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Der Museumsplatz, die Königliche Bibliothek und ihre Sammlungen

Beim Durchschreiten der Säulenhalle an der Südwestecke der Place Royale gelangt man zu einer vornehm abgeschlossenen weiteren Platzanlage, die allen Verehrern geistiger Genüsse wohlvertraut ist und in ihrer lautlosen Ungestörtheit in einem markanten Gegensatze steht zur Place Royale, die mit ihrem lärmenden Wagen-, Automobil- und Trambahnverkehre als eines der lebhaftesten Verkehrszentren Brüssels fungiert.

Die in Wirklichkeit nur einen blind endigenden breiten Straßenzug darstellende » Place du Musée« wird in ihrer ganzen Ausdehnung zur Linken vom Alten Museum und von der königlichen Bibliothek, im Hintergrunde vom Modernen Museum und dem darin mit untergebrachten Staatsarchive umsäumt und bildet demnach den Mittelpunkt der bedeutsamsten Studienanstalten des ganzen Landes. Nur wenige belgische und ausländische Gelehrte wird es geben, die ihre Forschertätigkeit nicht mehrfach über diesen Platz geführt hätte, und die nicht hie und da ihre Zuflucht zu den Schätzen der hier zur Gruppe vereinigten Sammlungsdepots hätten nehmen müssen.

Der königlichen Bibliothek, einem eleganten zweistöckigen Gebäude, ist ein weiter, mit Anpflanzungen geschmückter Ehrenhof vorgelagert, in dessen Mitte das Bronzestandbild des Fürsten Karl Alexander von Lothringen aufgestellt ist, des einstigen Bewohners des jetzt die modernen Kunstschätze beherbergenden Palais an der Westseite des Museumsplatzes. Als man nämlich nach dem Brande des alten Kaiserschlosses auf dem Coudenberge nach einem geeigneten Residenzpalais für die Generalstatthalter der Niederlande sich umsah, fiel die Wahl auf das ehemalige Palais der Prinzen von Nassau, ein mit einem großen Vorgarten versehenes schönes und weiträumiges Gebäude, das auf den alten Brüsseler Stadtansichten noch durch eine Turmanlage ausgezeichnet erscheint. Nachdem dann im Jahre 1744 Karl von Lothringen zum Generalstatthalter der Niederlande ernannt worden war, unternahm er sogleich einen gründlichen Umbau dieses altehrwürdigen Palais, und zwar ließ er an dessen Stelle durch den aus Wien herbeiberufenen Architekten Faulte ein prächtiges Wohnpalais errichten, dessen Fassade, wie gesagt, die Westfront des jetzigen Museumsplatzes und mit ihrer Verlängerung den linken Flügel des Bibliotheksgebäudes bildet, während dessen übrige Bauteile erst viel später errichtet wurden. Das Palais Karls von Lothringen führte späterhin lange Zeit den Namen »Ancienne Cour«. Der zur Zeit des holländischen Regimes entstandene Mittelbau der Bibliothek diente ursprünglich industriellen Ausstellungszwecken und wurde erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts mit dem älteren Flügelbau architektonisch in Einklang gebracht.

Louis Jéhotte's Standbild des einstigen Generalstatthalters der vereinigten Niederlande schmückt den Museumsplatz seit 1846; als nationale Dankbarkeitshuldigung gegenüber dem Repräsentanten einer fremden Macht, die durch althergebrachte dynastische Erbverträge zur Leitung der Geschicke Belgiens berufen gewesen war, verdient es gewiß alle Anerkennung. Allerdings hatte sich Karl von Lothringen als ein von großzügigen und modernen Anschauungen geleiteter Regent erwiesen, und durch seine einen Zeitraum von mehr als sechsunddreißig Jahren ausfüllende Regierungstätigkeit war der materielle Wohlstand wie auch die intellektuelle Vorwärtsbewegung der österreichischen Niederlande in ganz beträchtlicher Weise gefördert worden. Ein besonderes Verdienst erwarb er sich durch die Anregung jener kaiserlichen Verordnung vom 20. März des Jahres 1773, wonach in Zukunft die Künstler nicht mehr von der Jurisdiktion der Zünfte abhängig sein sollten, – einer Verordnung, deren Durchführung anfangs freilich nicht nur der Opposition der Zünfte, sondern auch derjenigen der Künstlerschaft selbst begegnete!

Die Bibliothèque Royale ist den Anfängen ihres Bestehens nach nicht etwa eine Schöpfung der Neuzeit; vielmehr wurde ihre Einrichtung schon im 18. Jahrhundert durch die Kaiserin Maria Theresia sanktioniert, woraus sich auch das Vorhandensein des Medaillonporträts dieser Kaiserin – neben demjenigen König Leopolds II. – am Eingange des Bibliotheksgebäudes erklärt. In ihrer jetzigen Gestalt dagegen wurde diese Bibliothek erst durch den königlichen Erlaß vom 19. Juni des Jahres 1837 gegründet, und erst am 21. Mai des Jahres 1839 wurde sie der Öffentlichkeit übergeben. Obzwar sie sich in numerischer Hinsicht nicht zu messen vermag mit den gigantischen Pariser, Londoner und Berliner Bücherdepots, darf sie sich gleichwohl des Besitzes ganz außergewöhnlicher Reichtümer rühmen, namentlich auf dem Gebiete der niederländischen Geschichte. Von der hervorragenden Bedeutung der Bibliothek zeugt übrigens schon ihre hohe Frequenzziffer, der zufolge jährlich mehr als hunderttausend Werke von ihr verliehen werden.

In einem besonderen, im Erdgeschosse des Mittelbaues gelegenen Ausstellungssaale sind die wertvollsten Manuskriptcodices, Buchdruckinkunabeln und Bilddrucke sowie auch einige besonders kostbare Bucheinbände für jedermann zur Besichtigung ausgelegt. Als Glanzstücke dieser Elitesammlung sind namentlich die Miniaturencodices zu beachten, von denen eine ganze Anzahl ihren Ursprung auf die weltberühmte »librairie« der Herzöge von Burgund zurückführen kann. Zwar ist diese letztere unschätzbare Büchersammlung nicht in lückenloser Vollständigkeit auf uns gekommen, da zuerst Frankreich und später Österreich sie leider mit reichlichen Anleihen bedacht haben; immerhin aber umfaßt der hier vereinigt gebliebene Rest der Burgunderbibliothek noch einen hinreichend vielfältigen Schatz von alten Manuskriptjuwelen. Andererseits hatte die Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773 und die durch Kaiser Joseph II. veranlaßte Vertreibung der meisten übrigen in den Niederlanden ansässigen kirchlichen Ordensgesellschaften der ehemaligen Stadtbibliothek Brüssels willkommene Gelegenheit geboten, kostbare Sammlungen alter Manuskript- und Druckcodices in ihren Besitz zu bringen, die dann später in den Urbestand der neuen königlichen Bibliothek mit aufgenommen wurden. Nimmt man dazu schließlich noch die im März des Jahres 1837 erfolgte staatliche Erwerbung der von dem Genter Gelehrten Charles van Hulthem hinterlassenen hochbedeutenden Sammlung von 55 000 Druckwerken und 1100 Manuskriptcodices, so wird man sich eine einigermaßen deckende Vorstellung bilden können von der Unerschöpflichkeit der historischen Wissensquellen, die dem wissenschaftlichen Arbeiter in dieser höchst beachtenswerten belgischen Staatsbibliothek frei zur Verfügung stehen.

Eine mehr oder minder eingehende Betrachtung der in den Vitrinen des Ausstellungssaales zur Schau gestellten kostbaren Hauptdenkmäler der Paläographie wird dem Gelehrten wie dem Künstler wie auch dem bloßen Geschichtsliebhaber eine Fülle der interessantesten Belehrungen bieten. An dieser Stelle muß ich mich darauf beschränken, den Leser auf einige besonders beachtenswerte Manuskriptkleinodien hinzuweisen.

Aus dem 13. Jahrhundert: »Psalter« aus dem Besitze des Gui de Dampierre, Grafen von Flandern, eines der afrikanischen Kampfgenossen des heiligen Ludwig von Frankreich; – »Li faits des Roumains« aus der berühmten Bibliothek Karls von Croy, Fürsten von Chimay.

Aus dem 14. Jahrhundert: »Vie de St. Rémy« von Richier (aus dem Besitze der Herzöge von Burgund); – Jacques van Maerlants »Biblische Geschichte« (vlaemisch); – »Li faits des empereurs de Rome et de Constantinople« (aus der Burgunderbibliothek); – Chronik des Gilles li Muysis (lateinisch, mit Bericht über die Pest zu Tournai); – »La Somme le Roy«; – »Roman de la Rose« (mit reichen Miniaturen); – »La Cité de Dieu« (nach der »Civitas Dei« des heiligen Augustinus ins Französische übersetzt von Raoul de Presles, auf dem Titelblatte die Bildnisfigur König Karls V. von Frankreich, aus der Burgunderbibliothek); – Psalter aus der Abtei Peterborough (unvergleichlich schön in Goldschrift ausgeführt und mit Miniaturen verziert, aus der alten Bibliothek der französischen Könige Karl V. und Karl VI. in diejenige der Burgunderherzöge gelangt); – Marino Sanuto's »Liber secretorum fidelium crucis«; – »Le Miroir des Dames« (aus der Bibliothek des Herzogs Jean de Berry); – Froissart's »Livre du trésor amoureux« (aus der Burgunderbibliothek); – Nicolas Oresmes' Aristotelesübersetzung »Les Ethiques, les Politiques et les Economiques« (aus der Bibliothek König Karls V. von Frankreich); – lateinisches Gebetbuch des Jean le Magnifique, Duc de Berry († 1416, Bruder König Karls V. von Frankreich und Philipps des Kühnen von Burgund) mit berühmten Miniaturen von der Hand des vlaemischen Malers Jacqmart de Hesdin.

Aus dem 15. Jahrhundert: Breviarium Philipps des Guten von Burgund; – »Histoire de Charles Martel«; – Ghillebert de Lannoy's »Instruction d'un jeune prince«; – Guillaume Fillastre's »Livre de la Toison d'Or« (1468); – »Généalogie des Rois de France«; – Honoré Bonet's »Arbre des Batailles« (1456); – »Vie des Saints«; – Alexandre de Paris: »Histoire de Ste. Hélène, mère de St. Martin de Tours (von Jean Wauquelin, 1448); – »Le livre des bonnes moeurs« (aus der Bibliothek Karls von Croyt; – »La mortification de la vaine plaisance«, verfaßt vom König René von Anjou (1409-1480, die Miniaturdarstellung des an seinem Traktate schreibenden Königs ist vermutlich von diesem selbst gemalt); – Christine de Pisan: »Lettre d'Othéa, la déesse de la prudence, à Hector de Troyes« (1457, mit prachtvoller allegorischer Miniaturmalerei, darstellend die zwischen den Gestalten der »Vernunft« und der »Tugend« thronende »Ehrenhaftigkeit«); – »Les Méditations de St. Augustin« (aus der Bibliothek Antons von Burgund, mit wundervollen Miniaturen); – »Traité des loenges de la Vierge Marie« (Übersetzung von Jean Mielot, auf der Miniaturdarstellung der Verkündigung Mariä die Bildnisfigur des anbetenden Burgunder-Herzogs Philipp des Guten); – Raoul de Presle's Aristotelische »Cité de Dieu« (geschrieben für Jean Chevrot, Bischof von Tournai, auf dem ersten Miniaturbilde nach Weales Feststellung eine Stadtansicht von London); – »La forme et manière de bien mourir« (aus dem Besitze der Margarethe von York); – »Prétention des Anglais à la couronne de France« (aus der Burgunder-Bibliothek); – »Enseignements« des Ritters Geoffroy de la Tour Landry für seine Töchter (aus der Burgunder-Bibliothek); – die sogen. »Chronique Martinienne« des Jacquemart Pilavaine (aus der Bibliothek Karls von Croy); – Ponitificale aus der Kirche zu Sens; – »Informations des Rois et des Princes« (aus der Burgunder-Bibliothek); – »Secrès aux Philosophes« (aus der Burgunder-Bibliothek); – Musik-Album der Margarethe von Oesterreich (aus der Burgunder-Bibliothek); – »Histoire d'Alexandre« (aus der Bibliothek Karls von Croy); – Missale mit herrlichen Miniaturen Attavantes (1485, aus der Bibliothek des Ungarnkönigs Mathias Corvinus durch Kaiser Karls V. Schwester Maria von Ungarn nach Brüssel gekommen und bis zum Ausgange des XVIII. Jahrhunderts bei den Eidesleistungen der niederländischen Souveraine verwendet); – »Histoire du Saint-Graal« (1480); – David Aubert's »Chroniques de Charlemagne« (1458-60, mit einer köstlichen Grisaille-Miniatur in der Art des als »Meister des Hausbuchs« bekannten deutschen Künstlers); – Jacques de Guyse's »Chroniques du Hainaut« (im ersten Bande von 1446 eine früher dem Rogier von der Weyden oder dem Hans Memling zugeschriebene, von unbekannter Hand gemalte Miniaturdarstellung der Überreichung des Buches durch den Übersetzer Jean Wauquelin an Philipp den Guten von Burgund, im zweiten Bande von 1449 Miniaturen von Guillaume Vrelant); – »Traité sur l'oraison dominicale« (von 1456, mit prachtvoller Miniatur, aus der Burgunder-Bibliothek); – Christine de Pisan: »Livre de la Paix« (1412, aus der Burgunder-Bibliothek); – »La fleur des hystoires« von Jean Mansel (Manuskript ersten Ranges, aus der Burgunder-Bibliothek); – Jehan de Vignay: »La moralité du jeu des échecs« (aus der Bibliothek Karls von Croy); – Jehan de Fransières' »Livre de fauconnerie« (mit interessanten Falkenjagdszenen); – Martin Le Franc: »L'estrif de fortune et de vertu«; – »Traité des quatre dernières choses advenir« (aus der Burgunder-Bibliothek); – »Débat de l'honneur entre trois chevaleureux princes« (1450, Übersetzung von Jean Mielot); – Des Dominikaners Brochart »Avis directif pour faire voyage d'oultremer« (mit Miniaturdarstellung der Überreichung des Werkes durch den Autor an Philipp VI. von Valois); – »Traité sur les oeuvres de miséricorde« (mit Miniaturportrait der im Gebet knienden Margarethe von York, im Hintergrunde die Brüsseler Kathedrale Ste. Gudule); – Guyart Desmoulins' »Bible historiale« (aus der Burgunder-Bibliothek); – Alphonse de la Spina: »La Forteresse de la Foy (aus der Bibliothek Karls von Croy); – Vasque de Lucena: »Histoire de Cyrus« (Übersetzung von Xenophons »Kyropädie«, Handexemplar Karls des Kühnen von Burgund, von der belgischen Königin Louise von Orléans für die Brüsseler Bibliothek erworben).

siehe Bildunterschrift

Abb. 45. Miniatur aus Jacques de Guyse's »Chronique du Hainaut« (Photo Vandamme)

Aus dem 16. Jahrhundert: »Le Chant de la Messe« (kostbares Antiphonar aus der Abtei zu Gembloux mit Miniaturen von der Hand des Abtes Antoine Papin – 1518 bis 1541 –, darunter die Portraits des Philippe le Beau und der Jeanne la Folle); – »Les Heures d'Hennessy« (benannt nach seinem letzten Vorbesitzer, enthält dieses Gebetbuch Miniaturen von der Hand Simon Benings, die sich als verkleinerte, aber nicht minder fein ausgeführte Wiederholungen der Miniaturen des berühmten in Venedig befindlichen Grimani-Breviariums darstellen); – Statuten des englischen Hosenbandordens (französisch, mit dem Orden selbst von Philipp II. in seiner Eigenschaft als König von England an seinen Vater, Kaiser Karl V., übersandt); – Missale aus der Hauskapelle König Johanns III. von Portugal und der Katharina von Oesterreich (von der Hand des Antwerpeners Pierre de la Rue, mit den Portraits des portugiesischen Königspaares); – ferner eine köstliche, 1573 vom Miniaturisten Joris Hoefnagel gemalte Stadtansicht von Sevilla und das gleichfalls in Miniaturmalerei ausgeführte Einzelblatt »Le pardon des Gantois« (1540, von Jan Cornelisz Vermeyen gen. Barbalunga, dem Hofminiaturisten Kaiser Karls V., welch Letzterer hier seinen vor ihm knienden Genter »Mitbürgern« merkwürdiger Weise ziemlich ungnädig gesinnt erscheint).

Dazu kommen noch zahlreiche palaeographisch höchst wertvolle Musikcodices des 10. bis 16. Jahrhunderts sowie geographische Werke des 12. bis 16. Jahrhunderts (darunter ein Atlas mit Landkarten von Westeuropa vom Jahre 1609, ausgeführt von dem berühmten Kartographen Christian Sgrooten für König Philipp II., die vom Künstler signierte Ergänzung dazu in der Königlichen Bibliothek zu Madrid).

Wohl einzigartig als historische Curiosa sind die aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammenden, im Jahre 1894 in den Ruinen der Abtei zu Villers aufgefundenen Schiefertäfelchen mit eingravierten, für den Glöckner der Abtei bestimmten Instruktionen zur Bestimmung der Messzeiten nach dem Einfalle der Sonnenstrahlen durch bestimmte Chorfenster der Abteikirche.

Unter den jüngeren Manuskriptcodices der Bibliothek befindet sich ein mit hübschen Miniaturmalereien des 18. Jahrhunderts geschmücktes Missale, das der Fürst von Windischgraetz von Marie Leczinska zum Geschenk erhielt; die Einbandschließen dieses Missales sind mit Brillanten inkrustiert.

Die Sammlung der Buchdruckinkunabeln enthält Prachtstücke aus fast sämtlichen frühesten Druckoffizinen Belgiens. Unter diesen ältesten Erzeugnissen des Lettern- und Holzschnittdruckes ist besonders hervorzuheben die »Legende des hl. Servatius«, das einzige bisher bekannt gewordene Exemplar dieses an Delikatesse der Ausführung unübertroffen dastehenden Holzschnittwerkes. Um die trockene Aufzählung von Büchertiteln nicht ins Ungemessene auszudehnen, will ich mich darauf beschränken, auf die Inkunabeldrucke aus der Offizin von Thierry Martens in Alost hinzuweisen, aus der neben dem frühesten datierten Druckwerke Belgiens überhaupt (1473) vermutlich auch das einzige existierende Exemplar eines Berichtes über die erste Amerikafahrt des Christoph Columbus herstammt. Das früheste gedruckte Breviarium Belgiens ist dasjenige aus der Offizin des Niederländers Jan Herzog in Venedig, gedruckt im Jahre 1496 im Auftrage der Liebfrauenkirche zu Antwerpen.

Die Wandvitrinen des Ausstellungssaales sind mit interessanten Originalautogrammen berühmter Persönlichkeiten gefüllt. Besondere Beachtung verdient eine handschriftliche Erinnerung an die Septembertage des Jahres 1830, ein im Namen der »Commission administrative« von Ch. Rogier und Jolly unterzeichneter Tagesbefehl an den Turmglöckner von Ste. Gudule (einen Schicksalsgenossen des Türmers in Victorien Sardou's Drama »Patrie«) mit dem Wortlaute: »Sobald das Gewehrfeuer beginnt, hat der Türmer von Ste. Gudule in raschem Tempo die Sturmglocken zu läuten. Sollten die ganze Nacht hindurch noch keine Flintenschüsse zu hören sein, so hat das Sturmgeläute frühmorgens um vier Uhr zu beginnen.« Die Authenticität des Schriftstückes wird durch ein Originalsiegel bestätigt.

Auch einige Kupferstiche von besonders hervorragender Qualität schmücken den Ausstellungssaal der Königlichen Bibliothek, darunter ein allererster Druckabzug von Paul Pontius' Rubens-Porträt sowie ein Druckexemplar der Selbstbildnis-Radierung Ant. van Dyck's nebst dem gezeichneten Titelblatte zu dessen »Iconographie«.

Die Kupferstich- und Münzabteilungen der Königlichen Bibliothek haben außerdem noch ihre eigenen Ausstellungsräume, die erstere in den über dem Manuskriptsaale gelegenen Räumen des ersten Stockwerkes, die letztere am Ende des rechten Flügels des Bibliotheksgebäudes; beide Sonderausstellungen beherbergen gleichfalls reiche Kunstschätze. Im Münzkabinet (Eingang Museumsplatz Nr. 5) sind alle Zeitalter vorzüglich vertreten, besonders reichhaltig aber das griechische Altertum; gelangte doch die Königliche Bibliothek im Jahre 1901 durch Erbschaft in den Besitz der kostbaren, allen Hellenisten rühmlichst bekannten Sammlung des damals in Paris verstorbenen Barons Lucien de Hirsch, die neben Medaillen von hervorragendster Schönheit und Seltenheit auch zahlreiche altgriechische Bronzen, Vasen und Terracotten umfaßt, um die das Antikenkabinet der Brüsseler Bibliothek von so mancher weit umfangreicheren Antikensammlung beneidet werden dürfte. Nicht minder trefflich findet man das Mittelalter und das Renaissancezeitalter im Brüsseler Münzkabinet repräsentiert. Allmählich immer mehr anwachsend und geschmackvoll angeordnet, stellen auch diese einen interessanten Überblick über alle Perioden der niederländischen Geschichte gewährenden Unterabteilungen der Königlichen Münzsammlung dem Geschichtsforscher wie dem Künstler ein höchst wertvolles Studienmaterial zu Gebote.

siehe Bildunterschrift

Abb. 46. Miniatur von Attavante aus dem Missale des Königs Matthias Corvinus (Photo Vandamme)

siehe Bildunterschrift

Abb. 47. Die »Ancienne Cour« am Museumsplatz (Photo Neurdein)


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