Henrik Ibsen
Ein Puppenheim
Henrik Ibsen

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DRITTER AKT

(Dasselbe Zimmer. Der Sofatisch mit den Stühlen herum ist mitten ins Zimmer gerückt. Auf dem Tisch brennt eine Lampe. Die Tür zum Vorzimmer steht offen. Aus der oberen Etage ertönt Musik.)

Frau Linde (sitzt am Tisch und blättert zerstreut in einem Buche; sie versucht zu lesen, scheint ihre Gedanken jedoch nicht sammeln zu können; ein paarmal horcht sie gespannt in der Richtung der Treppentür. Sie sieht auf ihre Uhr.)
Noch nicht. Und es ist doch die höchste Zeit. Wenn er nur nicht –(Horcht wieder.) Ah! da ist er.(Sie geht ins Vorzimmer und öffnet vorsichtig die äußere Tür; man hört leise Schritte auf der Treppe; sie flüstert:) Herein. Es ist niemand da.

Krogstad (in der Tür.)
Ich habe in meiner Wohnung einen Zettel von Ihnen gefunden. Was soll das bedeuten?

Frau Linde.
Ich habe dringend mit Ihnen zu sprechen.

Krogstad.
So? Und das muß gerade hier im Hause geschehen?

Frau Linde.
Bei mir zu Hause war es unmöglich. Mein Zimmer hat keinen besonderen Eingang. Treten Sie näher; wir sind ganz allein; das Mädchen schläft, und Helmers sind oben auf einem Ball.

Krogstad (tritt in das Zimmer.)
Ei sieh mal an! Helmers tanzen heut abend? Wirklich?

Frau Linde.
Ja, warum denn nicht?

Krogstad.
Na ja, – warum auch nicht.

Frau Linde.
Krogstad, – reden wir miteinander.

Krogstad.
Wir zwei hätten noch was miteinander zu reden?

Frau Linde.
Wir haben viel miteinander zu reden.

Krogstad.
Das hätte ich nicht geglaubt.

Frau Linde.
Weil Sie mich nie so recht verstanden haben.

Krogstad.
Was war denn da weiter zu verstehen? War's nicht die alte Geschichte? Ein herzloses Weib gibt einem Manne den Laufpaß, wenn sich ihr etwas Vorteilhafteres bietet.

Frau Linde.
Halten Sie mich für so ganz herzlos? Und glauben Sie, ich hätte leichten Herzens mit Ihnen gebrochen?

Krogstad.
Nicht?

Frau Linde.
Krogstad, haben Sie das wirklich geglaubt?

Krogstad.
Wenn es nicht der Fall war, warum haben Sie denn damals in dieser Weise an mich geschrieben?

Frau Linde.
Ich konnte ja nicht anders. In dem Augenblick, als ich mit Ihnen brach, war es auch meine Pflicht, in Ihnen alles zu ersticken, was Sie für mich fühlten.

Krogstad (ballt die Hände.)
Darum also! Und nur – nur des Geldes wegen.

Frau Linde.
Sie dürfen nicht vergessen, ich hatte eine hilflose Mutter und zwei kleine Brüder. Wir konnten nicht auf Sie warten, Krogstad; um Ihre Aussichten war es damals doch schwach bestellt.

Krogstad.
Mag sein; aber Sie hatten kein Recht, mich aufzugeben, irgend einem anderen Menschen zuliebe.

Frau Linde.
Ja, ich weiß nicht. Oft habe ich mich selbst gefragt, ob ich ein Recht dazu hatte.

Krogstad (leise.)
Als ich Sie verlor, da war mir's, als wanke der feste Boden unter meinen Füßen. Sehen Sie mich an, jetzt bin ich ein Schiffbrüchiger auf einem Wrack.

Frau Linde.
Die Hilfe ist vielleicht nah.

Krogstad.
Sie war nah. Aber da kamen Sie und stellten sich in den Weg.

Frau Linde.
Ohne es zu wissen, Krogstad. Erst heute habe ich es erfahren, daß ich Sie bei der Bank ersetzen sollte.

Krogstad.
Ich glaube Ihnen, wenn Sie es sagen. Aber nun, da Sie es wissen, – da treten Sie doch zurück?

Frau Linde.
Nein. Sie würden nicht den geringsten Nutzen davon haben.

Krogstad.
Bah! Nutzen, Nutzen –; ich würde es trotzdem tun.

Frau Linde.
Ich habe gelernt, vernünftig zu handeln. Das Leben und die harte, bittere Not haben es mich gelehrt.

Krogstad.
Und mich hat das Leben gelehrt, nicht an Redensarten zu glauben.

Frau Linde.
Dann hat es Sie etwas sehr Vernünftiges gelehrt. Aber an Taten glauben Sie doch?

Krogstad.
Wie meinen Sie das?

Frau Linde.
Sie haben gesagt, Sie ständen da wie ein Schiffbrüchiger auf einem Wrack.

Krogstad.
Ich hatte wohl guten Grund, dies zu sagen.

Frau Linde.
Auch ich sitze da, wie eine Schiffbrüchige auf einem Wrack. Habe keinen,um den undfür den ich sorgen könnte.

Krogstad.
Es war Ihre eigene Wahl.

Frau Linde.
Eine andere hatte ich damals nicht.

Krogstad.
Nun, und weiter?

Frau Linde.
Krogstad, wenn wir beiden schiffbrüchigen Leute nun zueinander kommen könnten.

Krogstad.
Was sagen Sie da?

Frau Linde.
Zwei aufeinem Wrack sind doch besser dran, als jeder auf dem seinen allein.

Krogstad.
Christine!

Frau Linde.
Was, glauben Sie wohl, hat mich in die Stadt geführt?

Krogstad.
Doch wohl nicht der Gedanke an mich?

Frau Linde.
Ich muß arbeiten, wenn ich das Dasein ertragen soll. Mein ganzes Leben hindurch, soweit ich zurückdenken kann, habe ich gearbeitet, und das war meine schönste, meine einzige Freude. Aber jetzt stehe ich ganz allein in der Welt, mit erschrecklich leerer Seele und verlassen. Nur für sich selbst arbeiten zu müssen, das ist keine Freude. Krogstad, schaffen Sie mir wen, schaffen Sie mir was, wofür ich arbeiten kann.

Krogstad.
Daran glaube ich nicht. Es ist der Heroismus eines überspannten Weibes, das sich selbst opfern will – nichts weiter!

Frau Linde.
Haben Sie jemals beobachtet, daß ich überspannt war?

Krogstad.
Sie könnten das wirklich? Sagen Sie mir, – kennen Sie auch meine Vergangenheit ganz?

Frau Linde.
Ja.

Krogstad.
Und Sie wissen, wofür ich hier gelte?

Frau Linde.
Aus ihren Worten vorhin klang etwas wie die Überzeugung heraus, daß Sie mit mir ein anderer hätten werden können.

Krogstad.
Ganz ohne Zweifel.

Frau Linde.
Sollte das nicht jetzt noch geschehen können?

Krogstad.
Christine, sprechen Sie mit voller Überlegung?! Ja, Sie tun es. Ich sehe es Ihnen an. Sie haben also wirklich den Mut –?

Frau Linde.
Ich brauche jemand, dem ich Mutter sein kann; und Ihre Kinder brauchen eine Mutter. Wir beide brauchen einander. Krogstad, ich glaube an den guten Kern in Ihnen; – zusammen mit Ihnen wage ich alles.

Krogstad (ergreift ihre Hände.)
Dank, Dank, Christine! – Jetzt werde ich mich schon in den Augen der andern wieder zu rehabilitieren wissen! – O, aber ich vergaß –

Frau Linde (horcht.)
Horch! Die Tarantella! Gehen Sie! Gehen Sie!

Krogstad.
Weshalb? Was ist denn?

Frau Linde.
Hören Sie den Tanz da oben? Wenn der vorüber ist, können wir sie erwarten.

Krogstad.
Jawohl! Ich gehe. Es ist ja alles vergebens. Sie wissen natürlich nicht, was für einen Schritt ich gegen Helmers unternommen habe.

Frau Linde.
Ja, Krogstad, ich weiß.

Krogstad.
Und trotzdem haben Sie den Mut –?

Frau Linde.
Ich verstehe wohl, wozu die Verzweiflung einen Mann wie Sie treiben kann.

Krogstad.
Ach, wenn ich das doch ungeschehen machen könnte!

Frau Linde.
Das können Sie schon; denn Ihr Brief liegt noch im Kasten.

Krogstad.
Wissen Sie das bestimmt?

Frau Linde.
Ganz bestimmt; aber –

Krogstad (blickt sie forschend an.)
Sollte es so zu verstehen sein? Sie wollen Ihre Freundin um jeden Preis retten. Sagen Sie es gerade heraus. Ist es so?

Frau Linde.
Krogstad, wer sich um anderer willeneinmal verkauft hat, der tut es nicht zum zweiten Male.

Krogstad.
Ich werde meinen Brief zurückverlangen.

Frau Linde.
Nein, nein.

Krogstad.
Ja natürlich; ich warte hier, bis Helmer herunter kommt; ich sage ihm, daß er mir meinen Brief zurückgeben müsse, – daß dieser Brief nur von meiner Entlassung handle, – daß er ihn nicht lesen solle –

Frau Linde.
Nein, Krogstad, Sie sollen den Brief nicht zurückverlangen.

Krogstad.
Aber sagen Sie mir: Sie haben mich doch nur deswegen herbestellt?

Frau Linde.
Ja, im ersten Schreck; aber dazwischen liegen jetzt vierundzwanzig Stunden, und seitdem bin ich hier im Hause Zeuge unglaublicher Dinge gewesen. Helmermuß alles erfahren; dieses unglückselige Geheimnis muß an den Tag, es muß zwischen den beiden zu einer offenen Aussprache kommen; es kann unmöglich so fortgehen mit den Vertuschungen und Ausflüchten!

Krogstad.
Nun wohl; – wenn Sie es denn wagen –. Abereins kann ich auf jeden Fall tun, und das soll sofort geschehen –

Frau Linde (lauscht.)
Eilen Sie! Gehen Sie! Gehen Sie! Der Tanz ist aus; wir sind keinen Augenblick mehr sicher.

Krogstad.
Ich warte unten auf Sie.

Frau Linde.
Ja, tun Sie das; Sie dürfen mich bis an die Haustür begleiten.

Krogstad.
So unsagbar glücklich bin ich nie gewesen.(Er geht durch die Treppentür ab; die Tür zwischen den Zimmern und dem Vorzimmer bleibt offen.)

Frau Linde (räumt ein wenig auf und legt ihren Mantel und Hut zurecht.)
Welch eine Wendung! Ja, welch eine Wendung! Menschen, für die ich arbeiten, – für die ich leben kann; ein Heim, in das ich Glück und Behagen bringen darf. Da heißt es allerdings fest anpacken –. Wenn sie nur bald kämen –(horcht.) Aha, da sind sie schon. Wo sind meine Sachen!(Nimmt Hut und Mantel.)

(Draußen hört man Helmers und Noras Stimmen, ein Schlüssel wird im Schloß umgedreht, und Helmer führt Nora fast mit Gewalt ins Vorzimmer. Sie hat das italienische Kostüm an mit einem großen, schwarzen Schal darüber; Helmer ist in Gesellschaftsanzug und trägt einen offenen schwarzen Domino darüber.)

Nora (noch in der Tür, widerstrebend.)
Nein, nein, nein; nicht nach Haus! Ich will wieder hinauf. Ich mag noch nicht so früh weg.

Helmer.
Aber liebste Nora –

Nora.
Ach, ich bitte Dich flehentlich, Torvald; ich bitte Dich von ganzem Herzen, – nur eine Stunde noch.

Helmer.
Nichteine Minute länger, meine süße Nora. Du weißt, so war es verabredet! So –! Hinein ins Zimmer; Du erkältest Dich hier nur.(Trotz ihres Widerstandes führt er sie sanft ins Zimmer.)

Frau Linde.
Guten Abend.

Nora.
Christine!

Helmer.
Wie, Frau Linde, Sie noch so spät hier?

Frau Linde.
Ja, verzeihen Sie, ich wollte Nora so gern in ihrem Staat sehen.

Nora.
Hast Du die ganze Zeit auf mich gewartet?

Frau Linde.
Ja. Ich bin leider zu spät gekommen. Du warst schon oben, und da wollte ich nicht wieder weggehen, bevor ich Dich gesehen hätte.

Helmer (nimmt Nora den Schal ab.)
Ja schauen Sie sie nur ordentlich an. Ich sollte meinen, sie ist das Ansehen wert. Ist sie nicht reizend, Frau Linde?

Frau Linde.
Ja, das muß ich sagen –

Helmer.
Ist sie nicht ungewöhnlich reizend? Darüber gab es auch in der Gesellschaft nur eine Stimme. Aber entsetzlich eigensinnig ist sie, – das süße, kleine Ding. Was soll man machen? Wollen Sie wohl glauben: ich mußte beinahe Gewalt anwenden, um sie wegzubringen.

Nora.
Torvald, Du wirst es noch bereuen, daß Du mir nicht wenigstens noch eine halbe Stunde gegönnt hast.

Helmer.
Da hören Sie's, Frau Linde. Sie tanzt ihre Tarantella – hat stürmischen Erfolg, – der auch verdient war –, obgleich der Vortrag vielleicht etwas zu naturalistisch war, ich meine – ein wenig naturalistischer, als es sich streng genommen mit den Forderungen der Kunst verträgt. Immerhin, die Hauptsache ist, – sie hat Erfolg, stürmischen Erfolg. Und danach hätte ich sie noch oben lassen sollen? Die Wirkung abschwächen sollen? I bewahre! Ich nahm mein reizendes kleines Mädchen von Capri – mein capriziöses kleines Mädchen von Capri sollte ich eigentlich sagen – unter den Arm; eine schnelle Runde durch den Saal, eine Verbeugung nach allen Seiten, und – wie es in der Romansprache heißt – das schöne Bild ist verschwunden. Ein Abgang muß immer wirkungsvoll sein, Frau Linde. Aber es ist mir nicht möglich, Noradas begreiflich zu machen. Puh, wie warm es hier ist!(Wirft den Domino auf einen Stuhl und öffnet die Tür zu seinem Zimmer.) Was? Da ist es ja dunkel! Ach ja, natürlich. Verzeihung –(Er geht hinein und zündet einige Kerzen an.)

Nora (flüstert schnell und atemlos:)
Nun?!

Frau Linde (leise.)
Ich habe ihn gesprochen.

Nora.
Und –?

Frau Linde.
Nora, – Du mußt Deinem Mann alles sagen!

Nora (tonlos.)
Ich wußte es.

Frau Linde.
Von Krogstads Seite hast Du nichts zu fürchten; aber sprechenmußt Du.

Nora.
Ich spreche nicht.

Frau Linde.
Dann spricht der Brief.

Nora.
Ich danke Dir, Christine; jetzt weiß ich, was ich zu tun habe. Pst –!(Helmer tritt wieder ein.)

Helmer.
Na, Frau Linde, haben Sie sie bewundert?

Frau Linde.
Ja, und nun will ich Gutnacht sagen.

Helmer.
Ach was, schon? – Gehört Ihnen das Strickzeug da?

Frau Linde (nimmt es.)
Ja, danke schön. Beinahe hätte ich es vergessen.

Helmer.
Also, Sie stricken?

Frau Linde.
Ja freilich.

Helmer.
Wissen Sie was, Sie sollten lieber sticken.

Frau Linde.
So? Und weshalb?

Helmer.
Weil es viel hübscher aussieht. Sehen Sie nur: man hält die Stickerei mit der linken Hand, – so –, und mit der rechten führt man die Nadel – so – in leichtem, langgestrecktem Bogen; nicht wahr –?

Frau Linde.
Ja, das mag schon sein –

Helmer.
Das Stricken hingegen, – das kann nur unschön sein. Sehen Sie her: die zusammengeklemmten Arme, – die Stricknadeln, die auf und ab fahren, – das hat so was Chinesisches an sich. – Es war wirklich ein glänzender Champagner, den man uns vorgesetzt hat.

Frau Linde.
Gute Nacht, Nora, – und sei nicht mehr eigensinnig.

Helmer.
Gut gesagt, Frau Linde.

Frau Linde.
Gute Nacht, Herr Direktor!(Helmer begleitet sie zur Tür.)

Helmer.
Gute Nacht, gute Nacht; ich will nur hoffen, daß Sie gut nach Hause kommen. Ich würde sehr gern –; aber Sie haben ja nicht weit zu gehen. Gute Nacht, gute Nacht.(Frau Linde geht; er schließt die Tür hinter sich ab und kommt zurück.) Na endlich sind wir sie los. Eine schrecklich langweilige Person –!

Nora.
Bist Du nicht sehr müde, Torvald?

Helmer.
Nein, nicht im geringsten.

Nora.
Auch nicht schläfrig?

Helmer.
Durchaus nicht; im Gegenteil, ich fühle mich außerordentlich frisch. Aber Du? Du siehst allerdings müde und schläfrig aus.

Nora.
Ja, ich bin sehr müde. Ich werde bald schlafen gehen.

Helmer.
Siehst Du, siehst Du! Es war also doch richtig von mir, daß wir nicht länger geblieben sind.

Nora.
Ach, alles was Du tust, ist richtig.

Helmer (küßt sie auf die Stirn.)
Jetzt spricht meine Lerche wie ein vernünftiger Mensch. Sag' mal: hast Du bemerkt, wie lustig Rank heut abend war?

Nora.
So? War er das? Ich habe gar nicht mit ihm gesprochen.

Helmer.
Ich auch fast gar nicht; aber ich habe ihn schon lange nicht in so guter Laune gesehen.(Sieht sie einen Augenblick an; darauf tritt er näher zu ihr.) Hm, – es ist doch herrlich, wieder in seinen eigenen vier Wänden zu sein, – ganz allein mit Dir. – O Du entzückendes, reizendes Weibchen!

Nora.
Sieh mich nicht so an, Torvald!

Helmer.
Mein teuerstes Gut soll ich nicht ansehen? All die Herrlichkeit nicht ansehen, die mir gehört, mir allein, mir ganz und ausschließlich.

Nora (geht an die andere Seite des Tisches.)
Du sollst nicht so zu mir sprechen heut abend.

Helmer (folgt ihr.)
Dir liegt noch die Tarantella im Blut, merke ich. Und das macht Dich nur noch verführerischer. Horch! Nun brechen die Gäste auf.(Leiser.) Nora, – bald ist es still im ganzen Hause.

Nora.
Ja, das hoffe ich.

Helmer.
Nicht wahr, meine einzig geliebte Nora? Ach, weißt Du, – wenn ich so mit Dir in Gesellschaft bin, – weißt Du, weshalb ich dann so wenig mit Dir spreche, Dir fern bleibe, Dir nur dann und wann einen verstohlenen Blick zuwerfe? – Weißt Du, warum ich das tue? Weil ich mir dann einbilde, Du wärst meine heimliche Geliebte, meine heimliche junge Braut, und es ahne niemand, daß zwischen uns beiden ein Geheimnis ist.

Nora.
Ja, ja, ja; ich weiß, daß alle Deine Gedanken bei mir sind.

Helmer.
Und wenn wir dann fortwollen, und ich den Schal um Deine zarten, jugendlichen Schultern lege, – um diesen wunderbaren Nacken, – dann stelle ich mir vor, daß Du meine junge Braut bist, daß wir gerade aus der Kirche kommen, daß ich Dich zum ersten Male in meine Wohnung führe, daß ich zum ersten Mal mit Dir allein bin, – ganz allein mit Dir, Du junge, erbebende Schönheit! Diesen ganzen Abend über warst nur Du meine Sehnsucht. Als ich Dich in der Tarantella so verführerisch tollen sah, – da kochte mein Blut; ich hielt es nicht länger aus, – und deshalb führte ich Dich so früh nach Hause –

Nora.
Geh jetzt, Torvald. Du sollst mich in Ruhe lassen. Ich will das alles nicht.

Helmer.
Was soll das heißen? Du hast mich wohl zum besten, Norachen? Du willst nicht, willst nicht? Bin ich nicht Dein Mann –?

(Es klopft an der Treppentür.)

Nora (fährt zusammen.)
Hörst Du –?

Helmer (nach dem Vorzimmer gehend.)
Wer ist da?

Doktor Rank (draußen.)
Ich bin's. Darf ich einen Augenblick eintreten?

Helmer (leise, verdrießlich.)
Was will denn der jetzt?(Laut.) Wart' einen Augenblick.(Geht hin und schließt auf.) Na, das ist ja hübsch von Dir, daß Du nicht an unserer Tür vorübergehst.

Rank.
Mir war, als hörte ich Deine Stimme, und da wollte ich gern noch einen Blick herein tun.(Läßt das Auge flüchtig umherschweifen.) Ach ja, diese lieben, trauten Räume. Ihr habt es nett und behaglich, Ihr beide.

Helmer.
Du hast Dich oben offenbar auch recht behaglich gefühlt.

Rank.
Außerordentlich. Warum auch nicht? Weshalb soll man in dieser Welt nicht alles mitnehmen? Wenigstens, soviel man kann und solange man es kann. Der Wein war vortrefflich –

Helmer.
Besonders der Champagner.

Rank.
Hast Du das auch gefunden? Unglaublich, wieviel ich hinunterspülen konnte!

Nora.
Torvald hat heut abend auch viel Champagner getrunken.

Rank.
So?

Nora.
Ja, und danach ist er immer so gut aufgelegt.

Rank.
Weshalb soll man sich denn nicht auch einen vergnügten Abend machen nach einem gut angewendeten Tage?

Helmer.
Gut angewendeter Tag! Dessen darf ich mich leider nicht rühmen.

Rank (schlägt ihn auf die Schulter.)
Aber siehst Du,ich darf es.

Nora.
Sie haben heut gewiß eine wissenschaftliche Untersuchung vorgenommen, Doktor?

Rank.
Allerdings.

Helmer.
Ei, ei, unsere kleine Nora redet von wissenschaftlichen Untersuchungen!

Nora.
Und darf man Ihnen Glück wünschen zu dem Ergebnis?

Rank.
Das dürfen Sie getrost.

Nora.
Das Ergebnis war also gut?

Rank.
Das denkbar beste für den Arzt wie für den Patienten, – Gewißheit.

Nora (schnell und forschend.)
Gewißheit?

Rank.
Volle Gewißheit. Konnte ich mir daraufhin nicht einen vergnügten Abend machen?

Nora.
Ja, daran haben Sie recht getan, Doktor.

Helmer.
Das sage ich auch; wenn Du nur nicht morgen dafür büßen mußt.

Rank.
Na, für umsonst ist ja nichts auf der Welt.

Nora.
Doktor, – Maskeraden machen Ihnen wohl großes Vergnügen?

Rank.
Ja, wenn recht viel komische Masken da sind –

Nora.
Hören Sie, als was wollen wir beide gehen auf der nächsten Maskerade?

Helmer.
Du kleiner Leichtsinn, – denkst Du jetzt schon an die nächste?

Rank.
Wir beide? Das will ich Ihnen sagen: Sie kommen als Glückskind –

Helmer.
Ja, aber mach' ein Kostüm ausfindig, das dafür bezeichnend ist.

Rank.
Laß Deine Frau nur kommen, wie sie geht und steht in der Welt –

Helmer.
Das war wirklich treffend gesagt. Aber weißt Du schon, was Du selber vorstellen wirst?

Rank.
Mein lieber Freund, darüber bin ich mit mir vollkommen im reinen.

Helmer.
Nun?

Rank.
Auf der nächsten Maskerade werde ich unsichtbar sein.

Helmer.
Das ist mir ein ulkiger Einfall.

Rank.
Es gibt eine große schwarze Kappe –; hast Du noch nie von der Tarnkappe gehört? Die setzt man sich auf, und dann wird man von keinem gesehen.

Helmer (mit unterdrücktem Lächeln.)
Jawohl, – sehr richtig!

Rank.
Aber ich vergesse ganz, weshalb ich gekommen bin. Helmer, gib mir eine Zigarre, eine von Deinen dunklen Havannas.

Helmer.
Mit dem größten Vergnügen.(Reicht ihm sein Zigarrenetui hin.)

Rank (nimmt eine und schneidet die Spitze ab.)
Danke!

Nora (streicht ein Wachszündhölzchen an.)
Ich will Ihnen Feuer geben.

Rank.
Danke schön.(Sie hält das Zündholz hin, er raucht die Zigarre an.) Und nun Adieu.

Helmer.
Adieu, adieu, lieber Freund!

Nora.
Schlafen Sie wohl, Doktor!

Rank.
Vielen Dank für diesen Wunsch.

Nora.
Wünschen Sie mir dasselbe.

Rank.
Ihnen? Na ja, wenn Sie wollen –. Schlafen Sie wohl. Und Dank für das Feuer.(Er nickt beiden zu und geht.)

Helmer (mit gedämpfter Stimme.)
Er hat schwer getrunken.

Nora (wie geistesabwesend.)
Mag sein.(Helmer nimmt seinen Schlüsselbund aus der Tasche und geht ins Vorzimmer.) Torvald – was willst Du da?

Helmer.
Ich muß den Briefkasten leeren; er ist ganz voll; sonst ist morgen früh kein Platz für die Zeitungen –

Nora.
Willst Du heute nacht noch arbeiten?

Helmer.
Nein, das weißt Du ja schon. – Was ist das? Da ist jemand am Schloß gewesen.

Nora.
Am Schloß –?

Helmer.
Allerdings. Was soll das heißen? Ich will doch nicht hoffen, daß die Mädchen –? Hier liegt eine abgebrochene Haarnadel. Nora, das ist Deine –

Nora (schnell.)
Dann müssen es die Kinder gewesen sein –

Helmer.
Das mußt Du ihnen aber wirklich abgewöhnen. Hm, hm; – na, nun habe ich ihn doch noch aufbekommen.(Nimmt den Inhalt heraus und ruft in die Küche hinein:) Helene! – Helene, machen Sie die Lampe aus im Flur.(Kommt wieder ins Zimmer und schließt die Tür zum Vorzimmer.)

Helmer (mit den Briefen in der Hand.)
Sieh mal, sieh mal, wie sich das angesammelt hat.(Blättert darin.) Was istdas?

Nora (am Fenster.)
Der Brief! – Ach, nein, nein, Torvald!

Helmer.
Zwei Visitenkarten – von Rank.

Nora.
Vom Doktor?

Helmer (sieht sich die Karten an.)
Doctor medicinae Rank. Sie lagen obenauf; er muß sie beim Weggehen hineingesteckt haben.

Nora.
Steht etwas darauf?

Helmer.
Es steht ein schwarzes Kreuz über dem Namen. Sieh mal her. Das ist doch ein unheimlicher Einfall! Gerade als ob er seinen eigenen Tod anzeigte.

Nora.
Das tut er auch.

Helmer.
Wie? Weißt Du etwas? Hat er Dir etwas gesagt?

Nora.
Ja. Mit diesen Karten hat er Abschied von uns genommen. Er will sich einschließen und sterben.

Helmer.
Armer Freund! Ich wußte wohl, daß ich ihn nicht lange mehr haben würde. Aber so bald –. Und nun verbirgt er sich wie ein verwundetes Tier.

Nora.
Wenn es schon seinmuß, dann ist es am besten, daß es ohne Worte geschieht. Nicht wahr, Torvald?

Helmer.
Er war so mit uns verwachsen. Ich kann mir unser Leben gar nicht ohne ihn denken. Er, mit seinen Leiden und mit seiner Vereinsamung, gab gewissermaßen den wolkigen Hintergrund ab für unser sonnenhelles Glück. Na, es ist vielleicht am besten so. Für ihn wenigstens. –(Bleibt stehen.) Und am Ende auch für uns, Nora. Jetzt sind wir beide nur auf uns allein angewiesen.(Umarmt sie.) O du mein geliebtes Weib; mir ist, als könnte ich Dich nicht fest genug halten. Weißt Du, Nora – manchmal wünsche ich, es möchte Dir eine unmittelbare Gefahr drohen, auf daß ich Gut und Blut und alles, alles für Dich aufs Spiel setzen könnte.

Nora (reißt sich los und sagt fest und entschlossen:)
Jetzt sollst Du Deine Briefe lesen, Torvald!

Helmer.
Nein, nein, jetzt nicht mehr. Ich will bei Dir sein, geliebtes Weib.

Nora.
Mit dem Gedanken an den Tod Deines Freundes –?

Helmer.
Du hast recht. Das hat uns beide erschüttert. Es ist etwas Unschönes zwischen uns getreten; der Gedanke an Tod und Auflösung. Wir müssen Befreiung davon suchen. Bis dahin –. Wir wollen jedes auf sein Zimmer gehen.

Nora (an seinem Hals.)
Torvald, – gute Nacht! Gute Nacht!

Helmer (küßt sie auf die Stirn.)
Gute Nacht, mein Singvögelchen; schlaf' wohl, Nora. Jetzt lese ich die Briefe.(Er geht mit der Korrespondenz in sein Zimmer und schließt die Tür hinter sich.)

Nora,(mit irren Blicken, tastet umher, faßt Helmers Domino, wirft ihn sich um und flüstert schnell, heiser und abgerissen:) Ihn niemals wiedersehen. Niemals. Niemals. Niemals.(Wirft sich den Schal über den Kopf.) Und auch die Kinder nicht. Auch die nicht. Niemals; niemals. – O! Das eiskalte, schwarze Wasser. O die bodenlose Tiefe –; diese –. Wenn es nur erst vorüber wäre. – Jetzt hat er den Brief; jetzt liest er ihn. Nein, nein, noch nicht! Torvald, leb' wohl – Du und die Kinder!(Sie will durchs Vorzimmer hinausstürzen. In demselben Augenblick reißt Helmer seine Tür auf und steht mit dem offenen Brief in der Hand da.)

Helmer.
Nora!

Nora (schreit laut auf.)
Ah –!

Helmer.
Was ist das? Weißt Du, was in diesem Briefe steht?

Nora.
Ja, ich weiß es. Laß mich gehen! Laß mich hinaus!

Helmer (hält sie zurück.)
Wo willst Du hin?

Nora (versucht sich loszureißen.)
Du darfst mich nicht retten, Torvald!

Helmer (taumelt zurück.)
Wahr also? Ist es wahr, was er schreibt? Entsetzlich! Nein, nein, es kann und kann nicht wahr sein!

Nora.
Esist wahr. Über alles in der Welt habe ich Dich geliebt!

Helmer.
Komm mir nicht mit elenden Ausflüchten!

Nora (macht einen Schritt auf ihn zu.)
Torvald –!

Helmer.
Du Unglückselige, – was hast Du getan?!

Nora.
Laß mich fort! Du sollst nicht für mich büßen. Du sollst es nicht auf Dich nehmen.

Helmer.
Kein Komödienspiel.(Schließt das Vorzimmer ab.) Hier bleibst Du und stehst mir Rede. Hast Du einen Begriff davon, was Du getan hast? Antworte mir! Hast Du einen Begriff davon?

Nora (blickt ihn unverwandt an und spricht mit erstarrendem Ausdruck.)
Ja, jetzt fange ich an, gründlich zu begreifen.

Helmer (geht im Zimmer umher.)
Oh, welch ein furchtbares Erwachen. In diesen ganzen acht Jahren, – sie, die meine Lust und mein Stolz gewesen ist, – eine Heuchlerin, eine Lügnerin, – schlimmer, noch schlimmer – eine Verbrecherin! – Ach, die bodenlose Abscheulichkeit, die in all dem liegt! Pfui, pfui!

Nora (schweigt und sieht ihn immer noch unverwandt an.)

Helmer (bleibt vor ihr stehen.)
Ich hätte auf so etwas vorher gefaßt sein müssen. Ich hätte es voraussehen müssen. Die leichtsinnigen Grundsätze Deines Vaters –. Schweig! Die leichtsinnigen Grundsätze Deines Vaters hast Du geerbt. Keine Religion, keine Moral, kein Pflichtgefühl –. O, wie bin ich dafür bestraft, daß ich ihm durch die Finger gesehen habe. Um Deinetwillen habe ich es getan. Und so dankst Du mir dafür!

Nora.
Ja – so.

Helmer.
Mein ganzes Glück hast Du zerstört. Meine ganze Zukunft hast Du mir vernichtet. Ach, entsetzlich, nur daran zu denken. Ich bin in der Gewalt eines gewissenlosen Menschen; er kann mit mir machen, was er will; von mir verlangen, was ihm einfällt; über mich gebieten, mir befehlen nach seinem Belieben; – ich darf nicht mucksen. Und so jammervoll muß ich sinken und zugrunde gehen um eines leichtsinnigen Weibes willen!

Nora.
Wenn ich aus der Welt bin, so bist Du frei.

Helmer.
Laß die Possen! Solche Redensarten hatte Dein Vater auch immer bereit. Was würde mir das nützen, wenn Du aus der Welt wärest, wie Du sagst. Nicht das geringste würde mir es nützen. Er kann die Sache trotzdem bekannt machen; und tut er es, so komme ich vielleicht in den Verdacht, daß ich um Deine verbrecherische Tat gewußt habe. Man wird vielleicht glauben, ich hätte dahinter gesteckt, –ich hätte Dich dazu verführt! Und das alles habe ich Dir zu danken, Dir, die ich während unserer ganzen Ehe auf Händen getragen habe. Begreifst Du nun, was Du mir angetan hast?

Nora (mit kalter Ruhe.)
Ja.

Helmer.
Es ist so unglaublich, daß ich es noch immer nicht fassen kann. Aber wir müssen sehen, wie wir da heraus kommen! Den Schal herunter! Herunter, sage ich! Ich muß den Mann auf irgend eine Weise zu befriedigen suchen. Die Sache muß um jeden Preis vertuscht werden. – Und was Dich und mich betrifft, so muß es aussehen, als sei alles zwischen uns wie bisher. Aber natürlich nur vor den Augen der Welt. Du bleibst also nach wie vor im Hause; das ist selbstverständlich. Aber die Kinder darfst Du mir nicht erziehen; die wage ich Dir nicht anzuvertrauen –. O! Das der Frau sagen zu müssen, der Frau, die ich so innig geliebt, und die ich noch –! Na, das muß ein Ende haben. Von heut ab handelt es sich nicht mehr ums Glück; es gilt nur noch die Trümmer zu retten, die Überbleibsel, den Schein –(Es läutet im Vorzimmer. Helmer schrickt zusammen.) Was ist das? So spät noch? Sollte das Entsetzlichste –! Sollte er –? Versteck' Dich, Nora! Sag', Du bist krank.(Nora bleibt unbeweglich stehen. Helmer geht und öffnet die Tür zum Vorzimmer.)

Das Hausmädchen (halb angekleidet im Vorzimmer.)
Ein Brief für die gnädige Frau.

Helmer.
Geben Sie her.(Nimmt den Brief und schließt die Tür.) Ja, – von ihm. Du bekommst ihn nicht. Ich werde ihn selbst lesen.

Nora.
So lies.

Helmer (an der Lampe.)
Ich habe kaum den Mut dazu. Vielleicht sind wir verloren, Du und ich. Doch – ichmuß es wissen.(Reißt den Brief auf, durchfliegt einige Zeilen, blickt auf ein beigelegtes Papier; ein Freudenschrei:) Nora!

Nora (sieht ihn fragend an.)

Helmer.
Nora! – Nein! Ich muß es noch einmal lesen. – Ja, ja; es ist so. Ich bin gerettet. Nora, ich bin gerettet.

Nora.
Und ich?

Helmer.
Du auch, – natürlich; wir sind beide gerettet; Du und ich. Sieh her. Er schickt Dir Deinen Schuldschein zurück. Er schreibt, daß er bedauert und bereut –; daß eine glückliche Wendung in seinem Leben –. Aber was er schreibt, das ist ja ganz gleichgültig. Wir sind gerettet, Nora! Keiner kann Dir was anhaben. Ach Nora, Nora –; doch zuerst weg mit den abscheulichen Sachen hier. Laß mich sehen –(Wirft einen Blick auf die Schuldverschreibung.) Nein, ich will es nicht sehen; die ganze Geschichte soll für mich nichts andres sein als ein Traum.(Reißt den Schein und beide Briefe in Stücke, wirft alles in den Ofen und sieht zu, wie es brennt.) So, nun existiert es nicht mehr. – Er schrieb, daß Du seit dem heiligen Abend –. O, das müssen drei furchtbare Tage für Dich gewesen sein, Nora!

Nora.
Ich habe in diesen drei Tagen einen harten Kampf gekämpft.

Helmer.
Und Du hast gelitten und keinen anderen Ausweg gesehen als –. Doch wir wollen alle die häßlichen Dinge begraben. Wir wollen nur jubeln und wiederholen: es ist vorbei, es ist vorbei! So hör' mich doch an, Nora. Du scheinst es noch nicht zu fassen: es ist vorbei. Aber was ist das – diese starren Mienen? Ach, meine arme, kleine Nora, ich verstehe schon, Du willst noch nicht daran glauben, daß ich Dir verziehen habe. Aber das habe ich. Nora, ich schwöre Dir, ich habe Dir alles verziehen. Ich weiß ja, was Du getan hast, das hast Du aus Liebe zu mir getan.

Nora.
Das ist wahr.

Helmer.
Du hast mich geliebt, wie eine Frau ihren Mann lieben soll. Es fehlte Dir nur an der nötigen Einsicht zur Beurteilung der Mittel. Aber glaubst Du, daß Du mir weniger teuer bist, weil Du nicht selbständig zu handeln verstehst? Nein, nein, stütz' Dich nur auf mich, ich will Dir Berater, will Dir Führer sein. Ich müßte kein Mann sein, wenn nicht gerade diese weibliche Hilflosigkeit Dich doppelt anziehend in meinen Augen machte. Kehr' Dich nicht an die harten Worte, die ich im ersten Schrecken sprach, in einem Augenblicke, da ich meinte, alles müßte über mir zusammenstürzen. Ich habe Dir verziehen, Nora; ich schwöre Dir zu, ich habe Dir verziehen.

Nora.
Ich danke Dir für Deine Verzeihung.(Geht rechts durch die Tür ab.)

Helmer.
So bleib doch –.(Sieht hinein.) Was willst Du da im Alkoven?

Nora (drinnen.)
Das Maskenzeug heruntertun.

Helmer (an der offenen Tür.)
Recht so, suche Dich zu fassen und das Gleichgewicht Deiner Seele wieder zu erlangen, Du mein kleines, verschüchtertes Singvögelchen! Ruh' Dich getrost aus; ich werde Dich mit meinen starken Flügeln decken.(Geht in der Nähe der Tür umher.) O wie behaglich und schön unser Haus ist, Nora. Hier bist Du geborgen; ich will Dich halten wie eine verfolgte Taube, die ich den mörderischen Krallen des Habichts entrissen habe; ich werde Dein armes, pochendes Herz schon zur Ruhe bringen. Nach und nach, Nora, – glaub' mir das. Schon morgen wirst Du alles mit ganz anderen Augen ansehen; bald wird alles wieder beim alten sein. Ich werde Dir nicht mehr oft zu wiederholen brauchen, daß ich Dir verziehen habe; Du selbst wirst untrüglich fühlen, daß es so ist. Wie bist Du auf den Gedanken gekommen, ich könnte Dich verstoßen oder Dir auch nur einen Vorwurf machen? O Nora, Du kennst das Herz eines wirklichen Mannes nicht. Für den Mann liegt etwas unbeschreiblich Holdes und Befriedigendes in dem Bewußtsein, seiner Frau vergeben zu haben, – ihr aus vollem, aufrichtigem Herzen vergeben zu haben. Ist sie doch gewissermaßen in doppeltem Sinne dadurch sein Eigen geworden; als hätte er sie zum zweiten Male in die Welt gesetzt. Sie ist sozusagen sein Weib und sein Kind zugleich geworden. Das sollst Du mir fortan sein, Du ratloses, hilfloses Persönchen. Fürchte nichts, Nora; sei nur offenherzig gegen mich, dann werde ich Dein Wille und auch Dein Gewissen sein. – Was ist das? Du gehst nicht zu Bett? Du hast Dich umgekleidet?

Nora (in ihrem Alltagskleide.)
Ja, Torvald, ich habe mich umgekleidet.

Helmer.
Aber warum denn? Jetzt? So spät –?

Nora.
Diese Nacht werde ich nicht schlafen.

Helmer.
Aber, liebe Nora –

Nora (sieht auf ihre Uhr.)
Es ist noch nicht allzu spät. Nimm Platz, Torvald; wir zwei haben viel miteinander zu reden.(Setzt sich an die eine Seite des Tisches.)

Helmer.
Nora, – was soll das heißen? Diese starre Miene –.

Nora.
Setz' Dich. Es dauert lange. Ich habe mit Dir über vieles zu reden.

Helmer (setzt sich ihr gegenüber an den Tisch.)
Du machst mir Angst, Nora. Und ich verstehe Dich nicht.

Nora.
Ja, das ist es eben. Du verstehst mich nicht. Und ich habe Dich ebenfalls nicht verstanden – bis zu dieser Stunde. Bitte, unterbrich mich nicht. Du sollst mir nur zuhören. – Es ist eine Abrechnung, Torvald.

Helmer.
Wie meinst Du das?

Nora (nach kurzem Schweigen.)
Wie wir so dasitzen, – fällt Dir gar nichts daran auf?

Helmer.
Was sollte das sein?

Nora.
Wir sind jetzt acht Jahre verheiratet. Fällt es Dir nicht auf, daß wir – Du und ich, Mann und Frau – heute zum ersten Male ein ernstes Gespräch miteinander führen?

Helmer.
Ein ernstes Gespräch, – was heißt das?

Nora.
Acht ganze Jahre – und länger noch, – vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an haben wir nie ein ernstes Wort über ernste Dinge gewechselt.

Helmer.
Hätte ich Dich etwa beständig einweihen sollen in Widerwärtigkeiten, die Du doch nicht mit mir hättest teilen können?

Nora.
Ich spreche nicht von Widerwärtigkeiten. Ich sage nur, daß wir niemals ernst beieinandergesessen haben, um etwas gründlich zu überlegen.

Helmer.
Aber liebste Nora, das wäre doch nichts für Dich gewesen.

Nora.
Da sind wir bei der Sache. Du hast mich nie verstanden. – Ihr habt viel an mir gesündigt, Torvald. Zuerst Papa, dann Du.

Helmer.
Was? Wir beide –? Wir beide, die wir Dich über alles in der Welt geliebt haben?

Nora (schüttelt den Kopf.)
Ihr habt mich nie geliebt. Euch machte es nur Spaß, in mich verliebt zu sein.

Helmer.
Aber, Nora, was sind das für Worte!

Nora.
Ja, es ist so, Torvald. Als ich zu Hause war bei Papa, teilte er mir alle seine Ansichten mit, und so hatte ich dieselben Ansichten. War ich aber einmal anderer Meinung, dann verheimlichte ich das; denn es wäre ihm nicht recht gewesen. Er nannte mich sein Puppenkind, und spielte mit mir, wie ich mit meinen Puppen spielte. Dann kam ich zu Dir ins Haus –

Helmer.
Was für einen Ausdruck gebrauchst Du da von unserer Ehe?

Nora (unbeirrt.)
Ich meine, dann ging ich aus Papas Händen in Deine über. Du richtetest alles nach Deinem Geschmack ein, und so bekam ich denselben Geschmack wie Du; aber ich tat nur so: ich weiß es nicht mehr recht – vielleicht war es auch beides: bald so und bald so. Wenn ich jetzt zurückblicke, so ist mir, als hätte ich hier wie ein Bettler gelebt, – nur von der Hand in den Mund. Ich lebte davon, daß ich Dir Kunststücke vormachte, Torvald. Aber Du wolltest es ja so haben. Du und Papa, Ihr habt Euch schwer an mir versündigt. Ihr seid schuld daran, daß nichts aus mir geworden ist.

Helmer.
Wie lächerlich und wie undankbar, Nora! Bist Du hier nicht glücklich gewesen?

Nora.
Nein. Das bin ich nie gewesen. Ich habe es geglaubt, aber ich bin es nie gewesen.

Helmer.
Nicht – nicht glücklich?

Nora.
Nein, – nur lustig. Und Du warst immer so lieb zu mir. Aber unser Heim ist nichts anderes als eine Spielstube gewesen. Hier bin ich Deine Puppenfrau gewesen, wie ich zu Hause Papas Puppenkind war. Und die Kinder, die waren wiederum meine Puppen. Wenn Du mich nahmst und mit mir spieltest, so machte mir das gerade solchen Spaß, wie es den Kindern Spaß machte, wenn ich sie nahm und mit ihnen spielte.Das ist unsere Ehe gewesen, Torvald.

Helmer.
Etwas Wahres liegt in Deinen Worten, – so übertrieben und überspannt sie auch sind. Aber von jetzt an soll es anders werden. Die Tage des Spiels sind nun vorüber; jetzt kommt die Zeit der Erziehung.

Nora.
Wessen Erziehung? Meine oder die der Kinder?

Helmer.
Sowohl Deine wie die der Kinder, meine geliebte Nora.

Nora.
Ach, Torvald, Du bist nicht der Mann, mich zu einer richtigen Frau für Dich zu erziehen.

Helmer.
Und das sagst Du so?

Nora.
Und ich, – bin ich denn für die Aufgabe gerüstet, die Kinder zu erziehen?

Helmer.
Nora!

Nora.
Hast Du vorhin nicht selber gesagt, – Du dürftest mir diese Aufgabe nicht anvertrauen?

Helmer.
Im Moment der Erregung! Wie kannst Du darauf etwas geben?

Nora.
Doch. Du hattest sehr recht. Ich bin der Aufgabe nicht gewachsen. Das ist eine andere Aufgabe, die ich zuvor lösen muß. Ich muß trachten, mich selbst zu erziehen. Und Du bist nicht der Mann, mir dabei zu helfen. Das muß ich allein vollbringen. Und darum verlasse ich Dich jetzt.

Helmer (springt auf.)
Was sagst Du da?

Nora.
Ich muß ganz allein stehen, wenn ich mich mit mir selbst und mit der Außenwelt zurechtfinden soll! Deshalb kann ich nicht länger bei Dir bleiben.

Helmer.
Nora! Nora!

Nora.
Ich verlasse Dich sofort. Christine wird mich für diese eine Nacht aufnehmen –

Helmer.
Du bist von Sinnen! Das darfst Du nicht! Ich verbiete es Dir!

Nora.
Es hat fortan keinen Zweck mehr, mir etwas zu verbieten. Ich nehme mit, was mir gehört. Von Dir will ich nichts haben, – nicht heut, noch später.

Helmer.
Welcher Wahnsinn!

Nora.
Morgen reise ich nach Hause – das heißt: in meine alte Heimat. Dort wird es mir am leichtesten sein, irgend etwas anzufangen.

Helmer.
O Du verblendetes, unerfahrenes Geschöpf!

Nora.
Ich muß trachten, mir Erfahrung zu erwerben, Torvald.

Helmer.
Deine Häuslichkeit, Deinen Mann und Deine Kinder zu verlassen! Bedenke: was werden die Leute sagen!

Nora.
Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Ich weiß nur, daß es für mich notwendig ist.

Helmer.
O, das ist empörend. So entziehst Du Dich Deinen heiligsten Pflichten?

Nora.
Was verstehst Du unter meinen heiligsten Pflichten?

Helmer.
Das muß ich Dir erst sagen! Sind es nicht die Pflichten gegen Deinen Mann und gegen Deine Kinder?

Nora.
Ich habe andere Pflichten, die ebenso heilig sind.

Helmer.
Das hast Du nicht. Was für Pflichten könntendas wohl sein!

Nora.
Die Pflichten gegen mich selbst.

Helmer.
In erster Linie bist Du Gattin und Mutter.

Nora.
Das glaube ich nicht mehr. Ich glaube, daß ich vor allen Dingen Mensch bin, so gut wie Du, – oder vielmehr, ich will versuchen, es zu werden. Ich weiß wohl, daß die Welt Dir Recht geben wird, Torvald, und daß etwas ähnliches in den Büchern steht. Aber was die Welt sagt und was in den Büchern steht, das kann nicht länger maßgebend für mich sein. Ich muß selbst nachdenken, um in den Dingen Klarheit zu erlangen.

Helmer.
Du solltest Dir nicht klar sein über Deine Stellung in der eigenen Familie? Hast Du in solchen Sachen nicht einen untrüglichen Führer? Hast Du nicht die Religion?

Nora.
Ach, Torvald, was Religion ist, das weiß ich ja gar nicht einmal genau.

Helmer.
Was sagst Du da?

Nora.
Ich weiß ja nur, was Pastor Hansen sagte, als ich zur Konfirmationsstunde ging. Er trug vor,dies sei Religion unddas. Wenn ich erst aus meinen gegenwärtigen Verhältnissen heraus und auf mich allein angewiesen bin, dann werde ich auchdies zu ergründen suchen. Ich will sehen, ob das, was Pastor Hansen gesagt hat, richtig war, oder vielmehr, ob es fürmich richtig ist.

Helmer.
Ah, – das ist doch unerhört im Munde einer jungen Frau! Aber wenn die Religion Dir eine Führerin nicht sein kann, so laß mich wenigstens Dein Gewissen aufrütteln. Denn moralisches Gefühl, das hast Du doch? Oder, antworte mir, – hast Du es vielleicht nicht?

Nora.
Ja, Torvald, es ist nicht leicht, Dir darauf zu antworten, Torvald. Ich weiß es ja absolut nicht. Ich bin gänzlich irre daran geworden. Ich weiß nur, daß ich von dergleichen eine durchaus andere Anschauung habe als Du. Daß die Gesetze anders sind, als ich gedacht hatte, höre ich jetzt ja auch; daß sie aber richtig sind, – das will mir durchaus nicht in den Kopf. Eine Frau sollte also nicht das Recht haben, ihren alten sterbenden Vater zu schonen oder das Leben ihres Mannes zu retten! So etwas glaube ich nicht!

Helmer.
Du sprichst wie ein Kind. Du verstehst die Gesellschaft nicht, in der Du lebst.

Nora.
Ich verstehe sie nicht – allerdings. Aber jetzt will ich sie mir näher ansehen. Ich muß dahinter kommen, wer recht hat, die Gesellschaft oder ich.

Helmer.
Du bist krank, Nora; Du hast Fieber; ich glaube gar, Du bist von Sinnen.

Nora.
Ich habe noch nie so klar und sicher empfunden, wie jetzt.

Helmer.
Und klar und sicher gehst Du von Deinem Gatten und Deinen Kindern?

Nora.
Ja, das tue ich.

Helmer.
Dann ist nur nocheine Erklärung möglich.

Nora.
Welche?

Helmer.
Du liebst mich nicht mehr.

Nora.
Ja, das ist es eben.

Helmer.
Nora! – Und das sagst Du so?!

Nora.
Es tut mir bitter weh, Torvald; denn Du bist immer so gut zu mir gewesen. Aber was ist da zu machen?! Ich liebe Dich nicht mehr.

Helmer (mit mühsam erkämpfter Fassung.)
Ist das auch eine klare und sichere Überzeugung?

Nora.
Eine ganz klare und sichere Überzeugung. Das ist der Grund, warum ich nicht länger hier bleiben will.

Helmer.
Und kannst Du mir auch erklären, wodurch ich Deine Liebe verscherzt habe?

Nora.
Ja, das kann ich. Es war heut abend, als das Wunderbare nicht kam; und da sah ich, daß Du nicht der Mann bist, für den ich Dich gehalten hatte.

Helmer.
Sei deutlicher; ich verstehe Dich nicht.

Nora.
Acht Jahre lang habe ich geduldig gewartet; denn, du lieber Gott, ich sah ja ein, daß das Wunderbare nicht wie ein Alltägliches kommen könne. Dann brach das Verderben über mich herein; und nun war ich unerschütterlich fest davon überzeugt: jetzt kommt das Wunderbare. Als Krogstads Brief draußen lag, – da dachte ich auch nicht einen Augenblick, Du könntest Dich den Bedingungen dieses Menschen fügen. Ich war fest überzeugt, daß Du ihm entgegnen würdest: tu es nur der ganzen Welt kund! Und wenn das geschehen –

Helmer.
Nun, und –? Wenn ich meine eigene Frau dem Schimpf und der Schande preisgegeben hätte –?

Nora.
Wenn das geschehen wäre, so glaubte ich felsenfest – dann würdest Du hervortreten und alles auf Dich nehmen und sagen: ich bin der Schuldige.

Helmer.
Nora –!

Nora.
Du meinst, ich hätte ein solches Opfer niemals von Dir angenommen? Natürlich nicht. Aber was hätten meine Versicherungen gegenüber den Deinen gegolten? –Das war das Wunderbare, worauf ich in Angst und Bangen gehofft habe. Und umdas zu verhindern, hätte ich meinem Leben ein Ende gemacht.

Helmer.
Mit Freuden würde ich Tag und Nacht für Dich arbeiten, Nora, – für Dich Kummer und Sorge ertragen. Aber es opfert keiner seineEhre denen, die er liebt!

Nora.
Das haben hunderttausend Frauen getan!

Helmer.
Ach, Du denkst und sprichst wie ein unvernünftiges Kind.

Nora.
Mag sein. Aber Du, Du denkst weder, noch sprichst Du wie der Mann, an den ich mich anschließen könnte. Als sie vorüber war, – Deine Angst – nicht vor dem, wasmir drohte, sondern vor dem, was Dich selber treffen könnte, als alle Gefahr vorbei war, – da tatest Du, als ob nichts geschehen wäre. Genau so wie sonst war ich wieder Deine kleine Lerche, Deine Puppe, die Du fortan doppelt vorsichtig auf Händen tragen wolltest, weil sie so schwach und zerbrechlich wäre.(Steht auf.) Torvald, indem Augenblick kam ich zu der Erkenntnis, daß ich hier acht Jahre lang mit einem fremden Manne zusammen gehaust, und daß ich drei Kinder mit ihm gehabt hatte –. O, nicht daran denken darf ich! In tausend Stücke könnte ich mich zerreißen.

Helmer (schwermütig.)
Ich sehe, ich sehe. In der Tat, – zwischen uns hat sich ein Abgrund aufgetan. – Aber, Nora, sollte er sich nicht überbrücken lassen?

Nora.
So wie ich jetzt bin, bin ich keine Frau für Dich.

Helmer.
Ich habe die Kraft, ein anderer zu werden.

Nora.
Vielleicht, – wenn Dir die Puppe genommen wird.

Helmer.
Eine Trennung – eine Trennung von Dir! Nein, nein, Nora, – den Gedanken kann ich nicht fassen.

Nora (geht rechts hinein.)
Um so entschiedener muß es geschehen.(Sie kommt mit Hut und Mantel zurück und trägt eine kleine Reisetasche, die sie auf den Stuhl am Tische stellt.)

Helmer.
Nora, Nora, nicht jetzt! Warte bis morgen.

Nora (nimmt den Mantel um.)
Ich kann in der Wohnung eines fremden Mannes nicht die Nacht über bleiben.

Helmer.
Aber könnten wir nicht hier hausen wie Bruder und Schwester –?

Nora (setzt den Hut auf.)
Du weißt ganz gut, daß das nicht von langer Dauer wäre –.(Hüllt sich in den Schal ein.) Leb' wohl, Torvald; die Kleinen will ich nicht sehen. Ich weiß, sie sind in besseren Händen als bei mir. So wie ich jetzt bin, kann ich ihnen nichts sein.

Helmer.
Doch später einmal, Nora, – später?

Nora.
Wie kann ich das wissen? Ich weiß ja gar nicht, was aus mir wird.

Helmer.
Aber Du bist mein Weib, jetzt und in Zukunft.

Nora.
Hör' zu, Torvald; – wenn eine Frau das Haus ihres Mannes verläßt, wie ich jetzt tue, so entbindet ihn meines Wissens das Gesetz aller Verpflichtungen gegen sie. Wenigstens entbinde ich Dich jedweder Verpflichtung. Du sollst durch nichts gefesselt sein, ebensowenig wie ich es sein will. Auf beiden Seiten muß volle Freiheit herrschen. So, – da hast Du Deinen Ring zurück. Gib mir den meinen.

Helmer.
Auch das noch?

Nora.
Auch das.

Helmer.
Hier ist er.

Nora.
So. Nun ist es also aus. Da lege ich die Schlüssel hin. Die Mädchen wissen in der Wirtschaft genau Bescheid – besser als ich. Morgen, wenn ich abgereist bin, wird Christine kommen, um die Sachen zusammenzupacken, die von Haus aus mein Eigentum sind. Sie sollen mir nachgeschickt werden.

Helmer.
Aus?! Aus?! Nora, wirst Du nie mehr an mich denken?

Nora.
Ich werde gewiß oft an Dich und die Kinder und dies Haus denken müssen.

Helmer.
Darf ich Dir schreiben, Nora?

Nora.
Nein, – niemals. Das verbiete ich Dir.

Helmer.
Aber schicken darf ich Dir doch – –

Nora.
Nichts; nichts.

Helmer.
– Dir helfen, wenn Du Hilfe brauchst.

Nora.
Nein, sage ich. Ich nehme nichts von Fremden an.

Helmer.
Nora, – werde ich Dir niemals wieder mehr als ein Fremder sein können?

Nora (nimmt die Reisetasche.)
Ach, Torvald, dann müßte das Wunderbarste geschehen –.

Helmer.
Nenn es mir, dieses Wunderbarste!

Nora.
Dann müßte mit uns beiden, mit Dir und mir, eine solche Wandlung vorgehen, daß –. Ach, Torvald, ich glaube an keine Wunder mehr.

Helmer.
Aber ich will daran glauben. Sprich zu Ende. Eine solche Wandlung, daß –?

Nora.
– daß unser Zusammenleben eine Ehe werden könnte. Leb' wohl!(Geht durch das Vorzimmer ab.)

Helmer (sinkt auf einen Stuhl neben der Tür zusammen und birgt das Gesicht in den Händen.) Nora! Nora! (Sieht sich um und steht auf.) Leer. Sie ist fort! (Eine Hoffnung steigt in ihm auf.) Das Wunderbarste –?

(Man hört, wie unten die Haustür dröhnend ins Schloß fällt.)


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