Karl Immermann
Preußische Jugend zur Zeit Napoleons
Karl Immermann

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13. Kapitel.

Als Kriegsfreiwilliger.

Der Aufstand der Jugend in den Landstrichen links der Elbe fand zwar in Masse erst nach der Schlacht bei Leipzig statt: aber dennoch war von Halle schon vor dem Schlusse der Kollegien im März 1813, angefeuert durch geheime Sendboten aus Berlin, eine beträchtliche Schar zu den preußischen Fahnen aufgebrochen, meistenteils zu dem Lützowschen Freikorps. Nach dem Sturme durch Kleist im April waren die siegenden Preußen von den Einwohnern mit Jubel empfangen worden. Man wußte, daß Napoleon das eine wie das andere wisse, und es schwebte daher in den ersten Sommermonaten eine Gewitterluft über der Universität, die freilich uns junge Leute wenig angriff. Auch hofften die Vorstände und Behörden noch durch Mittelspersonen von Einfluß den Schlag abwenden zu können.

Auf einmal verkündeten während des Waffenstillstandes und, wenn ich nicht irre, noch im Juli die Zeitungen, der Kaiser werde in den nächsten Tagen von Dresden abreisen und Niedersachsen, besonders Magdeburg in Augenschein nehmen. Wir Studenten achteten dessen wenig. Denen aber, die etwas zu verantworten hatten, mag übel zumute geworden sein, denn Halle mußte von dem Strahle dieser Reise berührt werden.

Ich wollte eines Vormittags mir aus den Institutionen das Nötige über die Falcidische QuartEine gesetzliche Bestimmung, die auf ein römisches Gesetz von 40 v. Chr., die Falcidia lex, zurückgeht. Sie besagt, daß jeder Erbe mindestens ein Viertel seines Erbteils für sich frei von Vermächtnissen beanspruchen darf. holen, fand aber statt eines gesammelten Auditoriums nur einen Haufen unruhiger Kommilitonen, denen der Fiskal eben angekündigt hatte, daß nicht gelesen werde. Auf ferneres Befragen eröffnete er uns, daß der Kaiser soeben der Universität eine andere und zwar eine tödliche QuartDer vierte Hieb oder Stoß der Fechtkunst, auf die linke Seite des Gegners gerichtet. versetzt habe. Die Universität war nämlich aufgehoben oder hatte, wie der damalige Kurialstil lautete, »aufgehört zu sein«. Napoleon war in der Nacht an Halle durchpassiert, hatte draußen vor dem Tore umspannen lassen, die akademischen Behörden, die ihm ihre Aufwartung machen wollten, heftig angelassen und ihnen unter schweren Drohworten für ihre Personen kurzweg erklärt, er brauche keine Studenten, sondern nur Soldaten und Bauern. Er war darauf, wie der Dämon, in das Dunkel entschwunden; in der Frühe aber hatte ein offizieller Aufhebungsbefehl aller Ungewißheit ein Ende gemacht.

Die Professoren hingen die Köpfe, die Studenten bezahlten ihre Wirte, oder bezahlten sie auch nicht, und reisten ab. Die WeimaranerDie Schauspieler, von denen unter Fußnote 33 die Rede war. gingen nach Weimar zurück, die Fridericiana wurde wüst und leer.

Ich glaubte, für so außerordentliche Umstände sei der Befehl meines Vaters nicht gegeben worden, und da ich überdies nicht wußte, was ich an einem Orte ferner solle, wo es keine Vorträge mehr gebe, so machte ich mich auf den Weg und wanderte zu Fuß im stärksten Sonnenbrande die staubige Chaussee nach der Heimat hinunter.

Sobald ich aber unser Haus betreten hatte, überfiel mich die Ahnung, daß ich auf gefährlichem Boden stehe. Beklommen erwartete ich die Rückkunft meines Vaters, der sich in seinen Geschäften auf der Präfektur befand. Als er kam, trat ich ihm begrüßend entgegen. Er maß mich mit seinen Augen, lehnte die Annäherung ab und sagte mit festem Akzent: »Ich habe dir verboten, während des ersten Jahres nach Hause zu kommen. Du wirst Dich hier ausruhen, wenn das geschehen, aber zurückkehren, wohin du gehörst, und für dich studieren, bis ich über dich anderweit bestimmt habe.«

Dabei blieb es denn auch. Ich verweilte zwei Tage in Magdeburg, bestand vor meinem Vater ein juristisches TentamenPrüfung, besonders eine erste oder Vorprüfung nach einem noch nicht vollendeten Studium. und kehrte dann in die Lücke zurück, welche eine Hochschule früher ausgefüllt hatte.

Die Einsamkeit, in welcher ich nun gegen zwei Monate leben mußte, ohne Verwandte, Freunde, Ratgeber an einem fremden Orte in so jungen Jahren, hatte etwas von manchem Callotschen Bilde, auf welchem sich Hexen, Teufel und Fratzen umherjagenDie Kupferstiche des Franzosen Jacques Callot (1592-1635) zeichneten sich durch einen wilden phantastischen Humor aus. . Fouqués »Zauberring« hatte ich zu lesen bekommen, Arnims »Gräfin Dolores« und »Ahasver«, Brentanos »Ponce de Leon« und noch Anderes, was dieser hyperromantischen Richtung angehörte. Ich fing an, mich bei hellem Tageslicht vor Gespenstern zu fürchten. Die wimmelnden, spukhaften Gestalten huschten durch mein weites, ödes Zimmer in dem stillen Klügelschen Hause; dazu goß der Regen im August in Strömen herab und bannte mich vollends in jene phantasmagorischeDie Phantasmagorie ist die Darstellung von Scheinbildern durch optische Vorrichtungen. Stubenatmosphäre. Ich weiß nicht, wohin diese Eremitenlage mich noch gebracht haben würde, wenn nicht die Tage vor der Leipziger Schlacht dem ganzen Wesen ein Ende gemacht hätten.

Die allgemeine Bewegung, welche nun unsere Gegenden ergriff, riß mich auch fort und trieb mich in die Wege, welche so viele Andere gingen. Ich machte eine größere Reise, als mein Vater sie für mich im Sinne gehabt hatte. Und auch nach dem von ihm gesetzten Probejahre sollte ich ihn nicht wieder erblicken. Er starb in der durch Tauentzien belagerten Festung, während ich im Felde war.


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