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Die Begegnung am »Heidenaltar«.
Nach der Rückkehr der Familie Telepi überkam mich eine gewisse Melancholie. Meine Frau war krank gewesen und ich hatte es nicht einmal zu träumen vermocht! Wie, wenn sie gestorben wäre, ohne mir ein letztes Lebewohl zu sagen!
Also befreien will sie mich! Aber wie? Ich darf es nicht im voraus wissen und niemand darf es wissen. Weshalb dieses Geheimnis vor mir? Ach, das Ungeheuer mit den Tigeraugen ist ein böser Führer der Einbildungskraft! Eine berühmte Künstlerin findet gar leicht Beschützer! Vielleicht mächtige Herren, die über Tod und Leben zu gebieten haben. Ewige Nacht, nimm mir nicht die Helle meiner Vernunft! Sollte mir meine Rückkehr in die Welt etwa um einen solchen Preis möglich gemacht werden! Dieser Gemütszustand ward mir nachgerade unerträglich.
Manchmal überkam mich die Lust, aus diesem Walde hervorzubrechen, an die Thür des nächsten Militärkommandanten zu klopfen und ihm zu sagen: »Hier bin ich, der berühmte Rebell; da haben Sie meinen Kopf, ich will bezahlen.«
Doch mein gegebenes Wort hielt mich zurück: es war ein Ehrenwort. Das Ehrenwort muß gehalten werden, selbst dann, wenn man es seiner Frau gegeben! Ich hatte versprochen, mich nicht vom Fleck zu rühren, nirgends hinzugehen.
Nirgends hin? Der Wald ist ja nirgends. Der »Abgrundstein« aber ist der verlorenste Ort dieser Welt. Dorthin kommen keine Menschen. Dorthin werde ich doch gehen dürfen.
Das erste, mißlungene Bild von dem Panorama hatte ich meiner Frau gesendet. Ich versuche es nun ein zweites Mal.
An einem heitern Herbstmorgen ergriff ich wieder meinen bleigefüllten Stock und sagte meiner lieben Hausfrau, sie möge mich heute nicht zum Mittagessen erwarten, weil ich zum »Heidenaltar« hinanklettern will, um dort zu zeichnen.
Die Herren nennen die Felsspitze den »Heidenaltar«, die Bauern nennen sie den »Abgrundstein«.
»Bleiben Sie nur nicht lange weg, sagte Frau Csányi. Wie, wenn inzwischen die Liebste Ihres Herzens eintreffen würde?«
Die Liebste meines Herzens! Denkt sie denn daran, mich hier aufzusuchen! Man macht mir nur Verheißungen, wie man dem kranken Kinde verspricht, daß es ein Schaukelpferd bekommt, wenn es wieder gesund wird.
An jenem Tage waren es genau sieben Wochen, seitdem sie von mir geschieden. Welche Ewigkeit! Ich machte mich auf den Weg, am Lindenbach entlang, dann an der waldbestandenen Bergwand hinauf, auf dem so oft betretenen, so wohlbekannten Pfade. Die Haselnüsse fielen schon ab, die Kornelkirsche war schon vom Reif gepackt; ich füllte mit beiden Früchten meinen Ledersack. Heute werde ich reiche Mahlzeit halten. Ich fand auch einen großen Korallenpilz; in Glutasche gebraten giebt der einen seltenen Leckerbissen.
Es mochte zehn Uhr sein, als ich beim »Heidenaltar« anlangte.
Als ich an den Rand des Felsens trat, bot sich allerdings ein wunderbares Bild meinem Blick dar, allein es war kein Bild zum Malen. Die ganze Landschaft war ein Meer. Gleich einer Schneewolke bedeckte der Herbstnebel die Gegend bis zum Gesichtskreise, aus welchem sich Schneekuppen erhoben; an anderer Stelle glich die Nebelhülle gefrorenen Wogen. Da und dort ragte eine dunkle, runde Insel hervor; das waren die Gipfel der höchsten Berge. Es war ein getreues Bild der Wirklichkeit: Nichts. Es gab nichts mehr.
Ich konnte als bestimmt annehmen, daß bis zum Mittag der Nebel sich herniedersenken, Wald und Feld mit weißem Reif überziehen werde; aber bis dahin konnte ich nicht zeichnen.
Einstweilen warf ich mich am Rande des Felsens hin und bewunderte das unbewegliche, große, weiße Bahrtuch, das ein Land zudeckte. Ich dachte nicht ans Essen und hing meinen Sack, der die Mundvorräte enthielt, an einen Baumast. Wenn ich es müde ward, das Nebelmeer zu bewundern, dann betrachtete ich die Wanderameisen, die, ihrem regelmäßigen Wege folgend, über mich hinwegkrochen, unbekümmert darum, daß sich ein Riese gleichsam als Bergkette quer über ihren Weg gelegt hatte.
Hier oben ward die Stille selbst durch den Pfiff der Amsel nicht gestört. Warm floß das Sonnenlicht hernieder, kein Lüftchen regte sich. Mein Kopf ruhte auf einem großen moosbewachsenen Stein. Mir war's, als würde ich schlafen.
Plötzlich – es war mir wie im Traum – ertönte irgendwo in der Nähe ein Lied. Es war eine männliche Stimme, die mir sehr bekannt schien.
»Seht hoch auf steilen Höhn
Den Mann von edler Bildung stehn,
Die treue Büchse in der Hand
Wem ist er nicht bekannt?«
Meine erste Empfindung war eine freudige. Wie schön wäre es, in dieser Verlassenheit einen Bekannten zu finden! Dann erst fiel mir ein, daß dies gegen mein Gelöbnis wäre; ich darf keinem Menschen begegnen.
Allein es war zu spät, ihm auszuweichen. Es wäre auch kaum möglich gewesen, denn zu der Höhe des Abgrundsteines führt nur ein Pfad hinan, gleichviel ob man von Tardona oder von Mályinka her kommt. Und mein Sänger kam aus letzterer Richtung herauf.
Und ich hörte ihn weiter singen:
»Auf seinem Hute seht,
Die rote Feder blutig weht,
In dunkeln Mantel eingehüllt,
Blicket sein Auge wild.«
Jetzt ward auch eine Frauenstimme vernehmbar.
Jemand ermahnte den Sänger, im Aufstiege nicht zu singen.
Es waren also ihrer zwei.
Und wie der Sänger immer höher und höher heraufstieg, ward allmählich auch seine Gestalt sichtbar.
»Bebet! wenn durch die Klüfte schallet,
Das Echo widerhallet:
Diavolo! Diavolo! Diavolo!«
Doch niemand erbebte so sehr, als Fra Diavolo selbst, als er, den Gipfel des Felsens erklimmend, eine menschliche Gestalt vor sich am Boden liegen sah.
Ich mochte in der That kein ermutigender Anblick sein, wie ich mit meiner großen Lammfellmütze auf dem Kopfe und mit meinem Knüttel in der Hand mich vor ihm auf die Kniee aufrichtete.
Ich erkannte ihn schneller als er mich.
»Servus, Bálványosi! Was suchst du hier an dem Orte, den selbst der Vogel meidet?« Bei dieser meiner Anrede verwandelte sich auch bei ihm der Schreck in Freude.
»Ah, ah, mein Freund, der Dichter! Welch eine gottvolle Begegnung hier im Himmel oben.« Er eilte zu mir herbei und wir umarmten uns.
Mittlerweile hatte auch seine Begleiterin die Felsspitze erklommen. Jetzt war an mir die Reihe, höchlich verwundert zu sein. Die weibliche Gestalt war Erzsike, die Beauté mit den Meeraugen. Wie kommt denn diese hierher? Und wie kommen diese beiden zusammen hieher? Und wie kommen alle beide gerade hieher?
Und es war keine Vision, auch die schöne Dame erkannte mich sogleich. Ihr vom Bergklettern ohnehin stark gerötetes Gesicht konnte bei meinem Anblick nicht noch röter werden, auch ihre Brust nicht heftiger wogen. Aber in ihrem Antlitz prägte sich ein Unbehagen aus, welches ich »das Lächeln des Schrecks« nennen möchte.
Freund Valentin mochte das fragende Erstaunen in meinen Mienen lesen. Er wandte sich mit wahrem Histrionenhumor zu seiner Begleiterin und stellte sie mir mit den Worten vor:
» Meine Großmutter.«
Die Dame lachte über diesen Witz.
Und ich besaß so viel Selbstbeherrschung, diese Vorstellung nicht mit den Worten zu erwidern:
»Dann komm' an meine Brust, Knabe, denn ich bin dein Großvater.«
Ich begnügte mich zu sagen:
»Es ist seltsam, daß wir hier zusammentreffen müssen!«
Allein das Antlitz meines Freundes verdüsterte sich plötzlich, als ob es ihm in einer Rolle vorgeschrieben wäre: (»Er nimmt ein ernstes Gesicht an.«)
»Lieber Freund, vor allem mußt du mir dein Ehrenwort geben, daß du niemandem in der Welt verraten werdest, mich hier gesehen zu haben. Einstweilen, bis nicht mein früheres blondes Haar wieder hervorsprießt, bin ich noch Tihamér Rengetegi (denn das Haar, das ich jetzt trage, ist nur eine Perücke). Auf meinen Kopf ist ein hoher Preis gesetzt. Ein Wort: und ich bin verloren. Die Hand darauf, daß du niemandem ein Wort von mir erwähnen willst.«
»Das Gelöbnis soll ein wechselseitiges sein,« lautete meine Antwort. »Ich fordere von dir gerade so ernst, daß auch du niemandem ein Wort von mir erwähnst; denn auch ich halte mich hier verborgen.«
Bei diesen Worten begann der Mann mit der doppelten Eigenschaft zu lachen. Es war das regelrechteste Bühnengelächter: er legte die Hände auf den Bauch, krümmte den Rücken, drehte sich dabei auf dem Stiefelabsatz herum und nieste und pustete beim Lachen:
»Hahaha, hihihi, huhuhu! Auch du versteckst dich vor den Deutschen? Nun, das ist brav!«
Befremdet fragte ich ihn, was es da gar so viel zu lachen gebe?
»Wie, du hältst dich verborgen? Du flüchtest vor den Kaiserlichen? Du? Weißt du nicht, daß vor dem Kriegsgericht alle Abgeordneten sich damit verteidigt haben, daß sie Mitarbeiter deines » Esti Lap« (Abendblatt) waren? Weiß doch alle Welt, daß du in Debreczin das Organ der ›Friedenspartei‹ warst! Ist es doch aller Welt bekannt, daß du auch der Verbündete der Kaiserlichen warst!«
Das brachte mich denn vollends in Wut.
»Hast du jemals mein Abendblatt gesehen?« fragte ich.
»Ich habe es nicht gesehen, aber unter uns Kriegern war allgemein die Ansicht verbreitet, daß du derjenige seiest, der mit den Kaiserlichen unter einer Decke spielt.«
Da riß ihn Erzsike ungeduldig am Mantel und rief:
»Das sind unsinnige Reden! Nur solche Maulhelden wie Sie konnten derlei Gerüchte verbreiten! Niemals war er ein Verräter! Wären doch alle, die immer das Maul voll nehmen, so gute Patrioten gewesen, wie er!«
»Gut, gut; habe ja auch ich kein Wort davon geglaubt; wie denn auch?« beeilte sich mein Freund, durch die Zurechtweisung der »Großmutter« ganz kleinlaut gemacht, seine Meinung zu ändern.
»Daß ich nicht dasjenige war, was die Verleumdung von mir sagt, beweist ja eben die Thatsache, daß ich jetzt hier am ›Heidenaltar‹ mit dir zusammentreffe und dich von neuem bitte, keinem Menschen etwas von dieser unserer Begegnung zu sagen.«
Jetzt nahm wieder Erzsike das Wort.
»Nun, dafür kann ich schon bürgen. Ich will an der Seite dieses ehrenwerten Herrn bleiben, und wenn ihm die Zunge mit dem Verstande durchgehen sollte, so will ich ihm schnell mit der Faust das Maul schließen.«
Da lachte Herr Valentin.
»So ist dieses Weib. Sie hat in der That eine flinke Hand; kein Tag, an welchem sie mir nicht das Gewicht ihrer Fäuste zu fühlen geben würde.«
Ich machte bei diesen Worten ein sehr kritisches Gesicht. Mein Freund konnte unschwer daraus die Frage herauslesen, welches Recht seine Backen darauf haben, tagtäglich von Erzsikes Rosenfingern gestreichelt zu werden.
»Wir sind im Lager Mann und Frau geworden, der Feldpater hat unseren Bund gesegnet, bei Kanonendonner und Trommelschlag. Nun, das war denn Rechtstitel genug.«
Die Augen Erzsikes waren zu mir erhoben, als wollten sie sagen, daß sie zu dieser kurzen Geschichte noch viel mehr zu erzählen wüßte.
Mein Freund Valentin fand es für gut, sich zum Enthusiasmus hinaufzustimmen.
»Freund, welches Weib! Eine Heroine, eine Jeanne d'Arc! Es ist eine Kette von Wundern, von Heldenthaten, die uns aneinander knüpft. Sie ist mir keine Lebensgefährtin, nein, viel mehr, eine Waffengefährtin! Ich will dir alldies einmal erzählen.«
»Wir sollen es nur erleben ...«
»Was, erleben? Bist du so kleinmütig? Ich will es mit allen finsteren Mächten aufnehmen! Ich werde die Lawine in Bewegung setzen, welche die Welt aus ihren Angeln reißen soll!«
Ich ließ ihn die Lawine in Bewegung setzen und machte mich auf, um aus dem nahen Walde trockene Reiser auf einen Haufen zusammenzutragen.
Mittlerweile deklamierte Valentin zu den Wolken hinauf.
»Welcher Anblick! Das ganze Land ein Meer! Wir aber stehen hier über dem Nichts erhaben, gleich den Demiurgen, die bei der Schöpfung mitgethan haben! Was dem blöden Volk auf den Schädel drückt, das treten wir mit Füßen!«
»Hast du schon deine Schauspielergesellschaft beisammen?« fragte ich ihn und zwang ihn so, aus den Soffiten herabzusteigen.
»Eine Schauspielergesellschaft? Das ist es eben, um was ich mich bekümmere. Brutus muß den Bajazzo spielen, bis sein Tag gekommen! Doch, wenn einst die Stunde der Vergeltung schlägt, wollen wir uns erheben wie ein Mann, um unsere zertretene Freiheit wieder zu erringen.«
»Mit meinem Knüttelstock etwa, wie?«
»O, glaube das nicht!« sprach mein Freund Valentin mit stolzer Geringschätzung. »Ich habe kein Geheimnis vor dir. Ein amerikanischer Freiheitsheld hat soeben eine Waffe erfunden, welche in der Hand des Bürgers diesem eine unwiderstehliche Übermacht gegen die Soldateska verleihen wird. Diese Waffe heißt mit einem englischen Namen »Revolver«. Ich besitze bereits eine. Dank meinen überseeischen Verbindungen ist es mir gelungen, ein Exemplar zu erwerben. Da schau' her!«
Und er zog aus seiner Tasche einen Revolver hervor. Ich hatte in der That vorher eine solche Waffe noch nicht gesehen. Es war ein Coltscher Revolver, auf fünf Schüsse eingerichtet, vorn zu laden. Zu diesem Behufe mußte die Patronenwalze ausgeschaltet und in jedes einzelne Schießloch aus dem Pulverhorn Pulver geschüttet werden. Auf der Kugel saß ein Nagel, auf welchen ein Pfropfen aus Binsenholz gesteckt werden mußte; dann mußte das Ganze mittelst Ladestockes und Hammers in den Lauf geschlagen, die Patronenwalze wieder eingeschaltet, auf die Pyramiden Zündhütchen gesteckt werden, – inzwischen konnte der Feind pausieren und zusehen, was aus alldem werden solle.
Mein Freund Valentin hatte ein ungeheures Vertrauen zu seiner Wunderwaffe.
»Wie du siehst, bin ich für alle erdenklichen Fälle gerüstet. Bei meinem Seelenheil: ich will mein Leben teuer verkaufen! Dir kann ich es schon sagen, du wirst mich nicht verraten. Hier unter dem ›Heidenaltar‹ befindet sich eine Höhle, deren Existenz nur den Eingeweihten bekannt ist. Diese Höhle habe ich mir zum Versteck erkoren. Wenn die Hetze gegen mich beginnt und eine Brigade von Gendarmen aufgeboten wird, um mich einzufangen, dann werde ich in dieser Höhle mich verbergen; hier sind Lebensmittel und Schnapsvorräte auf eine ganze Woche angehäuft. Das Getöse und Gepolter meiner Verfolger kann mich dann kalt lassen.«
Trotz meiner gedrückten Stimmung mußte ich über diese weise Voraussicht lächeln. Mein Freund Valentin aber redete sich in seine Erläuterungen immer heftiger hinein.
»Freund, zu dieser Höhle führt nur ein schmaler, steiler Pfad, ehemals vielleicht die Spur der Bären, als es in den Buchenwaldungen noch welche gab. Wenn man mich dort belagern sollte, könnte ich mich mit diesem Revolver gegen eine ganze Armee verteidigen.«
Ich hatte inzwischen mittelst meines Feuerzeuges ein Reisigfeuer angezündet.
Da faßte mein Freund Valentin erschrocken meine Hand.
»Was beginnst du hier, mein Freund?«.
»Ich zünde Feuer an, mein Freund.«
»Um Speck zu rösten, mein Freund.«
»Man wird aber unten bemerken, daß wir Feuer machen.«
»Wie könnte man dies bei dem unten herrschenden dichten Nebel bemerken?«
Er gab mir recht und ließ mich gewähren; bald prasselte ein lustiges Feuer vor uns.
Inzwischen trat mein Freund Valentin an den Rand des Felsens, um den Nebel zu beobachten; von Zeit zu Zeit meldete er mir die Veränderungen, die auf dem Terrain sich vollzogen; jetzt reißt der Nebel, jetzt steigt er in die Höhe; bald werden die Häuschen sichtbar sein.
Mittlerweile röstete ich Brotschnitten und Speck und ließ das von dem letzteren herabträufelnde Fett mit großer Sachkenntnis auf das Brot gelangen.
Mein Gehaben machte Erzsike Lust mitzuthun.
»Geben Sie aus Ihrer Tasche Brot und Speck heraus!« sagte sie zu Valentin.
»Wie, wenn ich aber dieser Vorräte ›einst‹ bedürfen sollte?«
»Ich bedarf ihrer schon ›jetzt‹.«
Damit trat sie zu ihm und begann in den Taschen herumzusuchen.
»Wie können Sie doch nur so prosaisch sein!« schalt Bálványosi die Dame; »in einem so feierlichen Augenblicke, vor einem so herrlichen Schauspiel! Betrachten Sie diese erhabene Erscheinung! Die ganze Nebelwolke geht mit einemmale in die Höhe, wie ein Bühnenvorhang. Zauberisch tritt das ganze Riesentheater unter dem schwebenden Wolkenvorhange hervor: die sonnenbeschienenen Berghänge, die weißschimmernden Häuschen da unten. Jetzt tritt eine neue Bergkette hervor, mit rötlichen Wäldern bestanden, die von gediegenem Golde zu sein scheinen.«
»Geben Sie den Speck her!«
»Mein Herz, mein Blut für dich, nur den Speck fordere jetzt nicht von mir! Sieh, noch immer erhebt sich die Erde zu uns empor: Berge, Berge, nichts als Berge! Noch immer kein Himmelsdom! Und diese göttliche Stille ringsumher. Nur aus den fernen Eisenwerken dort tönt das abgemessene Gepolter der Pochwerke zu uns herüber. Es ist, als würden wir das Herzpochen der Erde vernehmen. Klopft nicht auch dir das Herz höher an diesem majestätischen Orte?«
»Es pocht, es pocht, ja es pocht gar sehr! Aber wir wollen uns später in den Anblick dieser wunderbaren Erscheinung vertiefen.«
»Ach dieser Anblick gilt mehr als eine Welt!«
Die Naturerscheinung war in der That wunderbar schön. Die ganze Nebelwolke ging über den Bergen rasch in die Höhe; in dem Maße, als sie bisher den heiteren blauen Himmel über uns verdeckt hatte, enthüllte sie jetzt das immer mächtiger sich entwickelnde Gebirgspanorama zu unseren Füßen. In speichenförmig auseinanderstrebenden breiten Streifen floß das Sonnenlicht zwischen den rissigen Wolken hernieder. Es wäre in der That eine majestätische Scene gewesen, hätte das falsche Pathos meines Freundes Valentin sie nicht gestört.
»Nein, nein, nicht stehend dürfen wir diesen Anblick genießen. Hier heißt es in die Kniee sinken, denn hier wandeln die Götter!«
Mein Freund Valentin fiel in die Kniee und weil Erzsike seinem Beispiel nicht folgen wollte, legte er den Arm um ihren Leib und zog sie neben sich nieder.
Erzsike aber wollte sich diesen abgeschmackten Gefühlsergießungen entziehen.
»Sie machen es, wie der einstige Professor, der ein Öllämpchen gegen den Mond hielt, damit seine Gäste ihn besser sehen,« bemerkte sie.
»Elsbeth!« seufzte der Seladon. (»Erzsike« läßt sich freilich seufzend nicht aussprechen.) »Gedenke des feierlichen Augenblicks, da wir zu einander sprachen: ›Wie schön wäre es jetzt, miteinander zu sterben!‹ Hat nicht unser gemeinsamer Freund (dabei zeigte er auf mich) den herrlichen Satz geschrieben. ›Ein guter Tod ist mehr wert, als ein schlechtes Leben?‹ Komm', laß' uns diesen Satz heiligen. Arm in Arm, Herz an Herz, ein Schwindel, ein Sprung von diesem Felsen und dann ein wonnevoller Flug, der in den Sternen endet!«
»Lassen Sie mich aus und machen Sie keine Dummheiten! Ich habe gar keine Lust, in den Himmel zu springen.«
»Aber ich nehme dich mit dahin, wie eine Walküre. Und du, mein Freund, wirst diese Katastrophe in einer Ballade verewigen!«
Er nahm die Dame in seinen Arm und trat mit ihr an den Rand des Felsens.
»Hast du heute schon zu Nacht gebetet, Desdemona?«
Erzsike blickte verdrossen und beschämt zu mir hinüber. Ich aber that, als merkte ich nichts. Was kümmert mich Eure zärtliche Scene? Ich bin beim Speckrösten.
»Glaubst du, daß ich in diesem Augenblick imstande wäre, mit dir zusammen in den Tod zu gehen?« brüllte Valentin Bálványosi wild, wobei ihm die Perücke bis auf die Augen herabglitt.
Da wandte sich die Dame in flehendem Tone zu mir:
»Ich bitte Sie, lieber Moriz ...«
»Lieber Moriz«! Da will ich ihr denn doch zu Hilfe kommen, wie ich es schon einmal gethan. Die Arme des Dichters reichen weit.
»Freund Valentin,« sagte ich, ohne mich aus meiner hockenden Stellung am Reisigfeuer zu erheben, »siehst du die beiden, mit Flinten bewaffneten Männer dort den Bergpfad heraufsteigen?«
»Wa...wa...was? Zwei Mä...Mä...Männer, mit Ge...Ge...Gewehren?« fragte der Held, wobei der donnernde Baßbariton mit einemmale in einen sehr dünnen Fistel umschlug. Wo sind sie?«
Und im Nu ist ihm alle Lust zum Sterben vergangen.
Er ließ sogleich sein Opfer los. Ich aber zeigte mit meinem kleinen Holzspieße, an den ich den Speck zum Rösten gesteckt hatte, in welcher Richtung die Männer kamen. Jetzt sah auch er dieselben schon.
»Freund, das sind Gendarmen!«
»Möglich, daß es Gendarmen sind, denn es sind ihrer zwei.«
»Lösch rasch das Feuer aus.«
»Das thäte ich nicht, auch wenn ich es könnte; und wenn ich es thäte, würde es nicht viel nützen, denn sie haben es längst gesehen.«
»Sagte ich dir doch, du sollst kein Feuer machen!«
Jetzt kehrte sich Erzsike mit ihrem Zorne gegen ihn. »Ihre Komödienspielerei hat uns diese Leute an den Hals gehetzt. Was haben Sie hier auf der Felsspitze zu deklamieren? Die Leute glauben, es werde hier gemordet.«
»Sie kommen geradenwegs hierher,« flüsterte Valentin immer ängstlicher werdend. »Wenn sie mich hier erwischen, bin ich ein verlorener Mann.«
Ich suchte ihn zu beruhigen. »Wir sind doch auch unserer zwei; mit meinem Bleistock und deinem Revolver werden wir uns doch zu wehren wissen.«
»Freund, jene haben Flinten, die vierhundert Schritte weit tragen. Der Revolver aber trägt nur dreißig Schritte weit und trifft auch dann nicht immer ins Ziel. Das können wir nicht riskieren. Es ist eine andere Sache, wenn ich in der finsteren Höhle bin und jene draußen in der Tageshelle; da sehe ich jene, während sie mich nicht sehen.«
»Willst du dich in der Höhle verbergen?«
»O, nicht für mein Leben, sondern für das Vaterland, dessen Geschick ich am Herzen trage! Ich trage zwischen den Sohlen meiner Stiefel eine Menge geheimer Aufträge aus England und der Türkei, ich darf nicht so leichtfertig alles aufs Spiel setzen.«
»Nun, so verstecke dich.«
Da nahm wieder Erzsike das Wort.
»Was wird aber dann aus mir werden? Ich kann doch nicht auf allen Vieren in Ihre Berghöhle da hinunterkriechen!«
»Das würde ich auch nicht erlauben. Unser gemeinsamer Freund bleibt hier. Nicht wahr, du wirst nicht davon laufen? Dich kennen sie doch nicht. Dein Porträt ist noch nirgends erschienen. Das meinige aber befindet sich in aller Händen, an jeder Straßenecke ist meine Personsbeschreibung angeschlagen. Wenn sie hieherkommen, sage, daß du es warst, der vorhin die Scene machte, sage auch, daß sie deine Frau sei.«
»Das werde ich nicht sagen.«
»Thu', was du willst, ich überlasse die Sache ganz dir.«
»Gut, gut,« zankte Erzsike. »Was wird aber dann weiter geschehen, wenn Sie in Ihrer Höhle bleiben, unser guter Freund aber heimkehrt? Was soll ich dann da allein auf der Spitze des Abgrundes beginnen? Ich werde durch diese ungeheuren Wälder niemals den Weg nach Hause finden.«
Da machte mir mein Freund mit der wohlfeilsten Großmut von der Welt den Vorschlag: »Lieber Freund, nimm sie doch mit dir.«
Das wäre nun eine wahrhaft dramatische Wendung gewesen.
»Nein, edelherziger Freund, das wird nicht geschehen. Du bringst dich für die Nachwelt in Sicherheit, wir beide bleiben hier. Von zwei Fällen muß einer eintreten. Wenn jene beiden mit Flinten bewehrten Männer mich hier finden, wie ich in meinem Album zeichne, dann werden sie entweder glauben, daß ich ein harmloser Maler sei (sie wissen schon, daß Karl Telepi in dieser Gegend sich aufhält, um zu zeichnen, sie werden daher glauben, daß ich es sei und werden Erzsike für meine Schwester halten); oder sie werden dies nicht glauben und uns beide nach Miskolcz eskortieren. Im letzteren Falle brauchst du dir nicht die Mühe zu nehmen, zurückzukehren. Wenn du aber nach einigen Stunden aus deiner Höhle hervorkriechst und siehst, daß ich noch immer am Felsrande sitze und zeichne, dann kannst du wissen, daß die bewaffnete Invasion weitergezogen und kannst zu deiner Elsbeth zurückkehren; und dann nehmt meinen Segen, wir gehen jeder unserer Wege, woher wir gekommen.«
Damit gab sich Valentin zufrieden.
»Verratet mich nicht,« sagte er, uns angstvoll anblickend: »verratet mein Versteck nicht, selbst wenn man euch auf die Folterbank spannen sollte.«
Ich schwor bei meinem Seelenheil, daß man selbst mit Anwendung des spanischen Stiefels mir sein Geheimnis nicht entreißen soll. Nun warf sich mein Freund Bálványosi nieder und kroch auf allen Vieren auf der Felsspitze bis zu dem Stufenpfade, wo er alsbald unter den Sträuchern verschwand.
»Ei, hätte er doch wenigstens Brot und Speck nicht mitgenommen!« ärgerte sich die Dame, die bei mir zurückgeblieben war.
»Ich will meinen Vorrat mit Ihnen teilen; er wird für uns beide ausreichen.«
Ich nahm mein Taschenmesser, schnitt das Brot in zwei Stücke, den Speck in mehrere kleine Stückchen, bestreute diese mit Salz und türkischem Pfeffer.
Und noch etwas. Ich suchte ein Stückchen Knoblauch hervor und bestrich damit das geröstete Brot auf beiden Seiten Auch eine orientalische Blumensprache!
Was hat dies übrigens für sie zu sagen? Ist doch ihr Ideal ein Mann, der, wenn er Knoblauch gegessen, sich nicht sonderlich beeilt den Mund auszuspülen.
Wir waren denn allein auf der Höhe des Heidenaltars, bei einem verglimmenden Reisigfeuer lagernd, wo wir, ich und mein einstiges Ideal, einen letzten Rest an Brot und Speck zwischen uns aufteilten.
Warum sage ich: mit meinem »einstigen« Ideal? Sind doch kaum drei Jahre verflossen, seitdem die Goldamsel in unsere unhörbare und ungehörte Unterhaltung dazwischen sang.
Die idyllische Stimmung ward durch den konkreten Umstand nicht wenig gestört, daß seit drei Jahren schon das dritte Meisterwerk der Schöpfung in meinem Ideal die ihm im Schlafe entnommene Rippe wiedererkannt hat. Zuerst ein Lion der Mode, dann ein Antonius der Pußta und schließlich ein Bühnen-Othello.
Noch mehr herabstimmend wirkte auf unsere Gemüter die Gespanntheit, welche das Herannahen zweier Bewaffneter notwendigerweise verursachen mußte, die bald da, bald dort in einer Lichtung des Waldes auftauchten, immer näher und näher zum Heidenaltar. Sie kamen zu uns herauf, es war nicht länger daran zu zweifeln.
»Es wird sich empfehlen, daß ich mich ans Zeichnen mache,« sagte ich, »damit die beiden Bewaffneten sehen, was ich hier treibe.«
Ich setzte mich dann an den Felsrand, legte das Album auf meine Kniee hin und begann die Konturen der Skizze hinzuwerfen. Die Dame nahm neben mir Platz und beobachtete, wie ich bald auf die Berge, bald auf das Papier schaute, nur nicht in ihre schönen Augen. Wir hatten noch kein Wort direkt miteinander gewechselt. Endlich ward ich des Schweigens doch müde und ohne von meiner Arbeit aufzublicken, sprach ich zu ihr:
»Meiner Treu, ich glaubte, daß Sie und Gyuricza Peter seither die ganze Welt mit Butter und Käse versorgt hätten.«
Da faßte sie mit beiden Händen meine Hand, welche den Zeichenstift führte, so daß ich in der Arbeit innehalten mußte, und sprach in traurigem Tone:
»Sie verachten mich jetzt unsäglich, nicht wahr? Allein wenn ich Ihnen erzähle, welche furchtbare Prüfungen ich überstanden habe, seitdem wir uns zum letztenmale gesehen, werden Sie Mitleid für mich empfinden.«
Ich sagte ihr, sie möge nur reden, ich werde ihr aufmerksam zuhören, denn ich habe jetzt Muße dazu.
»Als ich das letzte Mal mit Ihnen zusammentraf, – Sie erinnern sich doch wohl? es war damals, als Sie mir die Thür vor der Nase zuwarfen – und doch hatte ich nur Gutes im Sinne und dachte nicht, daß ich Sie damit so in Zorn bringen werde. Damals also trachtete ich, rasch heimzukehren, heim in das Haus des Gyuricza Peter. Ach, wie bereute ich damals, daß ich bei Ihnen meine Sache so schlecht vorgetragen hatte! Ich hatte ja auch andere Gründe, hinzugehen. Als meine Advokaten meine Prozeßsache übernahmen, da bot der blonde Herr, ein recht praktischer Mann, mir einiges Geld an und meinte, ich würde ihm dasselbe zurückerstatten können, wenn ich meinen Prozeß gewonnen habe. Ich spielte jedoch die Stolze und wies das angebotene Geld zurück. Und doch besaß ich damals nicht mehr als drei Zwanziger, die ich aus dem Erlös der Butter mir allmählich erspart hatte. Diese geringe Barschaft reichte nicht hin, um die Rückfahrt mit dem Dampfboote zu bezahlen. Ich hätte dazu einiger Gulden bedurft und hätte nicht Anstand genommen, sie von Ihnen zu entlehnen. Aber da Sie mich hinauswarfen, wurde nichts aus dem Pump.«
»Ich bedauere sehr, daß ich Ihre Geldnot nicht erriet.«
»Noch mehr habe ich es bedauert. In meiner Notlage war ich gezwungen, mich zur Fahrt bei einem Geflügelhändler, der nach Wien fuhr, einzudrängen, für einen Fuhrlohn von zwei Silberzwanzigern, für die ich auf den Hühnerkörben Platz nahm. Es waren mir noch einige Groschen in der Tasche geblieben, mit welchen ich unterwegs in den Wirtshäusern, wo wir einkehrten, die Streu für mein Nachtlager bezahlte. Am dritten Tage erreichten wir Neu-Szöny. Als wir da ankamen, war der letzte Rest von Brot und das letzte Stückchen Käse aus meinem Korb aufgezehrt. Vor einer Kneipe stand ein lahmer Bettler; dieser flehte in Gottes Namen um ein Almosen. Ich besaß nur mehr ein Zweikreuzerstück, das reichte ich ihm hin, und forderte einen Kreuzer davon zurück, weil ich wußte, daß ich Brückenmauth zu zahlen habe. Daran sind Sie schuld. Sie hätten in Ihre Pester zwölf Punkte auch die Abschaffung der Brückenmauth aufnehmen können.«
Ich war wütend und verdarb meine Zeichnung so sehr, daß ich die Hälfte wieder ausradieren mußte. Erzsike aber lachte über den eigenen Jammer und über den meinigen. Dann fuhr sie fort:
»Es galt nun, von da zu Fuße nach Hause zu gehen. Ich konnte die Donauzeile entlang gehen, ohne erst den Weg durch die Stadt zu nehmen und dann bei dem äußeren Schanzthor hinaus. Ich begegnete keinem Bekannten; dagegen sah ich einen großen Haufen Nationalgardisten in blauer Attila, die bei Trommelschlag in aller Eile zur Festung hinaufzogen. Sie mußten was Großes vorhaben, da sie für die schöne Frau kein Auge hatten. Ich ging dann auf dem mir wohlbekannten Wege schön fürbaß und dachte darüber nach – gleich der Bäuerin mit dem Eierkörbchen in der bekannten Fabel – was ich nun anfangen werde, wenn ich zu dem Besitz meines Erbteiles komme. Ich werde den Gyuricza hübsch weit bis nach Siebenbürgen entführen; dort will ich ihm ein Gütchen kaufen, wo er recht viel Hornvieh züchten kann. Ich selbst werde weben lernen, wie die Pakulárweiber jener Gegend; mein Mann wird von mir selbst gewebte Leibwäsche tragen. Meine Wohnstube werde ich mit gestickten Handtüchern schmücken und die Wände mit hübsch bemalten Krügen vollhängen. Auf dem Speiseschranke wird Zinnteller an Zinnteller stehen. Wir werden auch einen kleinen Pflaumengarten haben und was da an Pflaumen wächst, daraus will ich Branntwein brennen: ich werde auch Bienenkörbe halten und Meth bereiten und Lebkuchen backen, die der Peter so gern ißt, wenn er auf dem Jahrmarkte dazu gelangen kann. In meinem Nachsinnen hatte ich gar nicht bemerkt, daß ich der Behausung des Gyuricza schon ganz nahe gekommen bin. Es mochte gegen Mittag sein, und aus dem Schornstein wirbelte lustiger Rauch empor. Sicherlich ist die kleine Magd damit beschäftigt, das Mittagsessen zu bereiten, so wie ich es ihr geheißen habe. Wie wird der Peter überrascht sein, wenn ich ihm das Essen hinausbringe! Als ich in die Küche trat, fand ich niemanden am Kochherde. Ich ging geraden Weges in die Stube, – was sah ich da! Mein Gyuricza Peter saß mit seinem – Weibe am Tisch und sie aßen ganz gemütlich aus der nämlichen Schüssel.«
»Aha,« brummte ich dazwischen, »das ist die poetische Gerechtigkeit. Ich selbst hätte es nicht schöner ersinnen können.«
»Mir ward es grün und gelb vor den Augen. Es schnürte mir die Kehle zusammen, daß ich keinen Laut hervorbringen konnte. Umso besser war der kleinen Bäuerin die Zunge gelöst. Als sie mich erblickte, fuhr sie von ihrem Sitz empor, schob ihre Haube zur Seite, legte die beiden Hände auf die Hüften und fiel über mich her:
»›Ei, ei, die saubere gnädige Frau! Haben wir heute Faschingsdienstag, daß Sie in der Maskerade herumlaufen? Haben Sie hier etwas verloren, was Sie suchen möchten? Vielleicht Ihre schönen, seidenen Kleider? Eine saubere gnädige Frau, das kann ich sagen! Haben Sie nicht einen guten, wackern Mann zu Hause, daß sie nach einem Bauern, nach einem Hirten Ihre Netze auswerfen? Und wenn Sie schon mit dem Manne, dem Sie der Pfarrer angetraut hat, sich nicht begnügen, warum suchen Sie sich keinen unter den Kavalieren Ihres Ranges? Schämen Sie sich!‹
»Ich war völlig erstarrt. Der Anblick dieser Furie benahm mir alle Kraft und in meiner Verzweiflung blickte ich auf den Peter.
»Allein dieser saß während der ganzen Scene mit beiden Händen auf den Tisch gelehnt und schob einen Knödel nach dem andern ins Maul.
»›Ist das recht, Peter?‹ stammelte ich in flehendem Tone zu ihm gewendet. ›Ihr laßt das mit mir geschehen?‹
»Da schlug der Peter mit der mächtigen Faust auf den Tisch und schrie seinem Weibe zu: ›Weib, schweig'! Setz' dich nieder und friß; laß mich reden!‹
»Unwillig gehorchte die Bäuerin ihrem Manne, aber auch während Peter sprach, warf sie von Zeit zu Zeit ein Wörtchen darein, wie etwa: ›Und sie hat auch meine Kleider mitgenommen. – Ich habe sie doch nicht gestohlen. – Mein schönes Zitzkleid! – Und wie sie es zugerichtet hat; als hätte sie sich in allen Spelunken damit herumgetrieben!‹
»Der Peter aber hub folgendermaßen an:
»›Gnädige Frau, Sie verzeihen schon, ich weiß, was sich gebührt. Ich war beim Militär, wo ich gelernt habe, was sich schickt. Was nicht zusammengehört, das gehört einmal nicht zusammen. Der Bauer braucht eine Bäuerin, der vornehme Herr eine vornehme Dame. Ich habe Sie, gnädige Frau, nicht mit einem Finger berührt, nicht wahr? Und doch haben Sie oft genug die Butter verdorben; Mais und Kartoffel blieben unbebaut. Die Schweine wollen nicht fressen, sie haben verdorbene Zähne, weil man ihnen rohen Kukuruz vorgeworfen hat. Das geht denn doch nicht an! Wenn die Kühe kälbern werden, wer wird dabei den Dienst versehen? Und wer schmiert den Backofen aus? Mein Wams ist von den Mäusen zerfressen und bis auf den heutigen Tag noch nicht geflickt. Auch bin ich gewohnt, ganz kurz und gebieterisch zu sagen: »Hörst du, Jutka?« Mein Weib weiß dann schon genau, was ihre Pflicht ist. Und wenn ich ihr eins über den Rücken gebe, so muckst sie nicht einmal. Ich aber muß von Zeit zu Zeit Prügel austeilen, weil ich sonst einen steifen Rücken kriege. Und auch dann weiß sie mich durch Schmieren wieder in Ordnung zu bringen.‹«
Ich mußte dermaßen lachen, daß ich Album und Zeichenstift beiseite legte und mich auf den Rücken hinwarf. Es war auch unmöglich, darüber nicht zu lachen. Erzsike lachte selbst mit.
»Nun, jetzt kann ja auch ich schon herzlich darüber lachen,« sagte sie. »Aber in meiner damaligen Lage war mir jedes dieser Worte ein Peitschenhieb. Endlich verlor auch ich die Geduld und schrie den Peter wütend an:
»›Ihr seid wohl sicherlich von Bagotay Muki bestochen, Euer Weib zurückzunehmen, das Ihr seinethalben davongejagt habt.‹
»›Ich bitte, sagen Sie nicht, daß er mich bestochen hat. Ich bin ein redlicher Mann. Der gnädige Herr v. Bagotay hat mir zehn junge Ochsen geschenkt, hat mich aber nicht bestochen.‹
»Mir preßten diese Worte das Herz zusammen.
»Zehn junge Ochsen! Für diesen Bauer hatte ich mein ganzes Leben geopfert: die Welt, in der ich bisher gelebt, die Achtung meiner Bekannten, meinen Komfort, meine Ruhe! Ich hatte den ernstlichen Entschluß gefaßt, seinethalben eine Bäuerin zu werden, zu arbeiten, zu entbehren, Not zu leiden, und wenn ich in den Besitz meines Erbteils gelange, ihm alles zu überlassen, ihn zum Herrn zu machen nach seinem Geschmack! Und was thut nun dieser Halunke? Er tauscht mich für zehn junge Ochsen ein!«
Ich beeilte mich, Erzsike aufzuklären, daß in der That zehn junge Ochsen die gesetzlich festgestellte Buße für den Ehebruch seien und daß damit alles wieder beglichen sei. Es heißt im Verböczy: » raptor solvat decem juvencos.« (Der Frauenräuber hat zehn junge Kühe zu bezahlen.)
Erzsike fuhr fort zu erzählen: »Der Peter begann mir nun patriarchalische Ratschläge zu erteilen.
»›Gnädige Frau, ich will Ihnen raten: Kehren Sie zum gnädigen Herrn zurück. Bei meiner Seele! es wird Ihnen gar nichts geschehen. Sage nur, Jutka, ob ich dir das geringste Leid zugefügt habe, als du zurückkehrtest? Auch der gnädige Herr hat den Vorsatz gefaßt, ein Auge zuzudrücken. Wir werden die Sache so betrachten, als hätten wir miteinander gerungen und bald er mich, bald ich ihn zu Boden gehauen. ›Ohrfeige für Ohrfeige geht auf‹ – so schickt es sich unter Kavalieren.‹«
»Gnade!« flehte ich zu Erzsike, »Gnade! Machen Sie mich doch nicht länger lachen, denn ich kann nicht zeichnen.«
»Was giebt es denn da zu lachen?« fragte sie verdrossen. »Mir ist noch heute weinerlich zu Mute, wenn ich daran denke.«
»Nun, das ist es ja eben, worüber ich lache.«
Erzsike aber fuhr fort: »Nun begann wieder die Bäuerin zu mir zu sprechen, was noch ärgerlicher war.
»›Jawohl, schöne, gnädige Frau! respektieren Sie diesen lieben, guten gnädigen Herrn. Ist das ein feiner Herr! Wenn ich meinen Peter nicht hätte!‹ (»Verfluchtes Beest! Das hast du oft genug vergessen!« warf Peter wütend dazwischen.)
»Rede und Widerrede gingen auf das Verlangen hinaus, daß ich meine zurückgelassenen Kleider wieder anziehe und diejenigen der Jutka, die ich unbefugterweise am Leibe trage, zurückstellen möge.
»Dagegen konnte ich nun nichts einwenden; was einem andern gehört, das gehört eben einem anderen. Ich begann denn ohne weiteres in Gegenwart der beiden mich meiner Kleider zu entledigen.
»Da überkam denn die Bäuerin anstatt meiner eine Anwandlung von Scham. ›Gehen wir da hinein in die andere Stube,‹ sprach sie und führte mich hinein. Dort öffnete sie ihren Spind und holte daraus meine Kleider hervor und war mir beim Ankleiden behilflich; dabei ward sie ganz freundlich und zuthunlich, sie fand sich alsbald in den bäuerischen, dienstbotenhaften Schmeichelton hinein. ›O, welch' schöne, schlanke Gestalt! wie schade wäre es, daß ein Bauer dieselbe liebkose! O, welch' schöne, weiße Schultern, wie schade wäre es, dieselben durch das Schleppen schwerer Lasten zu verderben! Und wie die schönen Füßchen vom vielen Gehen aufgedunsen sind! Die früheren Stiefeletten sind nun schier zu klein geworden. Warum haben Sie sich denn auch in der Sache gar so sehr übereilt? Du lieber Gott, wenn gleich jede Dame, die ihren Eheherrn bei einer Untreue ertappt, sich mit dem erstbesten Bauern zusammenthun wollte! Man muß eben die Sache nicht gar so krumm nehmen; ein Mann bleibt ein Mann, besonders wenn er »Kavalier« ist. Ich habe schon Gräfinnen gesehen, deren Eheherren den unrechten Weg gingen. Mein Gott, was kann man von ihnen auch verlangen? »Chokoladekoch« ist doch wohl die köstlichste Speise auf Erden, und doch, wenn man seinem Mann alle Tage Chokoladekoch vorsetzen wollte, so müßte er dieses Leckerbissens bald überdrüssig werden. Meine liebe, teure gnädige Frau, gehen Sie hübsch zu dem braven, gütigen, gnädigen Herrn zurück; Sie werden sehen, wie herzlich Sie von ihm empfangen werden.‹
»Ich erwiderte, daß ich zu meinem Manne nicht mehr zurückkehren könne. Die Schande erpreßte mir bittere Thränen. Die Bäuerin erriet, weshalb ich weinte.
»›Meine liebe, gute, gnädige Frau, weinen Sie doch nicht! Wir alle werden diese kleine › Ferienzeit‹ wegleugnen. Das ist unter uns schon abgemacht. Wir werden vorgeben, daß die gnädige Frau ihren Eheherrn nur ein wenig erschrecken wollte und die ganze Zeit sich beim Herrn Hofrichter verborgen hielt.‹
»›Und der Butterverkauf am Marktplatze? Und die Spaziergänge durchs Wasser?‹
»›Alldies sei nur aus Trotz geschehen, werden wir sagen. Wie könnte denn auch ein ungeschlachter Bauernlümmel, wie mein Mann einer ist, es wagen, seine Augen zu einem so kostbaren Schatze zu erheben? Wer dergleichen Märchen glauben sollte, würde von aller Welt für verrückt gehalten werden. Wir werden die ganze Sache aufs herrlichste ›reparieren‹‹.
»›Auch unser Ehescheidungsprozeß ist schon im Gange.‹
»›Ach, darüber lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen, liebe gnädige Frau. Der gnädige Herr hat seine Instanz wieder zurückgenommen. Meiner Seel' und Gott, ja! Glauben Sie mir, er hat sie zurückgenommen! Der gnädige Herr sagte, er sei in arger Verlegenheit, er habe den Zehent und die anderen grundherrlichen Einkünfte verloren und es mangle ihm nun an Geld. Wohl haben die Herren oben in Pest das ›Morgatorium‹ – oder wie zum Henker das Ding heißen mag – eingeführt, daß man nun die alten Schulden nicht zu bezahlen habe; aber man kann nun auch keine neuen Schulden machen. Wenn der gnädige Herr von seiner Gemahlin geschieden wird, muß er ihr ihr Heiratsgut von hunderttausend Gulden zurückstellen und dann kommt seine ganze Habe unter die Trommel. Jawohl!‹
»Nun ward es allmählich hell in meinem Kopfe. Die schwatzhafte Bäuerin hatte unbewußt das Geheimnis ausgeplaudert, weshalb meine Idylle ein so rasches Ende gefunden. Die Sache war klar wie Zweimalzwei. Man nimmt mich zurück, wie man nach den Ferien den Schüler wieder in die Schule aufnimmt. Aber ich gehe nicht zurück. Nun erst recht nicht!
»Als ich meine frühere Kleidung wieder angelegt hatte, öffnete die Bäuerin die Thür und ich trat wieder in die große Stube. Der Gulyás hatte inzwischen seinen Sonntagsstaat angelegt und stand ganz ehrerbietig vor mir, nach Bauernart den Hut mit beiden Händen haltend. Er war demütig wie ein Knecht, küßte mir die Hand und da erst merkte ich, wie struppig und borstig sein Kinn war. Als er das Wort nahm, klang es wie das Flehen eines Abgebrannten, der um ein Almosen von Thür zu Thür wandert.
»›Ich küsse die Hände, gnädige Frau, und bitte um Verzeihung, wenn ich Sie irgendwie beleidigt hätte; es war nicht mit meinem Willen geschehen. Vergeben Sie mir meine Fehler, es soll nicht wieder vorkommen.‹
»Ich wußte nicht, soll ich lachen, oder soll ich mich ärgern? Der Bauer aber ward immer rührseliger und trocknete sich mit dem weiten Hemdärmel die Augen. Er spielte die reuige Magdalena. An der Thür lehnte ein langer Weidenstab; nach diesem langte der Bauer. Ich sah sein Thun mit Verwunderung und fragte mich, was er mit dem Stab wolle. Will er ihn etwa mir geben, als Stütze auf meiner Wanderschaft?
»›Erlauben Sie, gute, gnädige Frau, daß ich Sie bis zu Ihrem Schlosse begleite, damit Ihnen unterwegs nichts Leides geschehe. Es giebt viele schlechte Menschen, die Schäferhunde sind so wild, auch könnte Sie ein Stier anfallen.‹
»›Ich will aber nicht ins Schloß zurückkehren,‹ sagte ich.
»Der Bauer stand ganz verblüfft da, als er diese Worte hörte.
»›Wohin denn?‹ fragte er endlich.
»›Das ist meine Sache. Es giebt der Wege genug.‹
»Da nahm der Bauer alle seine Weisheit zusammen und begann in salbungsvollem Tone zu predigen, wie ein alttestamentarischer Patriarch.
»›Ach, thun Sie das nicht, liebe, gute gnädige Frau! Betrüben Sie doch nicht unsern gütigen, gnädigen Herrn! Es giebt keinen bessern Menschen in der Welt. Erlauben Sie, daß ich Sie heimbegleite! Nur so von fern, auf zwanzig Schritte!‹
»Ich stampfte ungeduldig mit den Füßen und schrie den Bauern an, sich zu trollen und mir die Bahn freizumachen.
»Da rückte der Peter mit der Farbe heraus: ›Gnädige Frau, das muß nun einmal geschehen. Der gute gnädige Herr hat, als er mir die zehn jungen Ochsen gab, damit ich mein Weib zurücknehme, gesagt: Hör' mal, Gyuricza Peter, wenn du mir auch noch mein Weib aufs Schloß bringst, so soll es mir auf zehn Kälber nicht ankommen.‹«
Die Wälder und Berge widerhallten von meinem Gelächter, das ich nicht zu unterdrücken vermochte.
»Doch nun war mir die Geduld völlig ausgegangen. Sie müssen wissen: wenn man mich in Wut bringt, dann werde ich zu einer Löwin. Ich riß dem Gyuricza Peter die Weidengerte aus der Hand: ›Da hast du, Halunke; da nimm die zehn Kälber!‹ Ich weiß nicht genau, ob der Hiebe nur zehn waren, ich habe sie nicht gezählt. Und dieser große, starke Mensch kehrte mir sogleich den Rücken und rannte in der Stube um den Tisch herum, immer von mir gejagt, als wären wir in der Manege, bis der Stab auf seinem Rücken in Splitter gegangen war. Dabei heulte er wie ein Nilpferd. Die Bäuerin aber hütete sich zu intervenieren. Sie sprang vielmehr auf die Ofenbank und sah mit Ergötzen, daß sich endlich jemand gefunden hatte, der auch ihren Tyrann ordentlich durchzuwalken vermag.
»Wäre ich nur nicht so sehr von der Reise ermüdet gewesen!
»Ich fand erst meine Ruhe wieder, als ich schon draußen auf dem Felde war und der Wind mir die Hitze aus dem Kopfe blies. Diese Idylle war denn zu Ende; aber was soll nun werden?
»Sicher war nur das eine, daß ich zu Bagotay Muki nicht zurückkehre.«
»Aber wohin denn?«
»Ich hatte die schöne Donau vor mir. Der Weg auf dem Damme läuft immer am Strome entlang. Von Zeit zu Zeit lehnte ich mich an eine Weide und betrachtete das große lebende Wasser, aus welchem da und dort ein Fisch mit lautem Plätschern in die Höhe fuhr. Ich fürchte nicht das Wasser, aber ich fürchte die Fische. Ich fand nicht den Mut, mich zu töten. Am liebsten wäre mir gewesen, wenn sich da bewahrheitet hätte, was man, als ich noch Kind war und mich vom Ufer allzukühn zum Wasser hinüberneigte, mir zu sagen pflegte, um mich zu schrecken: »Gieb acht, hinter dir lauert ein Teufel, der dich ins Wasser stoßen kann!« Aber ach, es fand sich kein Teufel. Der Teufel vermag gar nichts mehr. Er kann die Konkurrenz mit den Menschen nicht aufnehmen. Aber ist es auch der Mühe wert, um zwei solcher Männer willen, wie Bagotay Muki und Gyuricza Peter, zur Selbstmörderin zu werden? sich noch nach dem Tode auslachen zu lassen?
»Ich kam endlich auf den Gedanken, zu meiner Mutter heimzukehren. Sie kann mich doch nicht aus ihrem Hause weisen. Möge sie mich strafen, ich will mich ducken, mich demütigen, will ihren Groll über mich ergehen lassen. Sie bleibt doch meine Mutter, ich bin ihr einziges Kind und sie muß mich doch ein wenig lieb haben. Bei einem andern kann ich weder Gnade noch Liebe suchen; bin ich doch mir selbst verhaßt! ... Mit diesem Entschlusse wandte ich meine Schritte nach der Stadt.
»Es war erdrückend heiß; ein starker Südwind wehte so trocken, so heiß, als käme er aus einem glühenden Backofen. Die Sandwolke hüllte die ganze Gegend ein und wenn von Zeit zu Zeit ein Wirbelsturm aufsprang, mußte ich mich an einen Baum klammern, um nicht von dem Damme hinabgeschleudert zu werden. Ich wußte nicht genau, welche Tageszeit es wäre; für mich war es vor Mittag, denn ich hatte an dem Tage noch nichts gegessen. Am Mittagstisch des Gyuricza Peter hatte man vergessen, mich zu einer Schüssel Klöße einzuladen: und doch hätte ich die Einladung angenommen. Um meinen brennenden Durst zu löschen, ging ich einige Male zur Donau hinab und schöpfte mit der hohlen Hand aus dem Strom. Unterwegs fand ich eine Blume, die man ›Käspappel‹ nennt; ich kostete sie, doch war sie ungenießbar. Ich mußte mich beeilen nach der Stadt zu kommen, so sehr ich auch ermüdet war. Ich hätte mich schon mit einem Stück Brot begnügt, wie ich es einst an Freitagen so oft unter die Bettler verteilte.
»Als ich so gegen die Stadt eilte, entstand vor mir plötzlich eine unerklärliche Finsternis am Firmament und als ich die Augen erhob, sah ich mit Entsetzen, daß in der Stadt Feuer ausgebrochen war. Die Feuersbrunst war es, die ihre Rauchwolken mit den Staubwolken des heißen Sommertages mengte.
»Der glühende Samum trieb die schwarzen Rauchwolken nach der Stadt zu. Großer Gott! Die ganze Stadt wird eingeäschert werden!
»Ich begann zu laufen. Ich vergaß, daß ich müde und hungrig sei. Das Entsetzen verlieh mir neue Kräfte. Und je näher ich der Stadt kam, desto mächtiger wurden die emporsteigenden Rauchwolken. Der Rauch war jetzt nicht mehr schwarz, sondern rot; Millionen Feuerfunken stoben empor, einzelne brennende Stücke von Hausdächern flogen umher. Wo ein mit Ziegeln gedecktes Haus in Brand geraten war, dort prasselten gleich den Raketen eines Feuerwerks die glühenden Ziegel umher. Schon stand eine ganze Zeile in Flammen, als ich die Stadt erreichte. Heulende Menschenknäuel, dahinjagende Fuhrwerke, jammernde Weiber, niedergerissene Kinder, dazwischen brüllende Rinder, die vor dem Feuerscheine in die dunklen Ställe zurückstreben: alldies bildete ein unbeschreibliches Wirrsal. Ich bog in eine Seitengasse ab, um nicht niedergetreten zu werden. Ich dachte da leichter zu unserem Hause zu gelangen. Überall begegnete ich wehklagenden Menschen, die ihre Fahrnisse zu bergen suchten; an ein Löschen des Brandes dachte niemand. Gleich einem Platzregen ging die Glutasche in dichten Haufen nieder. Als ich das Haus meiner Mutter erreichte, stand auch dieses schon ganz in Flammen. Es war das höchste in der Gasse. Ein Trupp Honvéd bemühte sich, das Feuer zu löschen. Andere waren in das Haus eingedrungen und warfen die Möbel zu den Fenstern hinaus. Ich sah ein in einen Goldrahmen gefaßtes Bild hinausfliegen; es war das Porträt meines armen, guten Vaters. Ach, wie hatte er mich geliebt! Wäre er nicht gestorben, so wäre aus mir nicht das geworden, was ich heute bin! Ich sah lauter fremde Gesichter; vergebens fragte ich sie, wo meine Mutter sei, sie hörten mich gar nicht. Endlich kam ein höherer Offizier mit einem Silberkragen an der Attila, es mochte ein Major gewesen sein, und schrie die Honvéd an: ›Was löscht ihr da das Feuer? Ist dieses Haus auch wert, daß ihr euch die Mühe gebet? Hier war der Oberst einlogiert, der die Stadt in Brand hat stecken lassen! Geht und schützet das Krankenhaus! Laßt das verdammte Nest niederbrennen!‹
»Ich wußte nicht, ob ich noch bei Verstand sei, oder verrückt geworden? Warum flucht man unserem Hause? Die Honvéd riefen den Namen eines Obersten, der vormals unsere Abendgesellschaften häufig besucht hatte. Wenn man mich hier erkennt, so wirft man am Ende noch mich selbst ins Feuer. Ein Fuhrwerk nach dem andern raste über das am Boden liegende Porträt meines armen Vaters hinweg. Ich konnte selbst dieses nicht retten. Aus meinem stumpfen Brüten riß mich ein aus tausend Kehlen kommender ungeheuerer Weheschrei: ›Jesus Maria, die St. Andreaskirche brennt!‹ Schon stand ein Turm des herrlichen Domes in Flammen; in dem andern klang noch die Sturmglocke. Die Volksmenge riß mich mit sich fort. Alle eilten zur Kirche, um das Gotteshaus zu retten. Es war zu spät. Auch der zweite Turm war in Brand geraten; die Glocke war verstummt, das Dach der Kirche brannte lichterloh. Die schönen Kirchenfahnen, die bei den Fronleichnamsprozessionen von den Zünften mit vielem Pomp umhergetragen wurden, – sie wurden jetzt in halbverbranntem Zustande aus der Kirche gebracht, wo die rettenden Männer Gefahr liefen, unter den niederprasselnden Bränden begraben zu werden. Die Hitze war so entsetzlich, daß man auf dem Marktplatze kaum verbleiben konnte; ›die ganze Stadt ist verloren!‹ riefen die Leute einander zu; ›laßt uns auf die Insel flüchten!‹ Und nun drängte die ganze Menschenmenge durch ein enges Gäßchen nach dem Donauufer. Da erinnerte ich mich, daß wir auf der Insel eine kleine Villa besaßen. (Ach, selige Erinnerung!) Vielleicht werde ich dort meine Mutter finden. Und ich ließ mich von dem Strom mit fortreißen. Als wir zu der auf die Insel führenden Brücke gelangten, konnten wir nicht weiter, weil auf der Brücke die Menge sich staute. Warum kommen die Leute zurück? Weil auch die Brücke schon brannte.
»Es war ein furchtbarer Anblick!
»Die ganze Donauzeile stand in Flammen und auch die zur Insel führende Brücke war schon vom Feuer ergriffen worden. Die Donau rauchte von den brennenden Hölzern, die hineingefallen waren. Getreideschiffe, Schiffmühlen schwammen lichterloh brennend den Strom hinab und stießen so gegen die Eisbrecher. Bei dem Mauthhause hatte ein Trupp Nationalgardisten Aufstellung genommen, um das Volk von der brennenden Brücke abzuhalten. Diese erzählten nun, was geschehen war: Entsetzlicheres als der Brand. Ein kaiserliches Regiment hatte in aller Stille in die Festung einziehen wollen; es hatte schon Totis erreicht. Die Bürger unserer Stadt hatten jedoch von der Sache Wind bekommen und hatten die Schiffbrücke ausgehoben. Darauf hatten die Kaiserlichen aus Rache, weil ihre Kriegslist ihnen nicht gelungen war, die Stadt in Brand gesteckt. Welch ein Fluchen, Lästern und Drohen entstand da in der Menge, als die Geschichte ruchbar wurde! Ich hörte fortwährend einen und denselben Namen nennen, den Namen jenes Obersten, der meine Mutter hatte zur Frau nehmen wollen, wenn die Revolution nicht dazwischen gekommen wäre.«
Ich vermochte im Zeichnen nicht fortzufahren; der Nebel lagerte nicht mehr auf der Landschaft, sondern auf meinen Augen.
Erzsike aber fuhr in ihrer Schreckensgeschichte fort: »Jetzt erdröhnten von der Festung her drei Kanonenschüsse. Vielleicht war es nur ein Signal, wie man es sonst bei Feuersbrünsten zu geben pflegt, um die Truppen zu konsignieren. Doch diesmal ward der Schrecken der Menschenmenge durch die Kanonenschüsse nur noch mehr gesteigert. ›Der Feind stürmt die Festung!‹ Da wandte sich die ganze Menge, die bisher das Donauufer besetzt hatte, zurück nach der brennenden Stadt, durch die in Flammen stehenden Gassen. Und alles schrie: ›Zur Waagdonau, zur Waagdonau!‹ In jener Richtung gab es noch einen Ausweg zur Flucht. Ich kann heute noch nicht begreifen, wie es kam, daß ich nicht zertreten ward. In meinem Entsetzen erfaßte ich den Arm eines Schiffsknechtes und der wackere Bursche, den ich nie in meinem Leben gesehen hatte, gestattete, daß ich mich an ihn klammere, er sprach mir noch Mut zu, ich soll nur nicht wegbleiben, und er zog mich durch die wild drängende Menge mit sich.«
Erzsike mußte in ihrer Erzählung innehalten, so mächtig hatte die Erinnerung an jene Schreckensscenen auf sie eingewirkt. Der kalte Schweiß stand ihr auf den Wangen. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie den Faden ihrer Erzählung wieder aufnehmen konnte.
»Niemals kann ich jenes Tages vergessen. Ein Schrecken tilgte den andern aus meinem Herzen. Der Klang der Sturmglocken ist sonst ein nervenaufregender Ton, ja es hat Stunden gegeben, in welchen mir derselbe wie eine tröstende Stimme aus dem Himmel erschien. In einem Turme klang noch die Glocke, im Turm der Calvinerkirche. Die übrigen Kirchen und Türme standen bereits sämtlich in Flammen. Dieser eine ragte noch unversehrt in die Höhe. Der Wind blies nach der entgegengesetzten Richtung, so daß das Feuer sich nach jenem Stadtteil nicht verbreiten konnte. Alle eilten nach der Richtung der Calvinerkirche. Die in der Nähe der Festung gelegenen Gassen wurden vor der flüchtenden Menge durch Nationalgardisten abgeschlossen. Die einzige Zeile, durch welche man noch zur Waag gelangen konnte, war die Szombati utcza (Sonnabendgasse). Auch diese stand zur Hälfte schon in Flammen, doch von der Stelle angefangen, wo sie von der Nagy-Mihálygasse gekreuzt wird, blieb sie unversehrt. Ihr Elternhaus war das letzte, über welches hinaus das Feuer sich nicht weiter verbreitete. Das gegenüberstehende kleine Haus, ein Gasthof, brannte bis auf den Grund nieder. – Ach, das liebe, mir so wohl bekannte Häuschen, mit dem kühlen Flur und den roten Marmorsäulen im Vorhause, auf deren eisernen Querstäben Sie mir so oft Ihre Akrobatenkünste produziert haben! Mir kam der Gedanke, in meiner großen Bedrängnis dort Zuflucht zu suchen. Einst war ich dort ein gern gesehener Gast. Mir zuliebe öffnete Ihre Mutter sogar ein Glas eingesottenen Obstes. Allerdings hatte ich mich gegen dieses Haus arg versündigt, was mir jene alte Frau auch vorgeworfen hat. Ich hatte ihren Sohn ausgelacht, und mit diesem Lachen ihn in die Welt hinausgejagt. Doch in der Stunde großen Unglücks vergißt man den Groll. Ich war entschlossen, bei Ihrer Mutter Zuflucht zu suchen. Dieser Gedanke tauchte in mir auf, als ich Ihr Elternhaus erblickte. Ach, diese Scene ist wieder eine solche, die ich niemals in meinem Leben vergessen werde. Die gute alte Dame stand an der Schwelle der Hausthür in jenem braunen Kleide und jener, mit einer Krause besetzten Haube, in der Sie sie gemalt haben. Wenn sie einen von den Fliehenden erkannte, hielt sie ihn an und fragte: ›Hat niemand meinen Sohn gesehen?‹ – und als sie zur Antwort erhielt: ›Nein, wir haben ihn nicht gesehen,‹ da rang sie die Hände und schluchzte bitterlich: ›O Gott, mein gütiger Vater, warum ist denn mein Sohn nicht da?‹«
»Ach, was ist mir so plötzlich in die Augen gefahren?«
Erzsike aber fuhr fort: »Als ich die Stimme Ihrer Mutter hörte, ergriff mich neues Entsetzen. Ich hatte vergessen, daß Sie noch einen älteren Bruder haben, der im Rathause das Amt eines Waisenvaters bekleidete. Dieser mußte jetzt auf dem Rathause ausharren, und während ihm das Dach über dem Kopfe brannte, das Gut der Waisen zu bergen suchen. Ich fand nicht den Mut, meinen Weg auf jener Seite der Gasse fortzusetzen, sondern ging auf die andere Seite hinüber. Wie, wenn sie auch mich faßt und zur Rede stellt: ›Wo hast du meinen Sohn hingethan? Wenn deine verdammten, die Farbe wechselnden Augen nicht wären, dann wäre mein Sohn jetzt hier an meiner Seite und ich wäre nicht allein und verlassen!‹ Ich wagte es nicht, ihr unter die Augen zu treten; lieber will ich die grollenden Blicke meiner Mutter ertragen, als die thränenfeuchten Augen Ihrer Mutter auf mich gerichtet sehen. Ich bedeckte mein Antlitz mit beiden Händen und lief so an ihr vorbei.«
Sie vermochte nicht weiter zu erzählen, sondern legte ihren Kopf in meinen Schoß und weinte bitterlich; und diese Thränen waren aufrichtig gemeint ...
»Ach, ach! was der Hauch eines Gelächters hinwegweht, vermag eine Flut von Thränen nicht wiederzubringen!«