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Drittes Kapitel

Hannes Stark betrat, gefolgt von seinem Wächter, das Zimmer des Untersuchungsrichters. Der Aufseher schloß die Kette, die Starks rechte Hand fesselte, auf, hielt aber den Gefangenen an der Linken und wies ihm einen Platz auf der gelben Bank an der Wand.

Hannes Stark blieb stehen. Er wandte sich an Doktor Walfeld und sagte mit zornbebender Stimme:

»Darf ich fragen, warum ich gefesselt werde, Herr Untersuchungsrichter?«

Der hob wehrend die Hand.

»Sie haben zu warten, bis ich Sie frage. – Aber um es gleich vorwegzunehmen: Sie tragen Fesseln, weil Sie als des Raubmordes Verdächtiger auf den Gedanken kommen könnten, zu fliehen oder womöglich sich mit Gewalt zu befreien. Im übrigen setzen Sie sich dahin!«

Doktor Walfeld wies auf den in einigem Abstand von seinem Tisch stehenden Stuhl.

»Und Sie, Herr Aufseher, bleiben neben dem Angeschuldigten! Sie stehen dafür ein, daß er keine neuen Tätlichkeiten begeht!«

Mit Augen, in denen auch der nicht Voreingenommene den Haß lodern sehen konnte, setzte sich Hannes Stark auf den angewiesenen Platz.

Der Richter blätterte in seinen Akten. Plötzlich schoß sein hartes Auge einen Blick auf den Maler.

»Haben Sie sich das überlegt, Stark, was ich Ihnen gestern gesagt habe?«

Hannes sah an dem Sprechenden vorbei und schwieg.

»Wenn Sie nicht antworten, lasse ich Sie abführen. Dann geht das Verhör morgen weiter! Ich habe Zeit! Und wenn es noch acht Tage dauert, bis Sie Ihre Schuld eingestehen!«

»Ich habe nichts einzugestehen – ich bin unschuldig.«

Der Richter nickte mehrere Male.

»So – Sie sind unschuldig? Wer könnte denn Ihrer Meinung nach als Täter in Frage kommen?«

Stark zuckte die Achseln, aber er antwortete nicht.

Doktor Walfeld wartete ein bißchen. Dann sagte er geduldig und mit ruhiger Stimme, denn er hatte sich vorgenommen, diesen störrischen Menschen durch Ausdauer und Geduld allmählich zu entwaffnen: »Sie haben neulich von einem Mann gesprochen, den Sie in dem Bestmannschen Kellerlokal kennengelernt haben und der – nach Ihrer Vorstellung! – offenbar in räuberischer Absicht einen Angriff auf den ermordeten Berwin gemacht hat.«

Der Sprechende blätterte im Protokoll.

»Hier – der Wolfank fiel über Berwin her und suchte an seine inneren Rocktaschen heranzukommen, offenbar in der Absicht, ihn zu berauben. – Haben Sie das gesagt, Stark, ja?«

Der Maler sah immer an Doktor Walfeld vorbei. In einer zitternden Wut glaubte er sich nur so gegen sein maßloses Temperament wehren zu können. Endlich sagte er:

»Wenn es so dasteht, dann werde ich es wohl gesagt haben.«

»Sie sind also noch der Ansicht, dieser Wolfank könne als Mörder Berwins in Frage kommen?«

Hannes Stark schwieg. Ihn ging dieser großkarierte Gauner gar nichts an. So lachte Stark vor sich hin. Aber dann sagte er doch:

»Der ›Engländer‹, der kann es ebensogut gewesen sein wie jeder andere.«

»So,« meinte der Richter, »das glauben Sie. Na, dann gehen Sie mal, Mahnke, und holen Sie den ›Großkarierten‹ her!«

Stark erschrak furchtbar. Seine Nerven waren so zerfasert daß ihn alles Unerwartete und Unvorhergesehene aus dem Sattel hob.

Der Justizwachtmeister verließ das Zimmer und kam bald mit dem ebenfalls, wenn auch wegen ganz anderer Dinge, in Untersuchungshaft sitzenden Hans Wolfank wieder herein, der übrigens, wie Doktor Walfeld betonte, keineswegs Wolfank hieß, wenn man seinen wahren Namen bislang auch nicht hatte ermitteln können.

»Wann sind Sie verhaftet worden?« fragte Doktor Walfeld den ›Engländer‹.

Der schickte seine hellen Raubtieraugen in die Runde. Und erst, als er nichts ihm Dienliches erspähen konnte, sagte er in wegwerfendem Ton:

»Na, das wissen Sie doch, Herr Gerichtsrat. In dieselbe Nacht, wo der da« – er zeigte auf Hannes Stark –, »den Reisenden Berwin machulle gemacht hat.«

Dem Maler war's, als dröhnte in seinem Schädel eine eherne Glocke, er faßte mit beiden Händen nach seinem Kopf und stöhnte laut.

Der ›Engländer‹ grinste frech:

»Jetzt hat er's mir wohl in die Schuhe schieben wollen, der Schlemmeier? Ja, das könnt' ihm so passen! Na, zum Glück hat mich Kommissar Reimer schon vorher geklappt! Sonst könnt' ich dafür auch noch meinen Kopp hinhalten!«

»Führen Sie den Mann wieder ab, Mahnke!« unterbrach Doktor Walfeld das Rotwelsch des Zuchthäuslers, der mit frechem Gelächter dem Justizwachtmeister folgte.

»Na also, Stark, was werden Sie nun vorbringen?« meinte der Richter, sich über den Tisch vorbeugend und in des Malers Zügen forschend.

Stark wandte das Gesicht mit einer verächtlichen Gebärde.

Der Richter sah dieses höhnische Kopfaufwerfen wohl. Aber er nahm keine Notiz davon. Er hatte sich fest versprochen, seinen Gleichmut nicht zu verlieren. Gerade weil dieser Totschläger es darauf anlegte, ihn in Wut zu bringen, wollte Doktor Walfeld sich erst recht bezwingen. Ihn konnte niemand kontrollieren, und eben deshalb war er selbst sein eigener, sein bester Richter.

In seinen Gedankengängen wurde Doktor Walfeld unterbrochen durch ein lautes Lachen. Was fiel denn dem Menschen ein?

»Warum lachen Sie?«

Der Maler lachte noch mehr. »Weil ich,« sagte er, von einer krampfhaften Heiterkeit geschüttelt, »weil ich auf Ihrem Gesicht deutlich sehe, was Sie sich alles einbilden.«

»Was ich mir einbilde?« Doktor Walfeld wurde blaß vor Ärger.

»Ja,« lachte Stark, »Sie bilden sich ein, daß Sie mich nun gehörig 'reingelegt haben damit, daß Sie den Rowdy hier haben auftreten lassen! Aber Sie irren sich, Herr Untersuchungsrichter, Sie haben mich nicht 'reingelegt, und Sie legen mich überhaupt nicht 'rein! Sie können mir« – der Sprecher machte eine Pause – »Sie können mir gar nichts!«

Die Fäuste Doktor Walfelds krampften sich unter dem Tisch. Und mit eiskalter Stimme sagte er:

»Nicht ich, sondern Sie irren sich, Stark. Ich kann Sie disziplinarisch bestrafen. Und das werde ich tun. Ich stecke Sie drei Tage in den dunklen Keller, bei Wasser und Brot. Da können Sie dann über Ihre weiteren Ausreden nachdenken. Und im übrigen schauen Sie mich nicht so mörderisch an! Ich meine, mit der einen Bluttat könnten Sie es genug sein lassen!«

Hannes Stark sah seinen Richter noch immer an. Dann war es, als würden seine Augen dunkel. Er legte die Hände davor, große, schöne und edel geformte Hände.

Doktor Walfeld vergegenwärtigte sich die Menge der schlimmen Verdachtsgründe, die er jetzt dem Angeschuldigten aufzählte.

»Die im Schädel Ihres Opfers gefundene Revolverkugel, Kaliber neun Millimeter, paßt genau in Ihre Waffe – bis auf ein zehntel Gramm in Gewicht.«

Doktor Walfeld hielt in spitzen Fingern das deformierte Geschoß hoch.

»Ferner stammt das Geld in Ihrer Tasche, Stark, nachweislich aus der Gewinnsumme Berwins. Ihre Behauptung, der Erschossene hätte Ihnen die dreitausend Mark freiwillig gegeben, können Sie durch nichts beweisen! Im Gegenteil hat der Kriminalassistent Lüders in Bestmanns Keller gehört, wie Sie den Berwin wiederholt bedroht haben: Sie wollten sich Ihren sogenannten Anteil mit Gewalt nehmen, wenn Berwin Ihnen das Geld nicht geben würde. Oder bestreiten Sie das etwa auch?«

Der Maler blickte auf.

Er überlegte, was er antworten sollte. Er lachte nicht mehr.

»Ich bestreite überhaupt nichts, was wahr ist. Und das ist wahr: Weil Berwin mir meinen Anteil nicht geben wollte, da habe ich ihm gedroht, ich würde es mir mit Gewalt nehmen – das, was mir zukam.«

»Und was war das?« Der Richter lächelte nicht, nur in dem Ton seiner Stimme funkelte die eisige Ironie seiner Worte. »Aber,« er machte seine gewohnte Handbewegung, als finge er etwas in der Luft, »wir wollen unsere Zeit nicht verlieren! Sie, alter Freund, gehören zu der Kategorie von Übeltätern, die stets eine Ausrede bei der Hand haben. Und nun bin ich gespannt, was Sie mir als Grund für das Putzen der Waffe am Morgen nach der Mordtat angeben werden.«

Wenn Doktor Walfeld geglaubt hatte, er könne den Maler durch diese Frage in Verlegenheit bringen, so war er im Irrtum. Gleichgültig, mit halber Stimme, meinte der, daß er das ja schon dem Gendarm bei seiner Verhaftung gesagt hätte: Die Waffe war naß und schmutzig, da habe er sie, wie jeder vernünftige Mensch tut, trocken gewischt.

»Mit anderen Worten: Sie ahnten schon, daß der Verdacht, den Reisenden erschossen zu haben, auf Sie fallen würde?«

Stark sah den Richter unbefangen an. »Wieso denn auf mich? Wohl weil Sie keinen anderen bei der Hand haben, da soll ich es gewesen sein? Das ist ja lachhaft! Ich habe getan, was ich konnte! Als der Berwin, eigensinnig wie immer, in der Nebelnacht vom Weg abging, ins dichte Zeug 'rein, da wollt' ich ihm erst nach. Aber dann hätten wir uns alle beide verlaufen. Darum blieb ich auf der Straße – vielleicht war ich auch ärgerlich über den Dickkopf. Und als ich noch nachdachte – ich mußte ja vorsichtig und langsam gehen, der Nebel lag wie dicke Milch vor mir –, da knallt's in der Heide. Da wurde mir natürlich angst, und ich zog meinen Revolver. – Aber das hab' ich doch alles schon ein paarmal erzählt. Und Sie glauben mir ja doch nicht, Herr Amtsgerichtsrat.«

Doktor Walfeld hob die eine seiner immer regsamen Hände.

»Sprechen Sie ruhig weiter, Stark, ich höre gern solche packenden Geschichten!«

Der Maler wurde wieder ärgerlich.

»Es liegt mir aber gar nichts daran, Ihnen hier Geschichten aufzutischen. Ich sage es so, wie's gewesen ist.«

»Gut, also Sie zogen Ihren Revolver, Kaliber neun Millimeter, und schossen?«

»Ja, dreimal.«

»In die Luft?«

»Jawohl, in den Nebel hinein!«

»Und dann?«

»Dann? Dann ging ich los und suchte Berwin.«

»Wann war denn das? Um wieviel Uhr, meine ich.«

»Es kann um ein Uhr gewesen sein, vielleicht halb zwei.«

»Und wann waren Sie zu Hause, bei sich in Ravensbrok?«

»Um – um vier vielleicht.«

»So – um vier.« Der Richter sah über den Kopf des Beschuldigten nach der Uhr, die da oben an der weißen Wand hing. »Ja, hören Sie mal, Stark, da müssen Sie ja drei Stunden in der nassen Heide herumgewandert sein! Wem wollen Sie denn das erzählen?«

Stark sah auf. Er blickte dem Richter ins Angesicht und dachte gar nicht daran, die Augen niederzuschlagen.

»Ich erzähle Ihnen nichts, Herr Amtsgerichtsrat, ich sage nur, was wahr ist. Ich bin tatsächlich durch Nebel und Heide bis nach Ravensbrok gegangen und dann wieder zurück bis zur Bahn, und schließlich bin ich todmüde nach Hause getaumelt.«

»Getaumelt,« wiederholte der Richter, »ja, Sie sind Künstler, Stark, auch in Ihrer Ausdrucksweise. Bloß manchmal etwas unbeherrscht. Und der Bruno Berwin, der hat es nun mal bei Ihnen versehen. – Hätte der arme Kerl nicht schon einmal beinahe dran glauben müssen, als Sie ihn oben hatten in Ihrer Stube?«

Hannes Stark wurde wieder unruhig, er drehte seine breiten Schultern hin und her.

»Ja,« sagte er stockend, »ja – aber –«

Mit einer unangenehmen Freundlichkeit half Doktor Walfeld ein:

»Der Lotteriekollekteur Nathusius hat uns da mancherlei erzählt; ohne sein Dazwischentreten, meinte er, hätten Sie damals schon den armen Reisenden ins bessere Jenseits spediert!«

Hannes Stark schluckte. Er hatte seit Tagen beinahe nichts gegessen.

Aber der Maler überwand dieses würgende, atemraubende Gefühl und sagte:

»Ja, ich habe mich damals in sehr roher Weise an Berwin vergangen – das tut mir heute noch leid.«

»So – na, das ist doch etwas, was Ihnen leid tut. Vielleicht besinnen Sie sich noch auf mehr. Sie werden vermutlich noch einige Zeit bei uns bleiben und dazu Muße haben.«

»Da werde ich also noch nicht entlassen?«

»Entlassen? Ja, wie denken Sie sich denn das? Einen des meuchlerischen Raubmordes Verdächtigen, der keine Beschuldigung widerlegen kann, den wird man doch – na, wissen Sie, mein Lieber, das ist, scheint mir, eine etwas naive Auffassung!«

Dem Maler war es, als risse man ihn mit Gewalt von seinem Sitz empor! Als müsse er sich wie ein Tier auf den stürzen, der ihm mit jedem Wort seine Wunden weiter aufriß. Aber der bewaffnete Mann an seiner Seite zog die Kette, die Starks Handgelenk umschloß, instinktiv etwas an.

Stöhnend ließ sich der Angeschuldigte abführen.


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