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»Das dort in der Tiefe kann Tasmanien sein«, sagt Mita Malcolm und beugt sich über meine Schulter und blickt hinab auf die Insel im blaugrünen Ozean ...
»Es ist Tasmanien« – ich sitze vor dem Schaltbrett auf dem bequemen kleinen Sessel und vergleiche die Umrisse der größeren Nachbarinsel mit dem Bilde einer guten Reliefkarte Australiens. »Und das da, Frau Mita, ist die Stadt Melbourne – schauen Sie nur genau hin –, Melbourne, Australien – sehen Sie links davon den Gebirgszug?«
Wir fliegen in tausend Meter Höhe, und mit dem Fernglas muß Mita die Großstadt, den prächtigen Hafen mit der weiten Bucht leicht erkennen.
»Dann hätten wir also drei Viertel des Weges hinter uns«, sagt sie wieder nach einer Weile und behält ihre Haltung bei. Ihre losen köstlichen kupferbraunen Haare, die stets so widerspenstig sind, wenn sie morgens Toilette macht, scheinen meinen Nacken zu streicheln. Und dieses Haar duftet noch köstlicher, hat den zarten feinen Geruch eines Frauenleibes, der sich beim Erwachen unter sanften unschweren seidenen Decken behaglich dehnt und streckt.
Ein kühner Vergleich für die immerhin primitiven Unterkunftsverhältnisse des Falken! Seidene Decken?! ... Märchenträume hier ...!
... Ich weiß nicht, seit ich mit Mita und Taito hier im Falken allein bin, so allein, daß wir fast zu allein sind, hat sich manches geändert, denn unsere harmlose Kameradschaft, mit der wir anfänglich so selbstsicher prunkten, erlitt allzu viele arge Abbröckelungen ... Auch jetzt frage ich mich als Mann stark beunruhigt: »Ist es nötig, daß Mita sich so vertraulich an mich lehnt, noch immer an mich lehnt und angeblich hinausblickt, obwohl es unten in der Tiefe nichts mehr zu sehen gibt als die endlose Fläche des Ozeans?! Ist das wirklich nötig?! Ist Mita Malcolm aus der ernsten, zielbewußten Frau, die voller Sehnsucht den Gatten sucht, zum koketten Weibchen geworden?!
Jetzt hat sie sich aufgerichtet.
Im Spiegel treffen sich unsere Blicke. Sie sieht mich, ich sehe sie, wir lächeln uns an, nicken uns zu, und sie sagt mit jener Entschiedenheit, die mir so sehr an ihr gefällt:
»Ablösung, Olaf ...! – Das Frühstück wartet auf Sie ...«
Ich erhebe mich, wir nicken uns nochmals zu, und der faule fette Taito begrüßt mich von seinem Lager mit lebhaftem Wedeln. – Taito hat es hier an Bord am schlechtesten. Wäre er ein Salonhündchen gewesen, das an Stubenreinheit gewöhnt, hätte ich gewisse Sorgen mit ihm gehabt. Ein Wildling wie er paßt sich leichter den Verhältnissen an und verschwindet zu bestimmten Zwecken nicht einmal hinter dem Vorhang, den wir vor den Schwanzteil des Falken gezogen haben.
Nein, dieser Schwingenflieger, mit primitiven Mitteln in weltabgeschiedener Einsamkeit erbaut, ist keine moderne Lufttaxe mit allem Komfort. Im Kopfteil liegen Motoren, Zahnradgetriebe, rollende surrende Kurbeln, die nicht einmal irgendwie geschützt waren und die eine beständige Bedrohung heiler Gliedmaßen bildeten – vorn im Rumpf an den Wänden das komplizierte Hebel- und Antriebswerk der mächtigen Flügel – dann ein Fußboden aus rohen Brettern, drei einfache Klappbetten an den Wänden, ein ebensolcher Tisch, selbstgefertigte Rohrsessel – weiter hinten die Ladung, die Benzinbehälter, vielerlei Kleinigkeiten ... – von Bequemlichkeit keine Spur, alles nur nach rein praktischen Gesichtspunkten hergestellt, wie dies unter den einfachen Verhältnissen auf der Smaragdinsel gar nicht anders herzustellen gewesen war, trotzdem ein Wunderwerk das Ganze, erstaunlich jede Einzelheit, wenn man sie dem Gesamteindruck hervorragender Leistungsfähigkeit einreihte.
... Und nun sitze ich an diesem Tisch, habe links das eine Seitenfenster neben mir, habe mein Frühstück beendet und meinen flachen, verrosteten, verschlossenen Blechkasten mit meinen Aufzeichnungen hervorgeholt und schreibe ... Habe noch vieles nachzuholen, was die letzten Vorgänge nach der Flucht der braunen Chi-Horde betrifft. – Den Abschied von den Gefährten hatten wir uns anders gedacht, wir hatten wieder landen und Freund Tikku aufnehmen wollen. Es blieb bei dem guten Willen, die Elemente wollten uns beweisen, daß mit einem jähen Gewittersturm zwischen den beiden Bergketten nicht zu spaßen ist. Dieser Sturm war so urplötzlich losgebrochen, so blitzschnell hatte sich das schwarze Gewölk zusammengezogen, daß es im Handumdrehen pechfinster und eine Landung schon aus dem Grunde unmöglich wurde. Außerdem fauchte der Orkan mit so beängstigender Kraft gegen die Schwingen des Falken, daß ich es für ratsam hielt, möglichst schnell aufzusteigen, es war ein gefährliches, tolles Jagen durch Regen und Blitze, durch rollenden Donner und betäubende Explosionen der elektrisch übersättigten Wolken. Kein glückverheißender Fahrtbeginn war es, die ganze große Insel Formosa schien an jenem Abend von schwersten Gewittern heimgesucht zu werden, und als wir dann, immer nach Südwest flüchtend, in klare Luftschichten gelangten, befanden wir uns längst über dem freien Ozean, und meine Uhr zeigte Mitternacht. – Umkehren?! – Ich befragte Mita, die bei all dem drohenden Toben der Elemente und bei all den wilden, unfreiwilligen Gleitstürzen des Falken niemals die kühle Ruhe verloren hatte. Sie verneinte kurz ... »Es hieße nur unser kostbares Benzin verschwenden, Olaf ...!«
Blicke ich von meiner Schreiberei auf, dann kann ich im Spiegel vor mir mit Mita Malcolm ein freundliches Kopfnicken austauschen. Nur das. Eine Verständigung von Mund zu Mund ist bei dem Lärm der Motoren nur aus nächster Nähe möglich.
Meine Zigarre wird noch einige Minuten durchhalten – ich krame also wieder einmal in Professor Burrs Papieren, überfliege nochmals die Radiodepesche, die Mita nun längst vollständig kennt, und grübele über die Bedeutung der Sätze »Berg brennt, Feuer frißt weiter« nach.
Es kann doch nur der Reynold-Berg gemeint sein, und der liegt wie die gesamte Antarktis beständig unter Eis und Schnee begraben, da die Kälte am Südpol bedeutend größer ist als in den sogenannten arktischen Ländern. Gewiß, im Viktorialand ist ein tätiger Vulkan von rund 4000 Meter Höhe entdeckt worden, der Erebus, und verschiedene Südseepolarforscher behaupten, an den Abhängen dieses Bergriesen in mittlerer Höhenlage Grünflächen bemerkt zu haben. Betreten hat sie noch niemand. Sollten sie vorhanden sein, kann es sich nur um Moose und Flechten handeln, die auf schneefreien Felsen (infolge der Erwärmung der Gesteinsmassen durch die unterirdischen Feuer) gedeihen. Daß aber der Reynold-Berg etwa plötzlich ein Vulkan geworden sein könnte, ist doch kaum anzunehmen – so schreibt auch Sven Burr in seinen Notizen.
Diese seltsame Frage läßt mir jedenfalls keine Ruhe. Mita zeigt sich in diesem Punkte weit gleichgültiger – überhaupt habe ich beinahe den Eindruck gewonnen, daß ihre Sehnsucht nach Thomas Malcolm bedenklich gesunken ist. Sogar die Mitteilung, daß von der ganzen Expedition nur noch vier Mann am Leben seien, hat sie im Grunde recht kalt gelassen. Sie spricht überhaupt ungern über ihren Gatten, und ich weiß über Malcolm recht wenig – Kaufmann, Pelzhändler, Seemann, Spritschmuggler soll er gewesen sein, wohl auch so eine ruhelose Abenteurernatur mit etwas fragwürdigem Einschlag, scheint mir. Anderseits – hätte Doktor Lincoln Vandermar, ein anerkannter kanadischer Gelehrter, wohl einen Menschen zweifelhaften Rufes als Ersten Steuermann für den Dreimaster angeworben?! Wohl kaum! Freunde sollen sie gewesen sein, und wenn ich weiterhin berücksichtige, was dieser Malcolm aus dem einfachen Mädchen gemacht hat – eine vollendete Dame, dann gewinne ich wieder ein ganz anderes Bild von diesem zweifellos kühnen und klugen Manne, der doch auch sein Weib sehr geliebt haben muß, da er sonst wohl kaum Doktor Vandermar die Bedingung gestellt hätte, Mita mit auf die lange Reise nehmen zu dürfen, die insgesamt zwei Jahre einschließlich zweier Überwinterungen dauern sollte.
– Ich packte meine Schreiberei beiseite, ich wollte mich niederlegen ... Den Zigarrenstummel habe ich hinab ins Meer geworfen ...
Wollte ... Und da winkte sie, kurz und herrisch fast, mit so seltsam entschlossenem Gesicht, daß es mir unbehaglich zu Mute wurde.
»Olaf« – ich stehe hinter ihr und beuge mich vor, und ihre Stimme klingt mir fremd wie nie, »Olaf, ist ihnen eigentlich bekannt, daß sich auf dem Motordreimaster Eisvogel außer mir noch eine Frau befand?«
Was soll die eigentümliche Frage?!
»Nein, davon weiß ich nichts ...«
»Doktor Vandermar ist fünfzig Jahre alt und Witwer«, sagt sie noch feindseliger, noch schroffer. »Er hat ein einziges Kind, eine ... junge Dame, sehr verzogen, sehr eigenwillig, sehr pikant, Olaf, ... sehr reich ... auch das. Man behauptet, Vandermar besäße fünfzig Millionen. Wie er sie verdient hat, eine andere Sache. In Kanada verdient man leicht und schnell, wenn man Beziehungen hat ... zu Spritschmugglern. Jedenfalls ist Thora Vandermar mir nie sehr gewogen gewesen. Das war es, was ich Ihnen schon gestern mitteilen wollte, so halb als Vorbereitung, Olaf ... Sollte Thora noch leben, so nehmen Sie sich vor ihr in acht. Hören Sie auf meine Warnung, mein Freund. Und nun – – gehen Sie schlafen ... – gute Nacht!«
Und ich versinke in einen unruhigen, traumbefangenen Schlummer, träume ungereimtes Zeug – daß wir vom Eisvogel aus beschossen werden, daß ein Mädchen mit pikanten Zügen höhnisch und grausam die Waffe gerade auf mein Herz richtet.
* * *