotter Fahrt das Kap Nachtigal. Als steile schwarzgrün bewaldete Berglehne lag es hinter uns, dieses sturmumtobte Vorgebirge, an dessen Fuß die weißen Wellenkämme spielten, während von einem dominierenden Vorsprung herunter ein Leuchtturm grüßte, dem man mit wahrhaft künstlerischem Empfinden die Form einer alten Ritterburg gegeben hat. Wie so das Abendsonnengold rosenrot aus den Fensterscheiben des Gemäuers zu uns herniederleuchtet, überkommt einem eine Stimmung, als ob man zwischen Bacherach und Oberwesel hingondelte, und der Blick geht traumverloren aufwärts nach den Felsenstirnen, um eine Loreley zu finden, die da oben irgendwo mit goldenem Kamme ihr goldenes Haar kämmt. Doch vergeblich ist all unser Suchen in Abendglühen und Wolkenschatten. Das Gute lag näher, lag zu unseren Füßen auf der hinteren Luke.

Dort hatte, wenn auch nicht die Schönste, doch wohl eine der Schönen des Dualastammes ihren struppigen Krauskopf einer anderen Schönen in den Schoß gelegt, um sich die Haare ordnen zu lassen. Wer bei uns zu Hause jemals versucht war, aus der Haut zu fahren, wenn seine Frau mit Kämmen hantierend vor dem Spiegel saß und nicht fertig werden konnte, der sollte ja nicht nach Kamerun gehen, um dort auf das Ende 150 einer Damentoilette zu warten. Der größte Eimer voll Handkäsen wird reif, bis die Wolle einer solchen schwarzen Schönheit geordnet ist. Je weniger Sorgfalt sie für den sonstigen Körper zu verwenden hat, um so mehr verschwendet sie für den Kopf. Da kommen denn nun auch freilich Kunstwerke zum Vorschein, denen die verwegenste Phantasie eines Rokokobaukünstlers in Stuck und Gips nichts Vergleichbares an die Seite stellen könnte. Man sieht Schädel, die aussehen wie ein Schachbrett, dem man auf jedes einzelne Feld ein Schneckenhäuschen aufgedreht hat. Andere wieder gleichen einer Bauernpelzkappe oder dem grinsenden Hinterteil eines geschorenen Pudelhundes. Freilich alle diese extravaganten Verschnörkelungen erfüllen außer einem kosmetischen Zweck auch noch die Aufgabe, die Stammeszugehörigkeit eines solchen Weibes sinnfällig zum Ausdruck zu bringen.

Man konnte sich recht gut der Betrachtung des Naheliegenden widmen, da der Blick ins Weite unmöglich war. Heiß und blendend lag die Tropensonne auf dem Wasser. Wohin immer man blicken mochte, von allen Seiten her schossen ganze Garben von glühenden Sonnenstrahlen konzentrisch in unsere Netzhaut hinein, und das Übermaß der Helle erzeugte dunkle Scheiben, die wie die Kugeln eines Jongleurs vor unseren Augen auf- und niedertanzten. Erst als der Sonnenball ganz hinter den westlichen Horizont hinuntergesunken war, besserte sich die Aussicht, und man erkannte, daß die Fahrstraße Ufer bekommen hatte.

151 Wir waren nämlich in den Kamerun- oder Krabbenfluß hineingefahren. Schaumiges Buschwerk, das mit lichtgrünlichen Farbentönen den Strom süd- und nordwärts umrahmte, trat näher an uns heran, und man erkannte, daß es aus Mangrovepflanzen zusammengesetzt war. Dieses seltsame Gewächs ist in seiner äußeren Erscheinung ein Mittelding zwischen Tier- und Pflanzenwelt, oder besser gesagt, von beiden eine Karikatur. Wie ein Mädel, das mit hochgehobenen Röcken zaghaften Fußes ins Wasser tritt, steht das Gebilde da in Schlick und Schlamm auf den Stelzen seines zitternden Stammes. Bauschiges Laubwerk, aus dem tastende Luftwurzeln nach dem Wasserspiegel niederzittern, geben dem Ganzen das Aussehen verzagter Furchtsamkeit, so daß man Mitleid haben möchte mit dem verunglückten Geschöpfe. Vielleicht ist es gerade dieser Schein der Harmlosigkeit, was die Austern veranlaßt, sich in ganzen Kolonien an den schwimmenden Luftwurzeln anzusiedeln, ein Gedanke, der uns mit der Rückerinnerung an gekühlten Sekt das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt, als eben die Maschine mitten im Flusse stoppt und eine Barkasse aussetzt. Diese schleppt eine schwere Ankertrosse hinter sich her. Wir sehen, wie ein Matrose verwegen von dem Bootsrand auf eine im Strom festgemachte Boje hinüberspringt und die »Eleonore« anzuseilen sucht. Wie ein im Auslaufen begriffener Kreisel fallen Boje und Mann auf dem Wasserspiegel herüber und hinüber, aber das Werk gelingt. Schon ist das schwere Seil durch den 152 eisernen Ring gezogen und geknüpft, die »Eleonore« hängt am Grund, und die zurückebbenden Fluten der Gezeiten, so sehr sie auch zerren, vermögen doch nicht, sie mit sich fortzureißen, in den Ozean hinaus, aus dem sie eben erst gekommen ist. Die Ausfahrt des Schiffes ist damit beendet. Die Musik spielt einen feierlichen Choral in die Nacht hinein, die sich mit schwarzen Rabenflügeln schwer auf uns niedergesenkt hat. Nordwärts um das kahle Haupt des Kamerunberges zucken glühende Blitze. Wird ihr Feuer uns unversengt lassen, und werden sich die Wünsche aller derer erfüllen, die heute abend von der Joßplatte mit verlangenden Augen wie Kinder nach dem Weihnachtsbaum zu uns herübersehen, weil wir Grüße aus der Heimat bringen und Sonstiges?

Die Sonne des nächsten Morgens fand auf unserem Steamer alles, was Beine hatte, schon in reger Tätigkeit. Überall war Leben und Bewegung, nur nicht im Speisesalon, wo ein paar langsam erkaltende Teekannen nach und nach begreifen lernten, daß es Zeiten gibt, wo auch die beste Ware keinen Abnehmer findet. Wer wollte sich heute lange mit dem Einnehmen des Frühstückes aufhalten. Drüben lag auf der Joßplatte die junge Stadt im Morgensonnenscheine, und wie hurtige Schwalben flogen die flinken Barkassen geschäftig vom Land nach dem Dampfer und vom Dampfer wieder zurück ans Land. Wir waren nur noch drei Europäer, die von einem Kahn umschlossen langsam dem sandigen Vorlande entgegenruderten. Kaum hatte unser flacher 153 Kiel den Boden gestreift, als wir auch schon von einem Dutzend nackter Eingeborenen umringt waren. Zum Transport eines Brillenfutterals hätte man zwanzig Träger haben können. Man bekam sofort den Eindruck, daß die menschliche Arbeitskraft hier an der Dualaküste ein Bergwerk ist, das bis jetzt noch nicht genügend ausgebeutet wird. Da ich außer meinem Rucksack absolut nichts Wertvolles zu transportieren hatte, so brauchte ich keinerlei Hilfe und begnügte mich damit, allergnädigst unter die Eingeborenen einige Fußtritte zu verteilen, die übrigens wie Selbstverständlichkeiten ohne große Abwehrbewegungen entgegengenommen wurden. Nachdem ich mir derart den Weg frei gemacht hatte, kam ich auf dem glatten Lößboden langsam ansteigend unter Rutschen und gelegentlichem Hinfallen auf die erste Terrasse der Dualaküste hinauf.

Zur Rechten hatte man eine größere Anzahl von Holzbuden in langer Reihe, die zum Teil Magazine und Güterschuppen, zum Teil Kaufläden vorstellten. Sie waren gefüllt mit allerlei Groschenwaren aus deutschen Ramschgeschäften. »Chemin de la Corniche,« dachte ich bei mir, »wenn das Straßenkind noch nicht über die Taufe gehoben sein sollte,« da war es auch schon fertig mit dem Chemin, mit dem Boulevard und mit der Straße. Ich stand vor einem tiefen Einschnitt, in dem hunderte von Buschnegern mit Schubkarren, Hacken und Spaten herumwimmelten und eine Ebene schufen, auf der sich das Stationsgebäude der im Bau begriffenen Südbahn erheben sollte, die man über den Sanagar 154 hinaus bis gegen die Grenze des französischen Kongogebietes vorzuschieben gedenkt. Da der Abstieg über die hohe, glatte Lehmböschung mancherlei Bedenkliches hatte, zumal für einen, der im frischgewaschenen Tropenanzug steckte, so entschloß ich mich, über einen nassen Rasen hinweg auf die oberste Uferterrasse hinaufzuklettern. Da angekommen, hatte ich eine weite billardebene Fläche vor mir, die mit Mais, Bananen und Cassadapflanzen bestellt und ganz hinten im Süden durch dunklen Hochwald begrenzt war. Wer so dasteht, wo ich stand, greifbar vor sich ein Land, das nach dem Pfluge schreit, und zu seinen Füßen die breite Wasserfläche des Kamerunästuariums, in das nicht weniger als drei starke Ströme sich ergießen, der braucht weder Romulus noch Remus zu heißen, wenn er nur nicht deutscher Reichstagsabgeordneter ist, so kann er schon auf den Gedanken kommen, daß man hier mit Vorteil eine Stadt errichten könne. Nun, es ist ja auch schon einiges geschehen, was auf guten Willen und Unternehmerkühnheit schließen läßt. Schon 155 sind breite Straßenzüge abgesteckt und Alleen von schattenspendenden Mangobäumen gepflanzt. Die Linden hätten wir also bereits. Nun brauchen wir noch ein Brandenburger Tor, eine Schloßfreiheit und einige tausend Animierkneipen dadrum herum, und Neuberlin ist fertig, und Leute aus dem Scheunenviertel können hierherkommen und sich sehen lassen wie die Singhalesen im Tiergarten. Wenn sie Weiber sind und noch im kanonischen Alter, werden sie mit dem Geschäft zufrieden sein, denn schon hat Duala einen etwas verfänglichen Namen. Die Farmer aus dem Busch, die man hier die »Gummionkels« getauft hat, nennen es schon bereits Dulala, oder noch bezeichnender: Drulala.

Wie ich so die breit angelegte Allee hinunterschreite, treten aus den verräucherten Bambushütten der Eingeborenen Weiber heraus, die an die Hofdamen der Königin von Saba erinnern. Hohe, stolze Gestalten, die den schwarzen Kopf voller Selbstbewußtsein über breiten Schultern tragen. Blau und schwarz gestreifte Stoffe, die wie Apostelgewänder in malerischen Falten von Schultern und Hüften niederhängen, erhöhen noch den künstlerischen Eindruck, dem nicht einmal die nackten Füße einen Abbruch tun können, denn diese sind durchweg klein und wohlgeformt wie Kinderfüße. Das einzige, was mein ästhetisches Empfinden beim Anblick dieser Weiber stört, sind die ockergelben Fußsohlen und Handflächen, die mich mit kaltem Gruseln an die Bauchhaut eines Salamanders erinnern.

156 Im Weiterschreiten bemerkte ich, daß die Bambushütten ein neueres Aussehen hatten, daß sie nach einem einheitlichen Plane ausgeführt und nach dem Lineale in Straßenfluchten aufgestellt waren. Hier hilft bereits der europäische Einfluß mit beim Bauen, das war unverkennbar. Man gewöhnt die Dualaneger an das Malerische der geraden Linie. Bald werden sie die Bügelfalte entzückend finden, und dann sind sie gerade so kultiviert wie die meisten Europäer auch.

Am Ende der projektierten Straße reizte ein Neubau von seltsamer Architektur meine Aufmerksamkeit. Der Backsteinhaufen glich in etwas der Stufenpyramide von Sakara, nur daß den Wänden große Fenster mit blanken Spiegelscheiben eingesetzt waren. Als ich näher kam, schien eine halbzerbröckelte Umfassungsmauer jede Zudringlichkeit nach Kräften abwehren zu wollen, während hinwieder ein weit geöffnetes Eisentor zum Besuche einlud. Nun, ich ließ mich von der Offenherzigkeit des letzteren bestechen und stand alsbald, von einigen schwarzen Männern verwundert angestaunt, inmitten eines weiten, öden Hofraumes, der an einer Längsseite der kahlen Umfassungsmauer einige armselige Backsteinbauten mit schadhaften Haustüren beherbergte. Ein Dutzend fetter Negermammis stand gelangweilt zwischen den Türpfosten. Sie schienen auf ein Liebesabenteuer zu warten, fanden daneben aber noch Zeit, die Fingernägel in ihr wolliges Kraushaar zu versenken, um dem Getier nachzujagen, das auf jedem rechtschaffenen Negerschädel seinen Wildpark zu beanspruchen hat.

157 Wie ich so stehe und nach den Weibern gaffe, kommt ein schön gebauter athletischer Dualaneger auf mich zu. Die Füße staken in starken Lederpantoffeln, die Beine in braunen Buckskinhosen und der Oberkörper in einem gestreiften Kattunhemd. Hosenträger hatte der Mann auch am Körper, nur waren sie nicht über die Schultern gezogen, sondern sie liefen wie gut dressierte Hunde unmittelbar hinter den Fersen ihres Herrn her. Eine junge Katze fand dies Baumeln der Bänder reizend, machte vertrackte Luftsprünge hinter ihnen her und übte das Mäusefangen einstweilen mit Krallen und Zähnen an den Knopfbändern. Obgleich das ganze mehr ein Idyll als ein Heldenstück war, so muß ich doch bekennen, daß mir die stolze Haltung des Näherkommenden gewaltig imponierte, so zwar, daß ich mir Mühe gab, auch etwas vorzustellen. Zu dem Zwecke reckte ich mich empor und drückte die Brust heraus. Aber ich sank doch beinah wie ein Häufchen Nüsse in mich selber zusammen, als der Schwarze in tadellosem königlich württembergischen Schwäbisch zu mir sagte: »King Rudolf Bell, und mit wem han ich die Ehre?«

Wenn ich nun hätte sagen können: »Mit dem Fürsten von Teck, aus Teck oder unter dem Teckel,« so hätte ich vor der Majestät des Dualafürsten wohl bald meine Fassung wieder gefunden. Da aber ganz allein mein Vorname Adam auf notorische Berühmtheit einigen Anspruch machen kann, so war ich in arger Verlegenheit darüber, wie ich mein Nichts mit einem Epitheton 158 ornans übermalen könne. Zum Glück fiel mir ein, daß ich von einem deutschen Journalisten einen Empfehlungsbrief an seine schwarze Durchlaucht in der Tasche hatte. Rudolf Bell, der Enkel King Bells, mit welch letzterem unsere deutsche Kolonialtruppe manchen harten Strauß auf der Joßplatte auszufechten hatte, nahm den Brief entgegen und vertiefte sich in dessen Inhalt. Während der Lektüre wurden seine strengen Züge allmählich weicher. Er schien den Wert meiner Persönlichkeit zwischen den Zeilen herauszulesen und, als er nun mit der linken nach seinen Hosenträgern griff und diese in die Tasche steckte, war ich sicher, daß ein gewaltiger Respekt vor meiner Persönlichkeit in den Negerkönig gefahren war. Zuvörderst reichte Herr Bell mir die Hand und sagte mit gnädiger Herablassung: »Mein Haus steht zu Ihrer Verfügung.« Und nun führte er mich in dem vorhin erwähnten Gebäude von Zimmer zu Zimmer durch drei Stockwerke empor. An den Wänden hingen viele gleichgültige Dinge, die nicht viel besser waren als das, was man bei uns in jeder Bauernschenke erblicken kann. Des Jägers Leichenzug, die Königin Luise und Blücher, der alte Sansfaçon, wie er sein verwickeltes Bein von sich streckt, als ob ihm eben ein Militärchirurgus die Hühneraugen geschnitten hätte. Herr Rudolf Bell erklärte mir, wie sein Großvater in den Besitz der einzelnen Stücke gekommen sei, bis wir zusammen ganz allmählich aus dem Häuschen resp. Hause kamen und auf der obersten Plattform des Gebäudes standen. Man hat von da einen großartigen 159 Rundblick. Südwärts und ostwärts über ein nur vom Horizont begrenztes Flachland; westwärts nach dem Silberspiegel des Atlantischen Ozeans und im Norden nach den Manengubabergen und dem allgegenwärtigen Sargdeckel des Kamerunkraters.

Wie das Auge aus der Ferne zurückkehrt, entdeckt es auch in der näheren Umgebung des Palastes allerlei Bemerkenswertes.

Da ist das deutsche Spital, vor dessen offenen Galerien die Zweige des Pfefferbaumes vertraulich nicken, und dann das Bezirksamtsgebäude, das wie das Kurhaus eines Modebades aus der Mitte giftgrüner Rasenplätze und blühender Bosketts mit königlicher Großartigkeit emporsteigt. Und dann all die jung angelegten Alleen, die wie die Speichen eines Rades bedeutungsvoll von einem Zentralpunkte aus weithin ins Land ihre Arme strecken. Allüberall die Spuren eines neuerwachten, kräftig pulsierenden Lebens.

Nur da hinten unter der Hut eines schlichten Missionskirchleins ist eine stille Ecke, wo unter kleinen Kreuzlein wohnend niemand mehr den arbeitsfrohen Stachel des Ehrgeizes fühlt.

»Wohl der Europäerkirchhof?« fragte ich die schwarze Durchlaucht.

»Ja,« sagte er, »und da liegt auch der Freund meines Großvaters begraben, der Schiffszimmermann Mühlack, der in der deutschen Kolonie großes Ansehen und in unserem Hause viel Kümmel genossen hat. 's war 160 eine brauchbare Kreatur für seine Landsleute. Seine Fürsprache und nur die allein hat aus meinem Großvater und auch aus meinem Vater Manga Bell manche Konzession herausgelockt, die keine Gewalt der Waffen je ertrotzt hätte. Wir mußten von ihm, dem Halbzivilisierten, Einäugigen, uns führen lassen, da wir in allen Dingen eben noch Blinde waren. Als meine Vorfahren erkannten, daß Kenntnisse eine Macht sind, änderten sie ihre Taktik. Sie schickten zunächst uns Jungen auf Mühlacks Rat nach Europa hinaus. Ich selber habe in Ulm das Gymnasium absolviert, und damit wissen Sie nun auch, woher mein schwäbischer Dialekt stammt.«

Unter derartigen Gesprächen waren wir wieder zum Absteigen gekommen und durchschritten noch einmal die Flucht der Zimmer, die mit allerlei Möbeln reichlich ausgestattet, aber menschenleer und verlassen waren.

»Hier fehlt eine Hausfrau und der Segen einer frohen Kinderschar,« erlaubte ich mir zu bemerken. »Sie werden morgen kommen,« entgegnete schmunzelnd die schwarze Majestät. »Heute ist es gerade ein Jahr, daß die Leiche meines Vaters – Manga Bells nämlich – aus diesen Mauern getragen wurde. Es herrscht bei unserem Volke die Sitte, daß man den Geist des Verstorbenen noch zwölf Monate im ungeschmälerten Besitz seiner Sachen läßt. Morgen, wie gesagt, kommt dann meine Frau, und damit zieht der Tote definitiv aus, und es kehrt das Leben wieder zurück in diese jetzt noch stillen Räume.«

161 Der Singularis ›meine Frau‹ befremdete mich einigermaßen im Munde eines afrikanischen Potentaten und ich machte die mehr vorwitzige als untertänige Frage, ob denn Serenissimus irgendwie durch europäische Einflüsse dazu bewogen worden wäre, auf einen so angenehmen Pluralis zu verzichten?

»Die Not mehr noch als jede Predigt kann einen die Tugend der Enthaltsamkeit lehren,« sagte der geborene Polygame. »Mein Vater hinterließ mir siebenzehn Frauen, von denen Sie vorhin einen kleinen Prozentsatz im Hofe sahen. Deren Unterhaltung belastet das Budget eines Depossedierten weit über das Einkommen hinaus. Man kommt ans Sparen und weiß nicht wie. So habe ich mich entschlossen, mich mit den Rosen zu begnügen, die eine einzige Ehefrau unsereinem ins Leben streuen kann, und habe den Blumengarten verkommen lassen, den meine Vorfahren angelegt und gepflegt hatten.«

»Gewiß, gewiß,« versicherte ich dem poesievollen Dualafürsten. »Sie haben darin recht getan, wenn so eine einzige ein Bissel künstlerisches Empfinden hat und einem ab und zu am Weihnachtsabend ein Paar selbstgestrickte Hosenträger verehrt, dann hat der Neger vom Weibe genau so viel wie der Europäer auch und mehr gehört ihm nicht.«

Mit diesen Worten entfernte ich mich von der schwarzen Majestät, niedrig wie ich gekommen war, denn ein Orden oder ein Hofratstitel war mir leider nicht angeboten worden.

162 Bis ich auf meinem Entdeckungsbummel noch ein paar Weibern zugeschaut hatte, wie sie mit Holzstempeln ihren Jams in großen Mörsern zu Brei stießen, und in etliche Pferdeställe hineingeguckt hatte, war es Abend geworden, und ich erinnerte mich, daß mir Kapitän Triebe den wohlgemeinten Rat erteilt hatte, ich möchte nicht versäumen, im Wörmannhause einen Besuch zu machen. Ich ging nun darauf zu.

Hinter einer nach dem Flusse zu offenen Veranda war ein kleines Bureau. Da drinnen saß zwischen losen Papieren, Geldrollen und Geschäftsbüchern ein Herr von aristokratischem Aussehen. Er war so tadellos in Weiß gekleidet, daß ich überzeugt bin, eine jede deutsche Hausfrau wäre mehr noch als ich von dem Verlangen beseelt, seine Wäscherin kennen zu lernen. Dieser appetitliche Herr, der Maas hieß und Vorstand von Wörmanns Handelsgeschäft war, hatte mich kaum durch das Fenster erspäht, als er voller Güte auf mich zukam, mir Zigaretten anbot und mich einlud, am Abend sein Gast zu sein. Ich freute mich natürlich sehr, den weltgewandten Herrn näher kennen zu lernen, und fing sofort eine Unterhaltung an.

Aber kaum hatten wir ein paar Worte gewechselt, so schrillte an einer Seitentür eine Klingel, und gleichzeitig fing ein vorlautes Telephon auf dem Schreibtisch zu rasseln an, während ein schwarzer Boy über die Veranda gestürmt kam und wie ein Phonograph in der Dualasprache etwas herunterhaspelte, wovon ich natürlich 163 kein Wort verstand. »Dem Manne sind die Minuten Goldstücke. Ihn ausfragen, heißt ihn bestehlen,« sagte ich mir vor und zog mich einstweilen nach der luftigen Piassa eines hohen am Ufer gelegenen Gesellschaftshauses zurück, um in Ruhe die Zigaretten zu rauchen, die mir Herr Maas geschenkt hatte. Das weit hervorspringende Dach spendete einen erquicklichen Schatten. Vom Fluß herauf wehte eine erfrischende Brise, und eine Flasche feinen Moselweines, die ein Diener neben meinen Liegestuhl plaziert hatte, sorgte dafür, daß der Schlaf, den all die bequemen Dinge, die um mich waren, geradezu herbeiriefen, doch von meinem Wesen keinen Besitz nehmen konnte. Ich fühlte, daß es schade wäre, eine so schöne Stunde wegzuwerfen, denn solange man schläft, ist man nicht auf der Welt. So rauchte und trank ich denn drauflos und sah dem Arbeiten eines Baggers zu, der mitten im Strome lag, den Namen Swakopmund trug und offenbar den Auftrag hatte, die Fahrrinne zu vertiefen, damit die Dampfer direkt an die Landungsbrücke herankommen und unabhängig von Wind und Wetter laden und löschen können.

»Dieser Schlammbeißer da unten bahnt der Kultur eine Gasse,« rief ich einem Bureaubeamten zu, der mit Geschäftsbüchern über die Piassa eilte. »Er kann ihr ein zweiter Winkelried werden.«

»Gewiß,« entgegnete dieser mit grimmigem Hohngelächter, »wenn er Buße tut und sich bessert. Gestern abend ist er aus Südwest hier angekommen, und heute 164 morgen hat er das Kabel, das nach Bonaberi hinüberleitet, herausgerissen. Nun haben wir zum Verkehr mit denen überm Fluß nur noch den Nachen und eine kleine Dampfbarkasse. So dürftige Verkehrsmittel sind der Aufgabe einer Vermittlung von hier und dort nicht gewachsen. So kommt es, daß heute auf allen Bureaus eine Verwirrung herrscht wie unter den Maurern beim Turmbau zu Babylon. Wer Mörtel verlangt, bekommt Holländer Käse geliefert oder Straußenfedern, die er sich selber oder einem andern auf den Hut stecken kann.«

Während der Geist, der über Soll und Haben zu schweben pflegt, sich in dieser Weise austobte, waren unten auf dem Flusse zwei kleine Kreuzer, der »Sperber« und der »Panther«, erschienen und hatten Anker geworfen. Vielfarbige Wimpel waren über die Toppen gehißt, und so erhielten die Schiffe ein lustiges Aussehen, wie die Reitschul am Kirchweihsonntag. Auch gaben ihre Kanonen ein paar Signalschüsse ab und lockten damit alles, was in Duala vom Müßiggang lebt, an den Strand. Bald drängten sich da die Menschen wie die Blattläuse auf einer Rosenknospe. Soldaten der Schutztruppe, die in Booten ans Land gesetzt wurden, vermehrten noch das bunte Durcheinander des Volksgewimmels. Ich saß rauchend in meinem Korbsessel und sah vergnüglich wie auf eine Szene aus Wallensteins Lager nieder, als Herr Maas an mich herantrat und nur freudestrahlend mitteilte: »Doktor, das Militär, das da eben ausgeschifft wird, geht morgen zu einer 165 Strafexpedition nordwärts ins Innere des Landes hinein. Eine bequemere Gelegenheit, etwas vom Gebirge Kameruns kennen zu lernen, findet sich nicht wieder. Sorgen Sie nur dafür, daß Sie morgen früh vor sechs Uhr schon in Bonaberi am andern Ufer sind. Die Bahn, deren Damm Sie von hier aus sehen, kann auf einer Strecke von neunzig Kilometer nordwärts befahren werden. Von dort ab wird Ihnen leicht Gelegenheit, daß Sie auf dem Mungofluß mit dem Kanu der Eingeborenen wieder ins Kamerunästuarium zurückkehren können.«

Meine Dankbarkeit wollte der Göttin des Glückes eine Hekatombe opfern. Doch war dies nicht der einzige Zweck, zu dem ich aufsprang und nach meinem Tropenhelm griff. Ich beabsichtigte, zur »Eleonore« zurückzukehren, um mich zur Reise fertigzumachen und dann, um noch einmal vor den neuen Strapazen gehörig auszuschlafen. Doch Herr Maas griff mir nach den Schultern und drückte mich auf den Sitz meines Stuhles zurück. »Gemach, gemach,« sagte er, meinen Eifer besänftigend, »noch haben wir bis zur Abfahrt des Zuges zwölf Stunden. Sie bleiben natürlich zum Diner hier bei uns und damit Sie in Gemütsruhe essen, so verspreche ich Ihnen, dafür zu sorgen, daß unsere eigene Barkasse Sie vor zehn Uhr an Bord der ›Eleonore‹ zurückbringt.«

Ich hatte mich umgesehen, und meine Blicke waren durch den Türrahmen in den Speisesalon gefallen, wo die schwarze Dienerschaft lautlos über die Binsenmatten huschte und die Abendtafel herrichtete. Silber, Porzellan 166 und Glas, alles war hoch fein, so gar nicht afrikanisch, daß sich mein Hunger leicht überreden ließ, die gütige Einladung anzunehmen. Einige treffliche Fleisch- und Gemüsegänge waren mit gutem Appetit vertilgt, und die saftige Ananaserdbeere streute ihren Duft durchs Zimmer, als ich der kleinen Tafelrunde, die zumeist aus Angestellten der Firma Wörmann bestand, erzählte, daß ich heute bei dem Dualafürsten Rudolf Bell gewesen wäre.

»Und hat er Ihnen auch von dem Freunde seiner beiden Vorgänger, dem Schiffszimmermann Mühlack, erzählt?« fragten die Herren mit kaum verhaltenem Lachen.

»Ja, und nur mit respektvoller Anerkennung,« war meine Antwort.

Herr Maas hustete und sagte dann mit warmer Betonung: »In der Tat, dieser Freund zweier Könige und des Kartoffelschnapses verdiente ein Denkmal hier auf der Joßplatte, vor der breiten Wasserfläche des Flusses, auf dessen Spiegel er seinerzeit den »Habicht« gesetzt hat. Sie wissen durch die Journale, daß dieses Kriegsschiff vor einigen Jahren aufgelaufen, aber wieder vom Felsen losgekommen war. Arg beschädigt hatte man es zur Reparatur hergebracht und auf die Schlippe gezogen. Schmied und Zimmermann gingen ans Werk, und nach ein paar Wochen war die Arbeit so weit gefördert, daß man natürlich den Versuch machte, das Fahrzeug wieder aufs Wasser zu bringen. Nun aber stellte es sich heraus, daß die Kunst der Ingenieure das 167 Schiff von der Schlippe nicht herunterzubringen vermochte. Mit anderen Worten: der »Habicht« war auf dem Aufschlepphelling hoffnungslos aufs neue gestrandet. Nun wäre guter Rat verteufelt teuer gewesen, wenn ihn der Mühlack nicht umsonst geliefert hätte. Er machte sich darüber her und baute die Schlippe um. Und siehe, nach wenig Tagen war der deutschen Marine ein Schiff gerettet, und der »Habicht« schwamm wie eine Ente davon.«

»Und ein Adler flog dem wackeren Mühlack ins Knopfloch,« erlaubte ich mir zu bemerken.

»Ob's gerade ein Adler war,« entgegnete Herr Maas mit verschmitztem Lächeln, »weiß ich nicht mehr genau zu sagen. Irgend etwas mit Krallen und Klauen wird's ja wohl gewesen sein. Doch der Dank des omnipotenten Staates ging weiter. Man belohnte den Zimmermann noch mit einer glänzenden Sinecure. Man machte ihn zum Friedhofswächter.«

»Gegen diese Rangerhöhung werden wohl jene unter der Erde keinen ernstlichen Einspruch erhoben haben?«

»Keineswegs, er kam mit den Gestorbenen im allgemeinen recht gut aus, bis ihm doch einmal eine, die er an Charons Nachen weiterliefern wollte, ernste Schwierigkeiten bereitete.«

»Sie spannen meine Neugier auf die Folter,« sagte ich verwundert, »war's eine, die ihren Sonnenschirm oder ihren Ridikule vergessen hatte und die noch einmal heim wollte, beides zu holen?«

168 »Doch nicht. Sie selber war gefügig genug, aber sie hatte jemand im Trauergefolge, der Einsprache erhob, als Mühlack die Leiche verscharren wollte. Ich hole etwas weiter aus, um Ihnen die Situation zu erklären. Die Frau eines Regierungsbeamten hatte sich aus Deutschland eine Gesellschafterin mitgebracht, die ihr hier in der Abgeschlossenheit des Lebens eine vertraute, liebe Freundin geworden war. Doch was fragt das Schwarzwasserfieber nach Banden, die von einem Menschenherzen nach dem andern geschmiedet sind? Eines Tages meldete sich bei der Gesellschafterin ein Schüttelfrost zu Gast und er hatte den Tod mitgebracht, der dem zarten Fräulein die jungen Augen zudrückte. Von der ganzen europäischen Gesellschaft tief betrauert wurde die Leiche dem Friedhof zugetragen, wo ein Grab, der Heimat fern, in fremder Erde ihrer harrte. Mühlack hatte es geschaufelt, und er wollte es auch wieder zuwerfen. Aber die treue Herrin der Toten war nicht von der Stelle zu bringen. Immer und immer wieder hob sie die flehenden Hände zum Himmel empor. Ihr tränendes Auge bohrte sich in das Firmament hinein, suchend nach dem Lenker der Menschengeschicke, um an ihn die vorwurfsvolle Frage zu richten: ›Mußte denn das sein – Mußte denn das sein?!!‹ –

Herr Mühlack, der den Jammer nicht länger mit anhören konnte, zumal da er hinter der Halsbinde einen brennenden Durst verspürte, faßte sich, da von dem Sternenlenker eine Antwort immer noch ausständig war, 169 den Mut, als Sprachrohr des Verhängnisses aufzutreten. Er näherte sich sachte der tieftrauernden Freundin und sagte im biedersten vierländer Platt, dessen gefühlvolle Abschattierungen nur er hervorzuzaubern wußte: ›Ja, gnädig' Fru, dat mußte sind! Denn wenn wir die noch ein paar Tage do rum stehn laten, dann wird dat man immer stänkeriger.‹«

Diese Erzählung aus dem Leben eines Einfältigen erzielte eine sonderbare Wirkung auf die Zuhörer. Keiner wußte recht, ob er weinen oder lachen solle, auch ich nicht, und so kam ich auf den Ausweg, die Verlegenheitsfrage zu stellen: »Und was ist aus Herrn Mühlack geworden?«

»Ach, der schläft nun auch schon lange.«

»Machen wir's ihm nach,« sagte ich, »damit wir morgen früh bei guter Zeit aufstehen können,« und ich reichte meinem Gastgeber dankbar die Hand.

Fünf Minuten später machte sich die Barkasse von der Joßplatte los und ratterte mich hinunter zur »Eleonore«, die mit ihren Laternen wie das Sternbild des Orion leuchtend in der Mitte des dunklen Stromes lag.

Als die Sonne des nächsten Morgens sich in den Wassern des Wuri spiegelte, der trägen Laufes sich von Osten her durch schwarze Urwälder hindurchwälzt, sah sie uns auf der rechten Seite des Kamerunästuariums stehen. Ich sage »uns«, denn der Kapitän der »Eleonore« war mitgekommen, um sich die krummen Seemannsbeine im sonnendurchwärmten Ufersande ein wenig 170 auszutreten. An Sand war kein Mangel, denn die wenigen Häuser von Bonaberi liegen in aufgewühltem Boden wie in einer Kiesgrube. Harken und Spaten kommen hier nicht mehr zur Ruhe, seitdem man angefangen hat, von diesem Punkte aus eine Bahn nordwärts ins Land hinein zu bauen, und Blatt und Blüte der verdrängten Vegetation findet nur in den kleinen Gärtchen der Beamtenwohnungen eine offene Zufluchtsstätte.

»Eine verteufelte Hitze in aller Frühe schon,« brummte der Kapitän, wie wir so nebeneinander durch den Kies nach dem niedlichen Bahnhöfchen hinstapften, und er griff über den Staketenzaun einer Hofraithe, brach einige breite Bananenblätter und legte sie in Fetzen zerrissen in seine weiße Seemannsmütze hinein. »Wer keine Haare mehr auf dem Kopfe hat, um seinen Verstand zu schützen, der hilft sich in der Art,« erklärte er und fuhr fort: »Doktor, zu den mannigfachen Transportgelegenheiten in die Ewigkeit hinüber gehört hier auch der Sonnenstich, und die ganze Gegend um den Äquator herum wäre längst eine menschenleere Einsamkeit, wenn die Natur diesen Eingebornen nicht das krause Pudelfell über den Kopf gezogen hätte. – Wie mir übrigens der Schweiß an den Ohren niederkändelt,« rief er verdrießlich, während er seinen großen Kopf schüttelte und mit eiligen Schritten den Schutz des Bahnhofdaches zu erreichen suchte.

Mager, aber zäh und sehnig und von Kindesbeinen an von den Launen jeglicher Witterung durchhechelt, 171 war mir Staub und Sonne weniger lästig als meinem Begleiter. Aber ich war doch auch recht froh, als wir unter dem Vordach des Gebäudes einigen Schatten gefunden hatten und ein Glas Sodawasser. Hätte ich noch einen Stuhl entdecken können, so war mir mein Platz um keinen Logensitz der Erde feil, zumal es hier Interessanteres zu sehen gab als im Theater. Die Krieger der Schutztruppe in ihrer gelben Kakiuniform und dem dunkelroten Fez auf dem schwarzen Wollkopf hatten längs des Perrons ihre Gewehre zu Pyramiden zusammengestellt und lagerten sich, wie es gerade kommen mochte, auf Kisten und Zementsäcken, die da herumlagen. Schwarze Soldatenweiber, den Säugling an die Brust gebunden, überreichten ihren uniformierten Männern den Dattelschnaps, mit nicht geringerem Selbstbewußtsein, wie eine bajuvarische Köchin ihrem Trainbauer den bezahlten Maßkrug unter die Nase hält. Unter allen Breitengraden der Erde scheinen Mars und Venus in gutem 172 Auskommen miteinander zu leben. Bei diesen Negern vielleicht noch mehr als bei uns Kaukasiern, denn das Weib begleitet seinen Mann durch alle Strapazen eines Feldzuges und alle Gefahren eines heimtückischen Klimas.

Und seltsam, fast unbegreiflich ist es, wenn man sieht, wie diese hunderte von schwarzen Männern, Frauen und Kindern sich von zwei blutjungen Bleichgesichtern zum Kampfe führen lassen gegen die Leute ihrer eigenen Farbe, ihrer eigenen Sitten und Einrichtungen, ja ihres eigenen Blutes. Eben biegt es um die Ecke des Güterschuppens, das Dioskurenpaar, das diesen Unmündigen im Geiste als Führer gegeben ist. Ein Oberleutnant und ein Leutnant, aber trotz dieses übergewaltigen Rangunterschiedes einander gleichend wie ein Maiskolben dem anderen. Es gibt eine kurze Vorstellung zwischen ihnen und mir, und die Herren scheinen sich zu freuen, daß ich sie eine Strecke Weges begleiten wolle.

Derweilen hat man angefangen, auf dem Geleise den Zug zusammenzustellen. Die Soldaten haben ihre Tornister und ihr sonstiges Gepäck in ungedeckte Güterwagen hineingeworfen, und die schwarzen Weiber suchen sich's zwei Fuß überm Erdboden zwischen all den Sachen so bequem wie möglich zu machen. Wie die Hunde drehen sie sich ein Dutzendmal über dem Plätzchen, dem sie ihr verehrliches Hinterteil anzuvertrauen gedenken. Nachdem die schönere Hälfte der Expedition zur Ruhe gekommen ist, steigt auch der miles gloriosus ein, aber er ist weniger wählerisch. Er schiebt sich den Tornister unter 173 das Sitzfleisch, läßt die Beine über die Laderampe des Wagens herunterhängen und zündet seine Pfeife an. Alles ist bereit. Vorne wird sogar die Lokomotive schon ungeduldig und läßt zuweilen den Abdampf zischend auspuffen. Warum fahren wir eigentlich nicht los? Man antwortet mir, daß wir noch auf den Oberamtmann von Duala warten müßten, der eine Inspektionsreise antrete und uns bis Kilometer fünfundsiebenzig begleiten wolle. Man sieht auf dem Strome draußen eine Barkasse nach unserem Ufer treiben. Der Gedanke, daß sie uns den Oberamtmann bringen wird, liegt nahe. Und der Schein trog nicht. Er kam in der Mitte von siebzehn Mann schwarzer Dienerschaft, die sein Zelt, sein Jagdgeräte, sein Kochgeschirr, seine Badewanne und vieles andere trugen. Der Mann war etwas reichlicher ausgestattet als der selige Seume, da er seinen berühmten Spaziergang nach Syrakus machte. Doch er war ein freundlicher, zuvorkommender Herr, der seinen obrigkeitlichen Schutz reichlich über mich ausgoß, zumal da sich gleich nach den ersten Begrüßungsworten herausstellte, daß bundesbrüderliche Beziehungen aus den Studententagen her das Freundschaftsinteresse des einen für den anderen forderten. Himmel wie ist die Welt so klein!

Nun konnte das Einsteigen beginnen und begann auch. Eben wollte ich selber den Fuß auf das Trittbrett des Wagens setzen, als ein Bahnbeamter mir die Hand auf die Schulter legte. »Ich kann Ihnen eine kleine, unbequeme Formalität leider nicht ersparen,« sagte 174 er verbindlich, »und muß Sie bitten, sich zu mir ins Bureau bemühen zu wollen.«

»Also wieder raus aus den Kartoffeln,« dachte ich mit dem Leutnant im Manöverfelde und verfügte mich in die Schreibstube des Stationsvorstandes. Dieser Herr hatte schon seine Füllfeder für mich bereit und ersuchte mich, einen kleinen Revers zu unterschreiben. »Die hochnotpeinliche Prozedur ist schmerzlos und wird ja hoffentlich keine praktische Bedeutung erlangen. Allein das Interesse der Bahnverwaltung verlangt, daß wir vorsichtig sind. Es ist nicht anzunehmen, daß irgendwo auf der Strecke der Damm nachgeben und der Zug in einen Abgrund rennen wird, allein wenn es doch vorkäme, und Sie am Ende gar das Genick brechen sollten – –? Sie begreifen, daß dann die Regreßansprüche ihrer Relikten das Budget der Bahn belasten könnten. Aber wie gesagt, sehr wahrscheinlich ist ein Betriebsunfall gerade nicht, und unsere Vorsicht entlastet in erster Linie unsere Verantwortlichkeit und erst in zweiter den Eisenbahnkolonialfiskus.«

Ich weiß nicht, wie schwer ich allenfalls dem vielsilbigen Wortungetüm Eisenbahnkolonialfiskus im Falle eines Unglückes im Magen gelegen hätte; da ich ein höflicher Mensch bin, der keinen drücken möchte, so nahm ich schleunigst die Feder und unterschrieb, unterschrieb mit entsagungsvoller Wollust, daß man nach meinem Tode den Erdball und die Welt beliebig verteilen könne. Der dankbare Beamte atmete daraufhin ganz erleichtert 175 auf, wünschte mir gute Reise und drückte mir unter mancherlei Bücklingen begeistert beide Hände.

Wie ich über die Schienen hinüber nach dem Zuge eile, höre ich noch, wie der besorgte Kapitän der ›Eleonore‹ hinter mir ein Fenster öffnet und mir zuruft: »Doktor, ich habe Ihnen wieder ein Wurstbündel in den Wagen bringen lassen. Ich mag nicht, daß mein Schiffsarzt Hunger leide. Also guten Appetit, und kommen Sie gesund wieder an Bord.«

Der Zug fuhr los, bevor ich noch Platz genommen hatte. Überhaupt war das mit dem Platznehmen keine so einfache Sache. Die Bahn ihrerseits stellt nichts als den gänzlich leeren Innenraum des Waggons. Wer nicht stehen will, muß sich irgend ein Sitzmöbel mitbringen. Zu meinem Glück hatte der Herr Oberamtmann von Duala einen Reservestuhl bei seinem Gepäck, den ich mir an ein Fenster der Schattenseite rückte, um bequem ins Gelände hineinsehen zu können.

Anfangs wechselte Mangrovengebüsch mit sumpfigen Tümpeln, in denen das Krokodil seine Eier ausbrüten läßt, dann aber kam bald ein imponierend schöner Hochwald, dessen Laubkronen einen schwarzen Schatten wie einen mollig weichen Teppich über den Bahnkörper hinbreiteten. Elende Eingebornendörfer tauchten auf und waren im Nu verschwunden. Blühende Sträucher und hängende Schlingpflanzen, mit dem Farbenschmelz nie gesehener Blüten überladen, überraschten das Auge und hielten es in ihrem Banne, bis eine senkrecht abgestochene 176 Löswand einen sackgrauen Vorhang vor die Landschaft zog. Als sich der Blick notgedrungen dem Innern des Wagens zuwendete, traf er auf eine fromme Ölbergszene, wie man sie in Oberammergau nicht schöner sehen kann. Da lag der Bezirksvorstand von Duala zwischen seinen Sekretären, ein Bündel Akten auf dem Knie, schlafend in seinem Liegestuhl. Selbst die beiden Offiziere in ihren semmelgelben Uniformen schliefen. Nur ein paar große Fliegen waren wach und lieferten zu den tiefen Untertönen des Schnarchkonzertes einige helle Tenorstimmen. Ich war durstig und hätte einen Zinken aus meiner Grafenkrone um ein Glas Wasser gegeben, als der Oberamtmann, offenbar von einem analogen Gefühle geweckt, die Augen aufschlug und einem seiner schwarzen Diener zurief: »Boy, bringe das Sodawasser und ordne den Tisch zum Frühstück.« »Boy, das Porzellan,« »Boy, die Messer und die Gabeln,« ging der Befehl an die Adresse eines zweiten und dritten. Im Nu war aus Kisten und Säcken allerlei Hausrat ausgepackt, und mit Spannung warteten ich und andere auf das, was Teller und Schüsseln füllen sollte. Doch wir warteten und hofften vergeblich. Kaltes Geflügel, Fleisch, Eier und andere Leckerbissen, alles lag wohlverpackt und vergessen im Fliegenschranke des Bezirksamtes zu Duala. Blitz und Donnerschlag zu gleicher Zeit! Was aber nun an Segenswünschen über das schwarze Fell der Eingebornen niederprasselte, wäre ausreichend gewesen, einem Eskimo mitten im Dezember zu warmen Ohren zu verhelfen. 177 Es fehlte wenig, und die vielgeschwänzte Lederpeitsche der Obrigkeit wäre ins Funktionieren gekommen.

Zu allem Glück konnte ich mit dem von dem Kapitän der »Eleonore« gelieferten Proviant aushelfen. Ein satter Mensch vergißt und verzeiht leichter als ein hungriger. So hob sich nach dem Essen die Stimmung wieder, und guten Mutes verließ ich mit meinen Begleitern vom Zivil bei Kilometer fünfundsiebenzig nach vielstündiger Fahrt die Eisenbahn. Ich hatte nämlich während der Fahrt meinen Plan geändert. Es erschien mir sicherer und lohnender, mit dem inspizierenden Oberamtmann nach der Mukonjefarm zu reisen, als mit dem Militär bis zum Endpunkt der Bahn zu ziehen, wo sich dann doch niemand um meine Rückfahrt kümmern konnte.

Der Bahndamm, den eine kleine Schutzhütte zierte, war hoch, und es war für einen Europäer schon eine kleine Akrobatenleistung, mit ganzen Knochen an seiner steilen Böschung hinunter und in den fast ebenen Urwald hineinzukommen. Kerzengerade wie die Säulen altgriechischer Tempel steigen die Baumstämme bis in die Wolkennähe hinan, und Leute mit Sparkrägen riskieren ein Unglück, wenn sie den Versuch wagen, in die Blätterkronen hinaufzublicken, die übrigens so dicht sind, daß sie nicht einmal der Sonne einen Durchblick gestatten. So wandelt man in einem weihevollen Halbdunkel dahin und träumt Jagdabenteuer, bis der Flügelschlag irgend eines gefiederten Räubers durch die ernste Stille dahinrauscht. Wer nur einen Tropfen Jägerblut in den 178 Adern hat, der allerdings wird wach und ruft nach Pulver und Blei. Unser Oberamtmann gehörte zu dieser letzteren Sorte, und so höre ich ihn plötzlich aufschreien: »Boy, Boy, mein Gewehr herbei. In drei Teufelsnamen, so schnell wie möglich die Büchse her!«

Der Boy erschien, aber die Büchse nicht. Sie war im Zuge stehen geblieben und auf eigene Rechnung und Gefahr ins Land hinein weitergefahren.

»Kerls, denkt Ihr, daß man Euch bloß zum Fressen hält wie die Ratten,« herrschte der Gebieter den Sklaven an, nachdem die Tatsache festgestellt war. »Nun mach Dich auf und renne dem Zug nach und heute abend meldest Du Dich auf der Farm, um Deine Prügel entgegen zu nehmen.«

Ich war nicht geneigt, diese wohlwollende Zumutung, dem Zuge nachzurennen, ernst zu nehmen. Der schwarze Diener aber wußte wohl, daß es seinem Herrn bitterer Ernst war. Ehe einer noch eine Pfeife angesteckt hätte, war er wieder auf dem Bahndamm und hinter dem davoneilenden Zuge her. Als ich am Abend auf der Mukonjefarm die Hundepeitsche im Zimmer des Oberamtmannes durch die Luft sausen hörte, wußte ich, daß das Unwahrscheinliche Ereignis war, daß die Flinte zur Stelle und daß das Strafurteil vom Vormittag vollstreckbar geworden war.

Wir waren unterdessen auf unserer Urwaldwanderung an einen gewaltigen Baumriesen gekommen, den der Sturm quer über unseren Pfad gelegt hatte. Astwerk 179 und Wurzeln im undurchdringlichen Unterholz vergrabend, ließ er uns nur die eine Möglichkeit, über seine Leiche hinweg unseren Weg fortzusetzen. Mir wurde es schwindlig vor den Augen beim Gedanken, daß ich über den Riesen klettern solle, und schon wollte ich fragen, ob denn niemand einen Hebekrahn für mich mitgebracht hätte, als ich in dem Stamm kleine Stufen entdeckte, die das Haumesser der Eingeborenen eingekerbt hatte. Auch mit dieser praktischen Vorrichtung hatte dieses Abenteuer seinen halsbrecherischen Charakter noch nicht ganz verloren, aber die Möglichkeit war doch wenigstens gegeben, daß man über den verzweifelten Schlagbaum hinüber käme, wenn man mit einigen Quadratzentimetern seiner Schienbeinhaut als Straßenzoll nicht geizte.

So wagte ich denn verschwenderisch, nach langem Besinnen, auf allen Vieren den gefährlichen Übergang mit dem koloristischen Erfolg, daß meine Rockärmel grün und meine Hosen blutrot waren. Aber ich war, wohin ich wollte, und ein weicher Waldpfad, der allerdings mit Wurzeln reichlich durchflochten war, entschädigte mich für des Stammes rücksichtslose Rauheit mit lammfrommer Weichheit. Wohlgemut kam unsere Karawane plaudernd und rauchend bis zu einer tiefen Schlucht heran, die den schäumenden Geifer eines Wildbaches in ihrem Schoße gefangen hielt.

Hätte ich vor dem ersten Hindernis ein Dachdecker sein mögen, so wäre ich jetzt für mein Leben gern ein Seiltänzer gewesen. Der Pfad führte nämlich auf einem 180 etwa mannsdicken Kabokbaum, den – Gott weiß an welchem Tage – der Wind einmal über das Wildwasser gelegt hatte und das auch nicht exakt und nach der Wasserwage. Die Wurzeln am rechten Ufer lagen nämlich ein gutes Stockwerk höher als die Krone am linken. Etwas ausgehöhlt und poliert wäre das Ganze eine prächtige Rutschbahn geworden. Gar einladend war die Sache für mich nun allerdings nicht. Wenn ich Römer gewesen wäre und gewußt hätte, wohin, wäre ich am Ende umgekehrt. Als wackerer Schwabe aber zog ich die Schuhe aus und wagte mich auf die glatte Brücke über dem gähnenden Abgrund. Ich kämpfte den Schwindel mutvoll nieder und kam wirklich vorwärts bis zum ersten Querast. Ein Beherzterer als ich hätte geradeausblickend mit einem kräftigen Schritt das Hindernis genommen. Ich aber machte die Dummheit und senkte die Augen in die strudelnde Tiefe hinunter. Da bekam ich ein gefährliches Zittern in meine Beine. Ich fühlte, daß sie mich nicht mehr tragen wollten, und beeilte mich, so schnell wie möglich meinem Schwerpunkt eine breitere Unterstützungsfläche zu geben, indem ich auf dem Stamme Reitsitz nahm. Da hing ich wie der Hund auf dem Kamel, bis der Affe kam und mir über den Höcker hinüberhalf. Einer der Negergoliathe hatte seine Last abgelegt und war zu mir auf den Stamm zurückgekehrt. Er half mir auf, zog meine Arme fest über seine Schultern, und so kam ich mehr getragen als gehend über diese wenig komfortable Brücke hinüber.

181 Erst wieder in meinen Schuhen angelangt, marschierte ich nun heldenmäßig drauf los, denn es war zunächst nichts Gefährlicheres mehr zu vollbringen, als sich zwischen blühenden Bäumen durchzuarbeiten, oder einigen Luftwurzeln auszuweichen, die wie Glockenseile aus dem Blattwerk der Mangroven niederhingen. So machte die ganze Karawane in gemächlichem Gänsemarsch ihren langgezogenen Weg, bis sie nach halbstündiger Marschzeit, vor einem breiten Flusse sich stauend, zu einem schwarzen Tintenklex zusammenfloß.

Wir waren an den stillen Fluten des Mungo angekommen. Eine breite, schwarze, im Sonnenlicht wie Glanzleder schimmernde Wasserfläche lag vor uns. Aus Waldesdunkel geboren zeigte sich die schweigend strömende Flut für einen Augenblick nur der Tageshelle, um wieder von Blätternacht und Schweigen verschlungen zu werden. Nirgends die Spur eines Weges. Nirgends ein Stein von Uferbänken oder auch nur eine Spur von Ufersand. Wo kein Wasser war, da war die geilste, üppigste Vegetation, die keinen Quadratzentimeter der Mutter Erde unbefruchtet ließ. Sogar die Urwaldriesen noch neigten ihre blühenden Wipfel über den Strom und gaben ihm ihren Samen mit, damit er ihn in dem Schwemmland seiner Niederung anpflanze.

Wir Weiße standen im sumpfigen Ufergras des Flusses und sahen einander an. Die Schwarzen hatten ihre Lasten auf den Boden gelegt und sich dazu. Das einzige Negerweib, das unserem Zuge beigegeben war, 182 ordnete halbversteckt hinter Kalablättern ihre fast paradiesische Toilette.

»Haben Sie den Fahrplan richtig besehen und kommt der Steamer bald?« fragte ich den Herrn Oberamtmann.

»Wenn's keine Kesselexplosion gegeben hat, so kann der Dreidecker in einer halben Stunde da sein,« war die geschwollene Antwort auf meine gedunsene Frage.

»In einer halben Stunde! Derweilen kann einen dreimal der Sonnenstich getroffen haben,« berechnete ich und band meinen Rucksack an eine freischwebende Luftwurzel, während ich mir ein schattiges Plätzchen hinter dem breiten Stamme einer Steineiche suchte und mich niederließ. Die Augen hatte ich flußaufwärts gerichtet, wo der Mungo aus überhängenden Zweigen wie aus einer schwarzgrünen Ehrenpforte mit fürstlicher Ruhe heraustrat.

Wie ich so hinsehe, schießt mit einem Male ein langer schwarzer Gegenstand leicht wie ein Schatten über den Spiegel des Wassers hin. Im ersten Augenblick war ich geneigt, das Ding für den Rückenpanzer eines Krokodils zu nehmen, bis ich bemerkte, daß zu beiden Seiten des schwimmenden Gegenstandes sich weiße Patteln ins Wasser senkten. Nun war ich meiner Sache sicher. Ein Kanu von Eingeborenen gelenkt, eilte mit einer Geschwindigkeit, die fast dem Schwalbenfluge gleich kam, auf uns zu. Kaum länger als ein Hahnenschrei dauert, und der ausgehöhlte Baumstamm mit seinen nackten Ruderern hatte sich an unserem Lagerplatze mit dem 183 Kiele in den weichen Lehmboden festgebissen. Das also war unser Trajektboot. »Herr, in deine Hände empfehle ich meinen Geist,« betete ich fromm, als ich den Versuch machte, mich auf dem Bootsrande des ausgehöhlten Lineals niederzulassen. Ich war nämlich der erste, der den Fluß hinauf befördert werden sollte. Ein Gefühl, als ob ich mich auf die Schneide einer Sense gesetzt hätte, protestierte gegen eine solche unausstehliche Bequemlichkeit, und das Kanu tat es gleichfalls.

Es kehrte wie ein toter Fisch den Bauch nach oben und fing an Wasser zu schöpfen. Ein verzweifelter Sprung, und ich stand wieder auf dem Trockenen. Die Einschiffung begann von neuem und gelang auch, nachdem mir klar gemacht worden war, daß ich mich wie ein Igel zusammenrollen müsse, um dann in das schmale schwankende Fahrzeug hineingekugelt zu werden. Ich richtete mich, so gut es ging, nach den landesüblichen Verkehrsvorschriften und lag bald in ein schmutziges Gelee eingepökelt über dem Kielschwein des vorsintflutlichen Fahrzeuges. Die Augen hatte ich gegen den Himmel gerichtet, von dem ich allein in dieser Situation noch Hilfe und Rettung erwartete. Die schwarzen Ruderknechte, acht Mann an der Zahl, genau gegeneinander abgewogen, damit sie sich das Gleichgewicht halten konnten, schienen mit wahrer Wollust auf dem mir unerträglichen Bootsrande zu sitzen, und sie stachen auf ein gegebenes Zeichen à tempo mit den Patteln in den Fluß.

184 Wie eine Libelle glitt das Fahrzeug über den Wasserspiegel hin. Es war, als ob es viel zu leicht wäre, um in dies bewegliche Element eine Furche ziehen zu können. Dabei klang alsbald mitten in die Urwaldstille hinein aus rauhen Männerkehlen ein schlechter Gesang, nach dessen monotonem Rhythmus sich die Patteln der Ruderer taktfest hoben und senkten. Ich will mich mit dem Schabeisen eines Gerbergesellen rasieren lassen, wenn ich von dem Texte des infernalischen Liedes auch nur ein einziges Wort verstanden habe. Und dennoch war mir im Laufe des Gesanges klar geworden, daß sein Inhalt sich mit meiner Person beschäftigte, denn zuweilen belohnte den Vorsänger ein lautes Beifallsgelächter, und spöttische Blicke aus den weißen Porzellanaugen glitten lächelnd zu mir nieder. Als ich diese, meine Beobachtung später einem der Landessprache kundigen Europäer mitteilte, gab er mir recht, versicherte mir, daß diese schwarzen Troubadours gute Improvisatoren seien, und teilte mir mit, was wahrscheinlich der Sinn ihres Liedes gewesen sein mochte. Ich habe die Worte zu einem kannibalischen Verslein gefügt und werde demnächst versuchen, durch ein Preisausschreiben einen halbverhungerten Komponisten anzulocken, damit dem kannibalischen Text eine gleichwertige baumwollbieberne Melodie aufgeschneidert werde:

Der weiße Mann liegt im Kanu–Ju–Ju–Ju,
Er drückt vor Furcht die Augen zu,
Von weitem sieht's der Kakadu,
Der denkt sein Teil und lacht dazu–Ju–Ju–Ju.

185 Das lange Lied fand sein Ende in einem rauhen Kratzen, das unter dem Kiel des kleinen Schiffleins hervordrang. Wir waren auf Sand aufgelaufen und lagen unbeweglich. Als ich die Augen über den Bordrand erhob, erkannte ich, daß wir am Ziele waren, und bemühte mich, aus dem Backtrog herauszukommen. Kaum stand ich erst mit den Füßen am Festland, als das Kanu mit seiner schwarzen Bemannung auch schon verschwunden war. Ich war allein, und nichts war um mich als eine ungeheure Stille.

Wo mag nun die Mukonjefarm sein, überlegte ich mir, als ich weit und breit nichts sah als Wald und den guten aber etwas übergrasten Weg, auf dem ich stand. Da mir ein innerer Drang keine Ruhe ließ, so beschloß ich, die Ankunft meiner Reisegenossen nicht abzuwarten, sondern mich der Führung des Weges anzuvertrauen. Die Sonne schien warm durch den etwas gelichteten Wald und trocknete langsam meine nassen Kleider, während ich mehr und mehr ins Steigen kam. Nicht lange und der Wald war verschwunden. Hohe breitblätterige Bananenstauden zogen sich wie nach dem Lineal gesetzt über die Hügel hinweg und in wasserreiche Schluchten hinunter. Zwischen den Bananenpflanzen drinnen entdeckte man jung angepflanzte Gummibäume, die noch nicht hart genug waren, dem sengenden Strahle der Tropensonne widerstehen zu können. Alles war so sorgsam und wohlbedacht angelegt, daß es nur von Europäern herrühren konnte. Aber so weit hin mein 186 Auge auch auf die Suche ging, die langen Pflanzenreihen hinauf und hinab, nirgends vermochte ich einen Menschen zu entdecken, und allmählich kamen allerlei wirre Gedanken, schwirrten wie verflogene Schwalben durch mein Gehirn und bereiteten eine trübselige Melancholie vor. Auf einem kahlen Hügel gerade vor mir standen als letzte Reste des vom Feuer gefressenen Waldes die traurigen Skelette dreier gewaltiger Bäume. Wie verzweifelnd streckten sie die kahlen Äste von sich, und es war, als ob eine ungeheure Anklage gegen das frevelnde Menschengeschlecht von ihnen ausgehend gegen den Himmel schwebte. Wie kam's, daß ich bei diesem Anblick den Gedanken nicht los wurde an die drei Kreuze auf Golgatha – –?

Immer höher stieg der Weg. Bald mußte ich den Gipfel eines ansehnlichen Hügels erreicht haben. Von der Höhe da oben erwartete ich einen Rundblick, der mich orientieren sollte. Ich kam an, und es war nichts. Immer neue grüne Hügel türmten sich einer hinter dem anderen, und zur Linken trat wieder der Wald an meinen Weg heran. Schon kam mir der Gedanke:›Du mußt umkehren und die anderen zu finden suchen,‹ denn schon drohte die Nacht, als ich den Hufschlag eines langsam ausschreitenden Pferdes vernahm. Gleich darauf sah ich das Tier, von einem Schwarzen am Zaume geführt, aus dem Walde heraustreten. Der Krausköpfige hatte einen Zettel in der Hand, den er mir, als er mich erreicht hatte, triumphierend unter die Augen hielt. Dem 187 losen Papierfetzen waren zu meiner großen Verwunderung die Worte aufgeschrieben: ›Dies Pferd kommt von der Mukonjefarm und ist für den Dr. Karrillon bestimmt.‹ Wie wär's denn nur möglich, daß meine Annäherung auf der Farm bekannt sein konnte? Wer konnte einen Boten vorausgeschickt haben? Etwa der Oberamtmann von Duala?! Aber der ganze Vorgang hätte sich vor meinen Augen abspielen müssen? – Na, beruhigte ich mich schließlich, was sollst Du Dir den Kopf zerbrechen? Die Hauptsache bleibt doch, daß Du Dich nicht verirrt hast und daß Du nun vier Beine mehr hast, um Dein Ziel zu erreichen. Ich setzte den Fuß in den Steigbügel und schwang mich in den Sattel. Wer nach jahrelanger Pause zum ersten Male wieder auf ein Pferd gestiegen ist, wird mir vergeben, wenn ich bekenne, daß ich kaum halbwegs eine so gute Figur gemacht habe wie der Colleone vor San Giovanni e Paolo zu Venedig. Aber es ging voran, obwohl mein schwarzer Diener die fromme Rosinante am Schwanz gepackt hatte und sich nachziehen ließ.

Wir kamen an ein Sägewerk, das mit schrillem Seufzen die tiefe Waldesstille durchschnitt. Das ganze europäische Personal des Betriebes war mit Feder und Bleistift hinterm Ohre auf die erhöhte Veranda des geräumigen Holzhauses getreten, um den pomphaften Einzug eines germanischen Heilands zu beobachten. Eine erwartungsvolle Palmsonntagstimmung war über alle Gesichter ausgegossen, und es fehlte nicht viel, so wären sie in 188 den Jubelruf ausgebrochen: ›Hosianna dem Sohne Davids!‹

Doch sie wurden Meister aller ihrer Hochgefühle, bis zu dem Augenblicke, wo ich den verwegenen Versuch machte, von der Schindmähre wieder herunter zu kommen. Da waren alle Schleußen guter Erziehung zu schwach, um die Hochflut eines homerischen Gelächters länger zurückzudämmen, und nicht eher wechselte die heitere Stimmung, als bis ich abgestürzt neben meinem Rößlein auf dem Boden lag.

Nun freilich griffen Dutzende von Händen hilfsbereit zu. Man trug mich fast die Treppe zur Veranda hinauf, und zu meiner Erquickung wurden gerade so viele Schnäpse herbeigeschafft, als es in deutschen Landen Volksstämme gibt. Die Sägemühle beherbergt nämlich von allen Nationalitäten, die zwischen dem Belt und dem Bodensee hausen, mindestens ein Exemplar, und jeder Brocken von diesem Völkerragout hatte in Bezug auf gebranntes Wasser seinen eigenen hochheiligen Dogmenglauben und machte Proselyten dafür. Ich aber kam allmählich, weil ich nicht nein sagen konnte, in eine so temperamentvolle Schützenfest-Begeisterung hinein, daß ich gerade den »Andreas Hofer« anstimmen wollte, als zum Glück der Oberamtmann mit dem Rest der Karawane nachkam. Es gab ein gewaltiges Händeschütteln zu einem kräftigen Umtrunk, dann aber ging's in der Herde weiter, dem Herrenhause der Mukonjefarm entgegen.

Schon stand die Sonne tief, und mit halbverdecktem 189 Antlitz schaute sie hinter dem gewaltigen Rücken des Kamerunberges zu uns herüber. Ein mildes Abendrot hüllte das weite stille Land in einen festlichen Purpurmantel ein, so daß es glückverheißend dalag wie die Zaubergärten der Hesperiden. Und mitten in diesem neuentdeckten Paradies, da thronte auf dem sanft abgerundeten Rücken eines Hügels unter nickenden Palmenwipfeln das Herrenhaus der Mukonjefarm.

Eine breite Via triumphalis zu beiden Seiten mit Buschrosen bepflanzt und mit weißem Kies überschottert, führt, wie zu einem Gnadenorte, voll feierlichen Ernstes zum Hügel hinauf. Schauend und plaudernd kommen wir immer höher und bemerken nun, wie eine Holzfenz das große Areal umzirkelt. Weidende Kühe mit gemächlichem Gang werden hinter exotischem Buschwerk mit ihren Kälbern sichtbar, während Fohlen wilden Laufes an der Umzäunung hinstürmen, und schnäckige Ziegen überall an Kraut und Buschwerk herumschnuppern. Vom Hause herunter kommen Hunde gelaufen, die gegen die späte Einquartierung protestieren, und Katzen, die mit einschmeichelndem Katzenbuckeln uns als liebe Gäste willkommen heißen. Während dies am Boden geschieht, schaukeln sich in Palmenwipfeln bunt gefärbte Vögel, und hoch und sicher keiner Menschenheimtücke mehr erreichbar, steht in der Ätherbläue mit breitem Flügelpaar ein königlicher Räuber auf dem Adlerneste.

Die Art, wie uns der Vorstand der Farm von der hohen Piassa seines Hauses herunter jubelnd begrüßte 190 und empfing, war nicht nur landsmannschaftlich, sondern geradezu herzlich. Für jeden von uns war ein blitzblankes Zimmerchen bereit mit blitzblankem Bett hinter den schweren Moskitovorhängen. Schon brannte die Lampe über dem Porzellan des Waschtisches und erhellte die glänzende Spiegelscheibe, die uns freundlich aufforderte, unseren äußeren Menschen noch einer kurzen Revision zu unterziehen, bevor das Gong mit tiefem, eindringlichem Tone zur Tafel rief.

Bald saßen wir in der luftigen Speisehalle, die das Haus von Süd nach Nord in seiner ganzen Breite durchschneidet, um ein köstliches Mahl und nach diesem auf weichen Liegestühlen um eine weitgereiste duftende Zigarrenkiste herum. Die Lampe streute ihr rotes Licht über die Veranda hinweg in den Garten hinaus und ins Gebüsch hinein. Blumenkelche, große schwankende Blumenkelche sahen mit fremden Augen staunend zu uns herüber, während ein leichter Wind im Blattwerk des Schirmbaumes seine buhlenden Weisen lispelte. Wie Halbgötter schwebten wir glückselig in Habanawolken, während schwarze Diener mit unhörbarem Tritte über die Binsenmatten hinschritten und immer wieder und wieder die kristallenen Gläser mit köstlichem Moselweine füllten.

Während wir so lagen und von der fernen Heimat redeten, kam zuweilen ein neugieriges Zicklein, das seine Stalltüre noch nicht hatte finden können, auf die Veranda herauf, blickte scheuen Auges zu uns herein, schüttelte den Kopf und floh mit polternden Schritten wieder die 191 Holztreppe hinunter. Schütze Gott Deine Nachtruhe, Du leichtbetörtes, unerfahrenes Ding. Schon kommt das Dunkel dem Räuber zu statten. Über die Fenz hinweg setzt mit kühnem Sprung der Leoparde. Wehe Dir, Du harmlose Einfalt, wenn er zufällig Deinen nächtlichen Spaziergang kreuzen sollte.

Doch was ist's, was da in scheuem Zickzackfluge vom Lichte angelockt durch das Sparrenwerk des Saales flatschert? In schwarzem Sammetmantel, kaum kleiner als ein Rabe, sind es dem Europäer fremde aber harmlose Gäste. Sie kleben sich zuweilen mit den feuchten Netzflügeln an die Tapete an und sehen mit großen Augen begehrlich nach der verführerischen Helle. Dann aber schwirren sie plötzlich wieder ab, um sich in die Nacht hinauszustürzen, wer mag sagen, von welchem Instinkt getrieben? Fliegende Hunde sind es. Sie gehören zum lebenden Inventar eines jeden Tropenhauses, und sie bezahlen die Gastfreundschaft der Menschen damit, daß sie viel lästiges Ungeziefer vertilgen.

Es war indessen spät geworden. Die Unterhaltung verlor an Lebhaftigkeit, und das Bedürfnis nach Ruhe rief einen nach dem anderen von der Tafelrunde hinweg nach seiner Schlafkammer. Auch ich war gegangen, um mich niederzulegen. Schon stand ich vor meinem Bett, um den Moskitovorhang hochzuheben, als ein scharfes Peitschenschwirren zischend an mein Ohr schlug. Es drang durch die dünne Holzwand aus dem Zimmer meines Nachbars. Die Strafe, die der nachlässigen 192 Dienerschaft heute vormittag angedroht worden war, kam vor dem Nachtgebete zum Vollzug. Die Lederriemen der Peitsche schrieen in der Luft und fuhren klatschend nieder auf die Haut des Delinquenten wie Hagelkörner in ein Erbsenfeld. Allein sie lösten keinen Laut der Klage aus, ja nicht einmal einen Seufzer. Alles blieb stumm, bis auf eine zornige empörte Stimme in mir, die Menschlichkeit fordernd aus meiner Seele herausschrie. Ich wollte, ich konnte nicht länger zuhören und stürmte im Nachthemd hinaus auf die Piassa. Der Vollmond stand am Himmel und goß seinen milden Silberschein herunter auf dieses Land mit seinen weiten, dunkeln Wäldern, auf diesen Kranz von Bergen, die teils mit breiten Felsenstirnen dastanden und teils mit spitzigen Zacken in den Sternenhimmel hineinstachen. Verträumte Palmenwipfel wiegten sich nachdenklich in der frischen Brise, die vom Flusse heraufstrich, und unmittelbar vor mir stand eine schwarze Schildwache lautlos unterm Gewehr. Hat dieser Mann mit der geladenen Waffe in der Hand die Schmach gehört, die man einem seiner Volksgenossen, vielleicht einem seiner Brüder angetan hat? Und wenn er sie gehört hat, warum krümmt sich ihm nicht der Zeigefinger überm Drücker des Gewehres? War dies stumme Dulden der Ausdruck einer tierischen Indolenz, oder muß die Wut, ähnlich wie die Elektrizität in einer Leidener Flasche, erst eine gewisse Spannung erreicht haben, bevor der zündende Funken überspringt? Mit diesen Gedanken beschwert 193 ging ich, da indessen auch die Peitsche still geworden war, ohne einen Interventionsversuch gemacht zu haben, zur Ruhe. Aber die Vorstellung schwerer Möglichkeiten nahm ich mit in meine Träume hinüber, die voll waren von blutigen Vernichtungskämpfen der einen Rasse gegen die andere.

Am nächsten Morgen weckte mich ein Laut, wie ich einen solchen noch nie gehört hatte. Seine Klangfarbe glich dem Ton eines Hornes, nur war sie ohne allen Nachhall stumpf und pelzig. Dem einen Ruf antworteten andere von gleichem Charakter, nur daß sie schwächer waren, weil sie wohl aus weiterer Ferne kamen. Ich stürzte aus der Tür meiner Kammer auf die Veranda hinaus und sah eben noch, wie einer der Neger eine Bierflasche an einem vom Dachsparren niederhängenden Faden befestigte. »Warst Du es, der hier geblasen hat?« fragte ich den Schwarzen, »und mit dieser Flasche da?« »Yes, Massa,« war die kurze Antwort, dann drehte er sich um und ging seinen Geschäften nach.

Ich konnte nicht anders. Ich mußte das seltsame Musikinstrument einer näheren Besichtigung unterziehen. Es war in der Tat nichts weiter als eine Bierflasche, der man den Boden ausgeschlagen hatte. Die Art der Aufhängung war bei aller Genialität der Idee die denkbar einfachste. Der dünne Strick trug ein angemessen langes Querholz; steckte man beides durch die bodenlose Flaschenhöhle durch, so trug das Querholz das gläserne Klapphorn. Ich glaub', es war Till Eulenspiegels Mutter, 194 die einen Regenwurm zum Nestel machte, als ihr das Mieder geplatzt war. ›Respekt vor einem Weibe, das sich zu helfen weiß, auch wenn sie nicht die Mutter des berühmten Braunschweigers ist; Respekt aber auch vor diesen Schwarzen, die eine Bierflasche in eine Posaune umzuwandeln verstehn.‹ Dies ungefähr waren meine Gedanken, als ich wieder in mein Bett stieg, denn es war noch weit vom Tage, es war erst wenige Minuten nach vier Uhr. Bald schlief ich wieder. Als ich aber nun zum zweiten Male erwachte, war mit dem elften Glockenschlage die Nacht so ziemlich herum. Das ganze Haus war leer und tot. Nur die Kaffeekanne, die auf dem Tisch des Speisezimmers auf mein Erscheinen wartete, schnaufte noch ein wenig aus einem langen Schwanenhals. Ich legte mich neben sie und brachte eine Zigarre in Brand, und da mir das Faulenzen nie besser schmeckt, als wenn ich weiß, daß andere Leute gerade in meiner Ruhestunde sich gehörig plagen müssen, so stellte ich mir vor, daß nun alles Gesinde der Farm am Urwaldroden sei, und verlebte einen vergnügten Vormittag, wenn man langmütig genug ist, die Zeit von halb zwölf bis zwölf Uhr einen Vormittag zu nennen.

Das Essen vereinigte nur eine halbe Stunde lang die ganze Gesellschaft um den Tisch; dann ging jeder wieder seinen Geschäften nach. Der Oberamtmann hatte die Landmesser aus dem Busch heraus zu sich beschieden und arbeitete mit ihnen, während die Pferde der Gerufenen unterm Sattel auf dem weiten Rasen behaglich grasten. 195 Die Herren von der Farm waren nach den Vorwerken und den Holzschneidereien hinausgeritten, und ich war mir selber überlassen. Nach einem erquicklichen Mittagsschläfchen hörte ich die dumpfen Schläge einer Trommel. Ich stand auf und ging, den Spielmann zu suchen. Er saß, sein Instrument zwischen den Knien, nachdenklich unter einer Hütte von Palmstroh. Seine Hände regierten nur lässig die Schlegel, aber sein Ohr schien aufs höchste angestrengt zu sein. Er lauschte nämlich dem Klang einer anderen weit entfernten Trommel und gab zuweilen mit einem Wirbel Antwort oder stellte mit einzelnen Auftakten Fragen. So wird über weite Entfernungen hin ein Einverständnis hergestellt durch die Sprache der Trommel, und wichtige Nachrichten durchfliegen mit Windeseile das Land.

Will ich diese Signalsprache meinen Lesern einigermaßen begreiflich machen, so muß ich sie an Morse erinnern, der mit Strichen und Punkten das erste telegraphische Alphabet zusammengestellt hat. Setzen wir voraus, daß ein kurzer Ton einem Punkt gleichwertig wäre und ein langer Ton einem Strich, so können wir sofort durch Töne ein Wort weitergeben so gut wie der Morseapparat, oder wie die Signalfeuer, die vermittels kurzer und langer Lichtblitze reden. Haben sich zwei miteinander verständigt, daß ein kurzer Lichtblick ein A bedeuten soll, ein langer ein N; so würde ᴗ – – ᴗ das Wort Anna ergeben. Wenn ich gegen Leute, die an diesen meinen Erklärungsversuch der Trommelsprache 196 nicht glauben wollen, kein Anathema schleudere, so geschieht es nur deshalb, weil heutzutage ohnedies genugsam geflucht wird, und dann auch deshalb, weil ich einer der gutherzigsten Menschen bin; eine Tatsache, die ich sofort zu beweisen gedenke.

Ich gab nämlich dem schwarzen Musikanten eines unserer neuen fünfundzwanzig Pfennigstücke in der Hoffnung, daß er seinen Wert um fünfundsiebzig Prozent überschätzen werde. Und damit hatte ich Glück. Der Trommelvirtuos schenkte mir nicht nur einen dankbaren Blick, sondern auch eine Kolasalbe aus Mitleid mit meinen von der Sandfliege übel zugerichteten Händen.

Diese Salbe stammt aus dem zentralen Afrika, dient zum Färben der Nägel, zum Flicken halbgebrochener Herzen und ersetzt sogar den Hering nach allzustarkem Genuß des Palmweines. So allumfassend und vielseitig die Wirkung der Kolanuß auch sein mag, meinen Händen kam sie nicht zugut. Ich kratzte unentwegt weiter den ganzen Nachmittag fort und in die Nacht hinein, bis mich die Bassisten, Tenoristen und Altisten der Moskitoliedertafel in den Schlaf gesungen hatten.

Wenn der Wildbach in Tümpeln und Gumben sich ausgeruht hat, springt er mit doppeltem Mutwillen über Klippen und Steine hin. Und der Mensch stürzt sich nach einem mit System durchfaulenzten Tage, dem eine geruhsame Nacht folgt, verwegen in neue Abenteuer. So trieb mich der Weckruf der Bierflaschen am nächsten 197 Morgen mit einem gewaltigen Salto mortale aus dem Bett und unter die Regendusche, die in einem Seitenflügel dem Herrenhause angegliedert war. Horch, wie floß das kühle Naß plätschernd an mir nieder, während draußen im Hofe die Rosse wiehernd stampften und zu neuen Zielen einluden. In Afrika, wo der Eingeborene gar nichts anhat, ist auch der »Hereingeplackte« mit der Toilette bald fertig. Schuhe mit Gamaschen und gelber Kakihose bedecken die untere Hälfte von dem, was an uns sehenswert ist, ein gestreiftes Wollhemd und ein Tropenhut die obere. Nun noch die Reitpeitsche in die Hand, und hinein in den Sattel. Leider war mir das letztere Glück nicht beschieden. Herr Loak, dem der Anblick meiner berittenen Heldengestalt von vorgestern her noch in erschreckender Erinnerung stand, hatte für mich einen Maulesel in die Scheerendeichsel eines Hikkorigigs gespannt. Ich mußte hinauf auf den verwegen hohen Sitz, der mir so erhaben vorkam, daß ich mir einbildete, ich müßte den Sonnenaufgang mindestens eine Stunde früher sehen als andere Sterbliche, die nicht höher überm Boden waren, als ihre Absätze reichten. Man hatte mir die Zügel in die Hand gegeben, aber ich gebrauchte sie vorerst ganz und gar nicht. Denn während die Pferde unruhig in die Gebisse schäumten und von den schwarzen Reitknechten nur mühsam gebändigt werden konnten, stand mein hypozentaurischer Halbgott wie eine Schildkröte ruhig in der Gabel. Erst als die Pferde mit ihren Reitern belastet frisch in 198 die kühle Morgenbrise hinein trabten, wurde er ehrgeizig und galoppierte mit streberhafter Ungeduld dahinter her.

Der Weg war grasig, doch von leidlich festem Unterbau, und so lief der zweiräderige Karren ziemlich ruhig durch das Buschwerk hin, dessen taufrische Gerten zuweilen respektlos wider meinen Korkhelm und meine Backen trommelten. Anfangs, als Busch und Baum noch im Dunkeln steckten, erwartete ich nichts Geringeres, als daß ein Leoparde meinem Maulesel an die Brust springen möchte, damit ich ihn mit meinem Revolver herunterschießen könnte. Als aber die Sonne einmal über den »weißen Berg« herüberguckte, sah alles so nüchtern und von Romantik reingekehrt aus wie der Berliner Tiergarten.

Wäre nicht der Mule zuweilen mit einem seiner Füße in die unterirdischen Gänge der Scharmäuse knietief eingesunken, so wäre überhaupt nichts Aufregendes vorgekommen, nachdem der Ehrgeizige das anfängliche Wettrennen mit den Pferden vernünftiger Weise aufgegeben hatte. Wir zottelten so langsam durch die Morgenstille hin, der Maulesel, ich und mein schwarzer Diener, der hinter dem Wagen herlief, sich mit der Hand an der Rücklehne des Sitzes hielt und seinen unterbrochenen Nachtschlaf im Laufen fortsetzte. So ging es einsam – denn die Reiter hatte ich längst aus den Augen verloren – durch niedergebrannten Hochwald, der noch nach den kaum verlöschten Feuern roch, und durch 199 Gummipflanzungen, die kaum noch in dem aschegedüngten Waldboden Wurzeln geschlagen hatten, hügelauf und -ab, bis wir mit unserem Fuhrwerk vor einer sumpfigen Schlucht hielten, auf deren Boden ein Wildbach dem Mungoflusse zueilte. Nun war guter Rat teuer. Zunächst war ich übrigens froh, daß der Mule mit seinen vier Beinen wie angemauert im Sumpfe steckte. In der Weise war er so gut wie vollkommen unbeweglich, und die Gefahr des Abstürzens bei dem Heruntersteigen von dem schwankenden Hickorigestell war für mich auf ein Minimum reduziert.

Als ich auf dem Boden stand und durch eine Pantomime meinem Sudanneger klar zu machen suchte, daß der Wagen demnächst umkippen werde, sagte er mit einem Antlitz, das es an Ausdruckslosigkeit mit einem Dreikreuzerkrüglein aufnehmen konnte: »Inschallah« d. h. wenn Gott es will.

Da ich mit Gottvertrauen allein in einer Mauleselsangelegenheit nicht viel zu erreichen hoffen konnte, so machte ich dem schwarzen Negerungetüm mit der Peitsche verständlich, daß ich ihn durchprügeln würde, wenn er mich aus dem Sumpfe nicht herauszöge, in den er mich hineingelegt hatte. Denn es war mir sonnenklar, daß wir zwei Esel durch die Indolenz des Dritten vom rechten Wege abgekommen waren. Als die Peitschenschnur in der Luft ein paarmal eine recht eindringliche Sprache geredet hatte, bequemte sich das geölte Faultier endlich dazu, in den Sumpf hineinzusteigen und das Gefährt 200 rückwärts zu hufen. So legten wir nach Krebsmanier eine Strecke zurück, bis sich der Weg wieder so gebessert hatte, daß ich aufsteigen konnte, und noch einmal ging es jetzt, »heisa, juch hast du nicht gesehen« in die Plantage hinein.

Die Mukonjefarm umfaßt so viel Land, daß sie sich bequem den Luxus gestatten könnte, einen deutschen Duodezfürsten von Gottes Gnaden zu ernähren, und es ist deshalb schon begreiflich, wenn ein Maulesel auf einem so ausgedehnten Besitz sich müde Beine holt. Der unsrige fing nachgerade an über jede Bananenschale zu stolpern, die im Wege lag, und als er abermals über ein Wasser sollte, um drüben ein hohes Ufer zu erklettern, schüttelte er so energisch den Kopf, daß ich die seltene Gelegenheit, einmal den Gescheiteren spielen und nachgeben zu können, mit Freuden benützte. Ich ließ also Mann und Tier zurück, damit sie gegenseitig aufeinander acht geben möchten, und wanderte zu Fuß weiter, um meine Gastfreunde aufzusuchen. Diese Aufgabe war nicht allzu schwierig, denn ich brauchte nur den Spuren zu folgen, die von den Pferden mit ihren Hufeisen deutlich genug in das schwarze fette Erdreich hineingedrückt waren.

Bald kam ich an eine Rodung, wo es aussah, wie auf dem Dürkheimer Wurstmarkt. Leinwandzelte waren aufgeschlagen und mit langen Tauen in Pfählen verankert, die man in die Erde hineingetrieben hatte. Viereckige Bambushütten mit Palmstroh überdeckt bildeten 201 eine lange Gasse, und da sie, von weitem betrachtet, ein schmuckes, reinliches Aussehen hatten, so fiel es nicht schwer, sich einzubilden, daß sie von Waffelbäckern bewohnt sein könnten. Sobald man aber dieser improvisierten Stadt sich näherte, rieselte einem diese köstliche Jahrmarktillusion vom Leibe. Die Zelte sind zwar nett und komfortabel – soweit ein Zelt dies überhaupt sein kann – und sie sind von deutschen Landmessern und Vorarbeitern bewohnt. Die Bambushütten aber sind die Heimstätten der Eingeborenen und von unbeschreibbarer Nüchternheit. Ein Gestell aus schmalem Rundholz übernimmt die Funktionen von Bett und Sopha. Drei Steine, über denen ein eiserner Kochtopf steht, oder von der Decke niederhängt, ersetzen den Küchenherd, und ein rußiger Kessel tritt mit bewundernswerter Vielseitigkeit für das fehlende Eß-, Trink- und Waschservice in die Bresche. Gabel und Messer hat der liebe Gott einem jeden dieser Naturkinder beinahe unverlierbar an den Leib gearbeitet, und man muß bewundern, wie sie dieselben zu gebrauchen verstehen. So einen Hühnerleichnam holt das kleinste Niggerbaby mit den Fingern aus der kochenden Brühe heraus und skelettiert denselben, daß man das Knochengerüst in jedes Naturalienkabinett hineinstellen könnte. Die Zuspeise des gekochten Reises bearbeitet jung und alt durch Kneten in der Hohlhand so lange, bis sie die Form einer halbwüchsigen Essiggurke angenommen hat. Ist dies erreicht, dann wird der Kopf ins Genick gelegt, um den Schlund zu strecken, das Maul 202 wird aufgerissen, und der Bissen fällt mit Selbstverständlichkeit glucksend in den Magen herein.

Nicht jeder Eingeborene scheint übrigens das Glück des eigenen Herdes zu schätzen. Es gibt Garküchen, wo Niggerjünglinge mit überlegenen Referendargesichtern und Suahelijubelgreise mit Lebemännerphysiognomien um einen entsprechend größeren Kessel sitzen und sich von fetten Büffetdamen die Kur schneiden lassen. Ihre Büsten sind noch etwas übersichtlicher als die der Besucherinnen eines Berliner Nachtcafés und ihre Blicke nicht minder aufmunternd. Es ist deshalb ein gutes Zeichen für die Moral der schwarzen Männerwelt, daß so wenig versteckte Kostbarkeiten nur so wenig Reiz für Diebe haben. Von einer handgreiflichen Bewunderung weiblicher Reize ist nirgends die Rede. Sollte man nicht schwarze Missionare nach dem Seinebabel und anderen europäischen Zentralen schicken, auf daß sie der Männerwelt das Zehnte Gebot beibrächten? Übrigens würden 203 Amateurphotographen da drüben reichlichen Stoff finden. Solche Gruppen nämlich, die um das offene Feuer eines Herdes gelagert ihren Kokosnußkuchen oder ihr Jamswurzelgericht erwarten, wären reizende Motive für Künstler, noch mehr jene Männer, die sich vor Wiederbeginn der Arbeit kopfüber in das kühle Wasser des Baches stürzen.

Sobald die Essenszeit vorüber war, wurde die Dorfstraße menschenleer. Die Weiber hatten sich in die niederen Hütten verkrochen, und die Männer waren zur Arbeit des Holzfällens zurückgekehrt. Das Beil und die Säge waren am Schaffen. Es war ein Nagen und Picken durch den sterbenden Urwald hin und zuweilen ein gewaltiges Krachen und Zittern des Bodens, als ob der älteste Thron der Erde zusammengestürzt wäre. Was war geschehen? Ein seit Jahrhunderten im heimischen Lande festgewurzelter Riese war niedergestreckt und hatte tausend Vasallen mit sich zur Erde gerissen, alle dem Feuertode verfallen. Sie waren gerichtet, verurteilt durch das banale Gesetz, daß nun einmal das Gewaltige dem Nützlichen weichen muß. Dem kleinen Gummibaume muß die Eiche Platz machen zu keinem anderen Zweck, als daß die niedliche Konfektioneuse am Sonntag mit ihrem verliebten Galan auf Gummirädern einen Ausflug machen kann.

Die Schwarzen, die ihren Wald niederzuschlagen gezwungen sind, betrieben dies Geschäft, wie mir schien, nicht mit allzugroßer Energie. Ein Arbeitsverdienst von 204 acht bis zehn Mark im Monat ist allerdings kein allzuscharfer Sporn zu angestrengter Tätigkeit.

Und dann, sie hoffen ja immer noch, daß eines Tages der Himmel wieder das Ungeziefer der weißen Menschen von ihnen nehmen werde. Darum langsam, keine Übereilung. Was uns morgen wieder unentbehrlich sein könnte, darf der Übereifer des Heute nicht vernichten.

Den ganzen Tag über war ich mir selber überlassen gewesen. Meine Freunde von der Farm waren zu sehr beschäftigt, sie konnten sich um meine Bedürfnisse nicht kümmern. So kam's, daß ich einen rechtschaffenen Hunger hatte, als ich wieder in die Dorfgasse einbog.

Ein Negerweib, das mit einigen schönen Wollstoffen umhängt war, und den Kopf stolz auf den Schultern trug, nickte mir mit freundlichem Lächeln zu und sagte zu meiner Verwunderung: »Gutten Append, Massa. Der Massa suchen den Governer und Massa Loak. Sie haben gegangen zu Ause. Wünschen der Massa ein Stückle Brot, so komm Sie mit.« Was konnte mir erwünschter sein? Ich ging mit ihr in ein schön gezimmertes Holzhäuschen, dessen allmächtige Herrin sie war, seitdem sie mit einem Europäer eine Ehe auf Kündigung abgeschlossen hatte. Der Vater, der ein angesehener Stammeshäuptling war, hatte ein paar hundert Mark erhalten, und die Tochter war dem Fremdling willig in sein Haus gefolgt. Der neue Herr gab ihr Stoffe und Schmucksachen, um sich zu putzen, 205 reinliche Betten, saubere Möbel wurden angeschafft, und bald hat das Mädchen mit weiblicher Schlauheit begriffen, daß das Bessere der Feind des Guten ist. Sie lernt des Lebens kleine Zierden schätzen und nimmt sie in acht. Ihre Küche ist appetitlich, ihr Schlafzimmer blitzblank. Toilettentisch und Badewanne fehlen nicht. Sie erzieht die Dienerschaft zur Regelmäßigkeit und weiß gegen Widerhaarige die Peitsche zu gebrauchen. Indem sie derart dem Mann vieles bietet, was er seither entbehren mußte, rückt sie ihm auch seelisch näher. Er läßt sie an seinem Wünschen und Hoffen teilnehmen, und meldet sich nach einiger Zeit, als dritter im Bund, ein kleiner Mischling, so ist auch der willkommen. Das Band, das Mann und Weib seither lose verband, wird nun stärker, weil es Vater und Mutter verkettet, und hält dann nicht selten für das ganze Leben vor. So oder ganz ähnlich gestalten sich Brautwerbung und Ehe zwischen Eingewanderten und Eingeborenen.

206 Doch zuweilen kommt es auch anders. Den Mann treibt das ungesunde Klima in die Ferne, oder der Befehl eines Vorgesetzten, oder auch das Heimweh, das lockt und lockt, bis man ihm nicht mehr widerstehn kann. Dann gibt es betrübte Herzen, aber keine gebrochenen. Stark und ungebeugt, wie Hagar aus dem Hause Abrahams schied, kehrt die Schwarze mit ihren Nachkommen zu ihrem Stamme zurück und wird dort in Ehren aufgenommen. Daß sie die Frau eines Weißen war, hebt sie in eine höhere Kaste hinauf, adelt sie beinah und läßt sie begehrenswert erscheinen. An Freiern fehlt es einer solchen von nun ab erst recht nicht mehr.

Man nehme sich die Mühe, die Stellung des Weibes diesseits und jenseits der Straße von Gibraltar mit einander zu vergleichen, und dann frage man einmal bei den Kirchenvätern an, wo die größere Menschlichkeit wohnt, im Christentum oder in den Naturreligionen dieser Unkultivierten. Möchte man nicht abermals an den seeligen Seume denken?

Als ich durch die Güte des Negerweibes meinen Hunger gestillt hatte, wurde es aber höchste Zeit, daß ich mich auf den Heimweg machte. Der Mann meiner Gastgeberin war heimgekommen und begleitete mich noch bis zum Bache. Hier fand ich mein Fuhrwerk mitsamt dem schwarzen Diener, fast genau noch in der gleichen Position, wie ich sie verlassen hatte, nur daß dem Maulesel die Zunge armlang aus dem Halse heraushing, wahrscheinlich nicht deshalb, weil 207 ihm der Kopf zu kurz war, sondern weil er gleichfalls Hunger hatte. »Warum hast du Tagedieb das arme Vieh nicht ausgespannt und etwas weiden lassen?« fuhr ich über den Schwarzen her und langte nach der Peitsche.

»Der Gedanke, daß ein Tier Anforderungen ans Leben zu stellen habe, kommt diesen Naturkindern nie,« sagte mein Begleiter begütigend. »Der Umstand, daß Ihr Mule nun gehörig ausgehungert ist, hat übrigens für Sie in diesem Augenblick seine gute Seite. Der Graue wird jetzt laufen, was er kann, um an seine Krippe zu kommen. Überlassen Sie ihn getrost seinem inneren Triebe und steigen Sie rasch auf. Die Sonne ist weg, in einer Minute fällt die Dunkelheit hernieder, und Sie sind noch vier volle Stunden von ihrem Nachtlager entfernt.«

Der Wagen war gedreht; ich saß auf dem schmalen Lenksitz, reichte meinem Begleiter die Hand, und los ging es auf Tod und Leben, ins Ziellose hinein, wie bei einem altrömischen Wagenrennen.

Ehe noch die Grillen sich auf ein Abendlied besonnen hatten, war die Nacht da; eine Nacht. wie sie in der Gegend von Hammerfest in der Zeit der Wintersonnenwende nicht finsterer sein kann. Ich sah rein gar nichts mehr, nicht Weg, noch Maulesel, ja nicht einmal meine Hände. Zu hören war auch nichts mehr. Der weiche Grasweg erstickte Wagengerassel und Hufschlag. Nur der keuchende Atem meines hinter dem Fuhrwerk 208 nachrennenden Negers legte sich vor meine Trommelfelle, und von Zeit zu Zeit das verhaltene Grollen eines fernen Gewitters. Wie in einen Zaubermantel gehüllt, fühlte ich mich mit Sturmeseile durch die rabenschwarze Dunkelheit fortgetragen.

Da, mit einem Male flammt es auf. In einem ruhigen Lichte sind meinen Augen sekundenlang wiedergegeben der Wald, der Weg, mein Maulesel und ich mir selber. Das war nicht der phosphorische Glanz fernen Wetterleuchtens, der vom Firmamente niederfällt, das war ein milder, frommer Kerzenschein, der aus dem Schoß der Erde, wie aus einer Grabkapelle leuchtete.

»Was war das?«

Ehe ich mir noch auf diese Frage eine Anwort geben konnte, war das glänzende Phänomen verschwunden, als ob eine Klappe vor der Lichtquelle heruntergefallen wäre, und die Nacht hatte wieder die Erde verschluckt. Wenige Minuten nur, und Hell und Dunkel lösen von neuem einander ab, so exakt, so genau, als ob die Erscheinung dem Taktstock eines Orchesterdirigenten gehorchte. Das erste, was mir jetzt in den Sinn kam, war die Erinnerung an laue Juninächte und an das Liebesleben der Johanniskäferchen. Damit war wenigstens das Grauen vor dem Unerklärten aus meiner Seele ausgelöscht, wenn auch die Wirkung auf meine Netzhaut nicht paralysiert war. Ich war geblendet, mehr noch, ich war einfach blind. Ein Glück für mich, daß es dem wackeren Langohr nicht 209 gerade so erging. Ihm war der Rummel des Feuerzaubers jedenfalls nichts Neues. Er kümmerte sich nicht darum. Mit dem Geruch seines Futterkastens in der Nase war seiner Wallfahrt Ziel und Richtung gegeben. Er stürmte drauf los über die Minierarbeit der Scharmäuse hinweg und durch den Kuppelbau der Ameisen hindurch, bis er hinter der hölzernen Fenz des Hofes war, seiner Stalltür gerade gegenüber.

Von der hell erleuchteten Veranda des Hauses herunter wurde ich mit einer halb schadenfrohen, halb ehrlichen Fröhlichkeit begrüßt; denn man war über mein langes Ausbleiben doch etwas in Sorge geraten, zumal da der Himmel ein gar so finsteres Gesicht machte und sich mehr und mehr mit Wolken überzog.

Während des Essens, als ich von meinen Erlebnissen erzählte, war ich das Objekt von mancherlei liebenswürdigen Sticheleien. Man verehrte mir sogar einen der Leuchtkäfer, die mein Männerherz mit ihrem Gefunkel ins Beben gebracht hatten. Den Pyrotechniker ließ ich späterhin in Gold fassen, und wenn er einen meiner Leser interessieren sollte, so kann sich dieser mein unheimlich Schreckgespenst am Busen meiner Frau betrachten zuzeiten, wann der Hundsstern scheint und man die buntfarbigen Kattune trägt.

Das Gespräch nach Tisch beschäftigte sich hauptsächlich mit dem, was der nächste Tag uns bringen sollte. Herr Lüders, einer der Stationsleiter, sollte morgen einen längeren Urlaub antreten und wollte mit der 210 »Eleonore« zurück in die deutsche Heimat. Ein Brief von Bonaberi hatte uns wissen lassen, daß das Schiff am nächstfolgenden Tage das Kamerunästuarium verlassen müsse. Auch hatte man uns mitgeteilt, daß morgen gegen sieben Uhr in der Frühe bei Kilometer achtzig ein Materialzug vorbeikommen würde. Vorausgesetzt, daß wir früh genug zur Stelle waren, konnten wir den Zug zum Stehen bringen und hatten so die denkbar beste Transportgelegenheit. Aber wenn alles klappen sollte, mußten wir zeitig von den Roßhaarmatratzen herunter, zumal da Herr Lüders viel Gepäck hatte, das auf den Schultern von Schwarzen an den Fluß geschafft, übergesetzt und am anderen Ufer noch einmal bis zum stundenweit entfernten Bahnkörper geschleppt werden mußte. Nur ungern trennte ich mich von meiner vielgeliebten süßen Habana, bevor die Gute sich mir ganz geopfert hatte. Aber da frühauf und frühnieder einander wechselseitig bedingen, so durfte es kein längeres Zögern mehr geben. Zwei Minuten später lag ich im Bett und schnarchte wie eine Kreissäge.

Es war noch nicht ganz drei Uhr, als ich erwachte. Ein weiches Plätschern, das von der Veranda kam, brachte mich auf den Gedanken, daß Herr Lüders bereits unter der Regendusche stehen könnte. Ich hob den Moskitovorhang und kroch aus dem Bett, um die Außentüre zu öffnen. Alle heiligen vierzehn Nothelfer, was war denn das? Wie Suppennudeln hing der Regen vom Himmel herunter. Man hatte das Gefühl, daß man 211 ihn mit den Ellbogen auseinanderdrängen müsse, wenn man durch ihn hindurchwollte, und außerdem diese infernale Dunkelheit.

Ich hörte ein paar Barfüße über die Diele schleichen und rief aufs geratewohl: »Herr Lüders!«

»Herr Doktor,« war die Antwort.

»Und da müssen wir durch?«

»Es wird nichts anderes übrig bleiben.«

»Dann ist es wohl das Beste, man zieht sich überhaupt nicht an, dann spart man wenigstens der Nässe den Umweg durch die Kleider bis zu unserer Haut.«

»Wie Sie wollen. Zu einem öffentlichen Ärgernis kann ein paradiesisches Kostüm hier kaum werden. Übrigens beeilen Sie sich ein wenig. Die Schwarzen sind mit unserem Gepäck schon lange fort.«

Im Stehen wird rasch eine Tasse Kaffee hinuntergestürzt. Dann ein Klopfen an die Tür.

»Adieu auch, Herr Loak, und vielen Dank.«

»Glückliche Reise und auf Wiedersehen«, und Lüders und ich standen im Freien in einem wahren Wolkenbruch. An eine Unterhaltung war nicht zu denken. Ein unablässiges Rauschen verschlang einen jeden Ton. Wir suchten Fühlung mit dem Handrücken einer am anderen und schritten in das nasse Dunkel hinein. Das Gefühl des totalen Durchnäßtseins erzeugte in uns eine geradezu brutale Wurstigkeit. Wir liefen und liefen, und nicht einmal die Zeit war uns besonders lang 212 geworden, als wir nun mit einem Male vor dem Mungo standen.

Herr Lüders sagte es mir: »Hier ist der Fluß,« gesehen habe ich ihn nicht, gehört auch nicht.

»Ist keine Laterne da, keine Fackel?«

»Wozu sollte die uns nützen in der Sintflut. Wir müssen warten, bis der Tag kommt.«

Es kam eine leichte Morgenbrise, schüttelte die Bäume und hätte uns gerne noch nässer gemacht, als wir schon waren, wenn so was möglich gewesen wäre. Und es kam auch das Licht, aber zaghaft und verschleiert, denn graue Nebelschwaden bewegten sich langsam mit dem unheimlichen Wasser stromabwärts. Plötzlich kam ein langer schwarzer Stamm über den Wasserspiegel geflogen. Unsere wilden Fährleute waren es in ihrem schmalen Kanu. Der Kiel knirschte auf dem Sand. Einsteigen hieß es und sich niedersetzen auf den Boden des Schiffleins. Das letztere Gebot war für unser ästhetisches Empfinden eine starke Zumutung. Denn was da auf dem Boden des Schiffleins so hin und her schwappte, hatte mit einem Hasenpfeffer eine verteufelt große Ähnlichkeit. Doch man gewöhnt sich rasch auf afrikanischer Erde an die Notwendigkeiten. Also man immer zu. Die schwarzen Ruderknechte fingen wieder an zu singen, und unser Kanu schoß wie eine Forelle den Strom hinunter. Nach einiger Zeit waren wir am linken Ufer des Flusses auf einem Pfad, den der Leser schon kennt. Vorsichtig, die Augen am Boden, ging es in das 213 triefende Unterholz hinein, bis Herr Lüders hinter einer Tamariskenhecke eine unangenehme Entdeckung machte. Im Gras und hohem Buschwerk lagen seine schwarzen Träger zwischen seinen Kisten und Koffern und hielten Siesta, nachdem sie ihren ganzen Mundvorrat, der für zwei Tage berechnet war, auf den ersten Anhieb aufgefressen hatten. Ohne jeden Zeitverlust flog Herrn Lüders brauner Rohrstock wie ein Blitz in die Bande hinein, und dann kam noch ein kleines Donnerwetter von Flüchen dahinterher, bis die Kerle wieder auf dem Marsche nach dem Bahndamm waren.

Bald kamen wir an die Naturbrücke, deren Passage mir auf der Hinreise so lebhafte Schwierigkeiten gemacht hatte. Infolge des starken Regens schoß der Waldbach wie ein wilder Eber mit schaumigem Gebiß durch die Schlucht daher. Wer den Kampf mit ihm aufnehmen wollte, mußte ihm mit starker Brust und gespreizten Schenkeln entgegentreten. Wehe dem, der sich schwankend oder fallend von ihm überraschen ließ. Da ich mein Leben meiner Seiltänzerkunst ein zweitesmal nicht anvertrauen mochte, so ließ ich meine Begleiter auf dem Stamme die Schlucht überschreiten, während ich kurz entschlossen hineintrat in die gurgelnde Flut. Wie eine Federboa kräuselten sich die hurtigen Wellen um meine Brust und suchten mich in der Schlinge niederzureißen. Heimtückische Wurzeln und Schlingpflanzen legten meinen Füßen Fallstricke. Und doch, der Übergang gelang, und als ich auf allen Vieren das lehmige Bachufer auf der 214 anderen Seite erklettert hatte, war ich im Grund genommen auch nicht viel nässer, als ich es vorher gewesen war, nur noch eine Nuance dreckiger, wenn dies letztere Eigenschaftswort zu damaliger Stunde noch einer Steigerung fähig war. Nunmehr hatten wir als letzte Hürde in unserem Hindernisrennen nur noch den umgestürzten Kabokbaum zu nehmen, und dies gelang mir infolge der größeren Übung in quadrupeden Kunststücken überraschend leicht.

Derweilen hatte das Wetter seinen bösartigen Charakter zum Guten geändert. Der Regen hatte nachgelassen, und die Sonne schien versöhnt vom entwölkten Himmel hernieder. Die Erde dampfte, und verirrte Lichter durchschossen wie glühende Speere den blaßgrauen Nebel. Unsere Kleider fingen langsam an zu rauchen und zu trocknen. An der Außenseite der Hosen hätte man schon ein Streichholz zum Aufflammen bringen können, und nur in den Taschen stieß man noch auf sumpfige Tümpel und Moräste. Wir hatten den Bahndamm erstiegen und freuten uns, als der Kilometer achtzig uns in einem kleinen Wellblechhäuschen einen wenn auch harten, so doch hochwillkommenen Sitz gewährte. Wir schlugen uns ein paar Eier auf, die noch von der Mukonjefarm stammten, und ließen die neugierigen Eingeborenen, die sich immer massenhafter aus dem benachbarten Dorf ansammelten, bei unserer Mahlzeit zugucken, als ein greller Pfiff die fast unheimliche Waldesstille durchschnitt. »Das wird unser Zug sein,« sagte Herr 215 Lüders und lehnte sich etwas vor, um dem sausenden Dampfroß entgegensehen zu können. Richtig, da kam es feuerspeiend und grunzend näher wie die wilde Sau im Freischütz und brachte uns einen Landsmann mit, den wir hier am allerwenigsten erwartet hätten. Als nämlich die Räder zum Stehen gebracht waren, sprang ein veritabler Altbayer von der Lokomotive herunter und pflanzte sich mit ungekünstelter Grobheit, seine Lochzange schwenkend, vor den Eingeborenen auf.

»Daß ös wisset,« begann er mit Nachdruck zu reden, »Ihr Pfundhammel, Ihr dalkede, wegen Eurer ham m'r d' Bahn fei net baut, daß ös umsunst hin- und herrutschen könnet. Wer ka' Geld nit hot, der fahrt balst hier a fei net mit. Gell, wan's an Gockel z' verkafen habt', so an Mistvieh, so an halbverreckt's, do wißt's fei a, was ös z' fordern habt, Ihr Rammel Ihr, Ihr gescherte.«

Während dieser Franz Xaverius den Heiden sein bajuvarisches Evangelium predigte, standen diese in stummer Feierlichkeit da wie dorische Säulen und schienen für des ergrimmten Zugführers frohe Botschaft keine Ohren zu haben. Übrigens wenn auch einer der Schwarzen sich zu einer Entgegnung hätte bereit finden lassen, zu einem Gedankenaustausch hätte das doch nicht geführt, eher noch zu einem Geraaf, denn der Bayer verstand die Dualasprache noch weniger als die Wilden das Oberbayrische. Da der Zugführer dieses einsah, endete er seinen Sermon mit dem Schlußurteil: »Ihr san a Gespui,« spuckte aus und wendete sich um.

216 Als er nun Herrn Lüders und mich ganz unerwartet da stehen sah, sprang seine Stimmung um wie das Wetter im April. Er wurde höflich, sogar unterwürfig, so daß ich an seiner Nationalität zu zweifeln anfing und ihn schon beinahe für einen Österreicher nahm, als er dienernd näher kam und uns mit: »Servus, Servus« und »Eure Gnaden, sans a do?« begrüßte. Da waren wir, – darin hatte der Redner recht, – aber Gnaden waren wir keine, weder himmlische noch irdische. Wir glichen in unserem Dreck und unseren Zotteln eher zwei Schäferhunden als irgend etwas, was Gnade heißt oder Gnade zu verteilen hat. Wir stellten uns deshalb auch auf kein hohes Piedestal, und Herr Lüders redete den Herrn der Lochzange in kordialem Tone an: »Sans net etwan 'n Münchner, Landsmann?« Und ich erlaubte mir beizufügen: »Und sans net in der Näh von en Hofbräu auf die Welt kommen?«

»Ei freili, ei freili,« entgegnete der Angeredete, »wanns bekannt sind. Sell Gassel grad a zur rechten von Brauhaus nunter, da wohnt a Schlachter, gegenüber von em Spagattelmacher und den vis-à-vis bin I zur Welt kemma und Daxel heiß Ich fein aa no.«

Weitere Beweise zur Feststellung seines Nationales brauchte Herr Daxel wirklich nicht beizubringen, um uns zu überzeugen. Wir schüttelten ihm in aufrichtiger Freude die Hand und ließen uns in den Gepäckwagen bringen, wo der gemütliche Bayer einige Zementsäcke aufeinanderstapelte, um uns eine bequemere Sitzgelegenheit 217 zu vermitteln. Der ganze Zug bestand nämlich nur aus flachen Planwagen. Sie waren mit Schottermaterial beladen, das sich am »weißen Berge,« einem erloschenen Vulkan, vorfindet. Man schöpft die stahlharten Lapilli einfach auf und verteilt sie zwischen die Schwellen. Alle Augenblicke gab es einen kleinen Aufenthalt. Die Schwarzen warfen den Schotter auf die Seite des Bahnkörpers, fleißige Schaufeln verteilten ihn, und dann ging es wieder weiter. Wir hatten in unserem Gepäckwagen reichlich Zeit, uns zu unterhalten, und ich benützte die Gelegenheit, dem guten Isarathener die momentan aktuellen Tagesfragen in seiner Vaterstadt München auseinanderzusetzen. Ich durfte ihm nicht verschweigen, daß der Bierpreis in die Höhe gegangen ist, und daß die Schaumborden größer geworden sind. Ob der Schilderung dieser Tatsachen schien er einer unheilbaren Schwermut rettungslos verfallen zu sein. Als ich ihm dann aber mitteilte, daß sich gute Menschen zur Gründung von Temperenzlerorden zusammengetan und den Biergenuß abgeschworen hätten, da erwachte er hoffnungsfroh zu neuem Leben, weil er in der Geschwindigkeit ganz richtig herauskalkuliert hatte, daß für die Trinker mehr übrig bleibt, wenn es Leute gibt, die gern Durst leiden.

»Dös muß sich doch in aller Kürze zeigen,« sagte er hocherfreut. »Zwei Jahre dauert mein Kontrakt noch, und wann i dann hamkomm un mein afrikanischen Durst mitbring, un dann wird's gerad so recht wern, daß der Bierpreis am Fallen is.«

218 Unter Reden und Schweigen, Schlafen und Wiederaufwachen war es unterdessen drei Uhr Nachmittags geworden, und wir waren unserem Ziele, Bonaberi und dem Kamerunfluß, wieder nahegekommen. Durch Vermittlung eines Wörmannbeamten kam ich in die glückliche Lage, unseren durstigen Zugführer ausreichend mit Bier versorgen zu können. Wie versteinert saß er einige Sekunden mit verklärtem Angesichte vor dem gnadenreichen Anblick einer Flaschenbatterie. Dann aber griff er beherzt zu und trank wie ein Nilpferd, das von einem Tagesausflug in die Wüste durstig des Abends in sein feuchtes Element zurückkehrt.

Herr Lüders und ich wünschten dem glücklichen Zecher für sein ferneres Wohlergehn einen gesunden Magen und wandten uns nach der Wörmannfaktorei, wo auch wir hoffen konnten, für unseren lechzenden Gaumen eine adäquate Erfrischung zu finden.

Als wir die hohe Treppe zur Piassa hinaufstiegen, hörten wir Gläserklang und das silberhelle Lachen einer Frauenstimme. Da ging es uns wie Adam und Eva nach dem Sündenfall; wir merkten, daß wir nicht angezogen waren; wenigstens so nicht angezogen, wie es von einem gesitteten Europäer an einer afrikanischen Tafel verlangt wird. Wir warfen deshalb nur einen kurzen verstohlenen Blick durch die Portiere in den Speisesaal und schlichen uns auf leisen Sohlen um die Hausecke herum nach der Südseite der Veranda, wo einige bequeme Rohrstühle unsere müden Leiber 219 aufnahmen. Mein Begleiter legte die Hände wie zum Gebete zusammen und starrte mit weit geöffneten Augen ins Leere, oder vielmehr zu einer Vision empor, die offenbar da vor ihm in der azurnen Bläue des Äthers hing.

»Denken Sie an Whisky mit Sodawasser oder gar an gekühlten Champagner, Herr Lüders,« so fragte ich, als mir die Verzückung meines sonst so nüchternen Reisegenossen ängstlich wurde.

»An keines von beiden,« gab er mit einem Seufzer zurück, »aber haben Sie nicht durch den Spalt der Portiere drinnen im Salon die Dame gesehen?«

»Die Dame mit dem weißen Spitzenkleide?«

»Ja eben die und mit der schlanken Hand und mit den blonden Haaren. Und nun seien Sie ehrlich gegen mich, Doktor, und sagen Sie mir offen, ob Ihnen je im Leben etwas Himmlischeres begegnet ist,« fuhr mein Reisegefährte in feierlichem Beschwörertone fort.

Ich fühlte, daß ich meinen guten Herrn Lüders aus den Wolken, in die er sich nach langer Entbehrung beim ersten Anblick eines kaukasischen Weibes verstiegen hatte, wieder herunterholen müsse und bemerkte deshalb so trocken wie möglich, daß meine vielgewanderten Augen bis jetzt auf diesem Planeten noch nicht einmal den Positiv von himmlisch gesehen hätten, vielweniger den Komparativ oder gar den Superlativ. Daß auch ich die Dame schön fände, daß ich mich aber anheischig machen wolle, ihm nach Ladenschluß vom Boulevard 220 des Capucines zu Paris einen Heuwagen voll Schönheiten vorzuführen, die den Vergleich mit der hier geschauten Venus ruhig aufnehmen könnten.

»Ausgeschlossen, ganz ausgeschlossen und unmöglich. Sie wollen nur hier vor mir den Blasierten spielen. Sie wollen nicht zugeben, daß der Anblick dieses Götterbildes Sie gerade so überrascht hat wie mich selber,« opponierte Herr Lüders mit leidenschaftlichem Eifer.

Da uns ein Diener derweilen einen Imbiß gebracht hatte, so ließ ich den Rechtsfall unentschieden und machte mich über die vollen Schüsseln her. Es waren keine ausgesuchten Leckerbissen, was man uns vorsetzte, und doch, es mundete mir vorzüglich. Ich hatte einen gesalzenen Schweineknochen auf meinen Teller gerettet und während ich diesen langsam mit Messer und Zähnen bearbeitete, kam mir auch das Verständnis für den Seelenzustand des Herrn Lüders. Seit Wochen nun schon war frisches weißes Fleisch des Geflügels meine Nahrung gewesen, und nun entzückt mich der Geschmack des Geräucherten. Der weltabgeschlossene Gummifarmer hatte nichts als schwarze Negerfelle gesehen und war nun entzückt von dem zarten Alabasterschimmer einer Kaukasierhaut. Nur was sie nicht besitzen, pflegen bekanntlich die Menschen zu schätzen.

Ich will übrigens ehrlich sein und bekennen, daß Herr Lüders nicht der einzige Gefangene war, den die weiße Dame heute an ihrer Rosenkette schleppte. Als sie nämlich nach aufgehobener Mahlzeit uns die Ehre 221 ihres Besuches schenkte, war ich auch von ihrer heiteren Liebenswürdigkeit entzückt, und die Barkasse, die uns mit sinkender Sonne über den Strom hinüber nach Duala beförderte, umzirkelte das gefährliche Problem von einem Ehepaar und zwei Verehrern der Frau.

Bei der Joßplatte angekommen und ans Land getreten, hatte übrigens jeder von uns ein anderes Ziel. Die Eheleute hatten Abschiedsbesuche zu machen, da sie morgen mit der »Eleonore« nach Hamburg zurückwollten. Herr Lüders zahlte Rechnungen für die Mukonjefarm, machte neue Bestellungen und kaufte Elfenbeinschnitzereien für Verwandte in der Heimat. Ich bummelte am Strande auf und nieder und kam bald in eine Gesellschaft weißgekleideter Europäer, die wie die Rekruten am Gestellungstage einander in den Armen hingen, deutsche Lieder sangen und allerlei Schindluder trieben. Es waren meist Subalternbeamte, die zur Erholung nach schwerer Dienstzeit in die Heimat gingen. Wir tranken einige Abschiedsschoppen, und als ich bei sternenklarer Nacht das Fallreep der »Eleonore« erkletterte, hatte ich einen fast zu leeren Beutel und einen fast zu vollen Kopf. 223

 


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