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Eine halbe Stunde vor Ravensbrok lag die »Bärenhöhle«, ein Sommerrestaurant, das die Hamburger, die überhaupt gern ins Freie wandern, bevorzugen. In der Woche freilich machten nur wenige den weiten Weg. Höchstens ein Liebespaar, das gern allein bleiben wollte, oder ein Einsamer, der seinen Mitmenschen am liebsten aus dem Wege ging, fand sich dann hier draußen ein.
Heute stand der Wirt der »Bärenhöhle« auf der Veranda und blickte in den hellen Tag, in den die Bäume und Sträucher ihr junges Grün reckten, als könnten sie nicht genug Licht und Sonne trinken nach den eisigen Wintertagen.
Die lange, fleischige Nase Jan Lubjanks hob sich in die warme Luft, als wittere sie etwas. Der große, schwere Mann war nicht bange, er hatte in seinem fünfzigjährigen Dasein so viel erlebt und erfahren, daß er auch dem Unerwarteten standhielt. Aber heute wartete er auf etwas oder auf jemand, der kommen sollte und nicht kam.
Er zuckte zusammen. Dicht neben ihm, an den Stufen der Verandatreppe stand, als sei er aus dem Boden gewachsen, ein Mensch. Ein brauner behender Gesell mit der Hakennase und den brennenden Augen des Zigeuners. Die kurze Pfeife im Mundwinkel, stand er unbeweglich und blickte zu dem Wirt auf, der nur mit den Augen winkte und dann schnell herunterkam und mit dem Dunkelhäutigen um das Haus herumging.
Der Hof lag still und sonnig. Eine Henne meldete mit lautem Gackern ein Ei, und der Spitzhund sprang an der Kette reißend und bellend hin und her. Aber ein scharfer Pfiff des Wirtes trieb ihn in seine Hütte.
Der Zigeuner schüttelte den schwarz glänzenden Schädel.
»Kann ich doch nicht bringen bei hellen Tag! Komm ich abends!«
»Na, was willst du denn jetzt?«
Der Zigeuner machte die Bewegung des Geldzählens.
»Geld? Du? Haha!« Der Wirt lachte. »Du bist verrückt! Stehst schon bei mir in der Kreide! Wo soll ich's denn hernehmen? Hab' selber bloß Schulden!«
Jetzt lachte der Zigeuner auch; er zeigte dabei sein weißes Wolfsgebiß.
»Brauch ich Geld für Hanka – will mich Täubchen nicht mehr küssen, wenn ich nicht bringe goldene Ring für Ohr – brauch' zwanzig Mark!«
Der Wirt griff sich an die Stirn. Der Zigeuner lachte wieder.
»Geh ich Haus weiter, du Teufel! Nimmt mir jeder ab, meine Hasen und Rehe – bunos dias!«
Und er wandte sich zum Gehen.
Da hielt ihn der Wirt am Arm.
»Wieviel sind's denn? Auch Rehe? Und wann bringst du's?«
»Wenn Sonne fort.«
»Gut – aber mehr als zehn Mark kann ich dir nicht geben!«
»Porco nigra!« murmelte der Zigeuner und ging schnell davon.
Der Wirt war gleich hinter ihm. Er hatte schon den Geldschein aus der ledernen Brieftasche genommen und drückte ihn dem Zigeuner eben in die braune Kralle, als drüben aus der Hintertür des Hauses ein Mädchen rasch heraustrat und einen leisen Pfiff ausstieß.
Der Wirt hörte und sah es. Sofort drängte er den Zigeuner in die offenstehende Stalltür.
»Auf den Futterboden, hörst du, Mirko? Pascholl!«
Wie eine Katze war der Zigeuner die Leitertreppe hinauf. »Hinterm Dach beim Nußbaum!« rief ihm der Wirt nach.
Dann trat der große Mann aus dem dämmrigen Stall in die Sonne, die den weiten Hof überflammte. Er sah drüben beim Hofausgang zwei Männer, die er auch gleich erkannte: der eine, der große mit dem Helm auf dem Kopf, das war der Ortsgendarm Meinshausen, und der andere, der Kleine, der sich auf den Krückstock stützte, der Flurwächter Meiners.
Jan Lubjank wußte recht gut, weswegen sie kamen und was sie bei ihm suchten.
Die zwischen den beiden Beamten stand, ein bildhübsches Mädchen mit langem, schwarz glänzendem Haar, im Nacken mit einer roten Schleife gebunden – die hatte es ihm verraten. Die Marilla, Mirkos Schwester, die noch viel listiger und gerissener war als der Bruder.
Durch sie hatte Jan Lubjank erfahren, daß der alte Meiners schon geraume Zeit hinter einem Wilddieb her sei; und daß der Alte und der Gendarm vermuteten, der Bärenwirt sei der Abnehmer des gestohlenen Wildes.
Jan Lubjank, der in den Wäldern seiner Masurenheimat selber so manchen Hirsch gewildert, der mehr als einmal mit den Förstern und Waldläufern aneinandergeraten war, und der seine Heimat verlassen hatte, nachdem er unter dem Verdacht, einen Jagdpächter erschossen zu haben, fast ein Jahr in Untersuchung gesessen hatte – Jan Lubjank kam eben freundlich und ruhig über den sonnigen Hof.
Die beiden Beamten traten ihm entgegen. Es sei in letzter Zeit viel gewildert worden hier in der Gegend, meinte der Gendarm, sie hätten Order, in allen Gastwirtschaften sich umzusehen und nachzuforschen nach dem Verbleib des Wildes.
Dabei gingen sie mit großen Schritten auf den Stall los, aus dessen Dunkel das tiefe Gedröhn des Viehes scholl.
Marilla war zwischen den Beamten. Und als sie den Schritt verhielt, schüttelte Meinshausen den Kopf.
»Nein, bleiben Sie man schön bei uns, Fräulein! Sie können uns besser zeigen, wo wir was finden, – der Herr Wirt, der hat am Ende schlechte Augen!«
Jan Lubjank lächelte gutmütig. Seine große Nase tanzte dabei auf und ab. Er ging mit den Beamten und Marilla, auf die er sich verlassen konnte, in den Stall.
Als sie an der Leiter standen, die zum Futterboden hinaufführte, raschelte es da oben.
»Nanu, was is'n das?« sagte Meinshausen und kletterte die Leiter hoch.
»Das war die Katze!« Jan Lubjank lächelte auch jetzt noch; wenn schon in seinem Herzen finsterer Zorn am liebsten den Beamten mitsamt der Leiter zu Boden gerissen hätte.
Der alte Meiners, der eine Flinte trug, seitdem Wilderer die Feldmark um Ravensbrok unsicher machten, behielt den Wirt und die schwarze Marilla scharf im Auge.
Da klang es oben vom Futterboden herunter:
»Komm doch mal nach baben (herauf), Fernand!«
Der Alte sah den Wirt und das Mädchen an. Durfte er die beiden allein lassen? Ja, was sollten die denn tun hier unten?
So kroch er mit seinen gichtigen Beinen die Leiter hinauf.
»Da, kiek mol,« sagte, als der Alte oben war, der Gendarm und zeigte nach dem offenen Lukenfenster, »dor is die Katt rut!«
Der alte Meiners nickte nur. Aber seine Augen drohten: Warte, du Fuchs, einmal wer'n wir dich schon kriegen!