Johann Heinrich Jung-Stilling
Henrich Stillings Jünglings-Jahre / 1
Johann Heinrich Jung-Stilling

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Johann Heinrich Jung-Stilling

Henrich Stillings Jünglings-Jahre

Eine wahrhafte Geschichte

Vater Stilling war zu den ruhigen Wohnungen seiner Voreltern hingegangen, und in seinem Hause ruhte alles in trauriger Todesstille. Seit mehr als hundert Jahren, hatte eine jede Holzaxt, ein jedes Milchfaß, und jedes andre Hausgeräte, seinen bestimmten Ort; der vom langen Gebrauch glatt und poliert war. Ein jeder Nachbar und Freund, aus der Nähe und Ferne, fand immer alles in gewohnter Ordnung; und das macht vertraulich. – Man trat in die Haustür, und war daheim. – Aber nun hing alles öd und still; Gesang und Freude schwiegen, und am Tisch blieb seine Stelle leer; niemand getrauete sich, sich hinzusetzen, bis sie Henrich endlich einnahm, aber er füllte sie nur halb aus.

Margrethe trauerte indessen still, und ohne Klagen; Henrich aber redete viel mit ihr von seinem Großvater. Er dachte sich den Himmel, wie eine herrliche Gegend von Wäldern, Wiesen und Feldern, wie sie im schönsten Mai grünen und blühen, wenn der Südwind drüberherfächelt, und die Sonne jedem Geschöpfe Leben und Gedeihen einflößt. Dann sah er Vater Stilling mit hellem Glanz ums Haupt einhertreten, und ein silberweiß Gewand um ihn herabfließen.

Auf diese Vorstellung bezogen sich alle seine Reden. Einsmals fragte ihn Margrethe: »Was meinst du Henrich! was dein Großvater jetzt machen wird?« Er antwortete: »Er wird nach dem Orion, nach dem Sirius, dem Wagen, und dem Siebengestirn, reisen, und alles wohl besehen, und dann wird er sich erst recht verwundern, und sagen, wie er so oft gesagt hat: ›O welch ein wunderbarer Gott!‹« – »Da hab ich aber keine Lust zu«, erwiderte Margrethe; »was werd ich denn da machen?« Henrich versetzte: »So wie es Maria machte, die zu den Füßen Jesus' saß.« Mit dergleichen Unterredungen wurde das Andenken, an den seligen Mann, öfters erneuert.

Die Haushaltung konnte auf dem Fuß, so wie sie jetzt stund, nicht lange bestehen, deswegen forderte die alte Mutter ihren Eidam Simon, mit seiner Frauen Elisabeth, wieder nach Haus. Denn sie hatten an einem andern Ort Haus und Hof gepachtet, solange der Vater lebte. Sie kamen mit ihren Kindern und Geräte, und übernahmen das väterliche Erbe; alsbald wurde alles fremd, man brach eine Wand der Stube ein, und baute sie vier Fuß weiter in den Hof. Simon hatte nicht Raum gnug, er war kein Stilling, – und der eichene Tisch voll Segen und Gastfreiheit, der alte biedere Tisch, wurde mit einem gelben ahornenen, voller verschlossener Schubladen verwechselt; er bekam seine Stelle auf dem Balken hinter dem Schornstein. – Henrich wallfahrtete zuweilen hin, legte sich neben ihn auf den Boden, und weinte. Simon fand ihn einmal in dieser Stellung, er fragte: »Henrich! was machst du da?« Dieser antwortete: »Ich weine um den Tisch.« Der Oheim lachte, und sagte: »Du magst wohl um ein altes eichenes Brett weinen!« Henrich wurde ärgerlich, und versetzte: »Dieses Gewerbe dahinten, und diesen Fuß da, und diese Ausschnitte am Gewerbe hat mein Großvater gemacht, – wer ihn liebhat, kann das nicht zerbrechen.« Simon wurde zornig, und erwiderte: »Er war mir nicht groß gnug, und wo sollt' ich denn den meinigen lassen?« »Ohm!« sagte Henrich, »den solltet Ihr hieher gestellt haben, bis meine Großmutter tot ist, und wir andern fort sind.«

Indessen veränderte sich alles; das sanfte Wehen des Stillingschen Geistes verwandelte sich ins Gebrause einer ängstlichen Begierde nach Geld und Gut. Margrethe empfand dieses, und mit ihr ihre Kinder; sie zog sich zurück in einen Winkel hinter dem Ofen, und da verlebte sie ihre übrigen Jahre; sie wurde starblind, doch hinderte sie dieses nicht an ihrem Flachsspinnen, womit sie ihre Zeit zubrachte.

Vater Stilling ist hin, nun will ich seinem Enkel, dem jungen Henrich, auf dem Fuß folgen, wo er hingeht, alles andre soll mich nicht aufhalten.


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