Henrik Ibsen
Ein Puppenheim
Henrik Ibsen

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ERSTER AKT

(Ein gemütlich und geschmackvoll, aber nicht luxuriös eingerichtetes Zimmer. Rechts im Hintergrund führt eine Tür in das Vorzimmer; eine zweite Tür links im Hintergrund führt in Helmers Arbeitszimmer. Zwischen diesen beiden Türen ein Pianino. Links in der Mitte der Wand eine Tür und weiter nach vorn ein Fenster. Nahe am Fenster ein runder Tisch mit Lehnstühlen und einem kleinen Sofa. Rechts an der Seitenwand weiter zurück eine Tür und an derselben Wand weiter nach vorn ein Kachelofen, vor dem ein paar Lehnstühle und ein Schaukelstuhl stehen. Zwischen Ofen und Seitentür ein kleiner Tisch. An den Wänden Kupferstiche. Eine Etagere mit Porzellan und anderen künstlerischen Nippessachen; ein kleiner Bücherschrank mit Büchern in Prachteinbänden; Teppich durchs ganze Zimmer. Im Ofen ein Feuer. Wintertag.)

(Im Vorzimmer klingelt es; gleich darauf hört man, wie geöffnet wird. Nora tritt vergnügt trällernd ins Zimmer; sie hat den Hut auf und den Mantel an und trägt eine Menge Pakete, die sie rechts auf den Tisch niederlegt. Sie läßt die Tür zum Vorzimmer hinter sich offen, und man gewahrt draußen einen Dienstmann, der einen Tannenbaum und einen Korb trägt; er übergibt beides dem Hausmädchen, das ihnen geöffnet hat.)

Nora.
Tu den Tannenbaum gut weg, Helene. Die Kinder dürfen ihn jedenfalls erst heut abend sehen, wenn er geputzt ist.(Zum Dienstmann, indem sie ihr Portemonnaie hervorzieht.) Wieviel –?

Dienstmann.
Fünfzig Öre.

Nora.
Da ist eine Krone. Nein – behalten Sie den Rest.(Der Dienstmann dankt und geht. Nora schließt die Tür. Sie lacht noch immer stillvergnügt vor sich hin, während sie den Hut und Mantel ablegt. Sie zieht eine Tüte mit Makronen aus der Tasche und ißt ein paar; dann geht sie vorsichtig an die Tür ihres Mannes und lauscht.) Ja, er ist zu Hause.(Trällert wieder leise vor sich hin, indem sie rechts an den Tisch tritt.)

Helmer (in seinem Zimmer.)
Zwitschert da draußen die Lerche?

Nora,(während sie einige Pakete öffnet.)
Ja, das tut sie!

Helmer.
Poltert da das Eichhörnchen herum?

Nora.
Ja!

Helmer.
Wann ist das Eichhörnchen nach Hause gekommen?

Nora.
Diesen Augenblick.(Steckt die Makronentüte in die Tasche und wischt sich den Mund ab.) Komm, Torvald, und sieh Dir mal meine Einkäufe an.

Helmer.
Nicht stören!(Bald darauf öffnet er die Tür und sieht herein, mit der Feder in der Hand.) Einkäufe, sagst Du? Diese vielen Sachen? Ist das lockere Zeisiglein wieder ausgewesen und hat Geld verschwendet?

Nora.
Aber Torvald, dies Jahr dürfen wir doch wirklich ein bißchen über die Stränge schlagen. Sind es doch die ersten Weihnachten, wo wir nicht zu sparen brauchen.

Helmer.
Hör' mal, Du, Luxus dürfen wir auch nicht treiben.

Nora.
Doch, Torvald, wir dürfen jetzt schon ein bißchen Luxus treiben. Nicht wahr? Nur ein ganz, ganz klein bißchen. Du bekommst ja nun ein großes Gehalt und wirst viel, viel Geld verdienen.

Helmer.
Ja, von Neujahr ab. Aber dann vergeht noch ein ganzes Quartal, bis das Gehalt fällig ist.

Nora.
Bah! Bis dahin können wir ja borgen.

Helmer.
Nora!(Geht hin zu ihr und zupft sie scherzhaft am Ohr.) Geht schon wieder der Leichtsinn mit Dir durch? Gesetzt den Fall, ich borgte mir heute tausend Kronen, und Du brächtest sie in der Weihnachtswoche durch, und am Sylvesterabend fiele mir ein Ziegelstein auf den Kopf, und ich läge da –

Nora (hält ihm den Mund zu.)
Pfui, laß die garstigen Reden!

Helmer.
Ja, nimm mal an, daß so was passierte, – was dann?

Nora.
Wenn so was Gräßliches passierte, dann wär' es mir ganz gleichgültig, ob ich Schulden hätte oder nicht.

Helmer.
Und die Leute, von denen ich das Geld geliehen hätte?

Nora.
Die? Wen gingen die was an? Das sind ja Fremde.

Helmer.
Nora, Nora, Du bist ein Weib! Aber im Ernst, Nora: Du weißt, wie ich in diesem Punkt denke. Keine Schulden! Niemals borgen! Es kommt etwas Unfreies und damit auch etwas Unschönes über ein Hauswesen, das auf eine Borgwirtschaft gegründet ist. Bis auf den heutigen Tag haben wir beide tapfer ausgehalten, und das wollen wir nun auch noch die kurze Zeit tun, wo es nötig ist.

Nora (geht zum Ofen hin.)
Na ja; wie Du willst, Torvald.

Helmer (geht hinter ihr her.)
Ei, nun darf aber die kleine Lerche auch nicht die Flügel hängen lassen. Wie? Das Eichhörnchen steht und mault? –(Zieht das Portemonnaie.) Nora, was mag ich da wohl haben?

Nora (wendet sich schnell um.)
Geld!

Helmer.
Da nimm!(Gibt ihr einige Banknoten.) Du lieber Gott, ich weiß, daß zu Weihnachten im Hause eine ganze Menge draufgeht.

Nora (zählt.)
Zehn, – zwanzig, – dreißig, – vierzig. Schönen Dank, Torvald, schönen Dank; damit behelfe ich mich lange.

Helmer.
Ja, das mußt Du aber auch!

Nora.
Ja, ja, das werde ich schon. Aber nun komm und laß Dir alle meine Einkäufe zeigen. Und so wohlfeile Einkäufe. Schau her, – ein neuer Anzug für Ivar – und dazu ein Säbel. Hier ist ein Pferd und eine Trompete für Bob, und da eine Puppe und Puppenwiege für Emmy. Es ist freilich recht einfach, aber sie macht doch immer gleich alles entzwei. Und hier Kleiderstoff und Taschentücher für die Mädchen. Mutter Anne-Marie müßte eigentlich viel mehr haben!

Helmer.
Und was ist in dem Paket da?

Nora (schreit.)
Weg, Torvald! Das bekommst Du erst am Abend zu sehen!

Helmer.
Ach so! – Aber nun sag' mir, Du kleiner Verschwender, womit hast Du denn Dich selbst bedacht?

Nora.
Ach geh, – ich mich? Ich wüßte wirklich nicht, was –

Helmer.
Du sollst aber! Nenne mir etwas Vernünftiges, was Dir ganz besondere Freude machen würde.

Nora.
Ich wüßte wirklich nichts. – Doch, Torvald, hör' –

Helmer.
Na?

Nora (spielt an seinen Knöpfen, ohne ihn anzusehen.)
Wenn Du mir ein Geschenk machen willst, so könntest Du ja –; Du könntest –

Helmer.
Na also – heraus damit!

Nora (hastig.)
Du könntest mir Geld schenken, Torvald. So viel nur, wie Du meinst entbehren zu können. Ich kann mir dann gelegentlich später etwas dafür kaufen.

Helmer.
Aber Nora, –

Nora.
Ach ja, tu's, lieber Torvald, ich bitte Dich recht sehr; ich wickle mir dann das Geld in schönes Goldpapier ein und hänge es an den Weihnachtsbaum. Wäre das nicht reizend?

Helmer.
Wie nennt man doch die Vögel, die alles Geld durchbringen?

Nora.
Ja, ja, lockere Zeisige, – ich weiß schon. Aber wir wollen es so machen, wie ich sage, Torvald: dann habe ich Zeit zu überlegen, was ich am notwendigsten brauche. Ist das nicht sehr vernünftig, Torvald, wie?

Helmer (lächelnd.)
Ei freilich –, das heißt, wenn Du das Geld, das ich Dir gebe, wirklich festhalten und Dir selbst etwas dafür kaufen könntest. So aber geht es im Haushalt und für allerhand unnütze Dinge drauf, und dann muß ich wieder herausrücken.

Nora.
I bewahre, Torvald –

Helmer.
Läßt sich nicht leugnen, meine kleine liebe Nora!(Legt den Arm um ihre Taille.) Mein lockerer Zeisig ist entzückend, aber er braucht eine schwere Menge Geld. Man sollte es nicht glauben, wie hoch einem Mann solch ein Vögelchen zu stehen kommt.

Nora.
Aber nein! Wie kannst Du nur so was sagen? – Ich spare doch wirklich, wo ich kann.

Helmer (lacht.)
Ein wahres Wort! Wo Du kannst. Aber Du kannst absolut nicht.

Nora (trällert und lächelt stillvergnügt.)
Hm! Du solltest nur wissen, wie viele Ausgaben wir Lerchen und Eichhörnchen haben, Torvald.

Helmer.
Du bist ein sonderbares Dingchen. Ganz wie Dein Vater. Auf jede Art bemühst Du Dich, Geld in die Hand zu kriegen, und sobald Du es hast, verschwindet Dir's zwischen den Fingern; Du weißt nie, wo es geblieben ist. Na, aber man muß Dich nehmen, wie Du bist. Das liegt im Blut. Ja, ja, ja, Nora, so was vererbt sich.

Nora.
Nun, ich wünschte, ich hätte viele von Papas Eigenschaften geerbt.

Helmer.
Und ich möchte Dich gar nicht anders haben, als Du bist, meine liebe, kleine, singende Lerche. Doch – da fällt mir etwas ein. Du siehst heute so –, so, – wie soll ich gleich sagen? – so verdächtig aus –

Nora.
Ich?

Helmer.
Allerdings. Sieh mir mal gerade in die Augen.

Nora (sieht ihn an.)
Na?

Helmer (droht mit dem Finger.)
Hat das Leckermäulchen etwa heut in der Stadt genascht?

Nora.
Aber nein, wie kommst Du darauf?

Helmer.
Hat das Leckermäulchen ganz gewiß keinen Abstecher in die Konditorei gemacht?

Nora.
Nein, Torvald, ich versichere Dir –

Helmer.
Nicht ein wenig Konfitüren geschleckt?

Nora.
Nein, wahrhaftig nicht!

Helmer.
Auch nicht ein paar Makronen probiert?

Nora.
Nein, Torvald, ich versichere Dir wirklich –

Helmer.
Na, na, na – es ist ja natürlich nur im Scherz gemeint –

Nora (geht rechts an den Tisch.)
Es würde mir doch nie einfallen, gegen Deinen Wunsch zu handeln.

Helmer.
Nein, das weiß ich ja wohl. – Und dann hast Du mir ja Dein Wort gegeben –(Geht zu ihr.) Behalt Deine kleinen Weihnachtsüberraschungen nur für Dich, mein Herz. Heut abend, wenn der Baum brennt, werden sie schon ans Licht kommen, davon bin ich überzeugt.

Nora.
Hast Du auch nicht vergessen, Rank einzuladen?

Helmer.
Nein. Aber das ist ja gar nicht nötig. Es versteht sich von selbst, daß er mit uns speist. Übrigens werde ich ihn einladen, wenn er heut vormittag herkommt. Guten Wein habe ich schon bestellt. Nora, Du glaubst gar nicht, wie ich mich auf den heutigen Abend freue.

Nora.
Ich mich auch. Und wie die Kinder erst jubeln werden, Torvald!

Helmer.
Ach, es ist doch ein herrlicher Gedanke, eine feste gesicherte Stellung, sein reichliches Auskommen zu haben. Nicht wahr! Der Gedanke ist ein Hochgenuß!

Nora.
Ach, es ist wunderbar!

Helmer.
Denkst Du noch an vorige Weihnachten? Drei liebe lange Wochen vorher hast Du Dich Abend für Abend bis in die tiefe Nacht hinein eingeschlossen, um Blumen für den Baum und die vielen andern Herrlichkeiten anzufertigen, womit wir überrascht werden sollten. Uh, das war die ödeste Zeit, die ich je erlebt habe.

Nora.
Ich habe mich dabei gar nicht gelangweilt.

Helmer (lächelnd.)
Aber das Ergebnis war doch recht dürftig, Nora!

Nora.
Neckst Du mich schon wieder damit! Was konnte ich dafür, daß die Katze kam und mir alles kaputt machte.

Helmer.
Nein, mein armes Norachen, dafür konntest Du freilich nichts. Du hattest den besten Willen, uns alle zu beglücken, und das ist die Hauptsache. Aber gut ist es doch, daß die knappen Zeiten vorüber sind.

Nora.
Ja, es ist wirklich wunderbar!

Helmer.
Nun brauche ich hier nicht allein herumzusitzen und mich zu öden. Und Du brauchst Deine lieben Augen und Deine zarten, feinen Händchen nicht anzustrengen –

Nora (klatscht in die Hände.)
Nein, nicht wahr, Torvald, das brauchen wir nun nicht mehr!? O, wie wunderbar schön sich das anhört.(Nimmt seinen Arm.) Nun paß mal auf, Torvald, wie ich mir unsere künftige Einrichtung gedacht habe. Sobald Weihnachten vorbei ist –(es läutet im Vorzimmer.) Ach, da läutet es!(Räumt schnell ein wenig im Zimmer auf.) Es kommt gewiß jemand. Wie dumm!

Helmer.
Für Besuche bin ich nicht zu Hause, vergiß das nicht.

Hausmädchen (in der Vorzimmertür.)
Gnädige Frau – eine fremde Dame – –

Nora.
Ich bitte.

Hausmädchen (zu Helmer.)
Der Herr Doktor ist auch da.

Helmer.
Er ist wohl gleich zu mir hineingegangen?

Hausmädchen.
Ja, das ist er.

(Helmer ab in sein Zimmer; das Hausmädchen führt Frau Linde, die im Reiseanzug ist, ins Zimmer und schließt dann die Tür hinter ihr.)

Frau Linde (zaghaft und ein wenig zögernd.)
Guten Tag, Nora.

Nora (unsicher.)
Guten Tag –

Frau Linde.
Du kennst mich wohl nicht mehr –?

Nora.
Nein, ich weiß nicht –; doch, ja, – ich glaube –(aufjubelnd.) Wie – Christine! Bist Du's wirklich?!

Frau Linde.
Ja, ich bin es.

Nora.
Christine! Und ich habe Dich nicht wiedererkannt! Aber wie konnt' ich auch –.(Leiser.) Wie Du Dich verändert hast, Christine!

Frau Linde.
Allerdings. In neun – zehn langen Jahren –

Nora.
So lange haben wir uns nicht gesehen? Wahrhaftig, ja! Ach, die letzten acht Jahre waren eine glückliche Zeit! – Das kannst Du glauben. Und nun bist Du in die Stadt gekommen? Hast mitten im Winter die weite Reise gemacht? Das war brav.

Frau Linde.
Ich bin heut früh mit dem Dampfschiff angekommen.

Nora.
Natürlich, um Dir ein Weihnachtsvergnügen zu machen. Wie nett! Wir wollen auch recht lustig sein. Aber so leg' doch Deine Sachen ab. Du frierst doch nicht?(Hilft ihr.) So – jetzt setzen wir uns gemütlich an den Ofen. Nein, da in den Lehnstuhl! Ich setze mich in den Schaukelstuhl.(Ergreift ihre Hände.) Ja, das ist ja das alte, bekannte Gesicht; nur im ersten Augenblick –. Etwas bleicher bist Du freilich geworden, Christine, – und vielleicht auch etwas magerer.

Frau Linde.
Und viel, viel älter, Nora.

Nora.
Na ja, vielleicht ein bißchen älter; aber nur ganz, ganz wenig, nicht der Rede wert.(Hält plötzlich inne; ernst.) Ich gedankenlose Person! Da sitze ich und schwätze! Liebste, einzige Christine, kannst Du mir vergeben?

Frau Linde.
Was denn, Nora?

Nora (leise.)
Arme Christine, Du bist ja Witwe geworden.

Frau Linde.
Ja, schon vor drei Jahren.

Nora.
Gott, ich wußte es ja; ich habe es ja in den Zeitungen gelesen. Ach, Christine, Du kannst mir glauben, immer wollte ich Dir schreiben in der Zeit; aber jedesmal habe ich es wieder aufgeschoben; stets kam was dazwischen.

Frau Linde.
Liebe Nora, das begreife ich wohl.

Nora.
Nein, Christine, es war garstig von mir! Ach, Du Ärmste, was mußt Du nicht alles durchgemacht haben! – Und er hat Dir nichts zum Leben hinterlassen?

Frau Linde.
Nichts!

Nora.
Und keine Kinder?

Frau Linde.
Nein!

Nora.
Ganz und gar nichts also?

Frau Linde.
Nicht einmal eine Sorge oder ein Leid, von dem ich zehren könnte.

Nora (sieht sie ungläubig an.)
Aber Christine, wie ist das möglich?

Frau Linde (lächelt schwermütig und streicht ihr über das Haar.)
Ach, das kommt zuweilen vor, Nora.

Nora.
So ganz allein! Wie furchtbar schwer das für Dich sein muß. Ich habe drei reizende Kinder. Augenblicklich kann ich sie Dir nicht vorstellen, – sie sind mit der Kinderfrau aus. Aber nun mußt Du mir alles erzählen –

Frau Linde.
Ach nein! Erzähl' Du mir lieber!

Nora.
Nein, Du mußt anfangen. Heute will ich nicht egoistisch sein. Heut will ich nur an Deine Sachen denken. Abereines muß ich Dir doch sagen. Hast Du schon davon gehört, welch großes Glück uns in diesen Tagen beschert worden ist?

Frau Linde.
Nein, was denn?

Nora.
Denk Dir, mein Mann ist Direktor der Aktienbank geworden.

Frau Linde.
Dein Mann? O dieses Glück –!

Nora.
Ja, ein riesiges Glück. Ein Advokat hat ein so unsicheres Brot, besonders wenn er sich nur mit feinen und anständigen Geschäften befassen will. Und das hat Torvald natürlich immer gewollt; und darin halte ich es auch ganz mit ihm. Glaub' mir, wir freuen uns! Schon zu Neujahr tritt er in die Bank ein, und dann kriegt er ein großes Gehalt und viel Prozente. Von jetzt ab können wir ganz anders leben als bisher –, ganz, wie wir wollen. Ach, Christine, wie leicht und glücklich ich mich fühle! Ja, es ist doch wunderschön, tüchtig viel Geld und keine Sorgen zu haben. Nicht wahr?

Frau Linde.
Jedenfalls muß es schön sein, das Notwendige zu haben.

Nora.
Nein, nicht das Notwendige nur – sondern tüchtig, tüchtig viel Geld.

Frau Linde (lächelt.)
Nora, Nora! Bist Du noch immer nicht gescheit geworden? In der Schule warst Du eine große Verschwenderin.

Nora (lächelt still.)
Ja, das sagt Torvald heutigentags noch.(Droht mit dem Finger.) Aber "Nora, Nora" ist nicht so dumm, wie Ihr denkt. – Uns ist es wahrhaftig nicht so ergangen, daß ich hätte verschwenden können. Wir haben beide arbeiten müssen.

Frau Linde.
Du auch?

Nora.
Ja, Kleinigkeiten –, Handarbeiten, Häkeleien, Stickereien und dergleichen, –(leichthin) – und auch noch andere Sachen. Du weißt doch, daß Torvald aus dem Ministerialdienst ausgetreten ist, als wir heirateten? In seinem Rayon war keine Aussicht auf Beförderung, und er mußte doch mehr Geld verdienen als früher. Im ersten Jahr überarbeitete er sich aber ganz gräßlich. Er war, wie Du Dir denken kannst, auf allerhand Nebenverdienste angewiesen und mußte von früh bis spät schaffen. Das konnte er nicht vertragen, und so wurde er totkrank. Die Ärzte erklärten es für notwendig, daß er nach dem Süden ginge.

Frau Linde.
Ach ja, Ihr wart ja ein ganzes Jahr in Italien.

Nora.
Ja, gewiß. Glaub' mir, es war nicht leicht wegzukommen. Ivar war eben geboren. Doch weg mußten wir auf jeden Fall. Ach, es war eine wunderbar schöne Reise, und sie hat Torvald das Leben gerettet. Aber eine schwere Menge Geld hat sie gekostet, Christine.

Frau Linde.
Das kann ich mir schon denken.

Nora.
Zwölfhundert Taler hat sie gekostet. Viertausendachthundert Kronen. Du, das ist viel Geld.

Frau Linde.
Aber in solcher Lage ist es jedenfalls doch ein großes Glück, wenn man es hat.

Nora.
Ich will Dir was sagen, wir kriegten es von Papa.

Frau Linde.
Ach so. Gerade um jene Zeit starb ja wohl Dein Vater.

Nora.
Ja, Christine, gerade damals. Und denk nur, ich konnte nicht zu ihm reisen und ihn pflegen. Ich erwartete ja täglich die Geburt meines kleinen Ivar. Und dann mußte ich ja auch meinen armen totkranken Torvald pflegen. Der liebe, gute Papa! Ich habe ihn nicht mehr gesehen, Christine. Ach! das ist das Schwerste, was ich seit meiner Verheiratung erlebt habe.

Frau Linde.
Ich weiß, Du hast ihn sehr lieb gehabt. Und dann seid Ihr also nach Italien gereist?

Nora.
Jawohl – da hatten wir ja das Geld, und die Ärzte drangen darauf. Einen Monat später sind wir gereist.

Frau Linde.
Und Dein Mann kam ganz geheilt zurück?

Nora.
Munter wie ein Fisch im Wasser.

Frau Linde.
Aber – der Doktor?

Nora.
Wieso?

Frau Linde.
Ich glaubte das Mädchen so verstanden zu haben, der Herr, der zugleich mit mir eintrat, sei der Doktor.

Nora.
Das war Doktor Rank. Der kommt aber nicht als Arzt zu uns. Das ist unser bester Freund und läßt sich hier bei uns täglich wenigstens einmal sehen. Nein, Torvald ist auch noch nicht eine Stunde wieder krank gewesen. Und die Kinder sind munter und gesund, und ich auch.(Springt auf und klatscht in die Hände.) Gott, o Gott, Christine, es ist doch wunderbar schön, zu leben und glücklich zu sein! – – Ach, aber es ist abscheulich von mir –; ich spreche immer nur von meinen eigenen Sachen.(Setzt sich dicht neben sie auf einen Schemel und legt die Hände auf Frau Lindes Schoß.) Ach, Du mußt mir nicht böse sein! – Sag' mal, ist es wirklich wahr, daß Du Deinen Mann nicht geliebt hast? Warum hast Du ihn denn genommen?

Frau Linde.
Meine Mutter lebte noch und war bettlägerig und ohne Mittel. Und auch für meine beiden jüngeren Brüder hatte ich zu sorgen. Es schien mir unverantwortlich, seinen Antrag zurückzuweisen.

Nora.
Nein, nein, das ist ganz richtig. Er war also damals reich?

Frau Linde.
Er war recht wohlhabend, glaube ich. Aber es waren unsichere Geschäfte, Nora. Als er starb, kam der Zusammenbruch, und nichts blieb übrig.

Nora.
Und dann –?

Frau Linde.
Dann mußte ich mich mit einem kleinen Kramladen und einer kleinen Schule und allem Möglichen durchschlagen. Die letzten drei Jahre sind ein einziger langer, ruheloser Arbeitstag für mich gewesen. Jetzt ist er zu Ende, Nora. Meine arme Mutter braucht mich nicht mehr, – sie ist gestorben. Und die Jungen auch nicht, – sie haben jetzt Stellungen und können für sich selber sorgen.

Nora.
Wie leicht Du Dich fühlen mußt –

Frau Linde.
Nein, Du, – nur so unsagbar leer. Niemand mehr, für den ich leben kann.(Steht unruhig auf.) Deshalb hielt ich es da in dem entlegenen Nest nicht mehr aus. Hier muß man doch leichter etwas finden können, das einen in Anspruch nimmt und die Gedanken beschäftigt. Wenn es mir nur gelänge, eine feste Stellung zu finden, ein wenig Bureauarbeit –

Nora.
Aber Christine, das ist ja entsetzlich anstrengend und Du siehst ohnehin schon so angegriffen aus. Es wäre viel besser für Dich, wenn Du eine Badereise machen könntest!

Frau Linde (geht ans Fenster.)
Ich habe keinen Vater, der mir das Reisegeld schenken könnte, Nora.

Nora (steht auf.)
Ach, sei mir nicht böse!

Frau Linde (geht zu ihr.)
Liebe Nora, seiDu mir nicht böse. Das ist das Schlimmste bei Verhältnissen wie den meinigen, daß sie so das Gemüt verbittern. Man hat für niemand zu arbeiten, und doch muß man fortwährend tätig sein. Denn man muß doch leben, und so wird man Egoist. Als Du mir von der glücklichen Veränderung in Eurer Lebenslage erzähltest – wirst Du mir glauben, da freute ich mich nicht so sehr um Deinet-, wie um meinetwillen.

Nora.
Wie das? Ach ja – ich verstehe Dich. Du meinst, daß Torvald etwas für Dich tun könnte.

Frau Linde.
Ja, das dachte ich mir.

Nora.
Das soll er auch, Christine. Überlaß das nur mir; ich werde es schon so fein einfädeln, so fein, – etwas recht Liebenswürdiges aushecken, das bei ihm verfängt. Ach, ich möchte Dir so furchtbar gern helfen.

Frau Linde.
Wie schön von Dir, Nora, daß Du so für meine Sache eintrittst – doppelt schön vonDir, die Du selbst die Last und Mühsal des Lebens so gar nicht kennst.

Nora.
Ich –? Ich kenne nicht –?

Frau Linde (lächelnd.)
Du lieber Gott, das bißchen Handarbeit und dergleichen –. Du bist ein Kind, Nora.

Nora (wirft den Kopf zurück und geht durchs Zimmer.)
Das solltest Du nicht mit solcher Überlegenheit sagen.

Frau Linde.
So?

Nora.
Du bist wie die andern. Alle glaubt Ihr, daß ich zu etwas wirklich Ernstem nicht tauge –

Frau Linde.
Na, na – –

Nora.
– daß ich nichts geleistet habe in diesem schweren Dasein.

Frau Linde.
Liebe Nora, Du hast mir ja eben all Dein Ungemach erzählt.

Nora.
Ach was, – die Bagatellen! –(Leise.) Das Große, das habe ich Dir nicht erzählt.

Frau Linde.
Das Große? Was meinst Du damit?

Nora.
Du unterschätzt mich durchaus, Christine; aber das solltest Du nicht tun. Du bist stolz darauf, daß Du so lange und so schwer für Deine Mutter geschafft hast.

Frau Linde.
Ich unterschätze gewiß niemanden. Aber eins ist wahr: ich bin stolz und glücklich in dem Gedanken, daß es mir vergönnt gewesen ist, meiner Mutter die letzten Lebenstage einigermaßen sorgenfrei zu gestalten.

Nora.
Und Du bist auch stolz in dem Gedanken, was Du für Deine Brüder getan hast.

Frau Linde.
Ich glaube ein Recht dazu zu haben.

Nora.
Das glaube ich auch. Aber nun sollst Du etwas erfahren, Christine. Auch ich habe was, das mich stolz und glücklich macht.

Frau Linde.
Daran zweifle ich nicht. Aber wie meinst Du das?

Nora.
Sprich leise. Bedenk, wenn Torvald es hörte! Um keinen Preis der Welt darf er –; niemand darf es erfahren, außer Dir niemand, Christine.

Frau Linde.
Was ist es denn nur?

Nora.
Komm her.(Zieht sie neben sich auf das Sofa.) Ja, Du, – ich habe auch etwas, das mich stolz und glücklich macht:ich habe Torvald das Leben gerettet

Frau Linde.
Gerettet –? Wieso gerettet?

Nora.
Ich habe Dir doch von der Reise nach Italien erzählt. Wenn Torvald nicht dorthin gekommen wäre, so wäre er draufgegangen.

Frau Linde.
Na ja, Dein Vater hat Euch ja die nötigen Mittel gegeben –

Nora (lächelt.)
Ja, das glaubt Torvald, und das glauben alle andern; aber –

Frau Linde.
Aber –?

Nora.
Papa hat uns keinen Heller gegeben.Ich habe das Geld geschafft.

Frau Linde.
Du? Die ganze große Summe?

Nora.
Zwölfhundert Taler. Viertausendachthundert Kronen. Was sagst Du nun?

Frau Linde.
Ja aber, Nora, wie war Dir das möglich? Hattest Du in der Lotterie gewonnen?

Nora (verächtlich.)
In der Lotterie?(Geringschätzig.) Was wäre denn das für eine Kunst gewesen?

Frau Linde.
Wo hast Du es denn herbekommen?

Nora (trällert und lächelt geheimnisvoll.)
Hm, tralalala!

Frau Linde.
Borgen konntest Du es Dir doch nicht?

Nora.
So? Warum denn nicht?

Frau Linde.
Nein, eine Frau kann ohne die Einwilligung ihres Gatten kein Darlehn aufnehmen.

Nora (wirft den Kopf zurück.)
So –? Wenn es eine Frau ist, die einige Geschäftskenntnis hat –, eine Frau, die sich klug zu benehmen weiß, – dann –

Frau Linde.
Aber, Nora, ich verstehe kein Wort –

Nora.
Ist auch gar nicht nötig. Es ist ja gar nicht gesagt, daß ich mir das Geldgeborgt habe. Ich kann es mir ja auf andere Weise verschafft haben.(Wirft sich ins Sofa zurück.) Ich kann es ja von irgend einem Verehrer bekommen haben. Wenn man leidlich hübsch aussieht, wie ich –

Frau Linde.
Du bist eine Närrin.

Nora.
Jetzt bist Du gewiß grenzenlos neugierig, Christine.

Frau Linde.
Hör' mal an, liebe Nora, – hast Du auch keine Unbesonnenheit begangen?

Nora (richtet sich wieder auf.)
Ist es eine Unbesonnenheit, seinem Mann das Leben zu retten?

Frau Linde.
Ich finde, es war eine Unbesonnenheit, daß Du ohne sein Wissen –

Nora.
Aber er durfte ja doch nichts wissen! Herrgott, kannst Du denn das nicht begreifen? Er durfte nicht einmal wissen, wie schlimm es um ihn stand. Zumir kamen die Ärzte und sagten, es wäre Gefahr für sein Leben, und nur ein Aufenthalt im Süden könnte ihn retten. Meinst Du denn, ich hätte nicht zunächst auf andere Weise versucht, aus der Verlegenheit zu kommen? Ich sprach mit ihm darüber, wie nett ich es finden würde, mal wie andere junge Frauen ins Ausland reisen zu können. Ich weinte und ich flehte; ich sagte ihm, er sollte doch daran denken, in welchen Umständen ich mich befände, er sollte doch gut sein und mir nachgeben, und dann deutete ich an, er könnte ja wohl ein Darlehn aufnehmen. Aber da wurde er beinahe böse, Christine. Er sagte, ich wäre leichtsinnig, und es wäre seine Pflicht als Ehemann, meinen Mucken und Launen – so nannte er es, glaube ich – nicht nachzugeben. Nun wohl, dachte ich bei mir, gerettet mußt Du werden; und da verfiel ich auf diesen Ausweg –

Frau Linde.
Hat Dein Mann denn nicht von Deinem Vater erfahren, daß das Geld nicht von ihm kam?

Nora.
Nein, niemals. Papa starb gerade in jenen Tagen. Ich hatte vor, ihn in die Sache einzuweihen und ihn zu bitten, daß er nichts verriete. Weil er nun aber so krank darniederlag –. Leider wurde es nicht mehr nötig.

Frau Linde.
Und später hast Du Dich Deinem Manne nie anvertraut?

Nora.
Nein, um des Himmelswillen, was fällt Dir ein? Ihn, der in diesen Dingen so streng ist! Und außerdem – Torvald mit seinem männlichen Selbstgefühl, – wie peinlich und demütigend wäre ihm das Bewußtsein, mir etwas zu verdanken. Das würde unser gegenseitiges Verhältnis vollständig verschieben. Unser schönes, glückliches Heim wäre nicht mehr, was es jetzt ist.

Frau Linde.
Wirst Du es ihm niemals sagen?

Nora (nachdenklich, mit halbem Lächeln.)
Doch, – vielleicht später einmal; – nach vielen Jahren, wenn ich nicht mehr so hübsch bin wie jetzt. Du darfst darüber nicht lachen. Ich meine ja nur: wenn Torvald sich nicht mehr so viel aus mir macht wie jetzt; wenn es ihm keine Freude mehr gewährt, daß ich ihm etwas vortanze und mich verkleide und deklamiere. Dann ist es vielleicht gut, etwas in der Reserve zu haben –.(Abbrechend.) Ach Unsinn, Unsinn, Unsinn!Die Zeit kommt nie. – Na, aber was sagst Du zu meinem großen Geheimnis, Christine? Tauge ich nicht doch zu etwas? – Du darfst mir übrigens glauben, die Sache hat mir viel Kummer bereitet. Es ist mir wahrhaftig nicht leicht geworden, meinen Verpflichtungen immer zur rechten Zeit nachzukommen. Du mußt nämlich wissen, im Geschäftsleben gibt es etwas, das man Quartalszinsen nennt, und noch etwas, das Abzahlung heißt; und die Gelder sind immer so entsetzlich schwer zu beschaffen. Da habe ich denn an allen Ecken und Enden sparen müssen, wo ich nur konnte, siehst Du. Vom Wirtschaftsgelde konnte ich so gut wie nichts erübrigen, denn Torvald mußte ja gut leben. Die Kinder konnte ich doch auch nicht in schlechter Kleidung umhergehen lassen; was ich für sie bekam, dachte ich, das müßte ich auch für sie verbrauchen. Die süßen, herzigen Kleinen!

Frau Linde.
Da mußten denn wohl Deine eigenen Bedürfnisse herhalten, arme Nora?

Nora.
Ja, natürlich. Ich war ja auch die Nächste dazu. Jedesmal, wenn Torvald mir Geld zu neuen Kleidern und dergleichen gab, verwandte ich nie mehr als die Hälfte darauf; ich kaufte stets vom Billigsten und Einfachsten. Ein wahres Glück, daß mir alles so gut steht, und Torvald also nichts merkte. Manchmal ist es mir aber recht schwer geworden, Christine, denn es ist doch himmlisch, fein gekleidet zu gehen. Nicht wahr?

Frau Linde.
Ja, freilich.

Nora.
Na, und dann hatte ich ja auch noch andere Einnahmequellen. Im vorigen Winter hatte ich das Glück, eine Menge Schreibarbeit zu bekommen. Da schloß ich mich ein und schrieb jeden Abend bis tief in die Nacht hinein. Ach, zuweilen war ich so müde, so müde. Aber es war trotzdem riesig unterhaltend, so zu arbeiten und Geld zu verdienen. Ich kam mir beinahe wie ein Mann vor.

Frau Linde.
Wie viel hast Du denn nun auf die Weise abzahlen können?

Nora.
Ja, das kann ich nicht so genau sagen. Weißt Du, es ist sehr schwierig, sich in solchen Geschäften zurecht zu finden. Ich weiß bloß, daß ich bezahlt habe, was ich nur zusammenkratzen konnte. Gar manches Mal habe ich mir keinen Rat gewußt.(Lächelt.) Dann saß ich da und stellte mir vor, es hätte sich ein reicher, alter Herr in mich verliebt –

Frau Linde.
Wie? Was für ein Herr?

Nora.
Ach Unsinn! – und daß er stürbe, und als man sein Testament öffnete, stand mit großen Buchstaben darin: "Alle meine Gelder sollen der liebenswürdigen Frau Nora Helmer sofort bar ausbezahlt werden."

Frau Linde.
Aber liebe Nora, – was war das für ein Herr?

Nora.
Herrgott, begreifst Du denn nicht? Der alte Herr existierte ja gar nicht; das habe ich mir ja nur vorphantasiert – immer und immer wieder, wenn ich nicht aus noch ein wußte, um Geld zu beschaffen. Aber das ist nun alles eins; der alte langweilige Mensch kann meinetwegen bleiben, wo er ist; ich mache mir weder aus ihm noch aus seinem Testament etwas, denn jetzt bin ich die Sorgen los.(Springt auf.) Gott, o Gott, Christine, es ist doch ein himmlischer Gedanke! Sorgenfrei! Sorgenfrei zu sein, ganz sorgenfrei; mit den Kindern spielen und sich tummeln zu können; es hübsch und nett im Hause zu haben, ganz so, wie Torvald es liebt! Und denk, nun kommt bald der Frühling mit seinem weiten, blauen Himmel! Vielleicht können wir dann eine kleine Reise machen. Und ich darf vielleicht das Meer wiedersehen! Ach ja, ja! Wie wunderbar, zu leben und glücklich zu sein!

(Man hört die Glocke im Vorzimmer.)

Frau Linde (steht auf.)
Es klingelt; es ist vielleicht das beste, ich gehe.

Nora.
Nein, bleib nur; zu mir kommt gewiß kein Besuch; es wird wohl jemand zu Torvald –

Hausmädchen (in der Vorzimmertür.)
Verzeihung, gnädige Frau; – da ist ein Herr, – der den Herrn Advokaten sprechen will.

Nora.
– – den HerrnBankdirektor, meinst Du wohl.

Hausmädchen.
Ja, den Herrn Bankdirektor; ich wußte aber nicht recht, – weil doch der Herr Doktor drin ist –

Nora.
Wer ist der Herr?

Krogstad (in der Vorzimmertür.)
Ich bin's, gnädige Frau.

(Frau Linde stutzt, fährt zusammem und wendet sich dem Fenster zu.)

Nora (geht ihm einen Schritt entgegen, gespannt, mit halber Stimme.)
Sie? Was soll das heißen? Über was haben Sie mit meinem Mann zu reden?

Krogstad.
Über Bankangelegenheiten; – sozusagen. Ich habe einen kleinen Posten an der Aktienbank, und wie ich höre, wird Ihr Mann jetzt unser Chef –

Nora.
Es sind also –

Krogstad.
– nur trockene Geschäfte, gnädige Frau; absolut nichts andres.

Nora.
Ja, dann haben Sie wohl die Güte, sich ins Bureau zu bemühen.(Grüßt gleichgültig, indem sie die Tür zum Vorzimmer schließt; darauf geht sie an den Ofen und sieht nach dem Feuer.)

Frau Linde.
Nora, – wer war der Mann?

Nora.
Das war ein gewisser Krogstad.

Frau Linde.
Er war es also wirklich.

Nora.
Kennst Du den Menschen?

Frau Linde.
Ich habe ihn gekannt – es ist sehr lange her. Er war eine Zeitlang Vertreter des Rechtsanwalts in unserer Gegend.

Nora.
Ganz richtig.

Frau Linde.
Wie er sich verändert hat.

Nora.
Er ist wohl sehr unglücklich verheiratet gewesen.

Frau Linde.
Jetzt ist er ja Witwer.

Nora.
Mit vielen Kindern. – So – nun brennt das Feuer.(Sie schließt die Ofentür und schiebt den Schaukelstuhl ein wenig beiseite.)

Frau Linde.
Es heißt, er betreibe mancherlei Art Geschäfte?

Nora.
So? Das kann schon sein! Ich weiß es wirklich nicht –. Aber laß uns nicht an Geschäfte denken. Das ist so öde.

( Doktor Rank kommt aus Helmers Zimmer.)

Doktor Rank (noch in der Tür.)
Nein, nein, lieber Freund, ich mag nicht stören; ich will lieber ein bißchen zu Deiner Frau hineingehen.(Schließt die Tür hinter sich und bemerkt Frau Linde.) O, – ich bitte um Vergebung; hier stör' ich am Ende auch?

Nora.
Durchaus nicht.(Stellt vor.) Doktor Rank – Frau Linde.

Rank.
Ah! Ein Name, der hier im Hause oft genannt wird. Ich glaube, ich ging auf der Treppe an Ihnen vorbei, als ich kam.

Frau Linde.
Ja, ich steige Treppen sehr langsam; ich kann es nicht gut vertragen.

Rank.
Aha! Ein kleiner innerer Schaden?

Frau Linde.
Eigentlich mehr eine Überanstrengung.

Rank.
Sonst nichts? Dann sind Sie wohl in die Stadt gekommen, um sich bei den vielen Fêten ein wenig zu erholen?

Frau Linde.
Ich bin gekommen, um Arbeit zu suchen.

Rank.
Ist Arbeit ein probates Mittel gegen Überanstrengung?

Frau Linde.
Man muß leben, Herr Doktor.

Rank.
Ja, es ist eine weit verbreitete Ansicht, daß das eine Notwendigkeit wäre.

Nora.
Na, na, Doktor, – Sie wollen doch auch gern leben.

Rank.
Allerdings will ich das. Bin ich auch elend dran, so möchte ich doch, daß die Qual noch möglichst lange dauere. Meinen Patienten geht es allen ebenso. Und mit den sittlich Bresthaften ist es nicht anders. In diesem Augenblick ist gerade solch ein moralischer Lazarus bei Helmer drin –

Frau Linde (mit gedämpfter Stimme.)
Ah!

Nora.
Wen meinen Sie?

Rank.
Ach, es ist ein Anwalt Krogstad, – Sie kennen den Menschen nicht. Der ist verdorben in den Wurzeln des Charakters, verehrte Frau. Aber selbstder fing an, davon zu schwätzen, wie von einer hochwichtigen Sache: daß erleben müsse.

Nora.
So? – Was hatte er denn mit Torvald zu reden?

Rank.
Ich weiß wahrhaftig nicht; ich habe nur gehört, daß es die Aktienbank betraf.

Nora.
Ich wußte nicht, daß Krog –, daß dieser Herr Krogstad etwas mit der Aktienbank zu schaffen hätte.

Rank.
O freilich, – er hat dort so eine Art Anstellung.(Zu Frau Linde.) Ich weiß nicht, ob Sie in Ihrer Gegend da auch solche Leute haben, die überall atemlos umherrennen, um moralische Fäulnis aufzuspüren und dann die Betreffenden für irgend eine vorteilhafte Stellung in Vorschlag zu bringen. Die Gesunden müssen sich dann hübsch darein finden, das Nachsehen zu haben.

Frau Linde.
Nun, aber eigentlich haben doch auch die Kranken das größte Anrecht darauf, sichergestellt zu werden.

Rank (zuckt die Achseln.)
Na, da haben wir's. Geradedie Anschauung macht die menschliche Gesellschaft zu einem Krankenhause.

(Nora, die in ihre eigenen Gedanken versunken war, bricht in ein halblautes Gelächter aus und klatscht in die Hände.)

Rank.
Weshalb lachen Sie über so was? Wissen Sie denn überhaupt, was die Gesellschaft ist?

Nora.
Was kümmert mich die dumme Gesellschaft?! Ich lache über ganz etwas anderes, – etwas ungeheuer Komisches. – Sagen Sie mal, Doktor, – werden nun alle, die bei der Aktienbank angestellt sind, von Torvald abhängig?

Rank.
Das finden Sie so ungeheuer komisch?

Nora (lächelt und trällert.)
Lassen Sie mich nur, lassen Sie mich nur!(Spaziert im Zimmer auf und ab.) Ach, der Gedanke, daß wir – daß Torvald so großen Einfluß auf so viele Menschen hat, ist wirklich über alle Maßen ergötzlich.(Zieht die Tüte aus der Tasche.) Doktor, ein Makronchen gefällig?

Rank.
Ei sieh mal, Makronen. Ich glaubte, das wäre hier Kontrebande.

Nora.
Ja gewiß, – aberdie hat mir Christine geschenkt.

Frau Linde.
Wie? – Ich? –

Nora.
Na, na, na; erschrick nur nicht. Du konntest ja nicht wissen, daß Torvald das verboten hat. Du mußt nämlich wissen, er hat Angst, daß ich schlechte Zähne davon kriege. Ach was! Einmal ist keinmal! – Nicht wahr, Doktor? Hier, bitte!(Steckt ihm eine Makrone in den Mund.) Und Du auch, Christine. Und ich kriege auch eine; nur eine ganz kleine – oder höchstens zwei.(Geht wieder umher.) Ja, jetzt bin ich wirklich über die Maßen glücklich. Nun gibt es nur noch eins auf der Welt, wozu ich eine riesige Lust hätte.

Rank.
Na, und das wäre?

Nora.
Ich möchte so riesig gern etwas sagen, und Torvald müßte es hören.

Rank.
Und warum sagen Sie es denn nicht?

Nora.
Nein, ich darf nicht; es ist gar so garstig.

Frau Linde.
Garstig?

Rank.
Ja, dann ist es wohl nicht ratsam. Aber zu uns können Sie doch –. Na, was möchten Sie denn so gern sagen, daß Torvald es hörte?

Nora.
Ich möchte so riesig gern sagen: Himmelkreuzdonnerwetter!

Rank.
Sind Sie verdreht?

Frau Linde.
Aber, Nora –!

Rank.
Sagen Sie's doch. Da ist er.

Nora (versteckt die Makronentüte.)
Pst! Pst! Pst!

( Helmer kommt, den Überzieher über dem Arm und den Hut in der Hand, aus seinem Zimmer.)

Nora (geht ihm entgegen.)
Na, lieber Torvald, bist Du ihn los?

Helmer.
Ja, er ist weg.

Nora.
Darf ich Dich vorstellen –: das ist Christine; sie ist heute angekommen.

Helmer.
Christine –? Entschuldigen Sie, aber ich weiß nicht –

Nora.
Frau Linde, lieber Torvald, – Frau Christine Linde.

Helmer.
Ah so. Vermutlich eine Jugendfreundin meiner Frau?

Frau Linde.
Ja, wir kennen uns von früher.

Nora.
Und denk nur, sie hat die weite Reise hierher gemacht, um mit Dir zu sprechen.

Helmer.
Wieso –?

Frau Linde.
Das gerade nicht –

Nora.
Christine ist nämlich außerordentlich geschickt in Bureauarbeiten. Und nun möchte sie so furchtbar gern unter die Leitung eines tüchtigen Mannes kommen und noch mehr lernen, als sie schon kann –

Helmer.
Sehr vernünftig, Frau Linde.

Nora.
Und als sie nun hörte, daß Du Bankdirektor geworden bist – der Telegraph hatte es verkündet – ist sie so schnell wie möglich hergereist und –. Nicht wahr, Torvald, mir zuliebe kannst Du schon ein wenig für Christine tun? Was?

Helmer.
Je nun, das wäre gar nicht so unmöglich. Vermutlich sind Sie Witwe?

Frau Linde.
Ja.

Helmer.
Und haben Sie Übung in Kontorarbeiten?

Frau Linde.
Ja, so ziemlich.

Helmer.
Na, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß ich Ihnen eine Anstellung verschaffen kann –

Nora (klatscht in die Hände.)
Siehst Du wohl, siehst Du wohl?

Helmer.
Sie haben gerade einen günstigen Augenblick getroffen, Frau Linde –

Frau Linde.
Wie soll ich Ihnen danken –?

Helmer.
Ist durchaus nicht nötig.(Zieht den Überzieher an.) Für heute müssen Sie mich aber entschuldigen.

Rank.
Wart', ich gehe mit.(Holt seinen Pelz aus dem Vorzimmer und wärmt ihn am Ofen.)

Nora.
Bleib nicht zu lange aus, lieber Torvald.

Helmer.
Nur ein Stündchen, länger nicht.

Nora.
Gehst Du auch, Christine?

Frau Linde (zieht ihren Mantel an.) Ja, ich muß nun fort und mich nach einem Zimmer umsehen.

Helmer.
Dann können wir vielleicht zusammen die Straße hinunter gehen.

Nora (hilft ihr.)
Wie dumm, daß wir so beschränkt wohnen; aber es ist uns unmöglich, Dir –

Frau Linde.
Wo denkst Du hin! Adieu, liebe Nora, und Dank für alles.

Nora.
Auf Wiedersehen! Heut abend kommst Du selbstverständlich. Und Sie auch, Doktor. Was? Wenn Sie wohl genug sind? Natürlich sind Sie wohl genug. Packen Sie sich nur recht gut ein.

(Im allgemeinen Gespräch gehen sie in das Vorzimmer; auf der Treppe hört man Kinderstimmen.)

Nora.
Da sind sie, da sind sie!(Sie läuft hin und öffnet.)

( Anne-Marie kommt mit den Kindern.)

Nora.
Herein, nur herein!(Beugt sich nieder und küßt sie.) Ihr süßen, einzigen –! Schau sie an, Christine! Sind sie nicht reizend?

Rank.
Keine Unterhaltung hier in der Zugluft.

Helmer.
Kommen Sie, Frau Linde. Nun ist's hier nicht mehr auszuhalten für Leute, die keine Mütter sind!

(Rank, Helmer und Frau Linde gehen die Treppe hinunter, die Kinderfrau geht mit den Kindern ins Zimmer. Nora ebenfalls, indem sie die Tür zum Vorzimmer schließt.)

Nora.
Wie frisch und fröhlich Ihr ausseht. Und die roten Backen, die Ihr mitbringt. Wie Äpfel und Rosen.(Die Kinder sprechen während des Folgenden durcheinander mit ihr.) Habt Ihr Euch gut unterhalten? Das ist ja herrlich. Ach – Du hast Emmy und Bob Schlitten gefahren? – Denk mal an! Ja, Du bist ein fixer Kerl, Ivar. Gib sie mir ein bißchen, Anne-Marie. Mein süßes, kleines Puppenkind!(Nimmt der Kinderfrau das Kleinste ab und tanzt mit ihm.) Ja, ja! Mama wird mit Bob auch tanzen. Was? Ihr habt Euch geschneeballt? Oh, da hätte ich mit dabei sein mögen! Laß nur, ich will sie selbst ausziehen, Anne-Marie. Laß mich doch; ich tu's so gerne. Geh so lange in die Kinderstube. Du siehst so verfroren aus. Auf dem Ofen steht heißer Kaffee für Dich.

(Die Kinderfrau geht in das Zimmer zur Linken. Nora nimmt den Kindern die Mäntel und Hüte ab und wirft alles umher; inzwischen läßt sie sie durcheinander reden.)

Nora.
Ach was! Ein großer Hund ist Euch nachgelaufen? Aber gebissen hat er Euch nicht? Nein, solche kleine nette Püppchen beißen die Hunde nicht. Nicht in die Pakete gucken, Ivar! Was das ist? Ja, wenn Ihrdas wüßtet! Ach nein, nein, da ist etwas Garstiges drin. So? Spielen möchtet Ihr? Was wollen wir spielen? Verstecken. Ja. Spielen wir Verstecken. Bob soll sich zuerst verstecken. Ich? Na ja, dann verstecke ich mich zuerst.

(Sie und die Kinder spielen unter Jubel und Lachen im Zimmer und in dem anstoßenden Raume zur Rechten. Zuletzt versteckt Nora sich unter dem Tisch. Die Kinder stürmen herein, suchen, können sie aber nicht finden. Dann hören sie ihr unterdrücktes Lachen, stürzen an den Tisch, heben die Decke auf und sehen sie. Stürmischer Jubel. Sie kriecht hervor, als wolle sie sie schrecken. Neuer Jubel. Inzwischen hat es an der Eingangstür geklopft; niemand hat es beachtet. Jetzt wird die Tür halb geöffnet und Krogstad wird sichtbar. Er wartet ein wenig; das Spiel nimmt seinen Fortgang.)

Krogstad.
Entschuldigen Sie, Frau Helmer –

Nora (mit einem unterdrückten Schrei, dreht sich um und springt halb in die Höhe.)
Ah! Was wollen Sie?

Krogstad.
Entschuldigen Sie; – die Stiegentür war nur angelehnt; es muß jemand vergessen haben, sie zuzumachen.

Nora (steht auf.)
Mein Mann ist nicht zu Hause, Herr Krogstad.

Krogstad.
Das weiß ich.

Nora.
So – was wollen Sie denn hier?

Krogstad.
Ein Wort mit Ihnen reden.

Nora.
Mit –(Leise zu den Kindern.) Geht hinein zu Anne-Marie. Was? Nein, der fremde Herr will Mama nichts zu leide tun. Wenn er fort ist, spielen wir weiter.(Sie führt die Kinder in das Zimmer links und schließt die Tür hinter ihnen.)

Nora (unruhig, gespannt.)
Sie wollen mit mir sprechen?

Krogstad.
Allerdings.

Nora.
Heut – aber es ist doch noch nicht der Erste?

Krogstad.
Nein, heut ist Heiligabend. Von Ihnen selbst wird es abhängen, welche Bescherung Sie haben werden!

Nora.
Was wollen Sie? Heut kann ich absolut nicht –

Krogstad.
Davon reden wir vorläufig nicht. Es handelt sich um etwas andres. Sie haben doch wohl einen Augenblick Zeit?

Nora.
O ja, gewiß, Zeit habe ich wohl, obgleich –

Krogstad.
Gut. Ich saß im Restaurant Olsen und sah Ihren Mann über die Straße gehen –

Nora.
Jawohl.

Krogstad.
– mit einer Dame.

Nora.
Und was weiter?

Krogstad.
Darf ich mir die Frage erlauben: war die Dame eine Frau Linde?

Nora.
Ja.

Krogstad.
Sie ist noch nicht lange hier?

Nora.
Seit heute.

Krogstad.
Sie ist wohl eine gute Freundin von Ihnen?

Nora.
Ja, das ist sie. Aber ich verstehe nicht – –

Krogstad.
Ich war auch einmal mit ihr bekannt.

Nora.
Das weiß ich.

Krogstad.
So? Sie wissen also von der Sache? Dacht' es mir wohl. Darf ich Sie also kurz und bündig fragen: wird Frau Linde bei der Aktienbank angestellt werden?

Nora.
Herr Krogstad, wie können Sie sich erlauben,mich auszuforschen?! Sie, ein Untergebener meines Mannes? Aber da Sie einmal fragen, so sollen Sie es auch wissen: jawohl, Frau Linde wird angestellt werden. Und ich selbst habe mich ihrer Sache angenommen, Herr Krogstad. Nun wissen Sie es.

Krogstad.
Ich habe also richtig vermutet.

Nora (geht im Zimmer auf und ab.)
Mein Gott, man hat doch auch sein bißchen Einfluß! Weil man eine Frau ist, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß –. Wenn man eine subalterne Stellung einnimmt, Herr Krogstad, so sollte man sich wirklich hüten, einen vor den Kopf zu stoßen, der – hm –

Krogstad.
– der Einfluß hat?

Nora.
Allerdings!

Krogstad (mit verändertem Ton.)
Frau Helmer, wollen Sie die Güte haben, Ihren Einfluß zu meinen Gunsten aufzubieten?

Nora.
Wie? Was meinen Sie damit?

Krogstad.
Wollen Sie gütigst dafür sorgen, daß ich meine subalterne Stellung bei der Bank behalte?

Nora.
Was heißt das? Wer will Ihnen denn Ihre Stellung nehmen?

Krogstad.
Ach, mir gegenüber brauchen Sie nicht die Ahnungslose zu spielen. Es leuchtet mir sehr wohl ein, daß es Ihrer Freundin nicht angenehm sein kann, sich einem Zusammentreffen mit mir auszusetzen, und ich begreife jetzt auch, wem ich es zu danken habe, daß man mich wegjagen will.

Nora.
Aber ich versichere Ihnen –

Krogstad.
Ja, ja, ja, – kurz und gut: noch ist es Zeit, und ich rate Ihnen, Ihren Einfluß aufzubieten, um das zu verhindern.

Nora.
Aber, Herr Krogstad, ichhabe gar keinen Einfluß.

Krogstad.
Nicht? Ich glaubte doch eben, aus Ihrem eigenen Munde –

Nora.
Das war natürlich nicht so zu verstehen.Ich! Wie können Sie nur glauben, daß ich einen solchen Einfluß auf meinen Mann habe?!

Krogstad.
Ach, ich kenne Ihren Mann aus den Studententagen. Ich halte den Herrn Bankdirektor für nicht fester als andere Ehemänner.

Nora.
Wenn Sie mit Geringschätzung von meinem Manne reden, so weise ich Ihnen die Tür.

Krogstad.
Sie sind mutig, gnädige Frau.

Nora.
Ich habe vor Ihnen keine Angst mehr. Bald nach Neujahr werde ich aus der ganzen Geschichte heraus sein.

Krogstad (beherrscht sich wieder.)
Hören Sie mich jetzt an, gnädige Frau. Im Notfalle werde ich auf Tod und Leben kämpfen, um meinen kleinen Posten an der Bank zu behalten.

Nora.
Es sieht in der Tat so aus.

Krogstad.
Nicht wegen des Einkommens allein! Darum ist mir doch am wenigsten zu tun. Es handelt sich um etwas andres –. Na ja, – ich muß heraus mit der Sprache! Sehen Sie, – es ist folgendes. Ihnen ist es gewiß so wie aller Welt bekannt, daß ich mir vor etlichen Jahren habe eine Unbesonnenheit zu Schulden kommen lassen.

Nora.
Ich glaube, so etwas gehört zu haben.

Krogstad.
Die Sache kam nicht vor Gericht. Aber von dem Augenblick an waren mir mit einem Mal alle Wege wie versperrt. Nun warf ich mich auf die Geschäfte, die Sie ja kennen. Irgend etwas mußte ich doch beginnen, und ich darf wohl sagen, ich war keiner von den Schlimmsten. Jetzt aber muß ich aus der ganzen Geschichte heraus. Meine Söhne wachsen heran; um ihretwillen muß ich versuchen, mir so viel bürgerliche Achtung wie möglich wieder zu erringen. Der Posten bei der Bank war sozusagen die erste Stufe für mich. Und nun will Ihr Mann mich mit einem Fußtritt von der Treppe hinunterstoßen, so daß ich wieder in den Schmutz zu liegen komme.

Nora.
Aber um Gottes willen, Herr Krogstad, es liegt absolut nicht in meiner Macht, Ihnen zu helfen.

Krogstad.
Weil Sie nicht den gutenWillen haben. Ich habe aber Mittel, Sie zu zwingen.

Nora.
Sie wollen meinem Manne doch wohl nicht sagen, daß ich Ihnen Geld schuldig bin?

Krogstad.
Hm – und wenn ich es ihm nun sagte?

Nora.
Das wäre schändlich von Ihnen.(Die Tränen sind ihr nahe.) Dieses Geheimnis, das meine Freude und mein Stolz ist –, er sollte es auf so häßliche und plumpe Art erfahren? VonIhnen es erfahren? Sie würden mich den schrecklichsten Unannehmlichkeiten aussetzen –

Krogstad.
Nur Unannehmlichkeiten?

Nora (heftig.)
Aber tun Sie es nur! Sie selbst werden den größten Schaden davon haben; dann wird mein Mann erst sehen, was für ein schlechter Mensch Sie sind. Und Sie werden Ihren Posten erst recht nicht behalten!

Krogstad.
Ich fragte, ob Sie nurhäusliche Unannehmlichkeiten befürchten?

Nora.
Erfährt mein Mann davon, so wird er die Restsumme natürlich sofort bezahlen. Und dann haben wir nichts mehr mit Ihnen zu schaffen.

Krogstad (einen Schritt näher.)
Hören Sie, Frau Helmer; – entweder haben Sie kein gutes Gedächtnis, oder Sie haben keine Ahnung von Geschäften. Ich muß Ihnen die Sache wohl etwas gründlicher auseinandersetzen.

Nora.
Wie das?

Krogstad.
Als Ihr Mann krank war, kamen Sie zu mir, um zwölfhundert Taler zu leihen.

Nora.
Ich habe sonst niemand gewußt.

Krogstad.
Ich versprach, Ihnen das Geld zu verschaffen –

Nora.
Sie haben es mir ja auch verschafft.

Krogstad.
Ich versprach, Ihnen die Summe unter gewissen Bedingungen zu verschaffen. Sie waren damals von der Krankheit Ihres Mannes so in Anspruch genommen und so eifrig darauf aus, das Reisegeld zu bekommen, daß Sie für alle Nebenumstände wohl keine Gedanken hatten. Es ist daher sehr angebracht, Sie daran zu erinnern. Nun denn, – ich versprach, Ihnen das Geld gegen einen Schuldschein zu verschaffen, den ich aufsetzte.

Nora.
Und den ich unterschrieben habe.

Krogstad.
Gut. Aber dem fügte ich unten noch einige Zeilen hinzu, worin Ihr Vater die Bürgschaft für die Schuld übernahm. Diese Zeilen sollte Ihr Vater unterschreiben.

Nora.
Sollte –? Erhat ja unterschrieben.

Krogstad.
Ich hatte das Datum in blanko gelassen; das heißt, Ihr Vater selbst sollte den Tag angeben, an dem er das Papier unterschrieb. Erinnern Sie sich, gnädige Frau?

Nora.
Ja, ich glaube wohl –

Krogstad.
Darauf übergab ich Ihnen den Schuldschein, damit Sie ihn mit der Post an Ihren Vater schickten. War das nicht so?

Nora.
Ja.

Krogstad.
Und das haben Sie natürlich auch sofort getan, denn schon nach fünf oder sechs Tagen brachten Sie mir das Papier mit der Unterschrift Ihres Vaters zurück. Darauf bekamen Sie den Betrag ausgezahlt.

Nora.
Nun ja. Habe ich denn nicht prompt abbezahlt?

Krogstad.
So ziemlich. Aber – um auf das zurückzukommen, wovon wir gesprochen haben, – das war damals wohl eine schwere Zeit für Sie, gnädige Frau.

Nora.
Ja, das war es.

Krogstad.
Ihr Vater lag gewiß sehr krank darnieder?

Nora.
Er lag in den letzten Zügen.

Krogstad.
Und er starb kurz darauf?

Nora.
Ja.

Krogstad.
Sagen Sie mir, Frau Helmer, wissen Sie zufällig noch den Todestag Ihres Vaters? Das Datum, meine ich?

Nora.
Papa starb am 29. September.

Krogstad.
Ganz richtig. Ich habe mich danach erkundigt. Und deshalb kann ich mir einen sonderbaren Umstand –(zieht ein Papier hervor) – ganz und gar nicht erklären.

Nora.
Was für einen sonderbaren Umstand? Ich weiß nicht –

Krogstad.
Den sonderbaren Umstand, gnädige Frau, daß Ihr Vater diesen Schuldschein drei Tage nach seinem Tode unterschrieben hat.

Nora.
Wie? Ich verstehe nicht –

Krogstad.
Ihr Vater starb am 29. September. Nun sehen Sie her, – hier datiert die Unterschrift Ihres Vaters vom 2. Oktober. Ist das nicht sonderbar, gnädige Frau?

Nora (schweigt.)

Krogstad.
Können Sie mir das erklären?

Nora (schweigt noch immer.)

Krogstad.
Auffallend ist auch, daß die Worte "2. Oktober" und die Jahreszahl nicht die Handschrift Ihres Vaters zeigen, vielmehr eine Handschrift, die mir bekannt vorkommt. Na, das läßt sich ja erklären. Ihr Vater kann vergessen haben, seine Unterschrift zu datieren, und dann mag irgend ein anderer das Datum aufs Geratewohl hingesetzt haben, bevor man noch von dem Todesfall wußte. Dabei ist auch nichts Schlimmes. Auf die Namensunterschrift kommt es an, unddie ist doch echt, Frau Helmer? Ihr Vater hat doch in eigener Person seinen Namen hier hingeschrieben?

Nora (nach kurzer Pause, – wirft den Kopf zurück und sieht ihn trotzig an.)
Nein, dem ist nicht so:ich habe Papas Namen unterschrieben.

Krogstad.
Ei, gnädige Frau – wissen Sie auch, daß das ein gefährliches Geständnis ist?

Nora.
Weshalb? Sie werden Ihr Geld bald bekommen.

Krogstad.
Erlauben Sie mir eine Frage, – weshalb haben Sie Ihrem Vater nicht das Dokument geschickt?

Nora.
Es war unmöglich. Papa lag ja krank. Wenn ich ihn um seine Unterschrift gebeten hätte, so hätte ich ihm auch sagen müssen, zu welchem Zweck ich das Geld brauchte. Aber so einem Schwerkranken konnte ich doch nicht sagen, daß Gefahr für meines Mannes Leben sei? Das war ganz unmöglich.

Krogstad.
Dann wäre es besser für Sie gewesen, Sie hätten die Reise ins Ausland aufgegeben.

Nora.
Nein, das war unmöglich. Die Reise sollte meinem Manne das Leben retten, –die konnt' ich nicht aufgeben.

Krogstad.
Aber haben Sie denn nicht bedacht, daß Sie mich damit betrogen?

Nora.
Darauf konnte ichgar keine Rücksicht nehmen. Sie gingen mich absolut nichts an. Ich konnte Sie nicht ausstehen, weil Sie so herzlos waren und so viele Schwierigkeiten machten, obgleich Sie wußten, wie gefährlich es um meinen Mann stand.

Krogstad.
Frau Helmer – wessen Sie sich eigentlich schuldig gemacht haben, davon haben Sie offenbar keine klare Vorstellung. Aber ich kann Ihnen sagen: das, was ich einst begangen habe, und was meine ganze bürgerliche Stellung untergraben hat, ist nichts Größeres und nichts Schlimmeres gewesen.

Nora.
Sie? Sie wollen mir einreden, daß Sie etwas Tapferes unternommen hätten, um Ihrer Frau das Leben zu retten?

Krogstad.
Die Gesetze fragen nicht nach Beweggründen.

Nora.
Dann müssen das sehr schlechte Gesetze sein.

Krogstad.
Schlecht oder nicht, – wenn ich dies Stück Papier dem Gericht vorlege, so werden Sie nach den Gesetzen verurteilt.

Nora.
Das glaube ich nun und nimmermehr! Eine Tochter sollte nicht das Recht haben, ihrem alten, todkranken Vater Angst und Kummer zu ersparen? Eine Frau sollte nicht das Recht haben, ihrem Manne das Leben zu retten? Ich kenne die Gesetze nicht so genau, aber ich bin überzeugt, irgendwo muß darin stehen, daß so etwas erlaubt ist. Und darüber wissen Sie nicht Bescheid, Sie, ein Anwalt? Sie müssen ein schlechter Jurist sein, Herr Krogstad.

Krogstad.
Mag sein. Aber nicht wahr, auf Geschäfte, – auf solche Geschäfte, wiewir sie miteinander haben, aufdie verstehe ich mich doch wohl? Gut. Tun Sie jetzt, was Ihnen beliebt. Aberdas sage ich Ihnen: werde ich zum zweiten Male ausgestoßen, so sollen Sie mir Gesellschaft leisten.(Er grüßt und geht durchs Vorzimmer ab.)

Nora (eine Weile nachdenklich, wirft dann den Kopf in den Nacken.)
Ach was! – Er will mir Angst machen! So einfältig bin ich denn doch nicht.(Fängt an, die Mäntel der Kinder zusammenzulegen, hält bald damit inne.) Aber –? – – Nein, das ist ja doch unmöglich! Ich habe es doch aus Liebe getan.

Die Kinder (links in der Tür.)
Mama, eben ist der fremde Mann aus dem Haus gegangen.

Nora.
Ja, ja, ich weiß. Aber sagt keinem etwas von dem fremden Mann. Hört Ihr? Auch nicht Papa.

Die Kinder.
Nein, Mama. Willst Du jetzt wieder mit uns spielen?

Nora.
Nein, nein, nicht jetzt.

Die Kinder.
Aber Mama, Du hast es doch versprochen!

Nora.
Ja, aber ich kann jetzt nicht! Geht hinein, ich habe zu viel zu tun. Hinein, hinein mit Euch, meine lieben, süßen Kinder.(Sie nötigt sie liebevoll in das anstoßende Zimmer, schließt die Tür hinter ihnen und setzt sich aufs Sofa; sie nimmt eine Stickerei und macht einige Stiche, hält jedoch bald wieder inne.) Nein!(Wirft die Stickerei hin, steht auf, geht an die Vorzimmertür und ruft hinaus:) Helene! Den Tannenbaum!(Geht links an den Tisch und öffnet die Schieblade, hält wieder inne.) Nein, – aber das ist ja ganz unmöglich!

Hausmädchen (mit dem Tannenbaum.)
Wo soll er hin, gnädige Frau?

Nora.
Dorthin, mitten ins Zimmer.

Hausmädchen.
Soll ich sonst noch etwas bringen?

Nora.
Nein, danke, ich habe alles, was ich brauche.(Das Mädchen hat den Baum hingestellt und geht wieder hinaus. Nora beginnt den Baum zu putzen.) Hier kommen Lichter hin, – und da Blumen. – Der abscheuliche Mensch! Unsinn! Unsinn! Unsinn! Es ist alles in Ordnung. Der Weihnachtsbaum soll schön werden. Alles will ich tun, was Dir Freude macht, Torvald; – ich will Dir etwas vorsingen, – vortanzen –

Helmer (kommt, einen Stoß Schriftstücke unter dem Arm, von draußen.)

Nora.
Ah, – kommst Du schon wieder?

Helmer.
Ja. Ist wer hier gewesen?

Nora.
Hier? Nein.

Helmer.
Sonderbar! Ich sah, wie Krogstad das Haus verließ.

Nora.
So –? Ach richtig, Krogstad – der war einen Augenblick hier.

Helmer.
Nora, ich sehe Dir's an: er ist hier gewesen und hat Dich gebeten, ein gutes Wort für ihn einzulegen.

Nora.
Ja.

Helmer.
Und das solltest Du wie aus eigenem Antriebe tun. Du solltest mir verschweigen, daß er hier gewesen war. Hat er Dich nicht auch darum gebeten?

Nora.
Ja, Torvald; aber –

Helmer.
Nora, Nora, unddarauf konntest Du Dich einlassen? Mit einem solchen Menschen eine Unterhaltung führen und ihm noch Versprechungen machen? Und mir obendrein die Unwahrheit sagen!

Nora.
Die Unwahrheit –?

Helmer.
Sagtest Du nicht, es wäre niemand hier gewesen?(Droht mit dem Finger.) Das darf mein Singvögelchen nie wieder tun. Ein Singvogel darf nur mit reinem Schnäbelchen zwitschern, – keine falschen Töne!(Faßt sie um die Taille.) Muß es nicht so sein? Ja – ich wußte es wohl.(Läßt sie los.) Und nun nichts mehr davon.(Setzt sich vor den Ofen.) Ah, wie warm und gemütlich es hier ist.(Blättert in den Papieren.)

Nora (mit dem Tannenbaum beschäftigt, nach kurzer Pause.)
Torvald!

Helmer.
Ja?!

Nora.
Ich freue mich grenzenlos auf den Kostümball übermorgen bei Stenborgs.

Helmer.
Und ich bin grenzenlos neugierig, womit Du mich überraschen wirst.

Nora.
Ach, es ist zu dumm!

Helmer.
Was?

Nora.
Mir fällt gar nichts Ordentliches ein; es ist alles so albern, so nichtssagend.

Helmer.
Ist Norachen zuder Erkenntnis gekommen?

Nora (hinter seinem Stuhl, die Arme auf der Stuhllehne.)
Hast Du sehr viel zu tun, Torvald?

Helmer.
Ach –

Nora.
Was sind das für Papiere?

Helmer.
Bankangelegenheiten.

Nora.
Schon?

Helmer.
Ich habe mir von der abtretenden Direktion Vollmacht geben lassen, die nötigen Veränderungen im Personal und im Geschäftsplan vornehmen zu dürfen. Dazu muß ich die Weihnachtswoche benutzen. Ich will bis Neujahr alles in Ordnung haben.

Nora.
Deshalb also war der arme Krogstad –

Helmer.
Hm.

Nora (lehnt sich noch immer auf die Stuhllehne, kraut ihn langsam im Nackenhaar.)
Wenn Du nicht so viel zu tun hättest, so würde ich Dich um einensehr großen Gefallen bitten, Torvald.

Helmer.
Laß hören. Was sollte das sein?

Nora.
Keiner hat ja einen so feinen Geschmack wie Du. Nun möchte ich gern recht hübsch aussehen auf dem Kostümball. Torvald, kannst Du mir nicht helfen und bestimmen, als was ich gehen, und wie mein Anzug gemacht sein soll?

Helmer.
Aha, der kleine Eigensinn ist auf der Suche nach einem rettenden Engel?

Nora.
Ja, Torvald, ohne Deinen Beistand bringe ich es nicht fertig.

Helmer.
Na schön; ich werde mir die Sache überlegen; wir werden schon etwas ausfindig machen.

Nora.
Ach, das ist reizend von Dir.(Geht wieder an den Weihnachtsbaum; Pause.) Wie hübsch die roten Blumen sich machen. – Sag' einmal, ist das wirklich so schlimm, was dieser Krogstad verbrochen hat?

Helmer.
Er hat Unterschriften gefälscht. Hast Du einen Begriff davon, was das heißen will?

Nora.
Kann er es nicht aus Not getan haben?

Helmer.
Ja, oder – wie so mancher andere – aus Leichtsinn. Ich bin nicht so herzlos, daß ich einen Menschen um einer solchen vereinzelten Handlung willen unbedingt verurteilen würde.

Nora.
Nein, – nicht wahr, Torvald?

Helmer.
Manch einer kann sich moralisch wieder aufrichten, wenn er sein Vergehen offen bekennt und seine Strafe abbüßt.

Nora.
Strafe –?

Helmer.
Den Weg aber hat Krogstad nicht betreten. Mit Kniffen und Schlichen schwindelte er sich durch; und ebendas hat ihn moralisch ruiniert.

Nora.
Glaubst Du, daß –?

Helmer.
Nun denke Dir, wie solch ein schuldbewußter Mensch nach allen Seiten hin lügen und heucheln und sich verstellen muß; wie er vor seinen Allernächsten, ja selbst vor seiner eigenen Frau und seinen Kindern eine Maske tragen muß. Vor denKindern, Nora, das ist gerade das Entsetzlichste.

Nora.
Weshalb?

Helmer.
Weil ein solcher Dunstkreis von Lüge in die ganze Familie Ansteckungs- und Krankheitsstoff bringt. Jeder Atemzug, den die Kinder in einem solchen Hause tun, ist erfüllt von Keimen irgend einer bösen Tat.

Nora (näher hinter ihm.)
Bist Du dessen sicher?

Helmer.
Mein Schatz, das habe ich als Advokat oft genug erfahren. Fast alle früh verdorbenen Menschen haben lügenhafte Mütter gehabt.

Nora.
Warum gerade – Mütter?

Helmer.
Am häufigsten kommt es von den Müttern her. Aber Väter wirken natürlich in derselben Richtung. Das ist jedem Juristen sehr wohl bekannt. Und doch ist dieser Krogstad Jahre hindurch imstande gewesen, seine eigenen Kinder durch Lüge und Verstellung zu vergiften; und deshalb nenne ich ihn moralisch verkommen. (Streckt ihr die Hände entgegen.) Darum muß meine herzige kleine Nora mir versprechen, nicht seine Partei zu ergreifen. Hand darauf? Nun, nun. Was ist das? Gib mir die Hand. So. Abgemacht also. Ich versichere Dir, es wäre mir unmöglich, mit ihm zusammen zu arbeiten. Mich überkommt in der Nähe solcher Menschen buchstäblich ein körperliches Unbehagen.

Nora (entzieht ihm ihre Hand und geht an die andere Seite des Tannenbaums hinüber.)
Wie heiß es hier ist. Und ich habe so viel zu tun.

Helmer (steht auf und nimmt seine Papiere zusammen.)
Ja, ich muß auch vor Tisch hiervon noch einiges durchlesen. Und auch an Dein Kostüm muß ich denken. Vielleicht habe ich sogar etwas auf Lager, das man in Goldpapier an den Weihnachtsbaum hängen könnte. (Legt die Hand auf ihren Kopf.) O, Du mein geliebtes Singvögelchen! (Er geht in sein Zimmer und schließt die Tür hinter sich.)

Nora (leise, nach kurzer Pause.)
Ach was! Es kann nicht sein. Es ist unmöglich. Es muß unmöglich sein.

Kinderfrau (links in der Tür.)
Die Kleinen bitten so schön, zur Mama herein zu dürfen.

Nora.
Nein, nein, nein! Nicht zu mir herein! Bleib Du bei ihnen, Anne-Marie.

Kinderfrau.
Ja, ja, gnädige Frau. (Schließt die Tür.)

Nora (bleich vor Schrecken.)
Ich meine Kleinen verderben –! Das Heim vergiften? (Kurze Pause; hebt den Kopf.) Das ist nicht wahr. Das ist in alle Ewigkeit nicht wahr!


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