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Es geschieht zuweilen, daß ein Samenkorn aus südlichen Ländern von Wind und Wellen an die nordischen Küsten hinaufgeführt wird, und zuweilen keimt es; aber die Luft ist der fremdländischen Pflanze zu kalt, das starke Riedgras hemmt es am Wachsen und überschattet es, und all die Schönheit, die es in seinem Heim mächtig entfaltet hätte, kann nur ein Forscherauge in dem verkrüppelten Stengel und den gelben, hängenden Blättern ahnen ... Zwei solcher Pflanzen will ich dir zeigen, aber willst nun du der Forscher sein, der in dem verkrüppelten Wuchs den schlanken Stamm, die grüne Fülle des Lebens und die Farbenpracht der Blüten ahnt, und ihnen so einen Schimmer des Schönheitslebens geben, das zu führen ihnen versagt wurde?
Es war in einem jütländischen Dorf (Vestervig) auf einem großen Sommermarkt. Mitten auf dem Platz stand ein Leierkastenmann, rings um ihn her bildeten Burschen und Mädchen einen Kreis, versunken in das Tonmeer, das über sie hinströmte, froh, aber mit ernsten Mienen, so wie es sich für erwachsene Leute geziemt. Einer war jedoch da, der sich ganz und offen den Tönen hingab; er summte so leise mit, schlug Takt mit dem Kopf, machte hin und wieder einen Tanzschritt und wandte sich mit frohen, verwunderten Blicken bald an den einen, bald an den andern, als wolle er sagen: »Könnt ihr denn stehen bleiben?« und ihre ruhigen Blicke antworteten ihm das bestimmteste Ja, und das schmierige Grinsen einzelner Burschen fügte sogar einen stillen Zweifel an seinem Verstand hinzu. Auf einmal gewahrte er ganz drüben auf der andern Seite ein Mädchen, das mit halbgeschlossenen Augen dastand und den Kopf im Takt wiegte. Er stürzte zu ihr hinüber, ergriff ihre Hand, und bald schwangen sie sich auf dem Grase herum. Es war keine Tanzmelodie, die gerade in diesem Augenblick erklang, aber der Tanz, den sie improvisierten, war voll Leben und Sicherheit und schloß sich so eng an die Melodie, als sei das Ganze ihnen beiden etwas Altes und Wohlbekanntes.
»Schnurrig, daß sie so tanzen mögen«, flüsterte ein ganz junges Bauermädchen einem älteren zu.
»Ach was, keiner von ihnen ist ja von ordentlichen Eltern.«
»Wieso das?«
»Ach, er ist ja im Armenhaus groß geworden, seine Mutter nannten sie Lumpengrete, und sie war wohl eine nichtswürdige Person.«
»Aber das Mädchen?«
»Du kannst doch sehen, daß sie zu den Schwarzen gehört, ihr Vater war Sergeant bei den Spaniern.«
Aber die beiden Fröhlichen, die einander gefunden hatten, wollten sich nicht trennen. Einen Monat darauf ließen sie sich trauen. Sie hatten keinen Anhang, und was sie besaßen, war nur wenig, aber doch so viel, daß ein Mann ihnen dafür eine kleine Heideecke überließ, auf der ein Hügel lag. Den Hügel richteten sie zum Hause ein; aber aus der Heide wurde niemals ein Garten, so wie sie zuerst geglaubt hatten, denn Jens wollte lieber sein Brot mit Klarinettspielen verdienen als mit Graben, und Karen wollte lieber spinnen als jäten. Hier lebten sie nun sehr glücklich, und als es wieder Sommermarkt war, zog Jens mit seiner Klarinette dahin, Karen aber mußte zu Hause bleiben, denn da war ein Drittes im Hügel, das nicht für sich selbst sorgen konnte.
Die Jahre gingen dahin, und die Kleine, Else hatten sie sie genannt, wuchs hübsch und klug heran und tummelte sich vom Morgen bis zum Abend zwischen den braunen Heidebüscheln.
Plötzlich wurde sie sehr krank, Tage und Nächte saßen die Eltern an ihrem Lager, aber die Krankheit wich nicht.
Endlich wand sie sich in dem letzten Kampf; Jens floh entsetzt hinaus, aber die Mutter betete ihr Vaterunser, und als sie merkte, daß es nicht um das flehte, was sie in diesem Augenblick allein erstrebte, so verlieh sie dem Gebet selbst Worte und betete: »Lieber Gott! ich weiß, daß du ein guter Mann bist, und wenn wir zu glücklich gewesen sind und nicht genug an dich gedacht haben, so mußt du jetzt doch nicht zu strenge gegen uns sein; nimm mein Kind nicht von mir! Kannst du es uns nicht so lassen, wie wir es hatten, so laß mich krank werden, wir Großen sollen ja getroffen werden, so triff denn uns, aber laß nicht mein unschuldiges Kind leiden!«
Aber das Kind wand sich im Todesschmerz, und die Mutter schrie in Verzweiflung: »Halt ein, lieber Gott! laß nicht die Krankheit sie so peinigen, hilf ihr, sieh, wie ihre Hände sich ballen, sieh, wie ihre Augen mich um Hilfe ansehen! O Gott, es ist unrecht von dir!«
Aber das Kind starb.
Am Tage darauf ging nun Jens zum Geistlichen und bat ihn, ob das Kind nicht auf der Heide begraben werden könne, dicht vor dem Hügel, wo es seine glücklichsten Stunden verlebt hatte, und da wolle es gewiß am liebsten liegen, in ihrer Nähe; den Kirchhof kenne es gar nicht, und dahin wollten sie es so ungern haben, zwischen lauter Fremde. Der Pfarrer suchte ihm nun begreiflich zu machen, daß der Kirchhof der einzig richtige Ort sei, wo man liegen könne, wenn man tot war, und daß die Kinder der christlichen Kirche nicht, so wie die Heiden, in ungeweihter Erde begraben werden könnten.
So bekam denn der Pfarrer seinen Willen.
Die Trauer machte es nun eine Weile finster für sie; aber sie waren jung, und das Leben bekam wieder Licht und Farbe. Sie zogen aus der Gegend fort in die Stadt, wo Jens in ein paar Tanzsälen angestellt wurde und Karen genug zu spinnen bekam.
Aber es gab doch auch Tage, wo sie zusammen auftraten, und nach diesen sehnten sie sich wie Kinder. Wenn da nämlich irgendein Fest in der Stadt war, das so recht strahlend sein sollte, so bestellte man das Paar, um Musik zu machen. Und wie ergötzlich war es da nicht für kluge Leute, den verrückten Klarinetten-Jens seiner Frau verliebte und bewundernde Blicke zuwerfen zu sehen, während seine Finger über die Löcher des Instruments hinschlüpften, als seien es die Saiten einer Mandoline, die sie behandelten, und wie unendlich komisch war es nicht, Karen, eine verheiratete Frau, ein ungeheures Tamburin schütteln und schwingen und schlagen zu sehen, und endlich welch eine ungeheure Masse Einfälle waren da allmählich nicht im Laufe der Jahre zu erinnern und zu wiederholen, denn kein Witz wurde vergessen, und Jens und Karen fuhren fort aufzutreten, als ihr Haar schon lange angefangen hatte zu ergrauen.
Aber zum zweitenmal wollte der Tod ihr Haus heimsuchen, und er sandte seinen Diener Krankheit, um ihm den Weg zu bereiten. Karen war krank, sehr krank, und Jens saß bei ihr, wenn er nicht aus war, um Rat zu suchen; denn alles, was in einem Umkreis von mehreren Meilen Doktor, kluge Frau und kluger Mann hieß, holte er an das Lager der Kranken, und indem er ihnen alles versprach, was er besaß, flehte er sie auf den Knieen an, Karen gesund zu machen.
Aber Karen starb.
Der Abend war mild und still. Jens holte das Tamburin, legte es in die Hände der Toten, nahm dann seine Klarinette und spielte die Melodien, die sie am meisten geliebt hatte; zuerst spielte er ein kleines Lied, und die Worte umtönten ihn so schwer und wehmütig:
»Es war ein Samstagabend,
Ich wartete auf dich,
Du sagtest, du wolltst kommen,
Und ließest mich im Stich.«
Dann spielte er den sonderbaren Tanz, den sie immer hören wollte, nach dem die Bauern aber niemals tanzen wollten, weil er nichts Vernünftigem gleiche, wie sie sagten.
Aber die Nachbarin hörte die Musik da drinnen bei der Leiche; sie kam gleich zu Jens herein, und mit dem ganzen Pathos des Ärgernisses rief sie: »Was bist du doch für ein Mensch! sitzest du nicht da und spielst Tänze an der Leiche deiner Frau!«
Jens sah sie verwundert an.
»Hinaus mit dir! Weder vor Gott noch vor den Menschen kann ich es verantworten, dich hier bei der Leiche zu lassen!«
Und Jens ging hinaus und trank sich einen Rausch an. Aber das war das erste, was man verstehen konnte von allem, was er getan hatte, und die Leute sagten, der verrückte Klarinetten-Jens sei klug geworden, als seine törichte Frau starb.
Aber Jens fuhr fort zu trinken.
Es ward sehr still im Zimmer, was Julie und Karl sehr in Verlegenheit versetzte, da sie nicht wußten weshalb. Karl wollte etwas sagen, wußte aber nicht was; – da stieß er denn eine Obstschale um, und lachend tummelte die ganze Gesellschaft umher nach rollenden Äpfeln und hüpfenden Walnüssen. Jetzt sollte Paul etwas hören lassen; er trank drei Gläser Wasser und trug dann vor: