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Wir können über seine Teilnahme an den Freiheitskriegen nur wenig hinzufügen; es geschieht nach seinen Briefen und Tagebüchern, die Gustav zu Putlitz 1870 herausgegeben hat.
Nach der Schlacht bei Leipzig meldete sich auch der siebzehnjährige Immermann zu den Waffen; der Vater stimmte gern zu. Er ward in die erste Jägerabteilung des Leib-Infanterieregiments aufgenommen, aber noch vor dem eigentlichen Aufbruch der Truppen ergriff ihn in Neuhaldensleben ein heftiges Nervenfieber, das ihn an den Rand des Grabes brachte. Ein Vierteljahr mußte er krank liegen; als er dann seinen Truppenteil erreichte, war der Krieg zu Ende. Traurig zog er heim, weil es ihm nicht vergönnt gewesen war, für die Befreiung des Vaterlandes zu fechten. In Helmstedt erfuhr er den Tod seines Vaters; im fünfundsechzigsten Lebensjahre war er am Karfreitag 1814 seiner noch jungen Gattin und seinen noch unversorgten Kindern entrissen worden.
Karl Immermann wandte sich, als das Freiwilligenkorps aufgelöst war, seinen Studien zu, immer noch Gram im Herzen, daß er als Soldat nur Patient gewesen war. Er war dann vielleicht der einzige Mensch in Deutschland, der jubeln konnte, als Napoleon von Elba entwich und der Kampf von neuem begann. Sofort war er wieder unter den Freiwilligen.
Es war ein kleiner Kreis von Freunden, die sich am 29. April 1815 zu Magdeburg dem kommandierenden Generale vorstellten und von ihm einen Vorspannpaß bis zur Armee an der französischen Grenze erhielten. Der vorgeschriebene Marsch führte sie über Helmstedt, Hildesheim, Soest, Elberfeld und Düsseldorf nach Aachen. Es war eine fröhliche Reise; überall wurden die jungen Jäger als die ersten Freiwilligen mit Jubel empfangen. In Aachen gab es einen zweitägigen Aufenthalt und allerhand Plackereien, ehe die Kriegslustigen zum kommandierenden General gelangten. Sie bemerkten jetzt, daß den Exzellenzen der Zuwachs am einigen freiwilligen Jägern nicht so wichtig erschien, als diese selber ihre Ankunft gern betrachtet hätten. Endlich ging es über die Grenze; am 17. Mai wurde das Lager von Ciney erreicht. Dort wurde den Freiwilligen eine eigene Hütte erbaut, und das Lagerleben, das nun bis zum 24. Mai dauerte, war reizvoll genug. Immermann schrieb dort von seiner Lebensweise:
»Der Mensch tritt gewissermaßen in den Stand der Natur zurück und sucht sein Leben auf die einfachste und roheste Weise zu fristen. Alle Künstelei fällt weg, und Jeder muß seinen Scharfsinn aufbieten, um ohne die Hilfsmittel, welche das gesellschaftliche Leben gewährt, seine Bedürfnisse zu befriedigen.
»Die Grünröcke, bei denen man noch gute Mutterpfennige zu ergattern hoffte, wurden von den Marketendern besonders aufs Korn genommen. Jeder Tag bot neue, wechselnde Bilder. An einem Abend wurde dem kommandierenden General ein Fest gegeben in einer Art von Salon, der aus grünem Laube von den Soldaten erbaut und hübsch dekoriert war.
»Morgens und abends wurde stark exerziert, dazwischen gekocht, geschlafen, umhergelaufen, bis am fünften Tage des Biwaks endlich Marschorder kam. Niemand wußte wohin. Um halb acht Uhr traten wir an, der Oberst ritt die Front herab; endlich ging's fort. Wir voran. Die köstliche Musik hinter uns. Mir war dabei recht wohl zu Mute.«
In einigen Tagemärschen ward Goyet erreicht, wo wieder ein Lager aufgeschlagen wurde. Bei der Ankunft eines neuen Truppenteils ward Immermann mit einem Gefährten nach Ciney zurückgeschickt, um Lebensmittel zu requirieren. Dabei zogen ihnen ihre Unerfahrenheit und jugendliches Ungeschick manche höfliche oder grobe Zurechtweisung zu, dennoch wurde der junge Freiwillige zum Fourier ernannt und bekam viel Gelegenheit, seine praktischen Talente zu entwickeln, bekam auch viel Mühe und Plage.
In Goyet ging es ähnlich her wie in Ciney: Exerzieren, Scheibenschießen, Übung im Wachdienst, dazwischen theatralische Vorstellungen der Marketender und dergleichen. Als die versammelte Mannschaft auf vierhundert Köpfe angewachsen war, wurden die notdürftig einexerzierten Freiwilligen an die einzelnen Bataillone verteilt.
»Endlich brach der verhängnisvolle 15. Juni an. Um 10 Uhr wurde in allen benachbarten Kantonierungen Lärm geschlagen und geblasen, worauf sogleich auch für uns der Befehl zum Aufbruch folgte, der nach unendlichem Umherlaufen, Lärm, Geschrei und Verwirrung um 12 Uhr geschah.
»Bei Auville trafen wir die Bataillonswagen, an die wir uns anschlossen und denen wir bis zur Chaussee von Namur folgten, wo wir das ganze dritte Armeekorps aufmarschiert fanden. Sobald wir ankamen, mußten wir mit den Fourieren des Regiments fort nach Namur, um dort Fourage zu empfangen.
»In Namur war großer Spektakel. Die Nachricht bestätigte sich, daß die Franzosen im Anrücken und General Ziethen gedrängt sei. Während wir mit dem Empfangen beschäftigt waren, rückten das zweite und dritte Armeekorps durch. Daß beim Anblick dieser unendlichen Massen meine Stimmung ernst und feierlich ward, war natürlich, wie überhaupt die Augenblicke, die einer großen Entscheidung vorangehen, etwas beengend sind.
»Endlich war der Empfang beendet, und wir setzten uns mit der übrigen Wagenkolonne in Bewegung. Nicht weit von der Stadt leuchteten uns schon unsere zahlreichen Feuer entgegen, und wir erreichten bald das Lager, welches auf einer waldigen Höhe bezogen war.
»Eine furchtbare Nacht brach an. Unsere von Ciney mitgebrachten Lebensmittel sollten verteilt, Stiefel, Pulver und Blei ausgegeben und Kugeln gegossen werden. Nie ist wohl vor der Schlacht ein Detachement so wenig gerüstet und in solcher Verwirrung gewesen als das unsrige. Der Leutnant lief in Verzweiflung umher, der Feldwebel rieb sich den Kopf, aus dem kein vernünftiger Gedanke kommen wollte. Wir Fouriere steckten in Mehl, Fleisch und Branntwein bis über die Ohren, riefen uns die Kehle ab, um unsere Vorräte an Mann zu bringen, aber ein Jeder ging taub vorüber. Um zwei Uhr legte ich mich endlich ein wenig auf die Erde, nachdem in mir erhebliche Zweifel über die geträumte Bequemlichkeit des Fourierlebens während des Feldzugs aufgestiegen waren.«
Am nächsten Tage war die Schlacht bei Ligny. Immermann konnte einen großen Teil davon sehen, einige seiner Kameraden fielen, aber sein Teil des Bataillons kam nicht zum Angriff. Um drei Uhr nachmittags begann die eigentliche Schlacht, um zehn Uhr wußte man, daß sie verloren war. »Es war aber Keiner mutlos,« erzählt Immermann weiter, »und ich glaube, daß Napoleon übler zu Sinne gewesen ist an jenem Abend als dem preußischen Heere. Die Preußen hatten 14000 Tote und Verwundete, die Franzosen nicht unter 10000. Blücher war mit dem Pferde gestürzt, französische Kavallerie sprengte zweimal an ihm vorüber, ohne ihn zu bemerken.
»Hell leuchtete der Mond und außerdem die Feuersäule vom brennenden Ligny. Das Korn war ganz niedergetreten und der Boden ganz glatt wie eine Eisfläche. Zwei Tage darauf hörten wir in der Mittagsstunde den Kanonendonner von Belle-Alliance und marschierten dorthin.«
Immermanns Tagebücher brechen hier leider ab. Nach dem großen Siege wurde das dritte Armeekorps, bei dem er stand, nach Paris geführt. Einige Gefechte waren noch zu überstehen, am 7. Juli war der Einzug in die französische Hauptstadt. Den ganzen Tag mußten die Truppen durch die Hauptstraßen der Residenz ziehen; erst am späten Abend gelangten sie in die Quartiere.
Ein zehntägiger Aufenthalt in Paris gab Immermann Gelegenheit, sich manche der Merkwürdigkeiten anzusehen, und gewährte namentlich die willkommenste Erholung von den Strapazen der letzten Wochen.
Auf dem Rückmarsch ward er bald im Hauptquartiere verwandt. Es ging über Meaux, Chalons, St. Avold, wo vierzehn Tage Aufenthalt war, und dann in die Heimat. Die Freiwilligen wurden in den letzten Tagen des Jahres 1815 entlassen.
Immermann kam als Offizier zu den Seinen zurück. Nach kurzer Ruhe begab er sich wieder nach Halle, um die zweimal unterbrochenen Studien von neuem zu beginnen.