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Vielleicht wars heut vor fünfzehn Jahren, als mir Bruder Eybisch die »Lieder einer früh Vollendeten« in die Hand gab, weil ich vor Einschlafen noch etwas lesen wollte. Es war keine helle Zeit in meinem Leben. Aber »in der Nacht gehn auf die Sterne!« Und die Lieder sind mir in jener Nacht ins Herz gedrungen, zweimal hab ich sie gelesen und später Hunderte von Malen. Ebenso oft hab ich sie dann verschenkt, an schlichte Menschen, an Leidende und Beladene, an Menschen, die gern beten mögen. Nur einmal ist mir jemand begegnet, der sie kannte. Aber viele derer, die sie durch mich kennen lernten, wissen sie heut auswendig. Erst eben fand ich bei Krankenbesuchen einen alten Kutscher, der die Lieder bei seiner Tochter entdeckt hatte und mir mit Tränen in den Augen einen Gebetvers sagte, den er sich daraus eingeprägt hatte.
Die Dichterin der Lieder ist Anna Karbe, aber obgleich von drei verschiedenen Ausgaben ihrer Gedichte in sechs Auflagen eine unter ihrem Namen ausgegangen ist, dürfte sie heut fast unbekannt sein. Weiteren Kreisen ist dagegen ihre Schwester Lydia bekannt, eine von Gott reich gesegnete Betheldiakonissin, der Pastor G. von Bodelschwingh im Bethelboten Nr. 104 jüngst einen sehr lesenswerten Nachruf geschrieben hat. Anna ist am 4. 5. 1852 in Gramzow als Tochter des Amtsrats Karbe geboren, ihre Mutter entstammte der Familie Hengstenberg. 1873 heiratete Anna ihren Vetter Hans Karbe, ihr einziges Kind wurde ihr bald wieder genommen, und sie selbst starb schon am 19. 4. 1875. In der Karbeschen Familiengruft in Lichterfelde bei Eberswalde ist sie begraben. Ihre Lieder haben Wackernagel, Albert Fischer (Lieder von Anna Karbe, Gotha, Perthes), Emil Frommel (Immergrün, Berlin, Wiegandt und Grieben) und Vater Bodelschwingh (Lieder einer früh Vollendeten, Bethel) mehrfach herausgegeben. Heut sind sie vergriffen, und kein Verleger wagt in dieser Zeit eine Neuauflage. Weil sie mir aber grad jetzt die Aufgabe zu haben scheinen, schlichten Glauben zu stärken und zur Geduld zu mahnen, will ich den Druck wagen und damit eine Dankschuld gegen die Dichterin abtragen. Durch die Freundlichkeit ihres Bruders in Großlichterfelde habe ich all ihre Lieder, auch manch bisher ungedrucktes, in der Handschrift einsehen dürfen und eine neue Auswahl von Gebets- und Trostliedern getroffen, die sich auch fünfzig Jahre nach dem Tode der Dichterin gewiß noch einen größeren Leserkreis unter den Frommen unseres Volkes erobern wird, denen ich sie grüßend widme. So wertvoll erscheinen mir die Lieder, daß ich sie auch zum kirchlich-liturgischen Gebrauch und seelsorgerlicher Verwertung in der Hand vieler Pastoren wissen möchte. Das billige Büchlein möchte ein Geschenkbuch der Stillen im Lande werden!
Wahrenbrück, am 13. 8. 1922.
Berthold Kitzig.
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