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»Und i sag' dir, i will außi,« lispelte Katharina der sie bedienenden Magd zu. »Was d' Folg davon sein kunt, geht mi allein an, verstehst?«
»I kann nit, Bäuerin, du woaßt nit, wie d' ausschaust.«
»Burgl, erbarm di, führ mi no amal an d' Sonn!«
Der derben Magd traten Thränen in die Augen.
»Und dei Haar?«
»Laß es abi hängen, sieht uns ja ka Mensch.«
»Und was willst denn anlegn?«
»Häng' ma was um, was, is gleich, nur nix festbindn, mir thut der ganze Leib so weh.«
Einige Zeit später wankte Katharina, von Burgls festen Armen halb getragen, aus ihrer Kammer.
»Setzt di do aufs Bankerl her, gelt?«
»Ja,« hauchte die Kranke, und sank, von der Magd gehalten, schwindelnd auf das Bänkchen nieder. Das reiche schwarze Haar fiel in schweren Massen auf ihren Nacken. Sie war bis zum Kinn in Decken und Tücher gehüllt. Ihr Gesicht war wie das eines kleinen kranken Kindes, schmal, durchsichtig, weiß. Nur die Augen brannten in Fieberglut. Sie leuchteten tief dunkel.
Mit zuckenden Wimpern sah sie in die blaue, glänzende Frühlingsluft. Der Hahn vom Zeller Kirchturm blitzte golden herauf durch den schwingenden Hauch, der aus den Wiesen emporstieg. Über dem hellen jungen Grün der Tannenwälder gleißten die Schneehäupter der Zillerthaler Riesen.
»Du, so schön is no nie g'wesen.«
»Magst dein Kopf an mei Schulter legn?«
»Ja, gern. Du bist a guts Dirndl, Burgl!«
Katharina suchte mit ihrer kleinen abgemagerten, brennend heißen Hand die der Magd.
Plötzlich zuckte sie zusammen, die Blicke starr auf das Thor gerichtet.
»Was is denn?«
Die Dienerin sah erschreckt in das weiße Gesicht ihrer Frau.
»Du, wer is ... denn das dort?«
»Wo denn?«
»Da, da ...«
Ein hochgewachsener Greis mit silberweißem Haar, das reich und lang an beiden Seiten seines Gesichts herabquoll, näherte sich langsam. Aus seinem prächtigen Holzschuherkopf leuchteten zwei milde lachende Kinderaugen.
»Ob du die Bäuerin bist, brauch i nit erst z' fragen, i sehs.«
»Wer bist?« lispelte die Kranke.
»Wer i bin? A Doktor, der di kurieren möcht.«
»Wer hat mir das than?«
Katharina richtete vorwurfsvoll ihre Blicke auf die Magd.
»I nit Bäuerin, g'wiß nit.«
»Keiner von deine Leut, Koflerin! weiß, daß du krank bist, red' sich ja herum, alle wissens in Zell ... Geh, laß mi a bisserl zu dir sitzen, ja? Arm's Kindl!« Er faßte ihre Hand. »Und so heiß! Und so a kleins G'sichtl! Aber 's wird besser werdn Bäuerin, glaub's, siehst, dei Krankheit is a glückliche, da kann a große Freud, oder sagen ma: der innere Frieden noch Heilung bringen.« –
»A Freud? Mein!«
Ihr blasses Gesicht senkte sich müd.
»O du Tschapperl du! Glaubst, nur für dich hat der liebe Gott Winter gmacht? Dein Blümerl blüht auch wo, nur klug zugreifen, aber zuerst g'sund werdn, gelt? Du Dirn, geh, laß mich ein wengerl mit deiner Frau allein, fürchst dich doch nit vor mir, Bäuerin?«
Katharina, obwohl wundersam ergriffen von dem weichen und milden Wesen des alten Mannes, flüsterte eigensinnig: »I will aber kein Dokter.«
»Ich verschreib dir ja nix, Trotzköpfl, ich will nur plauschen mit dir, aber thu mir den Gefallen ...«
»Na so geh eini, Burgl.«
Die Magd erhob sich zögernd.
»Kannst durch die Fensterscheibn auf die Frau acht geben, und wenn ich sie friß, laufst gschwind außa,« scherzte der Alte.
Und als sie im Haus verschwunden war, neigte er sich über die Kranke, und sah lange mit seinen kindlichen, reinen guten Augen in die ihren.
»Da schaut deine Seel heraus. A wilds Geisterl, aber a Kind, mit dem ma noch alles Gute richten kann. Viel Lieb brauchst und – viel Geduld.«
»Mein ... so hat no keiner g'redt zu mir«, ihre Mundwinkel zuckten, »bin i denn g'storbn, und halt mi der liebe Gott im Arm?«
»Du Dummerl du, glaubst, daß der liebe Gott an Lodenjanker anhat? Aber du, hat wirklich noch keiner so g'redt zu dir?«
»Na,« flüsterte sie leise, »ka anziger.«
»Kei einziger?«
»Sie waren alle resch mit mir, weil i halt a so viel resch war, weißt.«
»Kein einziger, Katherl?« fragte der Fremde nochmals eindringlich, »auch der – Alois Riegl nit?«
»Ach –!«
Der Alte legte seinen Arm um sie. »Fall mir nit von der Bank. Guck mi an.«
Sie schüttelte den Kopf und suchte die siedenden Thränen zu verbergen, die ihre Wangen hinabliefen.
»Schäm di nit Katherl, wein di aus. Da, leg dein Köpfl an mei Brust, bin a alter Mann. Solche Thränen sind kei Schand. Da freuen sich die Engel drüber. Komm!«
»Wer bist denn eigentli, wie heißt denn?« lispelte sie.
»Wer i bin? Aber zuerst will i dein Kopf da an meiner Schulter g'spüren, so, also wer i bin? Dem Alois Riegl sein Vater bin i. Halt, siehst, das hab i g'wußt, wegrennen wirst mir wollen. Aber der alte Riegl is stärker als du, fein sitzen bleiben, Hand weg vom Gesicht, Aug in Aug, Kathi, nit feig sein. Und – anhören.«
Er faßte ihre beiden Hände, und neigte sich zu ihrem weißen Gesichte nieder.
»Vor drei Tagen ist der Lois zu mir nach Heiligenblut kommen und hat mir erzählt, er hätt a Madl lieb, die wild wie der leibhaftige Gottseibeiuns wär. Das Madl is erkrankt und wird sterben, wie d' Leut sagen. Sie hat ihn so schwer beleidigt, daß er nimmer aufigehn kann zu ihr, und wenn sie wirkli stirbt. ›Komm nach Zell, Vater, führ's, oder trag's abi zu mir, Vater, i bitt di,‹ hat er mit aufgehobnen Händen g'rufen, ›i muß sie no a mol sehn, aber i kann sie nit sehen, wenn sie nit zu mir kommt.‹«
Katharina warf ihre magern Arme um den Hals des Alten.
»Schleun di, schleun di, mir wolln g'schwind nunter, magst mi führn, i glaub, es geht, g'wiß geht's ...«
Eine solche Beschwörung lag in ihrem Blicke, daß der Greis kaum seine Bewegung zurückhalten konnte.
»Also lieb hast ihn? Und warum hast denn nit nach ihm hinunterg'schickt?«
»Na, lieber wär i g'storbn.«
»Seid's ös dumme Kinder, alle beide! Katherl, unser Leben is so kurz, wer wird sichs denn da noch verkürzen um die paar hellen Sonnentage? Hast schon wen sterben g'sehn, Katherl? Siehst, vor etlichen Jahren is amal a Kurier und a Kammerdiener nach Heiligenblut g'saust kommen. Sie haben das halbe Gasthaus umdreht, haben Teppiche und seidne Decken ausgelegt und alle Zimmer geräuchert. Dann is a Koch kommen, a ganzer Waggon voll Essen und Trinken, noch a paar Diener und endlich der Herr. A prächtiger langer Lakl, a englischer Lord, der so reich gewesen sein soll, daß er sich's ganze Tiroler Landl hätt kaufen können. Jetzt häst den Spektakl und das Gethu sehen sollen, das sie mit ihm g'macht haben. Der eine hat seine Fingernägel b'sorgt, der andere ihn frisiert, der dritte hat ihm d' Stiefl auszog'n. Im ganzen Ort hat's nach Parfüm und seine Wässer g'rochen. Und der Trubl in der Kuchl. Zwölf Leut hätten si täglich satt essn können von dem Überfluß, den's für den ein habn herg'richt. Neben andern Kostbarkeiten hat er auch a Koppel Hund, etliche Pferde und a wunderschöne Equipage mit si g'führt. Die Klingl zu den Stuben seiner Diener war den ganzen Tag in Bewegung. Wenn er ein' Ausflug wohin g'macht hat, habn's müssn Wein und feine Speisen hinter ihm nachtragn. Na, und eines Tags hat er si in den Kopf g'setzt auf'n Glockner z' steign. I und no etliche Führer sollten mit ihm hinauf. ›Ich gute Bergsteiger sein, schon viel hohe Berg maken,‹ hat er lachend zu mir g'sagt. Wir warn etwan a Drittel des Wegs kommen, etliche hundert Fuß über der Franz Josefs-Höh'. An einer für gute Bergkletterer ganz ung'fährlichen Stell, wo ma gar nit denkt an a G'fahr, macht mei Lord an Fehltritt und stürzt. Vor unsern Augen kugelt er über d' Felswand. Was meinst? Ein' ganzn Nachmittag habn unserer sechse g'sucht. Endlich hab i ihn g'funden. Der große, reiche Lord, der sechzehn Mann Dienerschaft mit sich g'führt und n' ganzn Ort in Aufruhr versetzt hat, is in mei Schnupftüchl einigangen. Hab seine zerschellten Knochn hinuntertragn. Mei Katherl, der Mensch is so nichtig, so klein, glaubst gar nit wie. Je weniger Lärm er macht, je ruhiger er die paar guten Lebenstag ausnützt, die ihm der liebe Gott schenkt, um so besser für ihn.«
»Der liebe Gott? Meinst, der weiß was von uns?«
»Verschütt nit das Kind mit'n Bad. Ich hab scho gehört, daß du d' Kirchen verachst. Is a Herr deswegn geringer, weil ihn auch nixnutzige Leut auf der Straßn grüßn und anbittn? Geh meintwegn in keine Kirchn, aber heb die Augen und Händ zum Himmel. Dort drobn wohnt einer, der trotz seiner Größe es nit verschmäht auf uns herab z' schaun, weil wir sein Werk sind. Und wenn d' wirklich Gott erkennst und in dir ahnst, dann wirst sogar – in die Kirchn gehn, nit, weil er dort eher wär als aufm Feld oder im Wald, sondern weilst vielen Menschen a Freud machst, wenn sie sehn, daß D' Dich nit hochmüthig über sie erhebst. Gut sein, Katherl, is das erste Gebot der Liebe Gottes, alles andere is in dem enthalten.«
»I dank dir,« hauchte sie, »i dank dir, aber jetzt, fass' mi unter ... schau, i bin ja ganz g'sund.«
Sie sprang auf, schwankte, und ehe er sie auffangen konnte, lag sie ohnmächtig zu seinen Füßen. Er trug sie hinein.
»Habt's an starkn Wein?« fragte er die Mägde, die sie zu Bett brachten. »Flößt's ihr an ein. Sie is g'fährlich schwach.«
»Wenn's den ganzn Winter fast nix gessn hat, und d' ganzen Nächt röhrat röhrend, weinend. in ihra Stubn umananda g'rennt is, wird's scho schwach sein müassn,« sagte Burgl.
»Du dummes Kindl!«
Er warf noch einen Blick auf die anscheinend Schlummernde, dann wollte er sich entfernen. Als er schon bei der Thüre war, schlug sie die Augen auf.
»Vater ... wohin gehst? Nimm mi mit.«
»Bleib liegen, bleib liegen,« sagte der Greis, sich zurückwendend, »ich – bring Dir ihn herauf.«
»O du mein Gott! Wann denn? In aner Stund, gelt?«
»Na, heute nimmer, Bäuerin, aber morgen.«
»G'wiß?«
»G'wiß!«
»Um viere.«
»Um sechse.«
»Alsdann um fünfe!«
»Um sechse.«
»Geh, komm um fünfe!«
»Na, meinetwegn, aber ruhig schlafen, hörst? Dämpf di!«
Sie drückte ihr Gesicht in die Kissen.
Er ging.
*
Das erste Glöcklein läutete eben vier Uhr, es war noch dämmerig draußen, als sich eine Hand auf Katharinas Stirn legte.
»Schlafst?«
»I? Na, ja, wer is denn? Du, Burgl?«
»Nit ganz.«
»Ah! Vater! Vater! Hast ihn bracht?« Sie fuhr im Bette auf. »Hast ihn bracht? Wo is er, wo is er, i lauf ihm entgegen.«
»Pst, nit rühren, daß d' wieder hinfallst, wie gestern, bleib sitzen.« Er schob ihr ein Kissen unter die Schulter und ging hinaus.
Aber kaum war er draußen, als sie aufsprang. Ihren Schwindelanfall bekämpfend wirft sie schnell ein Kleid über sich, ein Tuch um den Hals ... da öffnet sich die Thüre.
»Lois!«
Sie fällt vor ihm auf die Knie.
»Aber ... Kathi!«
Er hebt sie auf. »Wie schaust denn aus? O du mein Gott!« Er beißt sich auf die Lippen, »bist ja fast ka Lebendiges mehr ... Du ...«
»Lois, Lois!« Sie bringt kein anderes Wort heraus, und als wollte sie all ihre Reue, ihre Liebe, alles was sie ihm zu sagen hat, in eine einzige Bewegung drängen, zieht sie seine Hand an ihre brennenden Lippen.
»Und jetzt geh in's Bett und wer' g'sund.« Nachdem er sie einige Minuten stumm an seine Brust gepreßt, legt er sie sanft auf ihr Lager. Da kommt der Alte herein.
»Was is denn? Ihr seid's ja so stad.«
»Mir is so wohl, Vater!«
»Katherl, gelt, jetzt wird's dir auch wohl bleiben.«
Der Alte beugte sich über sie.
»Du, Lois!«
»Was, Vater?«
»Schau's an, wie sie da liegt. A Trotzköpfl mit nassen Augen. Sag', liegt der Grund von euerm ewigen Zank nit auch a bißl an dir?«
»Ich hab' sie furchtbar gern, Vater, du weißt's ja,« ringt es sich mühsam von Alois' Lippen, »aber –«
»Ja, was hat's denn eigentlich gethan?«
»Ausg'schlagn hat's.«
»Herrgott; wenn a Weib ausschlagt, drückt ma's fest an d' Brust, daß sie si nit rühren kann –«
»Und g'schrien hat's mit mir, da hab' i halt glaubt, i als Mann muß 's übertrumpfn und no ärger schrein.«
»Das war's Verkehrte. 's giebt Naturen, wilde, trotzige, die nur durch Lieb' zu zähmen sind. Mit dem Schreien richt' ma nix. Wenn sie recht tobt, schau sie still an, und sie wird ganz verstummen. Gelt, Katherl? I kenn Di.«
Sie nickte schluchzend aus den Kissen.
»Ich thu's ja so auch lieber, Vater, aber i hab' glaubt, als Mann wär' ich mir schuldig –«
»Der Mann muß über dem Weib stehen, Lois; Deine Mutter war anfänglich auch a Hitzköpfl, jetzt is sie a Engl.«
»Lois!«
»Was denn, Kathi?«
»Weißt, gehn ma weg von da. Verkaufn ma alles und ziehn ma zu Deine Eltern.«
»Behalt Du nur Dein Hof, i behalt mein Katharinenhaus!«
»Was soll denn das heißen?« fuhr sie auf und war mit einem Fuß aus dem Bette.
»Daß wir im Sommer heroben und im Winter unten wohnen wern.«
Langsam schob sie auch den zweiten Fuß herab, und stand plötzlich vor Beiden.
»Da hast es.«
Der Alte faßte sie.
»Na, na, i bitt enk, laßt's mi stehn, mir is so gut ... Du, Lois ...«
»Was denn?«
Sie faßte flehend seine Hände.
»Gelt, und ... das mit dem Severin glaubst nit.«
Er runzelte die Brauen.
»Laß die Dummheiten!«
»Das san keine Dummheiten!«
»Sixt, Vater, sie rankelt scho wieder. Hast denn vergessen, was i dir g'sagt hab? Du bist die adeligste Frau im ganzen Land.«
»A tappets Schulmadl hast mi g'heißn.«
»Wie 's rankelt!«
»'s giebt nur a Mittl um a zanksüchtigs Frauenzimmer stad z' machen: buss' ihr den Mund zu ...«