Wilhelm Jensen
Dietwald Werneken
Wilhelm Jensen

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Achtes Kapitel.

Und ohne das Pendelticken einer Uhr, die noch niemand zu Nowgorod kannte, hatte die Zeit wieder den Winter durchmessen. Als goldener Zeiger deutete die Sonne im Blau das Vorgerücktsein der Monate bis zum Mai, da begab sich eines Nachmittags Unerwartetes. Der Hufschlag mehrerer Reiter erscholl durch die schneebefreite Gasse und hielt vor dem gotischen Kaufhof an. Im vordersten erkannte Dietwald Werneken das Gesicht eines der livländischen Knechte, die ihn vor bald zwei Jahren hierher geleitet. Sie brachten einen Brief Herrn Goswin Wulflams, der von Sorge über das Ausbleiben jeder Kundschaft aus Naugard gefaßt worden. Außerdem fügte er ein Schreiben hinzu, das aus Lübeck für Dietwald zu Dorpat eingegangen. Er bat dringend um mitteilsame Benachrichtigung über das Wohlbefinden seines ehemaligen Gastes, sonst aber redete aus der Schrift des alten Herrn keinerlei schwermütige Stimmung, wie sie zumeist in der mündlichen Zwiesprache von seinen Lippen geflossen. Mit gar freudigen Worten gab er vielmehr kund, daß schon seit langer Zeit sein häuslicher Zustand eine Umwandlung erfahren, wie er sie nicht mehr zu erleben erhofft. Die entstamme von seiner Nichte her, bei der er kaum zu glauben vermöge, sie sei noch des nämlichen Blutes aus früheren Tagen, da sie nicht mehr als eine kaltsinnige Fremde abgetrennt unter seinem Dach wohne, sondern ihm wie eine leibliche Tochter im Hause geworden, daß ein warmer Sonnenschein dies anfülle und ihn den Frost seines hohen Alters nicht mehr empfinden lasse. Ihm sei aber kein Zweifel, wem er für diese wundersame tröstliche Besserung Dank schulde, denn so kurz leider nur das Verweilen Dietwalds bei ihm gewesen, habe es doch eine herrliche Saat gestreut, die vom Tage seines Fortzuges aufgegangen und immer voller gediehen. Und er halte auch dafür, wenn der Urheber dieser Verwandlung Folkas zurückkomme, werde er wohl selber die Überzeugung gewinnen, daß er sich in dem Glauben getäuscht, er hinterlasse nur bei dem Schreiber dieses Briefes allein ein freundliches Gedenken. Wenn dem letztern beschieden sei, noch mit Augen zu gewahren, daß auch Dietwald etwa einer andern Täuschung in sich selber von damals inne werde, da gehe er mit Freudigkeit aus einer Welt, welche keine Aussicht auf anderes mehr belasse, als auf das still-genügsame, allen Hoffnungen nach außen abgewandte Glück von Menschen in der Beschränkung des eigenen arbeitsam und traulich befriedigenden Hauses.

Mancherlei anderes fügte das Schreiben Goswin Wulflams noch hinzu; mit sinnendem Blick und lebhaft klopfendem Herzen las der junge Kaufmann die Schrift zum andernmal. Dann begab er sich eifrig an ein Werk, dessen Ausführung ihm die unerwartete Ankunft der Knechte ermöglichte. Schon oft hatte er mit kaufmännisch besorgten Augen die im Lagerräum angehäuften Pelze bemessen, nun bot sich ihm plötzlich erwünschteste Fortschaffungsgelegenheit zu ihrer Verwertung, und emsig sonderte er die kostbarsten in wohlverwahrte, für Pferde tragbare Ballen zusammen, um sie den Rückkehrenden nach Dorpat mitzugeben. So ward es später Abend, eh' er nach der einfachen, mit Elisabeth eingenommenen Mahlzeit das andere, dem Briefe Herrn Wulflams beigelegte Schreiben zur Hand nahm. Doch die lang andauernde Helligkeit des Maitages verstattete noch deutliche Erkennung des schon viele Monate alten Schriftwerks, und seinem steten Brauch des Lesens in Gegenwart des Mädchens gemäß, verlas er es mit lauter Stimme:

»Hochwerter und besonders lieber, freundwilliger Herr Vetter! Ich sagte Euch bei Eurer Abfahrt zu, Euch unter Zeiten Kundschaft aus unserer Stadt ins Rußland zu vermelden, und verhoffe, selbige wird durch Herrn Wulflam zu Dorpat glücklich an Euch hingelangen. Es hat mir aber bisher an Mut und Freudigkeit zu heftig gebrochen, meinem Angelöbnis ehender nachzukommen, denn es teilet nicht gern ein Mensch üble Botschaft mit, so lang er sich noch bessern Ausgangs getröstet. Steht desleider nunmehr keiner zu erwarten. Habet uns zu rechter Stunde verlassen, lieber Vetter, um nicht unser aller Unheil und Verzagnis mitzubefahren, weit elendiglich betrübsamer, als zur Stund' der Schnee auf Euch in Naugard liegen mag. Denn er tauet ab, doch der unserige, bedünkt mich, zerrinnet nicht wieder. Weiß nicht, welcherlei Nachricht von hier an Euch gekommen, will in Kürze niederschreiben, wie es geschehen. Es ist also nur wenige Tage, nachdem Ihr von uns gegangen, der Graf Christian von Oldenburg mit viertausend Reitern und Fußknechten vor unsere Stadt gelagert und hat von Lübeck begehrt, dasselbe solle ihm Beihülfe leisten zur Befreiung seines Blutsfreundes, des gefangenen Königs Christierns des Zweiten, dem die Sendboten der Hanse ehemals zu Kopenhagen freies Geleit verbürgt gehabt. Hat dergestalt, wie sich alsbald kund getan, im Einvernehmen mit dem Burgemeister Wullenweber gehandelt, der in begeisterter Redeführung Rat und Volk auf dem Marktplatze gefordert, den König Christiern wiederum auf den dänischen Thron zu setzen und die alte Schwerteskraft der Hanse zu bewähren, daß niemand der Macht seines Wortes widerstehen können. Und ist ein Getobe der Beipflicht gewesen, wie es kein Lebender gehört. Es hat aber Herr Wullenweber sogleich mit kluger Umsicht die Forderungen für die Mithülfe bedungen, insonders die Übergabe der Schlösser Helsingborg und Helsingör, der Stadt Bergen und der Burg Bergenhuus an Lübeck. Wär' es also gelungen, möchten wohl die Tage unserer Vorväter wiedergekommen sein, deren Gedächtnis und hohe Gedanken in Herrn Wullenwebers Kopf und Brust wieder lebendig geworden.

»Dem infolge ist der Krieg entbrannt, welchem auch König Heinrich von England seine Beihülfe zugesagt, wie der Ritter Marx Meyer geheim mit ihm Abkunft genommen gehabt. Und hat sich der oldenburgische Graf um die Junimondsmitte mit einundzwanzig Schiffen unserer Stadt von Travemünde unter Segel nach Seeland begeben, dasselbe zusamt der Stadt Kopenhagen in Bälde völlig eingenommen, da alle Bürger und Bauern ihm mit Jubel zugeströmt sind, um Christiern, der das niedere Volk niemalen bedrückt gehabt, wieder zum König zu erhalten. Sind die Reichsräte, die Geistlichkeit und der Adel nach Jütland entronnen, die Sache dort so raschen und guten Fortgang gewonnen.

»Mittlerweil aber ist dafür Lübeck Übles geschehen. Denn während des, daß unsere Kriegsmacht nach dem Seelande verzogen, hat Johannes Rantzau, des holsteinischen Herzogs Christian Feldhauptmann, einen Heerhaufen angesammelt, uns selber mit arger Kriegsnot bedräut, die Stadt umlagert, den Travefluß mit schweren Ketten abgesperrt, auch all unser Gebiet umher arg verheert mit alleiniger Schonung der Güterschaften Nikolaus Brömses, als welchen Herzog Christian öffentlich seinen Freund benannt. Und haben alsbald nachher Reichsrat, Adel und Geistlichkeit zu Jütland benannten Herzog zum König Christian dem Dritten von Dänemark erwählt, wozu die holsteinischen Junker sich vermessen, ihn in Wirklichkeit auf den dänischen Thron zu setzen, »aller Welt zum Trotze, und sollte in Lübeck kein Stein auf dem andern verbleiben«. Und ist solchermaßen unsere Stadt in Dänemark herrisch gewesen, doch daheim vor allen Toren keines Schrittes mächtig. Wider diese Drängnis, in welcher der engelländische König uns wortbrüchig im Stiche gelassen, hat Herr Wullenweber lang mit gar beweglichem Anliegen bei dem Herzog Albrecht von Mecklenburg Beistand nachgesucht und demselben die dänische Krone zugesagt, da die Nötigung ihn zu dem Entscheid gedrängt, »man könne jeden König leiden, der Lübeck im Evangelium und dem gemeinen Nutzen unverhindert verbleiben lasse«, wenn derselbe zuvor dem gefangenen Christiern zur Befreiung verholfen. Es hat auch der ›Reichserbvorschneider‹ in Mecklenburg wohl reichlich Lust zu dem Thronangebot, doch noch mehr unbeherzte Wankelmütigkeit bewiesen, und ist also die Entmutigung des Volkes in unserer belagerten Stadt so hoch gewachsen, daß der Burgemeister gezwungen worden, im Novembermond zu Stockelsdorf vor dem Holstentor einen Vertrag mit dem Feinde abzuschließen, es solle der Krieg nirgendwo mehr auf dem festen Lande weitergeführt werden, dagegen es dem König Christian wie Lübeck zustehen, in Dänemark fürder um die Oberhand zu wetten. Dieses aber ist sehr wider Herrn Wullenwebers Wunsch und Willen geschehen, da die Geschlechter in unserer Stadt und, desleider darf ich es nicht verhehlen, ingleichem die lutherischen Prediger das leichtgläubige Volk aufgewiegelt, die Kriegsbürden, welche der Burgemeister dem Gemeinwesen auferlege, würden zu aller Verarmung, Hungersnot und Untergang führen. Und sind in weiterer Folge die Vierundsechziger vom Regiment bei uns abgetreten, auch ein Teil der Junker in den Rat zurückgelangt, daß Herr Wullenweber in demselben an der Mehrheit keinen Anhang mehr für seine großen Pläne gefunden. Um selbige Zeit aber hat sich desgleichen das Kriegsglück auf Seeland böswillig verwendet, ist der Ritter Marx Meyer mit seinem Heervolk durch Treubruch und Falschzüngigkeit zu schwerer Niederlage und er selber in Gefangenschaft auf Wardbergschloß geraten, wo er noch zur Stunde unfrei gehalten wird, und hat König Christians Waffenmacht täglich mehr Vorschritte in Dänemark gemacht. So ist der Junimond des verwichenen Jahres herangekommen, eine große hansische Schiffsmacht der Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Greifswald und Stralsund in See gelaufen, die des Burgemeisters nimmer ermüdlicher, noch verzaglicher Eifer zur Ausrüstung gebracht. Gegen diese hat auch eine mächtige zusammengeeinigte Flotte der Dänen, Schweden und des preußischen Hochmeisters gestanden, und es ist alsbald bei der Insel Bornholm zu einer Seeschlacht geraten, hat sich jedoch nur zu bald gezeigt, daß die Anführer unserer Schiffe, bis auf unsern eigenen wackern Admiral Hans Albrecht, feig, verräterisch und bestochen gewesen, da sie jenen schimpflich im Stiche gelassen, nur von weitem etliche Kartaunenschüsse abgefeuert haben und hernach davongesegelt sind.

»Es fällt mir wahrlich zu schwer, lieber Herr Vetter, all die Schmach und Schande niederzuschreiben, welche des weitern zu Land und Wasser über die Städte gekommen, bis unsere Feldmacht bei Assens auf der Insel Fünen durch Johann Rantzau völlig daniedergelegt worden und unsere Flotte, obwohl die Schiffsführer derselben ehrliche Freunde der Volkssache gewesen, im letzten Novembermond noch einmal durch verräterische Abtrünnigkeit des patrizischen Admirals Klaus Warnow im Sunde gleicherweise ruchlos wie bei Bornholm dem Feinde den Obsieg zugewendet. So ist die Herrschaft der Hanse auf der Ostsee zu Grabe gegangen, daraus sie wohl niemalen wieder erstehen wird. Doch haben wir solch Schimpf und Unheil nicht erleben müssen, weil unsern Gewaffneten der alte Mut und die Tapferkeit gebrochen, vielmehr lediglich aus Tücke und heimlichem Umtrieb bei den Hauptleuten durch unsere und der übrigen Städte Patrizischen, welche arglistig den Anlaß ersehen, auf Kosten des gemeinen Wesens und der Hanse zu ihrer frühern Macht zurückzugelangen. Denn es geht die Welt mit großer Falschheit um, und obzwar es mir bitterliches Leid entpreßt, muß ich abermals dreinfügen, daß die lutherischen Prediger nicht den mindern Teil davon verschuldet haben und im Einvernehmen mit den Junkern gleicherweise Gelüst nach weltlicher Herrschaft bekunden, wie es die römischen vormalen getan. Es mag wohl Herr Wullenweber manchmal mit Bitternis gedenken, daß er an dem Abend, als wir beisammen in der Brautstube des Ratsweinkellers gesessen, allzu vertrauensvoll und ungerecht wider den Ritter aufgefahren, wie dieser gesprochen: Pfaff ist Pfaff, und gleiche Aussaat, ob aus Rom oder Wittenberg!

»Ich will Euch aber, lieber Vetter, noch mit kurzem Wort beifügen, was in unserer Stadt selber geschehen. Es hat, wie es in der Welt geschiehet, vielerlei zusammengewirkt, das Kriegsunglück, Androhung kaiserlicher Acht, Uneinigkeit und Kleinmütigkeit der Städte, der Fürsten Haß gegen die Freiheit der Bürger, des Volkes Wankelmut und nicht zum mindesten die Geldsbestechung durch die Junker und der Prediger Zurede auf der Kanzel und in den Häusern – daß bei uns das alte Regiment zur Herrschaft zurückgekommen. Und so ist Herr Nikolaus Brömse wiederum Burgemeister der Stadt in feierlichem Aufzug von anderthalb hundert Reitern in die Marienkirche und den Ratssaal eingeholt und Herr Johannes Krevet als erster Ratsherr neben ihn gestellt worden. Dies hat sich zugetragen, nachdem Herr Wullenweber zum letztenmal hoffnungslos von dem Herzog Albrecht aus Mecklenburg heimgekehrt, da er dann solchen Zustand in Lübeck vorgefunden, daß er selber, von allen verlassen, auch seine Entlassung vom Burgemeisterstuhl begehrt. Und ist ihm danach für solchen freiwilligen Verzicht die Vogtei in Bergedorf vom Rat zugebilligt worden, doch hat der gemeine Haufen ihn, als er vom Rathause nach seiner Wohnung zurückgeschritten, mit bösen Flüchen und Schimpfreden durch die Gassen geleitet, wie jeglicher sich dessen versehen muß, der Großes ausführen gewollt und der niedern Sinnesart und Kleinmütigkeit der Menschen um ihn unterlegen. Und er ist gleichmütigen Blickes durch das Gelärm hindurchgegangen. Der Herr Doctor von Pack, vormalig Herzog Georgs Kanzler, mit dem wir selbander im Ratsweinkeller am Tische gesessen, hat sich aber unter solchen Bewandtnissen, wie wohl zu erwarten gestanden, in gar übler Doppeldeutigkeit verhalten, bald unbehelligt aus dem Staube gemacht; dagegen Herr Johannes Oldendorp, Doctor, wenn auch nicht ohn' einige kluge Findigkeit für sich selber, doch treulich zu Herrn Wullenweber gestanden.

»Daß Obbemeldetes hat ins Werk gesetzt werden können, ist aber vor allem schlimmes Verdienst eines Hansetages gewesen, wie unsere Stadt solchen wohl von Urvätertagen her nicht gewahrt. Denn nachdem derselbige zu Anfang gen Lüneburg einberufen, ist er bald zu uns selber verlegt worden, und haben hier die überheidischen und Westerlingsstädte Köln, Bremen, Hamburg, Magdeburg, Hildesheim, Hannover, Soest, Deventer und andere sich vermessen, Entscheid und Aburtelsspruch über das Kriegsverhalten der Osterlinge zu fällen, so daß es zu einem völligen Auseinanderbruch der Hanse geraten. Sind insonders mit der Vornahme gekommen, das »unordentliche Regiment« zu Lübeck, wie sie's beheißen, abzustellen; hätten manche gernwillig der evangelischen Reformation zugleich mit den Garaus gemacht, da zumal die Sendboten von Köln öffentlich, was bei uns in Lübeck geschehen, mit den Schandtaten der Wiedertäufer zu Münster in Vergleich gesetzt und deutlich geredet, in ihrer Stadt hänge, köpfe und ersäufe man die Ketzer, sie wollten bei alter Gewohnheit bleiben und fänden sich wohl dabei. Sind insonders viel heftige Anklagen gegen den Burgemeister Wullenweber und allerorten her gar lautes Geschrei über den »mutwilligen Krieg« ausgegangen, und haben Eurer Vaterstadt Hamburg Abgesandte ihren Predigern nach gesprochen: Der Obrigkeit und nicht der Gemeinde habe Gott das Regiment befohlen; davon rühre der Aufruhr der meisten Städte, daß die Ratsherren die Bürgerschaft um ihren Willen befragen. Wozu die von Braunschweig mit ängstlicher Vermahnung und Afterweisheit gefügt: Man möge der Fürsten Zorn nicht aufbringen, der durch den Bauernkrieg üble Reizung erfahren; es leide jegliches irdische Ding am Wechsel und sei notwendig, in die Welt, die seit hundert Jahren eine andere geworden, sich zu schicken.

»Das ist wohl das Alleinige, was der Wahrheit gemäß auf diesem Hansetag in unserer Stadt aus einem Munde gegangen. Die Menschen in der Welt sind andere geworden seit hundert Jahren, und es war nur einer verblieben, der mit seines Geistes Kraft und seiner Lippen Anhauch die Toten wieder lebendig machen zu können vermeint. Ist töricht von ihm gewesen, wie eines Kindes Einbildung, aber eines großen Sinnes und heiß bewegten Herzens Torheit. Auf dem Sitz, von welchem aus er die Welt zurückzuwenden getrachtet, verweilet jetzt wiederum mit weißen Frauenhänden und argem Lächeln Herr Nikolaus Brömse, der Fürsten und Pfaffen Freund. Es weiß keiner, was ihm am nächsten Tag zu befahren steht. Und also, befürcht' ich, schrieb ich dieses von der deutschen Hanse Ausgang und End.«

Dietwald Werneken hielt in seinem lauten Vorlesen inne und sah tiefernsten Blickes auf das Schriftstück hinunter. Das alles hatte sich zugetragen und die Welt des Westens unablässig mit tausendfältigem Gelärm erfüllt, während er zweimal unendliche Winter lang in der wechsellosen Einförmigkeit und Todesstille des Schnees begraben gelegen. Leidhaft tauchten die mächtigen Gestalten Jürgen Wullenwebers und Marx Meyers vor ihm auf, manch damals nicht begriffenes Wort aus ihrem Munde klang ihm plötzlich mit brausendem Verständnis im Ohr nach. Elisabeth hatte aufmerksam zugehört, der Ausdruck ihres Gesichtes gab kund, daß sie wohl vieles von dem Bericht nicht verstanden, doch manches daraus an Kenntnisse anzuknüpfen vermocht, die sie im Gang des langen Winters aus Mitteilungen ihres Hausgenossen aufbewahrt. Nun las Dietwald den noch übriggebliebenen kurzen Schluß des Briefes:

»Drum wollet es mir nicht verübeln, lieber Vetter, wenn mir am heutigen Tag Neigung und Mut gebricht, weiteres beizufügen. Es versegelt ein Schiff nach Riga, wohl als das letzte vor des Winters Seefahrtsschluß, dem gebe ich dieses Schreiben mit, verhoffe, Ihr bekommt's. So übel es in der Welt ausschauet, ergeht es in unserm Hause freudig und wohlgemut; vermeine ich, eine glückliche Ehegemeinschaft sei das einzige, dessen Menschen sich noch getrosten mögen. Und es hat mich zur Herbstzeit mein lieber Hausschatz mit einem ersten Knäblein beschenkt, aber es ist gleich warmem Frühling zu uns gekommen. Sie läßt Euch gar freudigen Gruß entbieten, Ihr möchtet weidlich Sorge tragen, daß Ihr auch eine junge Eheliebste mit Euch heimbrächtet, das tu' Euch besonders not. Ist der Weiber Art, allzeit nach einem Kuppelpelz zu trachten! ob Ihr zwar recht unter dem Buntwerk verweilt, wird sie ihn zu Naugard wohl schwerlich an Euch gewinnen. Doch herbergen Riga oder Dorpat gewißlich deutsche Töchter von trefflicher Art: denen müsset Ihr bei der Rückkunft vorüber. Hab' ich ihr zum Trost gesprochen. Gehabet Euch denn unter Gottes Schutz, und so Ihr uns derartig Wohlerfreuliches vermelden könnt, tut es alsbald zu wissen Eurem getreulich verbundenen Vetter

Jordan Warendorp

Das Gesicht Elisabeths fuhr bei dem Klang des letzten Wortes plötzlich mit einem sonderbaren Ruck empor. Sie blickte Dietwald Werneken sprachlos, gespannt noch aufhorchend an, daß er unwillkürlich fragte: »Wonach hörst du, Mädchen?«

Langsam, mit einem ängstlich erwartungsvollen Ausdruck antwortete sie: »Wie heißt sich Euer Vetter?«

Er wiederholte: »Jordan Warendorp.«

Da sprang sie jäh vom Sitz. »Das ist er – Warendorp – das war meiner Mutter Name!«

Erstaunt hafteten Dietwalds Augen auf ihr. »So wärest du seines verschollenen Oheims Kind – und wir beiden selber, Elisabeth, miteinander verwandt.«

Er streckte, von der überraschenden Entdeckung fortgerissen, seine Hand nach der ihrigen. Sie hielt dieselbe und stotterte glückselig:

»Ihr mit mir? Ich fühlt' es oft – mein Ohr wußte den Namen, aber nicht die Zunge –«

Doch auf einmal bis an den Haarrand von einer heißen Röte überflammt, stieß sie erschreckt aus, daß sie für die Knechte etwas zu besorgen verabsäumt, und verließ hastig die Stube.


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