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Das Wesentlichste von dem, was bey diesem Buche voraus zu sagen gut seyn möchte, ist schon in der Vorrede zu Allwills Briefsammlung S. XI–XVI gesagt worden: ich gebe daher auf jene Stelle, als auch zu diesem Buche geschrieben, Anweisung.
Jene philosophische Absicht aber: »Menschheit, wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich, auf das gewissenhafteste vor Augen zu legen« – findet sich in dem gegenwärtigen Werke nicht wie dort mit Dichtung blos umgeben; sondern hier scheint vielmehr die Darstellung einer Begebenheit die Hauptsache zu seyn.
»Scheint; und scheint auch nicht: das ist der Fehler!« wird man sagen.
Diesen Vorwurf muß ich mir gefallen lassen. Mein Zweck konnte nur auf dem Wege, den ich eingeschlagen habe, von mir erreicht werden. Von der Wichtigkeit und Würde dieses Zwecks habe ich die innigste, deutlichste, vollkommenste Ueberzeugung; und ich bin mir auch der Mittel die ich, um ihn zu erreichen, angewendet habe, auf eine Weise bewußt, die mich beruhigt. Mit dem kunstverständigen erfahrnen Dichter werde ich mich leicht verstehen; auch mit dem Philosophen, wenn er etwas mehr ist, als nur Philosoph von Profession.
»Ich habe nie verlangt« – sagt Lessing im Nathan »daß allen Bäumen Eine Rinde wachse.«
Also anstatt den Leser mit dem was sich für oder wider meine Arbeit möchte sagen lassen, aufzuhalten, oder mich darüber mit ihm zu entzweyen, will ich hier auf der Stelle von ihm Abschied nehmen, und ihm nur noch eine Fabel hinterlassen, die ich am liebsten allein, ohne andre Vorrede, an dieser Stelle angebracht hätte.
Harmonia, die Tochter der Liebe, war eine thätige Mitgehülfinn Jupiters bey seiner Schöpfung. Mütterlich gab sie aus ihrem Herzen jedem werdenden Wesen einen Ton, einen Klang, der sein Inneres durchdringet, sein ganzes Daseyn zusammenhält und es mit allen vergeschwisterten Wesen vereinet. Endlich hatte sie sich erschöpft, die gute Mutter; und weil sie ihrer Geburt nach nur halb eine Unsterbliche war, sollte sie sich jetzt mit dem Leben von ihren Kindern scheiden. Wie ging ihr der Abschied so nah! Bittend fiel sie vor dem Thron Jupiters nieder und sprach: Gewaltiger Gott, laß meine Gestalt verschwinden vor den Göttern; aber mein Herz, meine Empfindung tilge nicht aus und trenne mich nicht von denen, denen ich aus meinem Herzen das Daseyn gegeben habe. Wenigstens unsichtbar will ich um sie seyn, damit ich jeden Hall des Schmerzes und der Freude, mit dem ich sie glücklich oder unglücklich begabte, mit ihnen fühle, mit ihnen theile.
Und was würde es dir helfen, sprach der Gott, wenn du ihr Elend unsichtbar mit ihnen fühltest und ihnen nicht beyzustehen, ihnen auf keine Art sichtbar zu werden vermöchtest? denn das letzte versaget dir doch der unwiderrufliche Spruch des Schicksals.
So laß mich ihnen nur antworten dürfen; unsichtbar nur die Laute ihres Herzens wiederholen können, und mein Mutterherz ist getröstet.«
Jupiter berührte sie sanft und sie verschwand; sie ward zur gestaltlosen, allverbreiteten Echo. Wo eine Stimme ihres Kindes tönet, tönet das Herz der Mutter nach: sie spricht aus jedem Geschöpf, aus jedem brüderlichen Wesen den Laut des Schmerzes und der Freude mit dem Gleichlaut einer harmonischen Saite. Auch der harte Fels wird von ihr durchdrungen, auch der einsame Wald wird von ihr belebet; und wie oft hast du mich, zärtliche Mutter, du scheue Bewohnerinn der Einsamkeit und der stummen Haine mehr in ihnen erquickt als in dem öden Kreise tonloser Menschenherzen und Menschenseelen. Mit sanftem Mitleid giebst du mir meine Seufzer zurück: so verlassen und unverstanden ich seyn mag, fühle ich doch aus jedem deiner gebrochenen Töne, daß eine alles-durchdringende, alles-verbindende Mutter mich erkennt, mich höret.
Herders Pyramythien. Zerstreute
Blätter, Erste Samml. S. 190.