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Der Trödlerladen Halil Patronas stand auf dem Basar. Er trieb keinen besonders einträglichen Handel; er verkaufte Tabak, Tschibuks und Pfeifenrohre. Afion (Opium) führte er nicht, trotzdem dies damals der gangbarste Artikel in der Türkei zu werden begann. Man sah es ihm auch an. Patrona hatte sich aber gelobt, dieses Betäubungsmittel niemals in seinem Laden zu dulden und was Patrona gelobte, das pflegte er auch zu halten. Oft sprach er mit seinen Nachbarn hierüber, und da sagte er ihnen jedesmal, daß bloß der Schejtan (Satan) die Gläubigen mit dem Afion heimgesucht habe und dies nichts weiter sei, als die Absonderung der Dschins (böse Geister) und die Muselmänner ekeln sich nicht, dieselbe in den Mund zu nehmen, hinunterzuschlucken, aufzusaugen! Dies bringt Verderben sowohl auf sie, als auf ihre Nachkommen und auf das ganze moslemitische Volk! Die Nachbarn billigten seine Reden, handelten aber trotzdem den Afion nur weiter, da derselbe den größten Nutzen abwarf, und weil sich jemand mit einem Messer die Kehle durchschnitt, sollen weiterhin keine Messer mehr feilgeboten werden? Man sah, daß Patrona nicht zum Kaufmann geboren worden. Der kleine Nutzen, welchen er hatte, genügte ihm indessen vollständig, und niemals fiel ihm ein, etwas zu wollen, was er nicht besaß.
Als er sich jetzt auf einmal im Besitze von fünftausend Piaster sah, befand er sich in großer Verlegenheit, was er mit denselben nun anfangen solle? Alles was er sich wünschte, waren sehr entfernt liegende Dinge. Er hätte am liebsten Schiffsheere auf dem Meere angeführt, oder Armeen auf dem Schlachtfelde, hätte gern Städte erbaut, Paschas ein- und abgesetzt, regiert und geherrscht; hierzu waren aber fünftausend Piaster nicht genügend. Es war dies so wenig für ihn, daß er nicht wußte, was damit anfangen?
Sein Laden öffnete sich gerade auf jenen Teil des Basars, wo auf einem, durch Gitterstäbe abgesonderten Raum die niedrigsten, sozusagen der Ausschuß der Sklaven versteigert zu werden pflegten. Täglich sah Halil 10-20 solcher menschlicher Handelsartikel vor seinem Laden verkaufen, so daß er hierin nichts Besonderes mehr sah.
Es waren dies keine jener sentimentalen Szenen, welche die Dichter so schön zu beschreiben verstehen, nach denen der reiche Derbender Händler die Feen der Schönheit der Sinnenlust des Wüstlings als Spielzeug überliefert; die schönen Tscherkessenjungfrauen, deren Wangen vor den Blicken der Männer erglühen, und deren Augen in Tränen erglänzen, wenn man sie anspricht. Hierher schickt man bloß abgelegene, wertlose Ware, unbrauchbare Jessirs (Sklaven); hierher pflegten nur dickhäutige Negersklavinnen, alte giftgeschwollene Ammen und sonstiges menschliches Vieh zu kommen, denen es gleichgültig ist, welchem Herrn sie dienen, die gleichmütig die Worte des Ausrufers vernehmen, der von ihren Jahren und Eigenschaften spricht und ebenso gleichmütig ihre Zähne, Arme und Beine untersuchten und betasten lassen und sich am allerwenigsten um die Sache kümmern.
An dem ersten Pazargäntag (Sonntag), nachdem Janaki Halil verlassen hatte, saß der Trödler wieder vor seinem Laden im Basar, als der Ausrufer am Markte erschien, und eine verschleierte Sklavin an der Hand mit sich führte, wobei er sich folgendermaßen vernehmen ließ:
»Ehrenwerte Muselmans! Sehet hier eine Sklavin aus dem Harem des großmächtigsten Sultan, die auf Befehl des Großherrn öffentlich verkauft wird. Der Name der Odaliske ist Gül-Bejaze, weiße Rose, die Zahl ihrer Jahre sechzehn, ihr Gebiß vollständig, ihr Atem ist gesund, ihre Haut rein, ihr Haar dicht! sie kann tanzen, singen und versteht allerlei Handarbeiten. Wer mehr für sie gibt, der bekommt sie, und der Kaufpreis wird unter den Derwischen verteilt; zweitausend Piaster wurden bereits für sie geboten, kommt nun und saget, wer mehr für sie gibt!?«
»Allah mag uns vor dem Gedanken beschützen, dieses Mädchen kaufen zu wollen,« sprachen die klugen Händler. »Dies hieße soviel, den Zorn des Großherrn für bares Geld zu kaufen,« und weise zogen sie sich in ihre Buden zurück, denn sie wußten sehr wohl, was das bedeutet, eine aus dem Harem des Sultans verstoßene Odaliske in ihr Haus aufzunehmen! Derjenige, der ein solches Wagnis unternimmt, täte besser daran, die Namen der vier bösen Engel auf die Wände seines Zimmers zu schreiben, oder mit seinen Pantoffeln auf dem Talisman herumzutreten, als eine vom Sultan weggeworfene Blume aufheben und daran riechen zu wollen.
Der Ausrufer blieb mit der Sklavin allein in der Mitte des Platzes stehen; die Krämer schlossen sogar ihre Buden. Sie danken schönstens, nicht einmal geschenkt wollen sie eine solche Ehre.
Nur ein Mann blieb vor seinem Laden, nur einer hatte den Mut, die feilgebotene Sklavin anzusehen und dies war Halil Patrona.
Vielleicht fühlte er Mitleid für diese Sklavin. Man sah, wie die Arme unter dem bis an ihre Fersen reichenden Schleier, welcher bloß ihre Augen sehen ließ, zitterte; – und in diesen Augen glänzten Tränen.
»Komm, bringe sie in meinen Laden,« sprach Halil zu dem Ausrufer; »nimm ihr den Schleier nicht auf offener Straße ab.«
»Das kann ich nicht,« sagte der Ausrufer. »Es ist mir anbefohlen, ihr in der Mitte des Basars, wo die übrigen gewöhnlichen Sklaven feilgeboten zu werden pflegten, den Schleier vom Gesicht zu nehmen und jedermann vernehmbar den Preis für sie auszurufen.«
»Ist dir nicht bekannt, was diese Odaliske begangen, wofür sie in so schimpflicher Weise verkauft wird?«
»Halil Patrona,« antwortete der Ausrufer; »sowohl für meine Zunge als auch für deine Ohren wird es viel besser sein, wenn ich auf solche Fragen keine Antwort gebe. Ich befolge was man mir anbefohlen; nehme der Odaliske den Schleier ab, zähle her, was sie kann, wozu sie taugt, lobe sie weder, noch tadle ich sie, rede niemandem zu, sie zu kaufen oder nicht zu kaufen. Allah waltet über uns alle, und das geschieht mit uns, was schon lange vorausbestimmt ist.«
Bei diesen Worten nahm er der Odaliske den Schleier ab.
»Beim Propheten! das ist ein schönes Weib! Was für Augen! Der Mensch glaubt, sie könnten sprechen, und wenn er lange in dieselben blickt, lernt er mehr, als wenn er den Alkoran lesen würde! Was für Lippen! Ich möchte vom Paradies ausgeschlossen sein, um immer diese Lippen sehen zu können. Und was für ein bleiches Gesicht! Man nannte sie treffend Gül-Bejaze. Ihre Wangen gleichen der weißen Rose. – Sieh! es liegt auch Tau auf denselben, wie auf den Blättern der Rose, der Tau der Augen. Welchen Ausdruck mögen diese Augen haben, wenn sie lächeln? das Gesicht, wenn es erglüht? welchen die Lippen, wenn sie sprechen, wenn sie seufzen, wenn sie in süßem Sehnen erbeben?«
Halil Patrona war völlig entzückt.
»Führe sie nicht weiter,« sagte er zu dem Ausrufer; »und zeige sie auch niemandem, es wagt ja doch niemand sie zu kaufen. Ich zahle dir einen Preis, wie ihn kein anderer zahlen würde, fünftausend Piaster.«
»Es sei,« sprach der Ausrufer, die Sklavin neuerdings verschleiernd. »Nun eile aber; hole das Geld und nimm das Mädchen.«
Halil holte seinen Beutel und übergab ihn dem Ausrufer – es fehlte kein Stück aus demselben – dieser legte die Hand der Odaliske in die seinige und verließ die beiden.
Halil Patrona verschloß sofort seinen Laden, ergriff die Odaliske bei der Hand und führte sie in seine armselige, einsame Behausung.
Auf dem langen Wege sprach das Mädchen kein Wort.
Zu Hause angekommen, ließ Halil das Mädchen an dem Feuerherde niedersetzen und sprach sanften freundlichen Tones zu ihr:
»Dies ist mein Haus; was du darin siehst, gehört mir und dir; wohl ist das alles nur sehr wenig, doch bist du dafür niemandem Dank schuldig. Schmucksachen, Weihrauch findest du nicht bei mir, doch kannst du frei kommen und gehen; ohne daß dich jemand belästigt. Hier sind zwei Piaster; bereite uns beiden ein Mittagessen.«
Damit kehrte der fromme Muselmann in den Basar zurück und ließ das Mädchen allein in seinem Hause und kehrte erst am Abend heim.
Gül-Bejaze hatte unterdessen ein so reichliches Abendessen für ihn bereitet, wie es für zwei Piaster eben möglich gewesen. Sie stellte Halils Teller auf die Binsenmatte, während sie sich selbst auf die Schwelle setzte.
»Nicht dorthin, setze dich hierher,« sagte Halil und die zitternde Hand der Odaliske ergreifend, ließ er sie an seine Seite auf das Kissen niedersitzen, legte ihr von dem Pilaf vor und nötigte sie mit beweglichen Worten zu essen. Die Odaliske gehorchte. Noch hatte sie kein Wort gesprochen und erst, als sie gegessen, wandte sie sich zu Halil und stammelte kaum vernehmbar:
»Seit sechs Tagen habe ich nichts gegessen.«
Entsetzt rief Halil aus:
»Sechs Tage! Furchtbar! und wer quälte dich so unmenschlich?«
»Ich selbst wollte es so, ich wollte sterben.«
Halil schüttelte den Kopf.
»So jung und schon sterben wollen! Und jetzt willst du nicht mehr sterben?«
»Deine Augen sehen es.«
Halil gewann das Mädchen sehr lieb; er hatte niemals jemanden, den er hätte lieben können und wie ihm das Mädchen dort so gegenüber sah, dessen lange dunkle Wimpern das weiße Antlitz beschatteten, mit den melancholischen schweigsamen Lippen, meinte er, eine Fee vor sich zu sehen, unter deren Zauber er einen neuen Menschen in sich entstehen fühlt.
Halil erinnerte sich nicht, sich jemals gefreut zu haben, jemals das Pochen seines Herzens wahrgenommen zu haben und nun, da er das schöne Weib neben sich sitzen sah, pochte sein Herz so freudig erregt. Ach, wie recht hat der Dichter, wenn er singt: »Zwei Welten gibt es, die eine unter der Sonne, die andere im Herzen des Weibes.«
Lange Zeit betrachtete er voll Entzücken seine schöne Sklavin, ihr Gesicht, ihre zauberischen Augen, ihren Huriwuchs; das alles war so schön. Und wenn er daran dachte, daß all diese Schönheit sein sei, daß er Herr und Besitzer dieses Wesens sei, welches auf sein Geheiß an seine Brust sinkt und ihn in das Gezelt seines rabenschwarzen Haares hüllt und ihn mit seinen Sammetarmen umschlingt, daß diese Lippen nicht nur rot, sondern auch süß seien, daß dieser Busen nicht bloß schneeweiß ist, sondern auch heiß zu pochen vermag, – o, da fühlte er vor Wonne und Sehnen seinen Verstand schwinden!
Und doch wußte er nicht, wie er sie ansprechen solle? Er hatte noch niemals eine Sklavin besessen, er wußte nicht, was er ihr sagen solle? Seine Zunge war nicht an süße Schmeicheleien gewöhnt, er wußte nicht, was man dem Weibe zu sagen hat, damit es liebe?
»Gül Bejaze ...« flüsterte er.
»Befiehl, o Herr!«
»Mein Name ist Halil. Nenne mich so.«
»Befiehl mit mir, Halil.«
»Sage nicht, ich solle befehlen. Setze dich an meine Seite. Noch näher.«
Das Mädchen setzte sich neben ihn; ganz dicht an seine Seite.
Und nun wußte Halil noch weniger, was er ihr sagen solle.
Das Mädchen war traurig, gleichmütig, doch weinte es nicht, wie es Sklavinnen zu tun pflegen. Halil wünschte so sehr, wenn das Mädchen sprechen würde, wenn es ihm die Geschichte seines Lebens, den Grund seiner Traurigkeit anvertraute, dann würde vielleicht auch er leichter sprechen; er würde sie trösten und nach dem Trösten käme die Liebe.
»Sage mir, Gül-Bejaze, weshalb gab der Sultan Befehl, dich im Basar öffentlich zu versteigern?«
Das Mädchen blickte Halil mit den großen schwarzen Augen an; als es die langen Augenwimpern emporhob, schien es, wie wenn zwei schwarze Sonnen aufflammten, und dann blickte sie ihn lange starr und traurig an.
»Auch du wirst es erfahren, Halil,« antwortete sie flüsternd.
Der heißesten, brennendsten Flamme so nahe, fühlte Halil sein Herz immer mehr erglühen; seine Augen funkelten beim Anblick von so viel Schönheit, er ergriff die Hand des Mädchens und drückte dieselbe an seine Lippen. Die Hand war so kalt. Desto mehr Grund, dieselbe an seinen Lippen, an seinem Busen zu erwärmen, doch die Hand blieb kalt; kalt wie die Hand einer Leiche.
Ist der Busen, sind die Lippen auch so eisig kalt?
Leidenschaftlich umschlang Halil das Mädchen und als er es an seinen Busen zog und es lange heiß an sich gedrückt hielt, stammelte das Mädchen leise:
»Jungfrau Maria ...«
Und des Mädchens schwarzes Haar floß über sein Gesicht und als Halil dasselbe aus dem schönen Antlitz streifte, um zu sehen, ob dasselbe in seiner Umarmung rosiger geworden, – siehe, so war es noch weißer. Alles Leben war aus demselben entschwunden, die Augen waren geschlossen, die Lippen zusammengepreßt und ganz blau. Tot, tot, gestorben! ...
Halil wollte es nicht glauben. Er meinte, das Mädchen verstelle sich bloß. Er legte die Hand auf ihren schönen Busen. Das Herz pochte nicht. Das Mädchen fühlte nichts. Halil konnte mit ihr machen, was er wollte. Ein toter Körper hing an seinem Halse.
Nach der Flamme der heißen Leidenschaft fühlte Halil sein Herz plötzlich von einem eiskalten Schauder ergriffen; zitternd ließ er das Mädchen los und stammelte erschrocken:
»Erwache, ich tue dir nichts zuleide, erwache doch!«
Der leichte Kaftan war von ihrem Busen geglitten; er deckte denselben sorgsam zu und betrachtete furchtsam das schöne Gesicht.
Nach einer Minute öffnete das Mädchen mit einem schweren Seufzer die Lippen, dann schlug es die großen dunklen Augen auf, die Lippen gewannen ihr früheres Kolorit zurück, die Augen den bezaubernden Glanz, das Gesicht den zarten Schmelz der weißen Rose, der schöne Busen hob und senkte sich von neuem.
Gül-Bejaze erhob sich von dem Teppich, auf welchen Halil sie hatte gleiten lassen und begann die zerstreut umherstehenden Gerätschaften wegzuräumen. Erst nach einigen Minuten flüsterte sie Halil zu, der sich von seinem Staunen noch nicht zu erholen vermocht hatte:
»Nun weißt du bereits, weshalb mich der Padischah im Basar verkaufen ließ? In dem Momente, da mich die Umarmung eines Mannes berührt, bin ich tot, und bleibe tot, bis er mich wieder losläßt und seine Lippen an den meinigen erfrieren und mein Herz vor ihm Abscheu empfindet. Mein Name ist nicht Gül-Bejaze, sondern Gül-Ölü«. (Tote Rose.)