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Ein klarer Oktobervormittag. Die Sonne scheint einer Gruppe gelber Birken gerade ins Gesicht, sie lächeln geblendet, schütteln fast unmerklich die Köpfe. Der Wind streicht niedrig durch den Wald. Hoch oben im Blauen über den Baumkronen segeln zwei Habichte mit Sonnenschein unter den Flügeln.
Es steht eine Espe im Walde, ein großer, herrlicher Baum im schönsten Wachstum – hört, wie sie im Winde mit den lebensvollen Blättern spielt, wie klug sie plaudert, hört, wie sie mit geheimnisvoller Wonne lacht, wenn der Wind sie im Nacken packt. Sie schüttelt sich vor Freude in all ihrer Herbstpracht, und die Birken, ihre Kusinen, bewegen zitternd die Blätter und lächeln der Sonne zu. Der ganze Wald bebt vor stummem Glück. Überall wohin ich sehe, sinken gelbe Blätter in übermütigen Schnörkeln und Kapriolen zur Erde.
Die Hunde sind im Walde losgelassen worden, aber sie sind so weit fort, daß ich sie nicht mehr hören kann. Die kalte Luft im Walde verbindet sich mit dem großen Sausen zwischen den Bäumen, das von weither kommt. Es vergeht eine Stunde, zwei Stunden, und ich stehe festgewachsen wie ein Baum und gedeihe, und vertiefe mich in ein Problem, in das der Zeit, und schließlich schüttle auch ich den Kopf und verliere meine Blätter und lächele der Sonne in froher Torheit zu. Na ja, die Zeit, seufze ich – jetzt hat die Erde sich ungefähr dreißig Grad gedreht, und näher wird man dem Problem wohl niemals kommen. Wie ich hier stehe, kann ich sehen, daß die Erde sich dreht, der Tag geht zur Neige, und das Sausen über meinem Kopf bedeutet mehr als Wind, es ist die Ewigkeit. Hört, wie ich im Winde spiele und sterbe.
Rings um mich her saust es innig aus dem nordischen, bunten Wald, Tannen, Birken, Fichten, Wachholder, bunt durcheinander. Alle Bäume sehen so aufrichtig aus, sie haben nichts Merkwürdiges an sich. Zu meinen Füßen rollen sich die verwelkten Farne; in ihnen ist kein Leben mehr, aber unten in der Wurzel sitzt die behaarte Spirale, die sich zum nächsten Jahr, wenn die Erde wieder zurückgewalzt ist, aufrollen soll.
Ja, und die Zeit vergeht, still, sicher. Und das ist gut so. Die weißen Stämme der Birken leuchten wie fossile Glieder in der kalten Sonne. Oben unter dem hellblauen Himmel steht eine Herde Federwölkchen, die sich nicht vom Fleck zu rühren scheinen; wenn man aber nach einer Weile wieder hinsieht, sind sie dennoch weitergekommen. Tief unter ihnen, und doch sehr hoch oben, ziehen schwangere Haufenwolken hastig mit dem Wind davon; der Himmel gleicht einer mächtigen Uhr, mit einem großen und einem kleinen Zeiger. Und die Zeit vergeht.
Hört, wie es im Walde saust, nachdenklich, bald lauter, bald leiser. Jetzt verhallen die Seufzer des Waldes, jetzt heben sie sich von neuem, kommen von weither und verlieren sich in der Ferne. Der Himmel erweitert sich gegen Mittag. Das Laub fällt und sinkt kopfschüttelnd und zufrieden zur Erde, jedes Blatt auf eine bestimmte Stelle, die ihm seit dem Frühjahr, als es sich entfaltete, bestimmt gewesen zu sein scheint. Das ist nicht schwer. Die moosbewachsenen Felsen erheben sich aus dem Waldboden, als gäbe es keine glücklichere Wahrheit, als aus Stein zu sein, mit Moos auf dem Buckel. – Hört, wie die Espe plaudert!
Hört, was der hohe, zierliche Baum im Winde sagt, es kommt wie ein regnender und säender Laut aus der ganzen Krone. Seht, wie die Blätter sich umdrehen und wie kleine Totenhände winken, bevor sie abfallen. Kein Laut ist mir so lieb wie dieser, kein Psalm erzählt mir freundlicher, daß das Leben kurz und die Erde gut ist. Ich kenne keinen innigeren Ton, er ist erfüllt von der großen Pause meiner Kindheit. In meiner Heimat gab es keinen Wald, nur weit draußen in den Sümpfen einer Insel standen einige Zwergespen zwischen den Fuchsbauten, kaum einen Meter hoch und mit Blättern so groß wie Schillinge. Das waren die jahrhundertalten Wurzelschößlinge der jütländischen Urzeitwälder – wenn man sich zwischen ihnen auf den Rücken legte, deckten sie einem gerade den Kopf und lullten einen mit ihrem seltsamen Geplauder ein. Von den verkrüppelten Zitterespen auf der Insel, bis zu dem jungen, schlanken Baum hier, der so kräftig spricht, zieht sich ein einziger, langer Ton ... aber ich will ein andermal erzählen, was die Espe sagte.
Das Unterholz, wo ich stehe, ist voll von Preiselbeergestrüpp, an dem die reifen Beeren hängen, die betaut und vom Nachtfrost bereits fade im Geschmack geworden sind. Wenn man viele von den feinen, bitteren Beeren ißt, kann man wie berauscht werden, oktobertrunken, man kann nicht genug bekommen, schließlich liegt man auf allen Vieren und ißt Beeren, als gäbe es nichts weiter in der Welt. Auf diese Weise soll man den Bären nah kommen können. In meinem Fall hatte es zur Folge, daß ein Wild an mir vorbeischlich, welcher Art es auch gewesen sein mochte.
Ich merkte es dadurch, daß Pila plötzlich aus dem Gebüsch auftauchte und an mir vorbeistrich, ganz still, die Nase auf einer Fährte. Sie glich selbst einem gejagten Tier im Walde, wie sie da vorbeischlich, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Weit vor ihr mußte also irgend etwas sein, das lautlos meinen Weg gekreuzt, ohne daß ich es geahnt hatte. So ist der Wald.
Später bellten Krut, Pila und Lillan in einem mörderischen Chor tief drinnen im Wald, und mehrere Schüsse erzählten mir, daß mein Jagdgefährte Bescheid tat. Ich löste keinen Schuß den ganzen Vormittag.
Auf dem Rückweg aber schoß ich unerwartet einen Fuchs.
Die Sache ging so zu, daß ich plötzlich Krut, Pila und Lillan in ein einstimmiges, erbittertes Geheul ausbrechen hörte, als würde ihnen ein Übermaß von Kränkung geboten, ein Schuß fiel, und mein Freund rief laut aus einiger Entfernung zwischen den Bäumen. Fast im selben Augenblick sah ich einen roten Strahl zwischen dem Unterholz und schoß, so daß Reineke wie in einem Gelee seines eigenen zottigen Körpers zusammenrollte und liegen blieb.
Einen Fuchs weniger, dachte ich. Jetzt wird der Hase froh. Heute abend gibt's gewiß ein großes Freudenfest vom ganzen Stamm Lampe vor Reinekes öder Höhle!
Wie erstaunt wurde ich deshalb, als ein alter, ehrwürdiger Hase aus den Büschen trat, während ich noch stand und den leblosen Reineke betrachtete, und mir mit dem Ausdruck tiefster Entrüstung meine barbarische Handlung vorzuwerfen begann. Ob ich nicht wüßte, daß das roh sei! Ob es mir nicht bekannt wäre, daß er Vorsitzender einer Organisation zur Aufrechterhaltung des Friedens sei, die neulich durch Abstimmung eine große Mehrheit zur Abschaffung aller blutigen Handlungen ergeben habe! Er war zornig, wirkte fast erhaben in seiner Entrüstung, hatte alle Furcht vergessen, schlug heftig mit der einen Pfote auf seine ergraute Brust und streckte die andere prophezeiend gen Himmel. Er sah sich nach einer Rednertribüne um, und da kein Katheder in der Nähe war, bestieg er kurzsichtig und ohne Leichenfurcht den toten Körper des Fuchses, wobei er seine Stimme noch mehr erhob. Das Metall der Strafpredigt verwandelte den Wald zu einem Tempel, mehrere Hasen tauchten aus den Büschen auf und versammelten sich in gewohnter Majorität um den Redner, bald waren sie alle da, tausend Bürger, alle ganz Ohr, und ich begann meine Tat zu bereuen. Es ist eine eigene Sache, bei einer öffentlichen Gebetversammlung mit seiner Lebensanschauung allein dazustehen.
Da plötzlich wurde der Fuchs wieder lebendig, was so ein Luder ja gewöhnlich zu tun pflegt! Der Teufel holte den alten Hasen. Die ganze Generalversammlung wurde wie durch Dynamit versprengt.
Aber auch der Fuchs räumte das Feld. Er hatte einen Schuß in den Hals bekommen, und seine ganze eine Seite war gelähmt, aber es war erstaunlich, wie er trotzdem davonhinken konnte, es war mir nicht möglich, ihm recht lange zu folgen. Krut, Pila, Pila, Lillan, Krut, schrie ich, während ich rannte, und im nächsten Augenblick kam mein Jagdgefährte in vollem Galopp und blies ins Jägerhorn, um die Hunde herbeizurufen. Sie kamen, schweigend und mit gesträubtem Fell, mit fletschenden Zähnen, die Augen wie Höllenlöcher, und wir Fünf vollbrachten dann den Mord.
Aber es war kein leichtes Spiel für die drei grimmigen Biester, dem Verwandten den Garaus zu machen, den sie mit einer ganz mystischen Wut zu hassen schienen. Trotz seiner Gelähmtheit und mit der Blindheit des Todes bereits vor Augen, begegnete er ihnen wie ein Rad von Zähnen. Es war ein völlig erwachsenes, hübsches Männchen, er wehrte sich mit einem Schlund von blühenden Zähnen, kämpfte, solange noch Atem in ihm war, und sogar ein gutes Stück in den letzten Nebel hinein. Sie wälzten sich in einem geifernden, wild tanzenden Ring, auf und nieder, hin und her, der Wald hallte von Gekläff und Zähneknirschen wieder, hu, hei, das konnte man wahrlich einen Familienstreit nennen. Wie erging es Pila! Sie wurde gebissen, man höre, schändlich gebissen, der Fuchs nahm einen günstigen Augenblick wahr und schloß seine langen, scharfen Kiefer um ihre eine Pfote, biß zu, ja, ja, biß ein Wesen weiblichen Geschlechts bis auf die Knochen! Pila kannte keine Grenzen für ihre Empörung, sie heulte entsetzlich. Daß jemand es wagte sie zu beißen, sie, die nur ein wenig auf der Kehle des Fuchses gekaut hatte, und noch dazu gegen jede Regel in die Pfote, wo es doch so schrecklich weh tut ... da sollte doch gleich ... und Pila beißt sich in heiliger Raserei in das Maul des Fuchses fest, er erwidert den Biß – und in diesem reißenden Todeskuß wird er still, der seltsame, milchblaue Schatten, der sich schon lange in den gelben Augensteinen gesammelt hat, verdichtet sich und schließt den Blick, er ist bereits seit mehreren Minuten tot und jenseits von allem Kampf, als es uns endlich glückt, die Hunde von seinem Körper loszuzerren.
Als wir ihm aber das Fell abzogen und ich sah, wie fehlerfrei er war, das Fleisch regenbogenfarbig vor lauter Stärke, da sang ich ein Lied:
Dein Balg, Bruder,
Fällt dem Kürschner anheim;
Die Tapferkeit deiner blinden Seele
Vergißt man nicht im Walde.