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In der Mitte des September knospende Tulpen zu sehen, ist in der Tat nichts Alltägliches. Worüber sich die berühmtesten Gärtner so lange und vergebens die Köpfe zerbrochen hatten, das war Kapudan Pascha zu entdecken gelungen.
Auf welche Weise im Hochherbste künstlicher Frühling herbeizuführen ist, und auf welchem Wege die Tulpenzwiebeln zu überlisten sind, damit sie den September für Mai ansehen und zu knospen beginnen sollten.
Zuerst ließ er ein eigenes Treibbeet herstellen, in welches er die nahrhafteste Erde, welche zwischen den Bergen des Libanon aus seit Jahrtausenden auf- und übereinanderfallenden Zedernblättern sich gebildet hatte, den Mist der Antilopen, welcher so erhitzend und vegetationsbelebend wirkt, daß, wohin er in der Wüste fällt, inmitten des heißen, toten Sandes kleine Oasen emporschießen, welche von Blumen und üppigem Grase umschlossen sind; gebrannten und pulverisierten schwarzen Marmor, wie er bloß in den toten Bergen zu finden ist, vermengen ließ. Aus dieser Masse wurde ein weiches, mürbes und dennoch feuchtes Beet bereitet, in welches der Kapudan Pascha die Tulpenzwiebeln nach der ersten Frühlingsblüte eigenhändig einsetzte, ihnen mit dem Zeigefinger ein Loch bohrte und die Erde krümchenweise darüber streute.
Nun ließ er von den Spitzen des Kaukasus Schnee holen, wo derselbe auch im Sommer nicht schmilzt: ganze Schiffsladungen voll und bedeckte die eingesetzten Tulpen mit Schnee und wenn er schmolz, mit einer neuen Lage. Auf diese Weise meinten die hintergangenen Tulpen, daß jetzt Winter sei, und als man mit Ende August den Schnee gänzlich schmelzen ließ, glaubten sie, der Frühling sei gekommen und so steckten sie denn aus dem durchfeuchteten, durchwärmten Beeten ihre gelblichgrünen Keime hervor.
Vor dem Geburtstage des Propheten hatten bereits etwa fünfzig Knospen angesetzt, deren jede nach eroberten Städten und gewonnenen Schlachten benannt war. Nun mußte aber der Kapudan Pascha ins Meer stechen, um die Flotte anzuführen und war gezwungen, seine Tulpen gerade im interessantesten Stadium im Stiche zu lassen.
An demselben Abend, da der Sultan in Skutari anlangte, kam einer seiner Gärtner mit der erfreulichen Nachricht zu ihm, daß Belgrad, Neapel, Morea und Karmandschahan morgen erblühen werden.
Wieviel Unruhe bereitete das dem Wesir. Er wird ihrem Erblühen nicht beiwohnen können! Wie wünschte er, daß ein ungünstiger Wind die Flotte noch einige Tage zurückzudrängen zwänge.
Was der Wind ihm nicht zu Liebe tat, dazu gab das Fest des Sultans Gelegenheit. Der für den nächsten Tag bestimmte Ruhetag gestattete dem Kapudan Pascha, nach Tschengelköi zurückzukehren, wo in seinem Sommerpalaste zu Beginn des Herbstes seine Wundertulpen blühen.
Welch ein Schauspiel wartete seiner! Alle vier waren bereits erblüht.
Die »Belgrad« war blaßgelb mit lichtgrünen Streifen und was unterhalb der Streifen blaßgelb war, überging oberhalb derselben ins rosenfarbene und wo sie oben lichtgrün war, endigten sie unten in lilafarbener Nuance.
Die »Neapel« war eine volle Tulpe, deren wirre, tiefrote, gelbgeränderte Blätter vielleicht jene bei dem gleichnamigen Orte gefallenen fünfzehnhundert Venetianer versinnbildlichten.
Die »Morea« war die farbenprächtigste. Der Grund war dunkel schokoladefarben, worauf sich grüne und rosenfarbene Streifen hinzogen, wobei die grünen wieder ins rote und die rosenfarbenen ins leberfarbene übergingen und jeder Streifen wieder von einer hellgelben Linie geziert war. Außen waren mehr die grünen, innen mehr die roten Farben vorherrschend.
Die seltenste, prächtigste war indessen die »Kormandschahan«. Es war das ein dem Garten des tibetanischen Dalai-Lama geraubter Schatz: schneeweiß ohne jede Nuance und so voll, daß die ursprünglichen sechs Blätter sich abwärts zu neigen gezwungen sind.
Der Kapudan Pascha war entzückt durch all diese Pracht.
All diese Tulpen hatte er dem Sultan zugedacht, wofür er vielleicht die Verwaltung Ägyptens, der reichsten Provinz erhalten wird. Deshalb befahl er, kostbare chinesische Gefäße zu bringen, in welche er die Blumen versetzen wollte; er selbst griff mit den Händen tief in das feuchte Erdreich, damit die Zwiebeln ja keinen Schaden erleiden sollten Hammer-Purgstall: Geschichte des osmanischen Reiches. M. J..
Als er nun dort bei den Tulpen mit beschmutzten Händen kniete, kam ein Bostandschi atemlos auf ihn zugerannt und ohne zu warten, bis er bei ihm angelangt ist, beginnt er bereits von weitem zu schreien:
»Herr! Erhebe dich rasch, denn in Stambul ist die Empörung ausgebrochen.«
»Zertritt mir meine Tulpen nicht, Dummkopf! siehst du denn nicht, daß du mir eine beinahe zertreten hast?«
»O Herr! Die Tulpe erblüht jedes Jahr von neuem, wenn man aber den Menschen zertritt, so erhebt er sich nicht mehr, Jasch Allah! Eile, sonst kehren die Empörer während der Zeit das Unterste zu oberst!«
Langsam und vorsichtig ließ Kapudan Pascha die mit beiden Händen herausgehobene Blume in das Porzellangefäß gleiten und drückte ringsum die Erde fest, damit die Pflanze festsitze.
»Was sprichst du da, mein Sohn?«
»Die Bewohner von Stambul haben sich empört.«
»Was für Bewohner? Die Schuster, Krämer, Fischer und Brotbäcker?«
»Ja, Herr, die haben sich empört.«
»Na, ich komme gleich und werde sie beschwichtigen.«
»O, Herr, du sprichst, wie wenn du mit dieser Gießkanne da die brennende Stadt löschen könntest. Doch sieh selbst zu.«
Kapudan Pascha begoß hierauf noch fröhlichen Herzens die übersetzten Tulpen und dieselben sodann der Obhut von vier Bostandschis anvertrauend, befahl er ihnen, die Blumen durch den Kanal nach Skutari, in den Palast des Sultans zu tragen, während er selbst sich ein Pferd satteln ließ und ganz allein, ohne jede Begleitung nach Stambul ritt, wo man eben den Tod auf sein Haupt herabbrüllte.
Er begegnete dem Kiaja, der auf einer elenden zweiräderigen Kibitka saß und einen russischen Fuhrmann vor sich sitzen hatte, damit man ihn nicht sehe. Dieser schrie dem Kapudan Pascha entgegen, er möge ja nicht nach Stambul reiten, da dort der Tod seiner warte. Der Kapudan zuckte die Achseln. Das lag ganz außerhalb seiner Fassungskraft, wie man sich vor einer Schar von Schustern und Bäckern fürchten könne? Ja, er redete dem Kiaja sogar zu, mit ihm zurückzukehren und durch ihr Erscheinen die Ruhe wieder herzustellen, worauf jener indessen um alle Wonnen des Paradieses nicht eingehen wollte, sondern dem Fuhrmann zuschrie, so rasch als möglich mit ihm nach Skutari zu fahren.
Der Kapudan versprach, auch bald dahin zu kommen, ja, da der Kiaja einen großen Umweg machen müsse, er jedoch geradeswegs durch Stambul geht, wird er wahrscheinlich noch früher dort ankommen, als jener.
»Dort in Abrahams Schoß im Paradiese,« dachte der Kiaja und jagte davon, während der Kapudan zuversichtlich der Stadt zuritt.
Schon von weitem fiel ihm der Palast des Reis Effendi in die Augen, an dessen Mauern mit weithin lesbaren Buchstaben geschrieben stand:
»Tod dem Obermufti!«
»Tod dem Großwesir!«
»Tod dem Kapudan Pascha!«
»Tod dem Beg Kiaja!«
»Hm!« brummte der Kapudan vor sich hin; »dies hat sicherlich irgend ein Softa geschrieben, denn Schuster können nicht schreiben. Eine schöne Schrift, möchte den Kerl als meinen Teskeredschi anstellen.«
Als er dem Palaste näher kam, sah er vor demselben eine große Menschenmenge versammelt, unter ihnen trompetete ein berittener Ausrufer auf einem jener auf Meilen vernehmbaren durchdringend tönenden türkischen Flügelhörner, welche bei jeder Empörung benützt zu werden pflegten.
Vor dem, auf das Hornsignal angesammelten Volk verkündete der Ausrufer folgendes:
»Bewohner Istambuls! Gläubige Muselmans! Im Namen unseres Befehlshabers des Oberhauptes der Janitscharen Halil Patronas und im Namen des Richters von Stambul Sulali Hassan verkünde ich Euch hiermit: jeder gläubige Muselman schließe seinen Laden, lege seiner Hände Arbeit beiseite und finde sich auf den öffentlichen Plätzen ein. Wer Brotbäcker und Fleischhauer ist, möge seinen Laden indessen offen lassen, denn wer diesem Befehle zuwider handelt, dessen Laden wird allgemeiner Plünderung preisgegeben. Wer an ungläubigen Giaurs in Stambul wohnt, möge friedlich in seinem Hause verbleiben, und niemand wird ihm dort ein Leid zufügen. Dies habe ich Euch zu verkünden im Namen Halil Patronas und Sulali Hassans.«
Der Kapudan hörte die Kundmachung bis zu Ende an, dann sprengte er zu dem Ausrufer hin, entriß ihm das Horn und hieb ihm damit mit solcher Kraft auf den Rücken, daß es nur so dröhnte und schrie dann mit weithin tönender Stimme:
»Nichtswürdiges Pöbelvolk! Schmutzige Tagediebe, sumpfwatende Krebsfänger, pechfressende Pantoffelflicker, hockend sitzende Opiumesser, ihr diebischen, betrügerischen Roßtäuscher! Ihr Packträger, ihr elendes, besoffenes, verkommenes Hungerleidervolk! Ich, Abdi, Kapudan Pascha spreche zu euch und bedaure nur, daß ich mir nicht die Zunge eines ungarischen Giaur ausleihen kann, damit ich euch mit den euch zukommenden Schmähungen überschütten könnte, so wie ihr es verdienen würdet. Was wollt ihr? Habt ihr nichts zu essen? Seid ihr des Friedens überdrüssig und wollt den Krieg? Den Krieg, nicht wahr? Ihr selbst möchtet aber nicht in denselben ziehen? Ihr liebt es bloß, hier zu Hause gegen Weiber und Jungfrauen Krieg zu führen und wenn auch keine Festungen, so doch friedliche Kaufläden zu bestürmen und zu plündern? Scheret euch nach Hause, von wo ihr gekommen seid, denn wen ich nach einer Stunde noch auf den Straßen finde, dessen Schädel wird vor das Zelt der Gerechtigkeit So wurde das Zelt des Sultans auf offenem Platze genannt, vor welches die Köpfe der Hingerichteten gerollt zu werden pflegten. Anm. d. Übers. gerollt werden!«
Mit diesen Worten gab Abdi Pascha seinem Pferde die Sporen und sprengte durch den dichtesten Menschenknäuel. Erschrocken machte ihm das Volk Platz und voll stolzen Selbstbewußtseins sah Kapudan, wie sich die Leute vor ihm in ihre Häuser versteckten und von den Straßen und Dächern verschwanden.
Ohne Widerstand ritt er in die Stadt ein. An jeder Straßenecke stieß er in das erbeutete Alarmhorn und hielt dem sich um ihn scharenden Volke solcherart gewählte Reden, daß sich dasselbe überall sofort zerstreute.
Endlich gelangte er auf den Bozeskan, wo alle Läden geschlossen waren.
»Öffnet eure Gewölbtüren, ihr Hunde!« brüllte Abdi den angesammelten Handelsleuten zu. »Jucken euch eure Fersen, oder seid ihr eurer Ohren und Nasen überdrüssig? Sofort öffnet alle eure Buden, denn wer dieselbe geschlossen hält, den lasse ich auf der Stelle an seine Türangel aufhängen!«
Erschrocken gehorchten die Kaufleute.
Von hier aus ritt er nach dem Atmeidan Nicht zu verwechseln mit dem Etmeidan. A. d. Übers..
Der ganze Fischplatz war gepfropft voll Leuten; das rasende Gebrüll ließ kein Wort jener Rede vernehmen, welche ein Redner den übrigen hielt, die ihn auf das Becken des Springbrunnens gestellt hatten.
Indessen übertönte der schmetternde, durchdringende Ton des durch den Kapudan geblasenen Hornes jegliches Gebrüll und jedes Gesicht wandte sich der Stelle zu, wo er stand.
Sich in den Steigbügel aufrichtend, schrie Abdi mit furchtbarer Stimme:
»Verrücktes Volk! Wahnsinnige Hände, welche gegen eure eigenen Hände sich erheben! Wollt ihr, daß der Erdboden einsinke, daß ihr so viele an einer Stelle stehet? Wer unter euch ist toll geworden, um euch alle zu verschlingen? Daß doch der Himmel über euch zusammenstürzen, daß doch diese Häuser über euch zusammensinken und euch unter ihren Trümmern begraben mögen! Daß ihr doch alle auf einmal vierfüßige Tiere werden möget und nichts weiter könntet, als bellen! Verstecket eure Schädel und trollet euch nach Hause und kein Laut töne aus euren Gassen, denn wenn ihr euch rührt, so lasse ich, bei Allahs Schatten sei's geschworen, Stambul in Trümmer schießen und niemand wird mehr darin wohnen, als Schlangen und Fledermäuse, und eure verdammten Seelen, ihr Hunde!«
Und niemand wagte zu widersprechen. Sie nahmen die Schmähungen hin, schlichen zur Seite und gaben ihm den Weg frei. – Halil war nicht dort; wenn er dort gewesen wäre, würde er ihm schon geantwortet haben.
Auch hier ritt Abdi unbehelligt durch die Empörer und gelangte endlich auf den Etmeidan.
Jetzt war nicht mehr bloß der Kessel des ersten, sondern bereits der des fünften Janitscharenregiments aufgestellt, welchen sie von den Feldschmieden geholt hatten und welcher von einer Schar aus dem Lager hierhergekommener Janitscharen umstanden war.
Abdi Pascha erschien so unerwartet unter ihnen, daß sie ihn erst gewahrten, als er ihnen zubrüllte:
»Leget die Waffen nieder!«
Erschrocken blickten sie auf den Kapudan. Wie war der hierher gekommen? Niemand wagte sein Schwert zu ziehen, es gehorchte ihm aber auch niemand; – Patrona war auch da nicht anwesend.
In der Mitte des Platzes war die Fahne der Empörer aufgerichtet. Abdi Pascha ritt schnurstracks auf dieselbe zu. Die Janitscharen staunten ihn an.
Plötzlich springt aber Mussli aus ihren Reihen hervor und dem Kapudan zuvorkommend, reißt er die Fahne an sich.
Mit der Ruhe eines echten Seemannes sagte Abdi Pascha zu ihm:
»Gib mir diese Fahne, mein Sohn!«
Mussli hatte sich noch nicht so weit erholt, um antworten zu können, doch schüttelte er verneinend den Kopf.
»Gib mir diese, Fahne, Janitschare!« sagte Abdi nochmals und blickte ihm fest ins Auge.
Mussli gab keine Antwort, sondern rollte bloß die Fahne um die Stange.
»Die Fahne gib her!« brüllte nunmehr Abdi und riß sein Schwert heraus.
Jetzt drehte Mussli die Fahnenstange um, daß das in die Erde gesteckte Ende in die Höhe stand und sagte:
»Ich ehre dich, Abdi Pascha und tue dir nichts zuleide, wenn du dich entfernst. Ich wünschte auch, du wärest im Kampfe gegen die feindlichen Giaurs gefallen, denn du verdienst, daß dein Name verherrlicht werde, doch verlange diese Fahne nicht von mir, denn wenn du mir näher kommst, renne ich dir dies schmutzige Ende in den Bauch.«
Bei diesen Worten sprangen alle Janitscharen empor und umringten den tapfern Mussli, ihn mit ihren entblößten Schwertern beschützend.
»Es tut mir leid um euch, wackere Janitscharen.«
»Auch du tust uns leid, ruhmreicher Kapudan Pascha,« sagte Mussli.
Damit verließ der Kapudan den Etmeidan. Er sah, wie die Menge ihm überall Raum gab, wo er erschien, er sah aber auch, daß sich dieselbe hinter ihm sofort wieder schloß, sobald er sich entfernte.
»Diese können nur durch die Waffen gezüchtigt werden,« murmelte er vor sich hin und ritt durch die Stadt, ohne daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt worden wäre.
*
Draußen im Lager wurde unterdessen große Beratung abgehalten. Bei der Nachricht von der Empörung, welche der entflohene Kiaja und Janitscharenaga in den entsetzlichsten Farben schilderte, rief der Sultan die Wesire, die Ulemas, den Mufti, die Scheichs und die Chodschagionas zu einem großen Rate in seinem Palaste am Meeresufer zusammen.
Eine Stunde früher hatte er sich in demselben Palaste mit seiner Tante, der weisen Sultanin Khadidscha lange Zeit hindurch beratschlagt.
Guter Rat war da teuer.
Der Großwesir wünschte, der Sultan sollte in Brussa zurückbleiben und die ganze Armee sofort nach Tebrif, gegen den Feind dirigiert werden. Wenn es noch gelingt, sich mit dem Pascha Abdullah zu vereinigen, ist alles gewonnen; Stambul möge sich selbst überlassen werden, die Empörer mögen machen, was sie wollen; wenn der Feind geschlagen sein wird, so wird dann die Reihe auch an sie kommen.
Der Mufti glaubte nicht, daß dieses Heer jetzt auf das Schlachtfeld geführt werden könnte, deshalb wünschte er aber dennoch, daß dasselbe von Stambul entfernt werde, damit es von dem Geiste der Empörung nicht angesteckt werde.
Der Kiaja riet, sich mit den Empörern in Unterhandlungen einzulassen, um sie auf diese Weise zu beschwichtigen.
Der Sultan nickte zustimmend mit dem Kopfe. Die Sultanin Khadidscha riet dasselbe.
Nur daß der Kiaja dies so meinte, daß es während der Dauer der Unterhandlungen leicht sein werde, die Häupter der Empörung eines nach dem andern verschwinden zu lassen, während die Khadidscha dies so auffaßte, daß der Sultan die Empörer beschwichtigen könne, wenn er ihnen den verhaßten Kiaja Bey ausliefert und sofort auch die übrigen, wenn auch diese verlangt werden sollten. Und dies ist ein großer Unterschied!
Der Sultan fand den Rat des Kiaja für den besten.
In diesem Moment trat der Kapudan, Abdi Pascha, in den Saal.
Jedermann blickte ihn staunend an. Nach der Schilderung des Kiaja mußte derselbe bereits in tausend Stücke zerrissen sein.
Er kam mit derselben kalten Ruhe herein, mit welcher er durch die ganze empörte Stadt geritten war. Die Türsteher fragte er, ob seine Leute mit den Tulpen noch nicht angekommen seien? Noch nicht. »Wo mochten die nur bleiben? Ich bin seitdem durch ganz Stambul geritten.«
Dann begrüßte er den Sultan und ließ sich auf dessen Wink zwischen den Wesiren nieder.
Diese blickten ihn staunend an, wie wenn sie auch jetzt noch glaubten, daß nur sein Geist dort unter ihnen wandle.
»Du warst in Stambul?« fragte ihn endlich der Großwesir.
»Ich komme soeben von dort.«
»Was will das Volk?« fragte der Padischah.
»Es will essen und trinken.«
»Aber Blut will es trinken,« flüsterte der Obermufti vor sich hin.
»Darüber, daß das Schwert von selbst keinen Krieg führt, daß die Erde nicht von selbst Brot gibt, und daß von der Zimmerdecke weder Wein noch Kaffee träufeln will.«
»Du sprichst sehr leichthin über die Sache, Abdi. Auf welche Weise meinst du die Ruhe wieder herstellen zu können?«
»Das ist sehr einfach. Die Schuster und Krämer Stambuls sind keine Kanonenkugel wert. Es wäre auch schade um die Armen. Viele unter ihnen haben Weib und Kind. Wer sie aufhetzt, sind die Janitscharen aus dem Lager. Ihre Anführer gehören dem Lager an. Es wäre schade, sich mit denjenigen abzugeben, die das Volk in Stambul haranguieren, sondern sie müssen regimenterweise vorgeführt und jeder Zehnte füsiliert werden. Dies würde helfen.«
Die Wesire waren entsetzt. Wer würde dies wagen?
»Ich würde so vorgehen,« sprach Abdi kurz und schwieg sodann.
Nun ergriff der Sultan das Wort:
»Bevor du angekommen warst, hatten wir auf Vorschlag des Kiaja beschlossen, mit der Fahne des Propheten und samt den Herzogen nach Stambul zurückzukehren.«
»Das ist auch gut,« sagte Abdi. »Dein mutiges Erscheinen wird den Lärm verstummen machen. Lasse die Fahne des Propheten über das Tor des Serails ausstecken, der Obermufti und Ispirizade mögen die Aja Sofia und die Moschee Achmedie öffnen und das Volk zum Gebet rufen. Damad Ibrahim möge draußen bleiben beim Heer, um im Notfalle zur Unterwerfung der Empörer herbeieilen zu können. Der Kiaja Bey möge die das Serail bewachenden Dschebedschiks und Bostandschiks sammeln und mit ihnen die Straßen säubern. Wenn keines gelingen sollte, werden meine Kanonen vom Meere her den Gehorsam schon zu erzwingen wissen.«
Sultan Achmed schüttelte den Kopf.
»Wir haben anders beschlossen. Ihr müßt an meiner Seite bleiben. Der Großwesir, der Obermufti, der Kapudan Pascha und der Kiaja müssen mit mir kommen.«
Und während er ihre Namen der Reihe nach herzählte, blickte der Padischah keinen der Genannten an.
Die Namen dieser vier Männer waren an den Straßenecken ausgeschrieben. Die Köpfe dieser vier Männer forderte das Volk und Halil Patrona.
Worin hatten sie sich dem Volke gegenüber vergangen? ... sie waren die am höchst gestellten, als das Land vom Unglück betroffen ward. Worin hatten sie sich aber Halil gegenüber vergangen? ... sie hatten Gül-Bejazes Leiden verursacht ...
Die Wesire neigten ihre Köpfe.
In diesem Moment langten Addis Leute mit den Tulpen an. Sie stellten dieselben vor den Padischah hin, der von ihrer Schönheit entzückt war und Befehl gab, dieselben nach Stambul, der Sultanin Asseki mit der Botschaft zu überbringen, daß auch er dort bald ankommen werde. Abdi klopfte er auf die Schulter und schwur mit Tränen in den Augen, daß er ihm der liebste seiner Anhänger sei.
Der Kapudan küßte den Mantelsaum des Sultans und zog sich sodann mit Ibrahim, Abdullah und dem Kiaja zurück und sprach mit seinem sanftesten Lächeln zu ihnen:
»Abdullah, wackerer Ibrahim und du Kiaja; all unsere vier Köpfe sind von dieser Stunde an nicht mehr wert als ein ösenloser Knopf.«
Traurig ließ Damad Ibrahim den Kopf hängen und seufzte:
»Armer, armer Sultan!«
Damit folgten alle vier Achmed zum Schiffe. Nichts stand fester in ihnen als die Überzeugung, daß Achmed sie alle aufopfern und ihnen dann selbst nachfolgen werde.