Karl Immermann
Düsseldorfer Anfänge
Karl Immermann

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3.

Ein fröhlicher Lärm, der aus dem Saale in dieses stillere Zimmer drang, machte dem Gespräch ein Ende. Die Charaktermaske zog sich zurück, und fragte draußen, ob der Wagen noch nicht da sei? Die Dominos standen auf, und so auch die Spieler, worunter der Papageigrüne. Alle gingen nach der Saalthüre, durch welche die barocksten Figuren geschritten kamen. Ein tollverwachsener Kerl in einem dem Trödel abgeborgten Habit humpelte voran, und dem folgte ein gleich kostümierter Bänkelsänger mit einer ungeheuren Nase. Der Verwachsene trug eine Drehorgel, der 42 Großnasige einen Bilderrahmen an langer Stange. Dutzende der leichtfüßigsten Masken hüpften, trippelten, schwirrten nach.

Die Bänkelsänger baten in holperichten Knittelversen um Platz. Sie traten in die Mitte des Zimmers, und augenblicklich umstand sie ein großer Kreis. Neugierig wurden die verwunderlichen Bilder des Rahmens gemustert. Der Rahmenträger, der zugleich einen großen Deutestab in der Hand führte, erklärte die Absicht, auch hier in diesem stillen Stübchen der lieben Jugend die Wunderdinge mitzuteilen, welche drinnen im Saale das reifere Alter beglückt hätten, und ein schnarrender Bänkelgesang begann, wozu der Orgler weidlich orgelte.

Da wurde gesungen vom türkischen Kaiser und seinen zwei Leibdardanellen, die nichts anderes tränken, als Blut, vom Kinde, das, mit sieben Armen geboren, gleich nach der Geburt sieben Porträts gemalt habe, vom tiefen Schnee, in den ein Postwagen mit vierundvierzig Passagieren und einem halben gestürzt sei, so daß man nichts mehr sehen könne, als den Schnee, nämlich die weiße Tafel, und von hundert andern außerordentlichen Begebenheiten und großen Thathandlungen wurde gesungen. Es war ein abenteuerliches Imbroglio neckischer Einfälle, denen sich versteckte und offenbare Anspielungen auf Stadtgeschichten und Persönlichkeiten unsparsam beimischten. Ein schallendes Gelächter unterbrach oft den Rhapsoden, der zu jeder Geschichte mit seinem Stabe die Abbildung wies. Da lauschten auch hin und wieder bekannte Züge durch die Karikatur hervor. Mehreremal wurde Da Capo gerufen, und am Schlusse des Bänkelgesangs forderten viele Stimmen stürmisch die Wiederholung des Ganzen. Die Rhapsoden waren so klug gewesen, sich auf diesen Fall vorbereitet zu halten, sie trugen nun in einer Art von Duett einige neue, noch erhabenere und entsetzlichere Fälle vor, was denn natürlich einen unermeßlichen Jubel anfachte, der sie begleitete, als sie ihren Abzug in ein noch entlegeneres Zimmer nahmen, auch dort den Separatisten des Festes etwas vorzusingen und vorzuorgeln.

Als es in unserem Gemache wieder still geworden war, sagte der schwarze Domino: »Gemahnt mich doch diese tolle Posse an die Düsseldorfer Anfänge!«

»Düsseldorfer Anfänge?« fragte der blaue Domino. – »Was verstehen Sie darunter?« der Rote.

43 »Kinder!« rief der Schwarze, »die Anfänge, was ich unter Anfängen verstehe, das ist gerade so etwas Geheimnisvolles, wie die Mütter im zweiten Teile des Faust:

›Gestaltung, Umgestaltung,
Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung,
Umschwebt von Bildern aller Kreatur!‹

Es läßt sich mehr ahnen, als beschreiben. Die Düsseldorfer Anfänge sind eben die Düsseldorfer Anfänge.«

»Laßt euch doch nicht mit ihm ein!« rief der papageigrüne Domino vom Spieltisch herüber. »Er schlägt seinen mystischen Ton an, und will euch damit nur schrauben. Es ist nichts als Moos, wie er selbst zuweilen dergleichen Zeug nennt«

»Was versteht Ihr unter Moos, alter Herr?« fragte der schwarze Domino den Papageigrünen.

»Das Moos – das Moos – das Moos, das ist das Moos,« stotterte der Papageigrüne, und stach in der Zerstreuung das Aß seines Aiden mit Atout.

»Seht Ihr, da werdet Ihr selbst zum Mystiker, und wollt überdies Gott verbessern, der dem Aß Eures Freundes den Stich prädestiniert hatte,« sagte der Schwarze. »Wollt ihr vom Moose wissen?« mit dieser Frage wandte er sich an den blauen und an den roten Domino. »Denn nicht bin ich gewillt, das Begreifliche supranaturalistisch zu umschleiern, und nur das Unaussprechliche bleibe im Mysterio verborgen. Das Moos, das Gedankenmoos läßt sich begreifen und begreiflich machen.«

»Erweitere nur unsere Kenntnisse!« versetzte der blaue Domino und lachte.

»Gott der Herr,« hob der schwarze Domino feierlich an, »hatte, als er das Werk der Schöpfung vollbracht, von den Stoffen etwas übrig behalten. Denn seine Fülle war unendlich, und seinem Reichtum selbst die grenzenlose Mannigfaltigkeit nicht grenzenlos und mannigfaltig genug. Was thun mit diesem Reste? Die Sache machte dem Herrn Sorge; denn wie er der ewig Reiche ist, so ist er auch der ewige Haushalter und will nichts umkommen lassen. Er berief die Elohim und fragte sie um Rat. Gabriel meinte, er solle eine zweite Welt daraus schaffen. Diesen Vorschlag verwarf des Herrn Liebe; eine Welt aus Resten 44 wollte er sich nicht nur so hinstümpern lassen. Raphael sagte, er möge den Rest aufbewahren zum Flicken, wenn das Universum einmal schadhaft werden sollte. Darauf versetzte des Herrn Weisheit: Ich habe alles so gemacht, daß es immerdar durch sich wird stehen und gehen können, und wird nimmer ein Riß einreißen. Michael schwieg, und dieses Schweigen gefiel dem Herrn, denn in seinem Verstande hatte er schon den Ausweg gefunden.

Er warf, streute, träufelte den Rest der Schöpfungsstoffe in die fertige Welt. Und daraus entstand der Überfluß, der Überschuß, das Zwecklose, das Geratewohl in der festen Ordnung, in der tiefen Absichtlichkeit, die nun jene Reste der Gotteskraft in eine so süße Gärung versetzen. Daraus ist auch der Zufall entsprungen, der Kobold der Kobolde. Gott selbst kann nichts wider den Zufall, denn auch er ist aus ihm, und Gott vermag nichts wider sich. Darum sollten die, welche Geld, Macht, Hoheit missen, Gott nicht verklagen, der ihnen gern hälfe, wenn er nur könnte vor dem Zufall, der ihm immer über den Weg rennt. Die Thoren! Sie wissen nicht, daß der Herr sie um so zärtlicher liebt, weil er sie für den Zufall entschädigen möchte. Es kostet sie nur einen Schritt, um in Gottes ewig feste, geordnete Welt einzutreten, aber den thun sie selten, sondern laufen lieber hinter dem Zufalle her, den sie am Ende noch gar für Gott halten.

Wollt ihr Beispiele, wie Gott in der Natur den Schöpfungsrest verwandt hat? Erinnert euch der wahrhaften Sage vom Stieglitz, an dessen Flügeln der Herr den Pinsel mit den übrig gebliebenen Farben auswischte. Seht die Spielarten, die Übergänge, die Tierpflanzen, die Pflanzentiere, den lichtschluckenden Stein, den Fisch, der lebendige Junge zur Welt bringt, das neuentdeckte Säugetier, welches Eier legt. Alle diese Kreuze der Naturforscher sind Überschüsse der Schöpfungskraft. Seht in der Geschichte die verunglückten Helden, die mißratenen Weisen, die sogenannten interessanten Menschen. Alle diese Kreuze des redlichen Geschichtsforschers sind Überschüsse der Schöpfungskraft. Seht das Moos! Da kriecht's, wuchert's, nistet's am Boden, trägt seine Krönlein, Kelchlein, Kölblein ohne Nutzen, Zweck, Bestimmung, denn das isländische Moos, welches den Schwindsüchtigen dient, ist kein Moos, sondern gehört zu den trockenen, vernünftigen Flechten und Algen. Auch das Moos ist ein Überschuß der Vegetation, die im Schöpfungswunder quoll und keimte.

45 Und in das Hirn des Menschen, in diesen höchsten und feinsten Organismus, wäre kein Tropfen jenes uranfänglichen Überschusses gefallen? Das hätte nicht mit rechten Dingen zugehen müssen. Nein. Jeder spürt's, wenn er sich an den Kopf faßt. Da ist was drin, was nicht Verstand, nicht Vernunft, nicht Urteil ist, und wovon kein Kompendium der Logik handelt. Es ist das Moos im Kopf, das Gedankenmoos. Und wie sieht es aus, wenn es zu Tage kommt? Es sind die zarten Spiele der Einbildung, die lieblichen Grillen, die holden Thorheiten. Die Jugend ist seine Keimezeit, in der Liebe kommt es zum Blühen, der Traum bleibt ihm als Altenteil und Rückzug. Niemand auf der Welt ist ohne Gedankenmoos, und die Menschen sind in dem Verhältnisse zu dieser wundersamen Pflanzenformation nur durch die Art, wie sie sie behandeln, unterschieden.«

»In Sachsen heißen sie Moos Geld. Er hat Moos, bedeutet, er ist ein vermögender Mann,« sagte der Papageigrüne.

»Ei, so schweigt doch, Ihr unerschrockener Interlokutor!« rief der blaue Domino. »Laßt unseren Botaniker hier seinen Lehrvortrag vollenden.«

»Auch der Grüne hat Moos im Kopf, er gehört aber zu der einen Klasse von Menschen,« sagte der schwarze Domino. »Diese wissen nicht recht, was für eine Bewandtnis es mit dem Moose habe, sie fühlen ihr Hirn auf eine seltsame Weise davon gekitzelt, möchten es gern ausreuten und schlechthin besonnene Männer sein. Aber das Ausreuten geht nicht, weil es der unsterbliche Überschuß von Gottes Gedanken ist, und da sie in ihrem Ärger keine Kultur daran legen, so wächst es ihnen in alles hinein, in Verstand, Vernunft und Urteil. Daher kommt es, daß sie so oft schreien: Um Gottes willen, wo ist der Begriff geblieben? Oder seufzen: Nimmermehr hätte ich mir das vorstellen können! Oder tiefsinnig murmeln: Wie kann ein so richtig angelegter Plan mißglücken? Ja, das unkultivierte Moos ist ihnen über den Begriff gewachsen, oder es kriecht schalkhaft zwischen den Vorstellungen umher, oder der Plan glitt auf seiner Glätte aus. Deshalb machen denn auch die Erzprosaiker immer die dümmsten Streiche. – Nun, die andere Klasse, das sind, die am Tage des Herrn geboren wurden, die Sonntagskinder. Die ergeben sich in den 46 Ratschluß des Herrn, tragen das Moos dankbar als eine Gabe Gottes bei sich, hegen es ein, kultivieren es, ökonomisieren damit. Es hat sein Plätzchen für sich bei ihnen, darauf es lustig gedeiht, ohne die anderen Gewächse im Kopfe zu ersticken. Die gehen nun ganz still und ordentlich ihren Weg, von Verstand, Vernunft und Urteil geführt, sehen oft sehr trocken aus und als ob sie nicht fünf zählen könnten, und innerlich begleitet sie eine Welt der farbichtsten Wunder. Nach verschiedenem Gemäß ist ihnen der göttliche Überfluß zugeteilt, der eine hat mehr, der andere minder. Mitunter ist einem bis zum Überlaufen voll gegeben worden;

Und wenn es sich trifft,
Und wenn es sich schickt,

so wird der ein Dichter. Seht, so verhält es sich mit dem Moos im Kopfe.«

»Du hast dem Konfusionspropheten nachgeahmt,« sagte der blaue Domino. »Du gabst uns zugleich mit deiner Beschreibung ein Exemplar von der neuentdeckten Spezies.«

»Sein Sie nun auch nicht eigensinnig, und definieren Sie die Düsseldorfer Anfänge,« fügte der rote Domino hinzu.

»Definieren kann ich sie wahrhaftig nicht, denn Anfänge sind undefinierbar,« versetzte der schwarze Domino. »Damit ihr aber begreift, was ich mir ungefähr denke, so sage ich: die Anfänge sind irgendwo, wenn sich eine Anzahl nicht ganz gewöhnlicher Menschen zusammenfindet, die alle noch nicht recht wissen, was sie wollen. Produktive Talente müssen vorhanden sein, die ihr Ziel nur gleichsam zwischen Nebeln sehen, Kapazitäten, die noch mit Prinzipien ringen, Empfängliche, die alles aufnehmen, selbst wenn manches zu ihrem Wesen nicht stimmt. Da entsteht denn eine Koterie, in der sich jedermann versteht und mißversteht, anzieht und abstößt, in der sich eine Terminologie übereinkömmlicher Sätze bildet, die denn doch bald zu den Sachen nicht passen wollen. Alles brauset und zischt in einer solchen Mischung; Lachen und Weinen folgen einander in raschen Übergängen, die größten Ansprüche werden gemacht, und mit Scheinbefriedigungen nimmt 47 man vorlieb. Es ist eine Zeit der Irrtümer, der Leiden um nichts, aber es sind auch Tage der Jugend, der Lust, der Poesie. Das göttliche Moos wächst dann, so zu sagen, in Haus und Hof und auf den Straßen. Ein idealistischer Nihilismus überdeckt als glänzende Schale solche Anfänge, aber unter der Schale arbeiten die ernsteren Kräfte sich aus. In Frankreich, wo alles sich nach Paris zieht, und in Paris die Begriffe despotisieren, sind Anfänge unmöglich. In deutschen Städten aber, selbst von mittlerer Größe, haben sie sich mehrmals begeben und dann dem Leben der Stadt eine zeitlang ein ganz eigenes Gepräge verliehen. An einigen Orten ging Großes daraus hervor, an andern Kleineres. Goethe erlebte sie, als er Werther und Götz geschrieben, und in Frankfurt mit Jakobi und den Stolbergen zusammenhing, nebenbei Lili heiraten wollte und mit Gustchen briefwechselte. Vielleicht erlebte er etwas Ähnliches noch einmal in den ersten weimarischen Jahren. Varnhagen beschreibt einen solchen Zustand, wenigstens zum Teil, wo er von Halle kurz vor 1806 erzählt. Und auch wir haben hier Anfänge erlebt.«

»Wann?« fragte der blaue Domino.

»Schwer zu bestimmen. Wollt ihr aber eine Antwort, rund und nett, so sage ich, in den Jahren von 1827 bis 1830. Die Restaurationszeit war überhaupt einem Sichgehenlassen im Angenehmen günstig; mit der Julirevolution trat die Kritik, die Skepsis, der Materialismus unwiderstehlich in alle Geister ein, sie mochten sich sträuben, wie sie wollten. Zufällig fiel auch Schadows italienische Reise in jene Zeit, er kam als ein halb Verwandelter zurück, und seitdem begann hier das Auseinandertreten der Elemente. Deshalb setzte ich die Grenze der Anfänge in das Jahr 1830.

1827 aber begannen sie. Schadow war Ende 1826 eingetroffen und hatte die Akademie übernommen. Lessing, Sohn, 48 Hildebrandt, Mücke, Hübner waren ihm gefolgt. Bald trat Bendemann hinzu, und Schirmer gründete die Landschaft. Eine Kolonie mit Kolonisten aus Osten und Westen auf rheinischem Boden! Kolonisten suchen naturgemäß Schutz und Schirm. Schadow schloß sich und sein Häuflein exklusiv dem Hofe, den Vornehmen an. Der Hof war jung und auch noch neu auf dieser Erde, die Vornehmen noch nicht recht sicher in sich. Katholisch, wie sie war, fühlte diese Kategorie schon deshalb eine stille Vorliebe für den katholisch gewordenen Künstler. Beide aber waren unterhaltungsbedürftig. Gemälde waren etwas Neues geworden, da die Bayern schon zwanzig Jahre früher die Galerie entführt hatten; die inhaltreiche Konversation des Künstlers, der Menschen, Werke, Welt gesehen hatte, war auch etwas Neues. All dieses Neue erhielt einen pikanten Zusatz durch die Figuren der jungen, hübschen, bescheidenen Künstler, welche bloße Hälse und lange Bärte trugen, und von denen der Meister mit Sicherheit den spätern Ruhm vorhersagte. Es konnte nicht an mannigfachen Sympathieen hinüber und herüber fehlen. Die Repräsentation nahm die Kunst unter ihre Flügel, die Kunst durfte der Repräsentation sich anschmiegen, denn diese war unschuldig, harmlos, damals selbst noch poetisch, wenigstens poetisch kostümiert.

Ich fand diese Allianz schon ziemlich fest, als ich 1827 herkam. Ich hatte gerade den Hofer geschrieben in der alten Gestalt, die ich nachmals verworfen habe. Diese Helden der jüngsten Vergangenheit, zu denen mich ein unwiderstehlicher Trieb gedrängt hatte, machten mir, als sie auf dem Papier standen, bange; ganz mich vergriffen zu haben, meinte ich. Welches frohe Erstaunen, als Holtei, der uns kaum 14 Tage nach meiner Ankunft besuchte, und dem ich das Stück im schönsten Frühlingswetter vorlas, sich hoch erfreut darüber zeigte. Er nahm es nach Berlin mit, rezitierte es dort vor mehreren hundert Personen. Als es erschien, 49 erhielt es Beifall. Mein Name wurde allgemeiner genannt, ich fühlte mich selbst anders als zuvor.

Denn freilich umspielte mich auch eine andere Atmosphäre. Aus dumpfer Arbeitsschwüle trat ich in einen heiteren Kreis, dessen Arbeit auf die Schönheit ging, und hatte selbst Muße; aus formlosen Umgebungen unter solche, denen unter den Händen alles zur Form wurde, nicht allein ihr geistiges Leben und Weben, sondern auch des Alltags Ernst, Scherz, der geringste Einfall. Das Schadowsche Haus war der Mittelpunkt der höheren Geselligkeit, ich wurde darin als Freund willkommen geheißen, und habe eine zeitlang seine Leiden und Freuden mitgemacht. Die Mittel waren dort vorhanden, geistige und leibliche, einen solchen Centralpunkt zu bilden, und da die letztern mit Sparsamkeit verwaltet wurden, so hatte die Sache Dauer. Ein zweites Studentenleben führten wir damals, aber kein rüdes, sondern ein phantasievolles. An andern Orten leben die Menschen ihrem bürgerlichen Berufe oder der Gelehrsamkeit, der Reiz des Daseins wird als Nebensache behandelt. In unsern Anfängen dagegen war das Streben, das Feinste, Geistigste, die Spiele der Imagination, Laune, Witz, und selbst die Grille zur Praxis zu machen, oder, da dies zu absichtlich klingen mag, wir bildeten uns ein, das Leben sei ein Spiel und könne in Impromptus ausgegeben werden. Mit Schadow hatte ich ein ganz eigenes Verhältnis. Wir waren polarisch entgegengesetzte Naturen, aber ein Zug tiefer Innigkeit wachte dennoch schnell auf und ließ die Sorge nicht emporkommen, wenn sie unter der Hand von der Mißlichkeit eines solchen Bündnisses schon damals flüsterte. Freilich fühlte ich bald, daß ich, um ihm verständlich zu sein, in seinem Idiom mit ihm reden müsse, und das that ich denn auch, weil ich ihn liebte, nicht aus Verstellung. Wie oft belauschten die Kastanien des schönen Hofgartens, in denen die Nachtigall flötete, oder die Wellen des Rheins, wo sie, wie geschmolzenes Gold im Abendrot, majestätisch durch die frischgrüne Wiese schlendern, unsere wunderlichen Unterhaltungen vom Fegfeuer, oder den lieben Heiligen! Ich täuschte ihn wahrhaftig nicht, wenn ich mich ganz ernsthaft darauf einließ; ich war ihm gut und wollte gern sagen, was ihm lieb war. Es ist sonderbar mit solchen Neigungen – jener Zug der Innigkeit will mir noch nicht weichen, wenn ich ihm begegne, obgleich uns Leben und Grundsätze weit auseinander gestellt haben, und wir beide wissen, 50 daß wir nichts mehr mit einander teilen können. Er führte mir einige seiner Lieblingsschüler zu, durch ihn erhielt ich sie, die nachmals meine Freunde geworden sind. Mit Entzücken belauschte ich das Sprossen der werdenden Kunst in den weiten Ateliers der Akademie, sie hörten, was bei mir entstand; von Kritik war gegenseitig nicht die Rede, uns erquickte ein naives Empfangen und Genießen. Wenn die Mitternacht bei Schwank und Gedicht, das oft aus dem Stegreif entstand, herangekommen war, und die Gläser zum letztenmale an einander klangen, dann zerstreute sich die muntere Horde, aus dem Garten heimgehend, unter den Bäumen mit mutwilligem Liede. Oder das Gestein wurde befahren, und in seinen buschichten Klippen, deren Fuß das Bächlein tief drunten so heimlich wäscht, stieg gehalten fröhlicher vierstimmiger Gesang auf. Nun erst die Geburtstage, die feierlichen Gelegenheiten, die Feste! Wer zählt die Maskenspiele, die Attrappen, die Pantomimen jener ersten fröhlichen Jahre? Alles wurde dramatisiert; Eigenheiten, Anekdoten, Spitznamen verarbeitete die Erfindung des Augenblicks, und wenn auch nicht alles Brillant vom reinsten Wasser wurde, so konnte man doch mit dem Vikar sagen: What the conversation wanted in wit, was made up in laughter. – Zu allen diesen lustigen, feierlichen, kuriosen Dingen hatten wir ein Publikum empfänglicher Männer und Frauen, nicht selten nahm die halbe Stadt an unsern Schönbartsspielen teil, und daß das Bild des freilich illusorischen, aber doch vergnüglichen Kunst- und Poesierausches aus goldenem Rahmen sah, war gar nicht so übel. Der Rahmen gab dem Bilde noch höhern Relief. Dieser goldene Rahmen war nämlich das Interesse des Hofes und der Vornehmen an unserm Treiben. Die Musen waren damals in diesen hohen und höchsten Kreisen durch uns Mode geworden, sie wurden zur Gesellschaft gerechnet, Vorlesungen, lebende Bilder, Gespräche über dies und das lösten einander auf dem glatten Parkett in gedrängter Folge ab. – Doch ich sehe dir an, daß du nur mit Unlust mich schildern hörst, also gieb deinem Kopfschütteln Worte, denn wir wollen heute aus unseren Herzen keine Mördergrube machen!«

Der blaue Domino, dem diese Anrede galt, sprach: »Wenn 51 ich deine poetische Prosa höre, so weiß ich nicht mehr, ob ich damals geschlafen habe. Daß ich von den schönen Sachen, die du da aufbringst, doch so wenig gewahr geworden bin! Ich trat freilich später, erst kurz vor 1830, zu euch, und das mag manches erklären. Vieles wird wohl schon vorüber gewesen sein, und dann muß man sich auch in einem Kreis erst eine zeitlang eingelebt haben, bevor man seine verborgenen Schätze kennen lernt. – Aber selbst wenn ich deiner Rede folge, so frage ich: War denn ein solcher Schaum und Schein, ein solches Versteckenspielen in fremden Kleidern etwas Schönes? Das Theatralische und alles dem Theatralischen Verwandte ist immer ein bedenkliches Zeichen an einem sozialen Leben. Man schminkt sich nur, man legt den spanischen Mantel und die Rittersporen nur an, wenn man sich in eigner Haut nicht so recht selbständig weiß. Blick' auf Lessing, das ohne Frage größte Genie der Schule. Er hat sich von all dem Glanz und Flitter deiner Düsseldorfer Anfänge immerdar fern und in seiner stillen Zelle gehalten. Oft ist ihm das als Stolz, Eigensinn, spröde Laune ausgelegt worden. Ich finde aber darin mehr einen zarten Takt seiner Natur, die stets auf sich ruhte, und alle falschen Anhalte verschmähte. Auch pflegt einem solchen ästhetischen Rausche bald eine traurige Ernüchterung zu folgen.«

»Ich sah die Anfänge nicht mit Ihrem poetischen Auge und nicht mit deinem kritischen Blicke,« sagte der rote Domino. »Geschichte ist mein ziemlich ernstes Studium, da brauche ich denn hin und wieder eine Abspannung, und amüsiere mich gern. Und Amüsement boten diese poetisch-artistisch-sozialen Versuche, das ist nicht zu leugnen. Etwas störte mich aber doch nicht selten. Wenn Shakespeare oder Calderon vorgetragen war, wenn in zauberischer Beleuchtung sich Jerusalem, die Hehre, in Banden und darauf triumphierend gezeigt hatte, oder Madonna in lichten Wolken zum schlummernden Raphael herabschwebte, wenn das Werk eines großen Tonmeisters aus sicheren Kehlen geklungen hatte, wenn die bedeutendsten Reden über Religion, Katholizismus, Stil, Form und alle Heimlichkeiten des Schönen gewechselt worden waren, so folgte dieser Festspeise – und nichts war sicherer, als das – ein Nachtisch von Berliner Witzen, wie sie 52 hernachmals in Nante ihren eigentlichen Nationalkoch gefunden haben. Dieser Zusatz von Berliner Skurrilität zu allem Devoten, Gloriosen, Erhabenen war das Monogramm aus Ihrem Gemälde, woran es zu kennen wäre, wenn Zeitbilder sich auf Holz oder Leinwand fixieren ließen. Für Berolinismen habe ich aber keinen Sinn, weil sie immer nur der Ausdruck der witzigen Pauvreté und Niedertracht sind, und sie verdarben mir hier manches. Vom Herrn und Meister der Schule ging eine liebevolle Pflege dieser Blüten aus, und der schneidende Kontrast zwischen solchem Hange und der anderweitigen höheren Richtung wäre ein dankbarer Stoff für das feinere Lustspiel gewesen.«

»Überhaupt ließen sich komische Anekdoten aus jener Zeit erzählen,« sagte der blaue Domino.

»Die erzählt nur,« sprach der Schwarze, »denn Geschichte giebt es nicht von einer jüngsten Vergangenheit. Die Anekdote vertritt sie vor der Hand. Haltet aber ein arabisches Sprichwort dabei im Herzen«

»Welches?« fragten die beiden andern Dominos.

»Du sollst in den Brunnen, aus dem du getrunken, keinen Stein werfen.«

»Nein, das will ich auch nicht, aber sagen darf jeder, was für Genist er um den Brunnen gefunden,« versetzte der blaue Domino. – »Nun, die Feste jener mediceischen Periode von Düsseldorf sollten denn also immer überaus glänzend sein, aber – sie sollten auch so wenig als möglich kosten. Diese Sparsamkeit zeigte sich besonders am Albrecht Dürer-Feste, welches wohl der Kulminationspunkt von damals gewesen ist; denn an dreihundert Personen stark war das schauende Publikum, und in dem großen, geschmückten Galeriesaale ging es vor sich, und nahe an hundert Künstler und Dilettanten wirkten mit. Du hattest ein Stück dazu geschrieben: Albrecht Dürers Traum. Im erste Akte ließest du Dürer gepeinigt von den trüben Zweifeln, welche den großen Künstler von Zeit zu Zeit ergreifen, auftreten, seinen Schlummer trösteten darauf die Traumbilder der Melancholie und des Hieronymus, als Symbole des schaffenden Tiefsinns und der frohen Beschränkung; ein Geisterchor kommentierte diese kolossalen, transparenten Gestalten. Im zweiten Akte zeigte sich Dürer, versunken 53 in begeistertes Schaffen. In diesem Dithyrambus seines Innern hörte er die Boten nicht, die ihm hohe Ehren vom Kaiser und vom Rat von Nürnberg brachten. So erschien er uns abermals im Traum, in dem wachen Künstlertraum, der über die Wirklichkeit hinaus entrückt. Es war ganz hübsch, du hattest dem Altvater gute Worte in den Mund gelegt, nur zu allegorisch war mir's gemacht und nicht greiflich genug. – Die beliebten lebenden Bilder durften denn auch nicht fehlen an diesem Feste. – Engel, Heilige, Apostel zeigten ihr reizendes oder ehrwürdiges Antlitz. Die Bekleidung aber wurde mit der größten Ökonomie behandelt. Weil nämlich ganze Gewänder zu viel gekostet haben würden, so kostümierte man jede Figur nur in so weit, als sie den Zuschauern sichtbar war. Auf diese Weise kam es unter anderem, daß ein Engel, dessen Leib und Füße eine Wolke deckte, nur bis zum Gürtel das Gewand der himmlischen Räume trug, von da abwärts aber sein einfaches Hauskleidchen. Ein Apostel, der im Profil stand, war sogar nur halb Apostel, auf der abgekehrten Seite schwarzer Frack.«

»Gewissermaßen eine Allegorie mancher Zeitrichtungen, die auch so halbschlächtig nur aus den Effekt gestellt sind, war dieser mangelhaft kostümierte Engel und dieser Profilprophet!« rief der schwarze Domino und lachte.

»Wenn ich moderne und antike Charaktere distinguieren sollte,« sprach der rote Domino, »so würde ich behaupten, für die ersteren müsse man immer einen bestimmten Augenpunkt nehmen, um sie im Kostüm zu sehen, um die anderen aber könne man, wie um Statuen, rund herumgehen, unbeschadet der Wirkung. – Aber ich habe auch eine Anekdote. Bei jenem Feste hatte der Festgeber erklärt, für das Kostüm wolle er aufkommen, für alles übrige aber müsse jeder der Darstellenden selbst sorgen. Ein Prophet nun behauptete, sein Bart gehöre zum Kostüm, und müsse ihm unentgeltlich geliefert werden. Darüber entstand eine etwas warme und nicht ganz angenehme Debatte, welche über die schwierige Rechtsfrage verhandelte: Ob ein Prophetenbart Kostüm oder das übrige sei? und ich weiß in der That nicht, wie die Entscheidung noch zuletzt ausgefallen ist.«

»Die Haute Volée, welche du den goldenen Rahmen um die Düsseldorfer Anfänge genannt hast, empfand von euren Bemühungen oft mehr Grausen, als Freude,« sagte der blaue Domino. 54 »Erinnerst du dich noch des Abends, wo ihr die Scenen aus Heinrich dem Vierten aufführtet, und ihrer Wirkung auf den vornehmen Kreis eurer Zuschauer?«

»Jawohl,« versetzte der schwarze Domino. »Falstaffs pfundschwere Späße erregten diesen zarten Gemütern durchaus mehr Entsetzen, als Behagen, es war alles sehr still und ernst bei seinen Aufschneidereien. Nur ein einsames Lachen klang uns, tröstlich, wie der Gesang des frommen Einsiedlers in der Wüste Thebais, von fern entgegen. Es kam von Uechtritz, der ganz hinten im Saale stand, und an unserem Spiele sein unbefangenes Vergnügen hatte.«

»Neben mir stand ein alter korpulenter Kriegsmann,« sagte der rote Domino. »Der Dicke da, murmelte er, soll eine Satire auf mich sein. Ich finde das aber unrecht.«

»Eine Dame von hoher Extraktion, die in meiner Nähe saß, hegte eine Besorgnis eigener Art,« fiel der blaue Domino ein. »Sie flüsterte ängstlich mit ihrer Nachbarin, und ich verstand so viel, daß sie derselben die Furcht mitteilte, das übermäßige Embonpoint des Menschen da sei gewiß eine künstliche Vorrichtung, eine Espece von Schrank, den der Mensch zuletzt aufriegeln, und aus dem er allerhand frivole Späße hervorziehen werde, wie junge Hunde, einen Hampelmann, oder so etwas.«

Diese Personalitäten hatten wieder mehrere in die Nähe der drei Dominos gebracht. Noch andere Anekdoten wurden laut, endlich aber rief der blaue Domino: »Lassen wir es nun genug sein, denn wenn man sich auch nicht ganz vor Kommerage hüten kann, spricht man über den Tag und seine Geburten, so wollen wir doch nicht in die Medisance versinken.«

»Kommerage und Medisance sind eins und dasselbe,« sagte der Papageigrüne.

»Mit nichten, Ehrwürdigster,« versetzte der blaue Domino. »Medisance ist verwesendes Gespräch, Kommerage dagegen werdende Novelle.«

»Etwas dunkel!« rief der Papageigrüne.

55 Alles, wovon wir gesprochen, ging überdies halb öffentlich vor, und deshalb durften wir davon sprechen.

»Scharf habt Ihr mich mit meiner poetischen Prosa, wie Ihr sie nanntet, durchgenommen,« sagte der schwarze Domino. »Aber gab ich denn nicht im allgemeinen von Anfang an das Täuschende, Unwahre, Schiefe der Anfänge zu? Und soll uns die Vergangenheit nicht mindestens zur lieblichen Sage werden, in welcher auch der Oger und das Ungeheuer noch ihr Poetisches haben, da die Gegenwart selbst das Gute uns meistenteils mit ziemlich prosaischem Gruße zu bieten pflegt? – Überdies verschleuderten wir uns nicht in jenen Saturnalien. Es wurde sehr ernst gearbeitet in den muntern Tagen. Schadow baute mit sicher-kluger Hand an seiner Anstalt, wir gründeten den Kunstverein. Kortüm, Fallenstein und ich machten das Statut. Der Gedanke darin, daß der Verein auch öffentliche Werke in das Leben rufen solle, der, bei diesem Verein meines Wissens zum erstenmale laut geworden, großes Aufsehen erregte, kam aber von Mosler. Lessing malte sein Königspaar, Bendemann die Ebräer im Exil, Sohn den Hylas, Hübener den Roland, Hildebrandt Judith und Holofernes. Ich fabulierte Tulifäntchen zusammen, schrieb Alexis und Merlin, vollendete Stücke der Epigonen. – Jede Familie muß zuweilen Besuch haben, jede Stadt bedarf der Fremden, jeder Zustand hat seine Abgehenden und Kommenden nötig. Zur Akademie flutete periodisch, meist im Sommer, eine Woge hoher Herrschaften, enthusiastischer Liebhaber, räsonnierender Kenner heran. Reizende Damen fehlten nicht, welche gelegentlich den Pinsel zur Hand nahmen, und sich nebenbei von Verehrern unterhalten ließen. – Von den litterarischen Gästen sind mir zwei im Gedächtnis besonders lieb und wert, ja der eine von ihnen war mir ein Freund, der mir noch nicht wieder ersetzt worden ist. Ich meine Wilhelm von Normann und Michael Beer. Normann hat ein Gedicht geschrieben: Mosaik, an das man wieder erinnern muß, denn es ist 56 es wert, und in unserer an Produktionen fruchtbaren Zeit wird so leicht etwas auf eine Zeitlang vergessen. Mosaik ist weiter nichts, als Heinrich des Vierten erste Liebe und Untreue, ein Geschichtchen, wie es viele giebt, kaum hat es Inhalt, aber der Dichter plaudert das so naiv ab, wie Heinrich die schöne Gärtnerstochter beim Scheibenschießen sieht, rasch ihre Gunst gewinnt, bald an derselben Stelle, wo er mit Fleuretten gescherzt, einer Hofdame ewige Treue schwört, und das arme verratene Herz dann seine Glut in den Fluten kühlen muß! Dieses einfache Geschichtchen spiegelt sich in der schönen Seele des Dichters ab, neckisch und ernst, über deren Frohsinn doch der Schatten eines edlen Schmerzes läuft.

›Ich möchte König sein!‹

so hebt er an – und sagt uns darauf:

›Mir ist ein eignes Reich. Da sind Gedanken
Die Bürger, und in ihrer Mitte lebt
Als Königin die Freiheit!‹ –

Provence, Neapel und Rom, wo die drei Gesänge geschrieben wurden, werfen ihre Himmelslichter, ihre Orangenblüten und Sternennächte in die zarten Reime, welche alle diese Elemente gar anmutig zu vergleichen wissen. Ein bißchen byronisiert wird freilich darin, aber was thut das? Es ist ein Jugendprodukt, im besten Sinne des Worts. Und jugendlich war der Dichter auch, fein und höflich, gewandt und doch hingegeben fühlend. Er hielt sich, als er aus Italien zurückkehrte, ein Jahr in Aachen auf. Von dort kam er ab und zu hieher. Noch sehe ich seine schlanke Gestalt, seine vornehmen Züge. Eine leise Schwermut lag auf diesem sonst so heitern Wesen. Er liebte eine schottische Dame, die sein Gedicht in rührenden Wendungen feiert, ohne Hoffnung des Besitzes. Ach, schrieb er mir einmal, wäre ich in Ihrer ruhigen, geistigen Welt dort! Aber ich sehe leider alles hier wie durch Wolken und Nebel. – Endlich ebneten sich seine Pfade, er durfte die Geliebte heimführen, und kaum mit ihr verbunden, starb er, vor dem dreißigsten Jahre.

Mit Michael Beer hatte ich das wohlthuendste 57 Zusammen- und Ineinanderleben, ruhend auf gemeinsamem Streben, Drang, vorwärts zu kommen, und Bedürfnis, alles, was den einen beschäftigte und förderte, auch zum Eigentum des andern zu machen. Keine Schmeichelei entwürdigte diesen Bund, Wahrheit hieß unser Wahlspruch. Er war viel in Düsseldorf und auf längere Zeiten. Ich erinnere mich dieser Wochen und Monate mit einer frommen Bewegung. Die Plane und Vorsätze waren unendlich, kein Gespräch versiegte vor tiefer Mitternacht. Alles, was Litteratur, Zeit, Welt uns darreichte, wurde betrachtet. Wenn ich erwäge, wie leicht ich mich damals mitteilen konnte, und wie schwerfällig ich seitdem geworden bin, komme ich mir wie ein anderer Mensch vor. Er hatte unendlich viel gesehen und gehört, denn er war fast in allen Hauptstädten von Europa gewesen; sein Reichtum, sein geselliges Talent öffneten ihm den Zugang überall. So konnte er mich denn mit einer Fülle von Anschauungen in meiner stillen Klause erquicken. Mit Recht sagt sein Biograph von ihm, daß ihm Freundschaft Bedürfnis und Lebenslust gewesen sei. Es war in der That so. Einen Teil unseres Lebens faßt der Briefwechsel in sich, den die Erben herausgegeben haben. Freilich ist oft das Beste und Bezeichnendste daraus weggelassen worden, manch kleines Lebens- und Genrebild ist getilgt. Der fremde Herausgeber durfte aber nicht anders verfahren, der persönlichen Rücksichten wegen. Ich erfuhr den Tod meines Freundes ganz unvorbereitet durch ein Zeitungsblatt, und habe nachher nur sein Grab bei München besuchen können.

Waren diese und andere dergleichen anregende Kräfte, die sich hier zu uns gesellten, nur von kurzem Leben, so traten dagegen zwei dauernd in unsern Kreis, und sind uns geblieben: Uechtritz und Schnaase. Ich kannte ›Alexander und Darius‹, der einen so heftigen Federkrieg in Berlin erregt hatte, und war nicht unempfindlich für die Größe des Gedankens geblieben, das junge Griechentum mit dem alternden, an sich selbst siechenden Orient zusammenstoßen zu lassen. Ein wahrer, großer Gedanke lebt auch in den späteren Dramen Uechtritzens. Der Konflikt zwischen zwei 58 solchen Gestalten, Mann und Weib, wie Alboin und Rosamunde, dieser Kampf von Haß und Liebe, dann in den Babyloniern das Prophetische, Vormessianische und Falschmessianische – das sind gewiß Griffe und Blicke, des Dichters würdig, und nur dem Dichter möglich. Rosamunde hat freilich den Fehler, daß darin an ein ungeheuerliches Faktum, welches nicht anders als äschyleisch skizzenhaft hätte gefaßt werden können, eine detaillierte psychologische Behandlung gelegt worden ist. Daß eine Tochter gezwungen wird, aus dem Schädel ihres Vaters halbberauschten Recken zu kredenzen, läßt sich nicht fein motivieren, und deshalb bleibt in jenem Stücke ein Zwiespalt zwischen Stoff und Form. Überhaupt trennt etwas den Dichter von seinen Gestalten, und wir können es nicht anders nennen, als Reflexion. Aber gerade dieses Vorwiegen des Reflektierenden in Uechtritz gab unsern etwas bunten Anfängen einen heilsamen Gegensatz. Sein Wissen, sein ganzes Wesen mahnte zum Nachdenken, zur Sammlung. Viel und mancherlei wurde gleich im Beginn unseres Umgangs verhandelt, wenn wir bei hellem Tageslicht mit gewaltigen Schritten unsern Spaziergang begannen, nur eine halbe Stunde mit einander sein wollten, und uns verwundert nach langen, selbstvergessenen Gesprächen im Abenddüster zwischen fremden Hügeln und Büschen sahen. Er hat mich über ganze Strecken der Erkenntnis aufgeklärt, mehreres, was in den Epigonen steht, ist wörtlich früher von uns so abgesprochen worden. Zu den Malern trat er bald in eine große Vertraulichkeit. Er kam ganz anders mit ihnen zu stehen, als ich; seine geordneten Kenntnisse, besonders in der Historie, machten ihn auf natürlichem Wege zu ihrem Lehrer. Ich konnte sie nichts lehren, denn ich wußte selbst nicht viel Positives. Er hat ihnen wesentlich genützt, und das sollten sie nie vergessen! Seine Freundschaft mit Lessing war mir immer eine schöne Erscheinung. Gar herrlich ist eine solche begeisterte Vertiefung des einen Geistes in einen zweiten.

Durch Schnaase erhielt die Praxis der Kunst hier ihr 59 Komplement, die Theorie. Die Kunstbetrachtung der Gegenwart ist auf eine würdige Stufe gekommen. Endlich sind die leeren Allgemeinheiten, abgezogen von isoliert angeschauten Perioden, welche so lange das Urteil irre führten, zum Schweigen gebracht. Auf dem historischen Wege, die Kunst aus der Geschichte deutend, die Geschichte aus der Kunst, sucht man den Geheimnisse ihrer Erzeugung beizukommen. Und dieser Weg ist wohl der allein richtige zu nennen. Denn die Kunst ist selbst nichts Absolutes, sie ist eine historische Erscheinung. – ›Die Kunst ist nicht abhängig von der Welt, nicht eine Wirkung ihrer Revolutionen, und ebenso wenig eine Macht, welche in die Kette der Ursachen und Wirkungen eingreift. Aber sie besteht auch nicht ohne Verbindung mit dem Leben; sie ist vielmehr das gewisseste Bewußtsein der Völker, ihr verkörpertes Urteil über den Wert der Dinge; was im Leben als geistig. anerkannt ist, gestaltet sich in ihr.‹

So lauten ungefähr die Worte in dem Buche, welches eine der reifsten Früchte unserer Anfänge war. Ich meine die Niederländischen Briefe von Schnaase. Er gehört zu den echten Kunstforschern unserer Tage, und ich bin überzeugt, daß die Litteraturgeschichte ihm unter ihnen einen ehrenvollen Platz anweisen wird. In ihm selbst hatten Kunstgefühl und Kunsterkenntnis die natürliche Geschichte erlebt. Von dem Interesse an der Architektur, von ihrem Studio war er zu dem der übrigen Künste vorgedrungen. So hatte also die älteste Kunst in seinem Bewußtsein auch das älteste Datum. Dieser natürliche Entwicklungsgang, den er, unterstützt von einem ungemeinen kombinatorischen Scharfsinne und von einem sehr ausgebreiteten Wissen, gegangen ist, giebt seinen Untersuchungen die Tiefe und Unparteilichkeit, ihren Resultaten die ausgiebige Fülle und Reinheit, welche jene Briefe aus Niederland so sehr charakterisieren. Was sie aber am meisten in meinen Augen adelt, ist, daß der Scharfsinn nie zum Pikanten und Witzelnden verführt, sondern immer nur nach Wahrheit und ihrem ernsten und schlichten Ausdrucke strebt. Ich halte dieses Buch für ein Haupt- und Grundbuch; es wird auch schon jetzt in dem Kreise der Wissenden mit großer Achtung genannt. Populär kann es aber nie werden, denn es will mit Ernst, mit Selbstentäußerung und Hingebung an die Operationen des 60 Verfassers studiert sein. Möglich aber wäre es, daß wir späterhin manchem Räsonnement begegneten, welches, ohne das Ursprungszeugnis aufzuweisen, doch im Garten meines Freundes gewachsen.«

»Ich muß gestehen, daß ich mich nicht ganz habe hindurcharbeiten können,« sagte der blaue Domino. »Zweierlei verleidete mir die Lektüre. Einmal schien mir das Buch kein recht in sich geschlossenes Buch zu sein, und dann kam es mir auch so vor, als ob der Autor zuweilen seine Nadeln so fein schliffe, daß sie ihm unter den Händen zerbrachen.«

»Den ersten Tadel gebe ich zu,« sagte der schwarze Domino. »Die leichten Reiseschilderungen, welche sich zwischen die tiefsinnigen Deduktionen schieben, sind eher ein falscher Reiz, als ein Schmuck; auch hätte der Belehrende hin und wieder Mittelglieder den Lesern zu finden überlassen sollen. Den zweiten Tadel muß ich verneinen. Dein Gleichnis von den Nadeln beiseite gesetzt, sage ich: auf der Höhe weht eine andere Luft, als unten im Thale. Sie kann dem Atmenden dünn und scharf vorkommen, aber sie ist nun eben die Lust der Höhe. Will man einmal mit der Kunstbetrachtung aus der Fläche, in welcher sich allerhand materialistische oder religiös-patriotische Dünste ihr anhängen, emporsteigen zu der reinen Höhe, wo die rechten Messungen anzustellen sind, so muß man sich die Luftschicht der Höhe gefallen lassen.«

Der rote Domino rief lächelnd: »Sie sollten Ihrem Panegyrikus durch ein Resumé aus dem Buche für uns Thalleute etwas spezifisches Gewicht geben!«

»Ich kann es nicht. Was hälfe es, daß ich sagte, der Wanderer geht von Osten nach Westen, von Rotterdam über den Haag, Leiden, Antwerpen, Gent, Brügge, bis in Französisch-Flandern, er durchmißt auf diesem Weg das Gebiet der Kunst von ihrem letzten Ausgang bis zu den ältesten Anfängen, und gelangt endlich auf einen Gipfel, von dem er die Teilung der künstlerischen Arbeit unter den Völkern der Erde seit den Ebräern bis zum Siecle herab erblickt, gleichsam eine Generalkarte des Genius? Er findet unterwegs, daß die Landschaft die Natur darstelle, als Wohnsitz des Menschen im größten Sinne gefaßt, er mittelt aus, warum die Architektur in ihr ihre notwendige Stelle finde, aber als Ruine, und trifft so auf den richtigen Gegensatz dieser noch wenig verstandenen Art zur historischen Kunst, wodurch sie den von dieser leer gelassenen Raum ausfüllt. Er macht uns klar, 61 daß das frühere Mittelalter nur den architektonischen Blick gehabt habe und haben können, und daß es in seinen malerischen Gestalten wirklich diese architektonische Schönheit erblickt habe, so dürr und mathematisch sie uns vorkommen mögen. Er vindiziert dem Genre seine Stelle, geblößt und offen gelegt durch die Reformation, welche das Individuum und die Natur zu Ehren brachte. Er erzählt die Geschichte des Naturgefühls unter den Völkern, erklärt die Schule von Antwerpen aus den Schulen von Eyck und Hemling, und kommt zu der schwierigen Untersuchung, was denn nun eigentlich den religiösen Ausdruck in den Werken der religiösen Kunst schaffe? Da wird gefunden, daß nicht die Frömmigkeit des Künstlers oder des Zeitalters diesen Charakter hervorbringe, sondern daß er durch das architektonische Element im Werke ausgesprochen werde. – Die Kunst, sagt der Autor, steht mitten inne zwischen Lehre und Leben. Sie ist selbst eine Religion, Naturreligion, sie ist das pantheistische Element, welches keiner Religion fehlen darf.

Alle diese und hundert andere Gedanken, die mir noch aus dem reichen Buch einfallen möchten, würden aber davon dennoch keinen Begriff geben. Sein Organismus ist es, was es zu dem macht, was es ist, und jene Aphorismen sind nur zerstreute Glieder, die den lebendigen Leib nicht darstellen.«



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