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Ich könnte sehr zufrieden sein. Ich bin Beamter beim Magistrat. Wie schön ist es, Beamter beim Magistrat zu sein! Wenig Arbeit, genügender Gehalt, viel freie Zeit, übermäßiges Ansehen überall in der Stadt. Stelle ich mir die Situation eines Magistratsbeamten scharf vor, beneide ich ihn unweigerlich. Und nun bin ich es, bin Magistratsbeamter, – und wollte, wenn ich könnte, diese ganze Würde der Bürokatze zum Auffressen geben, die jeden Vormittag von Zimmer zu Zimmer wandert, um die Reste des Gabelfrühstücks einzusammeln.
Falls ich in nächster Zeit sterben oder gänzlich lebensunfähig werden sollte – diese Möglichkeit ist groß, da ich in den letzten zwei Nächten starken Bluthusten hatte – so darf ich sagen, daß ich mich selbst zerrissen habe. Wenn mein Vater früher in wilden, aber leeren Drohungen zu sagen pflegte: Ich zerreiße dich wie einen Fisch – tatsächlich berührte er mich nicht mit einem Finger –, so verwirklicht sich jetzt die Drohung von ihm unabhängig. Die Welt – F. ist ihr Repräsentant – und mein Ich zerreißen in unlösbarem Widerstreit meinen Körper.
Ich sollte in der großen Stadt studieren. Die Tante erwartete mich auf dem Bahnhof. Einmal als ich mit dem Vater zu Besuch in der Stadt gewesen war, hatte ich sie gesehn. Ich erkannte sie kaum.
Du Rabe, sagte ich, du alter Unglücksrabe, was tust du immerfort auf meinem Weg. Wohin ich gehe, sitzt du und sträubst die paar Federn. Lästig!
Ja, sagte er und ging mit gesenktem Kopf vor mir auf und ab wie ein Lehrer beim Vortrag, es ist richtig; es ist mir selbst schon fast unbehaglich.
Endlich war er in die Stadt gekommen, in der er studieren sollte. Ein Zimmer war gefunden, der Koffer ausgepackt, ein Landsmann, der hier schon längere Zeit wohnte, führte ihn durch die Straßen. Ganz zufällig erhoben sich etwa am Ende einer seitwärts sich öffnenden Straße berühmte, in allen Schulbüchern abgebildete Merkwürdigkeiten. Er schnappte nach Luft bei dem Anblick, der Landsmann winkte nur mit dem Arm hinüber.
Du alter Halunke, wie wäre es, wenn wir hier einmal Ordnung schaffen?
Nein, nein, dagegen würde ich mich sehr wehren. Daran zweifle ich nicht. Trotzdem wirst du beseitigt werden müssen.
Ich werde meine Verwandten holen.
Auch das habe ich erwartet. Auch sie wird man gegen die Wand werfen müssen.
Was immer es auch sei, was mich zwischen den zwei Mühlsteinen, die mich sonst zerreiben, hervorzieht, empfinde ich, vorausgesetzt, daß es nicht allzu großen körperlichen Schmerz mit sich bringt, als Wohltat.
Die kleine Veranda, platt in die Sonne gelegt, das Wehr rauscht friedlich und immerfort.
Nichts hält mich.
Türen und Fenster auf
Terrassen weit und leer
K. war ein großer Taschenspieler. Sein Programm war ein wenig einförmig, aber infolge der Zweifellosigkeit der Leistung immer wieder anziehend. An die Vorstellung, in der ich ihn zum ersten Male sah, erinnere ich mich, trotzdem es schon zwanzig Jahre her ist und ich damals ein ganz kleiner Junge war, natürlich noch ganz genau. Er kam in unser kleines Städtchen ohne vorherige Ankündigung und veranstaltete die Vorstellung gleich abends am Tage seiner Ankunft. Im großen Speisezimmer unteres Hotels war um einen Tisch in der Mitte ein wenig freier Raum gelassen, – das war die ganze theatralische Vorbereitung. Meiner Erinnerung nach war der Saal überfüllt, nun erscheint einem Kind jeder Raum überfüllt, wo einige Lichter brennen, Stimmengewirr von Erwachsenen zu hören ist, ein Kellner hin- und herläuft und dergleichen, ich wußte auch nicht, warum zu dieser offenbar übereilten Vorstellung so viele Leute hätten gekommen sein sollen, immerhin spielt natürlich in meiner Erinnerung diese vermeintliche Überfüllung des Saales bei dem ganzen Eindruck, den ich von der Vorstellung hatte, gewiß entscheidend mit.
Was ich berühre, zerfällt.
Das Trauerjahr war vorüber,
die Flügel der Vögel waren schlaff.
Der Mond entblößte sich in kühlen Nächten,
Mandel und Ölbaum waren längst gereift.
Die Wohltat der Jahre.
Er saß über seinen Rechnungen. Große Kolonnen. Manchmal wandte er sich von ihnen ab und legte das Gesicht in die Hand. Was ergab sich aus den Rechnungen? Trübe, trübe Rechnung.
Gestern war ich zum erstenmal in den Direktionskanzleien. Unsere Nachtschicht hat mich zum Vertrauensmann gewählt, und da die Konstruktion und Füllung unserer Lampen unzulänglich ist, sollte ich dort auf die Abschaffung dieser Mißstände dringen. Man zeigte mir das zuständige Büro, ich klopfte an und trat ein. Ein zarter junger Mann, sehr bleich, lächelte mir von seinem großen Schreibtisch entgegen. Viel, überviel nickte er mit dem Kopf. Ich wußte nicht, ob ich mich setzen sollte, es war dort zwar ein Sessel bereit, aber ich dachte, bei meinem ersten Besuch müsse ich mich vielleicht nicht gleich setzen, und so erzählte ich die Geschichte stehend. Gerade durch diese Bescheidenheit verursachte ich aber dem jungen Mann offenbar Schwierigkeiten, denn er mußte das Gesicht zu mir herum und aufwärts drehen, falls er nicht seinen Sessel umstellen wollte, und das wollte er nicht. Andrerseits aber brachte er auch den Hals trotz aller Bereitwilligkeit nicht ganz herum und blickte deshalb während meiner Erzählung auf halbem Wege schief zur Zimmerdecke hinauf, ich unwillkürlich ihm nach. Als ich fertig war, stand er langsam auf, klopfte mir auf die Schulter, sagte: So, so – so, so, und schob mich in das Nebenzimmer, wo ein Herr mit wild wachsendem großem Bart uns offenbar erwartet hatte, denn auf seinem Tisch war keine Spur irgendeiner Arbeit zu sehn, dagegen führte eine offene Glastür zu einem kleinen Gärtchen mit Blumen und Sträuchern in Fülle. Eine kleine Information, aus ein paar Worten bestehend, von dem jungen Mann ihm zugeflüstert, genügte dem Herrn, um unsere vielfachen Beschwerden zu erfassen. Sofort stand er auf und sagte: Also mein lieber –, er stockte, ich glaubte, er wolle meinen Namen wissen, und ich machte deshalb schon den Mund auf, um mich neuerlich vorzustellen, aber er fuhr mir dazwischen: Ja, ja, es ist gut, es ist gut, ich kenne dich sehr genau – also deine oder eure Bitte ist gewiß berechtigt, ich und die Herren von der Direktion sind gewiß die letzten, die das nicht einsehn würden. Das Wohl der Leute, glaube mir, liegt uns mehr am Herzen als das Wohl des Werkes. Warum auch nicht? Das Werk kann immer wieder neu errichtet werden, es kostet nur Geld, zum Teufel mit dem Geld, geht aber ein Mensch zugrunde, so geht eben ein Mensch zugrunde, es bleibt die Witwe, die Kinder. Ach du liebe Güte! Darum ist also jeder Vorschlag, neue Sicherung, neue Erleichterung, neue Bequemlichkeit und Luxuriositäten einzuführen, uns hochwillkommen. Wer damit kommt, ist unser Mann. Du läßt uns also deine Anregungen hier, wir werden sie genau prüfen, sollte noch irgendeine kleine blendende Neuigkeit angeheftet werden können, werden wir sie gewiß nicht unterschlagen, und sobald alles fertig ist, bekommt ihr die neuen Lampen. Das aber sage deinen Leuten unten: Solange wir nicht aus eurem Stollen einen Salon gemacht haben, werden wir hier nicht ruhen, und wenn ihr nicht schließlich in Lackstiefeln umkommt, dann überhaupt nicht. Und damit schön empfohlen!
Trabe, kleines Pferdchen,
du trägst mich in die Wüste,
alle Städte versinken, die Dörfer und lieblichen Flüsse.
Ehrwürdig die Schulen, leichtfertig die Kneipen,
Mädchengesichter versinken,
verschleppt vorn Sturm des Ostens.
Es war eine sehr große Gesellschaft und ich kannte niemanden. Ich nahm mir deshalb vor, zunächst ganz still zu sein, langsam diejenigen herauszufinden, denen ich mich am besten nähern könnte, und dann mit ihrer Hilfe in die übrige Gesellschaft mich einzufügen. Das einfenstrige Zimmer war klein genug, aber es waren an zwanzig Menschen hier. Ich stand beim offenen Fenster, folgte dem Beispiel der andern, die sich von einem Seitentischchen Zigaretten zu holen pflegten, und rauchte in Ruhe. Leider verstand ich trotz aller Aufmerksamkeit nicht, wovon gesprochen wurde.
Einmal wurde, so schien mir, von einem Mann und einer Frau gesprochen, dann wieder von einer Frau und zwei Männern, da aber immer von den gleichen drei Personen gesprochen wurde, konnte es nur an meiner Schwerfälligkeit liegen, daß ich schon mit den Personen, die zur Debatte standen, nicht zurecht kam, um wieviel weniger natürlich mit der Geschichte dieser Personen. Es war, dies schien mir über allem Zweifel, die Frage aufgeworfen, ob das Verhalten dieser drei Personen oder wenigstens einer dieser drei Personen moralisch zu billigen war oder nicht. Über die Geschichte selbst, die allen bekannt war, wurde im Zusammenhang nicht mehr gesprochen.
Abend am Fluß. Ein Kahn im Wasser. In Wolken untergehende Sonne.
Er fiel vor mir nieder. Ich sage euch, er fiel so nahe vor mir nieder, wie dieser Tisch, an den ich mich drücke, mir nahe ist. »Bist du wahnsinnig?« schrie ich. Es war längst nach Mitternacht, ich kam aus einer Gesellschaft, hatte Lust, noch ein wenig allein zu gehen, und nun war dieser Mann vor mich hingestürzt. Heben konnte ich den Riesen nicht, liegen lassen wollte ich ihn auch nicht in der einsamen Gegend, wo weit und breit niemand zu sehen war.
Träume fluteten über mich hin, ich lag müde und hoffnungslos in meinem Bett.
Ich lag krank. Weil es eine schwere Krankheit war, hatte man die Strohsäcke meiner Zimmergenossen hinausgeschafft und ich war Tage und Nächte allein.
Solange ich gesund gewesen war, hatte sich niemand um mich gekümmert. Das war mir ja im allgemeinen ganz recht, ich will nicht jetzt nachträglich darüber zu klagen anfangen, ich will nur den Unterschied hervorheben: Sobald ich krank wurde, begannen die Krankenbesuche, finden fast ununterbrochen statt und haben bis heute nicht aufgehört.
Hoffnungslos führ in einem kleinen Boot um das Kap der Guten Hoffnung. Es war früh am Morgen, ein kräftiger Wind blies.
Hoffnungslos steckte ein kleines Segel auf und lehnte sich friedlich zurück. Was sollte er fürchten im kleinen Boot, das mit seinem winzigen Tiefgang über alle Riffe dieser gefährlichen Gewässer mit der Gewandtheit eines lebendigen Wesens glitt.
Ich habe drei Hunde: Halt ihn, Faß ihn und Nimmermehr. Halt ihn und Faß ihn sind gewöhnliche kleine Rattler und niemand würde auf sie aufmerksam werden, wenn sie allein wären. Aber da ist noch Nimmermehr. Nimmermehr ist eine Bastarddogge und sieht so aus, wie es wohl bei sorgfältigster jahrhundertelanger Züchtung sich nicht hätte erzielen lassen. Nimmermehr ist ein Zigeuner.
Alle meine freien Stunden – und es sind an sich sehr viele, aber allzu viele muß ich gegen meinen Willen verschlafen, um den Hunger zu vertreiben – verbringe ich mit Nimmermehr. Auf einem Ruhebett à la Madame Recamier. – Wie dieses Möbel in meine Mansarde heraufgekommen ist, weiß ich nicht, vielleicht wollte es in eine Rumpelkammer und blieb, schon zu sehr hergenommen, in meinem Zimmer.
Nimmermehr ist der Meinung, daß es so nicht weiterginge und irgendein Ausweg gefunden werden müsse. Auch ich bin im Grunde dieser Meinung, aber ihm gegenüber tue ich anders. Er läuft im Zimmer auf und ab, springt manchmal auf den Sessel, zerrt mit den Zähnen an dem Wurststückchen, das ich ihm hingelegt habe, schnippt es endlich mit der Pfote mir zu und beginnt wieder seinen Rundlauf.
A. Das, was Sie sich vorgenommen haben ist, von welcher Seite man es auch ansehn mag, ein sehr schwieriges und gefährliches Unternehmen. Allerdings soll man es auch nicht überschätzen, denn es gibt noch schwierigere und gefährlichere. Und vielleicht gerade dort, wo man es nicht vermutet und wo man deshalb ganz harmlos und ungerüstet ans Werk geht. Das ist tatsächlich meine Meinung, womit ich Sie aber natürlich weder von Ihren Plänen abhalten, noch diese Pläne heruntersetzen will. Keineswegs. Ihre Sache erfordert unzweifelhaft viel Kraft und ist des Kraftaufwandes auch wert. Ja fühlen Sie aber eigentlich diese Kraft in sich?
B. Nein. Das darf ich nicht sagen. Ich fühle in mir Leere, aber keine Kraft.
Ich ritt durch das Südtor ein. Gleich am Tor angebaut ist eine große Herberge, dort wollte ich übernachten. Ich führte meinen Maulesel in den Stall, der von Reittieren schon fast überfüllt war, aber ich fand doch noch ein sicheres Plätzchen. Dann stieg ich hinauf in eine der Loggien, breitete meine Decke aus und legte mich schlafen.
Süße Schlange, warum bleibst du so fern, komm näher, noch näher, genug, nicht weiter, dort bleib. Ach für dich gibt es keine Grenzen. Wie soll ich zur Herrschaft über dich kommen, wenn du keine Grenzen anerkennst. Es wird schwere Arbeit sein. Ich beginne damit, daß ich dich bitte, dich zusammenzuringeln. Zusammenringeln sagte ich und du streckst dich. Verstehst du mich denn nicht? Du verstehst mich nicht. Ich rede doch sehr verständlich: Zusammenringeln! Nein, du faßt es nicht. Ich zeige es dir also hier mit dem Stab. Zuerst mußt du einen großen Kreis beschreiben, dann im Innern eng an ihn anschließend einen zweiten und so fort. Hältst du dann schließlich noch das Köpfchen hoch, so senk es langsam nach der Melodie der Flöte, die ich später blasen werde, und verstumme ich, so sei auch du still geworden, mit dem Kopf im innersten Kreis.
Ich wurde zu meinem Pferd geführt, ich war aber noch sehr schwach. Ich sah das schlanke, im Fieber des Lebens zitternde Tier.
»Das ist nicht mein Pferd«, sagte ich, als mir der Knecht des Gasthofs am Morgen ein Pferd vorführte.
»Ihr Pferd war heute nacht das einzige in unserem Stall«, sagte der Knecht und sah mich lächelnd oder, wenn ich es so wollte, trotzig lächelnd an.
»Nein«, sagte ich, »das ist nicht mein Pferd.« Der Fellsack entsank meinen Händen, ich wandte mich und ging in das eben erst verlassene Zimmer hinauf.