Franz Kafka
Die Acht Oktavhefte
Franz Kafka

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Das vierte Oktavheft

Durch Auferlegung einer allzu großen oder vielmehr aller Verantwortung erdrückst du dich. Die erste Götzenanbetung war gewiß Angst vor den Dingen, aber damit zusammenhängend Angst vor der Notwendigkeit der Dinge. So ungeheuer erschien diese Verantwortung, daß man sie nicht einmal einem einzigen Außermenschlichen aufzuerlegen wagte, denn auch durch Vermittlung eines Wesens wäre die menschliche Verantwortung befleckt gewesen, deshalb gab man jedem Ding die Verantwortung für sich selbst, mehr noch, man gab diesen Dingen auch noch eine verhältnismäßige Verantwortung für den Menschen. Man konnte sich nicht genug tun in der Schaffung von Gegengewichten, diese naive Welt war die komplizierteste, die es jemals gab, ihre Naivität lebte sich ausschließlich in der brutalen Konsequenz aus.

Wird dir alle Verantwortung auferlegt, so kannst du den Augenblick benützen und der Verantwortung erliegen wollen, versuche es aber, dann merkst du, daß dir nichts auferlegt wurde, sondern daß du diese Verantwortung selbst bist.

Atlas konnte die Meinung haben, er dürfe, wenn er wolle, die Erde fallen lassen und sich wegschleichen; mehr als diese Meinung aber war ihm nicht erlaubt.

Die scheinbare Stille, mit welcher die Tage, die Jahreszeiten, die Generationen, die Jahrhunderte aufeinanderfolgen, ist ein Aufhorchen; so traben Pferde vor dem Wagen.

31. Januar. Gartenarbeit, Aussichtslosigkeit.

Ein Kampf, in dem auf keine Weise und in keinem Stadium Rückendeckung zu bekommen ist. Und trotzdem man es weiß, vergißt man es immer wieder. Und selbst wenn man es nicht vergißt, sucht man doch die Deckung, nur um sich beim Suchen auszuruhn, und trotzdem man weiß, daß es sich rächt.

1. Februar. Lenz Briefe.

Zum letztenmal Psychologie!

Zwei Aufgaben des Lebensanfangs: Deinen Kreis immer mehr einschränken und immer wieder nachprüfen, ob du dich nicht irgendwo außerhalb deines Kreises versteckt hältst.

2. Februar. Brief von Wolff.

Das Böse ist manchmal in der Hand wie ein Werkzeug, erkannt oder unerkannt läßt es sich, wenn man den Willen hat, ohne Widerspruch zur Seite legen.

Die Freuden dieses Lebens sind nicht die seinen, sondern unsere Angst vor dem Aufsteigen in ein höheres Leben; die Qualen dieses Lebens sind nicht die seinen, sondern unsere Selbstqual wegen jener Angst.

4. Februar. Langes Liegen, Schlaflosigkeit, Bewußtwerden des Kampfes.

In einer Welt der Lüge wird die Lüge nicht einmal durch ihren Gegensatz aus der Welt geschafft, sondern nur durch eine Welt der Wahrheit.

Das Leiden ist das positive Element dieser Welt, ja es ist die einzige Verbindung zwischen dieser Welt und dem Positiven. Nur hier ist Leiden Leiden. Nicht so, als ob die, welche hier leiden, anderswo wegen dieses Leidens erhöht werden sollen, sondern so, daß das, was in dieser Welt leiden heißt, in einer andern Welt, unverändert und nur befreit von seinem Gegensatz, Seligkeit ist.

5. Februar. Guter Morgen, unmöglich an alles sich zu erinnern.

Zerstören dieser Welt wäre nur dann die Aufgabe, wenn sie erstens böse wäre, das heißt widersprechend unserem Sinn, und zweitens, wenn wir imstande wären, sie zu zerstören. Das erste erscheint uns so, des zweiten sind wir nicht fähig. Zerstören können wir diese Welt nicht, denn wir haben sie nicht als etwas Selbständiges aufgebaut, sondern haben uns in sie verirrt, noch mehr: diese Welt ist unsere Verirrung, als solche ist sie aber selbst ein Unzerstörbares, oder vielmehr etwas, das nur durch seine Zu-Ende-Führung, nicht durch Verzicht zerstört werden kann, wobei allerdings auch das Zuendeführen nur eine Folge von Zerstörungen sein kann, aber innerhalb dieser Welt.

Es gibt für uns zweierlei Wahrheit, so wie sie dargestellt wird durch den Baum der Erkenntnis und den Baum des Lebens. Die Wahrheit des Tätigen und die Wahrheit des Ruhenden. In der ersten teilt sich das Gute vom Bösen, die zweite ist nichts anderes als das Gute selbst, sie weiß weder vom Guten noch vom Bösen. Die erste Wahrheit ist uns wirklich gegeben, die zweite ahnungsweise. Das ist der traurige Anblick. Der fröhliche ist, daß die erste Wahrheit dem Augenblick, die zweite der Ewigkeit gehört, deshalb verlischt auch die erste Wahrheit im Licht der zweiten.

6. Februar. In Flöhau gewesen.

Die Vorstellung von der unendlichen Weite und Fülle des Kosmos ist das Ergebnis der zum Äußersten getriebenen Mischung von mühevoller Schöpfung und freier Selbstbesinnung.

7. Februar. Soldat mit Steinen, Insel Rügen.

Müdigkeit bedeutet nicht notwendig Glaubensschwäche oder doch? Müdigkeit bedeutet jedenfalls Ungenügsamkeit. Es ist mir zu eng in allem, was Ich bedeutet, selbst die Ewigkeit, die ich bin, ist mir zu eng. Lese ich aber zum Beispiel ein gutes Buch, etwa eine Reisebeschreibung, erweckt es mich, befriedigt es mich, genügt es mir. Beweis dafür, daß ich vorher dieses Buch in meine Ewigkeit nicht mit einschloß oder nicht zur Ahnung jener Ewigkeit vorgedrungen war, die auch dieses Buch notwendigerweise umschließt. – Von einer gewissen Stufe der Erkenntnis an muß Müdigkeit, Ungenügsamkeit, Beengung, Selbstverachtung verschwinden, nämlich dort, wo ich das, was mich früher als ein Fremdes erfrischte, befriedigte, befreite, erhob, als mein eigenes Wesen zu erkennen die Kraft habe.

Aber wie, wenn es nur als ein vermeintlich Fremdes diese Wirkung hatte und du mit der neuen Erkenntnis nicht nur in dieser Hinsicht nichts gewinnst, sondern auch noch den alten Trost verlierst? Gewiß hatte es nur als Fremdes diese Wirkung, aber nicht nur diese, sondern weiterwirkend hat es mich auch zu dieser höhern Stufe erhoben. Es hat nicht aufgehört, fremd zu sein, sondern nur überdies angefangen, Ich zu sein. – Aber die Fremde, die du bist, ist nicht mehr fremd. Damit leugnest du die Weltschöpfung und widerlegst dich selbst.

Ich sollte Ewigkeit begrüßen und bin, wenn ich sie finde, traurig. Ich sollte durch Ewigkeit mich vollkommen fühlen und fühle mich hinabgedrückt?

Du sagst: ich sollte – fühlen; damit drückst du ein Gebot aus, das in dir ist?

So meine ich es.

Nun ist es aber nicht möglich, daß nur ein Gebot in dich gelegt ist, in der Weise, daß du dieses Gebot nur hörst und sonst nichts geschieht. Ist es ein fortwährendes oder nur ein zeitweiliges Gebot?

Das kann ich nicht entscheiden, doch glaube ich, daß es ein fortwährendes Gebot ist, ich aber nur zeitweilig es höre.

Woraus schließest du das?

Daraus, daß ich es gewissermaßen höre, auch wenn ich es nicht höre, in der Weise, daß es nicht selbst hörbar wird, aber die Gegenstimme dämpft oder allmählich verbittert, die Gegenstimme nämlich, welche mir die Ewigkeit verleidet.

Und hörst du ähnlich auch die Gegenstimme dann, wenn das Gebot zur Ewigkeit spricht?

Wohl auch, ja manchmal glaube ich, ich höre gar nichts anderes als die Gegenstimme, alles andere sei nur Traum und ich ließe den Traum in den Tag hineinreden.

Warum vergleichst du das innere Gebot mit einem Traum? Scheint es wie dieser sinnlos, ohne Zusammenhang, unvermeidlich, einmalig, grundlos beglückend oder ängstigend, nicht zur Gänze mitteilbar und zur Mitteilung drängend?

Alles das; – sinnlos, denn nur wenn ich ihr nicht folge, kann ich hier bestehen; ohne Zusammenhang, ich weiß nicht, wer es gebietet und worauf er abzielt; unvermeidlich, es trifft mich unvorbereitet und mit der gleichen Überraschung wie das Träumen den Schlafenden, der doch, da er sich schlafen legte, auf Träume gefaßt sein mußte. Es ist einmalig oder scheint wenigstens so, denn ich kann es nicht befolgen, es vermischt sich nicht mit dem Wirklichen und behält dadurch seine unberührte Einmaligkeit; es beglückt und ängstigt grundlos, allerdings viel seltener das erste als das zweite; es ist nicht mitteilbar, weil es nicht faßbar ist und es drängt zur Mitteilung aus demselben Grunde.

Christus, Augenblick.

8. Februar. Bald aufgestanden, Arbeitsmöglichkeit.

9. Februar. Die Windstille an manchen Tagen, der Lärm der Ankommenden, wie die unsrigen aus den Häusern hervorlaufen, sie zu begrüßen, hie und da Fahnen ausgehängt werden, man in die Keller eilt, Wein zu holen, aus einem Fenster eine Rose aufs Pflaster fällt, niemand Geduld kennt, die Boote von hundert Armen gleich festgehalten ans Land stoßen, die fremden Männer sich umblicken und in das volle Licht des Platzes emporsteigen.

Warum ist das Leichte so schwer? An Verführungen hatte ich –.

Laß die Aufzählung. Das Leichte ist schwer. Es ist so leicht und so schwer. Wie ein Jagdspiel, bei dem der einzige Ruheplatz ein Baum jenseits des Weltmeeres ist.

Aber warum sind sie von dort ausgewandert? – An der Küste ist die Brandung am stärksten, so eng ist ihr Gebiet und so unüberwindlich.

Nichtfragen hätte dich zurückgebracht, Fragen treibt dich noch ein Weltmeer weiter. – Nicht sie sind ausgewandert, sondern du.

Immer wieder wird mich die Enge bedrücken.

Ewigkeit ist aber nicht das Stillstehn der Zeitlichkeit.

Was an der Vorstellung des Ewigen bedrückend ist: die uns unbegreifliche Rechtfertigung, welche die Zeit in der Ewigkeit erfahren muß und die daraus folgende Rechtfertigung unserer selbst, so wie wir sind.

Wieviel bedrückender als die unerbittlichste Überzeugung von unserem gegenwärtigen sündhaften Stand ist selbst die schwächste Überzeugung von der einstigen, ewigen Rechtfertigung unserer Zeitlichkeit. Nur die Kraft im Ertragen dieser zweiten Überzeugung, welche in ihrer Reinheit die erste voll umfaßt, ist das Maß des Glaubens.

Manche nehmen an, daß neben dem großen Urbetrug noch in jedem Fall eigens für sie ein kleiner besonderer Betrug veranstaltet wird, daß also, wenn ein Liebesspiel auf der Bühne aufgeführt wird, die Schauspielerin außer dem verlogenen Lächeln für ihren Geliebten auch noch ein besonders hinterhältiges Lächeln für den ganz bestimmten Zuschauer auf der letzten Galerie hat. Das heißt zu weit gehen.

10. Februar. Sonntag. Lärm. Friede Ukraine.

Es verschwinden die Nebel der Feldherren und Künstler, der Liebhaber und Reichen, der Politiker und Turner, der Seefahrer und...

Freiheit und Gebundenheit ist im wesentlichen Sinn eines. In welchem wesentlichen Sinn? Nicht in dem Sinn, daß der Sklave die Freiheit nicht verliert, also in gewisser Hinsicht freier ist als der Freie.

Die Kette der Generationen ist nicht die Kette deines Wesens und doch sind Beziehungen vorhanden. – Welche? – Die Generationen sterben wie die Augenblicke deines Lebens. – Worin liegt der Unterschied?

Es ist der alte Scherz: Wir halten die Welt und klagen, daß sie uns hält.

Du leugnest in gewissem Sinn das Vorhandensein dieser Welt. Du erklärst das Dasein als ein Ausruhn, ein Ausruhn in der Bewegung.

11. Februar. Friede Rußland.

Sein Haus bleibt in der allgemeinen Feuersbrunst verschont, nicht deshalb, weil er fromm ist, sondern weil er darauf abzielt, daß sein Haus verschont bleibt.

Der Betrachtende ist in gewissem Sinne der Mitlebende, er hängt sich an das Lebende, er sucht mit dem Wind Schritt zu halten. Das will ich nicht sein.

Leben heißt: in der Mitte des Lebens sein; mit dem Blick das Leben sehn, in dem ich es erschaffen habe.

Die Welt kann nur von der Stelle aus für gut angesehen werden, von der aus sie geschaffen wurde, denn nur dort wurde gesagt: Und siehe, sie war gut – und nur von dort aus kann sie verurteilt und zerstört werden.

Immer bereit, sein Haus ist tragbar, er lebt immer in seiner Heimat.

Das entscheidend Charakteristische dieser Welt ist ihre Vergänglichkeit. In diesem Sinn haben Jahrhunderte nichts vor dem augenblicklichen Augenblick voraus. Die Kontinuität der Vergänglichkeit kann also keinen Trost geben; daß neues Leben aus den Ruinen blüht, beweist weniger die Ausdauer des Lebens als des Todes. Will ich nun diese Welt bekämpfen, muß ich sie in ihrem entscheidend Charakteristischen bekämpfen, also in ihrer Vergänglichkeit. Kann ich das in diesem Leben, und zwar wirklich, nicht nur durch Hoffnung und Glauben?

Du willst also die Welt bekämpfen, und zwar mit Waffen, die wirklicher sind als Hoffnung und Glaube. Solche Waffen gibt es wahrscheinlich, aber sie sind nur unter bestimmten Voraussetzungen erkennbar und brauchbar; ich will zuerst sehn, ob du diese Voraussetzungen hast.

Sieh nach, aber wenn ich sie nicht habe, kann ich sie vielleicht erwerben.

Gewiß, aber dabei könnte ich dir nicht helfen. Du kannst mir also nur helfen, wenn ich die Voraussetzungen schon erworben habe.

Ja, genauer gesagt kann ich dir überhaupt nicht helfen, denn wenn du die Voraussetzungen hättest, hättest du schon alles. Wenn es so steht, warum wolltest du mich also erst prüfen?

Nicht um dir zu zeigen, was dir fehlt, sondern, daß dir etwas fehlt. Einen gewissen Nutzen hätte ich dir damit vielleicht bringen können, denn du weißt zwar, daß dir etwas fehlt, aber du glaubst es nicht.

Du bietest mir also auf meine ursprüngliche Frage nur den Beweis dafür an, daß ich die Frage stellen mußte.

Ich biete doch etwas mehr, etwas, was du entsprechend deinem Stande jetzt überhaupt nicht präzisieren kannst. Ich biete den Beweis dafür, daß du eigentlich die ursprüngliche Frage anders hättest stellen müssen.

Das bedeutet also: Du willst oder kannst mir nicht antworten. »Dir nicht antworten« – so ist es. Und diesen Glauben – den kannst du geben.

19. Februar. Von Prag zurück. Ottla in Zarch.

Es blendete uns die Mondnacht. Vögel schrien von Baum zu Baum. In den Feldern sauste es.

Wir krochen durch den Staub, ein Schlangenpaar.

Intuition und Erlebnis.

Ist ›Erlebnis‹ das Ruhen im Absoluten, kann ›Intuition‹ nur der Umweg über die Welt zum Absoluten sein. Alles will doch zum Ziel und Ziel ist nur eines. Der Ausgleich wäre allerdings möglich, daß die Zerlegung nur eine solche in der Zeit ist, also nur eine zwar in jedem Augenblick, tatsächlich sich aber gar nicht vollziehende Zerlegung.

Es kann ein Wissen vom Teuflischen geben, aber keinen Glauben daran, denn mehr Teuflisches, als da ist, gibt es nicht.

Die Sünde kommt immer offen und ist mit den Sinnen gleich zu fassen. Sie geht auf ihren Wurzeln und muß nicht ausgerissen werden.

Wer nur für die Zukunft sorgt, ist weniger vorsorglich, als wer nur für den Augenblick sorgt, denn er sorgt nicht einmal für den Augenblick, sondern nur für dessen Dauer.

Alle Leiden um uns müssen auch wir leiden. Christus hat für die Menschheit gelitten, aber die Menschheit muß für Christus leiden. Wir alle haben nicht einen Leib, aber ein Wachstum, und das führt uns durch alle Schmerzen, ob in dieser oder jener Form. So wie das Kind durch alle Lebensstadien bis zum Greis und zum Tod sich entwickelt (und jedes Stadium im Grunde dem früheren, im Verlangen oder in Furcht, unerreichbar scheint), ebenso entwickeln wir uns (nicht weniger tief mit der Menschheit verbunden als mit uns selbst) durch alle Leiden dieser Welt. Für Gerechtigkeit ist in diesem Zusammenhang kein Platz, aber auch nicht für Furcht vor den Leiden oder für die Auslegung des Leidens als eines Verdienstes.

22. Februar.

Die Kontemplation und die Tätigkeit haben ihre Scheinwahrheit; aber erst die von der Kontemplation ausgesendete oder vielmehr die zu ihr zurückkehrende Tätigkeit ist die Wahrheit.

Du kannst dich zurückhalten von den Leiden der Welt, das ist dir freigestellt und entspricht deiner Natur, aber vielleicht ist gerade dieses Zurückhalten das einzige Leid, das du vermeiden könntest.

Dein Wille ist frei, heißt: er war frei, als er die Wüste wollte, er ist frei, da er den Weg zu ihrer Durchquerung wählen kann, er ist frei, da er die Gangart wählen kann, er ist aber auch unfrei, da du durch die Wüste gehen mußt, unfrei, da jeder Weg labyrinthisch jedes Fußbreit Wüste berührt.

Ein Mensch hat freien Willen, und zwar dreierlei: Erstens war er frei, als er dieses Leben wollte; jetzt kann er es allerdings nicht mehr rückgängig machen, denn er ist nicht mehr jener, der es damals wollte, es wäre denn insoweit, als er seinen damaligen Willen ausführt, indem er lebt.

Zweitens ist er frei, indem er die Gangart und den Weg dieses Lebens wählen kann.

Drittens ist er frei, indem er als derjenige, der einmal wieder sein wird, den Willen hat, sich unter jeder Bedingung durch das Leben gehen und auf diese Weise zu sich kommen zu lassen, und zwar auf einem zwar wählbaren, aber jedenfalls derartig labyrinthischen Weg, daß er kein Fleckchen dieses Lebens unberührt läßt. Das ist das Dreierlei des freien Willens, es ist aber auch, da es gleichzeitig ist, ein Einerlei und ist im Grunde so sehr Einerlei, daß es keinen Platz hat für einen Willen, weder für einen freien noch unfreien.

23. Februar. Ungeschriebener Brief.

Die Frau, noch schärfer ausgedrückt vielleicht, die Ehe ist der Repräsentant des Lebens, mit dem du dich auseinandersetzen sollst.

Das Verführungsmittel dieser Welt sowie das Zeichen der Bürgschaft dafür, daß diese Welt nur ein Übergang ist, ist das gleiche. Mit Recht, denn nur so kann uns diese Welt verführen und es entspricht der Wahrheit. Das Schlimmste ist aber, daß wir nach geglückter Verführung die Bürgschaft vergessen und so eigentlich das Gute uns ins Böse, der Blick der Frau in ihr Bett gelockt hat.

24. Februar.

Die Demut gibt jedem, auch dem einsam Verzweifelnden, das stärkste Verhältnis zum Mitmenschen, und zwar sofort, allerdings nur bei völliger und dauernder Demut. Sie kann das deshalb, weil sie die wahre Gebetsprache ist, gleichzeitig Anbetung und festeste Verbindung. Das Verhältnis zum Mitmenschen ist das Verhältnis des Gebetes, das Verhältnis zu sich das Verhältnis des Strebens; aus dem Gebet wird die Kraft für das Streben geholt.

Kannst du denn etwas anderes kennen als Betrug? Wird einmal der Betrug vernichtet, darfst du ja nicht hinsehen oder wirst zur Salzsäule.

Die Erfindungen eilen uns voraus, wie die Küste dem von seiner Maschine unaufhörlich erschütterten Dampfer immer vorauseilt. Die Erfindungen leisten alles, was geleistet werden kann. Ein Unrecht, etwa zu sagen: Das Flugzeug fliegt nicht so wie der Vogel, oder: Niemals werden wir imstande sein, einen lebendigen Vogel zu schaffen. Gewiß nicht, aber der Fehler liegt im Einwand, so wie wenn vom Dampfer verlangt würde, trotz geraden Kurses immer wieder die erste Station anzufahren. – Ein Vogel kann nicht durch einen ursprünglichen Akt geschaffen werden, denn er ist schon geschaffen, entsteht auf Grund des ersten Schöpfungsaktes immer wieder, und es ist unmöglich, in diese auf Grund eines ursprünglichen unaufhörlichen Willens geschaffene und lebende und weitersprühende Reihe einzubrechen, so wie es in einer Sage heißt, daß zwar das erste Weib aus der Rippe des Mannes geschaffen wurde, daß sich das aber niemals mehr wiederholt hat, sondern daß von da ab die Männer immer die Töchter anderer zum Weib nehmen. – Die Methode und Tendenz der Schöpfung des Vogels  – darauf kommt es an – und des Flugzeugs muß aber nicht verschieden sein und die Auslegung der Wilden, welche Gewehrschuß und Donner verwechseln, kann eine begrenzte Wahrheit haben.

Beweise für ein wirkliches Vorleben: Ich habe dich schon früher gesehen, die Wunder der Vorzeit und am Ende der Tage.

25. Februar. Morgenklarheit.

Es ist nicht Trägheit, böser Wille, Ungeschicklichkeit – wenn auch von alledem etwas dabei ist, weil ›das Ungeziefer aus dem Nichts geboren wird‹ – welche mir alles mißlingen oder nicht einmal mißlingen lassen: Familienleben, Freundschaft, Ehe, Beruf, Literatur, sondern es ist der Mangel des Bodens, der Luft, des Gebotes. Diese zu schaffen ist meine Aufgabe, nicht damit ich dann das Versäumte etwa nachholen kann, sondern damit ich nichts versäumt habe, denn die Aufgabe ist so gut wie eine andere. Es ist sogar die ursprünglichste Aufgabe oder zumindest ihr Abglanz, so wie man beim Ersteigen einer luftdünnen Höhe plötzlich in den Schein der fernen Sonne treten kann. Es ist das auch keine ausnahmsweise Aufgabe, sie ist gewiß schon oft gestellt worden. Ob allerdings in solchem Ausmaß, weiß ich nicht. Ich habe von den Erfordernissen des Lebens gar nichts mitgebracht, so viel ich weiß, sondern nur die allgemeine menschliche Schwäche. Mit dieser – in dieser Hinsicht ist es eine riesenhafte Kraft – habe ich das Negative meiner Zeit, die mir ja sehr nahe ist, die ich nie zu bekämpfen, sondern gewissermaßen zu vertreten das Recht habe, kräftig aufgenommen. An dem geringen Positiven sowie an dem äußersten, zum Positiven umkippenden Negativen, hatte ich keinen ererbten Anteil. Ich bin nicht von der allerdings schon schwer sinkenden Hand des Christentums ins Leben geführt worden wie Kierkegaard und habe nicht den letzten Zipfel des davonfliegenden jüdischen Gebetmantels noch gefangen wie die Zionisten. Ich bin Ende oder Anfang.

Er fühlte es an der Schläfe, wie die Mauer die Spitze des Nagels fühlt, der in sie eingeschlagen werden soll. Er fühlte es also nicht.

Niemand schafft hier mehr als seine geistige Lebensmöglichkeit; daß es den Anschein hat, als arbeite er für seine Ernährung, Kleidung und so weiter, ist nebensächlich, es wird ihm eben mit jedem sichtbaren Bissen auch ein unsichtbarer, mit jedem sichtbaren Kleid auch ein unsichtbares Kleid und so fort gereicht. Das ist jedes Menschen Rechtfertigung. Es hat den Anschein, als unterbaue er seine Existenz mit nachträglichen Rechtfertigungen, das ist aber nur psychologische Spiegelschrift, tatsächlich errichtet er sein Leben auf seinen Rechtfertigungen. Allerdings muß jeder Mensch sein Leben rechtfertigen können (oder seinen Tod, was dasselbe ist), dieser Aufgabe kann er nicht ausweichen. Wir sehen jeden Menschen sein Leben leben (oder seinen Tod sterben). Ohne innere Rechtfertigung wäre diese Leistung nicht möglich, kein Mensch kann ein ungerechtfertigtes Leben leben. Daraus könnte man in Unterschätzung des Menschen schließen, daß jeder sein Leben mit Rechtfertigungen unterbaut.

Psychologie ist Lesen einer Spiegelschrift, also mühevoll, und was das immer stimmende Resultat betrifft, ergebnisreich, aber wirklich geschehn ist nichts.

Nach dem Tod eines Menschen tritt selbst auf Erden hinsichtlich des Toten für eine Zeitspanne eine besondere wohltuende Stille ein, ein irdisches Fieber hat aufgehört, ein Sterben sieht man nicht mehr fortgesetzt, ein Irrtum scheint beseitigt, selbst für die Lebenden eine Gelegenheit zum Atemschöpfen, weshalb man auch die Fenster des Sterbezimmers öffnet, – bis sich dann alles doch nur als Schein ergibt und der Schmerz und die Klagen beginnen.

Das Grausame des Todes liegt darin, daß er den wirklichen Schmerz des Endes bringt, aber nicht das Ende.

Das Grausamste des Todes: ein scheinbares Ende verursacht einen wirklichen Schmerz.

Die Klage am Sterbebett ist eigentlich die Klage darüber, daß hier nicht im wahren Sinn gestorben worden ist. Noch immer müssen wir uns mit diesem Sterben begnügen, noch immer spielen wir das Spiel.

26. Februar. Sonniger Morgen.

Die Menschheitsentwicklung – ein Wachsen der Sterbenskraft.

Unsere Rettung ist der Tod, aber nicht dieser.

Alle sind zu A. sehr freundlich, so etwa wie man ein ausgezeichnetes Billard selbst vor guten Spielern sorgfältig zu bewahren sucht, solange bis der große Spieler kommt, das Brett genau untersucht, keinen vorzeitigen Fehler duldet, dann aber, wenn er selbst zu spielen anfängt, sich auf die rücksichtsloseste Weise auswütet. »Dann aber kehrte er zu seiner Arbeit zurück, so wie wenn nichts geschehen wäre.« Das ist eine Bemerkung, die uns aus einer unklaren Fülle alter Erzählungen geläufig ist, obwohl sie vielleicht in keiner vorkommt.

Jedem Menschen werden hier zwei Glaubensfragen gestellt, erstens nach der Glaubenswürdigkeit dieses Lebens, zweitens nach der Glaubenswürdigkeit seines Zieles. Beide Fragen werden von jedem durch die Tatsache seines Lebens so fest und unvermittelt mit »ja« beantwortet, daß es unsicher werden könnte, ob die Fragen richtig verstanden worden sind. Jedenfalls muß man sich nun zu diesem seinen eigenen Grund-Ja erst durcharbeiten, denn noch weit unter ihrer Oberfläche sind die Antworten im Ansturm der Fragen verworren und ausweichend.

»Daß es uns an Glauben fehle, kann man nicht sagen. Allein die einfache Tatsache unseres Lebens ist in ihrem Glaubenswert gar nicht auszuschöpfen.«

»Hier wäre ein Glaubenswert? Man kann doch nicht nicht-leben.«

»Eben in diesem ›kann doch nicht‹ steckt die wahnsinnige Kraft des Glaubens; in dieser Verneinung bekommt sie Gestalt.«

Es ist nicht notwendig, daß du aus dem Hause gehst. Bleib bei deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte nur. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich dir die Welt zur Entlarvung, sie kann nicht anders, verzückt wird sie sich vor dir winden.

Die Nichtmitteilbarkeit des Paradoxes besteht vielleicht, äußert sich aber nicht als solche, denn Abraham selbst versteht es nicht. Nun braucht oder soll er es nicht verstehn, also auch nicht für sich deuten, wohl aber darf er es den andern gegenüber zu deuten suchen. Auch das Allgemeine ist in diesem Sinn nicht eindeutig, was sich im Iphigenie-Fall darin äußert, daß das Orakel niemals eindeutig ist.

Ruhe im Allgemeinen? Äquivokation des Allgemeinen. Einmal das Allgemeine gedeutet als das Ruhen, sonst aber als das ›allgemeine‹ Hin und Her zwischen Einzelnem und Allgemeinem. Erst die Ruhe ist das wirklich Allgemeine, aber auch das Endziel.

Es ist so, wie wenn das Hin und Her zwischen Allgemeinem und Einzelnem auf der wirklichen Bühne stattfände, dagegen das Leben im Allgemeinen nur eingezeichnet würde auf der Hintergrundkulisse.

Es gibt nicht diese Entwicklung, die in ihrer von mir nur sehr mittelbar verschuldeten Sinnlosigkeit mich ermüden würde. Die vergängliche Welt reicht für Abrahams Vorsorglichkeit nicht aus, deshalb beschließt er mit ihr in die Ewigkeit auszuwandern. Sei es aber, daß das Ausgangs-, sei es, daß das Eingangstor zu eng ist, er bringt den Möbelwagen nicht durch. Die Schuld schreibt er der Schwäche seiner kommandierenden Stimme zu. Es ist die Qual seines Lebens.

Abrahams geistige Armut und die Schwerbeweglichkeit dieser Armut ist ein Vorteil, sie erleichtert ihm die Konzentration oder vielmehr, sie ist schon Konzentration, wodurch er allerdings den Vorteil verliert, der in der Anwendung der Konzentrationskraft liegt.

Abraham ist in folgender Täuschung begriffen: Die Einförmigkeit dieser Welt kann er nicht ertragen. Nun ist aber die Welt bekanntlich ungemein mannigfaltig, was jederzeit nachzuprüfen ist, indem man eine Handvoll Welt nimmt und näher ansieht. Das weiß natürlich auch Abraham. Die Klage über die Einförmigkeit der Welt ist also eigentlich eine Klage über nicht genügend tiefe Vermischung mit der Mannigfaltigkeit der Welt. Also eigentlich ein Sprungbrett in die Welt.

Neben seiner Beweisführung geht eine Bezauberung mit. Einer Beweisführung kann man in die Zauberwelt ausweichen, einer Bezauberung in die Logik, aber beide gleichzeitig erdrücken, zumal sie etwas Drittes sind, lebender Zauber oder nicht zerstörende, sondern aufbauende Zerstörung der Welt.

Er hat zu viel Geist, er fährt mit seinem Geist wie auf einem Zauberwagen über die Erde, auch dort, wo keine Wege sind. Und kann es von sich selbst nicht erfahren, daß dort keine Wege sind. Dadurch wird seine demütige Bitte um Nachfolge zur Tyrannei und sein ehrlicher Glaube, ›auf dem Wege‹ zu sein, zum Hochmut.

Die besitzlose Arbeiterschaft

Pflichten: Kein Geld, keine Kostbarkeiten besitzen oder annehmen. Nur folgender Besitz ist erlaubt: einfachstes Kleid (im Einzelnen festzusetzen), zur Arbeit Nötiges, Bücher, Lebensmittel für den eigenen Gebrauch. Alles andere gehört den Armen.

Nur durch Arbeit den Lebensunterhalt erwerben. Vor keiner Arbeit sich scheuen, zu welcher die Kräfte ohne Schädigung der Gesundheit hinreichen. Entweder selbst die Arbeit wählen, oder, falls dies nicht möglich, sich der Anordnung des Arbeitsrates fugen, welcher sich der Regierung unterstellt.

Für keinen andern Lohn arbeiten als den Lebensunterhalt (im Einzelnen nach den Gegenden festzusetzen) für zwei Tage.

Mäßigstes Leben. Nur das unbedingt Notwendige essen, zum Beispiel als Minimallöhnung, die in gewissem Sinn auch Maximallöhnung ist: Brot, Wasser, Datteln. Essen der Ärmsten, Lager der Ärmsten.

Das Verhältnis zum Arbeitgeber als Vertrauensverhältnis behandeln, niemals Vermittlung der Gerichte verlangen. Jede übernommene Arbeit zu Ende führen, unter allen Umständen, es wären denn schwere Gesundheitsrücksichten dem entgegen.

Rechte: Maximalarbeitszeit sechs Stunden, für körperliche Arbeit vier bis fünf.

Bei Krankheit und im unfähigen Alter Aufnahme in staatliche Altersheime, Krankenhäuser.

Das Arbeitsleben als eine Angelegenheit des Gewissens und eine Angelegenheit des Glaubens an den Mitmenschen.

Mitgebrachten Besitz dem Staat schenken, zur Errichtung von Krankenhäusern, Heimen.

Vorläufig wenigstens Ausschluß von Selbständigen, Verheirateten und Frauen.

Rat (schwere Pflicht) vermittelt mit der Regierung.

Auch in kapitalistischen Betrieben, (zwei Worte unlesbar). Dort wo man helfen kann, in verlassenen Gegenden, Armenhäusern, (als) Lehrer.

Fünfhundert Männer Höchstgrenze.

Ein Probejahr.

Alles fügte sich ihm zum Bau. Fremde Arbeiter brachten die Marmorsteine, zubehauen und zueinander gehörig. Nach den abmessenden Bewegungen seiner Finger hoben sich die Steine und verschoben sich. Kein Bau entstand jemals so leicht wie dieser Tempel oder vielmehr dieser Tempel entstand nach wahrer Tempelart. Nur daß auf jedem Stein – aus welchem Bruche stammten sie? – unbeholfenes Gekritzel sinnloser Kinderhände oder vielmehr Eintragungen barbarischer Gebirgsbewohner zum Ärger oder zur Schändung oder zu völliger Zerstörung mit offenbar großartig scharfen Instrumenten für eine den Tempel überdauernde Ewigkeit eingeritzt waren.

Bachaufwärts dem wandernden Wasser entgegen. Rutengestrüpp. Des Lehrers auffahrende Stimme. Gemurmel der Kinder. Rot vergehende, sich verlassende, erschauernde Sonne. Zuschlagende Ofentür. Der Kaffee wird gekocht. Aufgelehnt am Tische sitzen wir und warten. Dünne Bäumchen stehen auf der einen Seite des Wegs. März. Was willst du mehr? Wir steigen aus den Gräbern und wollen auch durch diese Welt hinziehn, einen bestimmten Plan haben wir nicht.

Du willst fort von mir? Nun, ein Entschluß, so gut wie ein anderer. Wohin aber willst du? Wo ist das Fort-von-mir? Auf dem Mond? Nicht einmal dort ist es und so weit kommst du gar nicht. Also warum das alles? Willst du dich nicht lieber in den Winkel setzen und still sein? Wäre das nicht etwa besser? Dort in den Winkel, warm und dunkel? Du hörst nicht zu? Tastest nach der Türe. Ja, wo ist denn eine Tür? So weit ich mich erinnere, fehlt sie in diesem Raum. Wer dachte damals, als dieses hier gebaut wurde, an so weltbewegende Pläne, wie es die deinen sind? Nun, es ist nichts verloren, ein solcher Gedanke geht nicht verloren, wir werden ihn durchsprechen in der Tafelrunde, und das Gelächter sei dein Lohn.

Der blasse Mond ging auf, wir ritten durch den Wald.

Poseidon wurde überdrüssig seiner Meere. Der Dreizack entfiel ihm. Still saß er an felsiger Küste und eine von seiner Gegenwart betäubte Möwe zog schwankende Kreise um sein Haupt.

Der wild rollende Wagen.

Ach was wird uns hier bereitet!
Bett und Lager unter Bäumen,
grünes Dunkel, trocknes Laub,
wenig Sonne, feuchter Duft.
Ach was wird uns hier bereitet!

Wohin treibt uns das Verlangen?
Dies erwirken? dies verlieren?
Sinnlos trinken wir die Asche
und ersticken unsern Vater.
Wohin treibt uns das Verlangen?

Wohin treibt uns das Verlangen?
Aus dem Hause treibt es fort.

Es lockte die Flöte, es lockte der frische Bach.

Was geduldig dir erschien,
rauschte durch des Baumes Wipfel
und der Herr des Gartens sprach.

Suche ich in seinen Runen
Wechsels Schauspiel zu erforschen,
Wort und Schwäre.....

Der Graf saß beim Mittagessen, es war ein stiller sommerlicher Mittag. Die Tür öffnete sich, aber diesmal nicht für den Diener, sondern für Bruder Philotas. »Bruder«, sagte der Graf und erhob sich, »wieder seh ich dich, den ich so lange schon nicht mehr im Traume sah.« Eine Scheibe der Glastür, die auf die Terrasse führte, brach in Stücke und ein Vogel, rotbraun wie ein Rebhuhn, aber größer und langschnäblig, flog ins Zimmer. »Warte, den habe ich gleich«, sagte der Bruder, schürzte mit einer Hand die Kutte und haschte mit der andern nach dem Vogel. Gerade kam der Diener herein, mit einer Schüssel schöner Früchte, in die nun der Vogel ruhig, sie in kleinen Kreisen umfliegend, kräftig hackte.

Wie erstarrt hielt der Diener die Schüssel und sah, nicht eigentlich erstaunt, auf die Früchte, den Vogel und den weiter Jagd machenden Bruder. Die andere Tür ging auf und es kamen Dorfbewohner mit einer Petition, sie baten um Freigabe einer Waldstraße, die sie zur bessern Bewirtschaftung ihrer Felder benötigten. Aber sie kamen zu unrechter Zeit, denn der Graf war noch ein kleines Schulkind, saß auf einem Schemel und lernte. Der alte Graf war allerdings schon tot und so hätte der junge regieren sollen, aber so war es nicht, es war eine Pause in der Historie und die Deputation ging daher ins Leere. Wo wird sie enden? Wird sie zurückkommen? Wird sie rechtzeitig erkennen, wie die Dinge stehn? Der Lehrer, der auch teilnahm, tritt schon aus der Gruppe und übernimmt des kleinen Grafen Unterricht. Mit einem Stecken schiebt er alles vom Tisch hinunter, was dort war, zieht ihn mit der Fläche nach vorn als Tafel in die Höhe und schreibt darauf mit einer Kreide die Ziffer I.

Wir tranken, das Kanapee wurde uns zu eng, unaufhörlich drehten sich die Zeiger der Wanduhr in Kreisen. Der Diener sah herein, wir winkten ihm mit erhobenen Händen. Er aber war gefesselt von einer Erscheinung auf dem Sopha beim Fenster. Ein alter Mann in dünnem, schwarzem, seidig glänzendem Kleid erhob sich dort langsam, noch spielten seine Finger an den Seitenlehnen. »Vater«, rief der Sohn, »Emil«, der Alte.

Der Weg zum Nebenmenschen ist für mich sehr lang.

Prag. Die Religionen verlieren sich wie die Menschen.

Kleine Seele,
springst im Tanze,
legst in warme Luft den Kopf,
hebst die Füße aus glänzendem Grase,
das der Wind in harte Bewegung treibt.


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