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Der Monsun

Elof Månson stammte aus Westgotland und war Cowboy in Texas. Unter seinen Kameraden wurde er »der Monsun« (the Monsoon) genannt, wahrscheinlich hatte irgendein Kollege, der Seemann gewesen war oder Witz hatte, oder gar nicht wußte, was er sagte, dieses Wort einst von seinem Namen abgeleitet. Aber es paßte gut zu ihm. Er wehte heftig, aber immer aus verschiedenen Windrichtungen.

In seiner Jugend war Månson wie so viele andere »Schweden« übers Meer gezogen, um einst zur Heimat zurückzukehren. Das war sein ausdrückliches Vorhaben, wohlgemerkt aber mit dem Zusatz, daß er, der arm wie ein Steinzeitmensch in die Welt zog, möglichst mit allen Schätzen Kaliforniens beladen in sein Heimatdorf zurückkehren wolle. Es erging ihm wie so vielen anderen, er wurde genau das, was man in Amerika mit gemischtem Respekt unter einem Swede versteht, ein ausgezeichneter Arbeiter, aber unbeständig. Er hatte alles probiert, bis er schließlich als Cowboy endigte, eine Beschäftigung, die seinem Geschmack in ihrer ganzen abenteuerlichen Vorläufigkeit so sehr entsprach, daß er nie weiterkam, obgleich er immer in vollem Galopp dahinsprengte.

Von dem langen, sommersprossigen Bauernburschen mit den zu kurzen Jackenärmeln, der sich an Bord eines Auswandererschiffes mit seinem Bündel herumdrückte, linkisch bis zur Lähmung und stumm wie ein Opferlamm, war nicht mehr viel übrig; »der Monsun« war ein Cowboy wie Cowboys zu sein pflegen, gewandt, die Kehle stets zum Schreien bereit, blitzschnell, gewaltsam; das abhärtende Leben auf den Herdenstrecken mit den endlosen Meilen nach allen Seiten hatte seine physischen Kräfte und seine Sinne zu der höchsten Fähigkeit entwickelt. Es ist unmöglich, eine Vorstellung von seiner Abgehärtetheit zu geben und von der körperlichen Verfeinerung, dem Spürgenie, das er bei seiner Arbeit zwischen dem halbwilden Vieh, immer unter freiem Himmel, entfaltete; man muß einen Cowboy in Funktion gesehen haben, um zu begreifen, wie weit praktische Körperübung getrieben werden kann. »Der Monsun«, der ungefähr zwanzig Jahre in Amerika verbracht hatte, im übrigen aber ohne Alter war, glich einem Skelett, das an allen Gliedern mit Muskeltauen umschnürt war, und seine inwendigen Teile hielten einer jeden Prüfung stand, er wog keine zweihundert Pfund und konnte einen Ochsen zu Fall bringen. An der Hüfte hing ihm ein Revolver, aber er hatte nie Verwendung dafür, denn kein Mann in Amerika, und war er noch so glänzend ausgerüstet und hochmütig im Gefühl seiner Kraft, dachte daran, dem sehnigen und resoluten Schweden zu nah zu kommen. Auf diese Weise hatte »der Monsun« also alles erreicht, was ein Mann in Amerika oder sonst irgendwo in der Welt erreichen kann. Aber dennoch war und blieb er derselbe wie damals, als er auswanderte. Er war jeden Tag auf Reisen, wollte nach Schweden zurückkehren, wie er sagte, sobald er das Vermögen gewonnen hatte, das in der Luft lag.

»Der Monsun« spielte. Er war in allen Wirtshäusern von Galveston bis Kansas City als Gambler bekannt und geschätzt, denn er verlor ebenso regelmäßig, wie eine Sanduhr abläuft. Er verdiente viel, solch Eisen wie er war, erhielt schon längst den höchsten Lohn, der ebensoviel im Monat betrug, wie ein Gut in Schweden im ganzen Jahr einbrachte, und dabei verbrauchte »der Monsun« keinen Cent, solange er mit dem Vieh draußen auf den Prärien lag, was sich meistens von Wochen bis zu einem Vierteljahr hinziehen konnte. Kam er dann aber zu einem bewohnten Ort, wo sich auch nur die leiseste Andeutung von einem saloon befand, wo vier Leute gerade um ein Faß sitzen und die Ellenbogen zu Poker bewegen konnten, ja, dann wurde »der Monsun« zu einem Orkan. Die Zivilisation, selbst in ihrer primitivsten Form ergriff den starken Schweden wie ein rasendes Fieber, bei dem er sich aber gar nicht amüsierte, sondern nur aufbrannte. Zuerst zechte er kalten Blutes unter lautem Gebrüll, streute barsch mit Geld und Gastfreiheit um sich, und in diesem Stadium erinnerte er an einen dieser dornigen, langsamen Kakteen, die, an Trockenheit gewöhnt, endlich einmal in eine wilde Blume ohne Duft ausspringen; wenn er dann aber genügend erhitzt worden war, befiel das Heimweh ihn wie eine verzweifelte Inspiration – jetzt, jetzt sollte es sein, Schweden und der Grund weshalb er lebte, waren wie mit großen Flügelschlägen über seinem Haupte zu spüren – und her mit den Kurten, damn your eyes! Einige Stunden später war der Schwede blank und konnte hinausreiten und sich wieder einige Monate lang zwischen seinen Kühen abkühlen.

Er nahm es jedesmal mit Fassung hin, sah ohne Protest sein Vermögen in anderer Leute Taschen wandern. Das einzige, was man ihm anmerken konnte, war, daß er nach und nach nüchtern wurde, wieviel er sich auch zu Gemüte geführt hatte. Wenn er fertig war, seufzte er und sah sich mit traurigen, verdummten Augen um, erinnerte an den schwedischen Bauernjungen von damals, aber es trat auch ein weher Zug um seine Mundwinkel, an dem man sehen konnte, daß er im Begriff war, ein alter Mann zu werden. Es kam vor, daß er sich nach einem solchen glückverlassenen Spiel hinsetzte und weinte. Die Kameraden mißverstanden ihn nicht. Sie kannten ihn als einen Mann ohne Munterkeit, er lachte nie, und darum mußte sein Gram andere Gründe haben, als den Verlust eines vierteljährlichen Lohnes. Der Monsun weinte auch gar nicht über das Geld, sondern über die Erinnerungen, Westgotland, das so nah gewesen und wieder hoffnungslos entschwunden war.

Im Grunde machte sein Schicksal ihn nicht sonderlich bemerkbar zwischen den anderen Cowboys und Schweden, deren Leben meistens sinnlos und malerisch zu verlaufen pflegt; einmal aber ereignete sich doch etwas Besonderes, das ihn über das gewöhnliche Niveau emporhob und auf häßliche Weise bloßlegte, was die Natur mit ihm vorhatte; das war damals, als er den Bisonstier fing.

Einige Hirten, die Streifzüge nach fortgelaufenem Vieh gemacht hatten, kamen aus einer entlegenen und wilden Berggegend hoch oben bei den Rocky Mountains zurück und berichteten, daß sie einen mächtigen alten Bisonstier gesehen hätten, der ganz allein oben in den Bergen wandere. Nun ist der Büffel, mit Ausnahme einer kleinen Schar im Yellowstone Park, in ganz Amerika total ausgerottet, deshalb erweckte es nicht wenig Aufsehen, daß ein alter Stier, wahrscheinlich der letzte einer versprengten, vergessenen Schar, noch wie in den alten, großen Indianerzeiten frei umherging. Die Cowboys sprachen davon an den Stationen und dadurch kam das Gerücht in die Zeitungen und bald verlautete es, daß ein reicher Mann in Kansas City demjenigen 5000 Dollars geboten hätte, der das Tier lebend zur Stadt bringen würde. Das war viel Geld. Kuhhirten, Jäger und Leute, die sich auch nur des allergewöhnlichsten Verstandes zu rühmen vermochten, lachten höhnisch, wenn sie am Schenktisch standen und das Gespräch auf den Stier kam – wollte der Millionär in Kansas City sich über sie lustig machen? Den Stier aufsuchen und niederschießen, das war an sich ein Stück Arbeit, den Körper zu frachten, war eine Unmöglichkeit. Aber den Stier lebend zu holen – Blödsinn eines Stadtmenschen!

»Der Monsun« holte ihn.

 

Sobald der Schwede von dem Angebot des Millionärs gehört hatte, war es ihm klar, daß das eine Chance für ihn sei; bares Geld mit einem Schlage, das war der gerade Weg nach Schweden! Und nachdem er sich volle Gewißheit von der Echtheit des Angebots verschafft hatte, nahm der Monsun sich Urlaub von seiner Ranch und begab sich ganz allein in die Berge hinauf.

Die Expedition nahm mit der Hinreise und dem Einfangen des Stieres alles in allem einen Monat in Anspruch, und in dieser Zeit ertrug er größere Entbehrungen und Überanstrengungen, als sich beschreiben läßt; vielleicht war er der einzige Mensch, der Kräfte genug hatte, dieses Vorhaben auszuhalten und Halsstarrigkeit genug, es durchzuführen. Man hatte ihn und den Stier fast vergessen, als er eines Tages auf einer Station in der Nähe von Fort Worth erschien, mager wie eine Egge und fast von Verstand vor Strapazen und Mangel an Schlaf. Er mietete einen Wagen und Mannschaft und holte den Stier, der einige Meilen von der Station gebunden lag. Wie in aller Welt war die Sache nur zugegangen?

Ja, die Einzelheiten der Geschichte wurden nie recht aufgeklärt, denn der Monsun war kein Mann von vielen Worten. Wenn er mal was erzählte, so geschah es mit einer Knappheit, die ihm jedoch selbst vollständig erschöpfend schien, so auch in diesem Fall, wo er sich mit der Erklärung begnügte, daß er die Bestie also gefangen habe, wie Figura zeige. I got him. Das war seine ganze Beschreibung. Die anderen Hirten aber, Kenner die das Resultat sahen, starrten den Schweden kopfschüttelnd an und konnten nichts weiter äußern als die leisen Laute, die sich von selbst aus der Kehle drängen, wenn man tief ergriffen dem Außergewöhnlichen gegenübersteht.

»Der Monsun« hatte nur Augen für die 5000 Dollars gehabt, mit ihrem Ausblick auf Schweden, das wie eine Vision im Hintergrund erschien und ihn vor Energie toll machte. Und etwas anderes war ihm jetzt, da er den Stier hatte, auch gar nicht bewußt.

Trotzdem darf man aber wohl den Versuch machen, sich in die Einzelheiten der herkulischen Tat des Schweden hineinzudenken. Zuerst hatte er den Stier aufgesucht, was kein Ferienausflug war. Selbst nach der genauesten Beschreibung der Hirten, die den Stier gesehen hatten, war das Auffinden desselben noch genau so schwierig wie das Suchen nach einem Taschenmesser in einem Heuschober. Nachdem er den Stier gefunden, hatte er ihn ge-roped, ihm den Lasso um die Hörner geworfen, und nun stand er vor der unmöglichen Aufgabe, das gigantische wilde Tier viele Tagereisen von den Bergen zur nächsten Station zu leiten. Er hatte es hier nicht mit einem Stück Vieh zu tun, das trotz seines halbwilden Zustandes den Lasso kennt und Respekt davor hat, und das trotzdem sowohl dem Hirten wie dem Pferd noch genug zu schaffen machen kann; er hatte es mit einem alten wütenden Büffel zu tun, der niemals die Nähe eines Menschen und Eingriffe in sein Selbstbestimmungsrecht geschmeckt hatte, es war der König der Ochsen in höchsteigener Person, den er mit einer Schlinge um die Hörner zur gefälligen Gefolgschaft eingeladen hatte, es war seine Majestät der große Büffel, auf dessen Rücken sich die Stärke und der Galopp von zehntausend Generationen zu einem Buckel aufgetürmt hatten, so daß er sich wahrhaftig selbst an Größe überragte. Mit ihm hatte der Schwede eine gewisse spannende Verbindung etabliert, indem er ein unzerreißbares Tau zwischen dem Sattelknopf des Pferdes und dem Horn des Stieres befestigte. Der Schwede ritt ein zähes Pferd, einen unermüdlichen Gaul, aus Sehnen und Feuerstein gemacht, und diese beiden, die sich zu einem vielgliedrigen Springwesen vereinigten, von dem verstrickende Fangleinen ausgingen, begannen also den großen Einsamen zu ärgern. Man konnte sehen, wie der behaarte Vater Buffalo, der König der Ochsen, sich drohend vor dem Reiter zum Sprunge duckte und mit dem Maul auf dem Erdboden dem schußähnlichen Schnauben Luft machte, das besagen sollte: jetzt komme ich.

Und dann beginnt das Duell. Bald ist es König Buffalo, der in sehr gekränkter Majestät in donnerndem Galopp und mit Gebrüll wie Bombenkrachen hinter Mann und Pferd herjagt, bald ist es der sprühende Mustang, der die Erde mit den Hufen zerreißt, und der stumme Reiter, die zusammen den Stier verfolgen und jagen, oder an dem schneidenden Tau zerren – auf keiner Seite wird Pardon gegeben – aber wie es auch zugeht, der unermüdliche Teufel auf dem Pferderücken versteht es, den Büffel stets in diejenige Richtung zu narren, in die er ihn haben will. Es vergehen Tage und Gott weiß wie viele Meilen, wo König Buffalo in mörderischer Einfalt den Reiter aus seinem Reich hinauszujagen meint, immer hinter ihm her, und statt dessen ist der Reiter auf dem Pferde nur darauf bedacht, so schnell zu reiten, daß der Lasso einigermaßen gestreckt bleibt, während sie sich in gerader Linie den bewohnten Gegenden nähern, wohin er den Stier locken will. Zu anderen Zeiten, wenn es dem Stier behagt, seine königliche Unverletzlichkeit beiseite zu setzen, und nur wie ein geplagtes und verzweifeltes Tier durch Flucht einen Abstand zwischen sich und seinen Plagegeist zu legen versucht, richtet der Reiter es auch so ein, daß die Flucht den Büffel geradeswegs zu Zivilisation und Gefangenschaft, statt in das Versteck der Urnatur führt. Des Nachts gibt er dem Büffel die Freiheit, notabene mit einem schweren Stein an der Leine, die um die Vorderbeine verwickelt ist, und er selbst schläft auf der Erde in einer Decke am Feuer, wo er den ewigen Speck mit Bohnen geröstet hat, während der Mustang mit bösem Grinsen in der Dunkelheit Dornenbüsche kaut.

Tags darauf weiter. Neue Scheingefechte. Neue majestätische Mordversuche von seiten des Büffels und neuer Rückzug des Reiters über Hals und Kopf, was abermals einige Meilen näher zum Ziele führt. Da reißt der Lasso, und der Stier geht seines Weges, duckt sich in einem getrosten Galopp heimwärts, und der Reiter muß hinter ihm her, tagelang, bis er von neuem den Zauberring gebrochen hat, den Kraft und Schnelligkeit um den Stier legt, und er ihn von neuem an der Leine hat. Und dann das Verlorene wieder eingewinnen. Und weiter. Und die Nahrungsmittel werden knapp und er muß sich auf karge Ration setzen, oft kein Trinkwasser und des Nachts friert es, und die Kraft des Pferdes geht zu Ende, obgleich man meinen sollte, daß er das unsterbliche Höllenpferd reitet, mit einer Flamme aus dem Halse und mit Gelenken, die Funken sprühen – ja, und dann kommt wirklich der Tag, an dem er die Station sehen kann! Ihm ist, als seien Jahrhunderte vergangen, seit er auszog, um die Jagd zu beginnen, und so ist es auch, denn er hat den ganzen Weg zurückgelegt, auf den der Mensch in seinem siegreichen Kampf gegen das Tier und die Natur zurückblicken kann!

Der Büffelstier konnte die Station aber auch sehen! Und damit sagte er stopp! Keinen Schritt weiter – nein, er dankte vielmals. »Der Monsun« quälte sich einen Tag lang mit ihm ab, aber er wollte sich weder narren noch vorwärtstreiben lassen. Da band der Schwede ihn, ritt in einem letzten teutonischen Rasen um ihn herum, haßerfüllt wegen all der Mühe, die seine Wildheit und Stupidität ihn gekostet hatte, und er spann ihn so vollständig in seine Lederriemen ein, daß er umfiel und sich nicht von der Stelle zu rühren vermochte. Und dann fort nach einem Wagen und Menschen zum Helfen.

Sie mußten an Ort und Stelle einen Kran bauen, um das gebundene, gewaltige Tier auf den Blockwagen zu heben.

Und als sie spät abends mit dem Stier zur Station kamen, wo er mit der Eisenbahn weitergeschafft werden sollte, kam ein Mann mit einer Blendlaterne heraus, um den Stier zu betrachten, und in dem Augenblick, als das Licht ihm in die Augen fiel, streckte er sich mit einer ungeheuren, krampfartigen Anspannung, sprengte die Verschnürungen und war tot.

War das nicht seltsam?

Da aber lachte der Schwede. Es war das erste Mal, daß jemand ihn lachen sah. Es kleidete ihn nicht. Und jedesmal, wenn er später die Geschichte erzählte, die in seinem Munde sehr kurz wurde – I got him, and then he died – lachte er reichlich, und etwas, wie das Zittern eines alten Mannes überfiel seine Glieder. Westgotland hat er nie wiedergesehen.


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