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XV.

Arthur Bluß' verfallenes, graues Gesicht, die flackernden Augen, seine halblauten Selbstgespräche, sein nervöses, zweckloses Hin und Her: er war krank, wir waren in der Gewalt eines Irrsinnigen!

Die beiden toten Diener hatte er im Sande verscharrt und über der Stelle dreimal in die Luft gefeuert.

»Ehrensalven!« kicherte er …

Die Kugel, die Dingo niedergeworfen, war nur ein Prellschuß gewesen. Sie steckte in Dingos goldener Uhr, deren Gehäuse auf seiner Brust dicht über dem Herzen eine kreisrunde Schwellung hervorgerufen hatte.

»Dann wirst du Biest eben gehängt«, war des Verrückten höhnischer Entscheid gewesen.

Wir drei saßen gefesselt im Sande, jeder mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und doppelt und dreifach an diesen festgebunden. Uns gegenüber lehnte jetzt der arme Colonel an seinem Pferde.

»… An euch dreien liegt mir nicht viel … Aber die Kruxa will ich haben und ihren Galan … Hätte ich ihn nur erst, eigenhändig knüpfte ich ihn auf … Ich habe weitgehendste Vollmachten … – Mallingrott wird schön fluchen, daß ich ihn auf … Ich habe weitgehendste Vollmachten … – Mallingrott wird schön fluchen, daß ich ihm ausgerückt bin«, sprangen seine Gedanken rückwärts. »Mallingrott ist ein neidischer Narr … Wir waren schon immer Rivalen …« Er stierte Ethel grimmig an. »Wo hat deine Schwester das Gold, du Weibsbild? Du mußt es wissen … Ich schätze, es sind vier Zentner mindestens, denn fünf Packpferde hatte sie bei sich, als sie mit ihrer Bande die Morgan-Berge verließ und ich hinter ihr blieb bis zur Küste. Wo ist das Gold?! Von der Bande sind nur noch die zwei übrig – – und das Gold … Rede!!« Er fuchtelte mit seiner Pistole umher … »Rede!!« brüllte er … »Ich habe nicht lange Zeit … Ich weiß, sie sind vor uns, sie und der Hund, und der verliebte blonde Robb umgirrt die Mörderin seines Vaters … Schwarzes Dingo-Schwein, hast du ihr geholfen, den alten Giftmischer ans Kreuz zu bringen …? Dein Schafsgesicht hilft dir gar nichts, ich bin durchaus im Bilde … Paloma hat den Lord gekreuzigt, und sie tat recht daran, und den Sohn wird sie nun wohl auch erledigen; und ich werde nur den Zuschauer spielen und dann mit ihr Hochzeit halten – vielleicht auf den Goldsäcken … – Wo ist das Gold?«

Ethel Murrays geisterhafte Blässe war mitleiderregend.

»Das – ist nicht wahr!« keuchte sie –, »das kann nicht wahr sein! Paloma – nein, es wäre entsetzlich … Dingo, reden Sie!! Sie müssen diese gräßliche Verdächtigung aus der Welt schaffen!«

Bell schaute geradeaus. Seine Augen waren leer und tot. »Ich tat es«, sagte er. »Ich habe den Anker oben festgenagelt. Der Anker ist meines Vaters Zeichen gewesen, denn er war ein Fischer, das wissen Sie, Ethel …«

Aber des Colonel Hohngelächter zerstörte die fromme Lüge. »Willst dich wohl damit noch brüsten, Lump?! Bist viel zu feige dazu … Paloma tat's, mir ist's seit langem bekannt, und Paloma wird mein und keiner erfährt davon …«

Dingo hatte den Blick auf Bluß gerichtet, und unter diesem Blick wurde der Oberst rasend …

»Schuft, Schwein, – – wühlst du in meiner Seele mit deinem verfluchten Blick …?! Siehst du, daß Arthur Bluß nur immer nach diesem einen Weibe gezittert hat und seine Pflicht vergaß und alle belog und betrog und alles daran setzte, nur sie zu erringen und mit ihr zu fliehen?! Bluß – ein Schurke wie du –, sich selbst zum Ekel, zermürbt, verfault bis ins Mark – – durch die Kruxa!!«

Er hob die Pistole …

»Schwein, du hast meine Gedanken, mein Inneres entblößt … Stirb, – – und …«

Dingo warf den Kopf zur Seite, und die Kugel riß nur ein Stück Baumrinde weg.

Dingo sagte mit einem fürchterlichen Blick, der sogar den Wahnsinnigen etwas zur Vernunft brachte: »Ich werde dir die fünf Ledersäcke zeigen, Bluß … Ich kenne das Versteck … Binde jetzt Frau Ethel los, sie ist ohnmächtig, und soweit wirst du wohl noch Gentleman sein, diese Frau nicht unnötig zu quälen.«

Der Colonel grinste blöde … »Ich finde das Gold auch so … Ich finde Paloma, und Paloma ist Gold … Paloma ist das Kreuz der Steppe, ist mein Kreuz, ist … ist … – ich werde euch drei hier verhungern lassen … Ich nehme die Pferde mit … Eure und meine Fährte habe ich ausgelöscht, hofft nicht auf Mallingrott … hofft auf nichts –, was Oberst Bluß verwischt und was der Wind noch mit Sand bestreut, ist keine Spur mehr … Ich weiß alles … Der blonde Robb hat einen schönen Motorkutter …«

Er schaute mich plötzlich an. »Wo ist Ihre Jacht, Mister Elsen?«

»Versunken …«

Er nickte. »Es muß so sein … Ich sah keine Jacht … Aber auch der Kutter genügt für Paloma und mich … und für das Gold … – Der Trust ist kräftig zur Ader gelassen worden … Ich hätte die Hälfte dieser Überfälle verhindern können … Oh, ich bin verteufelt schlau … Ich habe aller Welt Sand in die Augen gestäubt …«

»Sie sind sehr schlau«, sagte ich laut, und dieses Eingehen auf seine Gedanken ließ ihn geschmeichelt lächeln … »Deshalb beeilen Sie sich, Oberst, bevor Paloma Ihnen entgeht … Robb Battingham ist schon wieder bei Kräften, und die beiden reiten schneller, als Sie es glauben, Bluß … Beeilen Sie sich, und nehmen Sie die Pferde nur mit zum Transport Ihrer Goldsäcke. Ich würde an Ihrer Stelle keine Sekunde zögern …«

Er nickte übertrieben … »Sie brauchen mir keine guten Lehren zu geben … Ich reite schon.«

Er hatte es plötzlich sehr eilig, der arme Narr, – meine plumpe List, ihn schleunigst aus unserer Nähe zu bringen, bevor er noch irgendein Unheil anrichtete, war geglückt. Sein krankes Hirn war nicht mehr fähig, irgend etwas kritisch abzuwägen, er folgte der Eingebung des Augenblicks wie ein Kind, und lachend und vor sich hin redend knotete er die Zügel der Pferde aneinander und jagte davon.

Bell Dingo betrachtete mitleidig die schlaff in den Fesseln hängende Ethel. Dann sagte er zu mir: »Abelsen, das war unsere Rettung … So hat er vergessen, uns die Pistolen und Messer abzunehmen –, wir werden sehr bald frei sein. – Abelsen, helfen Sie mir aber nachher … Ethel darf nie die Überzeugung gewinnen, daß Paloma den Lord tötete … Ich will Ihnen die Wahrheit gestehen, so entsetzlich sie auch ist: Paloma brachte den Lord dorthin, wo ihr Vater sich erschoß … Sie hatte alles vorbereitet, band ihn nachts mit Eisendraht an das Kreuz … Er … lebte …« Dingo flüsterte … »Er lebte, und ich, der gerade damals endlich Palomas Fährte gefunden hatte, – – ich … kam zu spät, Abelsen … Die Angst hatte den … Giftmischer getötet. – Das ist die Wahrheit. – Ich habe geschwiegen, denn Paloma … hätte mich niedergeknallt …« Sein Gesicht hatte sich verfärbt. »Abelsen, sie ist besessen von ihrer Rachgier … Sie wird Robb töten … irgendwie auf nicht minder gräßliche Art … Wir müssen dies verhindern.«

Er schwenkte mit den gefesselten Füßen herum und hielt sie hoch. »Knoten Sie mir die Stricke auf und reißen Sie mir auch mit den Zähnen Schuhe und Strümpfe ab … Schnell …«

Dingos große Zehe war lang und schmal und stand etwas ab. Niemals hätte ich geglaubt, daß ein Mann – es sei denn ein Armloser – seine Zehen so als Greifwerkzeuge ausgebildet haben könnte.

Die Schlingen über meiner Brust fielen herab, ich warf mich neben Dingo in den Sand, und seine Zähne vollendeten das Werk.

Wir waren frei.

»Bleiben Sie bei Ethel …« schlug ich vor. »Ich bin ein guter Läufer. Ich werde noch rechtzeitig die Küste erreichen. – Wo liegt das Gold?«

»In den fünf Gräbern, ziemlich tief, Abelsen …« Er bemühte sich schon um Ethel … »Rechts neben den Gräbern im Gestrüpp liegt ein Spaten … Ich folge Ihnen, ich werde Ethel tragen, mir macht das nichts aus … Im Laufen dürfte ich Ihnen über sein …«

»Wiedersehen, Dingo …« Ich streckte ihm die Hand hin. »Sollte uns etwas zustoßen, Freund Bell, und sollte dieses Wiedersehen erst dort stattfinden, woher es keine Heimkehr gibt, so lassen Sie sich schon jetzt sagen: ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben, Dingo! Sie sind mir Freund geworden … – Grüßen Sie Ethel von mir … Euch beiden alles Gute!«

Ich trabte davon. Ich sparte meine Kräfte … Und es war nötig. Drei Monate Einsamkeit auf einer schwimmenden Insel lassen die Muskeln schlaff werden. Ich war körperlich nicht mehr genügend trainiert, und der lose Sand war kein Boden für den Wettlauf mit einem Reiter, der eine halbe Stunde Vorsprung hatte. Wenn ich wenigstens genügend Ortskenntnis besessen hätte, den Weg abkürzen zu können! Ich war hier fremd und auf die Spuren derer angewiesen, die einem grausigen Ende entgegeneilten.

Die Sonne kroch höher, und sie war unbarmherzig und dörrte mir Kehle und Mund.

Kein Tropfen Wasser, keine Pfütze, kein Bächlein. Den Fluß hatten wir längst hinter uns gelassen.

Uber den Salzkräutern flimmerte die heiße Luft und verzerrte die Konturen von Busch und Baum …

Und doch – irgend etwas trieb mich vorwärts … irgend etwas, das vielleicht bange Ahnung war. Der Schweiß brannte mir in den Augen, meine Schritte wurden unsicher … Ich stolperte … Ich durfte nicht stolpern … Es war ein Wettlauf mit dem Schicksal, dem ich in den Arm fallen wollte … Es war die Sorge um Ethels Seelenruhe –, damit Paloma nicht abermals den Namen Ruxa mit neuen Verbrechen belastete …

Ich hoffte …

Man hofft, man malt sich in solchen Stunden tausend günstige Möglichkeiten aus … Eins der Pferde könnte dem Colonel entflohen sein … Ich würde es fangen und … reiten … – Ich sah ein einzelnes Känguruh … Wenn man es im Nu zähmen könnte … als Reittier … – Wenn Bluß gestürzt wäre und mit gebrochenem Genick neben den Pferden läge …!

Aber mir blieb nichts erspart, nichts.

Aufwärts gings … Die Wüste erhob sich zu den Randbergen der Küste, und der Odem des Meeres wehte mich an.

»Wasser – – Wasser!!« schrie mein umnebeltes Hirn verzweifelt.

Ich schlich nur noch … Meine Beine zitterten, in meinen Schläfen klopfte das Blut …

Wenn ich wenigstens einen Bunya-Bunya-Baum angetroffen hätte!! Die großen Nüsse hätten mich erfrischt.

Mir wurde es schwarz vor den Augen, und als ich mich wieder erhob, flitzten ein paar wilde Kaninchen davon, die mich vielleicht neugierig beschnuppert hatten.

Ich taumelte weiter. Kahles Gestein zwang mich, schärfer auf die Fährte zu achten … In einer Schlucht wandelte ich wie durch eine Hölle … Ich fühlte einen Hitzschlag nahen, meine Haut sonderte keinen Schweiß mehr ab …

Plötzlich schoß ich vorwärts: ein weit überhängender Block, darunter ein Loch, gefüllt mit klarem Wasser –, eine natürliche Zisterne …

Ich trank schluckweise, vorsichtig. Ich wusch mir Gesicht, Nacken, Arme, feuchtete mein Hemd an …

Wohltat war das.

Ich hielt die bloßen Füße in das kühle Naß –, und ich wußte: das Meer war nahe.

Weiter dann – als ein neuer Mensch … Als einer, der die Wildnis besiegt hatte.

Sechs Stunden war ich unterwegs. Meine Uhr zeigte genau halb vier nachmittags, als ich durch die Büsche, die entsicherte Pistole in der Hand, auf die fünf Gräber zukroch und unter mir am Strande die Brandung schäumte.

Wüste Sandhaufen und Löcher, keine falschen Grabhügel mehr!

Paloma hatte das Gold bereits weggeschafft. Wohin?

Ich schob mich bis zum Rande der Düne und schaute hinab.

Ich zerbiß den Schrei, der mir über die Lippen wollte und nur ein Röcheln ward. Dieser Schrei hätte die Brandung, das Gekreisch der Vögel und das Knattern eines Benzinmotors übertönt …

Denn dort draußen, schon jenseits der Sandbank, hinter der mein Eiland in der Tiefe geschlummert und seines Herrn gewartet hatte, schleppte der Kutter es hinaus in den unendlichen Golf von Carpentaria, in dieses buchtartige Meer mit trügerischen Untiefen und unterseeischen Schlünden … in dieses nie gelöste Rätsel für jedes Vermessungsschiff: an einer Stelle nur drei Meter, dicht daneben zeigt das Lot vielleicht tausend Meter …

Meine Insel war geraubt, und La Kruxa steuerte den Kutter, während auf einer der flachen Bimssteinklippen des Eilandes Robb Battingham auf den Polstern jetzt getrockneten Seetangs ruhte, mit denen wir diese verräterischen Zacken bedeckt hatten –, und neben Robb saß Charlie, der Dobermann.

Nicht alles war's …

Was Robb, Charlie und Paloma entging, erspähte ich von hier oben mit Leichtigkeit: hinter dem durch die mäßig bewegten Wogen schleichenden künstlichen Bimssteingestade durchschnitt ein splitternackter Schwimmer mit kraftvollen Stößen die Wellen und rückte immer mehr auf, denn die Zugkraft des Kutters genügte gerade, meine Stahlinsel mit der Oberschicht schwimmenden Bimssteins vom Fleck zu befördern –, sie schlich nur, und Oberst Arthur Bluß mußte in wenigen Minuten sein Ziel erreicht haben –, der irrsinnige Bluß, der sich mit einem Tuche seine Pistole mitten auf dem Kopf festgebunden hatte.

Hier drohte Mord …

Ich flog empor, ich hielt die Hände als Trichter vor den Mund –, ich brüllte …

»Hallo – – Hallo!!«

Charlies Ohren spielten …

Wieder gellte mein Warnungsruf …

Lord Battingham sah mich.

Meine Handbewegungen mußten ihm auffallen.

Aber er deutete sie falsch, er hielt für Drohung, was doch nur Warnung war.

Er wandte den Kopf, und Paloma erblickte mich auf seine Rufe hin.

Palomas Geste spottete meiner …

Arthur Bluß watete bereits über den flachen Strand und war nun völlig in Deckung, schlich nach links am Steilufer hin und nahm die Pistole vom Kopfe.

Ich sah keine Möglichkeit, den unglücklichen Robb zu warnen … Daß der Colonel ihn ohne weiteres niederknallen würde –, daß dieser liebestolle und jetzt noch vollständig unzurechnungsfähige Mann kaltblütig den Wehrlosen ermorden würde, war gewiß.

Ich rannte nach links … Ich hatte dort soeben über den Büschen einen Pferdekopf bemerkt …

Wenn ich des Colonels Karabiner fände – unsere Karabiner …

Ich rannte wie gehetzt …

Battinghams Leben hing an Sekunden –, nicht nur das: Palomas Schicksal war vielleicht noch fürchterlicher …

Ich fand die vier Pferde –, ich riß einen Karabiner vom Sattel –, der Patronenrahmen war gefüllt –, ich lief zum Dünenrand, warf mich nieder …

Es war zu spät …

Meine Hände flatterten –, wie sollte ich da einen sicheren Schuß abgeben?!

Bluß kletterte das Steilufer hinan, und keine fünf Meter saß der junge Lord und streichelte Charlies Kopf und war ohne jede Ahnung der nahen Gefahr.

Ich wollte mich zur Ruhe zwingen, ich hatte das Visier hochgeklappt –,ich schätzte auf fünfhundert Meter, stets schon ein unsicherer Schuß.

Ich krallte die Finger um Lauf und Schaft –, ich wollte diesen Mord verhüten …

Um Sekunden ging's …

Des Colonels bloßer Kopf schob sich über den Uferrand, sein Arm streckte sich vor …

Ich schoß nicht.

Der Karabiner entglitt mir …

Drüben war Charlie herumgeschnellt, hatte den Mann gewittert, wußte, was das dunkle Ding bedeutete mit dem einen schwarzen tückischen Auge.

Und sprang zu …

Im selben Moment knallte der Schuß, aber Charlies Hinterbeine hatten Robb Battingham halb umgestoßen, und die Kugel pfiff ins Nichts.

Charlie hatte den Feind bei der Kehle, Charlie und Bluß rollten die Bimssteinfelsen hinab und kugelten ins Wasser … Mensch und Tier ließen in wildem Ringen bald dies, bald jenes Glied aus dem Wasser gleiten …

Und rutschten und rollten tiefer und tiefer …

Und dann – –

– – war alles still.

Mensch und Tier waren verschwunden …

Die See hatte sie verschluckt.

Charlie gab sein Leben für seinen Herrn, und Charlie war nur ein Hund, war ein Hund, und das ist niemals ein Schimpfwort, das ist ein Ehrentitel für die Treuesten der Treuen.


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