Adam Karrillon
Die Mühle zu Husterloh
Adam Karrillon

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27. Kapitel

Alter, ehrlicher Sebastian Stallmann, was brauchst du den Mantel der Nacht, um dich zu verhüllen? Wehe dir, daß dein Vorhaben den Blick der Sonne nicht vertragen kann. Hörst du, wie der Wind warnend durch die Tannen heult? Fühlst du nicht, wie er dich am Busen packt, um dich zurückzuhalten? Siehst du nicht, wie die Eule mit den Augen der Nacht dich warnend zu durchbohren sucht?

Es scheint, daß alle seine Sinne schliefen, denn der alte Mühlknecht, der noch etwas Kopfweh hatte, als Nachwirkung seines Rausches, und nasse Füße, von wegen seines schlechten Schuhwerks, schlich am Erlengebüsch neben dem Bache hin mit einer Schachtel schwedischer Eingeborener in der Tasche. Es war kein leichter Gang, der einen ehrlichen Kerl zum Mordbrenner machen sollte, und das Gewissen hinter der Weste murrte gemeinsam mit den Wellen des Baches einer solchen Freveltat entgegen. Aber die Beine gingen doch vorwärts, obwohl auch der Wind den grauen Kopf des Frevlers mit zwei Halstuchzipfeln ohrfeigte.

276 »Was ich mir vorgenommen habe, tue ich,« sagte Sebastian Stallmann, »es sei denn, daß sich mir Hindernisse in den Weg legen, die ich nicht übersteigen kann,« fügte er vorsichtig und nicht ohne stille Hoffnung, daß sie kommen möchten, hinzu. Der Weg zur Dampfmühle war ja noch lang, und er war gefahrvoll, weil er nicht die Straße war, die der Mann der Ordnung geht. Man konnte ein Bein brechen. Man konnte an einer Stelle, wo der Bach ein wenig wartet und sich ausschnauft, in einen tiefen Tümpel fallen, und die Schweden konnten naß werden. Oder es konnte ein Hase über den Weg laufen. Dann, ja dann war eben nichts zu machen, und die Dampfmühle blieb vorläufig stehen.

Im stillen hoffte der Mühlknecht, daß so irgend etwas sich ereignen möchte, aber aufgeschoben war dann noch lange nicht aufgehoben. Er fühlte in sich den Beruf, die Dynastie Höhrle zu retten und wenn er wie ein zweiter Marcus Curtius in den Abgrund springen mußte. So ging er weiter, bis zu einer Stelle, wo ein Wiesenpfad den Lauf des Baches kreuzte und dem Wanderer mittels eines Brettes trockenen Fußes ans andere Ufer des Olfenbaches half. Hier konnte ihm jemand begegnen; das war gefährlich, weil es ihn nachträglich verdächtig machen mußte. Hier hätte er eigentlich eilig vorübergehen müssen, und doch blieb er stehen, weil ihm schon beinah jeder Grund willkommen war, der sein Vorhaben hinausschob. Es kam aber niemand, und Sebastian Stallmann setzte seinen Weg fort.

277 Der Himmel schickte ihm allerlei phantastische Wolken entgegen, die unförmlich wie dicke alte Weiber aussahen. Der Mann mit dem bösen Gewissen sah furchtsam zu ihnen empor, als traue er ihnen nichts Gutes zu, und als sie einen Tropfen fallen ließen und ihm gerade ins Gesicht, da wischte er mit dem Ärmel die Nässe von der Wange und die quälende Unentschlossenheit aus seinem Herzen.

»Was bin ich doch für ein Tor,« sagte er zu sich selber, »in jedem Augenblick kann es anfangen aus Brunnenröhren zu gießen. Wer wird bei solchen Aussichten, die einen Kohlenbrenner um das Leben seines Meilers bangen lassen, einen Brand legen wollen. Was ich mir vorgenommen habe, das tue ich, tue ich, und niemand soll mich daran verhindern. Aber heute gerade braucht es nicht zu sein.«

Mit solchen Gedanken im Kopfe und Wasser in dem zweierlei Schuhzeug, drehte er sich um und kam eine Viertelstunde später wieder bei der Mühle an.

Während der Mühlknecht zur Hintertüre hinausgeschlichen war, hatte der Müller durch die Vordertüre das Haus verlassen. Auch sein Weg ging nach einem schlimmen Ziele, und er brachte Schlimmeres heim als nasse Füße. Auch ihn hielt der Aufruhr der Elemente nicht zurück, ja, er war ihm sogar erwünscht, weil er mit feuchtem Besen die Menschen von der Straße fegte.

Bei Mordche Rimbach die Treppe hinauf, das war ein Aufstieg, bei dem schon mancher den Hals gebrochen hatte. 278 Vater Höhrle nahm die Stufen, kam vor die Bodenkammer und sah ein Licht durch ein Schlüsselloch gucken, gerade so, als ob es sagen wollte: »Nun greif ein wenig über mich und du hast die Klinke.«

Der Wanderer in Nacht und Dunkel ließ sich von dem matten Schimmer zurechtweisen und stand plötzlich im Zimmer des Mordche Rimbach einem Manne gegenüber, den er da nicht gesucht hätte. Vater Höhrle wußte, und alle Welt weiß es, daß Heinz Wohlgemuth, nachdem seine Frau sich an das Wasser gewöhnt hatte, nach Amerika ausgewandert war. Leider waren sie drüben nicht angekommen. Der Segler, der so viele hochgespannte Erwartungen trug, brannte mitten auf dem Atlantischen Ozean bis auf den Wasserspiegel nieder und versank. Nur wenige der Passagiere wurden gerettet, darunter Heinz Wohlgemuth, der als Witwer den Strand der Elbe wieder betrat, um vorerst in einem Spital zu Hamburg zu verschwinden. Die Zeitungen hatten das trübe Geschick, dem die »Austria« zum Opfer gefallen war, aller Welt verkündet, und Vater Höhrle und sein ganzes Haus hatten den Untergang des Heinz Wohlgemuth und seiner Gattin gebührend betrauert.

Nun stand der Ertrunkene da, wie aus der Erde gewachsen. Das war etwas, was der Müller nicht begreifen konnte, und er hob an der rechten Seitennaht ein paarmal verlegen das Hosenbein und ließ es wieder fallen.

Mordche Rimbach, der in einem geflickten Ledersessel inmitten einer Hochflut von Papieren, die ihn zu ersäufen 279 drohte, vor seinem Schreibtisch saß, schob die Hornbrille auf die Stirn, um den Gast zu mustern, der diese Aufmerksamkeit verdiente, schon um deswillen, weil er mit seinem Anliegen zu so später Stunde gekommen war.

»Gott der Gerechte,« rief Mordche Rimbach, »bin ich das jüngste Gericht, ist mein Kontörchen das Tal Josaphat, erleben wir zusammen die Auferstehung des Fleisches? Vater Höhrle, dich sucht der Gerichtsvollzieher, Heinz Wohlgemuth, dich vermutete man im Bauche der Haifische. Nun steht ihr da um Mordche Rimbach herum wie Geister, zurückgekehrt aus dem Schoße Abrahams, und verlangt, daß ich mich nicht soll fürchte vor euch und in der Finsternis, die gelagert ist aufs neue über dem Lande Gosen. Geist von Heinz Wohlgemuth, du warst zuerst da. Sag, was verlangst du von einem alten ehrlichen Jüd?«

»Das Geld für den Schiffsakkord will ich zurückholen,« sagte der Totgeglaubte. »Weder mich noch meine Frau habt ihr ans Ziel gebracht, 's ist billig, daß ihr mir das Fahrgeld zurückerstattet für sie und mich.«

Mordche Rimbach sah den Sprecher verdutzt an. Ein solcher Fall war ihm in seiner Agentenlaufbahn noch nicht vorgekommen.

»Wie heißt,« sagte er nach einigem Nachsinnen, »du bist wieder diesseit des Ozeans, aber kannst du wissen, wo deine Frau ist? Sieh, Jonas, der Prophet, war im Bauche des Wallfisches und wurde ans Land gespieen, wer weiß, vielleicht ist deine Käthe jetzt wohlbehalten in Amerika.«

280 »Was,« sagte Heinz Wohlgemuth, »kein Geflunker, mausetot ist sie wie ein Sargnagel,« und drehte sich um. Da fiel sein Blick auf ein Bild, das mit vier Schuhnägeln an die Wand geheftet war und ein Schiff in Flammen darstellte. Aus dem Mast- und Segelwalde leckten feuerrote Zungen an dem Berliner Blau eines unbarmherzigen Himmels, der über dem Schweinfurter Grün der unendlichen See seinen Bogen spannte.

»Da schau her,« schrie Heinz Wohlgemuth, »da geht eben meine Frau unter; ich kenne sie an dem roten Mieder,« und er legte den Zeigefinger unter das Konterfei eines mit den Wellen kämpfenden Weibes.

»Bei Gott,« sagte der Jude, »der Beweis der Wahrheit ist dir, ohne daß du eines Rechtsverdrehers bedurft hättest, gelungen. Das Bild der niedergebrannten Austria sagt zu deinen Gunsten aus. Du erhältst dein Geld zurück in bar, oder wünschest du, daß ich es dir anlege?«

»Bin Manns genug für mich selber zu sorgen. Das Geld heraus, schon weiß ich, was ich damit anfangen werde. Ich hab' es satt, mit barfüßigen Händen durchs Leben zu gehen. Kann ich nicht auch Glacéhandschuhe tragen wie der Schrot und einen Pelzmantel wie der Hofbauer von Dürellenbach? Beim Pfeifenkopf meines Großvaters, wer nichts wagt, gewinnt nichts. Sobald der Schrot zur Spielbank geht, bin ich dabei. Der Bauer ist an mir verloren; wenn ich kein Herr werden kann, zum Knecht bei Groß und Moos reicht's immer noch.«

281 Damit nahm er sein Geld und seine Mütze, machte die Pantomime, als ob er seine Finger in neue Handschuhe zwängen müßte und schlug nicht ohne einen Anflug von Großartigkeit die Türe hinter sich ins Schloß.

Nun, da Mordche Rimbach mit Vater Höhrle allein war, nahm der Hebräer ihn bei der Hand, drückte ihn in den alten Lederstuhl und stellte sich ihm gegenüber, so, daß der grüne Lampenschirm sein Gesicht überschattete, während das Antlitz des Müllers im vollen Glanze des rotglühenden Dochtes leuchtete. Derart lag der herabgekommene Müller für den geriebenen Menschenkenner gleichsam auf dem Objektträger eines Mikroskopes, und ob er mit dem rechten oder linken Auge durch den Tubus glotzte, der Jude sah alles vergrößert und deutlicher. Beim ersten Blick schon hatte er entdeckt, daß die Runzeln im Gesichte seines Gastes energischer geworden waren und Schatten warfen über benachbarte Täler, in denen sich der Kummer versteckte, wie schwarzgeränderter Junischnee in den Schrunden eines Gebirges. Das aber war auch das einzige, was in diesem Antlitz an Sonnenwirkung erinnerte, sonst sah alles nach einer wüsten Novemberlandschaft aus, die grauen Stoppeln des Bartes, die strähnigen Haare, die da herumhingen wie Hopfenzweige im Winde. Ein Lavafeld, ein ausgebrannter Weltkörper konnte nicht trostloser aussehen wie dieses Menschenantlitz. Mordche Rimbach war nicht ohne Mitleid, und in kurzen Momenten, wo seine trockene Seele sich mit anderem beschäftigte als mit Soll und Haben, konnte er jeden bedauern, dem das Schicksal übel mitspielte. So lag auch jetzt in dem scharf 282 geschnittenen Adlergesicht ein Schatten des Bedauerns mit dem bankerotten Müller, der so vernichtet vor ihm saß, inmitten all der kleinen Mehlsäcke, auf denen die Firma Groß und Moos so protzig aufgetragen war.

Das Auge des Vaters Höhrle hing am Boden, er sah nicht die lauernden Züge des Juden und nicht den Wust von Waren, der um ihn aufgestapelt war, von abgelegten Ofengabeln beginnend und hinaufreichend bis zu defekt gewordenen Kronleuchtern. Zuweilen ging über das Antlitz des Mannes in dem schäbigen Lehnstuhl eine konvulsive Bewegung, als ob er etwas herunterschlucke, dann war wieder alles still und leblos.

Mordche Rimbach sah auch dies. Er wußte, daß die Menschen zu schlucken anfangen, wenn etwas heraus soll, was doch den Weg ans Licht nicht finden kann. O, er hatte dieses Phänomen studiert viel hundertmal hier hinter der Lampe mit dem grünen Schirm, auf dem Objektträger aus fettglänzendem Safianleder. Wie ein Vivisektor stand er da und schaute kalt und gescheidt in die auf einem Jammerbrette aufgeschnallte Seele wie in die geöffnete Bauchhöhle eines Versuchskaninchens. Er wußte, nun würde es bald kommen. Noch ein Schlucken, noch ein Zucken der mageren vorspringenden Halsmuskeln, dann ein Räuspern, und dann das erste Wort, der erste Tropfen des Stauwassers, das über das Wehr bricht, um Mordche Rimbachs Wiese zu befruchten.

»Das Stückchen Wald!«

»Das am Ammerteich?«

283 »Es stehen noch einige sehr schöne Eichen darauf!«

»Meinetwegen, weil Ihrs seid, obwohl ich bei meiner Seele nicht weiß, was damit anfangen.«

Jetzt trat der Jude hinter dem grünen Lampenschirm hervor, bückte sich und zog die Schublade eines wurmstichigen Schreibtisches. Ein gedrucktes Formular ersparte die Mühe langer Schreiberei. Vater Höhrle unterschrieb, war den Rest seines Waldes los und hatte eine Rolle Geld in der Hand.

»Noch ein Wort, Vater Höhrle. Folgt jetzt wenigstens dem Rate eures alten Hofjuden. Tragt euer Geld nicht hinter dem des Heinz Wohlgemuth her.«

Die Nacht hatte mit Sturm und unruhigen Wolkenzügen begonnen. Vielleicht war das noch so, vielleicht war es auch anders geworden. Der Mann, der mit der Faust in der Tasche und mit dem Geld in der Faust auf die Mühle zuschritt, sah nichts von der Stimmung der Nacht. Er fühlte, daß er wie einer, der mit der Lawine über den Felsen stürzt, für den Augenblick des Absturzes wenigstens Luft habe, und er atmete tief auf, wenn er auch wußte, daß die nachstürzenden Massen ihn ersticken mußten.

Der nächste Morgen brachte zunächst die Sonne, die vier Uhr dreißig Minuten programmäßig aufging, dann den Gerichtsvollzieher, der eine Stunde später kam und beim Weggehen den Vater Höhrle mit Ehrfurcht grüßte, wie er es lange nicht mehr getan hatte. Dann einen Geflügelhändler mit seinen Körben, der berichtete, daß gegen 284 Mitternacht in Langenthal zwei Scheunen niedergebrannt seien.

»Verfluchte Kerle, sollten sie doch??« murmelte Sebastian Stallmann voller Mißtrauen und drückte die modernen Normänner in seiner Tasche, die heute die Welt mit Feuer überziehen, daß sie knackten. 285

 


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