Henrik Ibsen
Gedichte
Henrik Ibsen

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Ballonbrief

an eine schwedische Dame

Dresden, im Dezember 1870.

   Sei's gewagt denn, wie gedacht;
Hat sein langes Schweigen auch
(Länger traun denn Schick und Brauch)
Den wohl in Verruf gebracht,
Der einst dankesschuldbefrachtet
Fuhr von Ihrer Abschiedsfeier,
Kam zur Sphinx, ein kecker Freier,
Hob empor der Isis Schleier
Und bis dato seine Leier
Unberührt ließ, unerachtet
Er in Stockholm dazumalen
Heilig sich verschwörend rief,
Bald mit einem Schreibebrief
Seine Dankesschuld zu zahlen.

   Darf er? Hat er noch das Recht?
Ach, mein Gott, wer fragt nach Rechten –
Heut, da alles auszufechten
Durch ein Machtwort recht und schlecht?
Also kurz und gut: er will;
Nicht, daß er als Preuße käme,
Und statt Gnade Recht sich nähme!
Nein, als Flüchtling reuig-still.

   Hier ergeht es mir präzis
Wie den Leuten in Paris.
Dicker deutscher Ideologen
Weltumsturz auf Zeitungsbogen,
Fahnenhissen, Hurraschrein,
Ein »Gesang«: »Die Wacht am Rhein« –
Ist der Ring, um mich gezogen.
Traun, es wird in diesem Kreis
Ihrem Freund oft kalt und heiß.
Wackre Bierbankdiplomaten
Schmor'n ihm seinen Hundebraten,
Und in unsres Stadtblatts Spalten,
Wo Versköche rastlos walten,
Stellt die Hauskost weit in Schatten
Gallische Ragouts von Ratten. –

   Aber noch weit schlimmer widerhallt
der Nord von wüsten Szenen,
Knallt nach Lenz und Licht mein Sehnen
Roher Mob mit Bomben nieder,
Sprengt Verräterei die Minen,
Die der Zukunft sollten dienen,
Zwingt man mich, den Speer zu lehnen
Tatenlos an Traumruinen.

   Also Not, warum's verschweigen,
War's im Grunde, was mich trieb,
Daß ich diese Zeilen schrieb;
Mag der Luftballon denn steigen.
Tauben waren nicht zu haben;
Sind sie Hoffnungsvögel doch,
Und in diesem klammen Loch
Hausen Eulen nur und Raben.
Doch durch solche Nachtgesellen
Kann man Damen nichts bestellen.

   Nun – Sie wissen, letztes Jahr,
Als der Mälarhimmel dunkelte
Und schon winternächtlich funkelte,
Macht' ich gen Ägypten klar.

   Dort war eitel Sommerwonne;
Blendend warf's zurück die Sonne
Wie die Gletscher aus den Fjorden;
Palmenhain und Sykomore
Spannten blaue Schattenflore;
Weiße Beduinenhorden
Hoch auf schlanken Dromedaren
Sahn wir durch die Wüste fahren;
Daß ein Neuling aus dem Norden
Plötzlich ganz erstaunt zu plärren
Anfing: »Strauße, meine Herren!«

   Drauf den Nil, der Ströme Väter,
Aufwärts, auf der Dampfsylphide,
Ging's zur Cheopspyramide;
Wo Napoleon proklamierte
Und die Sphinx stumm meditierte,
Früher, dazumal und später.

   Dort, Ben Hassans Gast zu sein,
Krochen bäuchlings wir hinein.
Arg verfallen sind die Gräber,
Machen gründlichster Magister
Zeitberechnungen zu Spott;
Nur daß so viel Licht verbreiten
Ernste Altertumsbeleber,
Daß sie sind aus grauen Zeiten,
Da Herr Pharao war Gott
Und Herr Potiphar Minister,
Samt daß der uns wohlvertraute
Joseph Jakobssohn sie baute.

    Für den singenden Koloß
Memnon wird ein schöner Morgen
Angesetzt; man lauscht gespannt; –
Doch der Alte schweigt konstant.
Schwieg gewiß aus Skaldensorgen,
Seit Kambyses seiner Zeit
Innewendig visitierte
Und vielleicht zu siebengescheit
Innnewendig rezensierte.
Welches manchen schon verdroß,
Daß er stolz sein Herz verschloß.
Doch ein Stuhl von Nachweltsgnaden
Beut Ersatz für all den Schaden.

   So, auf seinem Ruhm für tote
Lieder, sahn wir den Genannten
Einziehn seine Beifallsquote,
Jeglichem gleich wohlgesinnt,
Großen Herrn, wie Unbekannten,
Selbst uns nordischen Vaganten,
Mir und meinem Freund Peer Gynt.

   Doch ein Buch beschriebe kaum
Jenen Siebenwochentraum.
Nehmen Sie denn holdgemut
Diese rasche Federskizze
Meiner Fahrt in Licht und Hitze
Auf des Krokodilstroms Flut!

   Über unsre paschaheitre
Zeit in den vier Noähbarken
Will ich erst nicht Worte machen; –
Vier Stück nämlich war'n dem »starken«
Genus eingeräumt, dem »schwachen«
(Wie sich's nennt) zudem vier weitre.

   Auf »Ferus« zu nennen wären
(Außer uns drei Nordlandsbären)
Elf Lutetiahähne, vier
Hengste (spanisches Getier),
Lauter Feu'r- und Flammenfohleh
Voll der ärgsten Kapriolen
Und mit Gesten gleich El Olen.
Nehmen wir die Schiffsbemannung,
Warf die allgemeine Spannung
Sie zumeist zur »Esel«-Klasse.
War sodann ein Schweizerbock,
Ein Amphibium der Rasse,
Die meist »unter Wasser« muß,
War, wie sich versteht, ein Schock
Stoppel- oder stockgermanischer
Eber, recht gezähmt schon, plus
Einer Spielart: einem grimmigen
Keilerpaar mit blankgewetzter
Waffe, ein stets »tiefverletzter«
Auerochs, ein brasilianischer
Bücherwurm, – samt dem vielstimmigen
Wald- und Wiesenchor honettster
Hasen, Hamster – – item, Schluß!

   Diese ganze Karawane
Denken Sie sich nun an Land,
Folgen ihrem Dragomane
Durch der Wüste gelben Sand.

   Zu den wundersamsten Stätten
Ging's, als ob wir Schwingen hätten,
Ging's in Wahrheit, meiner Seel',
Auch zu Esel und mitunter,
Wenn man kühn war, zu Kamel.
Welch ein Jubel, welch ein kunter-
bunter Trubel in dem kinder-
frohen Völklein! Unser blinder
Straußen-Seher nur erklärte
Seiner obiges Gefährte
Für nicht wert. »Sind Esel Tiere«,
Rief er aus »für Preßkuriere!

   Habt ihr nicht ein mehr agil Pferd?
Gibt es hier kein Vollblutnilpferd?« –

   Luxor, Déndera, Sakkara,
Edfu, Assuan, Phile eilen
Wir vorüber ohne Weilen,
Widmen hier nur einige Zeilen
Einer Schild'rung der Sahara.
's ist ein Schauspiel weltbekannt:
Kommt die Pilgerschar gezogen
Durch des Wüstenmeeres Wogen,
Reißt des Samums Geisterhand
Unversehens eine Lücke, –
Und sie sieht Stillebenstücke.
Oder richtiger, sie windet
Sich durch endlos lange Gassen,
Wo lebendige Natur
Sich mit starrem Tod verbindet,
Bis wir stehn vor einer krassen,
Grinsenden Architektur.
Rippen, Rückenwirbel, Keulen
Ragen auf wie krause Säulen,
Die Hirnschalen der Kamele
Sind gestürzte Kapitäle,
Zähne morsch in gelben Laden
Der Balkone Balustraden,
Arme, die zum Himmel starren,
Sind geborstne Dachstuhlsparren,
Und als mürbe Ritterfahnen
Wehen Fetzen von Kaftanen.
Lassen Sie dies ganze Bild
Nun in Licht und Schweigen beben,
Bis es wächst und sprießt und schwillt, –
Sich erheben, sich beleben,
Bis aus diesen Beinruinen
Eine Karawane ward,
Jäh dereinst zu Stein erstarrt, –
Und Ägypten steht vor Ihnen.

   Ja, so ist's. In einer Zeit
Morgenrot zog aus ein Zug;
Priesterschar voran ihm trug
Rätselbücher gottgeweiht;
Götzenkönig, Königsgötze
Reiten durch Jahrhundertweiten;
Isis und Osiris ragen,
Aufgeputzte, stumme Klötze,
Hoch auf reichen Sattelschragen;
Horus, Hathor, Thme und Ptah,
Amon Re und Amon Ra
Strahlen Glanz nach allen Seiten,
Wo sie durch die Menge schreiten;
Apis, mit der Stirn von Golde,
Folgt, dem Strom entlang, Millionen
Sklaven in der Priester Solde,
Und wo das Gefolge ruht,
Wachsen Sphinxe und Pylonen.
Siege wie vergossen Blut
Hier in Keilschrift dort in Bildern
Obelisk und Tafel schildern.
Tausend Tempelsäulen ragen,
Wo er schritt, der Riesenzug;
Tausend Pyramiden sagen,
Wo er Zelt und Lager schlug.

   Sieh, da bläst's vom Norden her,
Wühlt es auf, das Wüstenmeer,
Peitscht den Pfad der Karawane; –
Priester taumelt, König schwankt,
Gott und Götze zittert, wankt;
Pharao, sein Haus, sein Heer
Deckt der Sandflut Leichenfahne.
Wo der Schwarm des Weges fuhr,
Sank er nieder, stumm und stier; –
Tausend Jahr' im Sarkophag,
Wohlverwahrt vor Licht und Tag,
Eine steife Mumie, lag
Und zerfiel so eine viertausendjährige Kultur.

   Solcher Karawane Reste
Sahen wir Khedivengäste,
Da wir zogen gen Abydos.

   Sahen Fellahs dort sich rackern,
Rings die Wüste auszubaggern,
Sahn im weitern unsres Korsos
Karnaks Wald von Säulentorsos,
Eine Hünengruft des Mythos.
Rhameseums Kapitäle
(Schädel bleichender Kamele),
Luxors Säulen, zahllos und die
Schäfte wie aus Sklavenarmen, –
All das grinste ohn' Erbarmen
Sein: Sic transit gloria mundi!

   Dieses Bild ist mir geblieben,
Wo ich seither ging und stand;
Und in seinen Zügen fand
Tiefen Sinn ich eingeschrieben.

   Tor im Winterbergsturz gellt zu
Vorderst in dem Wilden Heer;
Des Hellenen Göttern fällt zu
Leben heut wie einst nicht schwer.
Noch wohnt Zeus im Kapitol,
Dort als »tonans«, hier als »stator«.
Doch Ägyptens höchst Idol?
Wo ist Horus? Wo ist Hathor?
Keine Sage, kein Vermächtnis.
Ausgelöscht ist ihr Gedächtnis.

   Doch mit Recht, wenn man's erwägt.
Wo des Lebens große Glut fehlt,
Wo die Form nicht in sich trägt
Haß, Harm, Seligkeit, Frohlocken,
Aug' nicht flammt und Puls nicht schlägt,
Ist die ganze Pracht ein trocken
Beingerüst, dem Fleisch und Blut fehlt.
Was ist Juno leibhaft, wann,
Bleich und hoch, mit weh'nden Locken,
Sie den Gott kommt überraschen!
Was ist Mars doch für ein Mann –
In des Netzes güldnen Maschen!

   Doch Ägyptens Götter? Hatten
Sie sich anders je denn Schatten?
Was war ihr Beruf im Leben?
Weiter nichts, als da zu sein,
Bei des Altars Feuerschein
Starr und steif Audienz zu geben.
Sein Appendix hatte jeder:
Habichtsnase, Straußenfeder;
Andern war der Tag, die Nacht,
Dritten drittes zugedacht;
Keinen ließ man wirken, leben,
Fehlen, fallen, sich erheben,
Daß sein Wesen sich entfalte.
Und so hat denn auch dies alte
Reich von vierzighundert Jahren
Ew'ge Grabesruh befahren.

   Also leb' ich, meine Beste,
Vom Belagrungsring umspannt,
Still in meiner Stubenfeste,
Innern Welten zugewandt.
Draußen Trost und Hoffnung fliehen,
Wie im Herbst die Vögel ziehen,
Aber mit dem Blick nach innen
Schau' ich Neues fern beginnen.
Auf begrabnen Karawanen
Bau' ich unsrer Zukunft Bahnen.

    Kreist die Welt doch nun einmal
Wie auf einer Wendelstiege;
Gleich bleibt stets des Weges Biege,
Und er selber stets gleich schmal;
Gleich bleibt ewig Wunsch und Wille; –
Nur der Punkt steigt stät und stille.

   Und so stehn wir heut entschieden
Lotrecht über Pharaon.
Gott sitzt wieder auf dem Thron;
Wieder duckt sich die Person
Ins Gewühl, das um ihn wabbelt,
Giert und gräbt und wühlt und krabbelt,
Seiner Knechtschaft dumpf zufrieden;
Wieder geben Pyramiden
Einer ganzen Zeit den Stempel;
Wieder schwellen alle Venen,
Wieder strömen Blut und Tränen,
Daß man wieder schau' hienieden
Eines Königsgottes Tempel.

   Dies ist unsre Karawane;
Weder Hathor fehlt noch Horus,
Ganz zu schweigen von dem Chorus,
Der da blindlings schwört zur Fahne.
Was für Bauten türmt man auf
Längs der Siegesstraße Lauf!
Welch ein Sturm der Sinn' und Hände!
Wie ägyptisch fügt sein klein
Steinchen all und jeder ein,
Daß das Ganze sich vollende!
Wie der Riß gefangen nimmt,
Und wie die Berechnung stimmt!

   Groß ist dies schier unbedingt;
Offen steht der Menschheit Mund; –
Ob aus diesem offnen Rund
Auch zugleich ein Aber springt.
Wie ein Zweifel ringt sich's los:
Ist dies Große wirklich groß? –
Ja, was macht ein Werk wohl groß?
Nicht, was es an Großem wirkt,
Sondern was in seinem Schoß
An Persönlichem sich birgt.

   Und nun die Germanenschar,
Wie sie Sturm läuft auf Paris!
Wer steht klar in der Gefahr?
Wem gebührt der Kranz? Wer wies
Uns den Zauber der Person,
Daß ihn Millionen Munde
Jubelnd im Gesang verklärten? –
Regiment und Eskadron,
Stab (mit anderm Wort Spion),
Haufen losgelassner Hunde,
Sind dem Wild auf seinen Fährten.

   Doch es rächt sich am Bedränger.
Dieser Jagd ersteht kein Sänger.
Und nur das kann weiter leben,
Was ein Dichter kann erheben.
Denken Sie, was die Kalender
Uns von Gustav Adolf melden;
Denken Sie des Manns in Bender,
Denken Sie an Vessel Peer,
Wie er blitzgleich furcht das Meer,
An der »Königstiefe« Helden!
Rühmt uns die nicht Wort und Lied,
Wie ein Chor, ein weithin brausender,
Der von bunten Zelten her
Unter Händeklatschen tausender
Seine tönenden Kreise zieht?

   Und des Tages Männer dann,
Diese Fritze, Blumenthale,
Diese Herren Generale,
Wie sie heißen, Mann für Mann!
Unter Preußens Todesfarben,
Dem schwarzweißen Trauerflor,
Bricht aus rauher Taten Larven
Kein Liedschmetterling hervor.
Seide wird vielleicht gesponnen,
Doch kein Falter fliegt sich sonnen.
Just der Sieg birgt den Verlust.
Preußens Schwert wird Preußens Rute.
Niemals hebt sich eine Brust
Einem Rechenstück zugute.
Nichts mehr bleibt im Lied zu sagen,
Seit ein Volksaufstand, beflügelt
Von erhabnem Wagemute,
Ward zur Stabsmaschinerie
Kleingetüftelt, kleingeklügelt, –
Seit v. Moltkes Hand erschlagen
Jede Kampfespoesie.

   So dämonisch ist die Macht,
Die den Weltlauf kam zu lenken:
Sphinx, auf ihrer Weisheit Wacht,
Stirbt an ihrem eignen Denken.

   Jeder Sieg der Ziffer rächt sich,
Nur zu bald wird dies Geschlecht sich,
Jähem Gegenwind erlegen,
Nicht mehr rühren, nicht mehr regen.
Bismarck und die andern Götzen
Wird man spröd, gleich Memnonsklötzen,
Auf der Saga Steinsitz schauen,
Starrend stumm ins Morgengrauen.
Doch wie wir Khedivengäste
Nach der Reise durch die Toten
Unter Jubel heitrer Feste
Neuen Zeiten Gruß entboten,

    Wie wir, fahnenüberschwellt,
Unter Liedern einer Welt,
Des Kanals Eröffnung feierten,
Ja, wie wir von Suez Strand
Sahn in das gelobte Land, –
Wird der Geist auf noch verschleierten
Lebensbahnen und -kanälen
Einst in feierlichem Zug
Unter Hymnen und Chorälen,
Unter Schönheitsfackelbrand,
Morgensonnenwärts den Flug
Dem gelobten Land zu wählen.

   Denn nach Schönheit lechzt die Erde,
Doch kein Bismarck spricht ihr Werde.

   Wird man uns beim Feste sehn?
Ja, wer weiß, wann Taubenschwingen
Uns die frohe Botschaft bringen? –
Bis dahin will ich zuhause
In Glacés spazieren gehn,
Bis dahin in stiller Klause
Dichten fein auf Pergamen;
Biederm Volk zu Arg und Leide;
Werde gelten schier als Heide;
Doch mir graut vor allen Mengen,
Will mich nicht mit Kot besprengen,
Will beim Fest in einem reinen
Hochzeitlichen Kleid erscheinen.

   Und somit – Ballon, entschwebe,
Hebe dich zum Himmel hell,
Den ich dir zu eigen gebe
Als mein Reich, – gen Norden strebe,
Bis du siehst den Mälar stranden; –
Dort ist ganz so gut zu landen,
Wie auf Telemarkens Fjäll.

    Südwind läßt ihn sanft entschwanken.
Würd' nun Kunde bald gebracht,
Daß Sie ihn samt seiner Fracht
Leichter Verse und Gedanken
Heil und ganz zu Norrmalm fanden!


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