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XXI. Kapitel.

Als Salvioli in dem wendenden Auto das Gesicht des Kommissars auftauchen sah – wie man im Halbtraum ein tolles, unmögliches Spukbild fleht und daran glauben muß, ob man gleich immer zweifeln möchte –, da war zuerst die Frage in seinem Kopf aufgesprungen: wer hat dich verraten? Und sogleich dachte er an Ilona ... Aber wie sollte denn sie wissen, daß er jetzt hier in der Kneipe saß? ... An einen bloßen Zufall konnte er nicht glauben, er sah den geheimnisvollen Zusammenhang nur in den verborgen wirkenden Kräften, die er sooft mißbraucht hatte und die sich nun am Ende an ihm rächten.

Denn auch jetzt blieb er trotz aller Aufregung Herr seiner Sinne. Er hatte den Vorsprung ins Haus hinein, den galt es auszunutzen! ... Und er wußte sofort, wie er das anfangen wollte ... Wenn er jetzt nur ein bißchen Glück hatte! ...

Er ging ruhig durch die Kneipe, fragte nach der Bequemlichkeit und verschwand, ohne sich zu beeilen, auf den Hof. Das Haus hatte zwei Hinteraufgänge. Ein Gartenhaus, einen Seitenflügel, rechts einen sehr hohen Bretterzaun, der so schnell nicht zu übersteigen war.

Er wählte das Hinterhaus, ging die Treppe hinauf und klingelte im zweiten Stock ... Ohne jede Erregung, dabei den Tod auf den Hacken, mit einem Ohr hinablauschend und doch freundlich sein Anliegen vorbringen, das war nicht leicht.

»Ist hier ein Zimmer frei?«

»Jawohl.«

Kann ich es mir mal ansehen?«

»Bitte!«

Die junge Frau sah den Mann im grauen Haar prüfend an, sie meinte zögernd:

»Ich vermiete aber bloß mit Vorausbezahlung.«

»Selbstverständlich«, sagte Salvioli freundlich.

Er hätte noch viel freundlicher, viel herzlicher sprechen mögen, denn die Wohnungstür hatte sich zwischen ihm und seinen Feinden geschlossen ... Es war ein Glück ohne Maßen, ein unerhörter Zufall, daß er beim ersten Mal, wo er anklopfte, fand, was er suchte ... Er wußte ja nicht, ob hier wirklich eine Stube zu vermieten war, hatte aufs Geratewohl angefragt und war vorläufig geborgen.

Die Frau zeigte ihm das Zimmer.

Er mietete es und bezahlte für einen Monat im voraus.

»Kann ich gleich hierbleiben?«

»Aber ja, bitte!

»Ich hole morgen meine Sachen ...«

Die Tür zum Korridor war offen geblieben. Man hörte eine Etage tiefer die Wohnungsklingel gehen. Auf jeder Etage wohnten drei Parteien; es konnte noch fünf Minuten dauern, dann waren diese Hunde von Polizisten hier oben, und dann mußte die Frau öffnen ... mußte sie? ... mußte sie wirklich ...?

Er plauderte mit ihr, die froh über das erhaltene Geld von ihrem Mann erzählte, der auch bald nach Hause käme ... Er sei Straßenbahnschaffner ... und sie wären noch gar nicht so lange verheiratet ... aber die Mieten wären so sündhaft teuer ... und das Gehalt doch man klein ...

Schritte kamen die Treppe herauf, es klingelte nebenan.

Die Frau stand am Sofatisch, sie glättete die grüne Plüschdecke.

»Ja, und dann müssen wir ja auch abzahlen wir haben ja doch alle beide nichts gehabt ... nich wahr? Wenn man so jung is ... wer denkt da ans Sparen?!«

Man hörte reden auf der Treppe, dann klappte die Tür zu. Es klingelte an der Korridortür.

Die Frau drehte sich um und wollte öffnen.

Da sah sie ein fürchterliches Antlitz! Ein Dolch blitzte vor ihren Augen! Zwei schmale, blutleere Lippen raunten:

»Still! ... Beweg' dich nicht! ... Ich stech' dich tot ...«

Sie zitterte, ihre Zähne klapperten ... sie stand mit erstarrtem Gesicht und leeren Augen wie festgewachsen an die braune Diele.

Nun klingelte es rechts. Da kam gleich die Frau ... Eine schrillaute Stimme:

»Die Hillern? ... Wo di is? ... Di is wech! ... Die hab' ick vor 'ne Viertelstunde 'runterloofen gehört ... aber se wird woll jleich retourkommen. Ihr Mann kommt ja zu Mittach! ... Wat woll'n Se denn von di? ... Hat se wat jemacht, ja?«

Die Schritte gingen schon weiter, nach der dritten Etage hinauf.

Salvioli stand noch immer neben der Frau.

»Ich tu' Ihnen nichts, wenn Sie sich still verhalten ... sonst! ...« Er machte eine heftige Gebärde mit der dreikantig geschliffenen Waffe ...

Die Frau sah ihn an, als stürbe sie schon. Selbst ihre Augen bebten. Sie hätte nicht reden können, auch wenn sie gewollt hätte.

Nun kam der, der die Treppe hinaufgegangen war, zurück.

Er klingelte noch einmal umsonst bei Frau Hiller. Dann ging er schneller hinab.

Salvioli lauschte lange. Man konnte ihm eine Falle stellen und plötzlich noch einmal hier läuten ... oder am Treppenabsatz lauschen ... Drei Leute hatten im Auto gesessen. Einer mußte mindestens Wache halten vorm Hause ... Den mußte er über'n Haufen rennen ... ein gezielter Stoß mit dem Stilett ... das macht keinen Lärm, ist besser als Knall und Kugel ...

Einer würde auf dem Hof stehen ...

Plötzlich kam ihm eine Idee ... Er lachte fast.

»Ihr Mann hat doch 'ne alte Uniform, Frau?«

Sie nickte, konnte kein »ja« herausbringen.

»Wo ist die?«

Zum Schrank wankend, mit flehenden Augen rückwärtsblickend, gab sie ihm die Sachen.

Er zog blitzschnell die ganz gut paffende Uniform an, ließ seine Beinkleider unter den anderen. Dann warf er, die Perücke und die Augenbinde abnehmend, beide fort und sagte:

»Ich schließe Sie jetzt ein! ... Bei dem geringsten Lärm, den Sie machen, bin ich wieder hier! ... und soviel Zeit, um Sie kalt zu machen, habe ich immer noch!«

Dabei funkelte er drohend mit dem Dolch vor ihrem Gesicht.

Sie nickte nur immer und bewegte hilflos die Lippen, ein paar Tränen in den Augen.

Dann war sie allein. Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Die Tür ging draußen, kaum hörbar. Das hörte die Frau noch. Dann war ihr, als ob sie in eine dunkle Tiefe sänke ...

Salvioli schlich die Treppe hinunter, die – er hatte Glück – menschenleer war. Er trat ruhig in seiner Straßenbahnuniform auf den Hof, da stand ein großer, breitschultriger Mensch, der ihn sofort scharf ins Auge faßte ...

Der Verbrecher sah ihn wieder an, ein bißchen neugierig und als wollte er sagen, was guckste denn so? – und ging unangefochten weiter.

Vor der Haustür blieb er stehen und steckte sich einen Zigarrenstummel an, den er ebenso wie die Zündhölzer bei der armen, zu Tode erschrockenen Frau vom Tische genommen hatte.

Aber dabei sah der Polizeileutnant, der drei Schritt von ihm an der Laterne lehnte, seine schmale, lange, weiße Hand und den kostbaren Smaragdring am kleinen Finger.

Indem kam auch hinter Salviolis Rücken der Kriminalschutzmann aus dem Hause, dem nachträglich doch Bedenken wegen des Straßenbahnschaffners aufgestiegen waren.

Plessow deutete mit den Augen auf Salvioli, Braun fing den Blick auf. Er trat an ihn heran in dem Moment, als der in der graugrünen Uniform weitergehen wollte, und sagte:

»'n Augenblick!«

Salvioli wandte sich und hob blitzschnell den Fuß, um dem Beamten unter den Leib zu schlagen.

Braun wich aus, v. Plessow sprang hinzu und zog das Seitengewehr.

Da stürzte sich der Mörder mit geschwungenem Dolch auf beide, seine Augen loderten, sein großes, weißes Gebiß bleckte, er heulte:

»Ihr müßt mit, Ihr Hunde!«

Aber der Leutnant, ein erprobter Fechter, fing den Stoß in der Parade und rannte seinen Angreifer mittendurch.

Den Stahl in der Brust, fiel Salvioli zusammen. Ein Strom Blutes brach ihm vom Munde, färbte die grauen Straßensteine und rieselte in roten Fäden auf den Damm.

Leute strömten herbei.

Der Kommissar mußte Bahn schaffen, da er aus dem Hause herzulief ...

Braun hielt dem Verbrecher, der mit jedem Atemzuge das helle, schaumige Blut hervorröchelte, den Kopf.

Unter den halbgeschlossenen Lidern suchten die Augen irr umher.

Da trat Dr. Splittericht heran.

Der Mörder wollte reden ...

Mitten in dem Menschenknäuel, das sich gierig immer mehr zusammenschob, ließ sich Dr. Splittericht auf ein Knie nieder, beugte sein Ohr an den blutigen Mund, der noch sprechen, reden, vielleicht noch die Seele frei machen wollte von schwerer Schuld ...

Aber die Augen wurden glasig, ein Stoßen und Zerren ging durch den schlanken Leib, die großen, weißen Hände krampften in die Luft, und ein letzter, schauerlicher Sterbelaut hauchte in den grauen Tag ...

Schutzleute kamen jetzt. Die Menge drängten sie zurück. Und dann ergriffen Männerhände Schultern, Kopf, Hände des Hingestreckten, trugen ihn in den Hausflur, der gesperrt wurde, bis der Wagen käme, der ihn fortbrächte – den Unseligen ... dahin, wo die toten Leiber der Namenlosen, der Verfemten, hinter Glaswänden auf kaltem Stein auf das Messer der Ärzte warten ...


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