Wilhelm Jensen
Dietwald Wernerkin
Wilhelm Jensen

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Siebentes Kapitel.

Hierhin und dorthin auseinander gestreut, kamen die Trümmer der stolzen hansischen Schiffsmacht an die deutsche Küste zurück. Die Kogge, auf der sich Dietwald Wernerkin befand, lief bei Travemünde ans Gestade, dort traf ihn Botschaft, die junge Königin Elisabeth von Norwegen stehe im Begriff, auf das Drängen des Stellvertreters König Hakons in nächster Frist aus dem Hafen der Stadt Kiel nach Bergen unter Segel zu gehen. Fast kam Dietwald diese Kunde erwünscht, daß er nicht als erster mit der Meldung des ungeheuren Verlustes der Hansa in Lübeck eintreffen müsse. Er riet auch Johann Wittenborg ab, selber sich als Überbringer der unheilvollen Nachricht dorthin zu begeben, doch der Admiral schüttelte zu der Warnung stumm ablehnend den Kopf. Von seinen Lippen war auf der Fahrt kaum ein Wort mehr gekommen, mit düster schweigendem Ernst hatte er regungslos über die Schiffsbrüstung in Wind und Wellen hinausgeschaut, doch wenn er kurz den starren Blick seiner Augen gewandt, rann in ihrer Tiefe noch immer ein irrer, traumhafter Glanz. Und so auch sah er dem jungen Ritter bei der Trennung ins Angesicht und schied mit wortlosem Händedruck von ihm, bei Trave hinauf, den unter dunklem Gewölk grau und geisterhaft aufragenden Türmen der Löwenstadt entgegen.

Kaum länger als einen Tag besaß Dietwald Wernerkin festes Land unter den Füßen, dann schaukelte ihn schon wieder die Welle. Er fand die Königin Elisabeth in »Tom Kyle«, der Hauptstadt ihres Bruders, des Grafen Klaus von Holstein, zur Abfahrt bereit; die Kunde von der Niederlage der hansischen Flotte vor Helsingborg war noch nicht dorthin gedrungen, im sichern Vertrauen auf ihren Sieg hatte der norwegische Statthalter in Übereinstimmung mit dem Grafen Klaus die junge Königin zur Reise über die See gedrängt. Trotz der Botschaft, welche Dietwald mit sich brachte, beharrten jene beiden, da alles zur Fahrt gerüstet war, jetzt dennoch auf dem einmal gefaßten Vorsatz, das Kattegatt durch den Großen Belt zu erreichen, da König Waldemar zweifellos noch im Sunde und mutmaßlich mit der Eroberung Schonens, auf das er stets sein Augenmerk gerichtet, zu vollauf beschäftigt sei, um in den nächsten Tagen für die Bewachung der Beltstraße bedacht zu sein. So lief das Fahrzeug in der Morgenfrühe von dem Uferrand der düstern und enggassigen Stadt Kiel zwischen den dichtbewaldeten Gestaden des Hafens am Bülker Huk vorüber in die Ostsee gegen die Spitze der Insel Langeland hinaus. Doch drehte schon, ehe die flache Küste Holsteins verschwand, der Schiffer unruhig den Kopf und hielt dafür, der grau über den Himmel ziehende Dunst deute nichts Gutes und es sei ratsamer, sich wieder zurückzuwenden, um bessern Tag zu erwarten. Zum ersten Male aber sprach die Königin Elisabeth mit festem Willen, sie warte nicht länger in Ungewißheit, und bestand fast heftig auf der Weiterfahrt, und ihrer bestimmten Forderung gehorchend, setzte der Schiffer kopfschüttelnd den Lauf fort. Sie stand seit der Abfahrt mit einigen Frauen ihres Gefolges auf der Vorderbrüstung der Kogge und sah schweigsam in die Weite; ihr Mund hatte mit Dietwald Wernerkin nur kurzen Gruß getauscht, ein Blick allein gesprochen, daß sie ihm Dank für sein Kommen wisse. Dann aber redete sie ihn nicht mehr an, und er hielt sich von ihr fern; nur ab und zu streiften ihre Augen einmal flüchtig an ihm vorüber, wie um sich zu vergewissern, daß er sich noch mit ihr am Bord des Schiffes befinde. So ward es Mittag; doch die Luft nicht heller, sondern immer schwerer verhängt, und plötzlich fuhr von West her ein pfeifender Stoß in die Segel, daß sich das Fahrzeug leewärts fast bis auf den Wasserrand niederbog. Ein angstvolles Aufschreien der Frauen mischte sich mit lautem Gekreisch hastig vorbeijagender Möwen, und erschreckt flog Dietwald zum Vorderdeck hinüber und sprach: »Wollt Ihr nicht gebieten, durchlauchtige Herrin, daß wir unter den Schutz des Landes zurückwenden?«

Doch die Befragte erwiderte, ruhig die Stirn drehend:

»Seid Ihr auch furchtsam um mich, Herr Ritter? Oder zagt Ihr für Euch selber? Dann wollen wir umkehren.«

Er antwortete nur mit einem stumm verneinenden Blick in ihre Augen, und sie fügte lächelnd hinzu:

»Auf der See muß man Unwetters gewärtig sein, und der Wind deucht mich nicht wider uns. Ich bange nicht, unter Eurem Geleit gut ans Ziel zu kommen; bleibt an meiner Seite, wenn's Euch gefällt, und redet heitres Wort, daß Ihr den Frauen Mut einsprecht.« Dessen bedurfte es freilich gar rasch mehr und mehr. Der kundige Schiffer hatte nicht umsonst eindringlich gewarnt; gleich einer aufrückenden schwarzen Mauer kam nach kurzer Frist ein schwerer, brandiger Nebel daher, flog über das Schiff und hüllte alles in graue Nacht, daß selbst die Masten vor dem Gesicht verschwanden. Doch droben heulte der Sturm in die unsichtbaren Segel und riß das Fahrzeug in rasendem Laufe fort. Es war zu spät, ans Land zurückzukehren; nichts bot für die Himmelsrichtungen Anhalt, das Schiff gehorchte dem Steuer nicht mehr. Der Schiffer stand ratlos untätig, er bekreuzte sich über Kopf und Brust und sprach: »Hier verhilft Gott allein, wenn's sein Wille ist, uns lebendigen Leibes durch den Fehmarnschen Belt zu bringen, sonst liegen wir in einer Stunde zerschellt auf den Bänken von Röd-Sand.«

Todesangst überlagerte alle Gesichter auf dem Schiff, Weiber und Männer; jeder dachte nur an sich, niemand achtete des anderen, den das Auge auf doppelte Schrittweite kaum mehr wahrnahm. Nur von dem Antlitz der Königin war der trübe Ernst gewichen, der seit dem Maibeginn wie ein Schatten darüber gefallen. Ein freudiger Glanz füllte zum ersten Male wieder ihre Wimpern und mit sorgloser Fröhlichkeit lächelte sie:

»Ist's nicht köstlich im Sturm auf dem Meere, Ritter Wernerkin, fast so schön wie im warmen Sonnenlicht? Bleibet dicht neben mir, daß wir uns im Nebel nicht verlieren! Ich bin auch nur ein verzagtes Weib und habe nur Mut, wenn ich mich unter gutem Schutz weiß. Habt Dank, daß Ihr Euer Gelöbnis hieltet – oder gereut es Euch?« Sie blieben, mit den Händen sich an Tauwerk und Brüstung haltend, nebeneinander, in jedem Augenblick konnte ein jäher Aufstoß des Kiels den Beginn des Untergangs künden. Doch Stunde um Stunde verrann, in denen das Schiff, unablässig in den gärenden Abgrund niedergetaucht und von weißzischenden Kämmen haushoch wieder aufgewälzt, vom West gepeitscht dahinstöhnte und schnaubte. Zum Nebeldämmern gesellte sich einfallendes Dunkel des Abends, der Schiffer öffnete zum ersten Male wieder die Lippen »Wir müssen durch den Fehmarnbelt hindurch sein und laufen gegen die Küste von Wendland – Gott sei uns gnädig!« Vorm Mund verhallend, schrie ein Matrosenruf: »Der Wind springt nach Süd und wirft uns auf Mönnsklint!«

Und schnell kam die schwarze Nacht, daß der Blick nichts mehr gewahrte, nur um das Ohr ging ein unermeßlich röhrendes Getöse heulenden Sturmes und brüllender See. Manchmal dröhnten die Planken der Kogge mit heftigem Aufkrach, als sei der Kiel wider eine Klippe gerannt, dann fragte die Stimme der Königin Elisabeth schnell, doch ruhigen Tones: »Seid Ihr da?« Und ruhvoll entgegnete Dietwald Wernerkin: »Zweifelt nicht, ich versprach Eurem Bruder, Euch zu geleiten.«

Der nach Süden gedrehte Wind hatte sich noch wütender verstärkt, durch die tote Finsternis riß er das willenlose Fahrzeug gleich einer jagenden Möwe, Schaum, Gischt und klatschende Sturzsee übertrieften das Verdeck, aus dem Schiffsraum herauf wimmerten Gebetsrufe und Psalmengesang der Weiber. Die Nacht war zeitlos, niemand wußte, wie lang sie schon gedauert, doch fast unausdenkbar schien sie bereits. Es konnte erster Morgenschimmer sein, was da kaum noch merklich den Nebel durchrann, daß der Blick wieder die todaufschnaubenden Wogen unter sich wahrnahm. Oder war es herabdämmerndes Mondlicht, denn jetzt glomm dort gerade vor dem Bug auch ein rötlicher Stern durch das graue Gespinst der Luft. Aber plötzlich übergellten Schreckensrufe das Toben von Wind und See: »Hilf Gott! Das Leuchtfeuer von Falsterbo! – Unmöglich! – Doch, es ist's – seid bereit – wir bersten auf den Schären von Skanör!«

Fast zugleich schütterte ein dumpfer Stoß die Kogge, überraschend schnell hatte die Helle zugenommen, deutlich erkennbar brachen sich kurz vor dem Schiff die turmhoch aufsteigenden Wellen rückstürzend in milchweiß perlender Brandung. Und zugleich auch streckte die Königin Elisabeth ihre Hand nach der des jungen Ritters, hielt sie fest umfaßt und sprach, auf die grauen Wasserberge niederblickend, mit traumhaft glücklicher Stimme:

»Wir sind am Ziel, Dietwald – die Sonne liegt auf der Heide, laß uns zusammen hinübergehen –«

Seine Hand schloß sich mit innigem Druck um die ihrige. »Ja, du sagst es, nun sind wir noch einmal dort – so schön hatte ich den Abschied nicht gedacht, Elisabeth –«

Doch da war es noch anders bestimmt, noch Leben statt des unvermeidlich erscheinenden Todes. Wie mit einem Schlage zerriß der Nebel, hinter dem die Morgensonne schon aufgestiegen, und weiß glänzend flimmerten die kahlen Sanddünen der Südküste Schonens dicht vor dem über eine weiche Untiefe hingeknirschten Fahrzeug. Bei dem Aufstoß hatte es sich gedreht und die Segel fielen flackernd aus dem Wind, der Kielraum war leckgesprungen, hastig stürzte das Wasser in den sinkenden Rumpf der Kogge, und Sturm und Wellen verloren die Macht über sie, einem Spielzeug gleich sie in die rettungslos zermalmende Brandung hineinzuschleudern. Ein kurzer Aufschub hielt das zusammengedrängte Häuflein Leben des Schiffes noch über dem Abgrund, und er reichte aus, hülfreichen Beistand vom Ufer herankommen zu lassen. Eine starke Rudersnigge flog, von einem halben Dutzend kraftvoller Fischerarme beherrscht, seitwärts her aus der nahen Landungseinbucht Falsterbos, und zwei andere noch folgten ebenso unerschrocken drein. Die Kogge lag nur wenige Fuß mehr über den schon breit das Mitteldeck überrollenden Wellen, als das vorderste Boot unter die Schiffswandung hinglitt und Dietwald Wernerkin in dies, Elisabeth mit den Armen umfassend, hinabsprang. Ohne zu denken, in schnellem, unwillkürlichem Antrieb hatte er gehandelt, die Gerettete verharrte noch einen Augenblick regungslos, wie sinnverloren in seinen Armen, und wie in einem Traum ging das Blau zwischen ihren weit offenen Lidern in den Morgensonnenglanz hinaus. Da tönte aus dem Gedränge anderer, die sich in die Barke hinunterflüchteten, ein freudiger Ruf: »Gott sei Preis, die Königin ist gerettet!« und plötzlich fuhr Elisabeth jählings empor, trat schwankend gegen eine Bank der Snigge hinan und setzte sich, ihr Antlitz in den Händen bergend, auf das Brett. Wie nach ihr aufgreifend, spülten die Wellen über sie hin, der Sturm hatte ihr die Bedeckung vom Scheitel gerissen und streute ihr gelöstes Haar wie goldene Fäden um sie her. So saß sie unbeweglich, das Boot kämpfte dem Ufer entgegen; wie die beiden andern, gleichfalls dicht mit Schiffbrüchigen beladen, nachfolgten, versank die Kogge in der See. Erst als die Barke ans Ufer glitt, erhob Elisabeth sich von ihrem Sitz, der junge Ritter wollte ihr die Hand bieten, doch sie erfaßte als Stütze diejenige einer ihrer Frauen und sprach, bevor sie ans Land trat, kurz mit blassen Lippen:

»König Hakon wird Euch Dank wissen, Herr Ritter, denn ich allein hätte mich nicht gerettet.«

Am Strande harrte viel Volk aus den armseligen Häusern von Falsterbo, Männer, Weiber und Kinder in groben Fischerkleidern; blitzschnell flog zwischen ihnen die Kunde von Mund zu Mund, die Königin von Norwegen sei auf dem versunkenen Schiffe gewesen, ihre Rettung verheiße den Vätern und Söhnen aus dem dürftigen Städtchen reichen Lohn. Gedankenirr stand Dietwald Wernerkin, auf den Leuchtturm über der öden Düne blickend. Ihm kam das Gedächtnis, daß er die einst auf der Vorüberfahrt nach Wisby so von weitem gewahrt und daß der leblos traurige Anblick ihn mit einem Schauergefühl überlaufen. So unfreundlich und trüb, hatte er dem Schiffer erwidert, als könne nicht trostlosere Erdenstatt unter der schönen Sonne zu finden sein.

Da fuhr sein Kopf emporzuckend herum, denn ein lautes Auflachen, das ihm wohlbekannt klang, schlug ihm ans Ohr, und ungläubig starren Auges sah er in die Richtung des Tones. Dicht vor ihm aber drängte sich nicht mehr barhäuptige und barfüßige Menge, sondern sie war weit vor einem stolz-vornehmen, glanzvollen Zuge von Rittern und Frauen zurückgewichen, der eilfertig zu Roß von den Häusern herangekommen. An der Spitze befanden sich König Magnus von Schweden, die Königin Blanka, der Herzog Bengt Algotson und mit ihnen die Königin Heilwig von Dänemark, Prinz Christoph und Prinzessin Ingeborg, Herzog Erich von Sachsen und Herr Nikolaus Lembek, der Drost des Dänenreiches. Sie waren zu Falsterbo versammelt, wo Magnus Smek Frieden und Freundschaft mit König Waldemar erneuert und ihm zum Beleg dafür das oftmals schon zwischen Schweden und Dänemark hin und her geflogene Land Schonen für ein Dutzend Beutel mit dänischem Gold verkauft hatte. Neugierig suchten die Blicke der vornehmen Frauen nach etwas vorauf, wovon sie Kunde erhalten haben mußten, als vorderster aber hatte Waldemar Atterdag das laute Lachen ausgestoßen und rief hinterdrein:

»Seid Ihr's, Gräfin Elisabeth? Euer Haar nennt Euch, wenn auch das Seesalz es rauh gemacht. Es tut mir leid, daß mein Land Schonen Euch so unwirsch empfangen, zumal Ihr nicht Grund hattet, Eure Schönheit solcher Reisegefahr auszusetzen. Aber Ihr habt gutes Geleit besessen, seh' ich; der Würfelbecher fällt sonderbar, Ritter Wernerkin, ich versprach's Euch, Eure Liebste aus der Brautkammer zu Bergenhuus zu holen, und Ihr bringt sie mir.«

In trefflichster, heiter-ausgelassener Laune hatte Waldemar Atterdag es gerufen; eine rote Flamme schlug Dietwald Wernerkin ins Gesicht. Furchtlos trat er einen Schritt vor und erwiderte:

»Ihr redet von der Königin von Norwegen, die niemand ungestraft beschimpft, der sich nicht hinter Königsmacht und Rang vor ritterlichem Zweikampf birgt!«

Ein Funke zuckte zwischen den Lidern des Dänenkönigs auf, doch seine Laune hob die Lippen zu abermalig lachender Antwort über die scharfen Zähne: »Mich deucht, ich stand Eurem Schwert erst vor kurzem, und Ihr irrt Euch, Ritter, die Königin von Norwegen ist noch zu jung, als daß sich ihr Name mit Unglimpf antasten ließe, denn meine Tochter Margarete zählt erst elf Jahre. Darum kann sie auch noch nicht Königin von Norwegen sein, sondern erst Königsbraut.«

Dietwald sah dem Sprecher starr ins Gesicht, fast unfähig zu einer Entgegnung brachten seine Lippen nur hervor:

»Was heißt das –?«

»Daß die Schwester meines Vetters von Holstein ihre Kleider nicht in der Ostsee zu waschen gebraucht, da König Hakon sein Ehegelöbnis mit meiner Tochter erneuert hat. Freilich tat's nicht not, denn weder Braut noch Bräutigam hatten es aufgekündigt. Ihr schaut mich verwundert an, und ich weiß, daß Ihr mir das Unrecht antut, manchmal meinen Worten nicht ganz Glauben zu schenken, drum laßt sie Euch dort von König Hakons Vater verbürgen. Und solltet Ihr so ruchlos sein, auch meinem edlen Freunde Magnus von Schweden nicht zu glauben, so hat der Himmel mir einen ehrwürdigen Herrn zugesellt, dessen Beruf es ist, nichts als göttliche Wahrheit aus seinem geweihten Munde hervorgehen zu lassen.«

Waldemar Atterdag sprach's mit siegsgewissem Übermut und mehr denn einem unverhehltem Spott und deutete auf einen geistlich gewandeten Herrn seines Gefolges, den von ihm vor wenig Tagen erst neuernannten Erzbischof Nikolaus von Lund. Elisabeth hatte bis jetzt schweigend dagestanden, nun hob sie die Stirn und sagte laut:

»Ihr redet falsches Zeugnis, König Waldemar! Ich bin von der Kirche Spruch König Hakons angetrautes Gemahl«.

»So sprechet Ihr, Herr Erzbischof, ob das zu Recht geschehen sein kann?« rief Waldemar Atterdag.

»Das verhüte die ewige Gerechtigkeit,« erwiderte der Angerufene mit priesterlicher Handaufhebung, »daß also wider Gott und sein Gesetz gefrevelt werde. König Hakons Ehegelöbnis mit Eurer königlichen Tochter ist nimmer gelöst gewesen, der Segen des Himmels hat es verknüpft und ruhet auf ihm. Es wäre ein Bruch der heiligen Gebote Gottes, wenn ein anderes Weib sich König Hakons Ehegemahl benennen wollte, und was geschehen sein mag, mit Täuschung und Trug solchen Glauben zu wecken, fliegt als Spreu von der Worfel des ewigen Richters und hat nicht Gültigkeit im Himmel, noch auf Erden.«

»Ihr hört's, Base, Ihr seid ledig und frei!« rief König Waldemar lustigen Tones. Im gleichen Moment hatten Dietwald Wernerkin und Elisabeth das Antlitz gegeneinander gerichtet und sahen sich beide, weiß gleich dem Dünensand um sie und stockenden Herzschlags, wie mit einer wortlosen Doppelfrage in die Augen. Waldemar Atterdag aber fügte lachend drein:

»Ihr seht, Ritter Wernerkin, daß Knud Hendrikson seine Schuld abträgt. Ihr habt mir Eure Liebste gebracht, doch ich sorge, daß sie Euch bleibt, und will Euch ein Hochzeitsmahl auf Falsterbo richten. Ihr wäret klüger, als König Hakon, und wähltet Euch bei Eurem Schatz keinen Stellvertreter als Geleitsmann. Der Priester ist zur Hand, und nach dem Blick, mit dem Ihr Euch anschaut, bedarf's wohl nur nachträglich noch seines Spruchs, um den Himmel mit dem auszusöhnen, was Euch die Erde oder die See schon gebracht.« Einen Augenblick sah Elisabeth dem Sprecher verständnislos ins Gesicht, dann schlug ihr eine purpurne Flamme über Wangen und Stirn. Mit einem Ausdruck fürstlichen Stolzes, wie er noch niemals im Leben ihr Antlitz überglüht, trat sie rasch auf Nikolaus von Lund zu und sprach:

»Die Königin von Norwegen gibt sich unter Euren Schutz, Herr Erzbischof, gegen Schimpf und Schmach! Die Kirche, deren Diener Ihr seid, hat mich zu König Hakons Gemahl gesprochen, bis bei Tod uns scheidet. Verhelft mir zu ihm bei dem Eid, den Ihr Gott geleistet, und Eurer heiligen Pflicht!«

König Waldemar zog ungeduldig leicht die dunklen Brauen zusammen. »Ihr redet mädchenhafte Narrheit, Base, die einem schönen Weibe nicht ansteht. Ihr selber wollt nicht ins Brautbett zu Bergenhuus, und ich will's noch minder, sondern Euch davor bewahren. Ich stelle Euch die Wahl, reicht hier zur Stunde in Falsterbo vor dem Altar Eurem Liebsten die Hand, deren Kreuzgelöbnis er lang' auf der Brust trägt, oder laßt Euch von dem Erzbischof in einer Klosterzelle jungfräulich behüten, bis meine Tochter in Wirklichkeit Königin von Norwegen geworden!«

Da unterbrach unerwartet etwas sein letztes Wort. Von den Häusern des Städtchens war es durch den Sand daher gekommen, eine weibliche Gestalt, das aufgelöste Haar und halb zerrissene Gewänder flatterten um sie im Wind. Ein noch junges Weib war's, doch mit hohlen, aschfarbenen Wangen und fast blutlosen Lippen, einem Totengesicht ähnlich. Nur in den schwarzen Augen zitterte ein geisterhaftes Leben, unstet und irr liefen sie suchend vorauf. Nun hatte die Ankommende den vornehmen Kreis erreicht, warf sich vor König Waldemar in den stiebenden Sand auf die Knie und rang aus erschöpft stöhnender Brust:

»Habt Erbarmen – ich bin Euch nach durch Wasser und Land bis hierher – sie haben mir mein Kind genommen – Eure Knechte, aus meinen Armen haben sie's gerissen – gebietet ihnen, daß sie's mir wiedergeben!«

Gedankenirr, gleichgültig hatte Dietwald Wernerkins Blick auf dem herangeschwankten Weibe gehaftet, doch dann durchfuhr es ihn trotz dem besinnungslosen Sturm in seinem eigenen Innern mit einem plötzlichen Schreck. König Waldemars Stimme entgegnete unwirsch: »Was geht's mich an, Taube von Venedig, wenn man dein Kind genommen? Warum hast du eins, das man dir nehmen kann? Sein Vater wird gedacht haben, es sei bei seiner Mutter nicht gut verwahrt, und dein Ruf sagt mir, daß er recht gehabt, die Sorge für sein Blut nicht in deiner leichtfertigen Hand zu belassen. Heb dich fort, dein Gekreisch stört mir das Vergnügen dieses Morgens!« Und kaum noch seinen Sinnen trauend, erkannte der junge Ritter in dem abgezehrten, entstellten Gesicht der Knienden das ehemals zauberisch wie der Glanz einer Mondnacht des Südens schimmernde Antlitz Witta Holmfelds. Sie richtete sich auf taumelnden Füßen empor, ein gespenstisch zuckendes Licht der Geistesumnachtung lief durch ihre Augenhöhlen, und aus ihrem Munde brach ein irrsinniges Lachen:

»Seine Mutter war nicht gut genug für das Kind, sagst du? Sie hat seinem Vater Wisby als Mitgift zugebracht – was schwurst du mir, Knud Hendrikson? Da ist dein Wort, deine Treue, deine Falschheit, deine Verruchtheit«

Ihre Hand raffte Sand und Steine und warf sie gegen König Waldemar, aus dessen Lidern jetzt ein weißdrohender Blitz schoß. Mit erkünstelter Lustigkeit antwortete er:

»Ich schwur dir, daß ich zurückkäme, und Wisby, denk' ich, wird nicht dawider streiten, daß ich mein Wort gehalten. Du aber mahnst mich recht, Täubchen, daß ich dir noch den Dank für den Blütenzweig schulde, mit dem du mir einst die Wange gefächelt. Kehre heim in den Garten, wo deine Hand ihn aufhob, und schaukle dich weiter! Nehmt sie und bringt sie sicher in ihre Vaterstadt zurück mit einem Gruß an meine getreuen Bürger von Wisby – bei Eurem Kopf!« Er winkte den hinter ihm stehenden Gewaffneten, welche hurtig herzuspringend die bewußtlos unter einem gellen Aufschrei zu Boden gefallene Witta Holmfeld roh mit den eisenbesteppten Armen aufrissen und fortschleppten. Elisabeth war stumm zu Dietwald Wernerkin hinangetreten, König Waldemars lustige Morgenlaune aber hatte seine Züge verlassen, barsch und finster blickend stieß er aus:

»Macht ein Ende, Base, und trefft Eure Wahl! Ich habe für Possen nicht mehr Zeit!«

Nun streckte sie die Hand dem jungen Ritter entgegen, schlug noch einmal die blauen Augen mit einem Blick unsäglicher Liebe zu ihm auf und sprach:

»Die Königin von Norwegen spricht dir Lebewohl, Dietwald, für dieses arme Leben!«

»Lebewohl, Elisabeth!« erwiderte er, und wortlos standen sie einen Augenblick Hand in Hand. Dann rief der Dänenkönig: »So nehmt sie, Erzbischof, und haftet mir mit Eurer Klostermauer für sie!«

Schweigend wandte die jungfräuliche Königin sich zu Nikolaus von Lund zurück, Waldemar Atterdag drehte den Kopf gegen den jungen Ritter und stieß harttönig zwischen den scharfen Zähnen hervor:

»Wir sind wett, Dietwald Wernerkin! Ich geb' auch Euch eine Wahl frei! Wollt Ihr für den Rest Eurer Tage mit den Hansen in den Gansturm zu Helsingborg? Doch Ihr habt noch langen Ruhm als Pfeffersack vor Euch, daß Ihr mein anderes Angebot vorziehen werdet. Nehmt das Boot dort, und kommt Ihr heim mit ihm über die See, so grüßet meinen Freund Johann Wittenborg. Wählet rasch!« Er deutete mit dem Schwert auf ein winziges, am Uferrand schaukelndes Fischerboot, seine unheimliche, zorndüstere Miene sprach, daß er die Gunst der Wahl nur für eine Spanne Zeit freistelle. Noch einen Blick warf Dietwald Wernerkin nach dem goldhell in der Morgensonne leuchtenden Haar Elisabeths hinüber, dann trat er furchtlos in das gebrechliche Fahrzeug, hob die Ruder und rief zurück:

»Lieber am Meergrund, als an deiner Tafel, Knud Hendrikson! Fahr' hin, König Waldemar Atterdag! Morgen ist noch ein Tag, die Dudesche Hanse kommt wieder, und deine Herrschaft ist unser!«

Er schlug die Ruder gegen die rollende See ein, hinter ihm verklang ein spöttisch lautes Gelächter König Waldemars über den öden Dünensand von Falsterbo.


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