Carl Karlweis
Adieu Papa
Carl Karlweis

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Zwei Stunden Ehe.

Hans Tittelbach war ein Weiberhasser. Sonst leidlich gutmüthig, gerieth er in eine richtige Berserkerwuth, wenn jemand in seiner Gegenwart von einer schönen Frau schwärmte. Vernahm er aber gar das Frou-Frou eines Weiberrockes in seiner Nähe, dann geberdete er sich wie ein scheues Pferd: er warf den Kopf zurück und ging durch. Hätte jener französische Richter das berühmte: »Où est la femme?« nicht vor ihm ausgesprochen, Hans würde es sicherlich aus Eigenem erdacht haben. 105 Im Uebrigen lebte er still zufrieden in seinem Junggesellenheim, das ein alter Diener betreute, denn selbstverständlich durfte kein weiblicher Fuß seine Schwelle überschreiten. Als er starb, folgten denn auch nur Männer seinem Sarge, er hatte sich übrigens jede weibliche Begleitung auch auf seinem letzten Wege ausdrücklich verbeten. Um so lebhafter mußte es seinen Neffen und Universalerben befremden, als er im Testamente des weiberhassenden Oheims eine Clausel folgenden Inhaltes fand:

»Sollte sich bei meinem Ableben eine Frau Eveline Tittelbach, geborene Waldau, noch unter den Lebenden befinden, so ist ihr ein mit dem Monogramme E. W. gesticktes Battisttuch auszufolgen, welches sich nebst einem kleinen Manuscripte in der untersten Lade meines Schreibtisches 106 vorfinden wird. Dieses Manuscript wird meinen Erben auch zugleich unterrichten, wie ich in den Besitz des besagten Tuches und – zu jener Frau kam, der ich, Gott sei Dank, seit dem Hochzeitsabend nicht mehr begegnet bin.«

Der Neffe fand das vergilbte Tuch und das nicht minder verblichene Manuscript, dessen Inhalt sich als eine Art Novelle entpuppte, die den wunderlichen Titel führte: »Hans Tittelbach als Ehemann. Ein wahrheitsgetreuer Bericht über seine zweistündige Ehe, von ihm selbst als Beichte und Buße verfaßt.«

Hier der Inhalt dieses wunderlichen Berichtes:

»Als ich noch jung und meiner Jugend entsprechend naiv war, schrieb ich eine Komödie, welche zu meiner eigenen Ueberraschung vom Director des Stadttheaters 107 angenommen und aufgeführt wurde. Bei den Proben lernte ich die Darstellerin der weiblichen Hauptrolle meines Stückes kennen, eine junge, viel gefeierte Künstlerin, in welche ich Tropf mich natürlich vom Fleck weg vergaffte. Meine Komödie wurde merkwürdigerweise lebhaft beklatscht, und die »göttliche« Eveline zog mich nach jedem Actschluß wiederholt auf die Bühne, wo ich mich wie ein Hampelmann verbeugte und dann wieder gehorsam in die nächste Coulisse zurückzappelte. Ich muß einen kläglichen Anblick dargeboten haben. Gleichviel, ich schwebte in einem Meer von Glückseligkeit. Ich sah nichts, als eine Fülle von tanzenden Lichtern, ich hörte nichts, als das Rufen und Händeklatschen der Menge, ich fühlte nichts, als das heiße, zuckende Händchen Evelinens, das mich Willenlosen mit sanftem Druck leitete, und aus dem 108 ein berückendes Wohlgefühl in meine Pulse strömte. Noch am selben Abend gestand ich ihr meine Liebe, worauf sie weder Ja noch Nein erwiderte, sondern mich fortschickte, aber nur wie Julia, die ihren Romeo mit den Lippen heimgehen heißt und mit den Augen festhält. Daß der Weg in ihre Arme nur durch die Kirche ging, bethörte mich nur noch mehr. Ich bin fest überzeugt, daß ich damals auch durch die Hölle gewandert wäre, um die »Herrliche« mein nennen zu dürfen. Um kurz zu sein – ich war reif für die Ehe. Das mochte auch Eveline fühlen, denn sie willigte nach kurzem Geziere ein, meine Gattin zu werden.

Mit der fieberhaften Hast, die nur Narren und Verliebte kennen, betrieb ich alle Vorbereitungen zu unserer Trauung, von welcher weder Evelinens noch meine 109 Freunde etwas erfahren sollten. So hatten wir es verabredet. Keine geschwätzige Zunge, kein neugieriges Auge sollte die ersten Stunden unseres Glückes entweihen. Draußen in der entlegensten Vorstadt miethete ich ein kleines Häuschen und schmückte es nach bestem Wissen und Geschmack, bis es mir das rechte Nest für mein Turteltäubchen schien.

An einem Spätnachmittag im November ward ich »zur Strecke gebracht«. Eine Stunde später hielt unser Wagen vor dem kleinen Vorstadthäuschen, und ich hob etwas Leichtes, in Pelze, Shawls und Spitzen Gehülltes heraus, das ich sorgfältig wie einen kostbaren Schatz auf zwei niedliche, in wahren Puppenstiefelchen steckende Füße stellte. Dieser Schatz war meine Frau. In der Hausthür erschien gleichzeitig Evelinens Kammerzofe, 110 theatralisch herausgeputzt und die groben Hände in den Taschen einer Schürze von lächerlich kleinen Dimensionen verborgen. Mir gefiel das damals. Die Zofe hieß die »gnädige Frau« und den »gnädigen Herrn« mit einem unverschämt vertraulichen Lächeln willkommen, und ich geleitete meine kleine Frau in das Haus, das heißt: ich trug sie über die Schwelle, offenbar um einem lebhaften Bedürfnisse nach Kraftübungen zu genügen.

In dem kleinen Speisezimmer stand ein putziger Tisch mit zwei Gedecken. Hierher trug ich Eveline, half ihr aus den zahllosen Umhüllungen, mit welchen sie sich gegen die Novemberkälte geschützt hatte, und blieb dabei bald an den Spitzen und Häkchen, bald an den holdseligen Lippen hängen, bis uns die Zofe durch ein Räuspern an ihre Gegenwart erinnerte, 112 worauf ich die Unverschämte zur Thür hinauswies. Nun waren wir endlich allein. Ich habe kurze Zeit nachher ein Bild gesehen, das inzwischen zu einer wahren Wandplage geworden ist, unsere damalige Situation aber ziemlich richtig wiedergab. »Enfin seuls« ist es vom Maler betitelt. Ein Herr, der in der Ausstellung neben mir stand, sagte zu einem augenverdrehenden Frauenzimmer, das er am Arm führte: »Die letzte Scene eines Lustspiels!« Damals konnte ich mich nicht zurückhalten, dem Narren zu erwidern: »Sie irren, es ist die erste Scene einer Tragödie!« Heute würde ich schweigen und den Tropf in sein Verderben rennen lassen, denn ich bin seither zu der Erfahrung gelangt, daß die sogenannte Liebe eine Krankheit des Gehirns, und zumeist unheilbar ist. Ich bin, Dank meiner 113 kräftigen Constitution, noch davongekommen, wenn auch – –

Doch weiter in meiner Geschichte. Ich führte meine Frau zu Tische. Das war ein lustiges Hochzeitsmahl! Kein einziger Gast, der sich gelangweilt hätte! Ich war zugleich Truchseß und Mundschenk meiner kleinen Prinzessin, wie ich Eveline damals nannte, trug die Speisen auf, entkorkte die Flaschen, ließ die Champagnerpfropfen knallen und benahm mich überhaupt ungefähr so geistvoll, wie ein eben freigesprochener Handlungsgehilfe, der seine erste Liebe tractirt, selbst alles vortrefflich findet und von ihr dieselbe Bewunderung mit der naivglückseligen Frage fordert:

»Gelt, das ist gut?«

Beim Dessert saßen wir einander nicht mehr gegenüber, sondern bereits dicht, ganz dicht beisammen, langten gleichzeitig in 114 die Obstschale, rauften um jedes Stück, das Einer dem Anderen in den Mund stecken wollte, lachten dann unbändig und küßten uns, wobei wir uns doch immer wieder von der Seite ansahen, als ob wir sagen wollten: Nein, wer das gedacht hätte! Ist diese kleine Fee mit den Puppenfüßchen und den Nixenaugen meine Frau! . . . . Ist dieser tollpatschige Hans mit der Löwenmähne und dem Kinderherzen mein Mann! . . . . Wie wunderbar das ist.

Wenn es wahr wäre, daß die Ehen im Himmel geschlossen werden und die Engel bei jedem glücklichen Hochzeitsmahle mit zu Gaste sitzen – eine Lüge, so dreist, daß nur ein Weib sie ersonnen haben kann – dann müssen unsere Engel entschieden dem süßen Weine zu viel zugesprochen haben, denn sie sahen nicht, daß in jenem 115 glücklichen Augenblicke der »Rottenführer der höllischen Heerschaaren«, der Dämon der Eitelkeit, durch das Zimmer flog und sich in Gestalt eines winzigen Schminkfleckchens unter das linke Auge Evelinens setzte.

Ich entdeckte ihn dort plötzlich und drohte scherzend:

»Oh – Du hast Dich heute geschminkt?«

Eveline erröthete flüchtig. Ein Wölkchen huschte über ihre Stirn, sie verzog den Mund und erwiderte ein wenig unsicher:

»Ich habe mich nicht geschminkt!«

»Aber Schatz!« sagte ich arglos. »Ich sehe es ja! Hier!« – Dabei nahm ich das Battisttuch, das in ihrem Schoß lag und fuhr vorsichtig über ihre rundliche Wange bis unter das Auge. 116 »Siehst Du das corpus delicti! Nun, was hat die reizende Angeklagte zu erwidern?«

Eveline wollte ersichtlich capituliren. Schon lachte sie, und ihre Lippen spitzten sich allerliebst zu einem versöhnenden Kuß, aber im nächsten Augenblick schüttelte sie das Köpfchen und kniff die Mundwinkel zusammen.

»Ich habe mich nicht geschminkt!« schmollte sie.

Da ich sah, daß meine scherzhafte Bemerkung ihr ernstlich mißfiel, gab ich nach, indem ich beschwichtigend erklärte, daß es mir ganz gleichgiltig sei, ob sie sich geschminkt habe oder nicht.

Allein, statt meine Friedensliebe dankend anzuerkennen, schien sie durch meine Worte nur noch ärgerlicher zu werden. Gereizt wiederholte sie:

117 »Ich habe mich nicht geschminkt!«

Nun bin ich von Kindesbeinen an ein gutmüthiger Kerl gewesen, der allezeit gern zur Nachgiebigkeit bereit war. Nur wenn mir Einer vor meinen sehenden Augen ableugnen will, daß Tag Tag und Nacht Nacht ist, dann werde ich leicht unwirsch.

Auch in jenem Augenblick übermannte es mich, und ich suchte meinem Weibchen ernsthaft begreiflich zu machen, daß es unrecht sei, eine an und für sich belanglose Thatsache, die aber darum nicht minder eine Thatsache bleibe, um einer Laune willen leugnen zu wollen.

Was erwiderte sie auf meine durchaus sachliche und so viel als möglich unpersönliche Erörterung? Nichts, als ein obstinates:

»Ich habe mich nicht geschminkt!«

118 »Du siehst aber doch hier am Taschentuch –«

»Das . . . . das ist ein Rußfleck!«

»Aber Schatz – rother Ruß!«

»Einerlei – ich habe mich nicht geschminkt!«

Meine Geduld drohte zu enden.

»Ich denke,« begann ich, noch immer nach Kräften an mich haltend, »daß ich weder so dumm, noch so blind bin, um nicht Schminke von Ruß unterscheiden zu können!«

Sie bog aus, indem sie spitz erklärte, daß ihr die starken Ausdrücke unnöthig schienen.

Starke Ausdrücke! Gut denn, mochte sie mich schelten dürfen, aber in der Sache selbst mußte sie mir doch recht geben!

Keineswegs! Sie belehrte mich, daß eine Frau niemals und nichts 119 müsse, am wenigsten nachgeben – und schließlich:

»Ich habe mich nicht geschminkt!«

Das stereotype Wiederholen derselben Worte reizte endlich meine Nerven. Ich ersuchte Eveline, sich einmal anders auszudrücken. Sie belehrte mich sofort des Weiteren, daß eine Frau sich ausdrücken könne, wie sie es für passend finde, denn Takt sei nicht Sache der Männer, wie »diese Scene« am besten beweise.

»Aber es macht mich nervös!«klagte ich.

»Ich bin es schon längst!« gab sie zurück, worauf wir beide erschöpft und nun ernstlich schmollend eine Weile schwiegen.

Ich gestehe, daß ihr die »Trutzmiene« entzückend ließ und daß ich schon nach wenigen Augenblicken im Begriffe stand, mich ihr zu Füßen zu stürzen und zu 120 schwören, daß sie sich niemals geschminkt habe, daß Frauen nichts müssen, und daß ich ein Verbrecher sei. Ich nahm das Tuch auf, um es ihr als Zeichen meiner Unterwerfung zu überreichen, allein sie mußte meine Bewegung falsch gedeutet haben, denn sie erhob sich mit mir, indem sie zugleich mit scharfer, schneidig klingender Stimme erklärte:

»Ich habe mich nicht geschminkt!«

Wie von einer Schlange gebissen, fuhr nun auch ich in die Höhe. Alle friedlichen Vorsätze waren durch die bösen Worte vernichtet. Hielt sie mich für einen Tropf, den sie unbestraft verhöhnen dürfe? Und allsogleich stand in mir der Entschluß fest: Nun muß sie feierlich erklären, daß sie sich geschminkt hat! Noch mehr, sie muß Abbitte leisten, Abbitte in aller Form!

121 Kann sein, daß meine Forderung ein bißchen übertrieben war, kann sein, daß ich sie unvermittelt und derb vorbrachte, denn ich sagte in meinem gerechten Zorne ungewählt alles heraus, was mir just auf die Zunge kam und erschrak selbst ein wenig, als nun jedes Wort schier greifbar vor mir stand, aber gesprochen war es einmal und ungehört konnte ich – nein, wollte ich es auch nicht machen.

Eveline starrte mich einen Moment fassungslos an. Etwas Fremdes, Feindseliges blickte mir plötzlich aus ihren Augen entgegen, ihre Züge verzerrten sich und wurden böse . . . . alt.

Sie erwiderte keine Silbe, sondern trat nur zum Glockenzug.

»Eveline!« rief ich, ihr doch unwillkürlich in den Weg tretend.

122 Immer fremder blickten ihre Augen.

»Rühren Sie mich nicht an!« rief oder vielmehr zischte sie mir entgegen, denn sie öffnete dabei kaum die zusammengekniffenen Lippen. »Sie haben zu viel getrunken, und der Wein hat Ihre wahre Art verrathen. Sie sind roh – ich verabscheue Sie!«

Ich weiß nicht, wie es kam, aber in diesem Augenblicke stand plötzlich die Scene eines Stückes vor mir, in welcher sie dieselben Worte mit derselben Betonung, derselben Geberde und demselben Blicke gesprochen hatte.

»Lass' doch die Komödie!« rief ich ärgerlich. »Wir sind hier nicht auf dem Theater.«

War es die Gerechtigkeit meines Vorwurfes, oder war es nur die Beschämung, daß ich den falschen Zug, das Unechte 123 ihrer großartigen Pose so schonungslos aufgedeckt hatte – ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß sie plötzlich alle Selbstbeherrschung verlor und einen Ton anschlug, der mich wie ein Faustschlag ins Gesicht traf. Später habe ich mir wohl gesagt, daß es der Ton der Komödiantinnen war, wie er ihnen eigen ist, wenn sie ohne Zeugen unter ihresgleichen ihre Zungenduelle ausfechten.

Mir graute vor diesem Weibe, das wie eine Höckerin keifte und dabei Dinge beim wahren, nein, beim schmutzigsten Namen nannte, an die ich in meinem thörichten Liebeswahn kaum zu denken gewagt hatte.

Als sie nun gar meinen Ring von ihrem Finger zerrte und ihn mir vor die Füße schleuderte, legte ich still auch ihren Ring ab und verließ das Zimmer . . . . das Haus – –

124 Ich habe sie nicht wiedergesehen. Unsere Advocaten ordneten in aller Stille, was da zu ordnen war, und wenn ich in der Zeitung ihren Namen las – denn sie spielte noch lange, lange Jahre züchtige Schwärmerinnen und hypernaive Pensionatsmädchen – dann flog mein Blick rasch über die gefährlichen Zeilen hinweg. Anfänglich geschah es hastig, dann immer gemächlicher, bis ich schließlich sogar die stereotypen Reclamenotizen über ihre Gastspiele in St. Pölten oder Leitomischl so ruhig und gedankenlos zu lesen vermochte, wie eine Nachricht über das Wiederauftauchen der Seeschlange. Das Battisttuch mit dem rothen Rußfleck aber, das ich daheim in meiner Tasche gefunden und damals weit von mir geschleudert hatte, hob ich später sorglich auf, um es vornehmen und betrachten zu können, wenn ich 125 einmal schwankend werden sollte. Das ist– ich gestehe es offen – anfänglich noch manchmal geschehen, denn die Weiber kennen und sie meiden, ist leider noch lange nicht dasselbe. Zum Glücke werden wir mit den Jahren nicht nur klüger, sondern auch älter.«

Hier endet das Manuscript des Weiberhassers. 126

 

 


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