Henrik Ibsen
Frau Inger auf Oestrot
Henrik Ibsen

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Personen

Frau Inger, Otto Römers Tochter und Witwe des Reichshofmeisters Nils Gyldenlöve
Eline Gyldenlöve, ihre Tochter
Reichsrat Nils Lykke, ein dänischer Ritter
Olaf Skaktavl, ein geächteter norwegischer Edelmann
Nils Stenssön
Herr Jens Bjelke, schwedischer Oberst
Björn, Kammerdiener auf Oestrot
Finn, Schloßdiener
Ejnar Huk, Schloßvogt
Hausgesinde, Bauern und schwedische Kriegsknechte

Das Stück spielt auf dem Herrensitz Oestrot am Drontheimfjord im Jahre 1528.

 

Erster Akt

Eine Stube auf Oestrot. Durch die offene Tür im Hintergrunde sieht man den Rittersaal in schwachem Mondlicht, das dann und wann durch ein tiefes Bogenfenster fällt und die entgegengesetzte Wand streift. Rechts die Ausgangstür; davor ein Fenster mit einem Vorhang. Links eine Tür, die in die inneren Gemächer führt; weiter im Vordergrunde ein großer offener Herd, der in der Stube Helle verbreitet. Es ist ein stürmischer Abend.

Björn und Finn sitzen am Feuer. Finn ist damit beschäftigt, einen Helm blank zu putzen. Verschiedene Waffenstücke, ein Schwert und ein Schild liegen neben ihnen.

Finn nach einer Pause. Wer war Knut Alfsön?

Björn. Die Herrschaft sagt, er war Norwegens letzter Rittersmann.

Finn. Die Dänen erschlugen ihn ja beim Osloer Fjord?

Björn. Frag' einen Buben von fünf Jahren, wenn Du's nicht weißt.

Finn. So? Knut Alfsön war also unser letzter Ritter? Und nun ist er tot und begraben! Indem er den Helm in die Höhe hält: Ja, dann kannst du lange im Rittersaal hängen, und blank geputzt! Denn jetzt bist du nichts weiter als eine leere Nußschale. Den Kern – den haben die Würmer schon vor manchem Winter gefressen – – Höre, Björn, – könnte man nicht sagen, Norwegen ist auch solch eine leere Nußschale wie dieser Helm: blank außen, wurmstichig innen?

Björn. Halt's Maul und tu Deine Arbeit! – Ist der Helm fertig?

Finn. Er glänzt wie Silber im Mondschein.

Björn. So leg' ihn weg! – Hier, schab' den Rost vom Schwerte!

Finn dreht und wendet es hin und her. Wird das sich auch verlohnen?

Björn. Wieso?

Finn. Die Schneide ist stumpf.

Björn. Was kümmert's Dich! Gib mir das Schwert. – Hier ist der Schild.

Finn wie zuvor. Dem fehlt der Handgriff.

Björn murmelt. Könnt' ich nur Dich mit einem Handgriff packen und –

Finn trällert ein Weilchen vor sich hin.

Björn. Was soll das wieder?

Finn. Ein leerer Helm, ein Schwert ohne Schneide, ein Schild ohne Handgriff – sieh, das ist die ganze Herrlichkeit. Ich glaube, niemand wird Frau Inger schmälen, daß sie solche Waffen putzen und im Saal aufhängen läßt, statt sie rosten zu lassen in Dänenblut.

Björn. Ach, Geschwätz! Wir haben ja doch Frieden im Lande.

Finn. Frieden? Ja, wenn der Bauer seinen letzten Pfeil verschossen, und wenn der Wolf dem Bauer das letzte Lamm aus dem Stall gestohlen hat, dann halten auch die zwei Frieden miteinander. Aber das ist mir eine wunderliche Freundschaft. Na, na, laß sein! – Wie gesagt, es ist recht und billig, daß die Rüstung blank im Saale hängt; denn Du kennst ja den alten Spruch: »Nur der Rittersmann ist ein Mann.« Und da es jetzt keinen Rittersmann mehr im Lande gibt, so haben wir auch keinen Mann mehr; und wo kein Mann ist, da beschließen die Weiber; und darum –

Björn. Darum – darum ist mein Beschluß, daß Du Dein faules Gerede beschließest. Er erhebt sich. Es will Nacht werden. So, nun kannst Du Helm und Schild wieder in den Saal hängen.

Finn mit gedämpfter Stimme. Nein, ich warte lieber bis morgen.

Björn. Du hast doch wohl nicht Angst im Dunkeln?

Finn. Bei Tage nicht; aber bei Nacht bin ich nicht der einzige, dem es so ergeht. Du siehst mich an! Aber Du mußt wissen, unten in der Burgstube –, da spricht man allerlei. Leiser. Da gibt es manche, die glauben, daß dort drinnen jedwede Nacht ein großes, schwarzgekleidetes Gespenst umgeht.

Björn. Altweibergeschwätz!

Finn. Ja, aber alle schwören darauf, es sei wahr.

Björn. Das glaub' ich wohl.

Finn. Das seltsamste aber ist: Frau Inger hat dieselbe Meinung.

Björn stutzt. Frau Inger? Und was meint sie?

Finn. Was Frau Inger meint? Ja freilich, das weiß nicht jeder. Aber gewiß ist, daß sie keine Ruhe in sich hat. Merkst Du nicht, wie sie Tag für Tag bleicher und hagerer wird? Mit einem forschenden Blick. Die Leute sagen, sie schläft nie, und zwar wegen des Gespenstes.

Während der letzten Worte ist Eline unter die halboffene Tür zur Linken getreten. Sie bleibt lauschend stehen, ohne bemerkt zu werden.

Björn. Und solchen Unsinn glaubst Du?

Finn. Je nun, so halb und halb. Es gibt übrigens auch Leute, die die Sache anders auslegen. Aber das geschieht nur aus Bosheit. Du, Björn, kennst Du die Weise, die im Land die Runde macht?

Björn. Eine Weise?

Finn. Ja, sie ist im Volksmunde. Es ist ein garstiges Schmählied natürlich. Es geht aber sonst recht artig. Hör' nur mal.

      Er singt mit gedämpfter Stimme:
Frau Inger sitzt in Oestrots Saal,
Wohl geht sie in Seide einher.
Sie geht wohl in Seide und Pelz zumal,
Sie flicht sich die Perlen ins Haar ohne Zahl,
Und doch ist ihr Herze so schwer.

Frau Inger hat sich den Dänen verkauft.
Sie schickt ihr Gesind in des Fremden Gewalt
Dafür zum Entgelt –

Björn faßt ihn unwirsch bei der Brust. Eline zieht sich unbemerkt zurück.

Björn. Und ich werde Dich in des Teufels Gewalt schicken, und zwar ohne Entgelt, wofern Du noch ein unziemliches Wort über Frau Inger redest.

Finn indem er sich losreißt. Na, na! Hab' ich denn die Weise gemacht?

Hörnerschall rechts hinter der Szene.

Björn. Horch! – Was ist das?

Finn. Ein Hornruf. – So bekommen wir noch spät abends Gäste.

Björn am Fenster. Sie öffnen das Tor. Ich höre Hufschlag im Schloßhof. Es muß ein Rittersmann sein.

Finn. Ein Rittersmann? Das ist wohl kaum möglich!

Björn. Warum?

Finn. Hast ja selbst gesagt: unser letzter Rittersmann ist tot und begraben.

Er geht rechts ab.

Björn. Der verdammte Schelm, – hat seine Augen überall. So hat mir's wenig gefrommt, daß ich alles zu verdecken und verstecken suchte. Sie ist in aller Munde. Nicht lange wird es dauern, und ein jeder ruft –

Eline kommt wieder durch die Tür links. Sie sieht sich um und fragt, indem sie ihre Erregung unterdrückt: Bist Du allein, Björn?

Björn. Seid Ihr es, Jungfer Eline?

Eline. Björn, erzähl' mir wieder eins von Deinen Märchen! Ich weiß, Du kennst mehr als –

Björn. Erzählen? Und jetzt? So spät am Abend?

Eline. Wenn Du von der Zeit an rechnest, da es finster wurde hier auf Oestrot, dann ist es freilich spät.

Björn. Was fehlt Euch? Ist Euch etwas widerfahren? Ihr seid so unruhig.

Eline. Wohl möglich.

Björn. Etwas ist los. Seit einem halben Jahre kenn' ich Euch kaum wieder.

Eline. Vergiß nicht, daß seit einem halben Jahre Lucia, meine Lieblingsschwester, in der Leichengruft liegt.

Björn. Jungfer Eline! Das ist gewiß nicht der Grund, oder doch nicht der einzige Grund, weshalb Ihr bald gedankenvoll und bleich und still, bald ungestüm und fassungslos einhergeht, wie jetzt.

Eline. Meinst Du? Und warum nicht? War Lucia nicht sanft und fromm und hold wie eine Sommernacht? Björn, – ich sage Dir, Lucia war mir lieb wie mein eignes Leben. Hast Du vergessen, wie so manches liebe Mal wir als Kinder auf Deinen Knien saßen an den Winterabenden? Da sangst Du uns Weisen, und Du erzähltest – –

Björn. Ja, damals wart Ihr froh und heiter.

Eline. Ja, damals, Björn! Da lebt' ich freilich ein herrliches Leben in Märchen und in meinen eigenen Gedanken! Sollte man glauben, daß damals der Strand so kahl war wie jetzt? Und wenn er es war, so merkt' ich es nicht. Da unten erging ich mich ja am liebsten und dichtete alle die schönen Fabeln. Meine Helden kamen aus weiter Ferne her und fuhren wieder übers Meer; und ich lebte mitten unter ihnen und folgte ihnen, wenn sie von dannen zogen. Sie sinkt auf einen Stuhl nieder. Nun fühl' ich mich so matt und müde; meine Märchen können mir nicht mehr helfen; sie sind nur – Märchen. Sie steht mit einem Ruck auf. Björn! – Weißt Du, was mich krank gemacht hat? Eine Wahrheit. Eine häßliche, häßliche Wahrheit, die Tag und Nacht an mir nagt.

Björn. Was meint Ihr?

Eline. Denkst Du noch daran, wie Du uns zuweilen Lebensregeln gabst und gute Ratschläge? Schwester Lucia befolgte sie; aber ich – Gott sei mir gnädig!

Björn tröstend. Na, na!

Eline. Ich weiß – ich war stolz, hochmütig. Wenn wir miteinander spielten, wollt' ich immer die Königin sein, weil ich die Größere, die Schönere, die Klügere war. Ich weiß, ich weiß!

Björn. Das ist wahr.

Eline. Einmal nahmst Du mich bei der Hand, blicktest mich ernsthaft an und sagtest: Sei nicht stolz auf Deine Schönheit und Deine Klugheit; aber sei stolz wie der Adler auf dem Felsen, so oft Du gedenkst, daß Du Inger Gyldenlöves Tochter bist.

Björn. Ihr hattet guten Grund, stolz darauf zu sein.

Eline. Ja, das sagtest Du mir gar oft, Björn. O, Du erzähltest mir damals so viele Märchen! Sie drückt ihm die Hand. Hab' Dank dafür! – Erzähl' mir eins wie ehedem; vielleicht wird mir wieder leicht ums Herz wie früher.

Björn. Ihr seid ja kein Kind mehr.

Eline. Wohl wahr! Aber laß mich wähnen, daß ich es noch bin. – Jetzt erzähle!

Sie wirft sich in einen Stuhl. Björn setzt sich auf den Rand des Herdes.

Björn. Es war einmal ein edler Rittersmann –

Eline, die unruhig nach dem Rittersaal hingelauscht hat, faßt Björn am Arm und flüstert in heftiger Erregung: Still! Schrei doch nicht so! Ich bin ja nicht schwerhörig.

Björn leiser. Es war einmal ein edler Rittersmann, von dem die seltsame Kunde ging –

Eline erhebt sich halb und lauscht mit ängstlicher Spannung nach dem Saal zu.

Björn. Jungfer Eline – was fehlt Euch?

Eline setzt sich wieder. Mir? Nichts. Erzähl' nur weiter!

Björn. Na, wie gesagt, – wenn er einer Maid tief ins Auge sah, so vergaß sie das nun und nimmermehr, sondern folgte ihm in Gedanken, wo er ging und stand, und welkte hin vor Gram.

Eline. Davon hab' ich gehört – –. Das ist übrigens kein Märchen, was Du erzählst. Denn der Rittersmann, von dem Du berichtest, ist Nils Lykke, der noch heutigen Tages im dänischen Reichsrat sitzt –

Björn. Kann wohl sein.

Eline. Nun ja, gleichviel! – Fahr nur fort!

Björn. Und so begab es sich einmal –

Eline erhebt sich plötzlich. Pst! Still!

Björn. Was gibt's? Was ist Euch!

Eline lauschend. Hörst Du?

Björn. Was?

Eline. Da – beim heiligen Christ, – da!

Björn erhebt sich. Was ist denn? Wo?

Eline. Sie selbst – im Rittersaale – Sie eilt nach dem Hintergrunde.

Björn folgt ihr. Wie könnt Ihr glauben –? Jungfer Eline, geht auf Eure Kammer!

Eline. Pst! Steh still! Rühr' Dich nicht! Laß Dich nicht sehen! Halt! Da kommt der Mond hervor –. Kannst Du die schwarze Gestalt erkennen –?

Björn. Bei allen Heiligen –!

Eline. Sieh, – da hat sie Knut Alfsons Bild gegen die Wand umgedreht. Haha! Er blickt ihr wohl zu stier ins Auge.

Björn. Jungfer Eline, hört mich!

Eline, indem sie zum Herde geht. Nun weiß ich, was ich weiß.

Björn für sich. So ist es doch wahr!

Eline. Wer war es, Björn? Wer war es?

Björn. Das habt Ihr ebenso genau gesehen wie ich.

Eline. Wohlan! Wen hab' ich gesehen?

Björn. Ihr habt Eure Mutter gesehen.

Eline halb zu sich. Nacht für Nacht vernahm ich ihren Schritt im Saal. Ich hörte sie flüstern und stöhnen, gleich einer unerlösten Seele. Und in dem Liede heißt es ja – Ah, nun weiß ich's! Nun weiß ich, daß –

Björn. Still!

Inger kommt rasch aus dem Saale, ohne die andern zu beachten, geht direkt aufs Fenster zu, zieht den Vorhang zurück und starrt eine Weile hinaus, als ob sie auf der Landstraße nach jemand spähe; dann wendet sie sich ab und kehrt langsam wieder in den Saal zurück.

Eline leise, indem sie ihr mit den Augen folgt. So fahl und bleich wie der Tod –

Man hört Lärm und Stimmen hinter der Tür zur Rechten.

Björn. Was ist das wieder?

Eline. Geh und sieh nach, was es gibt!

Ejnar Huk, gefolgt von einem Troß Bauern und Hausgesinde, wird in der Vorstube sichtbar.

Ejnar Huk in der Türe. Nur herein zu ihr! Und unverzagt!

Björn. Was sucht Ihr?

Ejnar. Frau Inger.

Björn. Frau Inger? Und so spät am Abend?

Ejnar. Spät, doch immer noch zeitig genug, denk' ich.

Die Bauern. Ja, ja – jetzt muß sie uns hören!

Die ganze Schar dringt in die Stube ein. Im selben Augenblicke zeigt sich Inger in der Türe des Rittersaales. Alle schweigen plötzlich.

Inger. Was wollt Ihr von mir?

Ejnar. Wir suchten Euch, edle Frau, um zu –

Inger. Nun denn, – so sprecht!

Ejnar. Ei, es ist ja eine ehrliche Sache. Kurz und gut, wir kommen, Euch um Urlaub und Waffen zu bitten –

Inger. Urlaub und Waffen? Wozu?

Ejnar. Es ist das Gerücht von Schweden herübergedrungen, daß das Volk in Dalekarlien sich erhoben hat und wider König Gustav zieht –

Inger. Das Volk in Dalekarlien?

Ejnar. Ja, so geht das Gerücht, und es soll ganz verbürgt sein.

Inger. Nun, und wenn dem so wäre, – was habt Ihr mit dem Aufstand in Dalekarlien zu schaffen?

Die Bauern. Wir wollen mit! Wir wollen auch dabei sein! Frei wollen wir werden!

Inger leise. Ah, wäre die Zeit gekommen!

Ejnar. Aus allen nordischen Grenzorten strömen die Bauern nach Dalekarlien hin. Selbst geächtete Männer, die Jahr um Jahr heimatlos in den Bergen umhergeirrt sind, selbst sie wagen sich wieder hervor zu den Höfen, sammeln Volk und schleifen die Schneide ihrer verrosteten Waffen.

Inger nach einer Pause. Hört, – habt Ihr auch alles wohl überlegt? Habt Ihr auch nachgerechnet, was es Euch kosten würde, wenn König Gustavs Mannen siegen sollten?

Björn leise und flehentlich zu Inger. Rechnet nach, was es den Dänen kosten wird, wenn König Gustavs Mannen unterliegen sollten!

Inger abweisend. Dies Rechenexempel ist nicht meine Sache. Sie wendet sich zu der Menge. Ihr wißt, König Gustav kann sicher auf den Beistand Dänemarks hoffen. König Friedrich ist sein Freund und wird ihn gewiß nicht im Stiche lassen –

Ejnar. Aber wenn sich nun die Bauern im ganzen norwegischen Land erhöben? Wenn wir uns alle erhöben, Herrschaften und Gemeine? Ja, Frau Inger, nun, glaub' ich fast, ist die Gelegenheit gekommen, auf die wir so lange gewartet haben! Bricht es jetzt los, so muß der Fremdling aus dem Lande!

Die Bauern. Ja, fort mit den dänischen Vögten! Fort mit den fremden Herrenleuten! Fort mit den Trabanten des Reichsrats!

Inger leise. O, es ist Mark in ihnen; und doch, doch –

Björn für sich. Sie ist unschlüssig. Zu Eline. Was gilt's, Jungfer Eline – Ihr habt Euch mit Euerm Urteil über die Mutter versündigt.

Eline. Björn, – ich wollte mir diese Augen aus dem Kopfe herausreißen, wenn sie mir gelogen hätten!

Ejnar. Seht, vieledle Frau – erst gilt es König Gustav; ist er bezwungen, so werden sich die Dänen nicht lange hier im Lande halten können.

Inger. Und dann?

Ejnar. Dann sind wir frei; dann haben wir keinen fremden Herrn mehr über uns und können uns selbst einen König wählen, wie es die Schweden vor uns getan haben.

Inger lebhaft. Selbst einen König –! Denkst Du an das Geschlecht der Sture?

Ejnar. König Christian und andere nach ihm haben reinen Tisch gemacht mit dem Grund- und Erbbesitz ringsum. Unsre edelsten Erbsassen irren vogelfrei zwischen Felsenklüften umher, wenn sie überhaupt noch leben. Gleichwohl aber könnte sich dieser oder jener Sproß aus den alten Geschlechtern finden –

Inger rasch. Genug, Ejnar Huk! Genug –. Für sich. O meine teuerste Hoffnung! Sie wendet sich zu den Bauern und dem Gesinde. Ich hab' Euch nun vermahnt, so gut ich konnte. Ich hab' Euch gesagt, in wie große Gefahr Ihr Euch hineinwagt. Aber da Ihr so fest auf Eurem Vorsatz besteht, so wär' es töricht von mir, Euch zu verbieten, was Ihr auf eigne Faust durchsetzen könntet.

Ejnar. Wir haben also Eure Zustimmung –?

Inger. Ihr habt Euern eignen festen Willen; fragt den um Rat. Werdet Ihr wirklich jeden lieben Tag geplagt und geknechtet, wie Ihr sagt – –. Ich weiß so wenig von diesen Dingen; ich will nicht mehr wissen! Was vermag ich, ein lediges Weib –? Selbst wenn Ihr den Rittersaal plündern wolltet – und es findet sich manch brauchbare Waffe darin –; Ihr habt heut abend die Macht auf Oestrot; Ihr könnt tun, was Euch gelüstet. Gute Nacht!

Die Menge bricht in einen lauten Ruf der Freude aus. Die Knechte machen Licht und holen allerhand Waffenstücke aus dem Rittersaal.

Björn ergreift die Hand Ingers, die sich zum Gehen wendet. Dank, meine edle und großmütige Herrin! Ich, der ich Euch seit Euren Kinderjahren kenne, ich habe nie an Euch gezweifelt.

Inger. Still, Björn! Es ist ein gefährliches Spiel, das ich an diesem Abend gewagt habe. – Für die andern gilt es nur das Leben, aber für mich – das glaube mir – gilt es tausendmal mehr!

Björn. Wie? Bangt Euch um Eure Macht oder um das gute Einvernehmen mit –

Inger. Meine Macht! O Gott im Himmel!

Ein Knecht kommt aus dem Saal mit einem großen Schwert. Seht, hier ist ein richtiger Wolfszahn! Damit will ich die Knechte des Blutsaugers zerfetzen.

Ejnar zu einem andern Knecht. Was hast Du aufgetrieben?

Der Knecht. Den Brustpanzer, der Herlof Hyttefad gehört haben soll.

Ejnar. Der ist zu gut für Dich; – sieh, hier hab' ich die Lanzenstange Sten Stures! Steck' den Panzer darauf, so haben wir das prächtigste Heerzeichen, das man verlangen kann.

Der Schlossdiener Finn mit einem Brief in der Hand kommt durch die Tür links und geht auf Inger zu. Ich hab' Euch in allen Stuben gesucht –

Inger. Was soll's?

Finn reicht ihr den Brief. Ein Knappe aus Drontheim hat Brief und Botschaft für Euch gebracht.

Inger. Laß sehen! Indem sie den Brief öffnet: Aus Drontheim? Was kann das sein? Sie durchfliegt den Brief. Barmherziger! Von ihm! Er hier im Lande –

Sie liest in heftiger Bewegung weiter, während die Mannen fortfahren, sich Waffen aus dem Saale zu holen.

Inger für sich. Er kommt also hierher – und noch in dieser Nacht. – Ja, dann gilt es, mit der Klugheit und nicht mit dem Schwerte zu kämpfen!

Ejnar. Genug, genug, Ihr guten Bauern! Nun, mein' ich, sind wir wohlgerüstet. Nun können wir uns auf den Weg machen.

Inger mit einer raschen Wendung. Kein Mann verläßt diese Nacht den Hof!

Ejnar. Aber edle Frau, jetzt ist der Wind uns günstig; wir gehen über den Fjord und –

Inger. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.

Ejnar. Sollen wir denn bis morgen warten?

Inger. Bis morgen und noch länger. Kein bewaffneter Mann darf Oestrot verlassen – für den Augenblick!

Man vernimmt aus der Menge Äußerungen des Unwillens.

Einige Bauern. Wir gehen trotzdem, Frau Inger!

Viele Andere. Ja, ja, wir gehen trotzdem.

Inger einen Schritt näher. Wer wagt es? Alle schweigen; nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: Ich habe für Euch gedacht. Was wißt Ihr geringen Leute aus dem Volke von den Sachen des Landes? Wie könnt Ihr Euch vermessen, über dergleichen zu urteilen? Ihr werdet Druck und Mühsal noch eine Weile ertragen müssen! Das darf Euch nicht zu nahe gehen, wenn Ihr bedenkt, daß auch uns, den Herrengeschlechtern, heutzutage kein bessres Los beschert ist! – Tragt die Waffen alle wieder in den Saal! Später sollt Ihr meinen Willen erfahren! Geht!

Das Gesinde bringt die Waffen zurück; dann entfernt sich die ganze Schar durch die Tür rechts.

Eline leise zu Björn. Meinst Du noch immer, ich hätte mich mit meinem Urteil versündigt an – der Herrin von Oestrot?

Inger Björn herbeiwinkend. Halt eine Gastkammer bereit –

Björn. Gut, Frau Inger.

Inger. Und die Pforte offen für jeden, der etwa anpocht.

Björn. Aber –?

Inger. Die Pforte offen.

Björn. Die Pforte offen. Er geht rechts ab.

Inger zu Eline, die schon in der Tür links steht. Bleib – Eline – mein Kind. Ich habe mit Dir allein zu reden.

Eline. Ich höre Euch.

Inger. Eline, – – – Du denkst schlecht von Deiner Mutter.

Eline. Ich denke nur die Gedanken, zu denen mich Euer Benehmen so schmerzlich zwingt.

Inger. Und Du antwortest mir, wie Dein harter Sinn Dir gebeut.

Eline. Wer hat meinen Sinn verhärtet? Seit frühester Kindheit war ich gewohnt, zu Euch emporzublicken wie zu einem großen, hochgesinnten Weibe. Euch müßten, dacht' ich, jene Frauen gleichen, von denen in den Chroniken und im Heldenbuche steht. Es war mir, als ob Gott selbst sein Zeichen auf Eure Stirn gedrückt und Euch als die bestimmt hätte, die die Zagen und Unschlüssigen lenken sollte. Im Hochsaale sangen Ritter und Herrenleute zu Eurem Preis; ja selbst der gemeine Mann, nah und fern, nannte Euch die Hoffnung und Stütze des Landes, und alle meinten sie, daß durch Euch die guten Zeiten wieder kommen würden. Alle meinten sie, daß mit Euch ein neuer Tag uns anbräche. Noch ist es Nacht; und ich weiß nicht, ob ich länger glauben darf, daß mit Euch ein Morgen kommt.

Inger. Es läßt sich leicht erraten, woher Dir so giftige Worte stammen. Dir ist zu Ohren gekommen, was der gedankenlose Haufe über Dinge flüstert und murmelt, die er kaum beurteilen kann.

Eline. Im Volksmund ist Wahrheit, sagtet Ihr damals, als Euer Ruhm in Wort und Lied erscholl.

Inger. Mag sein. Aber wenn ich nun auch vorgezogen hätte, untätig hier zu sitzen, obgleich es bei mir stünde, zu handeln, – glaubst Du nicht, daß dieses mein Los mir eine Bürde ist? Und auf diese schwere Bürde willst Du noch Steine häufen?

Eline. Die Steine, die ich auf Eure Bürde häufe, drücken mich ebenso sehr wie Euch. Leicht und frei sog ich des Lebens Odem ein, solang' ich an Euch glaubte. Denn soll ich leben, muß ich Stolz empfinden; und stolz würde ich mit Recht gewesen sein, wofern Ihr geblieben wäret, was Ihr einstens wart!

Inger. Und was bürgt Dir dafür, daß ich es nicht bin? Eline – woher weißt Du so genau, daß Du Deiner Mutter nicht unrecht tust?

Eline leidenschaftlich. O, daß ich es täte!

Inger. Still! Es kommt Dir nicht zu, Rechenschaft von Deiner Mutter zu fordern. – Mit einem einzigen Worte könnt' ich –; doch es zu hören wäre nicht gut für Dich. Du mußt abwarten, was die Zeit bringt; vielleicht –

Eline, indem sie gehen will. Schlaft wohl, Mutter!

Inger zögernd. Nein – bleib bei mir! Ich habe noch etwas – komm näher! – Du mußt mich hören, Eline! Sie setzt sich an den Tisch beim Fenster.

Eline. Ich höre Euch.

Inger. So verschlossen Du auch bist, ich weiß doch, daß Du Dich mehr als einmal von hier weggesehnt hast. Es ist Dir zu einsam und zu öde auf Oestrot.

Eline. Wie kann Euch das wundern, Mutter?!

Inger. Es steht bei Dir, ob es künftig anders werden soll.

Eline. Wieso?

Inger. Höre mich. In dieser Nacht erwart' ich einen Gast auf dem Schloß.

Eline nähert sich. Einen Gast?

Inger. Einen Gast, der fremd und unerkannt bleiben muß. Niemand darf wissen, woher er kommt, noch wohin er geht.

Eline stürzt mit einem Freudenschrei ihrer Mutter zu Füßen und ergreift ihre Hände. Meine Mutter! Meine Mutter! Vergebt mir all das Unrecht, das ich Euch zugefügt habe, – wenn Ihr könnt!

Inger. Was meinst Du? Eline, ich versteh' Dich nicht.

Eline. So haben sich denn alle getäuscht! Ihr seid noch im Herzen treu!

Inger. Aber so steh doch auf, – und sag' mir –

Eline. Und glaubt Ihr, daß ich nicht weiß, wer der Gast ist?

Inger. Du weißt es? Und doch –

Eline. Denkt Ihr denn, Oestrots Pforten sind so dicht verschlossen, daß nicht zuweilen ein Gerücht des Jammers hereindringen kann? Meint Ihr, ich weiß nicht, daß mancher Sprößling aus altem Geschlecht als Geächteter umherirrt, ohne Obdach und Lager, während die dänischen Herren auf seiner Väter Hof schalten und walten?

Inger. Und was weiter?

Eline. Ich weiß wohl, daß mancher edle Ritter wie ein hungriger Wolf im Walde gehetzt wird. Er hat keinen Herd, wo er raste, keinen Bissen Brot –

Inger kalt. Genug! Jetzt versteh' ich Dich.

Eline fortfahrend. Und darum öffnet Ihr Oestrots Tore zu nächtlicher Zeit! Darum muß er fremd und unerkannt bleiben, jener Gast, von dem niemand wissen darf, woher er kommt oder wohin er geht. Ihr trotzt dem strengen Herrengebot, das verbietet, die Verfolgten zu behausen und ihnen beizustehen mit Obdach und Pflege –

Inger. Genug, sag' ich! Sie schweigt eine Weile und fügt dann mit Überwindung hinzu: Du irrst, Eline; – nicht ein Geächteter ist's, den ich erwarte.

Eline erhebt sich. So hab' ich Euch wahrlich falsch verstanden.

Inger. Hör' mich an, mein Kind! Aber hör' mich mit Überlegung an, wofern Du Deinen wilden Sinn zu zähmen vermagst.

Eline. Ich werd' ihn zähmen, bis Ihr zu Ende gesprochen habt.

Inger. So gib wohl acht auf das, was ich Dir sage. – Ich suchte, soweit es in meiner Macht stand, vor Dir all die Not und Bedrängnis, die uns umgibt, zu verbergen. Denn was konnte es nützen, wenn ich Sorge und Gram in Deine junge Seele senkte? Tränen und Weiberseufzer können uns nicht aus den Drangsalen befreien. Wir brauchen Mut und Manneskraft.

Eline. Und wer sagt Euch, daß ich nicht Mut und Manneskraft habe, wenn es gilt?

Inger. Still, Kind! Ich könnte Dich beim Wort nehmen.

Eline. Wie das, meine Mutter?

Inger. Ich könnte beides von Dir fordern, ich könnte – doch laß mich erst zu Ende sprechen. – Wisse denn, daß die Zeit sich zu nahen scheint, auf die der dänische Reichsrat schon seit vielen Jahren hingearbeitet hat, – die Zeit, mein' ich, da man unsern Rechten und unsrer Freiheit den letzten Stoß geben wird. Sieh, darum gilt es –

Eline lebhaft. Offne Fehde, meine Mutter?

Inger. Nein, es gilt, Spielraum zu gewinnen. In Kopenhagen ist jetzt der Rat versammelt, um zu überlegen, wie man am geschicktesten die Sache anfaßt. Die Mehrheit soll der Ansicht sein, daß die Zwistigkeiten nicht beigelegt werden können, solange Norweger und Dänen uneins sind. Denn behalten wir unsre Rechte als freies Reich, – wenn einmal die Königswahl vor sich geht, so ist es wahrscheinlich, daß es zu offener Fehde kommt. Sieh, das wollen die dänischen Herren verhindern –

Eline. Ja, das wollen sie verhindern, ja –! Aber sollen wir dergleichen dulden? Sollen wir ruhig zusehen, daß –?

Inger. Nein, wir sollen es nicht dulden! Aber von der Waffe Gebrauch machen – wohin würde das führen, solange wir nicht alle einig sind? Und stand es jemals schlechter um die Einigkeit im Lande als gerade jetzt? – Nein, wenn wir etwas ausrichten wollen, so muß es heimlich und in der Stille geschehen. Wir müssen, wie ich Dir sagte, Spielraum gewinnen. Im südlichen Norwegen ist ein großer Teil des Adels für die Dänen; aber hier, nördlich vom Dovrefjeld, ist die Stimmung noch zweifelhaft. Darum hat König Friedrich einen seiner höchsten Vertrauensmänner heraufgeschickt, der sich mit eignen Augen von unserer Gesinnung überzeugen soll.

Eline gespannt. Nun – und?

Inger. Und dieser Ritter kommt heut nacht hierher.

Eline. Hierher? Und heut nacht?

Inger. Ein Kauffahrer brachte ihn gestern nach Drontheim. Eben erhielt ich die Botschaft, daß er hier einkehren wird. Binnen einer Stunde kann man ihn erwarten.

Eline. Und Ihr bedenkt nicht, Mutter, wie Ihr Euern Ruf aufs Spiel setzt, wenn Ihr dem dänischen Abgesandten eine solche Zusammenkunft gewährt? Ist nicht das Volk ringsumher schon mißtrauisch genug gegen Euch. Wie könnt Ihr hoffen, daß es sich dereinst von Euch lenken und leiten läßt, wenn ruchbar wird –

Inger. Sei unbekümmert. All das hab' ich zur Genüge bedacht; aber es hat keine Not. Sein Geschäft hier im Land ist ein Geheimnis; deshalb ist er als Fremder nach Drontheim gekommen, und fremd und unerkannt wird er auch auf Oestrot weilen.

Eline. Und der Name dieses dänischen Herrn –?

Inger. Er klingt gut, Eline! Dänemarks Adel hat kaum einen besseren zu nennen.

Eline. Und was habt Ihr im Sinne? Noch hab' ich Eure Absicht nicht erfaßt.

Inger. Du wirst bald verstehen. – Da wir die Schlange nicht zertreten können, so müssen wir sie binden.

Eline. Hütet Euch wohl – die Schnur möchte reißen!

Inger. Es kommt auf Dich an, wie fest sie geknüpft werden soll.

Eline. Auf mich?

Inger. Längst hab' ich gemerkt, daß Oestrot Dir ein Kerker ist. Für einen jungen Falken taugt es nicht, zwischen Eisenstäben zu sitzen.

Eline. Meine Schwingen sind gelähmt. Gäbt Ihr mich auch frei, es würde mir wenig frommen.

Inger. Deine Schwingen sind nicht länger gelähmt, als Du selbst es willst.

Eline. Ich es will? Mein Wille ist in Euern Händen. Werdet wieder, was Ihr gewesen seid, so will auch ich –

Inger. Genug davon! Höre weiter! – Oestrot zu verlassen, wird Dir gewiß nicht unlieb sein.

Eline. Wohl möglich, Mutter!

Inger. Du hast mir einmal gesagt, daß Du Deine glücklichste Zeit in Deinen Märchen und Sagen verlebt hättest! Dieses Leben könnte Dir wiederkehren.

Eline. Was meint Ihr?

Inger. Eline, – wenn nun ein mächtiger Rittersmann käme und Dich nach seiner Burg führte, wo Du Knechte und Mägde, Seidenkleider und hohe Säle fändest?

Eline. Ein Ritter, sagt Ihr?

Inger. Ein Ritter.

Eline leiser. Und der dänische Gesandte kommt heut nacht?

Inger. Heut nacht.

Eline. Wenn dem so ist, dann schaudert es mich, Eure Worte zu deuten.

Inger. Es braucht Dich nicht zu schaudern, wenn Du sie nicht mißdeuten willst. Es ist gewißlich nicht meine Absicht, Dich zu zwingen. Nach eignem Gutdünken sollst Du wählen und selbst beschließen in dieser Sache.

Eline einen Schritt näher. Habt Ihr von jener Mutter gehört, die zur Nachtzeit mit ihren kleinen Kindern im Schlitten übers Gebirge fuhr? Ein Rudel Wölfe folgte ihren Spuren; es ging um Tod und Leben – und sie warf ihre Kleinen hinter sich hinaus, eins nach dem andern, um Zeit zu gewinnen für die eigene Rettung!

Inger. Märchen! Eine Mutter risse sich das Herz aus der Brust, ehe sie ihre Kinder vor die Wölfe würfe.

Eline. Wär' ich nicht meiner Mutter Tochter, dann würd' ich Euch recht geben. Aber Ihr seid wie jene Mutter: Ihr habt Eure Töchter den Wölfen vorgeworfen, eine nach der andern. Zuerst habt Ihr ihnen die älteste vorgeworfen. Vor fünf Jahren zog Merete von Oestrot. Nun sitzt sie in Bergen als Vincenz Lunges Hausfrau. Aber glaubt Ihr, sie ist glücklich als des Dänenritters Weib? Vincenz Lunge ist fast wie ein König mächtig; Merete hat Knechte und Mägde, Seidenkleider und hohe Säle; aber der Tag hat keine Sonne für sie und die Nacht keine Ruhe; denn sie ist ihrem Mann nie gut gewesen. Er kam her, er freite um sie, weil sie Norwegens reichste Erbin war, und weil er damals festen Fuß im Lande fassen wollte. Ich weiß das; ich weiß es nur zu gut! Merete war Euch gehorsam; sie folgte dem fremden Herrn! Aber was hat es sie gekostet? Mehr Tränen, als eine Mutter sich wünschen wird am Tage des Gerichts verantworten zu müssen!

Inger. Ich kenne meine Verantwortung, und sie schreckt mich nicht.

Eline. Eure Verantwortung ist damit nicht zu Ende. Wo ist Lucia, Euer zweites Kind?

Inger. Frage Gott, der sie zu sich nahm.

Eline. Euch frage ich, denn Ihr habt's auf dem Gewissen, daß sie ihr junges Leben lassen mußte. Fröhlich war sie wie ein Vogel im Lenz, als sie von Oestrot zog, um Merete in Bergen zu besuchen. Ein Jahr danach stand sie wieder hier in der Stube; aber da waren ihre Wangen weiß, und der Tod hatte sich ihr in die Brust gefressen. Ja, Ihr wundert Euch, Mutter! Ihr glaubtet wohl, daß dies Geheimnis mit ihr begraben ist. Aber sie hat mir alles gesagt. Ein höfischer Ritter hatte ihr Herz gewonnen. Er wollte sie zu seinem Weibe machen. Ihr wußtet, daß es ihre Ehre galt. Doch Ihr bliebt unbeugsam, – und Euer Kind mußte sterben. Ihr seht, ich weiß alles.

Inger. Alles? So hat sie Dir auch seinen Namen gesagt?

Eline. Seinen Namen? Nein, seinen Namen hat sie mir nicht gesagt. Sie schien etwas wie eine beklemmende Scheu vor seinem Namen zu haben; – sie nannte ihn nie.

Inger erleichtert, für sich. Ah! So weißt Du doch nicht alles! – – Eline, die Sache, an die Du gerührt hast, war mir völlig kund. Aber es ist etwas an der Sache, worauf Du vielleicht nicht acht gegeben hast: jener Edelmann, dem Lucia in Bergen begegnete, war ein Däne –

Eline. Auch das weiß ich.

Inger. Und seine Liebe war eine Lüge. Mit List und glatten Worten hatte er Lucia umstrickt.

Eline. Ich weiß es. Aber sie hatte ihn dennoch lieb. Und hättet Ihr das Herz einer Mutter gehabt, so wäre Euch die Ehre Eures Kindes über alles gegangen.

Inger. Nicht über ihr Glück. Glaubst Du, daß ich, Meretens Los vor Augen, mein zweites Kind an einen Mann hängen würde, der ihr nicht gut wäre?

Eline. Kluge Worte betören gar manchen Sinn, mich aber betören sie nicht. – Glaubt nicht, daß ich so ganz fremd bin in dem, was rings im Lande vorgeht. Vollkommen durchschau' ich Euer Verhalten. Ich weiß wohl, daß der dänische Adel keine treu ergebene Freundin an Euch hat. Vielleicht haßt Ihr ihn, aber Ihr fürchtet ihn zu gleicher Zeit. Damals, als Ihr Merete dem Vincenz Lunge gabt, hatten die dänischen Herren allerorten die Übermacht im Lande. Drei Jahre danach, als Ihr Lucien verbotet, den zu ehelichen, an den sie ihr Leben geknüpft hatte, obgleich er sie verführt hatte, – da standen die Dinge ganz anders. Die dänischen Vögte des Königs hatten schändliche Greueltaten am Volke verübt, und Ihr fandet es nicht rätlich, Euch fester, als schon geschehen war, an die dänischen Gewalthaber anzuschließen. – Und was habt Ihr denn getan, um sie, die so jung sterben mußte, zu rächen? Ihr habt nichts getan! Wohlan! Ich werde für Euch handeln und die Schmach rächen, die unser Volk und unser Geschlecht betroffen hat.

Inger. Du? Was hast Du im Sinn?

Eline. Ich gehe meinen Weg, wie Ihr den Euern geht. Was ich im Sinn habe, weiß ich selbst nicht; aber ich fühle Kraft in mir, alles für unsere gerechte Sache zu wagen.

Inger. Du wirst einen harten Kampf zu kämpfen haben. Ich habe einst dasselbe gelobt wie Du; und mein Haar ist ergraut unter der Bürde meines Gelübdes.

Eline. Gute Nacht! Euer Gast könnte eintreffen, und bei dieser Begegnung bin ich überflüssig. – Vielleicht ist es noch Zeit für Euch –; nun, Gott stärke Euch und leite Euer Tun! Vergeßt nicht, daß viel tausend Augen auf Euch gerichtet sind! Denkt an Merete, die früh und spät um ihr verspieltes Leben weint; denkt an Lucia, die im schwarzen Sarge schläft, – Und noch eins! Vergeßt nicht, daß Ihr in dieser Nacht Schach zieht um Euer letztes Kind!

Sie geht links ab.

Inger blickt ihr eine Weile nach. Mein letztes Kind? – Du sprachst wahrer, als Du selbst wußtest. – – Aber es gilt nicht mein Kind allein. Gott helfe mir! In dieser Nacht wird Schach gezogen um das ganze norwegische Reich. – Ah! Reitet da nicht wer durch das Burgtor? Sie lauscht am Fenster. Nein, noch nicht. Es war nur der Wind. Grabeskalt weht er. – – Hat Gott der Herr recht gehandelt? Mich zum Weibe zu bilden und eine Mannestat auf meine Schultern zu laden!? Denn des Landes Wohlfahrt liegt in meiner Hand. In meiner Macht steht es, daß sich alle wie ein Mann erheben. Von mir erwarten sie das Zeichen; und geb' ich es jetzt nicht, so geschieht es – vielleicht nie. – Zögern? Die Vielen um des Einen willen opfern? – Wär' es nicht besser, wenn ich – –? Nein, nein, nein! Ich will nicht! Ich kann nicht! Sie wirft einen verstohlenen Blick nach dem Rittersaale, wendet sich, wie in Angst, ab und sagt flüsternd: Nun sind sie wieder da drin! Bleiche Schatten; tote Ahnen, gefallene Blutsfreunde! – – Pfui! diese bohrenden Augen in allen Ecken! Sie schlägt mit der Hand hinter sich und ruft: Sten Sture! Knut Alfsön! Olaf Skaktavl! Weicht, weicht! Ich kann es nicht!

Ein fremder, kräftig gebauter Mann mit angegrautem Haar und Bart, mit einem zerrissenen Wams aus Schaffell bekleidet und mit rostigen Waffen, ist durch den Rittersaal eingetreten.

Der Fremde bleibt bei der Tür stehen und sagt mit gedämpfter Stimme: Heil Euch, Frau Inger Gyldenlöve!

Inger wendet sich mit einem Schrei um. Ha! – Jesus Christus, steh mir bei!

Sie fällt in den Stuhl zurück. Der Fremde blickt sie starr an, unbeweglich, auf sein Schwert gelehnt.


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