Jean Paul
Politische Fastenpredigten während Deutschlands Marterwoche
Jean Paul

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Vorrede

Ich kann die kleine Geschichte der vier vor mehren Jahren gedruckten Abteilungen des Werkchens (denn die fünfte ist neu, so wie auch die Vorrede, und bekommen beide erst künftig eine Geschichte) in einer Minute mitteilen. I. Die Nachdämmerungen wurden im »Deutschen Museum bei Perthes« 1810 gedruckt – II. die Belagerung von Ziebingen im »Kriegskalender bei Göschen« 1810 – III. die Sphinxe im »Deutschen Museum von Schlegel« 1812 – IV. die Doppel-Heerschau im »Kriegskalender bei Göschen« 1811.

Da sie nun in jenen lastenden Jahren geschrieben worden, wo weiter keine andern Federn kühn und stolz sich bewegen durften als die auf Helmen, und wo man in Schafkleidern gehen mußte, um Wölfen nicht anstößig zu werden: so wird man sich über die Stellen dieses Buchs nicht entrüsten, wo ich mit den Wölfen zwar nicht heulte, aber auch nicht über sie. Auch gibt es wieder andere Stellen, worin ich, wie noch weltklugere Köpfe, von dem zweiten Bonifatius, der unsere heiligen Eichenwälder fällte, immer noch zu hoffen nicht nachlassen wollte, wiewohl wir Deutschen diesem Bonifatius – uns auch von einer Freiheitinsel zugeschickt wie der erste – die Bekehrung vom moralischen Heidentum der Selberentzweiung und Selbsucht wider seinen Willen verdanken. Alle jene Stellen hab' ich ungebessert und ungefärbt bestehen lassen, um mir nicht durch Zurückdatieren späterer Einsichten und durch Einschiebung jetziger Freimütigkeit einen neuen falschen Glanz zu geben, da ich alten genug habe. Nur Sprachänderungen wurden ins Alte eingeschoben; oder höchstens solche Gedanken, womit man zu allen Zeiten hervorrücken durfte, z. B. mit dem Satze a = a, indes ein Gedanke wie a – a = 0 schon 1072 seine besondern günstigen Zeiten fodert. Auch wollt' ich die Gegenwart gern wieder hören lassen, wie man vor kurzem hat seufzen müssen – besonders nach ihr.

Überhaupt sollten die Schriftsteller sich, wie J. J. Rousseau, nicht schämen, in neuen Auflagen ihre alten zu beichten. Warum wollen sie gerade im Drucke die Wunde und den Wundbalsam der Endlichkeit, die Veränderlichkeit, verbergen, als wäre jede ihrer Meinungen die letzte und jeder Wille ein letzter? Wenn doch in der Studierstube eines Gelehrten der Glaube desselben sich so oft verwandeln, häuten, einspinnen, verlarven, verpuppen muß, bis solcher wieder endlich entpuppt ausfliegt – und wenn es auf keine Weise zu ändern ist, daß man es auf allen Gassen weiß, wie der gelehrte Mann in einem fort (es geht beinahe ins Unglaubliche) sich und seinen Glauben änderte und anders dachte, zuerst als Primaner – dann als Student – anders als Privatdozent – noch anders als Professor extraordinarius – von neuem anders als ordinarius – darauf vollends anders als rector magnificus –: warum will denn der Mann nicht auch der Welt im Freien seine neuen Häutungen zeigen, welche er, wie die Eintagfliege die ihrigen, noch im Fluge vornimmt? – Ohnehin ließe sich fragen, ob nicht zuweilen die Geschichte einer Meinung, so wie gewöhnlich die Geschichte einer Stadt, nicht ergiebiger ist als diese selber.

Übrigens geht durch alle meine politischen Aufsätze, von des ersten Konsuls Drucke an bis zu des letzten Kaisers Drucke, etwas ungebeugt und aufrecht, was ich jetzo am liebsten darin stehen sehe – die Hoffnung. Sie, diese Sprecherin und Bürgin der Vorsehung, begleitete mich durch jene Zeit, wo über jeder Wolke eine höhere stand und über diese wieder eine stieg; jene schauete durch diese Wolken hindurch und versicherte es, daß sie noch die Sonne sähe. Jetzo weiß jeder, daß sie recht gehabt, und daß eine Sonne noch scheint.

Johannes von MüllerDessen Werke. B. 16. S. 196. sagt: »Wenn der Mensch keinen Rat mehr weiß, fangen die Wege der Vorsehung an; seit mehr als 200 Jahren ist auf dem großen Schauplatze fast immer das Unwahrscheinlichste geschehen.« Und Friedrich Jacobi sagte noch 1073 in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts: »man (die Staaten) solle nie das Bevorstehendscheinende als unvermeidlich fürchten und erdulden.«

Diese Hoffnungen im Unglücke der Staaten – so wie diese Befürchtungen im Glücke, d. h. in der hohen Freiheit desselben – gleichen den Träumen, welche nach Kant als geistige Tätigkeiten im Schlafe das Leben fortschüren müssen, das sonst an ihm erlösche; wie der Freistaat Sparta die Furcht anbetete, so findet man die Göttin Hoffnung (dea spes)Beckers Augusteum I. nie öfter auf den Münzen als unter schlimmen Kaisern, wie Kaligula. –

Die Menschen vergessen und verzweifeln nur zu oft: sonst würden sie finden, daß das Schauen und Vertrauen auf die göttlichen Gesetze des großen Weltganges leichter das Ziel weissagen kann, als oft der Reichtum von Kenntnissen der politischen Einzelheiten vermag; und ein glaubiger Dichter ist zuweilen ein besserer Prophet als ein herzloser Kenner aller Kabinette. –

Wenn es nicht zu kühn ist, großen Mächten nachzuahmen und einem kleinen Werke lang vorzureden: so mag hier fortgefahren und der Titel Fastenpredigten kurz entschuldigt werden oder erklärt. Die Aufsätze wurden nämlich in der wirklichen Fastenzeit (oder Quadragesima) Deutschlands geschrieben, welche am meisten als eine geistige uns und unsere Predigten aushungerte und uns nicht viel Bücherkost und Freirede und Tanz und Musik des Herzens zuließ, sondern uns bloß auf Betrachtungen von Leiden einschränkte. Noch dazu war die gedachte Fastenzeit auch eine ordentliche leibliche, in welcher die gallikanische Ur-Kirche umgekehrt statt des Fleisches Seefische und alles, was das Meer zubringt, verbot und den Übertretern, wie im zehnten Jahrhunderte den katholischen Fastenbrechern, die Zähne ausschlug. Doch soll man aus Unparteilichkeit nicht verbergen, daß hier nicht wie im Jahre 1538 zu Paris die Übertreter verbrannt wurdenNach Sleidan wurde ein junger Edelmann für sein Fleischessen selber gebraten, und nur die Flucht rettete drei Niederländer aus demselben Bratfeuer., sondern nur die Sachen selber, ja daß noch dazu Kreuzbullen mit Fastendispensationen, d. h. Freibriefe genug feil standen und also das 1074 Fasten, welches das Conclave und die Jury – England und Festland – zur Einhelligkeit der Wahl und des Urteils zu zwingen hatte, durch gut zubereitete Fastenspeisen leidlicher ablaufen konnte.

Diese Fastenpredigten und ihr Titel verdienen nur einen solchen Aufwand von Anspielungen nicht: sonst wäre sehr leicht noch darauf anzuspielen, daß in der deutschen Quadragesima, wie in der frühern christlichen, wir aus Heiden und Juden mehr Christen und also Katechumen geworden, daher, wie die christlichen früher von Sonntag zu Sonntag, so wir von Schlachten zu Schlachten anders heißen konnten, anfangs Anfänger – dann Hörende – dann Bittende – dann Erleuchtete – endlich »gleichsam Neugeborne« (Quasimodogeniti).

Indes sind doch – was die Hauptsache ist und auf was alle Leiden- (Passion-) oder Fastenpredigten der Schreiber in den leisen Geschichten der deutschen Leiden hinwiesen – die Auferstehung und Ostern endlich da – die Osterkerzen leuchten – die Osterwasser säubern – und die Osterfladen schmecken, ja das sogenannte »christliche Ostergelächter« oder die »Ostermärlein« herrschen in allen Büchern, ja in diesen Fastenpredigten wurde sogar noch früher gescherzt.

Noch steht uns der Sonntag nach Ostern, nämlich der Bundestag zu erleben bevor, oder der sogenannte Sonntag Quasimodogeniti, wie er in der ersten christlichen Kirche hieß von den gleichsam Neugebornen, welche da die Taufhemden ablegten – oder (wie er noch hieß) der Sonntag der Apostel oder Abgesandten (weil da ihnen zuerst der Auferstandene erschienen) – oder auch der Thomastag, weil an ihm Thomas' Bekehrung vorgelesen wurde – endlich gar Gegenostern, weil er der achttägigen Osterfeier ein Ende machte. –

Nach letztem Beinamen jedoch hat der Bundestag nicht zu ringen nötig, da wir alle vielmehr wünschen, das Fest der Auferstehung immerfort zu feiern.

Baireuth, in der Herbst-Tag- und Nachtgleiche 1816.

Jean Paul Fr. Richter 1075

 


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